NATUR-SPAZIERGANG 06 In Schleswig-Holstein überwintern viele Singschwäne. Christopher Schmidt war begeistert.
NATUR-SPAZIERGANG Schilf rufen vereinzelt Bartmeisen, und Kleinspechte versuchen, in trockenen Schilfhalmen an die überwinternden Larven von Schilfzünslern und anderen Insekten zu kommen. Es ist ruhig an diesem Winternachmittag an den Fischteichen unweit des Selenter Sees. Einige der Teiche sind seit Anfang Oktober abgelassen, um die Fische leichter »ernten« zu können, die im Laufe des Sommers hier gewachsen sind. So sind viele Schlammflächen entstanden, die sich zu regelrechten Vogelparadiesen entwickeln: Im zeitigen Herbst sammeln sich große Kiebitzschwärme, oft vergesellschaftet mit Goldregenpfeifern und Kampfläufern. Kleine Schwärme von Alpen- und Zwergstrandläufern werden immer wieder aufgescheucht und schwirren über die Flachwasserbereiche. Im Schilf der Uferränder ducken sich versteckt Bekassinen und seltener Zwergschnepfen. Am auffälligsten sind jedoch die großen Mengen an Silberreihern, die kurz vor dem Trockenfallen der Teichflächen wie Skulpturen kunstvolle Kompositionen in die Landschaft zeichnen. Ihre durch keinen Wellenschlag verschwommenen Spiegelbilder kreieren eine unglaubliche Ruhe und Ästhetik. DER RUF DER BARTMEISEN Etwas später im Jahr wird es ruhiger auf den weiten Schlammflächen: Einige Bergpieper überwintern hier, einzelne Waldwasserläufer versuchen, den niedrigen Temperaturen zu trotzen. Gelegentlich rasten Lachmöwen und Kolkraben oder Rabenkrähen, und immer wieder lassen sich auch Seeadler nieder. Im VERSCHIEDENE GEFIEDER Am Abend kommen die Singschwäne von den umliegenden Feldern, auf denen sie genügend zu fressen finden und auf denen sie große Schwärme mit Grauund Blässgänsen bilden. Ende September tauchen die ersten dieser Vögel hier auf und beleben die Landschaft mit ihren weit hallenden Rufen, die auch nachts nicht verstummen. Alt- und Jungvögel sind anhand ihrer Gefiederfärbung gut zu unterscheiden: Während die Altvögel ein strahlend weißes Gefieder besitzen, ist das der Jungvögel rein grau und ganz anders als das eher braune Gefieder junger Höckerschwäne. Der prozentuale Anteil der Jung- zu den Altvögeln lässt Rückschlüsse zu auf die Bruterfolgsrate in den nordischen Brutgebieten. Für mich sind Singschwäne als Malobjekt interessant, weil in ihren Schwärmen Kompositionen zu entdecken sind, in denen die verschiedenen Körperhaltungen durch immer neue Muster Spannung erzeugen. Aber am interessantesten sind sie dann, wenn zu diesen Kompositionen aus Licht und Schatten auf dem Weiß des Gefieders Farbe wird: Der Bauch fängt die Farbe des Untergrundes auf, auf dem die Vögel sitzen, das Abend- oder Morgenlicht zeichnet den Vogel dreidimensional, indem die Farben des Himmels auf dem Körper eines jeden Individuums aufgefangen werden. Kein Vogel ist weiß, auch wenn es so scheint. Auch der weißeste Vogel zeigt in den zartesten Nuancen, wie die Farben der Umgebung sind. IDEALE KOMPOSITION Eine Gruppe von Singschwänen entfernt sich langsam schwimmend von mir. Ihre Ruhe, ihre synchronisierten Bewegungen, ihr vorsichtiger, kontakthaltender Blick zurück, ihre ähnlichen Körperhaltungen, die individuelle Distanz zueinander, das Abendlicht auf ihren Körpern symbolisieren Nähe, Vorsicht und Schönheit zur gleichen Zeit – in fast vollendeter Komposition! Alle Rechte an Text und Bildern bei Christopher Schmidt. 07