ZAP-2019-22

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Fach 7, Seite 532 Negative Einwirkungen Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Abs. 1, 862 Abs. 1 S. 1 BGB gegen negative und ideelle Einwirkungen verworfen – ein Ergebnis, das in der notwendigen Gesamtbetrachtung in vielen Fällen „nachbarlich zwischenmenschlichen Verhaltens“ nicht befriedigen kann. Die Abhandlung verfolgt daher das Ziel, Wege aus dem Dilemma zivilrechtlicher Anspruchslosigkeit aufzuzeigen, und die zunächst behandelten Fälle von anspruchsauslösenden ähnlichen Einwirkungen abzugrenzen. II. Einzelfälle 1. Entziehung von Licht und Luft Da es sich durch die Entziehung von Licht (Verschattung) und Luft durch Bäume, Sträucher, Hecken, Gebäude oder Umzäunungen um negative Einwirkungen handelt, ist sie grds. nicht abwehrbar (so die weitaus h.M., vgl. BGH, Urt. v. 10.7.2015 – V ZR 229/14, NZM 2015, 793 f; BGH, Urt. v. 14.11.2003 – VZR 102/03, NZM 2004, 115 f; OLG Brandenburg, Urt. v. 17.8.2015 – 5 U 109/13, NZM 2015, 798; OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2014 – 5 U 229/13; OLG München, Urt. v. 27.6.2012 – 20 U 4726/11; LG Bielefeld, Urt. v. 26.11.2013 – 1 O 307/12; und die Nachw. bei HORST DWW 1997, 361 ff; vgl. zur entschädigungslosen Duldungspflicht einer Verschattung durch Entzug von Licht und Luft: BGH, Urt. v. 27.10.2017 – VZR 8/17, NZM 2018, 241). Ausnahmsweise kann sich im Falle ganz erheblicher Beeinträchtigungen – so bei kompletter Abschattung des gesamten Grundstücks während der größten Zeit des Tages – aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis nach Treu und Glauben ein Anspruch auf Zurückschneiden der lichtbeeinträchtigenden Bäume und Sträucher oder Hecken ergeben (OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2014 – 5 U 229/13; OLG München, Urt. v. 27.6.2012 – 20 U 4726/11; OLG Hamm, Urt. v. 28.9.1998 – 5 U 67/98, MDR 1999, 930 Rn 28; AG Hamburg-Blankenese, Urt. v. 11. 10.1995 – 508 C 329/95, Hamburger Grundeigentum 1995, 399; OLG Köln, Beschl. v. 7. 6. 1996 – 16 Wx 88/69 n.v.; so auch für das öffentliche Recht bei geschütztem Baum: VG München, Urt. v. 19.11.2012 – M 8 K 11.5128, IMR 2013, 161). Ebenso kann aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis ein Anspruch darauf entstehen, dass ein Grundstücksnachbar dem anderen nicht durch Aufstellen von Windkraftanlagen die Windenergie in einer Weise nehmen darf, dass nur auf dem einen, nicht aber auf dem anderen Grundstück wirtschaftlich Windenergie genutzt werden kann (OLG Frankfurt ZMR 2000, 378). 2. Blendungen a) Natureinflüsse Dasselbe gilt für Blendungen vom Nachbargrundstück, soweit sie als Reflexionen aus Naturkräften resultieren (beispielsweise die hellreflektierende Hauswand) und nicht auf eigene Handlungen des Grundstücknachbarn zurückzuführen sind, beispielsweise die gezielte Anstrahlung des Nachbargrundstücks durch Scheinwerfer (OLG Düsseldorf MDR 1991, 56 = OLGZ 1991, 106; vgl. eingehend HORST, a.a.O., 369 ff.). Dies kann abgewehrt werden. Die Abgrenzung kann fließend sein. So geht das LG Frankfurt a.M. (DWW 1998, 57 ff.) von einer eigenen Handlung des Nachbarn aus, wenn dieser ein Glasdach errichtet, das den Sonnenschein zu einem einzigen gleißend hellen konzentrierten Lichtstrahl bündelt, und dadurch Arbeitseinschränkungen im benachbarten Bürogebäude mit einhergehenden Augenschmerzen der Arbeitnehmer entstehen (vgl. eingehend HORST DWW 1997, 361, 369 f. ebenso: OLG Hamm, Urt. v. 9.7.2019 – 24 U 27/18; LG Arnsberg, Urt. v. 8.1.2018 – 2 O 186/16 zum bejahten Beseitigungsanspruch bei blendenden Dachziegeln; ebenso: VG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.7.2007 – 3 S 1654/06; OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.12.2013 – 9 U 184/11, DWW 2014, 186; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.7.2017 – I-9 U 35/17, IMR 2017, 416 = NJW-Spezial 2017, 525 für eine blendende Solaranlage auf dem Dach; ebenso: OLG Stuttgart, Urt. v. 9.2.2009 – 10 U 146/08, MDR 2009, 1099, und für extreme Blendungen durch Dachfenster; LG München I, Urt. v. 27.6.2018 – 41 O 14.768/16: Abwehranspruch wegen Ortsüblichkeit dieser Maßnahme [Anm. d. VERF. es kommt auf die Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung an!] verneint im Falle mehrerer spiegelnder CDs, die zur Vogelabwehr auf dem Nachbargrundstück angebracht wurden). 1172 ZAP Nr. 22 20.11.2019

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht Fach 7, Seite 533 Negative Einwirkungen Aber auch wohnungseigentumsrechtlich gilt es auf Besonderheiten hinzuweisen: So stellt schon die optische Veränderung durch eine Photovoltaikanlage eine „bauliche Veränderung“ i.S.d. Wohnungseigentumsrechts dar. Das führt automatisch nach dem Wohnungseigentumsgesetz dazu, dass besondere Beschlussmehrheiten notwendig sind, um als Grundlage für die Anschaffung und die Montage einer Photovoltaikanlage dienen zu können. So können in der Wohnungseigentümergemeinschaft bauliche Maßnahmen, die ohne konkret vorhandenen Instandsetzungsbedarf eine Anpassung des Gemeinschaftseigentums an den Stand der Technik, eine Erhöhung des Gebrauchswerts, einer Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse oder eine Einsparung von Wasser oder Energie bewirken, nur mit sog. doppelt qualifizierter Mehrheit beschlossen werden (§ 22 Abs. 2 WEG), sofern die Eigenheit der Wohnanlage nicht verändert oder ein Wohnungseigentümer nicht unbillig beeinträchtigt wird. Sieht man diese Voraussetzung als gegeben an, dann muss der Beschluss mit mindestens 75 % der Ja-Stimmen, bezogen auf alle in der Wohnungseigentümergemeinschaft vorhandenen Stimmen (nicht nur der in der Versammlung anwesenden oder vertretenen Stimmrechte) sowie mehr als 50 % Zustimmung bezogen auf die Miteigentumsanteile zustande kommen. b) Lichtstrahler und bauliche Illuminationen Unter Lichtstrahlern werden hier alle künstlichen Lichtquellen und Beleuchtungskörper wie Gartenlampen, Lichterketten, Hausaußenbeleuchtungen, Strahler zum Erhellen von Grundstücksaußenflächen als Sicherheitseinrichtungen und Ähnliches verstanden. Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften zur Beurteilung von Lichtimmissionen gibt es bislang nicht. Hinzuweisen ist auf die „Messung und Beurteilung von Lichtimmissionen“ (LiTG-Publikation Nr. 12.2.96) sowie auf die „Messung und Beurteilung von Lichtimmissionen (Licht-Richtlinie)“, LAI- Veröffentlichung, Bd. 4, 1994 (erwähnt bei FRANTZ-ROSENFELD in RÖDEL, Nachbarrechtliche Streitigkeiten in der anwaltlichen Praxis, Teil 6/5.1-5.4, S. 13 f.). Beide Veröffentlichungen orientieren sich an den Einteilungen der Baugebiete der Baunutzungsverordnung und sehen Grenzwerte für die Beleuchtungsstärke vor (ausführlich FRANTZ-ROSENFELD, a.a.O.). aa) Abwehransprüche des Nachbarn Was die Abwehrmöglichkeiten des beeinträchtigten Nachbarn bei derartigen Lichtimmissionen angeht, so ist danach zu unterscheiden, ob die Lichtstrahler auf eigene Grundstücksteile des Nachbarn gerichtet sind oder direkt das Grundstück oder das darauf stehende Haus des beeinträchtigten Eigentümers anstrahlen. Im ersteren Fall handelt es sich um negative Einwirkungen, die nicht abwehrfähig sind. Dass durch eine auf einem Grundstück unterhaltene Lichtquelle auch das Nachbargrundstück beleuchtet wird, stellt an sich also noch keine unerlaubte Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar (DEHNER, Nachbarrecht, Bd. 1, 7. Aufl., 1996, B § 16, Fn 25; OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.2.2018 – 12 U 40/17, juris für einen angeleuchteten Kirchturm – Abwehranspruch verneint). Anders ist es aber, wenn die Lichtquellen gezielt auf das Nachbargrundstück gerichtet werden. In diesem Fall handelt es sich um eine durch menschliche Handlung verursachte, zielgerichtete und grenzüberschreitende Immission, die Abwehransprüche auslöst. Daher ist das Anstrahlen eines Hauses mit Scheinwerfern nur mit Zustimmung des Eigentümers zulässig (DEHNER, a.a.O., S. 11). Deshalb sind Abwehransprüche eröffnet, wenn z.B. die (bewegungsmeldergesteuerte) Außenbeleuchtung des Hauses in das Schlafzimmer des Nachbarn beeinträchtigend hineinscheint (LG Wiesbaden, Urt. v. 19.12.2001 – 10 S 46/01, NJW 2002, 615,616 – Glühbirnenstreit wegen einer Lichtzufuhr vom Nachbargrundstück). Auch die Zuführung von grellen Lichtreflexen „infolge von Veranstaltungen“ sind abwehrfähige Beeinträchtigungen (RGZ 76, 130, 132; BGHZ 88, 344 (349); OLG Düsseldorf OLGZ 91, 106 f.). Schon das Reichsgericht führt im Jahre 1911 aus, dass die „Zuführung von grellen Lichtreflexen infolge von Veranstaltungen auf dem Nachbargrundstück“ zu den wesentlichen Beeinträchtigungen i.S.v. § 906 BGB gehören, „weil dadurch das Auge geblendet und somit ein körperliches Unbehagen verursacht werden kann“. Fürwahr eine zukunftsorientierte Entscheidung, wenn man an die grellen Lichtimmissionen infolge von Strobolichtern, farbigen, sich ständig bewegenden und ZAP Nr. 22 20.11.2019 1173

Fach 7, Seite 532<br />

Negative Einwirkungen<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

Abs. 1, 862 Abs. 1 S. 1 BGB gegen negative und ideelle Einwirkungen verworfen – ein Ergebnis, das in der<br />

notwendigen Gesamtbetrachtung in vielen Fällen „nachbarlich zwischenmenschlichen Verhaltens“ nicht<br />

befriedigen kann. Die Abhandlung verfolgt daher das Ziel, Wege aus dem Dilemma zivilrechtlicher<br />

Anspruchslosigkeit aufzuzeigen, und die zunächst behandelten Fälle von anspruchsauslösenden ähnlichen<br />

Einwirkungen abzugrenzen.<br />

II.<br />

Einzelfälle<br />

1. Entziehung von Licht und Luft<br />

Da es sich durch die Entziehung von Licht (Verschattung) und Luft durch Bäume, Sträucher, Hecken,<br />

Gebäude oder Umzäunungen um negative Einwirkungen handelt, ist sie grds. nicht abwehrbar (so die<br />

weitaus h.M., vgl. BGH, Urt. v. 10.7.2015 – V ZR <strong>22</strong>9/14, NZM 2015, 793 f; BGH, Urt. v. 14.11.2003 – VZR<br />

102/03, NZM 2004, 115 f; OLG Brandenburg, Urt. v. 17.8.2015 – 5 U 109/13, NZM 2015, 798; OLG Hamm,<br />

Urt. v. 1.9.2014 – 5 U <strong>22</strong>9/13; OLG München, Urt. v. 27.6.2012 – 20 U 4726/11; LG Bielefeld, Urt. v.<br />

26.11.2013 – 1 O 307/12; und die Nachw. bei HORST DWW 1997, 361 ff; vgl. zur entschädigungslosen<br />

Duldungspflicht einer Verschattung durch Entzug von Licht und Luft: BGH, Urt. v. 27.10.2017 – VZR<br />

8/17, NZM 2018, 241).<br />

Ausnahmsweise kann sich im Falle ganz erheblicher Beeinträchtigungen – so bei kompletter<br />

Abschattung des gesamten Grundstücks während der größten Zeit des Tages – aus dem nachbarlichen<br />

Gemeinschaftsverhältnis nach Treu und Glauben ein Anspruch auf Zurückschneiden der lichtbeeinträchtigenden<br />

Bäume und Sträucher oder Hecken ergeben (OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2014 – 5 U <strong>22</strong>9/13;<br />

OLG München, Urt. v. 27.6.2012 – 20 U 4726/11; OLG Hamm, Urt. v. 28.9.1998 – 5 U 67/98, MDR 1999, 930<br />

Rn 28; AG Hamburg-Blankenese, Urt. v. 11. 10.1995 – 508 C 329/95, Hamburger Grundeigentum 1995,<br />

399; OLG Köln, Beschl. v. 7. 6. 1996 – 16 Wx 88/69 n.v.; so auch für das öffentliche Recht bei geschütztem<br />

Baum: VG München, Urt. v. 19.11.2012 – M 8 K 11.5128, IMR 2013, 161). Ebenso kann aus dem nachbarrechtlichen<br />

Gemeinschaftsverhältnis ein Anspruch darauf entstehen, dass ein Grundstücksnachbar<br />

dem anderen nicht durch Aufstellen von Windkraftanlagen die Windenergie in einer Weise nehmen<br />

darf, dass nur auf dem einen, nicht aber auf dem anderen Grundstück wirtschaftlich Windenergie<br />

genutzt werden kann (OLG Frankfurt ZMR 2000, 378).<br />

2. Blendungen<br />

a) Natureinflüsse<br />

Dasselbe gilt für Blendungen vom Nachbargrundstück, soweit sie als Reflexionen aus Naturkräften<br />

resultieren (beispielsweise die hellreflektierende Hauswand) und nicht auf eigene Handlungen des<br />

Grundstücknachbarn zurückzuführen sind, beispielsweise die gezielte Anstrahlung des Nachbargrundstücks<br />

durch Scheinwerfer (OLG Düsseldorf MDR 1991, 56 = OLGZ 1991, 106; vgl. eingehend<br />

HORST, a.a.O., 369 ff.). Dies kann abgewehrt werden.<br />

Die Abgrenzung kann fließend sein. So geht das LG Frankfurt a.M. (DWW 1998, 57 ff.) von einer eigenen<br />

Handlung des Nachbarn aus, wenn dieser ein Glasdach errichtet, das den Sonnenschein zu einem<br />

einzigen gleißend hellen konzentrierten Lichtstrahl bündelt, und dadurch Arbeitseinschränkungen im<br />

benachbarten Bürogebäude mit einhergehenden Augenschmerzen der Arbeitnehmer entstehen (vgl.<br />

eingehend HORST DWW 1997, 361, 369 f. ebenso: OLG Hamm, Urt. v. 9.7.<strong>2019</strong> – 24 U 27/18; LG Arnsberg,<br />

Urt. v. 8.1.2018 – 2 O 186/16 zum bejahten Beseitigungsanspruch bei blendenden Dachziegeln; ebenso:<br />

VG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.7.2007 – 3 S 1654/06; OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.12.2013 – 9 U 184/11,<br />

DWW 2014, 186; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.7.2017 – I-9 U 35/17, IMR 2017, 416 = NJW-Spezial 2017, 525 für<br />

eine blendende Solaranlage auf dem Dach; ebenso: OLG Stuttgart, Urt. v. 9.2.2009 – 10 U 146/08, MDR<br />

2009, 1099, und für extreme Blendungen durch Dachfenster; LG München I, Urt. v. 27.6.2018 – 41 O<br />

14.768/16: Abwehranspruch wegen Ortsüblichkeit dieser Maßnahme [Anm. d. VERF. es kommt auf die<br />

Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung an!] verneint im Falle mehrerer spiegelnder CDs, die zur Vogelabwehr<br />

auf dem Nachbargrundstück angebracht wurden).<br />

1172 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>22</strong> 20.11.<strong>2019</strong>

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