ZAP-2019-22

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Fach 7, Seite 548 Negative Einwirkungen Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Der Nachbar darf nicht zur Unzeit von seinem Selbsthilferecht Gebrauch machen. Auf Wachstumsperioden der Pflanzen hat er zu achten. So kann es das Landschaftsschutzrecht verbieten, in der Zeit vom 1.3. bis zum 30.9. Hecken, Wallhecken, Gebüsche sowie Röhricht- und Schilfbestände zu roden, abzuschneiden oder zu zerstören (OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 290). Zweige dürfen nur an der Stelle abgeschnitten werden, wo sie die Grundstücksgrenze überschreiten. Sie dürfen nicht bereits am Stamm des Baums gekappt werden, wenn dieser neben der Grenze auf dem Grundstück des Baumeigentümers steht. Erst recht ist das völlige Abschneiden einer Hecke auf dem Nachbargrundstück rechtswidrig und zieht Schadenersatzansprüche des Nachbarn gem. § 823 BGB nach sich. Der deliktische Anspruch umfasst die Kosten einer Neuanpflanzung der gerodeten Teile einschließlich der Kosten notwendiger Ausgrabungen der abgeschnittenen Wurzelstücke sowie die Wertdifferenz zwischen der Neuanpflanzung von Stecklingen zum Wert der vormals existierenden Hecke (OLG Brandenburg, Urt. v. 6.2.2013 – 7 U 191/09, juris; zur Berechnung des Schadens nach der „Methode Koch“ auch bei Teilschädigungen von Gehölzen: BGH, Urt. v. 25.1.2013 – V ZR 222/12, NZM 2013, 282; BGH, Urt. v. 27.1.2006 – V ZR 46/05, NJW 2006, 1424; zu Einzelheiten der Methode Koch vgl. KOCH, Aktualisierte Gebührentabelle, 3. Aufl. 2001; BRELOER, Der Sachverständige, 2005; zur Berechnung des Schadenersatzes nach unbefugtem Beschnitt alter Bäume durch den Grundstücksnachbarn vgl. LG Bielefeld, Urt. v. 14.5.1991 – 23 O 186/90, NJW-RR 1992, 26). aa) § 1004 BGB: Selbsthilferecht, Beseitigungsanspruch Neben dem Selbsthilferecht steht dem Nachbarn auch das Recht zu, vom Baumeigentümer gem. § 1004 BGB das Abschneiden störender Zweige und Wurzeln zu verlangen. Beide Ansprüche sind ohne Vorrang nebeneinander gegeben (BGH NJW 1973, 703; BGH DWW 1986, 239; zur Verjährung des Rückschnittanspruchs: BGH, Urt. v. 22.2.2019 – V ZR 136/18; zum Anspruch auf Kappen der Nachbarhecke: BGH, Urt. v. 8.12.2017 – V ZR 16/17, NZM 2018, 239; zum Anspruch auf Rückschnitt einer Grenzbepflanzung eines tiefer liegenden Nachbargrundstücks: BGH, Urt. v. 2.6.2017 – V ZR 230/16, ZMR 2017, 945; zu den besonderen Schadensrisiken beim Rückschnitt alter Nachbarbäume: OLG Brandenburg, Urt. v. 8.2.2018 – 5 U 109/16, IMR 2018, 473 = NZM 2018, 519; zum Anspruch auf „vorsorglichen“ Rückschnitt einer Grenzbepflanzung vor der Wachstumsperiode: LG Freiburg, Urt. v. 7.12.2017 – 3 S 171/16, NZM 2018, 249; zum vorbeugenden Beseitigungsanspruch gegen die Gemeinde als Baumeigentümer wegen Befürchtung zukünftiger Schäden durch das Wurzelwerk des Baums: VG Ansbach, Urt. v. 29.11.2017 – AN 9 K 16.01056, juris). Streitig ist, ob Ansprüche auf Kostenersatz bestehen, die für die Beseitigung im Rahmen eines Selbsthilferechts entstanden sind (dafür: BGH NJW 1973, 703, 705; BGH DWW 1986, 239; dagegen: LG Hannover NJW-RR 1994, 14; LG Berlin GE 1993, 1039). § 910 BGB ist auf einen schräg vom Nachbargrundstück über die Grenze wachsenden Baum nicht anwendbar. Hier ist ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB gegeben, soweit der Baum über die Grenze reicht und den Nachbar beeinträchtigt. Sowohl das Selbsthilferecht des gestörten Eigentümers nach § 910 BGB als auch ein Beseitigungsanspruch gegen den Baumeigentümer nach § 1004 BGB kann öffentlich-rechtlich durch eingreifende örtliche Baumschutzsatzungen überlagert sein (eingehend HORST DWW 1991, 322 ff.). Die meisten Gemeinden haben Baumschutzsatzungen als Ortsrecht erlassen. Bei Bäumen, Sträuchern und sonstigen Gehölzen, die nach der Baumschutzsatzung zu erhalten sind, dürfen ohne Befreiungs- oder Ausnahmegenehmigungen Wurzeln und Zweige nicht abgeschnitten werden, wenn dies eine Schädigung oder Veränderung des Baums verursacht. Dies gilt erst recht für das Fällen der Bäume. Ausnahmegenehmigungen zum Fällen oder Verändern der Bäume können beantragt werden. Sie werden jedoch in der Praxis nur bei kranken Bäumen erteilt oder wenn von den Bäumen eine konkrete 1188 ZAP Nr. 22 20.11.2019

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 549 Negative Einwirkungen Gefahr ausgeht (vgl. OLG Köln, Urt. v. 17. 2. 1997 – 16 U 50/96 [n.v., für die Gefährdung der Standfestigkeit einer Mauer durch einen Baum]; VGH Hessen RdL 1993, 125 [für Windbruch- und Windwurfgefahr]; OVG NW Urt. v. 18. 11. 1993 – 10 A 1668/91 [n.v., für die Gefährdung einer Grundstückszufahrt]; VG Arnsberg, Urt. v. 8. 6. 1993 – 1 K 3994/92 [n.v. für die Gefährdung der Bausubstanz eines Hauses]). Das Verbot der Baumschutzsatzung ist von allen Beteiligten zu beachten. Werden Ausnahme- und Befreiungsgenehmigungen nicht erteilt, so kann das Verwaltungsgericht angerufen werden (Verpflichtungsklage; VGH Mannheim NVwZ 1995, 402). Auch Entschädigungsansprüche für hinzunehmende Beeinträchtigungen werden in den meisten Fällen nicht zuerkannt. Ersatzansprüche wegen aufgewendeter Reinigungskosten stehen dem Grundeigentümer nur zu, wenn der Nachbar seinen Baum eigentlich beseitigen müsste. Umgekehrt hat der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks keinen Anspruch auf Wertersatz, wenn er zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet ist. Beeinträchtigungen des Grundstücks durch Laubfall, Blüten- und Samenflug und durch Astabwurf im normalen Ausmaß werden schon nicht als rechtserhebliche Beeinträchtigungen angesehen und folglich auch nicht als Grundlage einer Ausnahmeoder Befreiungsgenehmigung nach einer Baumschutzsatzung anerkannt (VG Köln NuR 1992, 442). bb) Nachbarrechtsgesetze Schließlich können Vorschriften in den Nachbarrechtsgesetzen einem privatrechtlichen Beseitigungsanspruch oder Selbsthilferecht entgegenstehen. In diesen Landesgesetzen finden sich spezielle Ausschluss- und Verjährungsvorschriften für Ansprüche auf Versetzung von grenznahen Bepflanzungen, verbunden mit einer Duldungspflicht des tatsächlichen Zustands (dazu OLG Köln VersR 1991, 55; LG Saarbrücken NJW-RR 1991, 406; vgl. die Übersicht bei PALANDT/BASSENGE, BGB, 57. Aufl. 1998, Art. 124 EGBGB Rn 2 f.). 2. Giftige Pflanzen Der Eigentümer eines Grundstücks, das an eine Kuhweide grenzt, macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er von Eibenhecken abgeschnittene Zweige so an den Weidezaun legt, dass Kühe hiervon fressen konnten und darauf infolge einer Vergiftung verendet sind (OLG Köln MDR 1990, 439). In der Nähe von Spielplätzen dürfen keine giftigen Sträucher, wie etwa Goldregen, angepflanzt werden. Derartige Pflanzungen haben einen Abstand von mindestens 30 Metern zu Kinderspielplätzen einzuhalten (LG Braunschweig NdsRpfl 1990, 6). Als Folge der zu grenznah gesetzten giftigen Pflanzen ergeben sich Beseitigungsansprüche und bei Eintritt von Schäden auch Schadensersatzverpflichtungen. 3. Unkrautsamen Hier gilt das oben unter II 5 Gesagte (s. ZAP 22/2019, S. 1177, 1178). 4. Eindringen fester Stoffe Unter den Begriff „ähnliche Einwirkungen“ i.S.v. § 906 BGB fällt nicht das Eindringen fester Körper, wie etwa vom Nachbargrundstück herüberfliegende Bälle, eindringende größere Tiere (zu Katzen s.o. IV 1) oder Flüssigkeiten (BGH NJW 1993, 1855; VGH Kassel NJW 1993, 3088 [für einen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch gegen herüberfliegende Fußbälle von einem Sportplatz]). Sie werden als Grobimmissionen bezeichnet (näher: HERDER, in: PALANDT, a.a.O. § 906 BGB Rn 5). In besonderen Ausnahmefällen kann eine Korrektur über § 242 BGB geboten sein mit der Folge, dass Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche entstehen. Dies wurde etwa in einem Fall entschieden, in dem von einer Eisenbahnbrücke ständig Fäkalien auf das darunterliegende Grundstück ZAP Nr. 22 20.11.2019 1189

Fach 7, Seite 548<br />

Negative Einwirkungen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

Der Nachbar darf nicht zur Unzeit von seinem Selbsthilferecht Gebrauch machen. Auf Wachstumsperioden<br />

der Pflanzen hat er zu achten. So kann es das Landschaftsschutzrecht verbieten, in der Zeit<br />

vom 1.3. bis zum 30.9. Hecken, Wallhecken, Gebüsche sowie Röhricht- und Schilfbestände zu roden,<br />

abzuschneiden oder zu zerstören (OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 290).<br />

Zweige dürfen nur an der Stelle abgeschnitten werden, wo sie die Grundstücksgrenze überschreiten.<br />

Sie dürfen nicht bereits am Stamm des Baums gekappt werden, wenn dieser neben der Grenze auf<br />

dem Grundstück des Baumeigentümers steht. Erst recht ist das völlige Abschneiden einer Hecke auf<br />

dem Nachbargrundstück rechtswidrig und zieht Schadenersatzansprüche des Nachbarn gem. § 823<br />

BGB nach sich. Der deliktische Anspruch umfasst die Kosten einer Neuanpflanzung der gerodeten<br />

Teile einschließlich der Kosten notwendiger Ausgrabungen der abgeschnittenen Wurzelstücke sowie<br />

die Wertdifferenz zwischen der Neuanpflanzung von Stecklingen zum Wert der vormals existierenden<br />

Hecke (OLG Brandenburg, Urt. v. 6.2.2013 – 7 U 191/09, juris; zur Berechnung des Schadens nach der<br />

„Methode Koch“ auch bei Teilschädigungen von Gehölzen: BGH, Urt. v. 25.1.2013 – V ZR <strong>22</strong>2/12, NZM<br />

2013, 282; BGH, Urt. v. 27.1.2006 – V ZR 46/05, NJW 2006, 1424; zu Einzelheiten der Methode Koch vgl.<br />

KOCH, Aktualisierte Gebührentabelle, 3. Aufl. 2001; BRELOER, Der Sachverständige, 2005; zur Berechnung<br />

des Schadenersatzes nach unbefugtem Beschnitt alter Bäume durch den Grundstücksnachbarn vgl.<br />

LG Bielefeld, Urt. v. 14.5.1991 – 23 O 186/90, NJW-RR 1992, 26).<br />

aa) § 1004 BGB: Selbsthilferecht, Beseitigungsanspruch<br />

Neben dem Selbsthilferecht steht dem Nachbarn auch das Recht zu, vom Baumeigentümer gem. § 1004<br />

BGB das Abschneiden störender Zweige und Wurzeln zu verlangen. Beide Ansprüche sind ohne Vorrang<br />

nebeneinander gegeben (BGH NJW 1973, 703; BGH DWW 1986, 239; zur Verjährung des Rückschnittanspruchs:<br />

BGH, Urt. v. <strong>22</strong>.2.<strong>2019</strong> – V ZR 136/18; zum Anspruch auf Kappen der Nachbarhecke: BGH, Urt.<br />

v. 8.12.2017 – V ZR 16/17, NZM 2018, 239; zum Anspruch auf Rückschnitt einer Grenzbepflanzung eines<br />

tiefer liegenden Nachbargrundstücks: BGH, Urt. v. 2.6.2017 – V ZR 230/16, ZMR 2017, 945; zu den<br />

besonderen Schadensrisiken beim Rückschnitt alter Nachbarbäume: OLG Brandenburg, Urt. v. 8.2.2018<br />

– 5 U 109/16, IMR 2018, 473 = NZM 2018, 519; zum Anspruch auf „vorsorglichen“ Rückschnitt einer<br />

Grenzbepflanzung vor der Wachstumsperiode: LG Freiburg, Urt. v. 7.12.2017 – 3 S 171/16, NZM 2018, 249;<br />

zum vorbeugenden Beseitigungsanspruch gegen die Gemeinde als Baumeigentümer wegen Befürchtung<br />

zukünftiger Schäden durch das Wurzelwerk des Baums: VG Ansbach, Urt. v. 29.11.2017 – AN 9 K<br />

16.01056, juris).<br />

Streitig ist, ob Ansprüche auf Kostenersatz bestehen, die für die Beseitigung im Rahmen eines<br />

Selbsthilferechts entstanden sind (dafür: BGH NJW 1973, 703, 705; BGH DWW 1986, 239; dagegen: LG<br />

Hannover NJW-RR 1994, 14; LG Berlin GE 1993, 1039).<br />

§ 910 BGB ist auf einen schräg vom Nachbargrundstück über die Grenze wachsenden Baum nicht<br />

anwendbar. Hier ist ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB gegeben, soweit der Baum über die<br />

Grenze reicht und den Nachbar beeinträchtigt.<br />

Sowohl das Selbsthilferecht des gestörten Eigentümers nach § 910 BGB als auch ein Beseitigungsanspruch<br />

gegen den Baumeigentümer nach § 1004 BGB kann öffentlich-rechtlich durch eingreifende<br />

örtliche Baumschutzsatzungen überlagert sein (eingehend HORST DWW 1991, 3<strong>22</strong> ff.).<br />

Die meisten Gemeinden haben Baumschutzsatzungen als Ortsrecht erlassen. Bei Bäumen, Sträuchern<br />

und sonstigen Gehölzen, die nach der Baumschutzsatzung zu erhalten sind, dürfen ohne<br />

Befreiungs- oder Ausnahmegenehmigungen Wurzeln und Zweige nicht abgeschnitten werden, wenn<br />

dies eine Schädigung oder Veränderung des Baums verursacht. Dies gilt erst recht für das Fällen der<br />

Bäume.<br />

Ausnahmegenehmigungen zum Fällen oder Verändern der Bäume können beantragt werden. Sie werden<br />

jedoch in der Praxis nur bei kranken Bäumen erteilt oder wenn von den Bäumen eine konkrete<br />

1188 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>22</strong> 20.11.<strong>2019</strong>

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