ZAP-2019-21

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Fach 9 R, Seite 536 Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. 2019 Straßenverkehrsrecht III. Ordnungswidrigkeitenrecht 1. Trunkenheits- und Drogenfahrten (§ 24a StVG) Auch bei Nichterreichen des sog. Nachweisgrenzwerts bleibt eine Ahndung wegen einer tatbestandsmäßigen Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG möglich, sofern weitere Umstände, insbesondere drogenbedingte Verhaltensauffälligkeiten oder rauschmitteltypische Ausfallerscheinungen festgestellt werden, die es als möglich erscheinen lassen, dass der Betroffene am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit durch die Wirkung des berauschenden Mittels eingeschränkt war (OLG Bamberg DAR 2019, 157 m. Anm. FUNKE = VRR 6/2019, 20 [DEUTSCHER]). Die bußgeldrechtliche Ahndung einer Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 oder Abs. 3 StVG scheidet gem. § 24a Abs. 2 S. 3 StVG (sog. Medikamenten-Klausel) aus, wenn die im Blut des Betroffenen nachgewiesene Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt, d.h. der Einfluss der Substanz allein auf der Einnahme der sich aus der ärztlichen Verordnung vorgegebenen Dosierung und auch nicht auf einer sonstigen missbräuchlichen Verwendung beruht. Bringt der Betroffene dies vor, hat sich das Tatgericht hiermit näher zu befassen, sofern es nicht von einer reinen Schutzbehauptung ausgeht. Die tatrichterliche Beweiswürdigung erweist sich deshalb als lückenhaft, wenn sich aus dem Urteil nicht ergibt, warum der Einwand als unbeachtlich angesehen worden ist (OLG Bamberg DAR 2019, 390 = NStZ 2019, 528 = VRR 4/2019, 21/StRR 4/2019, 18 [jew. BURHOFF] = NZV 2019, 372 [RINIO]). 2. Das bußgeldrechtliche Fahrverbot (§§ 25 StVG, 4 BKatV) Hinweis: Zu Rechtsgrundlagen und Systematik des bußgeldrechtlichen Fahrverbots wird verwiesen auf DEUTSCHER, in: BURHOFF, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn 1355 ff., 1586 ff. a) Der Tatbestand des Fahrverbots Ein qualifizierter Rotlichtverstoß indiziert grundsätzlich auch dann ein Regelfahrverbot, wenn dieser aufgrund irrtümlicher Zuordnung des für eine andere Fahrbahn erfolgten Grünlichts durch einen sog. Frühstarter begangen wird (OLG Karlsruhe DAR 2019, 215 = VRR 5/2019, 20 [DEUTSCHER] unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung). Ein sog. Mitzieheffekt soll den Fahrlässigkeitsvorwurf beim Rotlichtverstoß laut KG (NStZ 2019, 291 = DAR 2019, 394) allenfalls dann verringern, wenn der Betroffene zunächst rechtstreu an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber, z.B. veranlasst durch das Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer, unter Nichtbeachtung des Rotlichts losfährt („Sog-Wirkung“; zu einem „Umfahrungsfall“ OLG Bamberg VRR 4/2019, 21 [DEUTSCHER]). Macht der Betroffene anlässlich eines ihm vorgeworfenen und mit einem Regelfahrverbot geahndeten Abstandsverstoßes geltend, auf die Funktion eines in seinem Fahrzeug als Bestandteil eines Fahrerassistenz-Pakets verbauten sog. Abstandspiloten vertraut zu haben, ist dies mit der ordnungsgemäßen Erfüllung der Pflichten eines Fahrzeugführers unvereinbar; erst recht scheidet die Anerkennung eines privilegierenden sog. Augenblicksversagens aus (OLG Bamberg zfs 2019, 294). b) Die Angemessenheit des Fahrverbots Bei abhängig Beschäftigten ist die Anordnung eines Fahrverbots unangemessen, wenn dies zum Verlust des Arbeitsplatzes führen würde und die drohende Existenzgefährdung nicht durch anderweitige, zumutbare Maßnahmen abgewendet werden kann, etwa durch Verbüßung während des Urlaubs unter Berücksichtigung des bis zu viermonatigen Vollstreckungsaufschubs nach § 25 Abs. 2a StVG. Die Androhung einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung durch den Arbeitgeber rechtfertigt kein Absehen vom Fahrverbot (so KG DAR 2019, 391 m. Anm. KRENBERGER). Berufliche Schwierigkeiten durch ein Fahrverbot im Rahmen eines Nebenjobs, durch den ein stellvertretender Filialleiter eines Getränkemarkts monatlich 300 bis 400 € verdient, sind nicht ausreichend, um von einem Regelfahrverbot absehen zu können (AG Dortmund BA 56, 208 = NZV 2019, 316 [DEUTSCHER]). Bei drei 1124 ZAP Nr. 21 7.11.2019

Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 537 Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. 2019 gewichtigen Verkehrsverstößen innerhalb von wenig mehr als einem halben Jahr, von denen einer bereits mit einem Fahrverbot geahndet wurde, ist die Anordnung eines Fahrverbots auch bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz geboten (OLG Karlsruhe NStZ 2019, 530 = NZV 2019, 486 [KRENBERGER]). 3. Geschwindigkeitsverstöße (§ 3 StVO) a) Messverfahren Auch im Berichtszeitraum waren die Grundsätze zum standardisierten Messverfahren und deren Auswirkungen auf das Bußgeldverfahren von herausragender Bedeutung. Dabei handelt es sich um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321, 322). Insofern gilt ein Regel- Ausnahme-Verhältnis: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht (Regelfall; zum Toleranzabzug OLG Hamburg NZV 2019, 255 m. Anm. FROMM). Anderes gilt nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es regelmäßig konkreter, einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf. Im Grundsatz genügt im Urteil die Angabe des verwendeten standardisierten Messverfahrens und des abgezogenen Toleranzwerts. Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) soll die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommen. Bei einem widerstreitenden Sachverständigengutachten kann das Tatgericht eine für das Rechtsbeschwerdegericht prüfungsfähige eigene Bewertung vornehmen, oder was im Hinblick auf die Materie naheliegend ist, das strukturelle Problem der PTB als Zulassungs- und Aufsichtsbehörde des Bundes zur ergänzenden Begutachtung vorlegen. Ist das Tatgericht nicht zur Bildung einer eigenen Überzeugung in der Lage, hat es vor einem Freispruch des Betroffenen alle diesbezüglichen Möglichkeiten auszuschöpfen, etwa eine ergänzenden schriftliche Stellungnahme der PTB einzuholen (OLG Köln DAR 2019, 399; zur Nachprüfbarkeit eines geeichten Messwerts näher MÄRTENS/WYNANDS NZV 2019, 338). Erfolgt die Konformitätserklärung eines Messgeräts nach § 11 MessEV zeitlich vor der durchzuführenden Konformitätsbewertung, soll dies keine Auswirkungen auf die Annahme eines standardisierten Messverfahrens haben (so OLG Celle zfs 2019, 509 = NZV 2019 [abl. DEUTSCHER]). Nach seiner hier berichteten Entscheidung aus dem Jahr 2018 zu den Grundsätzen des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens bezüglich der Einsicht in Messdaten (hierzu unten c) hat sich der VerfGH Saarland erneut aufsehenerregend geäußert (NJW 2019, 2456 m. krit. Anm. KRUMM = NZV 2019, 414 m. krit. Anm. KRENBERGER = DAR 2019, 500 m. Anm. GRATZ = StRR 8/2019, 28 = VRR 8/2019, 11 [jew. DEUTSCHER]; Besprechung von PEUKER NZV 2019, 443). Hiernach besteht ein verfassungsrechtliches Beweisverwertungsverbot für das Ergebnis solcher Geschwindigkeitsmessungen, bei welchen das eingesetzte Messgerät – hier: Laser-Messgerät Traffistar S 350 – die erhobenen Rohmessdaten nicht speichert, sodass diese der Verteidigung nicht zur Überprüfung der Richtigkeit der Messung zur Verfügung gestellt werden können. Denn in einem solchen Fall liegt eine verfassungswidrige Beschränkung des Grundrechts auf Verteidigung vor. Es bleibt abzuwarten, wie die OLG in den anderen Bundesländern mit dieser Entscheidung umgehen werden (näher DEUTSCHER a.a.O.). Die Zuverlässigkeit des Messgeräts ES 3.0 wird nach OLG Koblenz (zfs 2019, 293) nicht dadurch infrage gestellt, dass es möglich ist, durch Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug bewegenden Lichtflecks eine Messung auszulösen (zu diesem Messgerät auch BLADT DAR 2019, 290). Erfolgt die Messung mittels des ProVida-Systems durch Nachfahren mit einem Motorrad, so liegt nur dann eine Messung im standardisierten Verfahren vor, wenn sie im Geradeausfahren in aufrechter Haltung erfolgt (OLG Hamburg NZV 2019, 255 m. Anm. FROMM). Die Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren und mittels des GPS-Signals einer im Polizeifahrzeug installierten Dash-Cam ist nicht standardisiert (OLG Köln NZV 2019, 266 [KRENBERGER]). ZAP Nr. 21 7.11.2019 1125

Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 537<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

gewichtigen Verkehrsverstößen innerhalb von wenig mehr als einem halben Jahr, von denen einer<br />

bereits mit einem Fahrverbot geahndet wurde, ist die Anordnung eines Fahrverbots auch bei<br />

Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz geboten (OLG Karlsruhe NStZ <strong>2019</strong>, 530 = NZV <strong>2019</strong>, 486<br />

[KRENBERGER]).<br />

3. Geschwindigkeitsverstöße (§ 3 StVO)<br />

a) Messverfahren<br />

Auch im Berichtszeitraum waren die Grundsätze zum standardisierten Messverfahren und deren<br />

Auswirkungen auf das Bußgeldverfahren von herausragender Bedeutung. Dabei handelt es sich um ein<br />

durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit<br />

und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten<br />

sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 3<strong>21</strong>, 322). Insofern gilt ein Regel-<br />

Ausnahme-Verhältnis: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der<br />

Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht<br />

(Regelfall; zum Toleranzabzug OLG Hamburg NZV <strong>2019</strong>, 255 m. Anm. FROMM). Anderes gilt nur bei<br />

Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es regelmäßig konkreter,<br />

einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf. Im Grundsatz genügt im Urteil<br />

die Angabe des verwendeten standardisierten Messverfahrens und des abgezogenen Toleranzwerts.<br />

Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) soll die Funktion eines<br />

antizipierten Sachverständigengutachtens zukommen. Bei einem widerstreitenden Sachverständigengutachten<br />

kann das Tatgericht eine für das Rechtsbeschwerdegericht prüfungsfähige eigene Bewertung<br />

vornehmen, oder was im Hinblick auf die Materie naheliegend ist, das strukturelle Problem der PTB als<br />

Zulassungs- und Aufsichtsbehörde des Bundes zur ergänzenden Begutachtung vorlegen. Ist das<br />

Tatgericht nicht zur Bildung einer eigenen Überzeugung in der Lage, hat es vor einem Freispruch des<br />

Betroffenen alle diesbezüglichen Möglichkeiten auszuschöpfen, etwa eine ergänzenden schriftliche<br />

Stellungnahme der PTB einzuholen (OLG Köln DAR <strong>2019</strong>, 399; zur Nachprüfbarkeit eines geeichten<br />

Messwerts näher MÄRTENS/WYNANDS NZV <strong>2019</strong>, 338). Erfolgt die Konformitätserklärung eines Messgeräts<br />

nach § 11 MessEV zeitlich vor der durchzuführenden Konformitätsbewertung, soll dies keine<br />

Auswirkungen auf die Annahme eines standardisierten Messverfahrens haben (so OLG Celle zfs <strong>2019</strong>,<br />

509 = NZV <strong>2019</strong> [abl. DEUTSCHER]).<br />

Nach seiner hier berichteten Entscheidung aus dem Jahr 2018 zu den Grundsätzen des rechtlichen<br />

Gehörs und des fairen Verfahrens bezüglich der Einsicht in Messdaten (hierzu unten c) hat sich der<br />

VerfGH Saarland erneut aufsehenerregend geäußert (NJW <strong>2019</strong>, 2456 m. krit. Anm. KRUMM = NZV <strong>2019</strong>,<br />

414 m. krit. Anm. KRENBERGER = DAR <strong>2019</strong>, 500 m. Anm. GRATZ = StRR 8/<strong>2019</strong>, 28 = VRR 8/<strong>2019</strong>, 11 [jew.<br />

DEUTSCHER]; Besprechung von PEUKER NZV <strong>2019</strong>, 443). Hiernach besteht ein verfassungsrechtliches<br />

Beweisverwertungsverbot für das Ergebnis solcher Geschwindigkeitsmessungen, bei welchen das<br />

eingesetzte Messgerät – hier: Laser-Messgerät Traffistar S 350 – die erhobenen Rohmessdaten nicht<br />

speichert, sodass diese der Verteidigung nicht zur Überprüfung der Richtigkeit der Messung zur<br />

Verfügung gestellt werden können. Denn in einem solchen Fall liegt eine verfassungswidrige Beschränkung<br />

des Grundrechts auf Verteidigung vor. Es bleibt abzuwarten, wie die OLG in den anderen<br />

Bundesländern mit dieser Entscheidung umgehen werden (näher DEUTSCHER a.a.O.). Die Zuverlässigkeit<br />

des Messgeräts ES 3.0 wird nach OLG Koblenz (zfs <strong>2019</strong>, 293) nicht dadurch infrage gestellt, dass es<br />

möglich ist, durch Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug<br />

bewegenden Lichtflecks eine Messung auszulösen (zu diesem Messgerät auch BLADT DAR <strong>2019</strong>, 290).<br />

Erfolgt die Messung mittels des ProVida-Systems durch Nachfahren mit einem Motorrad, so liegt<br />

nur dann eine Messung im standardisierten Verfahren vor, wenn sie im Geradeausfahren in aufrechter<br />

Haltung erfolgt (OLG Hamburg NZV <strong>2019</strong>, 255 m. Anm. FROMM). Die Geschwindigkeitsermittlung durch<br />

Nachfahren und mittels des GPS-Signals einer im Polizeifahrzeug installierten Dash-Cam ist nicht<br />

standardisiert (OLG Köln NZV <strong>2019</strong>, 266 [KRENBERGER]).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1125

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