ZAP-2019-21

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Fach 9 R, Seite 532 Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. 2019 Straßenverkehrsrecht c) Mietwagenkosten Ein Unfallgeschädigter kann aufgrund der ihn gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB treffenden Schadensminderungspflicht auch dann gehalten sein, ein ihm vom Kfz-Haftpflichtversicherer vermitteltes günstigeres Mietwagenangebot in Anspruch zu nehmen, wenn dem günstigeren Angebot ein Sondertarif zugrunde liegt, der ihm ohne Mithilfe des Versicherers außerhalb eines Unfallersatzgeschäfts nicht zur Verfügung stünde (BGH NJW 2019, 2538 = DAR 2019, 257 m. Anm. REITENSPIESS = zfs 2019, 320 m. Anm. SCHLEGELMILCH; näher SCHWARTZ zfs 2019, 364). d) Verdienstausfall Beim Ersatz von Verdienstausfallschaden sind im Wege der Vorteilsausgleichung ersparte berufsbedingte Aufwendungen anzurechnen, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit dem erlittenen und vom Schädiger zu tragenden Erwerbsschaden stehen. In Ermangelung anderer Angaben ist eine Pauschalierung der berufsbedingten Aufwendungen i.H.v. 10 % des Nettoeinkommens vorzunehmen, wenn keine besonderen, vom Geschädigten vorzutragenden und ggf. zu beweisenden Umstände vorliegen, aus denen sich niedrigere Aufwendungen ergeben (OLG München NJW-RR 2019, 1046). e) Sachverständigenkosten Erweist sich ein Kfz-Sachverständigengutachten nachträglich als ungeeignet, beeinträchtigt dies den Erstattungsanspruch des Geschädigten nur, wenn er die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten hat. Dies ist der Fall, wenn der Geschädigte gegenüber dem von ihm beauftragten Privatsachverständigen erhebliche Vorschäden verschweigt und dieser deshalb zu einem fehlerhaften Ergebnis gelangt (OLG Düsseldorf NZV 2019, 207 [CHRISTENSEN]; auch OLG Saarbrücken VRS 135, 120 = VRR 7/2019, 9[BENDIG]). 4. Personenschäden (§ 843 BGB) a) Ermittlung des Haushaltsführungsschadens (auch zum Schmerzensgeld) Wie hier berichtet hat sich das OLG Frankfurt grundlegend zur tagesgenauen Bemessung des Schmerzensgeldes und Ermittlung des Haushaltsführungsschadens geäußert (NJW 2019, 442 = NZV 2019, 351 m. Anm. SLIZYK = DAR 2019, 37 m. Anm. WARMBACH sowie ENGELBRECHT = zfs 2019, 83 m. Anm. ZARGES = VRR 2/2019, 7 [SCHULZ-MERKEL]; allg. SEDI zfs 2019, 424). Dem hat sich nunmehr das OLG Düsseldorf entgegengestellt (NJW 2019, 2700 m. Anm. KORCH = DAR 2019, 450 m. Anm. LUCKEY = zfs 2019, 378 m. Anm. DIEHL; zum Verhältnis von Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB von nahen Angehörigen LG Tübingen DAR 2019, 468 m. Anm. JANECZYK; zu„Kapital oder Rente – Erfordernis eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs“ s. HUBER NZV 2019, 321; zur Abfindung von Personenschäden STRUNK DAR 2019, 313). Voraussetzung für den Ersatz des Haushaltsführungsschadens ist, dass eine vertragliche oder gesetzliche Pflicht zur Haushaltsführung besteht. Die sittliche Verpflichtung gegenüber einem hochbetagten Elternteil reicht hierzu nicht aus. Diese Verpflichtung kann aber im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt werden (OLG Schleswig NJW 2019, 1889 = zfs 2019, 438). b) Vermehrte Bedürfnisse (§ 843 BGB) Zu den vermehrten Bedürfnissen i.S.d. § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB gehören sowohl die Kosten für die Beschäftigung einer Pflegeperson als auch der Betreuungsaufwand naher Angehöriger, der über die üblicherweise im Krankheitsfall zu erwartende persönliche Zuwendung innerhalb der Familie hinausgeht. Die dem Geschädigten gegenüber unentgeltlich erbrachte Pflegetätigkeit durch nahe Angehörige ist im Rahmen des Erforderlichen gem. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB unabhängig davon angemessen abzugelten, ob diese einen Verdienstausfall erlitten haben. Die Höhe des zu ersetzenden Schadens richtet sich dabei grundsätzlich nach dem Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Pflegekraft und regelmäßig nicht nach dem entgangenen Verdienst des Angehörigen (BGH MDR 2019, 1083 im Anschluss an NJW 2019, 362). 1120 ZAP Nr. 21 7.11.2019

Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 533 Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. 2019 c) Beweismaß für Folgeschäden Das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO findet Anwendung, soweit es um die Frage geht, ob eine haftungsbegründende Primärverletzung weitere vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigungen zur Folge hatte (haftungsausfüllende Kausalität). Werden unabhängig davon aus der zugrunde liegenden Verletzungshandlung weitere unfallursächliche Primärverletzungen geltend gemacht, unterfallen diese dem Beweismaß des § 286 ZPO (haftungsbegründende Kausalität, BGH NJW 2019, 2092 m. Anm. ULLENBOOM = DAR 2019, 507 in Abgrenzung zu BGH NJW-RR 2009, 409 = zfs 2009, 206 m. Anm. DIEHL; zur „Begehrensneurose“ OLG München NJW-RR 2019, 660 = zfs 2019, 257 m. Anm. DIEHL). Hinweis: Zum Personenschaden im Wandel von Rechtsprechung und Gesetzgebung eingehend MÜLLER zfs 2019, 247, 304. 5. „E-Scooter“ (§§ 1, 9, 10 eKFV) Durch die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) vom 6.6.2019 (BGBl I, 756; eingehend HUPPERTZ NZV 2019, 387 und noch zum Referentenentwurf TERNIG DAR 2019, 284) ist mit Wirkung zum 15.6.2019 die Zulässigkeit der Benutzung dieser Fahrzeuge geregelt worden. Hierunter fallen nach der Legaldefinition in § 1 eKFV sog. E-Scooter (E-Tretroller). Deren Führen im Straßenverkehr unterliegt nach § 9 eKFV den Vorschriften der StVO nach Maßgabe der §§ 10 – 13 eKFV (zur Haftung TOMSON/WIELAND NZV 2019, 446). Die für diese Fahrzeuge zulässigen Verkehrsflächen sind nach § 10 eKFV die für den Radverkehr bestimmten Bereiche, also gemeinsame Rad- und Gehwege. Zudem wurde der BKat in Nr. 184 sowie 234 ff. um Verstöße gegen die eKFV ergänzt. Angesichts des nicht unerheblichen Gefahrenpotenzials beim Zusammentreffen mit anderen Verkehrsteilnehmern ist alsbald mit Entscheidungen zu Haftungsfragen aus diesem Bereich zu rechnen. Hinweise: Die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Haftpflichtrecht im Straßenverkehr wird dargestellt von OFFENLOCH DAR 2019, 301, die Rechtsprechung zum Versicherungsvertragsrecht von HALM/FITZ DAR 2019, 421, die Rechtsprechung des BGH zum Verkehrszivilrecht im Jahr 2018 von NUGEL VRR 9/2019, 4, zum Betrug in der Kfz-Haftpflichtversicherung von STAAB DAR 2019, 434 und zum Umsatzsteuerersatz nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB von FREYMANN DAR 2019, 429. Die Vorfahrt „rechts vor links“ auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen wird erörtert von SIEGEL NJW 2019, 2502. Das Abschleppen und die Kostentragung bei Fehlbelegung von Sonderparkplätzen mit Auflademöglichkeit für E-Autos behandelt MASLATON DAR 2019, 187. II. Strafrecht 1. Trunkenheit im Verkehr, Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 315c, 316 StGB) Hat der alkoholisierte Angeklagte lediglich schlafend in seinem Fahrzeug gesessen, so hat er das Fahrzeug nicht geführt; dies gilt auch dann, wenn der Motor in Betrieb war (BGH DAR 2019, 386 m. Anm. BELLARDITA im Anschluss an OLG Düsseldorf NZV 1992, 197). Die zur Annahme einer relativen Fahrunsicherheit zusätzlich erforderlichen Umstände bei einer Alkoholisierung von unter 1,1 Promille können nicht allein aus einer Flucht vor der Polizei gezogen werden. Bei einer solchen Flucht kann ein natürlicher Fluchtwille nachvollziehbar sein (AG Tiergarten BA 56, 55 = NZV 2019, 213 [SCHULZ-MERKEL]). Frühere Verurteilungen können die Annahme vorsätzlichen Handelns bei einer Trunkenheitsfahrt nur dann rechtfertigen, wenn die damaligen Sachverhalte mit dem aktuellen vergleichbar sind (OLG Karlsruhe BA 56,199 = StRR 7/2019, 20 [HILLENBRAND]). ZAP Nr. 21 7.11.2019 1121

Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 533<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

c) Beweismaß für Folgeschäden<br />

Das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO findet Anwendung, soweit es um die Frage geht, ob eine<br />

haftungsbegründende Primärverletzung weitere vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />

zur Folge hatte (haftungsausfüllende Kausalität). Werden unabhängig davon aus<br />

der zugrunde liegenden Verletzungshandlung weitere unfallursächliche Primärverletzungen geltend<br />

gemacht, unterfallen diese dem Beweismaß des § 286 ZPO (haftungsbegründende Kausalität, BGH<br />

NJW <strong>2019</strong>, 2092 m. Anm. ULLENBOOM = DAR <strong>2019</strong>, 507 in Abgrenzung zu BGH NJW-RR 2009, 409 =<br />

zfs 2009, 206 m. Anm. DIEHL; zur „Begehrensneurose“ OLG München NJW-RR <strong>2019</strong>, 660 = zfs <strong>2019</strong>, 257<br />

m. Anm. DIEHL).<br />

Hinweis:<br />

Zum Personenschaden im Wandel von Rechtsprechung und Gesetzgebung eingehend MÜLLER zfs <strong>2019</strong>,<br />

247, 304.<br />

5. „E-Scooter“ (§§ 1, 9, 10 eKFV)<br />

Durch die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) vom 6.6.<strong>2019</strong> (BGBl I, 756; eingehend HUPPERTZ<br />

NZV <strong>2019</strong>, 387 und noch zum Referentenentwurf TERNIG DAR <strong>2019</strong>, 284) ist mit Wirkung zum 15.6.<strong>2019</strong><br />

die Zulässigkeit der Benutzung dieser Fahrzeuge geregelt worden. Hierunter fallen nach der Legaldefinition<br />

in § 1 eKFV sog. E-Scooter (E-Tretroller). Deren Führen im Straßenverkehr unterliegt nach § 9<br />

eKFV den Vorschriften der StVO nach Maßgabe der §§ 10 – 13 eKFV (zur Haftung TOMSON/WIELAND NZV<br />

<strong>2019</strong>, 446). Die für diese Fahrzeuge zulässigen Verkehrsflächen sind nach § 10 eKFV die für den Radverkehr<br />

bestimmten Bereiche, also gemeinsame Rad- und Gehwege. Zudem wurde der BKat in Nr. 184<br />

sowie 234 ff. um Verstöße gegen die eKFV ergänzt. Angesichts des nicht unerheblichen Gefahrenpotenzials<br />

beim Zusammentreffen mit anderen Verkehrsteilnehmern ist alsbald mit Entscheidungen zu<br />

Haftungsfragen aus diesem Bereich zu rechnen.<br />

Hinweise:<br />

Die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Haftpflichtrecht im Straßenverkehr wird dargestellt von<br />

OFFENLOCH DAR <strong>2019</strong>, 301, die Rechtsprechung zum Versicherungsvertragsrecht von HALM/FITZ DAR <strong>2019</strong>,<br />

4<strong>21</strong>, die Rechtsprechung des BGH zum Verkehrszivilrecht im Jahr 2018 von NUGEL VRR 9/<strong>2019</strong>, 4, zum<br />

Betrug in der Kfz-Haftpflichtversicherung von STAAB DAR <strong>2019</strong>, 434 und zum Umsatzsteuerersatz nach<br />

§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB von FREYMANN DAR <strong>2019</strong>, 429. Die Vorfahrt „rechts vor links“ auf öffentlich zugänglichen<br />

Parkplätzen wird erörtert von SIEGEL NJW <strong>2019</strong>, 2502. Das Abschleppen und die Kostentragung<br />

bei Fehlbelegung von Sonderparkplätzen mit Auflademöglichkeit für E-Autos behandelt MASLATON DAR<br />

<strong>2019</strong>, 187.<br />

II.<br />

Strafrecht<br />

1. Trunkenheit im Verkehr, Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 315c, 316 StGB)<br />

Hat der alkoholisierte Angeklagte lediglich schlafend in seinem Fahrzeug gesessen, so hat er das<br />

Fahrzeug nicht geführt; dies gilt auch dann, wenn der Motor in Betrieb war (BGH DAR <strong>2019</strong>, 386<br />

m. Anm. BELLARDITA im Anschluss an OLG Düsseldorf NZV 1992, 197). Die zur Annahme einer relativen<br />

Fahrunsicherheit zusätzlich erforderlichen Umstände bei einer Alkoholisierung von unter 1,1 Promille<br />

können nicht allein aus einer Flucht vor der Polizei gezogen werden. Bei einer solchen Flucht kann ein<br />

natürlicher Fluchtwille nachvollziehbar sein (AG Tiergarten BA 56, 55 = NZV <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>3 [SCHULZ-MERKEL]).<br />

Frühere Verurteilungen können die Annahme vorsätzlichen Handelns bei einer Trunkenheitsfahrt nur<br />

dann rechtfertigen, wenn die damaligen Sachverhalte mit dem aktuellen vergleichbar sind (OLG<br />

Karlsruhe BA 56,199 = StRR 7/<strong>2019</strong>, 20 [HILLENBRAND]).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 11<strong>21</strong>

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