29.10.2019 Aufrufe

Berliner Zeitung 28.10.2019

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Wieder Ruhestand perfekt wird. Neue Serie – Berlin Seite 12<br />

Berlin und<br />

die koloniale<br />

Verantwortung<br />

Seite 10<br />

5°/12°<br />

Es wird kühler<br />

Wetter Seite 28<br />

www.berliner-zeitung.de<br />

Montag,28. Oktober 2019 Nr.250 HA -75. Jahrgang<br />

Auswärts/D**: 1.70 €–Berlin/Brandenburg: 1.60 €<br />

Debatte: Sind<br />

wir ein Land?<br />

Meinung Seite 8<br />

Landtagswahl in Thüringen ARD-Hochrechnung 23.02 Uhr<br />

33,5 %<br />

31,0 % 28,2 %<br />

21,8 % 23,4 %<br />

12,4 %<br />

8,2 %<br />

10,6 %<br />

5,2 % 5,7 %<br />

5,0 % 2,5 %<br />

5,4 % 7,3 %<br />

2019 2014 2019 2014 2019 2014 2019 2014 2019 2014 2019 2014 2019 2014<br />

SPD CDU GRÜNE LINKE FDP AFD SONSTIGE<br />

Sigmar Gabriel<br />

als Autolobbyist?<br />

Politik Seite 4<br />

Bayern München<br />

Ein Torgegen<br />

Union für die<br />

Ewigkeit<br />

VonMaik Rosner<br />

Nach dem 2:1 gegen Union Berlin<br />

hielt Robert Lewandowski eine<br />

Trophäe in den Händen. Mit seiner<br />

gerade aufgestellten und gefühlt 82.<br />

Bestmarke hatte diese aber nichts zu<br />

tun. Erhalten hatte Lewandowski die<br />

Auszeichnung ja nicht für seine Rekordserie,<br />

inallen ersten neun Ligaspielen<br />

dieser Saison getroffen zu<br />

haben. Wofür er die Ehrung bekommen<br />

hatte,wusste<br />

er aber auch<br />

nicht so genau.<br />

Als „bester Spieler“<br />

sei er gewürdigt<br />

worden, erklärte<br />

der Pole.<br />

Nachfrage: Des<br />

Spiels? „Nee“,<br />

RobertLewandowski,<br />

Bayernseinziger dowski, „für die<br />

sagte Lewan-<br />

Stürmer ganze Saison.“<br />

Dabei lächelte er<br />

schelmisch und räumte ein: „Ich<br />

muss nachfragen.“<br />

Fest steht jedenfalls, dass Lewandowski<br />

durch sein 2:0 gegen Union<br />

auf 13 Ligatore nach neun Spielen<br />

kommt und auf insgesamt 19 in den<br />

14 Pflichtspielen dieser Spielzeit, nur<br />

im Supercup ging er leer aus. Auch<br />

deshalb darf sich Lewandowski bisher<br />

guten Gewissens als Spieler der<br />

Saison betrachten. Fast die Hälfte aller<br />

40 Bayern-Tore inallen Wettbewerben<br />

gehen auf sein Konto, und<br />

wie stark das fragile Gebilde des<br />

Meisters gerade von ihm abhängt,<br />

erzählt auch der Blick auf den anderen<br />

Torschützen gegen Berlin. Abwehrmann<br />

Benjamin Pavard hatte<br />

die Führung erzielt, es war sein zweites<br />

Ligator in dieser Saison, womit<br />

der Franzose in der internen Torschützenliste<br />

auf Rang zwei steht.<br />

Woraus sich auch ableiten lässt:<br />

Ohne Lewandowskis Tore stünde die<br />

Mannschaft von Trainer Niko Kovac<br />

in der unteren Tabellenhälfte der<br />

Bundesliga.<br />

Es ist nicht neu, dass Lewandowski<br />

zu den besten Stürmern der Welt<br />

zählt. Neuaber ist, dass er die Bayern<br />

derzeit so sehr trägt wie nie zuvor,<br />

seitdem er 2014 ablösefrei aus Dortmund<br />

nach München übergelaufen<br />

war. Immer wieder hatte er seither<br />

mit einem Wechsel zum spanischen<br />

Rekordmeister Real Madrid geliebäugelt,<br />

zustande kam dieser aber nie.<br />

Und nachdem der 31 Jahre alte Angreifer<br />

zuletzt seinen Vertrag vorzeitig<br />

um zwei Jahre bis 2023 ausgedehnt<br />

hat, scheint er sich erstmals<br />

uneingeschränkt mit seinem Arbeitgeber<br />

zu identifizieren. Vermutlich<br />

trägt das dazu bei, dass er trifft und<br />

trifft und trifft.<br />

Ungefähr aus jener Zeit, als VW<br />

den Käfer damit bewarb, dass dieser<br />

„läuft und läuft und läuft“, stammt<br />

auch ein Fabelrekord der Bundesliga,<br />

der nun in Gefahr geraten<br />

könnte. In der Saison 1971/72<br />

brachte es der damalige Bayern-<br />

Stürmer Gerd Müller auf 40 Ligatore.<br />

Hält Lewandowskis Lauf an, käme er<br />

hochgerechnet auf 49. Dann wäreer<br />

wirklich zweifelsfrei der Spieler der<br />

Saison. Mindestens. SportSeite 20<br />

Sieger ohne Mehrheit<br />

Ministerpräsident Bodo Ramelow hat die Landtagswahl in Thüringen gewonnen,<br />

aber Rot-Rot-Grün hat die Mehrheit verloren. AfD verdoppelt ihren Stimmenanteil<br />

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) muss sich eine neue Regierungsmehrheit suchen.<br />

VonSteven Geyer<br />

Bei der Landtagswahl in<br />

Thüringen hat es die Linkspartei<br />

unter dem bisherigen<br />

Ministerpräsidenten<br />

Bodo Ramelow geschafft, erstmals<br />

stärkste Kraft in einem Bundesland<br />

zu werden. Allerdings fehlt dem Parteichef<br />

im neuen Landtag die Mehrheit,<br />

um sein rot-rot-grünes Regierungsbündnis<br />

fortzusetzen. Als<br />

zweite Kraft überholte die AfD knapp<br />

die CDU. Ramelow sprach trotz des<br />

Mehrheitsverlustes von einem klaren<br />

Auftrag zur Regierungsbildung:<br />

„Ich sehe mich ganz klar bestätigt.<br />

Bei dem Zustimmungswert, den<br />

meine Partei bekommen hat, ist der<br />

Regierungsauftrag klar bei meiner<br />

Partei. Undich werdediesen Auftrag<br />

auch annehmen“, sagte er am Sonntagabend<br />

in Erfurt.<br />

Während die Linke ihr Ergebnis<br />

von der Landtagswahl vor fünf Jahren<br />

leicht verbesserte, verlor die<br />

CDU mehr als zehn Prozentpunkte<br />

und landete hinter der AfD auf Platz<br />

drei. Im Jahr 2014 war die CDU noch<br />

klar stärkste Kraft vor der Linken,<br />

hatte aber nicht ausreichend Koalitionspartner<br />

gefunden, sodass es für<br />

eine rot-rot-grüne Landesregierung<br />

unter Ramelowgereicht hatte.<br />

Das sieht nach diesem Sonntag<br />

anders aus. Nun liegt zwar der Auftrag<br />

zur Regierungsbildung zuerst<br />

bei Ramelow, dafür scheitert Rot-<br />

Rot-Grün an den schwachen Ergebnissen<br />

der Koalitionspartner SPD<br />

und Grüne: Die SPD verlor gegenüber<br />

2014 erneut, erreichte in Thüringen<br />

nur noch ein einstelliges Ergebnis<br />

und schnitt damit noch<br />

schwächer ab als in den Umfragen<br />

auf Bundesebene. Die kommissarische<br />

SPD-Chefin Malu Dreyer erklärte<br />

das mit der „starken Polarisierung<br />

zwischen Ministerpräsident<br />

und AfD“:VieleWähler hätten Ramelow<br />

gewählt, um die AfD als stärkste<br />

Kraft zu verhindern, so Dreyer.<br />

Die Grünen mussten sogar bangen,<br />

ob sie den Sprung in den Landtag<br />

schaffen. Unter ihrer Spitzenkandidatin,<br />

der bisherigen Umweltministerin<br />

Anja Siegesmund, sind die<br />

Grünen in Thüringen weit von ihren<br />

Sitzverteilung 2019 in Klammern 2014<br />

Grüne<br />

5 (6)<br />

SPD<br />

8 (12)<br />

Linke<br />

29 (28)<br />

bundesweiten Wahl- und Umfrage-<br />

Ergebnissen entfernt und konnten<br />

sich gegenüber der Landtagswahl<br />

von2014 de facto nicht verbessern–<br />

trotz der großen Aufmerksamkeit,<br />

die sie im Bund für sich und ihre<br />

Themen genießen. Auch der Co-<br />

Bundesvorsitzende Robert Habeck<br />

schrieb das am Sonntag dem polarisierten,„geradezu<br />

unversöhnlichen“<br />

Wahlkampf zu.<br />

Allerdings ist auch ein Kenia-<br />

Bündnis aus CDU, SPD und Grünen –<br />

wie es in Sachsen künftig regieren soll<br />

–weit von einer Regierungsmehrheit<br />

entfernt. Selbst mit der FDP würde es<br />

dann nicht reichen. Bei Redaktionsschluss<br />

dieser Ausgabe hatte sie den<br />

Einzug knapp geschafft. Die CDU<br />

hatte sich unter ihrem Landeschef<br />

90 (91)<br />

Sitze<br />

CDU<br />

21 (34)<br />

AfD<br />

22 (7)<br />

FDP<br />

5 (–)<br />

BLZ/HECHER; QUELLE: INFRATEST DIMAP<br />

Mike Mohring ein Kopf-an-Kopf-<br />

Rennen um den zweiten Platz mit<br />

der rechtspopulistischen Alternative<br />

für Deutschland geliefert –und unterlag<br />

ihr knapp.<br />

Die AfD, die in Thüringen vom<br />

Kopf ihres rechtsnationalen Flügels,<br />

BjörnHöcke,geführt wird, konnte ihren<br />

Stimmenanteil im Vergleich zu<br />

den Wahlen von 2014 mehr als verdoppeln.<br />

2014 hatte sie aus dem<br />

Stand10,6 Prozentgeholt. Höcke bezeichnete<br />

das gute AfD-Ergebnis als<br />

ein „Nein der Wähler zu einer erstarrten<br />

Parteiendemokratie“: „Die Thüringer<br />

haben heute die Wende 2.0 gewählt“,<br />

sagte er vorAnhängerninErfurt.<br />

Allerdings verfehlte die AfD wie<br />

zuvor in Sachsen und Brandenburg<br />

ihr Wahlziel, zur stärksten Kraft auf<br />

Landesebene zu werden. Die größten<br />

Stimmengewinne verbuchte die<br />

AfD von bisherigen Nicht-Wählern,<br />

mit einigem Abstand gefolgt vonbisherigen<br />

CDU-Wählern.<br />

Die Wahlbeteiligung lag bei<br />

knapp 65 Prozentund hat sich damit<br />

deutlich erhöht – gegenüber der<br />

Wahl vor fünf Jahren, aber auch im<br />

Vergleich zur Europawahl in diesem<br />

Mai. Insgesamt waren in diesem Jahr<br />

rund 1,7 Millionen zur Wahl zum<br />

DPA/MARTIN SCHUTT<br />

Landesparlament aufgerufen. Schon<br />

bei den Wahlen in Sachsen und<br />

Brandenburg hatte es mehr Menschen<br />

in die Wahlkabinen gezogen,<br />

wobei jeweils die Amtsinhaber davonprofitierthatten.<br />

Für Ramelowstehen nun schwierige<br />

Sondierungen an. CDU und FDP<br />

bestätigten am Abend, dass sie nicht<br />

zu einer Zusammenarbeit mit der<br />

Linkspartei bereit seien. „Man kann<br />

nicht seine Grundsätze über Bord<br />

werfen, nur um an einer Regierung<br />

beteiligt zu sein“, sagte CDU-Generalsekretär<br />

Paul Ziemiak. Eine Kooperation<br />

mit der AfD schlossen<br />

CDU und FDP ebenfalls aus. CDU-<br />

Landeschef und Spitzenkandidat<br />

Mike Mohring sprach am Abend<br />

von einem „bitteren Abend für die<br />

demokratische Mitte“. Erlobte zugleich,<br />

dass Rot-Rot-Grün ihr Bündnis<br />

nicht fortsetzen können.<br />

Nach Einschätzung des Leipziger<br />

Politologen Hendrik Träger muss<br />

die CDU nun aber ihr Verhältnis zur<br />

Linken überdenken. „Die CDU<br />

muss sich nach der Wahl darüber<br />

klar werden: Grenzt sie sich weiterhin<br />

so starkvon den Linken ab oder<br />

nicht“, sagte Träger.„Wenn die Parteien<br />

der Mitte von CDU, SPD, Grünen<br />

und FDP bei unter 50 Prozent<br />

der Stimmen sind und keine Regierung<br />

bilden können, ist das ein Signal,<br />

das über das Land hinaus<br />

geht.“<br />

Für die CDU ist der Fall auf den<br />

dritten Platz auf Landesebene besonders<br />

schmerzlich. Bevor es 2014<br />

zur rot-rot-grünen Koalition kam,<br />

hatte die Partei 24 Jahre lang das<br />

Land regiertund stellte stets den Ministerpräsidenten,<br />

zwischenzeitlich<br />

sogar mit einer absoluten Mehrheit.<br />

Seiten2,3und 8<br />

<strong>Berliner</strong> SPD<br />

stimmt gegen<br />

Enteignung<br />

Parteitag: Lehrer sollen<br />

wieder verbeamtet werden<br />

VonMelanie Reinsch<br />

Die SPD hat sich am Sonnabend<br />

auf ihrem Parteitag mehrheitlich<br />

darauf geeinigt, dass sie die Enteignung<br />

großer Wohnungsunternehmen<br />

ablehnt. Dies sei gegenwärtig<br />

nicht zielführend, heißt es in dem<br />

Antrag, für den 137 der 238 Delegierten<br />

stimmten. Damit stellt sich die<br />

SPD gegen ihre Koalitionspartner<br />

Grüne und Linke, die die Ziele der<br />

Initiative„Deutsche Wohnen und Co<br />

enteignen“ unterstützen. Diese<br />

hatte im Juni 77 000 Unterstützer-<br />

Unterschriften vorgelegt und damit<br />

die erste Hürde für ein Volksbegehrengenommen.<br />

Die Initiative strebt die Vergesellschaftung<br />

von Wohnungsunternehmen<br />

mit mehr als 3000 Wohnungen<br />

an. Aktuell prüft Innensenator Andreas<br />

Geisel (SPD), ob das Volksbegehren<br />

rechtlich zulässig ist. Daher<br />

habe die Entscheidung der SPD erst<br />

mal keine Auswirkungen, kommentierte<br />

Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende<br />

der Grünen.„DasVolksbegehrenliegt<br />

in der Innenverwaltung. Wir<br />

sind in einem laufenden Verfahren<br />

und werden über den weiteren Verlauf<br />

sprechen müssen“, sagte Kapek<br />

der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>. Wirtschaftssenatorin<br />

Ramona Pop (Grüne) sagte,<br />

es sei angebracht, mit den Initiatoren<br />

des Volksbegehren sowie der<br />

Bau- und Immobilienwirtschaft in<br />

einen Dialog zu treten.<br />

Lob für die Entscheidung der SPD<br />

gab es indes aus der Opposition.<br />

„Die SPD hat mit ihrem knappen Beschluss<br />

gerade noch einmal die politische<br />

Verschmelzung mit der Linken<br />

abwenden können“, sagte der<br />

FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian<br />

Czaja der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>. Aber: So<br />

begrüßenswertder Ausgang unddas<br />

Bekenntnis zu mehr Bau auch sei,<br />

„diese Regierungskoalition ist nur im<br />

Konflikt geeint“. DieEinsicht zu Maß<br />

undVernunft müsse die Partei auch<br />

endlich in die Linkskoalition tragen.<br />

Die SPD hat sich zudem darauf<br />

verständigt, zum Beamtenmodell<br />

für Lehrkräfte zurückkehren zu<br />

wollen, um dem Lehrermangel in<br />

der Stadt entgegenzuwirken. Berlin<br />

ist das einzige Bundesland, das<br />

seine Lehrkräfte nicht verbeamtet.<br />

Grüneund Linke lehnendas Modell<br />

ab. Berlin Seite9<br />

<strong>Berliner</strong> Verlag GmbH, 11509 Berlin<br />

Redaktion: (030) 63 33 11-457<br />

(Mo-Fr13-14 Uhr), Fax-499;<br />

leser-blz@dumont.de<br />

Leser-Service: (030)23 27-77, Fax-76;<br />

www.berliner-zeitung.de/leserservice<br />

Anzeigen: (030) 23 27-50, Fax: -66 97;<br />

berlin.anzeigen@dumont.de<br />

Postvertriebsstück A6517<br />

Entgelt bezahlt<br />

4<br />

194050<br />

501603<br />

11044


2** <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Wahl in Thüringen<br />

Bitteres Ergebnis: CDU-Spitzenkandidat MikeMohring (links) muss sich mit einer Niederlage abfinden. Auch bei den Grünen herrscht Enttäuschung; die Partei um die Spitzenkandidaten Anja Siegesmund (rechtes Bild links) und DirkAdams hatte sich mehr erhofft.<br />

GETTY, DPA<br />

Eine gute<br />

Arbeit der<br />

Regierung<br />

Forscher zu den Ursachen<br />

des Erfolgs der Linken<br />

Ministerpräsident Bodo Ramelowhat<br />

nach einer Analyse der<br />

Forschungsgruppe Wahlen die Basis<br />

für den historischen Sieg der Linken<br />

bei der Landtagswahl in Thüringen<br />

gelegt. Der Spitzenkandidat der Partei<br />

schneide bei Leistungsbilanz und<br />

Ansehen deutlich besser ab als CDU-<br />

Ministerpräsidenten des Landes vor<br />

fünf oder zehn Jahren. Die meisten<br />

Thüringer wünschten sich Ramelow<br />

weiter als Regierungschef, heißt es in<br />

der am Sonntagabend veröffentlichten<br />

Analyse des Wahlausgangs.<br />

DieLinke wurde erstmals in einem<br />

Bundesland stärkste Kraft. Ramelow<br />

werde inzwischen auch im CDU-Lager<br />

positiv bewertet. In AfD-Kandidat<br />

Björn Höcke, der selbst die eigenen<br />

Reihen nur bedingt überzeuge,sähen<br />

66 Prozent aller Befragten „eine Gefahr<br />

für die Demokratie“.<br />

Zweifel an Minderheitsregierung<br />

Während die Linke für 61 Prozent der<br />

Befragten Thüringen in den vergangenen<br />

fünf Jahren vorangebracht<br />

habe, hätten sich die Grünen in der<br />

Regierung nicht profilieren können.<br />

Dabei spiele auch eine Rolle,dass es<br />

für 74 Prozent der Befragten „viel<br />

wichtigereThemen als Klimaschutz“<br />

gebe. Bei der SPD sehen 67 Prozent<br />

den Grund für das schlechte Ergebnis<br />

primär bei der Bundespartei.<br />

Dass Mohring bislang ein Bündnis<br />

mit der Linken ausgeschlossen<br />

hat, sehen 59 Prozent aller Thüringer<br />

und selbst 47 Prozent der CDU-Anhänger<br />

kritisch. Gegenüber einer<br />

Minderheitsregierung gebe es große<br />

Vorbehalte.<br />

Die Zahlen der Forschungsgruppe<br />

Wahlen basieren nach deren<br />

Angaben auf einer telefonischen Befragung<br />

unter 1628 zufällig ausgewählten<br />

Wahlberechtigten in Thüringen<br />

in der Woche vorder Wahl sowie<br />

auf der Befragung von 18808<br />

WählernundWählerinnen amWahltag.<br />

(dpa)<br />

Bündnisse in Thüringen<br />

Sitze gesamt: 88,<br />

absolute Mehrheit: 45 Sitze<br />

Linke CDU SPD Grüne FDP<br />

21<br />

21<br />

28<br />

28<br />

28<br />

7<br />

7<br />

7<br />

5<br />

5<br />

7<br />

33 Sitze<br />

5<br />

5<br />

5<br />

40 Sitze<br />

38 Sitze<br />

21<br />

45 Sitze<br />

49 Sitze<br />

BLZ/HECHER; QUELLE: FORSCHUNGSGRUPPE WAHLEN<br />

5<br />

VonDaniela Vates<br />

In der CDU-Parteizentrale ist<br />

die Reaktion auf das erste<br />

Wahlergebnis erstmal ein<br />

Schweigen: Keine Rufe, kein<br />

Klatschen, nicht einmal ein trotziger<br />

Applaus als klar ist, dass das bisherige<br />

rot-rot-grüne Regierungsbündnis<br />

abgewählt ist. Einfach Schweigen,<br />

eine Art Schockstarre vielleicht.<br />

Die CDU hat massiv verloren, in einem<br />

Land in dem sie seit derWiedervereinigung<br />

bis 2014 immer den Ministerpräsidenten<br />

gestellt hat, in<br />

dem sie noch bei der Wahl 2014<br />

stärkste Partei wurde. Nun ist die<br />

Linkspartei stärkste Kraft, und auch<br />

die völkisch auftretende AfD ist wohl<br />

an der CDU vorbeigezogen.<br />

Die falschen Themen gesetzt<br />

„Katastrophal“, entfährt es einem<br />

wichtigen CDU-Politiker.Und Generalsekretär<br />

Paul Ziemiak tritt nur für<br />

ein Statement vor die Mikrofone in<br />

der Parteizentrale, Fragen sind nicht<br />

zugelassen.„Es ist ein bitterer Tagfür<br />

die CDU. Es ist auch ein bitterer Tag<br />

für die demokratische Mitte“, sagt<br />

Ziemiak.<br />

Zu diesem Zeitpunkt scheint in<br />

Thüringen kaum ein Regierungsbündnis<br />

ohne die AfD möglich –außer<br />

die CDU geht mit der Linkspartei<br />

zusammen. Was folgt daraus? Die<br />

CDU hat in Thüringen wie zuvor in<br />

Sachsen Koalitionen mit Linkspartei<br />

VonTobias Peter<br />

Esbrandet Jubel im Hans-Dietrich-<br />

Genscher-Haus in Berlin auf, als<br />

das ZDF um 18 Uhrinder ersten Prognose<br />

die FDP klar im Landtag sieht.<br />

Wenige Sekunden später wird es<br />

schlagartig still, als die Zahlen der<br />

ARD folgen, die deutlich knapper<br />

sind. Parteichef Christian Lindner<br />

wird bald darauf sagen: FDP, das sei<br />

eben nichts für Leute mit schwachen<br />

Nerven. Er wird hinzufügen: „Bei einer<br />

gestiegenen Wahlbeteiligung haben<br />

wir unser Ergebnis deutlich ausgebaut.“<br />

Dassei „ein toller Erfolg“. Es<br />

gibt viel Applaus.Alle in der FDP wollen<br />

jetzt einen Erfolg feiern, auch<br />

wenn er noch nicht sicher ist.<br />

Lange vorSonntagabend, 18 Uhr,<br />

war klar: Für die FDP würde es bei<br />

dieserWahl einmal mehr um die eine<br />

große Frage gehen, ob sie den Einzug<br />

in den Landtag schafft oder nicht. In<br />

Schockstarre<br />

Die CDU erlebt in Thüringen ein Desaster.Noch ein Rückschlag für Parteichefin Kramp-Karrenbauer<br />

wie auch AfD ausgeschlossen. Kurz<br />

vor der Wahl hat Mohring den AfD-<br />

Spitzenkandidaten Björn Höcke als<br />

Nazi bezeichnet. Er wolle „die Mitte<br />

mobilisieren“, hat Mohring gesagt.<br />

Er sei ein Brückenbauer, der das<br />

Land zusammenführen wolle.<br />

Kann er dieses Versprechen nun<br />

halten, wenn sonst kein Bündnis<br />

möglich ist? Berichte,erhabe vorder<br />

letzten Landtagswahl 2014 –damals<br />

noch als CDU-Fraktionschef – bei<br />

der AfD sondiert, ob eine Zusammenarbeit<br />

nicht möglich sei, hat<br />

Mohring dementiert.<br />

„Die Abgrenzung ist richtig. Es<br />

muss möglich sein, in der Mitte eine<br />

Mehrheit zu finden“, sagt Haseloff.<br />

„Unser Wort gilt“, sagt auch Ziemiak.<br />

„Es wird keine Koalition der<br />

CDU mit der Linkspartei oder der<br />

AfD geben.“ Schleswig-Holsteins<br />

Ministerpräsident Daniel Günther<br />

hat schon einmal ein freundliches<br />

Interview gemeinsam mit Bodo Ramelow<br />

geführt, der frühere sächsische<br />

Ministerpräsident Kurt Biedenkopf<br />

hat Sympathien für den ersten<br />

Regierungschef der Linkspartei erkennen<br />

lassen. Ziemiak sagt, es sei<br />

nicht möglich, mit einer Partei zusammenzuarbeiten,<br />

die die DDR<br />

nicht als Unrechtsstaat bezeichnen<br />

wolle.<br />

In der Union beginnt nun die Suche<br />

nach Gründen. Den Ministerpräsidenten-Bonus<br />

des Linkspartei-<br />

Politikers Bodo Ramelow führt Ziemiak<br />

an. Er lobt Spitzenkandidat<br />

Mike Mohring, der wacker gekämpft<br />

habe, erst gegen seine Krebserkrankung<br />

und dann im Landtagswahlkampf.<br />

„Wir kämpfen zusammen,<br />

wir gewinnen zusammen, wir verlieren<br />

zusammen“, sagt Ziemiak noch<br />

und es klingt, als müsse sich da einer<br />

schützend vorMohring stellen.<br />

Der Chef der Jungen Union, Tilman<br />

Kuban, kritisiert den inhaltlichen<br />

Kurs der Bundespartei als<br />

nicht hilfreich. „Wir haben wohl in<br />

den letzten Monaten die falschen<br />

Themen gesetzt“, sagt er. Statt um<br />

Klimaschutz sollte sich die CDU<br />

besser um Agrarpolitik und die Anbindung<br />

des ländlichen Raums<br />

kümmern.<br />

Tatsächlich allerdings dürften<br />

sich die Blicke in der CDU eher auf<br />

die Parteivorsitzende Annegret<br />

Kramp-Karrenbauer richten. Ihre<br />

Führungskraft wirdinder CDU nach<br />

einer Fehlerserie infrage gestellt. ihre<br />

Gegner werden eine weitere Niederlage<br />

bei einer Landtagswahl (nach<br />

BrandenburgimSeptember) zu nutzen<br />

wissen: Kramp-Karrenbauers<br />

Nimbus als Wahlsiegerin, den sie im<br />

Saarland erworben hat, ist zumindest<br />

angekratzt –das ist ein entscheidendes<br />

Kriterium, wenn es um die<br />

Kanzlerkandidatenfrage geht. Der<br />

Sieg der CDU in Sachsen wurde als<br />

persönlicher Erfolg des Spitzenkandidaten<br />

Michael Kretschmer eingeordnet.<br />

Hoffen auf den Erfolg<br />

„Meine Idee ist, das<br />

Land wieder zusammenzuführen.<br />

Wahrscheinlich<br />

kann man das sogar<br />

mit drei Partnern<br />

in einer Viererkonstellation<br />

gut machen.“<br />

Mike Mohring,<br />

CDU-Spitzenkandidat<br />

Die FDP um Spitzenkandidat Thomas Kemmerich hat in Thüringen einen explizit ostdeutschen Wahlkampf geführt<br />

zwei anderen ostdeutschen Bundesländern,<br />

Brandenburg und Sachsen,<br />

war die Partei Anfang September an<br />

der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.<br />

Auch das bundesweite Ergebnis von<br />

gerade mal 5,4 Prozent bei der Europawahl<br />

im Mai war für die FDP ernüchternd.<br />

Der FDP-Chef Lindner<br />

musste jetzt also auf einen Erfolg in<br />

Thüringen hoffen.<br />

Für Lindner war das wichtig, weil<br />

seine Allmacht in der FDP mindestens<br />

seit einigen Monaten bröckelt.<br />

Er war in den eigenen Reihen lange<br />

Zeit der gefeierte Superstar, der die<br />

Partei in der außerparlamentarischen<br />

Opposition am Leben gehalten<br />

hatte. Erhat die Partei zurück in<br />

den Bundestag geführt–und bekam<br />

dafür viel Dankbarkeit und Loyalität.<br />

Doch seit die FDP unter seiner Führung<br />

die Jamaika-Verhandlungen<br />

nach der Bundestagswahl beendet<br />

hat, sind Erfolge für die Partei rar.<br />

In Thüringen kämpfte der 54<br />

Jahre alte Unternehmer Thomas<br />

Kemmerich um Aufmerksamkeit für<br />

seine mitgliederschwache Partei –<br />

und das durchaus originell. „Endlich<br />

eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst<br />

hat“: Mit diesem Slogan ließ<br />

der Spitzenkandidat, der Besitzer einer<br />

Friseurkette ist, dem es aber<br />

selbst an Haaren fehlt, sein Bild plakatieren.<br />

Oder, genauer gesagt: das<br />

Bild seines Hinterkopfes.<br />

Kemmerich hatte ein Programm<br />

vorgelegt, das auf die Wähler in den<br />

ostdeutschen Ländern zugeschnitten<br />

ist. Er legte den Fokus auf Kernthemen<br />

wie dieWirtschaftspolitik. In<br />

der Migrationspolitik warnte er vor<br />

einer moralisierenden Debatte.Darüber<br />

hinaus trat er für bessereBeziehungen<br />

zu Russland ein.<br />

„Wenn die FDP ins Parlament<br />

kommt, haben Rot-Rot-Grün und<br />

Ramelow definitiv keine Mehrheit<br />

Welche Partei wählten die ...<br />

Frauen Männer<br />

in Prozent<br />

SPD<br />

CDU<br />

Grüne<br />

Linke<br />

FDP<br />

AfD<br />

6<br />

5<br />

8<br />

7<br />

6<br />

6<br />

17<br />

24<br />

20<br />

32<br />

28<br />

28<br />

BLZ/HECHER; QUELLE: FORSCHUNGSGRUPPE WAHLEN<br />

UndMohring hat sich zwar gegen<br />

Personaldebatten gewendet, aber<br />

wie Kretschmer wiederholt deutlich<br />

gemacht, dass er aus der großen Koalition<br />

in Berlin zu wenig Rückenwind<br />

bekomme.<br />

Die Wahl kann also bestehende<br />

tektonische Risse in der CDU weiten.<br />

Mag sein, dass Kramp-Karrenbauer<br />

bereits überlegt, wie sie die überbrückt:<br />

Sie hat ihre Regierungspartner<br />

immer mal wieder überrascht –<br />

mit einem Rausschmiss im Saarland,<br />

mit einemVorstoß in der Syrien-Politik<br />

gerade in der vergangenenWoche<br />

die Groko.<br />

Treffen mit Merkel<br />

In der SPD, die inzwischen deutlich<br />

unter zehn Prozent liegt, ist es an<br />

diesem Abend die verbliebene kommissarische<br />

Vorsitzende Malu<br />

Dreyer, die ihr Entsetzen zum Ausdruck<br />

bringt.<br />

Kleinere Beben sind das, aber<br />

noch kein Beben der großen Koalition,<br />

wo an diesemWochenende zunächst<br />

viele erleichtert aufgeseufzt<br />

hatten, weil bei der Vorentscheidung<br />

über den SPD-Parteivorsitz<br />

nicht die expliziten Gegner der großen<br />

Koalition gewonnen hatten.<br />

Aber viele kleine Beben können sich<br />

addieren.<br />

Für den Abend hatten sich die<br />

Unions-Spitzen nach Angaben aus<br />

der Partei zu einemTreffen mit Kanzlerin<br />

Angela Merkel verabredet.<br />

mehr“, hatte Kemmerich vor der<br />

Wahl gesagt. Es war dieselbe Botschaft,<br />

die auch Christian Lindner<br />

bei Auftritten in Thüringen immer<br />

wieder herausgestellt hatte: Eine<br />

Stimme für die FDP sei mit Blick auf<br />

die Mehrheitsverhältnisse wichtiger<br />

als eine für die CDU. DieFDP,die eigentlich<br />

nie mehr ein Anhängsel von<br />

irgendwem sein wollte, hat in Thüringen<br />

unter der Regie des Parteivorsitzenden<br />

Lindner so stark taktisch<br />

um Wähler geworben wie lange<br />

nicht mehr.<br />

Am Wahlabend wird Kemmerich<br />

gefragt, ob die FDP im Fall ihres Einzugs<br />

ins Parlament angesichts der<br />

schwierigen Mehrheitsverhältnisse<br />

auch für eine Regierung mit der Linken<br />

bereitstünde.Erschließt das aus.<br />

Kemmerich ergänzt, eine Minderheitsregierung<br />

könne im Parlament<br />

von Fall zu Fall nach vernünftigen<br />

Mehrheiten suchen.


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 3 **<br />

·························································································································································································································································································<br />

Wahl in Thüringen<br />

Triumph und Tränen: Während die SPD auf einen historischen Tiefstand absackte, feierte AfD-Spitzenkandidat BjörnHöckeden Erfolg seiner Partei (Mitte). Der Sieger des Abends Bodo Ramelow (rechtes Bild) freut sich mit seiner Ehefrau Germana Alberti vom Hofe. DPA (3)<br />

Einer der Ersten, die am<br />

Sonntag den Kopf durch<br />

die Tür des Thüringer<br />

Landtages steckten, war<br />

Dietmar Bartsch, derVorsitzende der<br />

Linksfraktion im Bundestag. Er<br />

strahlte. Und seine Worte spiegelten<br />

das Strahlen wider.Das Ergebnis der<br />

Thüringer Linken unter Führung<br />

von Bodo Ramelow sei „grandios“,<br />

sagte er.Ja, es sei„sensationell“. Erstmals<br />

sei die Linke stärkste Partei geworden.<br />

Und es gebe überhaupt<br />

keine andere Möglichkeit, als dass<br />

Ramelow Ministerpräsident bleibe.<br />

Landeschefin Susanne Hennig äußerte<br />

sich kurzdarauf ähnlich.Wiees<br />

weiter gehe,müsse man sehen, sagte<br />

sie.Esklang recht frohgemut.<br />

Ganz in der Nähe frohlockte<br />

auch die AfD,die trotz des rechtslastigen<br />

Partei- und Fraktionsvorsitzenden<br />

Björn Höcke noch vor der<br />

CDU auf Platz zwei landete. Unterdessen<br />

machten CDU, SPD und<br />

Grüne lange Gesichter, weil sie verloren<br />

hatten. „Tief durchatmen“,<br />

sagte die sichtlich konsternierte<br />

grüne Spitzenkandidatin Anja Siegesmund,<br />

als sie den Landtag betrat.<br />

Neben der Linken und der AfD<br />

freute sich lediglich die FDP,die anders<br />

als in Brandenburg und Sachsen<br />

darauf hoffen konnte,eswieder<br />

in den Landtag zu schaffen. Mit anderen<br />

Worten: Diesen Wahlabend<br />

auf einen Nenner zu bringen, ist unmöglich.<br />

Unterm Strich war das Ergebnis<br />

zweigeteilt.<br />

Die AfD will 50 Prozent<br />

Auf der einen Seite war da die AfD,<br />

deren Ergebnis alle anderen mehr<br />

oder weniger schockierte. Sie feierte<br />

in Erfurt ganz oben –ineiner Gaststätte<br />

mit Biergarten in schönster<br />

Hanglage. Und das, obwohl ihr Ergebnis<br />

auf den zweiten Blick gar<br />

nicht so gut ist, wie es auf den ersten<br />

Blick scheint. Zwar wurde die 20-<br />

Prozent-Marke deutlich übertroffen,<br />

die erhofften 25 Prozent wurden jedoch<br />

ebenso deutlich verfehlt. Für<br />

eine rauschende Feier war dennoch<br />

alles vorbereitet. Statt Mettigel und<br />

Bier gab es Carpaccio, Tomaten-<br />

Mozzarella-Salat und Prosecco.<br />

Denn das Hanglokal ist ein Italiener.<br />

Ausländischer Einfluss, wenn er europäisch<br />

und gehaltvoll ist, wirdhier<br />

gerne angenommen.<br />

Um mit Höcke zu feiern, waren<br />

alle nach Erfurt gekommen, die im<br />

unter Rechtsextremismus-Verdacht<br />

stehenden „Flügel“ und in der AfD<br />

des Ostens Rang und Namen haben:<br />

Parteichef Alexander Gauland, Brandenburgs<br />

Landeschef Andreas Kalbitz,<br />

Frank Pasemann, Bundesvorstandsmitglied<br />

aus Magdeburg. Aus<br />

Sachsen kamen Landeschef Jörg Urban<br />

und Tino Chrupalla, Wunschkandidat<br />

der Ostverbände auf die<br />

Gauland-Nachfolge. Im Publikum,<br />

neben den Thüringer Lokalgrößen,<br />

saßen einige junge Männer aus dem<br />

Dunstkreis der „Identitären Bewegung“,<br />

die beim Verfassungsschutz<br />

definitiv als rechtsextrem gilt.<br />

Die Koalitionsfrage wird kompliziert in Erfurt.<br />

Die Linkspartei unter Ministerpräsident Bodo Ramelow<br />

bleibt stark. Stark genug für eine Minderheitsregierung?<br />

Höcke und die Parteigrößen<br />

drängten sich Punkt 18 Uhr auf die<br />

kleine Bühne im Wintergarten.<br />

„Heute vollenden wir die Wende“,<br />

rief der Höcke-Vertraute und Bundestagsabgeordnete<br />

Jürgen Pohl.<br />

Höcke jubelte kaum, als die 24 Prozent<br />

der ersten Prognose über den<br />

Fernseher flimmerten. Vielmehr beschwerte<br />

er sich über die Kritik an<br />

ihm. „Noch nie wurden ein Kandidat<br />

und eine Partei so diffamiert“, sagte<br />

Höcke.Über dasWahlergebnis verlor<br />

er kaum ein Wort, sondern schaute<br />

weit nach vorn. „Das nächste Mal<br />

holen wir die absolute Mehrheit“,<br />

rief der Mann, vor dem sich weite<br />

Teile der Republik fürchten.<br />

Am schärfsten war unterdessen<br />

nicht Höcke, sondern der wahre<br />

Chef des „Flügels“, Andreas Kalbitz.<br />

Er rief: „Wir jagen dieses inländerfeindliche<br />

Establishment. Auch im<br />

Westen holen wir uns die Stimmen,<br />

die wir brauchen.“ Partei-Senior<br />

Gauland nutzte den knappen Vorsprung<br />

der AfD vor der geschwächten<br />

CDU, um gegen die Konservativen<br />

zutreten. „Die CDU muss sich<br />

überlegen, ob sie weiter mit Sozial-<br />

Was<br />

geht<br />

VonMarkus Decker und JanSternberg<br />

Landtagswahlen in Thüringen<br />

an 100 %fehlend =andere Parteien, ARD-Hochrechnung 23.02 Uhr<br />

45,4 42,6<br />

29,6<br />

51,0<br />

22,8<br />

21,3<br />

16,6<br />

18,5<br />

9,7<br />

9,3 4,5<br />

6,5 1,9<br />

3,2<br />

1,1<br />

1990 1994 1999<br />

43,0<br />

26,1<br />

14,5<br />

4,5<br />

3,6<br />

2004<br />

31,2<br />

27,4<br />

18,5<br />

7,6<br />

6,2<br />

2009<br />

33,5<br />

28,2<br />

12,4<br />

demokraten und Grünen zusammenarbeiten<br />

oder mit der einzig<br />

wahren Volkspartei regieren will –<br />

der AfD“, sagte er.<br />

Die Realität ist den AfD-Größen<br />

im Ristorante nicht genug. Wieder<br />

einmal zweitstärkste Kraft, wieder<br />

einmal keine Regierungsoption, davon<br />

kann man sich nichts kaufen.<br />

Dasweiß auch Sachsen-Chef Urban.<br />

„Eine Regierungsbeteiligung gibt es<br />

für uns nur, wenn wir deutlich<br />

stärkste Kraft werden“, sagte er.Gauland<br />

gab als Fernziel aus: „50,1 Prozent<br />

für die AfD“, also die absolute<br />

Mehrheit. Das, so glauben hier viele,<br />

wärenur mit einer radikalen Höcke-<br />

Linie zu erreichen.<br />

Aufder anderen Seite,jenseits der<br />

AfD stehen alle anderen Parteien, die<br />

mit dem Wahlergebnis irgendwie<br />

umgehen müssen. Leicht wird das<br />

nicht. In Thüringen ist guter Ratjetzt<br />

ziemlich teuer.<br />

Klar,zunächst zieht jede Partei für<br />

sich allein Bilanz. Bodo Ramelow<br />

darf sich als Winfried Kretschmann<br />

des Ostens fühlen –als einer, der es<br />

2014 als erster Linker überhaupt vermochte,<br />

Ministerpräsident zu wer-<br />

10,6<br />

5,7<br />

2,5<br />

2014 2019<br />

31,0 %<br />

23,4 %<br />

21,8 %<br />

8,2 %<br />

5,2 %<br />

5,0 %<br />

BLZ/GALANTY; QUELLE: LANDESWAHLLEITER<br />

den und der es in den fünf folgenden<br />

Jahren überdies vermochte, anPopularität<br />

noch zuzulegen, um diese<br />

Popularität auf die Mühlen seiner<br />

Partei zu lenken. Die Stimmung bei<br />

der linken Wahlparty war denn auch<br />

enthusiastisch. So viel zu feiern hat<br />

die Partei sonst nie. Neben Bartsch<br />

war Parteichefin Katja Kipping im<br />

ICE nach Erfurtgekommen.<br />

Die Sozialdemokraten sind in<br />

Thüringen ohnehin ziemlich ernüchtert;<br />

mit großen Erfolgen rechnen<br />

sie da schon lange nicht mehr.<br />

Anders als die Grünen, die nach<br />

Brandenburgund Sachsen die dritte<br />

unerwartete Schlappe hinnehmen<br />

mussten und sogar um den Einzug in<br />

den Landtag bangten. Dergrüne Höhenflug<br />

ist fraglos vorüber. Die<br />

Bäume wachsen nicht in den Himmel.<br />

Die CDU unter ihrem Spitzenmann<br />

Mohring muss sich schließlich<br />

fragen, woran es liegt, dass sie von<br />

der absoluten Mehrheit früherer<br />

Tage weiter entfernt ist denn je.<br />

Allesamt stehen sie seit Sonntagabend<br />

vordem Problem, eine Regierung<br />

bilden oder sie aus nachvollziehbaren<br />

Gründen ablehnen zu<br />

müssen. Das wird schwer – auch<br />

wenn Mohring am Sonntagabend<br />

sagte: „Die Regierung Ramelow ist<br />

abgewählt worden.“<br />

Klar ist, was nicht geht. Wasnicht<br />

geht, ist die Fortsetzung von Rot-<br />

Rot-Grün –auch wenn alle drei Parteien<br />

das anstrebten. Dazu fehlt die<br />

Mehrheit. Wasgenauso wenig geht,<br />

ist die nach den Nationalfarben des<br />

afrikanischen Staates benannte<br />

„Simbabwe“-Koalition aus CDU,<br />

SPD,Grünen und FDP.Dazu sind alle<br />

vier Parteien zu schwach.<br />

Denkbar ist hingegen eine rotrot-grüne<br />

Minderheitsregierung mit<br />

Ramelow ander Spitze. Sie müsste<br />

sich für den nächsten Haushalt oder<br />

bestimmte Gesetze jeweils die Unterstützung<br />

anderer Parteien suchen.<br />

Denkbar waren am Sonntagabend<br />

ebenfalls die Erweiterung von<br />

Rot-Rot-Grün um die FDP oder ein<br />

Bündnis aus Linker und CDU. Die<br />

erste Variante schloss am Sonntag<br />

aber der FDP-Vorsitzende Christian<br />

Lindner aus, die zweite Variante<br />

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.<br />

Gewiss ist damit lediglich, dass<br />

sich Ramelow trotz Verlusts der<br />

Mehrheit in einer relativ komfortablen<br />

Situation befindet. Das hängt<br />

mit seiner Popularität zusammen.<br />

Ramelow sei „eine Nummer geworden“,<br />

sagte Bartsch am Sonntag.<br />

Hinzu kommt die Landesverfassung,<br />

deren Artikel 75 lautet: „Der Ministerpräsident<br />

und auf sein Ersuchen<br />

die Minister sind verpflichtet, die<br />

Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer<br />

Nachfolger fortzuführen.“ Diese Verfassung<br />

stärkt den Amtsinhaber<br />

enorm.<br />

Keine Frist für Regierungsbildung<br />

Ramelow hatte darauf erst kürzlich<br />

gegenüber der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

(Redaktionsnetzwerk Deutschland)<br />

hingewiesen, als er sagte: „Es gibt bei<br />

uns keine Vorschrift, in welcher Frist<br />

der Ministerpräsident gewählt werden<br />

muss, sondern der Ministerpräsident<br />

wirddann gewählt, wenn eine<br />

Fraktion den Antrag dazu stellt.“<br />

Eine nach der Wahl einstweilen weiter<br />

amtierende Landesregierung sei<br />

darum „auch keine Minderheitsregierung<br />

oder eine geschäftsführende<br />

Regierung“, sondern „einfach die<br />

Landesregierung“, fuhr Ramelow<br />

fort. DerHaushalt für 2020 ist bereits<br />

beschlossen. Der Regierungschef<br />

hätte unter anderem aus diesem<br />

Grundvor allem eines: Zeit.<br />

In der Linken hat das Modell einer<br />

Minderheitsregierung einige Sympathisanten,<br />

wie am Sonntag verlautete.<br />

Verwunderlich ist das nicht.<br />

Schließlich wollen sie ihren bundesweit<br />

bisher einzigen Ministerpräsidenten<br />

nicht verlieren. Erst mal<br />

werdeinder Regierung alles bleiben,<br />

wie es ist, hieß es. Ganz nach dem<br />

Motto: Erst schaun mer mal, und<br />

dann seh’n mer schon.<br />

Man sieht: In Thüringen geht es<br />

spannend zu. Und nach der Wahl<br />

wird esvielleicht noch spannender<br />

als vorher.<br />

IN KÜRZE<br />

Feueralarm.<br />

Zwei Feuer-Fehlalarme im Rathaus<br />

vonErfurthaben die Stimmenauszählung<br />

verzögert. Nach Angaben<br />

vonLandeswahlleiter und Feuerwehr<br />

hatte die automatische Meldeanlage<br />

erst gegen 20.00 Uhrund<br />

dann noch einmal gegen 21.45 Uhr<br />

angeschlagen. DieFeuerwehr rückte<br />

an, gab aber in beiden Fällen Entwarnung.<br />

Sollte die CDU eine Koalition<br />

mit der Linkspartei weiter ausschließen?<br />

in Prozent<br />

Weiter ausschließen<br />

Neu entscheiden<br />

Alle Wähler<br />

CDU-Wähler<br />

Erstwähler.<br />

Unter den 1,7 Millionen Wahlberechtigten<br />

waren auch rund 75 000<br />

Thüringer,die zum ersten Malwählen<br />

konnten.<br />

Olympiasieger verliert.<br />

Biathlon-Olympiasieger Frank Ullrich<br />

hat bei der Landtagswahl in<br />

Thüringen am Sonntag als SPD-Direktkandidat<br />

knapp gegen den AfD-<br />

Bewerber René Aust verloren. Aust<br />

erreichte im Südthüringer Wahlkreis<br />

Schmalkalden-Meiningen II 24,2<br />

Prozent und lag damit 220 Stimmen<br />

vorUllrich, der auf 23,3 Prozent kam.<br />

Tiefensee.<br />

Thüringens SPD-VorsitzenderWolfgang<br />

Tiefensee hat personelle Konsequenzen<br />

in der Führung seiner Partei<br />

ausgeschlossen.„Nein, das sehe ich<br />

nicht“, sagte er.Die SPD sei imWahlkampf<br />

in einzigartigerWeise geschlossen<br />

aufgetreten. Nungelte es,<br />

mit dem vorhandenen Team die Landespartei<br />

ebenso wie die Bundespartei<br />

wieder aus dem Talzuführen.<br />

Thüringen Wählerwanderung<br />

der Nichtwähler (200 000) zu:<br />

14 000<br />

13 000<br />

4000<br />

4000<br />

25<br />

28<br />

33 000<br />

47 000<br />

80 000 AfD<br />

Linke<br />

CDU<br />

SPD<br />

FDP<br />

69<br />

68<br />

BLZ/HECHER; QUELLE: INFRATEST DIMAP<br />

Grüne<br />

Andere<br />

BLZ/HECHER; QUELLE: INFRATEST DIMAP


4* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Politik<br />

NACHRICHTEN<br />

Verheiratete Männer<br />

könnten Priester werden<br />

DieBischofssynode im Vatikan hat<br />

sich für die umstrittene Priesterweihe<br />

verheirateter Männer ausgesprochen<br />

–allerdings nur in Ausnahmefällen<br />

und nur für eine bestimmte<br />

Region. Im Amazonas-Gebiet sollen<br />

angesehene Männer,die eine Familie<br />

haben und schon als Diakone tätig<br />

sind, auch Priester werden dürfen.<br />

Zugleich stellte Papst Franziskus<br />

eine neue Diskussion über Frauen in<br />

WeiheämterninAussicht. (dpa)<br />

Waffenrecht soll nach<br />

Anschlag verschärft werden<br />

Diegeplante Verschärfung des Waffenrechts<br />

nach dem rechtsextremen<br />

Anschlag vonHalle soll nach Angaben<br />

vonBundesjustizministerin<br />

Christine Lambrecht (SPD) auch die<br />

vonihr geforderte Regelanfrage<br />

beim Verfassungsschutz vorder Vergabe<br />

eines Waffenscheins enthalten.<br />

„Die Verfassungsschutzbehörden<br />

müssen künftig gefragt werden, bevorWaffenerlaubnisse<br />

erteilt werden“,<br />

sagte Lambrecht der Welt am<br />

Sonntag. „Waffen gehören nicht in<br />

die Hände vonExtremisten.“ (AFP)<br />

Großdemonstrationen<br />

spalten Barcelona<br />

Rund 80 000 Menschen demonstrierten<br />

in Barcelona für die Einheit Spaniens. AP<br />

BeiGroßdemonstrationen für und<br />

gegen die Unabhängigkeit Kataloniens<br />

sind am Wochenende wieder<br />

hunderttausende Menschen auf die<br />

Straße gegangen. An einer Demonstration<br />

der Unabhängigkeitsbefürworter<br />

nahmen am Sonnabend in<br />

Barcelona rund 350 000 Menschen<br />

teil, an einer Gegenkundgebung am<br />

Sonntag rund 80 000 Anhänger der<br />

staatlichen Einheit Spaniens. (AFP)<br />

Polizei: Vietnamesen unter<br />

den 39 Toten im Container<br />

Beider Aufklärung des Todes von39<br />

Menschen in einem Lkw-Anhänger<br />

konzentriertsich die britische Polizeinun<br />

auf das Herkunftsland Vietnam.<br />

Dies sagte Martin Passmore<br />

vonder Polizei Essex, zuständig für<br />

die Identifizierung der Opfer.Andere<br />

Herkunftsländer kämen jedoch weiter<br />

auch in Frage.Die Polizei hatte<br />

zunächst erklärt, es handele sich bei<br />

den Toten um Chinesen. DieIdentifizierung<br />

der Leichen wirdlaut Polizeimöglicherweise<br />

dadurch erschwert,<br />

dass Verwandte der Opfer<br />

selbst illegal in Großbritannien leben<br />

und Angst haben, sich bei der<br />

Polizei zu melden. (dpa)<br />

Menschenkette für die<br />

Einheit des Libanon<br />

Zehntausende Libanesen haben am<br />

Sonntag eine Menschenkette durch<br />

das Land gebildet, um ein Zeichen<br />

für die nationale Einheit des Landes<br />

zu setzen. VonTripoli im Norden des<br />

Landes bis TyrosimSüden hielten<br />

sich schätzungsweise 100 000 Menschen<br />

über eine Strecke von170 Kilometernanden<br />

Händen. In Beirut,<br />

dem Hauptortder anhaltenden Proteste,sangen<br />

viele laut die Nationalhymne.Die<br />

Proteste hatten sich am<br />

17. Oktober an der Ankündigung der<br />

Regierung entzündet, WhatsApp-<br />

Anrufe zu besteuern. (AFP)<br />

Ein ausgebranntes Autowrack in der Nähe des Dorfes Barisha im Nordwesten Syriens. Hier starben Berichten zufolge neun Menschen bei einem türkischen Helikopter-Angriff. AFP<br />

USA melden Tötung des IS-Anführers<br />

Kämpfe in der nordsyrischen Sicherheitszone /Außenminister Maas reist in die Türkei und nach Libyen<br />

Während Außenminister<br />

Heiko Maas (SPD)<br />

am Wochenende<br />

gleich mehrere Reisen<br />

in die Krisenländer rund ums Mittelmeer<br />

unternahm, schufen die Amerikaner<br />

Fakten: Bei einem US-Militäreinsatz<br />

in Syrien wurde der Anführer<br />

der Dschihadistenmiliz Islamischer<br />

Staat (IS), Abu Bakr<br />

al-Bagdadi, getötet.<br />

US-Präsident Donald Trump<br />

sagte am Sonntag bei einer Ansprache<br />

im Weißen Haus, al-Bagdadi<br />

habe während des Angriffs eine<br />

Sprengstoffweste gezündet und so<br />

sich selbst und drei seiner Kinder getötet.<br />

Tests hätten inzwischen bestätigt,<br />

dass es sich bei dem Toten um<br />

al-Bagdadi handle. Nach Angaben<br />

Trumps wurde bei dem Militäreinsatz<br />

eine „große Zahl“ vonIS-Kämpfern<br />

und Begleitern al-Bagdadis getötet.<br />

Verluste unter den US-Soldaten<br />

habe es nicht gegeben.<br />

Laut Schilderung des US-Präsidenten<br />

waren acht US-Hubschrauber<br />

an dem Ortgelandet, wo sich al-<br />

Bagdadi aufhielt. Der IS-Chef sei<br />

daraufhin in einen Tunnel geflüchtet,<br />

wobei er drei seiner kleinen Kinder<br />

mit sich „gezerrt“ habe. Dann<br />

habe er die Sprengstoffweste detonieren<br />

lassen. Die US-Soldaten hielten<br />

sich laut Trump etwa zwei Stunden<br />

in dem Anwesen auf. Dabei hätten<br />

sie wichtiges Material gefunden,<br />

darunter über die „Zukunftspläne“<br />

des IS. DerAufenthaltsortdes bereits<br />

mehrfach für tot erklärten IS-Chefs<br />

war unbekannt. Mit dem von den<br />

USA ausgesetzten Kopfgeld von 25<br />

Millionen Dollar (rund 22 Millionen<br />

Euro) ist al-Bagdadi einer der meistgesuchtenTerroristen<br />

derWelt gewesen.<br />

Zuletzt hatte der IS im April ein<br />

Video mit al-Bagdadi verbreitet, in<br />

dem er dem Westen mit Angriffen<br />

drohte.<br />

Der Kommandeur der Syrischen<br />

Demokratischen Kräfte (SDF), Maslum<br />

Abdi, lobte auf Twitter, den „gelungenen“<br />

Einsatz, der auf eine „gemeinsame<br />

Geheimdienst-Arbeit“<br />

der Kurdenmiliz mit den USA zurückgehe.<br />

Allerdings bestätigte<br />

Abdi den Tod al-<br />

Bagdadis nicht explizit.<br />

Die von der Kurdenmiliz<br />

YPG dominierten SDF<br />

waren bisher der wichtigste<br />

Verbündete der US-<br />

Streitkräfte im Kampf gegen<br />

den IS. Zuletzt geriet<br />

dieses Bündnis allerdings<br />

unter erheblichen Druck.<br />

Trump steht in der Kritik,<br />

weil er die US-Truppen<br />

aus dem nordsyrischen<br />

Grenzgebiet zur Türkei abgezogen<br />

hat. Damit ebnete<br />

er den Wegfür eine türkische Offensive<br />

gegen die YPG in der Region. In<br />

dieser vonder Türkei beanspruchten<br />

Sicherheitszone in Nordsyrien soll es<br />

auch am Sonntag Kämpfe zwischen<br />

türkischen und kurdischen Einheiten<br />

gegeben haben. Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel (CDU) und Erdogan<br />

erörterten am Sonntag in einem<br />

Telefongespräch die Lage im Nordosten<br />

Syriens. Beide wollten „im engen<br />

Kontakt“, teilte die Bundesregierung<br />

mit.<br />

Am Tagzuvor hatte Außenminister<br />

Heiko Maas (SPD) seinen Amtskollegen<br />

Mevlüt Cavusoglu in Ankara<br />

getroffen. Dabei erteilten beide<br />

dem Plan der Bundesverteidigungsministerin<br />

Annegret Kramp-Karrenbauer<br />

für eine UN-Schutzzone in<br />

Nordsyrien eine Abfuhr.<br />

„Also die Diskussion über die Sicherheitszone<br />

in Nordostsyrien hat<br />

in unserem Gespräch weniger Zeit in<br />

Anspruch genommen als hier auf<br />

der Pressekonferenz. Das sagt eigentlich<br />

schon alles“, sagte Maas.<br />

„Überall wird uns gesagt,<br />

das sei kein realistischer<br />

Vorschlag. Und deshalb<br />

haben wir die Zeit genutzt,<br />

uns mit den Themen auseinanderzusetzen,<br />

die<br />

wichtig sind für die Menschen<br />

in Syrien jetzt“, fügte<br />

er hinzu. Cavusoglu sagte,<br />

IS-Anführer:Abu<br />

Bakr al-Bagdadi<br />

AFP<br />

der Vorschlag sei „nicht<br />

realistisch“, da im Nordosten<br />

inzwischen russische<br />

und syrische Regierungstruppen<br />

präsent seien.<br />

Bei dem Gespräch in<br />

Ankarahatte sich Maas um<br />

GroKo oder nicht GroKo, das ist die Frage<br />

Annäherung an die Türkei bemüht.<br />

Er drang erneut auf eine dauerhafte<br />

Waffenruhe für Nordsyrien und<br />

mahnte, die türkische Militärpräsenz<br />

dürfe dortnicht vonDauer sein.<br />

Cavusoglu begrüßte Maas’ Besuch<br />

als „positives Zeichen“ nach der „falschen<br />

und harten Kritik in Deutschland<br />

an der Türkei“.<br />

Scharfe Kritik hat der Auftritt<br />

Maas’ inAnkara inDeutschland hervorgerufen.<br />

„Das ist ein peinlicher<br />

Moment deutscher Außenpolitik“,<br />

sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert<br />

Röttgen der Funke Mediengruppe<br />

am Sonntag. „Die Türkei unternimmt<br />

eine völkerrechtswidrige<br />

Invasion in Syrien und der deutsche<br />

Außenminister reist in die Türkei, um<br />

sich bestätigen zu lassen, dass eine<br />

internationale Sicherheitszone unter<br />

UN-Mandat statt türkischer Besatzung<br />

keine gute Idee sei“, so Röttgen.<br />

FDP-FraktionsvizeTheurer sprach<br />

von einem „skandalösen Auftritt“.<br />

Wirtschafts-Staatssekretär Thomas<br />

Bareiß (CDU) wertete den Auftritt als<br />

Zeichen der „Hilflosigkeit“ im Syrien-<br />

Konflikt. Maas’Auftritt sei„stillos und<br />

auch gegen unsere deutschen Interessen“<br />

gewesen, sagte Bareiß dem<br />

Handelsblatt. Unterstützung kam aus<br />

der SPD. Nils Schmid, außenpolitischer<br />

Sprecher der SPD-Fraktion, bezeichnete<br />

die Reise als „wichtigen<br />

Beitrag“ auf der Suche nach einer politischen<br />

Lösung im Syrien-Konflikt.<br />

Kramp-Karrenbauer habe mit ihrem<br />

Vorstoß dagegen „unsere engsten<br />

Verbündeten verstört“ und der Befriedung<br />

des Konflikts einen „Bärendienst“<br />

erwiesen.<br />

Maas traf am Sonntag zu einem<br />

nicht angekündigten Besuch im<br />

nordafrikanischen Bürgerkriegsland<br />

Libyen ein. In dem Küstenort Suara<br />

wollte er Ministerpräsident Fajis al-<br />

Sarradsch treffen, der die international<br />

anerkannte Regierung führt.<br />

Deutschland hat sich diplomatisch<br />

offiziell in dem seit Jahren andauernden<br />

Konflikt bislang zurückgehalten,<br />

gehört aber zu den international<br />

wichtigsten Geldgebern. Unmittelbar<br />

vorder Reise kam es vorder libyschen<br />

Küste bei Suara zueinem Zwischenfall<br />

mit dem deutschen Rettungsschiff„Alan<br />

Kurdi“. (cd., dpa, AFP)<br />

Beim Mitgliedervotum über den SPD-Parteivorsitz setzen sich die Favoriten-Duos durch und ziehen in die Stichwahl ein<br />

VonAndreas Niesmann<br />

Die Spannung war groß, der<br />

Überraschungsfaktor niedrig.<br />

Mit einem erwartbaren Ergebnis ist<br />

die erste Etappe beim Mitgliedervotum<br />

über den SPD-Parteivorsitz zu<br />

Ende gegangen. Die Favoritenduos<br />

KlaraGeywitz und Olaf Scholz sowie<br />

Saskia Esken und Norbert Walter-<br />

Borjans haben das Rennen gemacht.<br />

Sieziehen in die Stichwahl ein.<br />

22,7 Prozent der Stimmen haben<br />

Geywitz und Scholz im ersten Wahlgang<br />

bekommen, 21 Prozent Esken<br />

und Walter-Borjans. Der Abstand ist<br />

gering, in absoluten Zahlen liegen<br />

nur 3500 Stimmen zwischen den<br />

Teams. Die Wahlbeteiligung fällt mit<br />

53 Prozent nicht überwältigend aus.<br />

Es ist 18.20 Uhr amSonnabend,<br />

als SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan<br />

diese Zahlen verkündet. Wobei<br />

Nietan nicht mit den Gewinnern,<br />

sondern mit den Verlieren der Abstimmung<br />

beginnt. Gesine Schwan<br />

und Ralf Stegner sind auf Rang sechs<br />

gelandet, 9,6 Prozent der SPD-Mitglieder<br />

stimmten für das älteste Duo<br />

Siegerduo: Klara Geywitz und Olaf Scholz<br />

bekamen 22,7 Prozent der Stimmen. AFP<br />

im Wettbewerb. Sachsens Integrationsministerin<br />

Petra Köpping und<br />

Niedersachsens Innenminister Boris<br />

Pistorius erreichen mit 14,6 Prozent<br />

Platz fünf, Umweltpolitikerin Nina<br />

Scheer und Gesundheitsexperte Karl<br />

Lauterbach mit ebenfalls 14,6 Prozent<br />

Rang vier. Nur 41 Stimmen liegen<br />

zwischen den beiden Teams.Die<br />

NRW-Landtagsabgeordnete Christina<br />

Kampmann und Außenstaatsminister<br />

Michael Roth kommen mit<br />

16,28 Prozent der Stimmen auf einen<br />

undankbaren dritten Platz. Natürlich<br />

ist die Enttäuschung bei denVerlierern<br />

groß. Ralf Stegner sieht ernst<br />

NorbertWalter-Borjans und Saskia Esken<br />

freuten sich über den zweiten Platz. IMAGO<br />

und blass aus,Karl Lauterbach wirkt<br />

in sich gekehrtund nachdenklich.<br />

Ganz anders die Sieger. Ersei „erleichtert“<br />

gibt Vizekanzler Scholz zu,<br />

das sei ein „guter Ausgangspunkt“ für<br />

den nächsten Wahlgang. Sie freue<br />

sich auf eine sachliche und faireAuseinandersetzung<br />

in der Stichwahl,<br />

sagt SPD-Vorstandsfrau Klara<br />

Geywitz. Beide betonen, dass sie<br />

keine Polarisierung in der Stichwahl<br />

anstreben. „Ich will die SPD zusammenführen,<br />

nicht spalten“, so Scholz.<br />

Gleichwohl wird die Debatte nun<br />

an Schärfe gewinnen. Das zweitplatzierte<br />

Duo, die baden-württembergi-<br />

sche Bundestagsabgeordnete Saskia<br />

Esken und der frühere NRW-Finanzminister<br />

Norbert Walter-Borjans genießen<br />

die Unterstützung von Juso-<br />

Chef und Scholz-Gegner Kevin Kühnert.<br />

Auch inhaltlich liegen zwischen<br />

den beiden Teams Welten. Geywitz<br />

und Finanzminister Scholz stehen für<br />

die Schwarze Null, Walter-Borjans<br />

und Esken wollen unter anderem ein<br />

500 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm<br />

für die Kommunen<br />

durchsetzen.<br />

Unddann ist da noch die GroKo.<br />

Scholz und Geywitz wollen bis zum<br />

Ende der Legislaturperiode mit der<br />

Union regieren. Saskia Esken sagt<br />

recht offen, dass sie das Bündnis beenden<br />

will. Walter-Borjans äußert<br />

sich nicht ganz eindeutig. Das Duo<br />

wird amEnde wohl mit der Forderung<br />

nach einem Austritt aus der<br />

GroKo in die Stichwahl ziehen. Die<br />

SPD hätte dann die Polarisierung, die<br />

Scholz vermeiden will. GroKo oder<br />

nicht GroKo, das wäre die Frage, die<br />

die Mitglieder in der zweiten Abstimmung<br />

zwischen dem 19. und dem 29.<br />

November beantworten müssten.<br />

Wechselt<br />

Gabriel zur<br />

Autoindustrie?<br />

Nach Berichten soll er<br />

Chef des VDA werden<br />

VonThomas Kaufner<br />

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar<br />

Gabriel ist nach Informationen<br />

der Bild am Sonntag Favorit für<br />

den Chefposten beim Verband der<br />

Automobilindustrie.„Gabriel ist zu 99<br />

Prozent sicher“, zitiertdie <strong>Zeitung</strong> einen<br />

nicht genannten Manager der<br />

Branche.Der ehemalige Vize-Kanzler<br />

sei der Wunschkandidat der Autokonzerne<br />

und der Zulieferer.<br />

Neben Gabriel soll die frühere<br />

CDU-Politikerin Hildegard Müller<br />

im Rennen sein, wie die Frankfurter<br />

Allgemeine Sonntagszeitung am<br />

Wochenende berichtete. Ihr werden<br />

laut Bild am Sonntag aber nur Außenseiterchancen<br />

eingeräumt. „Die<br />

Reihenfolge steht fest“, zitiert das<br />

Blatt informierte Kreise. Details sollen<br />

dem Bericht zufolge in der kommenden<br />

Woche mit Gabriel geklärt<br />

werden. „Sollten keine unüberbrückbaren<br />

Differenzen mit Gabriel<br />

auftreten, wird er der neue Präsident.“<br />

Der Posten des Spitzenlobbyisten<br />

der Autoindustrie muss neu besetzt<br />

werden, nachdem Bernhard Mattes<br />

im September seinen Rückzug zum<br />

Jahresende 2019 angekündigt hatte.<br />

DerfrühereFord-Manager ist erst seit<br />

März 2018 VDA-Präsident, seine<br />

Amtszeit lief eigentlich bis Ende 2020.<br />

Der VDA ist einer der einflussreichsten<br />

Lobbyverbände in<br />

Deutschland, die Autobranche mit<br />

mehr als 800 000 direkt Beschäftigten<br />

eine Schlüsselindustrie. Der Verband<br />

gilt als schwer zu führen, weil er die<br />

verschiedenen Interessen der Hersteller<br />

sowie der Zulieferer unter einen<br />

Hut bringen muss. Ihm wird zudem<br />

eine große Nähe zur Politik<br />

nachgesagt. Die Autoindustrie war<br />

wegen des Dieselskandals schwer unter<br />

Druck geraten.Weiteregroße Themen<br />

sind die Klimadebatte und der<br />

angepeilte Umbau des Autoverkehrs<br />

in Richtung E-Mobilität.<br />

Ist im Gespräch als nächster Chef-Lobbyist<br />

der Autobranche.<br />

DPA<br />

Laut Bild am Sonntag erhofft sich<br />

die Branche von Gabriel angesichts<br />

dieser Problemlagen „wieder mehr<br />

politisches und gesellschaftliches<br />

Gehör“. Gabriel war zuletzt bis März<br />

2018 Außenminister, davor Chef des<br />

Wirtschaftsressorts in Berlin –und<br />

hatte als Ministerpräsident des Autolandes<br />

Niedersachsen auch einen<br />

Sitz im Aufsichtsrat bei Volkswagen.<br />

Gabriel ist derzeit noch Abgeordneter<br />

des Bundestages für den Wahlkreis<br />

Salzgitter-Wolfenbüttel, wird<br />

sein Bundestagsmandat aber zum 1.<br />

November abgeben, wie er Ende<br />

September angekündigt hatte.<br />

Mit rechtlichen Problemen muss<br />

Gabriel nicht rechnen: Das Bundesministergesetz<br />

sieht lediglich vor,<br />

dass Mitglieder der Bundesregierung<br />

innerhalb der ersten 18 Monate<br />

nach ihrem Ausscheiden Tätigkeiten<br />

außerhalb des öffentlichen Dienstes<br />

anzeigen müssen.<br />

In der SPD hieß es am Wochenende<br />

lediglich, man wolle Spekulationen<br />

nicht kommentieren. Kritische<br />

Stimmen kamen von der Linken<br />

im Bundestag: „Wenn ein Ex-<br />

Wirtschaftsminister 2,5 Jahre später<br />

Chef-Autolobbyist werden soll, hat<br />

das einen üblen Beigeschmack“,<br />

schrieb Linken-Fraktionschef Dietmar<br />

Bartsch im Kurznachrichtendienst<br />

Twitter. (dpa)


6 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Wirtschaft<br />

NACHRICHTEN<br />

Nach Brexit keine<br />

höheren Handytarife<br />

Reisende mit deutschem Handyvertrag<br />

surfen unabhängig vomAusgang<br />

des Brexit-Dramas auch in Zukunft<br />

ohne Zusatzkosten in Großbritannien<br />

mit dem Smartphone im<br />

Internet. Diedreigrößten deutschen<br />

Mobilfunkanbieter teilten auf Anfrage<br />

mit, dass sie auch nach einem ungeregelten<br />

EU-Austritt dortzumindest<br />

vorerst keine sogenannten<br />

Roaminggebühren erheben werden.<br />

Solche Tarifaufschläge sind in den<br />

meisten Staaten außerhalb der EU<br />

üblich. Eine Sprecherin vonTelefónica<br />

sagte allerdings,dass sich bei<br />

Großbritannien nur „für eine Übergangszeit<br />

bis zum 31. Dezember<br />

2020“ nichts ändere. (dpa)<br />

Altmaier stellt<br />

Cloud „Gaia X“ vor<br />

Bundeswirtschaftsminister Peter<br />

Altmaier (CDU) will am Dienstag<br />

seine Pläne für eine europäische Datencloud<br />

präsentieren. Damit soll<br />

eine „leistungs- und wettbewerbsfähige,sichereund<br />

vertrauenswürdige<br />

Dateninfrastruktur für Europa“ geschaffen<br />

werden, heißt es in einem<br />

Papier des Wirtschaftsministeriums<br />

und der beteiligten Akteure. Nach<br />

Angaben des Ministeriums will Altmaier<br />

das Projekt unter dem Namen<br />

„Gaia X“ auf dem Digitalgipfel in<br />

Dortmund vorstellen. Unternehmen<br />

und Organisationen in Europa setzenbei<br />

ihren Cloudanwendungen<br />

bisher vorallem auf Anbieter aus<br />

den USA. (dpa)<br />

Weihnachtseinkauf ist<br />

für jeden Zweiten Stress<br />

An alles gedacht?Ein Mann beim<br />

Geschenkekauf. FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA<br />

Jeder zweite Verbraucher in<br />

Deutschland fühlt sich beim Weihnachtseinkauf<br />

gestresst. Vorallem<br />

fehlende Geschenkideen verderben<br />

vielen Bundesbürgerndie Festtagslaune.Das<br />

geht aus einer Umfrage<br />

der Analysefirma Periscope By<br />

McKinsey hervor. Immerhin 42 Prozent<br />

der befragten Verbraucher klagten<br />

darüber,gelegentlich nicht zu<br />

wissen, was sie kaufen sollen. Doch<br />

auch die Schwierigkeit, bestimmte<br />

Produkte aufzutreiben, und das Gedränge<br />

in den Geschäften verderben<br />

vielen die Festtagsfreude.Gut jeder<br />

Fünfte macht sich außerdem noch<br />

Sorgen, wie er denn das Geld für all<br />

die Geschenke zusammenbekommen<br />

soll. (dpa)<br />

GM-Mitarbeiter<br />

beenden Streik<br />

DerStreik beim größten US-Autobauer<br />

General Motors (GM) findet<br />

nach 40 Tagen ein Ende.Die Mitarbeiter<br />

haben einem neuen Tarifvertragzugestimmt,<br />

wie die Autogewerkschaft<br />

UAWmitteilte.Deshalb<br />

werdeder längste Ausstand in der<br />

US-Autoindustrie seit fast 50 Jahren<br />

beendet. Zahlreiche Beschäftigte<br />

des US-Autokonzerns hatten am 16.<br />

September nach gescheiterten Verhandlungen<br />

die Arbeit niedergelegt.<br />

Dernun erzielte Kompromiss sieht<br />

deutlich mehr Gehalt und erhebliche<br />

Boni vor. Zudemsicherte GM<br />

zu, mit milliardenschweren Investitionen<br />

Tausende US-Jobs zu erhalten.<br />

(dpa)<br />

Wasdie Kfz-Versicherung günstig macht<br />

Bis zum 30. November können Autobesitzer wechseln –wer gute Chancen auf bessere Konditionen hat<br />

Von Theresa Dräbing<br />

JedesJahrimHerbstsenkenKfz-<br />

Versicherer die Tarife für Neukunden.<br />

Bei den allermeisten<br />

Verträgen endet die Kündigungsfrist<br />

am 30. November.<br />

Mit günstigen Policen wollen Versicherer<br />

viele Wechselwillige anwerben.<br />

Autofahrer haben also gute<br />

Chancen, im kommenden Jahr ein<br />

wenig Geld zu sparen. Wer bisher<br />

einen eher teuren Tarif hatte, kann<br />

seinen Beitrag bei einem Wechsel<br />

womöglich deutlich senken.<br />

Zwar warnt der Bundesverband<br />

der Versicherten davor, nicht blind<br />

zum günstigsten Tarifzugreifen und<br />

genauso auf die Leistung zu achten,<br />

doch auch für die gleiche Leistung<br />

gibt es Spielraum beim Preis.Wie viel<br />

Autofahrer für eine Kfz-Versicherung<br />

zahlenmüssen,hängtnebendemallgemeinen<br />

Preisnachlass zur Wechselsaison<br />

nicht unwesentlich voneinigen<br />

individuellen Faktoren ab.<br />

Neben Alter,Wohnortund Fahrzeugmodell<br />

gibt es beispielsweise auch<br />

Tarife, die den Preis von der Anzahl<br />

der gefahrenen Kilometer abhängig<br />

machen oder vomFahrstil.<br />

Kilometeranzahl<br />

Autofahrer,dieimJahrnurwenigeKilometer<br />

zurücklegen, können davon<br />

preislich profitieren. So gibt es Policen,<br />

in denen sich die Versicherungssumme<br />

danach richtet, wie viele Kilometer<br />

tatsächlich gefahren werden.<br />

Laut einer aktuellen Untersuchung<br />

des Verbraucherratgebers „Finanztip“<br />

seien einige Tarife bei<br />

2000 Jahreskilometern teilweise<br />

deutlich günstiger als herkömmliche<br />

Tarife gewesen. „Bei 5000 Kilometern<br />

war der Preisvorteil aber meist schon<br />

dahin“, sagte Kathrin Gotthold, Versicherungsexpertin<br />

bei „Finanztip“.<br />

Um einen solchen Tarifnutzen zu<br />

können, benötigt das Auto allerdings<br />

einen sogenannten OBD2-Anschluss,<br />

mit dessen Hilfe die Anzahl<br />

der tatsächlich gefahrenen Kilometer<br />

an den Versicherer übertragen<br />

wird. Die Anschlüsse werden seit<br />

2004 in alle Neuwagen eingebaut.<br />

Fahrstil<br />

Überwachen lassen können Autofahrer<br />

auch ihren Fahrstil. Wer vorausschauender<br />

und somit risikoärmer<br />

fährt, zahlt weniger.Aufgezeichnet<br />

werden mittels GPS-Blackbox<br />

oder Telematik-App zum Beispiel<br />

Geschwindigkeit, Bremsverhalten<br />

oder Fahrverhalten in Kurven. Tatsächlich<br />

kann sich der Tarif lohnen,<br />

am ehesten aber nur für Jüngere, die<br />

aufgrund geringerer Fahrerfahrung<br />

sonst höher eingestuft worden wären.<br />

Laut Verbraucherzentrale Sachsen<br />

können Fahranfänger theoretisch<br />

bis zu 30 Prozent bei der Versicherungsprämie<br />

sparen. Allerdings<br />

warnen die Verbraucherschützer,<br />

dass es sich bei den Rabatten in der<br />

Regel um Spitzenwerte handelt, die<br />

nur schwer zu erreichen sind.<br />

Noch weiter geht Die Bayerische.<br />

Als erste Versicherung bietet sie seit<br />

Oktober einen Dashcam-Tarif an.<br />

30. November: Kfz-Versicherungsverträge<br />

sind in der Regel Jahresverträgeund verlängern<br />

sich automatisch, wenn Autohalter nicht<br />

kündigen. Bei einer üblichen Kündigungsfrist<br />

vonvier Wochen liegt der Termin also am<br />

30. November.Bis dahin muss eine Kündigung<br />

schriftlich per Post eingegangen sein.<br />

mehr als 50 Prozent. 88 Prozent der<br />

befragten Händler hätten angegeben,<br />

dass sich die Berichte aus den<br />

USA negativ ausgewirkt hätten. „Viele<br />

Kunden befinden sich in einer<br />

Zwickmühle“, sagte Dahlmann. „Wir<br />

beobachten den Trend, dass infolge<br />

der Vorfälle in den USA Dampfer zurück<br />

zur Tabakzigarette wechseln<br />

und wieder Raucher werden.“ Was<br />

fatal für die sei, die vomRauchen loskommen<br />

wollen.<br />

Die Krankheitsfälle seien ausschließlich<br />

in den USA aufgetreten.<br />

In Europa gebe es keinen Verdachtsfall,<br />

sagte Dahlmann. In derEUgebe<br />

KÜNDIGUNGSFRISTEN<br />

Sonderkündigungsrecht: Informiertder Versicherer<br />

über eine Beitragserhöhung,hat der<br />

Kundeein Sonderkündigungsrecht vonvier<br />

Wochen ab Erhalt des Schreibens. Die gleiche<br />

Frist gilt nach einem Schadensfall. Auch<br />

dann kann sich der Versicherungskunde entscheiden,<br />

den Vertrag zu kündigen.<br />

Einbruch bei E-Zigaretten<br />

esfürDampfproduktespätestensseit<br />

Einführung der Tabakproduktrichtlinie<br />

klareRegelnfür Inhaltsstoffe.<br />

Nach jüngsten Angaben der US-<br />

Gesundheitsbehörde CDC gab es<br />

bisher 34 Todesfälle im ZusammenhangmitdemKonsumvonelektronischen<br />

Zigaretten. Zudem gebe es<br />

rund 1600 bestätigte Erkrankungen.<br />

Zuletzt gab es Hinweise, dass dabei<br />

THC-Produkte eine Rolle spielen<br />

könnten. Tetrahydrocannabinol<br />

(THC) steckt in Cannabis und ist<br />

hauptsächlich für die berauschende<br />

Wirkung der Droge verantwortlich.<br />

Neueste Erkenntnisse legen nahe,<br />

GRAFIK: SASCHA JAECK<br />

Wereine Überwachungskamera im<br />

Wagen anbringt, die auf die Straße<br />

gerichtet ist, erhält einen Versicherungsrabatt<br />

von 15Prozent. Da die<br />

Kamera indirekt auch das eigene<br />

Fahrverhalten aufzeichne, bewirke<br />

der Einsatz einer Dashcam generell<br />

ein bewussteres, weniger risikoreiches<br />

Fahren, so die Idee des Versicherers.<br />

Fahrzeugmodell<br />

Leichter noch als anhand des Fahrverhaltens<br />

ist es für Versicherer, das<br />

Unfallrisiko anhand des Fahrzeugtyps<br />

abzuschätzen. So werden Fahrzeugmodelle<br />

jährlich beispielsweise<br />

vom Gesamtverband der Deutschen<br />

Versicherungswirtschaft (GDV)nach<br />

ihrer Schadensbilanz ausgewertet. In<br />

der Kfz-Haftpflichtversicherung<br />

unterscheiden die Statistiker 16 Typklassen.<br />

Je höher die Typklasse,desto<br />

teurer ist die Versicherung.<br />

So hat ein Seat Arona 1.0 mit der<br />

Einstufung zwölf eine vergleichsweise<br />

niedrige Klasse,während ein BMW<br />

X6 Minder Klasse 24 weit höher eingestuft<br />

wird. Verbraucher können die<br />

aktuellen Typklassen online unter<br />

typklasse.de einsehen. Insgesamt<br />

werden laut GDV6,5 Millionen Autofahrer<br />

kommendes Jahr höher eingestuft,<br />

während rund 4,6 Millionen<br />

durch eine niedrigere Klasse als zuvorprofitieren.<br />

Regionalklasse<br />

Auch der Wohnorthat Auswirkungen<br />

auf die Höhe der Kfz-Versicherungsprämie.Und<br />

auch hierzu erstellt der<br />

GDV jährlich eine Statistik. Dabei<br />

geht es darum, in welchen Regionen<br />

Autofahrer die meisten Unfälle verursachen,<br />

es also statistisch eine höhere<br />

Wahrscheinlichkeit gibt, dass<br />

der Versicherer auch im nächsten<br />

Jahr einspringen muss.Daessich als<br />

Großstadtbewohner in Berlin „gefährlicher“<br />

lebt als beispielsweise auf<br />

dem platten Land, müssen Hauptstädter<br />

mehr zahlen.<br />

Nicht zu jungund nicht zu alt<br />

Während Fahranfänger in einem<br />

„normalen“ Kfz-Versicherungstarif<br />

tendenziell mehr zahlen müssen, gilt<br />

das ebenso für Autobesitzer ab<br />

65 Jahren. „Wer mit 75 Jahren noch<br />

hinter das Steuer steigt, zahlt schnell<br />

60 Prozent mehr als ein vergleichbarer<br />

Fahrer im Alter von 55Jahren“,<br />

heißt es in einer Untersuchung des<br />

Verbraucherratgebers „Finanztip“.<br />

Ausgleichen kann sich dieser Wert<br />

aber bei einem hohen Schadenfreiheitsrabatt.<br />

WeitereFaktoren<br />

NebenAlterundWohnortgibtesaber<br />

auch Bestandteile, die man leichter<br />

beeinflussen kann. So kann es sich<br />

auch schon lohnen, für dieTeil- und<br />

Vollkaskoversicherung eine höhere<br />

Selbstbeteiligung zu vereinbaren,<br />

das senkt den Kfz-Versicherungsbeitrag.<br />

DasGleiche gilt,wenn der Versicherte<br />

einer Werkstattbindung zustimmtundsichfüreinejährlicheanstatt<br />

für eine monatliche Zahlungsweise<br />

entscheidet.<br />

Diskussion um Todesfälle in den USA drückt Absatzauch in Deutschland–trotzstrengererVorgaben hierzulande<br />

Von André Stahl<br />

Nach den Todesfällen in den USA<br />

im Zusammenhang mit E-ZigarettenwächstderDruckaufdieBranche<br />

in Deutschland. Händler melden<br />

nachAngabendesBündnissesfürTabakfreien<br />

Genuss (BFTG) seit einigen<br />

Wochen erhebliche Umsatzeinbußen.<br />

„Kunden sind verunsichert“,<br />

sagte BFTG-Chef Dustin Dahlmann.<br />

Eine Umfrage unter gut<br />

600 Händlernvon E-Zigaretten habe<br />

ergeben, dass mehr als die Hälfte<br />

Umsatzrückgänge von30bis 40 Prozent<br />

verzeichne, fast ein Fünftel<br />

dassvorallemTHC-haltigeProdukte,<br />

die teilweise über illegale Händler<br />

bezogen worden seien, mit den meisten<br />

Fällen in Verbindung stünden.<br />

Die herkömmliche E-Zigarette<br />

habe nichts mit den Erkrankungen in<br />

denUSAzutun,sagteDahlmann.Mit<br />

Blick auf die Vorfälle in den USA erklärte<br />

Andreas Hensel, Chef des Bundesinstituts<br />

für Risikobewertung:<br />

„Konsumenten von E-Zigaretten in<br />

Deutschland drohen nach aktuellem<br />

Kenntnisstand keine erhöhten Risiken,<br />

sofernsie Produkte verwenden,<br />

die europäischen und deutschen Regelungen<br />

entsprechen.“ (dpa)<br />

Grüne fordern<br />

mehr<br />

ICE-Sprinter<br />

Bahnsoll innerdeutsche<br />

Flugreisen ersetzen<br />

Von Sascha Meyer<br />

In der Debatte um mehr Klimaschutz<br />

dringen die Grünen auf<br />

einen Ausbau schneller ICE-Verbindungen<br />

zwischen großen Städten.<br />

„Mit der Verlagerung voninnerdeutschem<br />

Flugverkehr auf die Schiene<br />

brauchen wir nicht zu warten“, sagte<br />

Grünen-Bahnexperte Matthias Gastel.<br />

Dieüberwiegende Zahl der heutigen<br />

Flugverbindungen innerhalb des<br />

Landes ließe sich durch Bahnfahrzeiten<br />

vonknapp unter vier Stunden ersetzen.<br />

Mit sogenannten ICE-Sprintern<br />

auf nachfragestarken Strecken könnte<br />

für fast drei Viertel der knapp<br />

24 Millionen innerdeutschen Fluggäste<br />

eine Alternative bereitgestellt<br />

werden, heißt es in einem Konzeptpapier<br />

mehrerer Grünen-Verkehrspolitiker.<br />

Auf verschiedenen Verbindungen<br />

zwischen deutschen MetropolenfahrenbereitsICE-Sprinter,die<br />

schneller ans Ziel kommen als normale<br />

ICE. Dabei entstehen die kürzeren<br />

Reisezeiten durch einen hohen<br />

Anteil an Schnellfahrstrecken und<br />

weniger Unterwegshalte. Die bundeseigene<br />

Deutsche Bahn plant auch<br />

weitere Sprinterverbindungen, etwa<br />

ab Ende 2023 zwischen Berlin und<br />

Köln, wie eine Sprecherin erläuterte.<br />

Reisezeit unter vierStunden<br />

Für eine Verlagerung des Flugverkehrs<br />

sei es wichtig, dass Züge die<br />

Vier-Stunden-Marke unterbieten,<br />

heißt es im Papier der Grünen. Eine<br />

Reisezeit vonknapp unter vier Stunden<br />

auf der Schiene gelte als gerade<br />

noch konkurrenzfähig, wenn die Reisekette<br />

beim Fliegen ein Zeitbudget<br />

vonetwas mehr als drei Stunden beansprucht<br />

–also mit An- und Abreise<br />

zum und vom Flughafen, Einchecken,<br />

Sicherheitskontrollen und<br />

einem Zeitpuffer für mögliche Verzögerungen.<br />

Aber auch die Tarifgestaltung<br />

sei ein Faktor bei der Wahl des<br />

Verkehrsmittels.<br />

Schonheutewärenkonkurrenzfähige<br />

Sprinterverbindungen auf vielen<br />

aufkommenstarken Flugstrecken<br />

möglich, erläutern die Grünen-Experten.<br />

Es gebe „kein Fahrzeitproblem,<br />

sondern vor allem ein Angebots-<br />

und Qualitätsproblem“. Nötig<br />

seien auch deutliche Verbesserungen<br />

bei Pünktlichkeit, Service und<br />

der Verfügbarkeit vonMobilfunk und<br />

Internet. Dies sei vor allem für Geschäftsreisende<br />

wichtig.<br />

Mit ICE-Sprintern unter die Vier-<br />

Stunden-Marke zu drücken wären<br />

etwa Verbindungen von Berlin nach<br />

KölnundDüsseldorf.Prioritätbeider<br />

Beschleunigung der wichtigen Ost-<br />

West-Achse von Rhein und Ruhr<br />

nach Berlin sollten höhereStreckengeschwindigkeiten<br />

östlich von Hannover<br />

haben. Für Sprinter ab Hamburg<br />

sei vor allem eine Fahrzeitverkürzung<br />

auf dem Abschnitt bis nach<br />

Hannover wichtig. Auch für mehr<br />

Sprinterverbindungen müssten die<br />

Bundesmittel für den Neu- und Ausbau<br />

schrittweise auf 3 Milliarden<br />

Euro im Jahr erhöht werden, fordern<br />

die Grünen-Verkehrspolitiker. Mehr<br />

Sprinter sollten in den Deutschland-<br />

Takt eingebaut werden. (dpa)<br />

Der ICE-Sprinter fährtinknapp vier Stunden<br />

bereits nach München. FOTO: SVEN HOPPE/DPA


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 7· ·<br />

·······················································································································································································································································································<br />

Wirtschaft<br />

„Es ist nicht egal, wer am Schalter sitzt“<br />

Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz fordert ein digitales Zahlungssystem für Europa<br />

Der Zahlungsverkehr wird<br />

digital – und Burkhard<br />

Balz befürchtet, dass die<br />

Europäer dabei von anderen<br />

abhängig werden. Der Bundesbank-Vorstand<br />

fordert die Geldbranche<br />

zu einer großen gemeinsamen<br />

Anstrengung auf.<br />

In einigen Ländern zahlt man praktischnurnochmitdemHandy,aberin<br />

Deutschland schreibt man die IBAN<br />

mit 22 Stellen auf Überweisungsträger.<br />

Sind wir im Zahlungsverkehr<br />

noch auf der Höhe der Zeit, Herr Balz?<br />

Andere sind sicher weiter, und es<br />

muss in Europa einiges passieren.<br />

Aber wir haben mit der PSD2-Richtlinie<br />

einen wichtigen Schritt gemacht.<br />

Damit bereiten wir die Kontoverbindungen<br />

auf die neue digitale Welt vor,<br />

in der Daten eine überragende Rolle<br />

spielen. Es war nie so viel los im Zahlungsverkehr<br />

wie jetzt.<br />

Das nutzen bisher vor allem Branchenfremde<br />

–etwa Apple und Google.<br />

Für die Banken wirdessicher eine<br />

Herausforderung. Andere können<br />

jetzt auf ihreKundendaten zugreifen<br />

–wenn der Kunde das erlaubt. Am<br />

Anfang waren die Institute deshalb<br />

relativ ablehnend, aber jetzt sieht<br />

man auch die Chancen. Schließlich<br />

müssen sie das Feld nicht den Wettbewerbernüberlassen.<br />

Die Abwehrversuche wirken ein bisschen<br />

hilflos. Es ist ein Wirrwarr aus<br />

digitalen Zahlungssystemen entstanden.<br />

Giropay,Girogo,Paydirekt, Kwitt<br />

–dasteigt niemand mehr durch. Und<br />

nichts davon kommt großen Konkurrenten<br />

wie Paypal oder Apple Pay<br />

auch nur nahe.<br />

Umsowichtigeristjetzteinegroße<br />

gemeinsame Anstrengung. Die großen<br />

Anbieter müssen sich an einen<br />

Tisch setzen und ein gemeinsames<br />

System entwickeln. Sonst werden sie<br />

in einem globalisierten Zahlungsverkehr<br />

bald keine Rolle mehr spielen.<br />

Aus den USA kommen Paypal, Google<br />

Pay, Apple Payund das Facebook-<br />

Projekt Libra, in China zahlt die<br />

Mehrheit längst mit Wechat Payoder<br />

Alipay.Dortwerdengerade weltweite<br />

Standards gesetzt, und wir sollten<br />

uns nicht komplett vonden USA und<br />

Asien abhängig machen. Wir brauchen<br />

ein gemeinsames digitales Zahlungssystem<br />

für Europa. Als ich in<br />

China im Restaurant einmal mit meiner<br />

Kreditkarte zahlen wollte, hat<br />

michdieBedienungvölligentgeistert<br />

angesehen. Nach einigem Hin und<br />

Herhat sie dann Bargeld akzeptiert–<br />

„ausnahmsweise“, wie sie sagte.<br />

GooglePay und andere preschen vor,hiesige Banken fallen zurück.<br />

ZUR PERSON<br />

FOTO: JENS BÜTTNER/DPA<br />

Burkhard Balz ist seit gut einem Jahr Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und zuständig<br />

für den Zahlungsverkehr und Internationales. Der 50-Jährigehat nach einer Banklehre<br />

Jura studiertund zehn Jahre bei der Commerzbank gearbeitet. Von2009 bis 2018 saß er für<br />

die CDU im Europaparlament, wo Bankenaufsicht und die Überwachung der Ratingagenturen<br />

seine Schwerpunktthemen waren. Balz lebt mit seiner Familie in Stadthagen bei Hannover.<br />

Warum tut sich Europa bei dieser Entwicklung<br />

so schwer?<br />

DieTechnologie ist da, mit Instant<br />

Pay haben wir eine technische Basis<br />

für sofortige Überweisungen. Das<br />

Problem ist die Vielfalt der nationalen<br />

Systeme. InDeutschland gibt es<br />

die Girocard, in Frankreich die Carte<br />

Bancaire und so weiter –die grenzüberschreitende<br />

Abwicklung in<br />

Europa aber funktioniert nur über<br />

internationale Kartensysteme. Wir<br />

müssen strikt europäisch denken.<br />

Ich sehe Deutschland und Frankreich<br />

hier in einer Schlüsselrolle.<br />

Die Staaten sollten ein europäisches<br />

Zahlungssystem aufbauen?<br />

Nein, das sollte auf privatwirtschaftlicher<br />

Ebene passieren. Wir<br />

motivieren die Anbieter, also vor allem<br />

die Banken, sehr stark, hier eigene<br />

Wege zu gehen.<br />

Ein System aller Anbieter? Wassagen<br />

da die Kartellbehörden?<br />

Dasist eine der großen Herausforderungen,<br />

in der EU sind die Hürden<br />

sehr hoch. Ich habe aber den Eindruck,<br />

dass auch die Kartellbehörden<br />

inzwischen bei diesem Thema offener<br />

zuhören.<br />

Wenn Europa solche Gemeinschaftsprojekte<br />

versucht, dauertesinder Regel<br />

zehn Jahre.<br />

DieZeithaben wir nicht. Ichspreche<br />

über Monate,vielleichtein Jahr.<br />

Paydirekt ist ein Flop.Jetzt istdie Rede<br />

davon,dassdiedeutscheGeldbranche<br />

einen neuen gemeinsamen Standard<br />

entwickelt, Arbeitstitel „X-Pay“. Ist<br />

das der richtige Weg?<br />

Daswäreein Anfang.Esmuss erst<br />

einmal ein deutsches System aufgebaut<br />

werden, da sind die Anbieter<br />

nach meinem Eindruck relativ weit.<br />

Dernächste Schritt muss dann möglichst<br />

bald ein europäisches System<br />

sein. Dazu gehörtauch, dass wir eine<br />

eigene starke Markekreieren.<br />

Warum ist das Thema so wichtig? Am<br />

Ende geht es um technische Abläufe,<br />

von denen kaum jemand etwas<br />

merkt. Undsie funktionieren doch.<br />

Zahlungsverkehrssysteme sind<br />

Infrastruktur,soetwas wiedie Adern<br />

eines Wirtschaftssystems. Die Bundesregierung<br />

hat vor Jahren einmal<br />

die lebensnotwendigen Funktionen<br />

des Staates definiert, und der Zahlungsverkehr<br />

gehörte dazu. Wenn er<br />

nun digitalisiert wird, gewinnen<br />

neue Mitspieler Einfluss. Esist eben<br />

nicht egal, werdaamSchalter sitzt.<br />

Systeme wie Apple Pay und Google<br />

Paysind Apps, mit denen man Konten<br />

bedient. Wo istdas Problem?<br />

Zum Beispiel geht es um die Abschöpfung<br />

unglaublicher Datenmengen.<br />

Europa hat zum Glück<br />

einen sehr wirksamen Datenschutz.<br />

Im Moment sind die großen Anbieter<br />

aber auf anderen Kontinenten heimisch,<br />

in anderen Wirtschaftssystemen<br />

mit anderem Verständnis von<br />

Datenschutz. Ich habe per se nichts<br />

gegenandereZahlungsanbieter,aber<br />

es wärestrategisch gut, wenn es eine<br />

europäische Alternative gäbe. Europäische<br />

Unternehmen und Verbraucher<br />

sollten die Auswahl haben.<br />

DasGespräch führte Stefan Winter.<br />

Ein Prost auf die Krise<br />

In Griechenland boomen kleine Brauereien<br />

Von Alexia Angelopoulou<br />

W ennAlbrechtsagt,dassdasBier<br />

schmeckt, dann hat Thanasis<br />

Misaltis alles richtig gemacht.<br />

Schließlich ist sein deutscher<br />

Schwiegervater aus Berlin ein Kenner.<br />

„Wann immer ich mit meiner<br />

Frau hinreise, bringen wir unsere<br />

neusten Kreationen mit und verkosten<br />

sie gemeinsam“, sagt der 39 Jahre<br />

alte Craftbeer-Brauer aus Nordgriechenland.<br />

Thanasis ist einer von<br />

rund 80 griechischen Mikrobrauern.<br />

DieSzene boomt nicht zuletzt wegen<br />

der ausländischen Touristen, allen<br />

vorandie Deutschen.<br />

KeineFrage,dassauchSchwiegervater<br />

Albrecht den kleinen Ort Valta<br />

auf der Halbinsel Chalkidiki besucht.<br />

Dorthaben Thanasis und seine Frau<br />

Christina das Bier Valtinger entwickelt<br />

–der Ortsname Valta gemixt mit<br />

der deutschen Endung ist eine Hommage<br />

an die Braukunst hoch im Norden.<br />

Thanasis’ Motto: „Als deutsche<br />

Erfahrung auf griechische Leidenschaft<br />

traf, wurde Valtinger geboren.“<br />

Das Reinheitsgebot halten die<br />

griechischen Kleinstbrauer in Ehren,<br />

gleichzeitig aber sind sie sehr auf ihre<br />

Herkunft bedacht. Ob Sifnos,SkopelosoderKefalonia,obSantorin,Chios<br />

oder Kreta –lokal denken, lokal trinken<br />

lautet die Devise. Und das erst<br />

seit wenigen Jahren, denn die griechische<br />

Craftbeer-Szene hat erst<br />

während der griechischen Finanzkri-<br />

se so richtig Fahrtaufgenommen. „Es<br />

gab einfach keine Jobs mehr, und so<br />

haben die jungen Leute angefangen,<br />

zu Hause Bier zu brauen“, sagt Konstantin<br />

Stergides, einer der Co-Initiatoren<br />

des ersten Craftbeer-Festivals<br />

Griechenlands am vergangenen Wochenende<br />

in Athen.<br />

Während der Krise seien viele junge<br />

Menschen in die Landwirtschaft<br />

zurückgekehrt, zu Olivenöl, Honig,<br />

Käse und eben auch Bier,sagt Stergides.<br />

Dabei helfen die Touristen, vor<br />

allemBesucherausDeutschlandund<br />

Großbritannien: Sie seien es, die im<br />

Urlaub gern lokale Produkte und lokales<br />

Bier bestellten. Nicht ganz so<br />

einfach, denn der griechische Biermarkt<br />

liegt zu gut 85 Prozent in den<br />

Händen internationaler Größen wie<br />

Amstel, Carlsberg und Heineken –<br />

auch wenn auf den Flaschen griechische<br />

Namen wie Mythos stehen.<br />

Die Kleinbrauerszene nutzt die<br />

Freiheit ihrer Nische und ist sehr<br />

kreativ, sagt Steriades. „Wir orientieren<br />

uns am Reinheitsgebot, aber<br />

unsere griechischen Gesetze sind<br />

nicht so streng wie die deutschen.“<br />

Die Kleinstbrauer trieben die Aromen<br />

durchaus in die Extreme, unter<br />

anderem mit Kräutern, aber auch<br />

Kaffee oder fruchtiger Zitrone,Mango,Maracuja.<br />

DerTrick bei Letzteren:<br />

Es wird keine Frucht hinzugefügt,<br />

sondern die Dolden spezieller Hopfenpflanzen<br />

– dem Reinheitsgebot<br />

wirdalso Genüge getan. (dpa)<br />

SCHMALER<br />

ALS DU DENKST<br />

GÜNSTIGER<br />

ALSDUDENKST<br />

UNDLEISTUNGSSTARKWIE ERWARTET:<br />

DIE NEUE AUTOVERSICHERUNG DERALLIANZ.<br />

BREITER<br />

ALS DU DENKST<br />

JetztAngeboteinholen.<br />

BeiDeinerAllianz vorOrt<br />

oder aufallianz.de/kfz<br />

MITWERKSTATTBONUS<br />

20%<br />

KASKOBEITRAG SPAREN<br />

Jungbrauer Thanasis Misaltis (39) zapftsein Valtinger-Bier.<br />

FOTO: ALEXIA ANGELOPOULOU/DPA


8* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Meinung<br />

Landtagswahl<br />

ZITAT<br />

Vergesst die<br />

Denkverbote<br />

Jochen Arntz<br />

denkt, dass inThüringen jetzt Linke<br />

und CDU miteinander reden sollten.<br />

Bodo Ramelow, ein Linker,hat dieWahl<br />

in Thüringen gewonnen. Zum ersten<br />

Malinder Geschichte Deutschlands nach<br />

der Wiedervereinigung ist die Linke<br />

stärkste Partei in einem Bundesland geworden.<br />

Björn Höcke, ein Mann der äußersten<br />

Rechten, ist ein weiterer großer Gewinner<br />

dieser Wahl. DieAfD,die in Thüringen besonders<br />

radikal, ja rechtsradikal ist,<br />

konnte in dem Bundesland ihr Ergebnis<br />

mehr als verdoppeln, verglichen mit der<br />

vorangegangenen Landtagswahl.<br />

Bodo Ramelowist ein Gewinner,Björn<br />

Höcke ist ein Gewinner.Die Linke und die<br />

AfD können feiern. Und das ist ein Problem,<br />

nicht nur für Thüringen.<br />

Denn regieren lassen sich mit diesem<br />

polarisierten Ergebnis ein Land und eine<br />

Gesellschaft kaum. Nach vorne bringen<br />

wohl schon gar nicht. Zukunft macht man<br />

nicht mit Spaltung, das ist klar. Doch das<br />

politische Bild in Thüringen zeigt ganz<br />

deutlich das Bild einer aufgesprengten<br />

Gesellschaft.<br />

Nur: Es ist natürlich andererseits auch<br />

sehr demokratisch, wenn die Wähler in<br />

Thüringen sich nicht so einheitlich verhalten,<br />

wie es Politiker,die unkompliziert<br />

eine Regierung bilden wollen, sich das<br />

wünschen würden. Das Ergebnis der<br />

Landtagswahl spiegelt die Vielschichtigkeit<br />

eines ostdeutschen Bundeslandes<br />

sehr genau wider.<br />

Es ist ein sehr ehrliches Ergebnis, das<br />

allerdings,wenn man auch nach der Wahl<br />

ehrlich ist, die Frage aufwirft, für wenund<br />

wie eine zukünftige Landesregierung<br />

überhaupt Politik machen will. Wenn Ramelow<br />

esschafft, wieder eine Regierung<br />

zusammenzubringen, dann muss er sich<br />

bewusst sein, dass die schärfsten Antipoden<br />

seiner Linken, nämlich die AfD-Abgeordneten,<br />

über nicht viel weniger Sitzeim<br />

Thüringer Landtag verfügen als Ramelows<br />

Partei selbst.<br />

Es wird überall<br />

komplizierter, eswird<br />

aber auch überall<br />

ehrlicher in der Politik.<br />

Das ist die Bilanz der<br />

Thüringen-Wahl.<br />

Rein rechnerisch verfügten die Linke<br />

und Höckes Partei in Thüringen ja über<br />

eine komfortable Mehrheit –nur dass sie<br />

selbstverständlich keine Gemeinsamkeiten<br />

haben.<br />

Wenn Bodo Ramelow also regieren<br />

will, weil er der Sieger ist, und wenn die<br />

AfD in Thüringen nicht nur rechnerisch<br />

gekontertwerden soll –wenn dieses Land<br />

eine stabile Regierung jenseits des<br />

Rechtsextremismus bekommen soll,<br />

dann darf es jetzt keine der üblichen<br />

Denkverbote mehr geben.<br />

Dann müssen in Thüringen jetzt zwei<br />

Parteien miteinander reden, die das nicht<br />

wollten, beziehungsweise es ausgeschlossen<br />

hatten: die CDU und die Linke.Denn<br />

das wärejaauch ein Beispiel an Demokratie,wenn<br />

man nach derWahl noch einmal<br />

nachdenkt, ob man nicht doch das tun<br />

sollte,was man eigentlich nicht wollte: in<br />

diesem Fall eine Regierung aus Linken<br />

und Konservativen zu bilden.<br />

Eine ungewöhnliche Regierung, die<br />

Thüringen erst mal davor schützt unregierbar<br />

zu werden –und auch die Chance<br />

böte,aus dem üblichen Lagerdenken auszubrechen<br />

und die zunehmende Polarisierung<br />

im Land zu überwinden.<br />

Bodo Ramelow, der eher pragmatische<br />

Linke, hatte das übrigens nie ganz ausgeschlossen,<br />

wenn man sich richtig erinnert.<br />

Es wäre jetzt wohl vor allem an der<br />

CDU in Thüringen –und sicherlich auch<br />

an der CDU in Berlin –sich der Aufgabe zu<br />

stellen, Denkverbote aufzugeben und Polarisierungen<br />

zu überwinden.<br />

Um eine Gesellschaft und die Zukunft<br />

nicht jener Kraft zu überlassen, die nur an<br />

die Polarisierung glaubt: der AfD<br />

Sehr berechtigte Frage<br />

Am 9.November 1989 drückten die<br />

Ost-<strong>Berliner</strong> nach einer verhaspelten<br />

Pressekonferenz die Mauer in<br />

die Freiheit auf. Ich saß in dieser<br />

Nacht heulend vordem Fernseher und hatte<br />

viele Schlüsselbunde zu bewachen. Meine<br />

Nachbarngingen alle mal schnell nachWest-<br />

Berlin, sie wollten mal schauen und hofften,<br />

dass nichts Schlimmes passiert. Ich traute<br />

der Sache nicht und blieb bei den Kindern.<br />

Ein Haus, zwölf Wohnungen, viele schlafende<br />

Kinder,einschließlich meiner Tochter.<br />

Wir hatten in Deutschland das Glück,<br />

dass uns die große Schwester die Hand<br />

reichte und wir dann als ostdeutsche Länder<br />

Teil der Familie wurden. Das größte Geschenk<br />

haben uns die Alliierten gemacht,<br />

auch sie entließen uns in die Selbstständigkeit<br />

und in eine größereaußenpolitischeVerantwortung.<br />

Daswar damals nicht selbstverständlich<br />

und wie wir heute wissen, gab es<br />

wirklich nur dieses kurze Zeitfenster, diese<br />

Zeit, in der sich alles überschlug, in der alle<br />

Ideen schon beim Aufschreiben veralteten.<br />

Diese Zeit mussten wir nutzen.<br />

Der Wunsch nach einer gemeinsamen<br />

deutschen Verfassung konnte sich nicht erfüllen.<br />

Dafür haben sich viele Bürgerinnen<br />

und Bürger mit ihren Vorschlägen, Ideen und<br />

mit ihrer Leidenschaft in die Verfassungsgestaltung<br />

ihrer jeweiligen Länder eingebracht.<br />

Auch die Ideen des Runden Tisches flossen<br />

mit ein. Zahlreiche Experten aus den Partnerländern<br />

gaben Anregungen und berichteten<br />

von ihren Erfahrungen. Ich gebe es zu: Noch<br />

nie im Leben habe ich mich so mit Kollegen<br />

gefetzt und gestritten wie in den 90er-Jahren<br />

in der Staatskanzlei des Landes Brandenburg.<br />

Ich habe mich als Ostdeutsche nicht<br />

selten diskriminiert gefühlt, musste „Anpassungsfortbildungen“<br />

machen und wurde<br />

ständig irgendwie überprüft. Aber im Unterschied<br />

zu früher konnte ich mich fetzen,<br />

ohne Gefahr zu laufen, rausgeschmissen zu<br />

werden. DieFronten verliefen auch nicht immer<br />

Ost gegen West, sondern Frauen gegen<br />

Berlin ist nicht gerade als Erfinderhauptstadt<br />

bekannt. Weil mir als lokale Innovationen<br />

auf Anhieb nur Currywurst und<br />

Döner Kebab einfielen, habe ich mal intensiv<br />

drei Sekunden lang im Internet recherchiert<br />

und herausgefunden, dass hier außerdem<br />

der Computer, das Teelicht sowie das nahtlose<br />

Kondom erfunden worden sind. Immerhin.<br />

Damit hat Berlin doch alles hervorgebracht,<br />

was man so für ein gelungenes Internetdate<br />

braucht.<br />

Heutzutage heißen Erfinder in dieser<br />

Stadt Start-up-Founder und denken sich<br />

zum Beispiel Onlineangebote aus,die in den<br />

USA bereits erfolgreich waren, nur jetzt eben<br />

halt auf Deutsch. Dafür bekommen sie Investorengelder<br />

und staatliche Subventionen<br />

und erfinden dann Steuerschlupflöcher sowie<br />

immer noch schlechtere Arbeitsbedingungen.<br />

Manche Neuentdeckungen werden aber<br />

erst später in ihrer ganzen Wichtigkeit erkannt.<br />

Dass Sildenafil etwa, der Wirkstoff in<br />

Viagra, gegen Erektionsstörungen hilft, kam<br />

eher zufällig heraus. Eigentlich sollte es nur<br />

den Blutdruck senken. Tatsächlich aber kann<br />

Sildenafil unter Umständen noch besser zu<br />

einem gelungenen Onlinedate beitragen als<br />

ein Teelicht.<br />

Nun wurde auch in Berlin Tegel etwas erfunden,<br />

dessen Tragweite uns noch gar nicht<br />

richtig bewusst geworden ist. Dabei könnte<br />

es uns helfen, die 2,5 Prozent der weltweiten<br />

CO 2 -Emissionen einzusparen, die durch die<br />

kommerzielle Luftfahrt verursacht werden.<br />

Zehn Debatten in zehn Wochen.<br />

Die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>,der Tagesspiegel und dieBundeszentrale<br />

für politische Bildung feiern30Jahre Meinungsfreiheit.<br />

Diese Woche: Sind wir ein Land?<br />

Argumente und Ideen bitte an<br />

leser-blz@dumont.de; Stichwort: Meinungsfreiheit<br />

Alle Debatten online unter<br />

berliner-zeitung.de/meinungsfreiheit<br />

Einig in die<br />

Zukunft<br />

Martina Weyrauch<br />

ist Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische<br />

Bildung.Die deutsche Einheit sieht sie als Verantwortung.<br />

KOLUMNE<br />

Wieder Flughafen<br />

Tegel unser Klima<br />

rettet<br />

Katja Berlin<br />

Autorin<br />

Ich komme gerade aus meinem verspäteten<br />

Sommerurlaub in Italien zurück und wundere<br />

mich, dass hier noch niemand das Potenzial<br />

dieses Flughafens erkannt hat.<br />

Tegel war ja ursprünglich nur für einen<br />

Bruchteil der 22 Millionen Fluggäste ausgelegt,<br />

die letztes Jahr abgefertigt wurden. Aber<br />

wenn dieser Flughafen etwas kann, dann<br />

Leute abfertigen. Und wie! Wer den Fehler<br />

begeht, nicht nur mit Handgepäck zu reisen,<br />

BERLINER ZEITUNG/HEIKO SAKURAI<br />

Männer, Jung gegen Alt oder entlang unterschiedlichster<br />

Überzeugungen. Und ja–in<br />

diesem Streiten, in diesem Ringen um den<br />

besten Wegund auch um die eigene Würde,<br />

wuchs so etwas wie gemeinsame Verantwortung.<br />

Gemeinsame Verantwortung über alles<br />

Trennende,alle Unterschiede hinweg.<br />

Undauch schon 1999, zehn Jahrenach der<br />

friedlichen Revolution, die Frage: „Sind wir<br />

ein Land, sind wir einVolk?“ –womit ja immer<br />

wieder die Sehnsucht verknüpft ist, alles wird<br />

gut, irgendwann ist man angekommen, kann<br />

sich kuschelig einrichten. Wie ineinem alten<br />

Märchenbuch. Aber nein, es gibt kein kuscheliges<br />

Happy End, es gibt kein Ende der unerwarteten<br />

Situationen und Verwerfungen. Es<br />

gibt kein Ende von Strukturumbrüchen, es<br />

gibt kein Ende der Angst, den Herausforderungen<br />

nicht gewachsen zu sein. In der Welt<br />

haben sich viele Konflikte verschärft, die neoliberaleWirtschaftsformist<br />

heute stärker denn<br />

je in der Kritik. Auch Europa ist nicht die feste<br />

Burg, für die es viele hielten. Der Populismus<br />

von links und von rechts ist auf dem Vormarsch<br />

und wir kämpfen weiter darum, die<br />

Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen.<br />

Bei fremden Kulturen sind wir im Zweifel, ob<br />

sie uns bereichern oder bedrohen. Welche<br />

Antworten finden wir zum Klimawandel, welche<br />

neue Lebensweise werden wirfinden? Nur<br />

starke Menschen bekommen da keine Angst<br />

oder die, die sich in einer bunten, kreativen,<br />

verantwortungsbewussten Gemeinschaft befinden,<br />

diekrisenerprobtist.<br />

Als Ost-<strong>Berliner</strong>in, die seit dreißig Jahren<br />

dasGlück hat, dasvereinte Deutschland mitzugestalten,<br />

bin ich unendlich dankbar für<br />

diese Wendung der Geschichte. Ich habe<br />

viele neue Freunde im vereinten Deutschland<br />

undinaller Welt gefunden. Sind wir nun<br />

einLand? Ja,wir sind ein Land. DieEinigkeit<br />

liegt in der gemeinsamen Verantwortung für<br />

ein konstruktives, solidarisches und friedliches<br />

Deutschland, egal wo jemand geboren<br />

ist: ob in Neuruppin, Münster,Warschau, Hanoi<br />

oder Damaskus.<br />

verbringt das erste Drittel seines Urlaubs in<br />

der Schlange vorder Gepäckaufgabe,nur um<br />

dann den Rest für Sicherheitskontrolle und<br />

gedrängtes Rumstehen in Containern aufbringen<br />

zu müssen. Werdann noch genug<br />

Urlaubstage hat, um tatsächlich wegzufliegen,<br />

wird irgendwann auch leider zurückkommen<br />

zu müssen. Wurde früher nach einer<br />

Landung geklatscht, ist es heute Tradition,<br />

dass man noch eine halbe Stunde länger<br />

im Flieger verweilt. Das ebenso<br />

unterbezahlte wie unterbesetzte Bodenpersonal<br />

kommt nämlich nicht damit hinterher,<br />

Gangways an die Maschinen zu bringen.<br />

Während ich noch eine Stunde nach meiner<br />

Landung aus Neapel am ruhenden Fließband<br />

auf meinen Koffer wartete,kam mir die<br />

Vorstellung eines weiteren Fluges unter solchen<br />

Bedingungen komplett absurdvor.<br />

Nichts gegen Currywurst und Teelicht,<br />

aber ich glaube, dass diese Erfindung wirklich<br />

bahnbrechend sein kann: der Flughafen,<br />

der uns das Fliegen abgewöhnt. Jetzt unterstützeich<br />

nicht nur das Anliegen der <strong>Berliner</strong><br />

FDP,Tegel nach Eröffnungdes BER beizubehalten,<br />

sondern gehe sogar weiter und fordere,<br />

BERzuvergessen und nur noch mit Tegel<br />

weiterzumachen.<br />

Und damit nicht genug. Tegel sollte Modellflughafen<br />

für alle Städte weltweit werden.<br />

Sofort würde der private und geschäftliche<br />

Flugverkehr aufs Allerwesentlichste reduziert<br />

werden. Ich sage es nicht ohne Stolz,<br />

aber vielleicht sind wir doch eine Erfinderhauptstadt.<br />

Es weiß nur noch niemand.<br />

„Ich dürfte ... mehr als<br />

200 Jahre keine<br />

Plastiktüten mehr kaufen,<br />

um ... einen Flug zu<br />

kompensieren.“<br />

Frank Bilstein, Unternehmensberater<br />

bei A.T. Kearnes, erklärt imInterview<br />

mit dem Spiegel, dass die Deutschen nicht<br />

gut genug über Klimaschutz Bescheid wissen und<br />

daher ihre Prioritäten falsch setzen.<br />

AUSLESE<br />

Die SPD und ihre<br />

nächste Führung<br />

Der Mitgliederentscheid der SPD ist<br />

ausgezählt: Olaf Scholz und Klara<br />

Geywitz liegen hauchdünn in Führung.<br />

„Das Ergebnis der beiden ist ernüchternd“,<br />

kommentiert Spiegel Online. Faktisch<br />

habe „nur jeder zehnte Sozialdemokrat<br />

für denjenigen gestimmt, der als Vizekanzler<br />

und Bundesfinanzminister eine<br />

weit größere Bühne hatte als jeder andere<br />

im Feld. Autsch.“ Welches Duo auch immer<br />

gewinne –der Sieg werdeknapp sein.<br />

„Und je knapper der Sieg,desto größer die<br />

Wahrscheinlichkeit, von Tag eins an mit<br />

schweren Autoritätsproblemen zu kämpfen<br />

zu haben. Undsokönnte es am Ende<br />

ausgehen wie so häufig in der SPD: Eigentlich<br />

geht es mal wieder nur um einen Übergangsvorsitz.“<br />

„Über den SPD-Vorsitz entscheidet<br />

jetzt Angela Merkel“, kommentiert die<br />

Welt am Sonntag die Lage. Umzugewinnen<br />

müsse Olaf Scholz nun Teile der Parteilinken<br />

mobilisieren: „Der Kampf um<br />

die Grundrente wird also in der Koalition<br />

mit aller Schärfe entbrennen“, vermutet<br />

Kommentator Torsten Krauel. „Es liegt<br />

nun an Merkel und Kramp-Karrenbauer,<br />

einen für beide Seiten gesichtswahrenden<br />

Ausweg zu finden. Sonst steht die große<br />

Koalition nach dem SPD-Parteitag auf<br />

der Kippe.“ Für den Tagesspiegel steht<br />

eines bereits fest: „Die mit großem Pathos<br />

versprochene Erneuerung können<br />

als Personen weder Geywitz/Scholz<br />

noch Esken/Walter-Borjans verkörpern.“<br />

Christine Dankbar<br />

PFLICHTBLATT DER BÖRSE BERLIN<br />

Chefredakteur: Jochen Arntz.<br />

Mitglied der Chefredaktion: Elmar Jehn.<br />

Newsdesk-Chefs (Nachrichten/Politik/Wirtschaft): Tobias Miller,<br />

Michael Heun.<br />

Textchefin: Bettina Cosack.<br />

Newsroom-Manager: Jan Schmidt.<br />

Teams:<br />

Investigativ: Kai Schlieter.<br />

Kultur: Harry Nutt.<br />

Regio: Arno Schupp, Karim Mahmoud.<br />

Service: Klaus Kronsbein.<br />

Sport: Markus Lotter.<br />

Story: Christian Seidl.<br />

Meinungsseite: Christine Dankbar.<br />

Seite 3/Report: Bettina Cosack.<br />

Die für das jeweiligeRessort an erster Stelle Genannten sind<br />

verantwortliche Redakteure im Sinne des <strong>Berliner</strong> Pressegesetzes.<br />

Reporterin: Sabine Rennefanz.<br />

ArtDirektion: Annette Tiedge.<br />

Newsleader Regio: Stefan Henseke, Susanne Rost, Marcus Weingärtner.<br />

Newsleader Sport: Matthias Fritzsche, Christian Schwager.<br />

Hauptstadtredaktion: Gordon Repinski (Ltg.), StevenGeyer (Stv.).<br />

RND Berlin GmbH, GF: UweDulias, Marco Fenske.<br />

Autoren: Joachim Frank, Holger Schmale, Dieter Schröder,ArnoWidmann.<br />

Istanbul: Frank Nordhausen,<br />

Moskau: Stefan Scholl,<br />

Rom: Regina Kerner,<br />

TelAviv: Anja Reich, Washington: KarlDoemens.<br />

Redaktion: <strong>Berliner</strong> Newsroom GmbH, Berlin24 Digital GmbH,<br />

Geschäftsführung: Aljoscha Brell, Alte Jakobstraße 105, 10969 Berlin<br />

Lesertelefon: 030-63 33 11-457, E-Mail: leser-blz@dumont.de<br />

<strong>Berliner</strong> Verlag GmbH Geschäftsführer:JensKauerauf.<br />

Postadresse 11509 Berlin. Besucher:Alte Jakobstraße 105,<br />

Telefon: (030) 23 27-9; Fax: (030)2327-55 33;<br />

Internet: www.berliner-zeitung.de.<br />

Vertrieb: BVZ <strong>Berliner</strong> Lesermarkt GmbH, KayRentsch.<br />

Leserservice Tel.: (030) 23 27-77, Fax: (030)2327-76<br />

www.berliner-zeitung.de/leserservice<br />

Anzeigen: BVZ BM Vermarktung GmbH (BerlinMedien), Andree Fritsche.<br />

Postfach 11 05 06, 10835 Berlin;<br />

Anzeigenannahme: (030) 23 27-50; Fax(030) 23 27-6697<br />

Es gilt Anzeigenpreisliste Nr.30, gültig seit 1.1.2019.<br />

Druck: BVZ <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>sdruck GmbH, Am Wasserwerk 11,<br />

10365 Berlin, Internet: www.berliner-zeitungsdruck.de<br />

Die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich<br />

45,90 €einschl. 7% Mehrwertsteuer,außerhalb vonBerlinund Brandenburg<br />

49,50 €; AboPlus, inklusiveStadtmagazin tip 54,19 €(nur in Berlin und<br />

Brandenburg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 27,60 €,<br />

außerhalb vonBerlin und Brandenburg 28,50 €. Das E-Paper kostet monatlich<br />

29,99 €einschl. 7% Mehrwertsteuer.Der Preis für Studenten beträgt monatlich<br />

18,99 €.Im Falle höherer Gewalt und bei Arbeitskampf (Streik/Aussperrung)<br />

besteht kein Belieferungs- und Entschädigungsanspruch. Erfüllung und<br />

Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotomaterial<br />

wird keine Haftung übernommen.<br />

Die Auflageder <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> wird vonder unabhängigen Informationsgemeinschaft<br />

zur Feststellung der Verbreitung vonWerbeträgerngeprüft.<br />

Die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> ist die reichweitenstärkste Abonnementzeitung Berlins<br />

und erreicht laut Mediaanalyse 2018 in Berlin und<br />

Brandenburg täglich 274 000 Leser.


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 – S eite 9 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Berlin<br />

Im Schlosspark-Theater<br />

feiert„Ruhe! Wir<br />

drehen!“ Premiere.<br />

Seite 14<br />

Am Ende: Schadensbegrenzung nach der Pleite von Envion Seite 13<br />

Am Anfang: Der Amazon-Turm darf doch gebaut werden Seite 15<br />

Stadtbild<br />

Der Wert<br />

der Dinge<br />

BarbaraWeitzel<br />

besucht eine Theaterprobe.<br />

Redest du mit mir?“ –„Nein, mit<br />

dem Licht.“ Als dieser hinreißende<br />

kleine Dialog durch die Dunkelheit<br />

tönt, sitzeich bereits seit zwei<br />

Stunden im Saal. DieFrage stellte ein<br />

Schauspieler, die Antwort kam vom<br />

Regisseur.Der Erstereist verwirrt, da<br />

es kurzzuvor noch um eine Stelle im<br />

Text ging. „Leute,esheißt nicht SPÜ-<br />

LEN! Sondern FÜÜÜHLEN. Oder<br />

von mir aus SPÜÜÜREN“, hatte der<br />

Regisseur gerufen. Ein unterdrücktes<br />

Lachen war zu hören in seiner<br />

deutlichen Ansage.<br />

Jeder Buchstabe zählt. Jeder Ton,<br />

jeder Lichtstrahl, jeder Schritt. Das<br />

lerne ich an diesem Vormittag, an<br />

dem ich erleben darf, wie ein Musiktheaterstück<br />

entsteht. Nein, ein winziger<br />

Teil davon. Man probt seit 120<br />

Minuten dieselbe Szene. Das ist<br />

nicht langweilig, im Gegenteil. Mit<br />

angehaltenem Atem verfolge ich die<br />

Korrekturen und werde immer demütiger<br />

ob der Geduld aller Beteiligten.<br />

Dieeinen sagen zum 15. Maldie<br />

gleichen Sätze. Andere stehen und<br />

haben nichts zu tun im Augenblick.<br />

Kein Füßescharren, kein Überdruss.<br />

DasOrchester spielt die zur Szene<br />

gehörigen Sequenzen jedes Mal mit<br />

stoischer Konzentration. Oft wird<br />

unterbrochen, ein verrutschter Ton,<br />

eine Pause, die einen Vierteltakt zu<br />

lang ist, ein Forte, wo Mezzoforte geboten<br />

gewesen wäre –Winzigkeiten<br />

bringen das Gesamtgeschehen aus<br />

dem Takt. Also vonvorn.<br />

Wenn die Choreografin an einem<br />

Darsteller herumzupft, schweigen<br />

die Musiker. „Schauen Sie mal. Die<br />

Oboe strickt“, sagt der Mann neben<br />

mir. Das klingt genauso bizarr wie<br />

„Ich spreche mit dem Licht“, doch in<br />

der Tat: Die Oboistin nutzt die stille<br />

Phase für Handarbeiten. Die Klarinette<br />

tippt etwas in ihr Smartphone.<br />

Dann greifen alle wie in einer einzigen<br />

Bewegung zu ihren Instrumenten.<br />

Es geht weiter. Kurz bevor ich<br />

den Saal verlasse, sitzt die Szene. Alles<br />

stimmt. Stolz und Freude wabern<br />

durch den Raum wie vorhin der<br />

künstliche Nebel.<br />

Auch wenn mir im Konzert, im<br />

Museum, im Kino oder beim Lesen<br />

unterbewusst klar ist, wie viel Akribie,<br />

Geduld und Kraft im Ergebnis steckt,<br />

staune ich noch auf dem Heimweg<br />

über das Ausmaß. Denke kurioserweise<br />

an einen Tagvor vielen Jahren,<br />

als ich für einen Text in einer Biobäckerei<br />

war.Ich sah mein Brot danach<br />

mit anderen Augen, nicht nur wegen<br />

der Aufstehzeiten der Beschäftigten.<br />

Undwünschte mir,ich könnte bei der<br />

Entstehung von sovielem mal stille<br />

Beobachterin sein.<br />

Am besten mit den Kindern. Wir<br />

würden lernen, was es braucht, bis<br />

ein Lego-Set fertig ist. Wie viel Sorgfalt<br />

in einer Hosennaht steckt. Wie<br />

kompliziertein Heizungssystem aufgebaut<br />

ist und welche Kenntnis man<br />

haben muss, umdie Fehler zu vermeiden,<br />

über die wir fluchen würden.<br />

Wir wären bestimmt fasziniert<br />

vom wahren Wert all dieser Dinge<br />

und würden sie anders benutzen.<br />

Die Szene, inder die Regie mit<br />

dem Licht sprach, werde ich bei der<br />

Premiere jedenfalls mit einem Lächeln<br />

auf dem Gesicht sehen. Den<br />

Kindernwerde ich vonder Probe erzählen.<br />

Und sie und mich bei anderenGelegenheiten<br />

daran erinnern.<br />

SPD-Fraktionschef Raed Saleh und Landeschef Michael Müller waren am Sonnabend beim Landesparteitag bei bester Laune.<br />

Seit’ an Seit’<br />

Die SPD will Lehrer wieder verbeamten und lehnt Enteignungen ab –Müller und Saleh zeigen sich einig<br />

VonMelanie Reinsch<br />

Esgehörtzur lieb gewonnen<br />

Tradition der SPD, dass ein<br />

Parteitag mit schmetternden<br />

Tönen der Vorwärts-<br />

Liederfreunde eingeläutet wird.<br />

„Wann wir schreiten Seit’ anSeit’“,<br />

heißt es in dem Arbeiterlied von<br />

1915, der SPD-Hymne schlechthin,<br />

„mit uns zieht die neue Zeit“.<br />

Es sind Zeilen, die den Genossen<br />

am Sonnabend wohl auch Mut machen<br />

sollen. Die noch einmal erinnernsollen<br />

an Wurzeln, an Herkunft,<br />

an den Kern sozialdemokratischer<br />

Politik, bevor Entscheidungen getroffen<br />

werden, die die Kraft haben<br />

könnten, die Ausrichtung der <strong>Berliner</strong><br />

SPD maßgeblich zu verändern.<br />

Denn es sind ja nicht nur die Zahlen,<br />

die eben so sind, wie sie sind. Die<br />

<strong>Berliner</strong> SPD liegt seit Monaten irgendwo<br />

bei 15, 16 Prozent. Oder um<br />

es mit den Worten des SPD-Landeschefs<br />

und Regierenden Bürgermeisters<br />

Michael Müller (SPD) zu formulieren:<br />

„Ja, die Umfragen sind Mist,<br />

hab ich schon dreimal gesagt, ist immer<br />

noch so.“ Dieneue Zeit, mit der<br />

die SPD mitziehen möchte,meint es<br />

gerade nicht so gut mit ihr.<br />

Es sind aber vor allem auch zwei<br />

wichtige Beschlüsse, die an diesem<br />

Sonnabend im Hotel Intercontinental<br />

getroffen werden müssen und die<br />

nach der zähen Mietendeckel-Einigung<br />

schon wieder den Druck erhöhen.<br />

Denn beim letzten Parteitag im<br />

Märzwollte die SPD sich lieber noch<br />

nicht festlegen, wie sie zum Thema<br />

Enteignung großer Wohnungsunternehmen<br />

steht –und vertagte die Entscheidung<br />

auf Oktober.<br />

Klar positionierte sich Müller in<br />

seiner Rede gegen die Vergesellschaftung,<br />

wie sie die Initiative<br />

„Deutsche Wohnen und Co enteignen“<br />

fordert, die im Juni mit ihren<br />

gesammelten Unterschriften die<br />

erste Hürde für ein Volksbegehren<br />

genommen hatte. Wohl wissend,<br />

dass seine Partei in dieser Hinsicht<br />

gespalten ist, erklärte Müller, essei<br />

der Dreiklang „bauen, kaufen, deckeln“,<br />

auf den es jetzt ankomme.<br />

Und nicht der Vierklang „bauen,<br />

kaufen, deckeln, enteignen“.<br />

Er appellierte an seine Parteikollegen<br />

demAntrag, der zum Ziel hat,<br />

Doppelspitze: Mit breiter<br />

Mehrheit beschloss der Parteitag<br />

eine Satzungsänderung,die<br />

der SPD eine Doppelspitze<br />

ermöglicht. In Zukunft<br />

sollen Parteitagsdelegierte<br />

vorVorstandswahlen<br />

entscheiden können, ob sie<br />

ein Duo an der Spitze wollen<br />

oder einen Vorsitzenden.<br />

gemeinsam mit der Initiative ein<br />

Gesetz zur Enteignung zu formulieren,<br />

nicht zuzustimmen. Mit<br />

dem Antrag ginge ein klarer Handlungsauftrag<br />

einher. „Das ist nicht<br />

irgendetwas, worüber wir da abstimmen,<br />

damit werden uns die<br />

Koalitionspartner treiben“, prognostizierte<br />

Müller. Man werde<br />

keine eigene Stimme in der Wohnungspolitik<br />

mehr haben.<br />

Müller hatte Glück. Die Delegierten<br />

entschieden mehrheitlich, dass<br />

die Vergesellschaftung der Bestände<br />

großer Wohnungsunternehmen „gegenwärtig<br />

nicht zielführend“ sei. 137<br />

der 238 Delegierten lehnten das Instrument<br />

ab –trotz leidenschaftlich<br />

geführter Reden der Enteignungsbefürworterinnen<br />

wie Juso-Chefin Annika<br />

Klose oder Bildungspolitikerin<br />

Maja Lasic.<br />

PARTEITAGSBESCHLÜSSE<br />

Wahl: Wenn eine Doppelspitze<br />

gewählt wird, muss sie<br />

laut den neuen Statuten aus<br />

einem Mann und einer Frau<br />

bestehen. Eine Rolle spielt<br />

die neue Regelung aus dem<br />

Parteitag erstmals bei der<br />

Wahl der neuen Parteiführung<br />

im kommenden Frühjahr.<br />

Die Sozialdemokraten wollen zurück zum Beamtenmodell für Lehrer.<br />

Verbeamtung: Lehrer sollen<br />

wieder verbeamtet werden.<br />

Die SPD will den Beruf so attraktiver<br />

machen.Angestellte<br />

Lehrer,die nicht mehr verbeamtet<br />

werden könnenoder<br />

wollen, sollen einenAusgleich<br />

in FormeinerStundensenkung<br />

vonvier Stunden wöchentlich<br />

erhalten.<br />

IMAGO<br />

DPA<br />

Sogar der Fraktionsvorsitzende<br />

Raed Saleh hielt sich zurück, sprach<br />

das Thema in seiner Rede erst gar<br />

nicht an, obwohl er grundsätzlich<br />

nicht gegen Enteignungen ist. Noch<br />

im Sommer hatte er im Interview mit<br />

der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> gesagt: „Wir<br />

müssen darüber sprechen, was möglich<br />

ist und wo Enteignungen ihre<br />

Rechtfertigung finden.“<br />

Unterstützung bekam Müller von<br />

Familienministerin Franziska Giffey,<br />

die betonte, dass man mit diesem<br />

Geld besser 100 000 neue Wohnungen<br />

kaufen sollte. Die Erleichterung<br />

über die Entscheidung des Parteitags<br />

war Müller später durchaus anzusehen<br />

–eswäre eine dramatische Niederlage<br />

für den Landeschef gewesen,<br />

hätten die Delegierten sich anders<br />

entschieden. AndereSPD-Mitglieder<br />

offenbarten später, dass eine anderen<br />

Entscheidung die gesamte Ausrichtung<br />

der SPD verändert hätte.<br />

Die Koalitionspartner Linke und<br />

Grüne hatten sich schon zuvor auf<br />

eine Linie verständigt: Beide unterstützen<br />

die Ziele der Initiative.<br />

Seit’an Seit’–sozeigten sich Müller<br />

und Saleh auch beim zweiten<br />

heiklen Thema: Der Rückkehr zur<br />

Verbeamtung. Müller warb in seiner<br />

Eingangsrede für das Beamtenmodell.<br />

„Wir müssen uns mal ehrlich<br />

machen“, so der Landeschef. Ohne<br />

die Verbeamtung sei es noch schwerer,<br />

Leute für den Beruf zubegeistern.<br />

„Wir sind das einzige Land, das<br />

nicht verbeamtet. Diesen Wettbewerbsnachteil<br />

können wir nicht länger<br />

akzeptieren“, so Müller, der bisher<br />

eigentlich kein großer Befürworter<br />

der Idee war.<br />

Im März stimmten die Delegierten<br />

noch gegen die Verbeamtung –<br />

Saleh gilt als vehementer Verfechter<br />

des Modells und kassierte damals<br />

eine bittere Niederlage. Ein halbes<br />

Jahr später hat sich die Stimmung in<br />

der Partei nun gedreht, beziehungsweise<br />

wurden ausreichend Stimmen<br />

generiert. 122 SPD-Mitglieder<br />

stimmten dem Antrag zu, 100 dagegen.<br />

Die Prüfung, die die SPD nach<br />

dem letzten Parteitag unternommen<br />

hatte, resümierte, dass die finanzielle<br />

Differenz zwischen einem angestellten<br />

und einem verbeamteten<br />

Lehrer nicht über eine Umlage ausgeglichen<br />

werden könne.<br />

Auch der Tarifvertrag für den öffentlichen<br />

Dienst der Länder (TV-L)<br />

bietet danach keine Möglichkeit, den<br />

Verdienstunterschied auszugleichen.<br />

Auch diese Ergebnisse scheinen die<br />

Delegierten umgestimmt zu haben.<br />

Allerdings wirdesschwer, dieVerbeamtung,<br />

die vor15Jahren in Berlin<br />

abgeschafft wurde,soschnell einzuführen:<br />

Grüne und Linke sind auch<br />

hier anderer Meinung und glauben<br />

nicht daran, dass eine Verbeamtung<br />

dem Lehrermangel etwas entgegensetzen<br />

kann. Bildungssenatorin<br />

Sandra Scheeres (SPD) appellierte<br />

am Sonntag an Grüne und Linke:<br />

„Nun sind die Koalitionspartner aufgerufen,<br />

ihre Haltung zur Verbeamtung<br />

zu überdenken. Wenn außer<br />

Berlin alle anderen Bundesländer<br />

verbeamten, muss sich die Politik<br />

der Realität stellen“, sagte sie.<br />

NACHRICHTEN<br />

<strong>Berliner</strong> CDU will gegen<br />

Mietendeckel klagen<br />

Die<strong>Berliner</strong> CDU-Fraktion will aus<br />

verfassungsrechtlichen Bedenken<br />

gegen das Mietendeckel-Gesetz klagen.<br />

„Wir wollen schnellstmöglich<br />

Rechtssicherheit für Mieter und Vermieter,daher<br />

werden wir in jedem<br />

Fall klagen“, sagte CDU-Fraktionschef<br />

BurkardDregger.„Wirhaben<br />

alle ein Interesse daran, dass das Gesetz<br />

möglichst schnell überprüft<br />

wird. Wirals CDU-Fraktion stehen<br />

dafür bereit.“ DerSenat hat das Mietendeckelgesetz<br />

am 22. Oktober beschlossen.<br />

(dpa)<br />

Demonstration für Tempo 30<br />

in Kreuzberg und Neukölln<br />

Rund 300 Menschen haben am<br />

Sonnabend in Neukölln und Kreuzbergfür<br />

eine Reduzierung des Autoverkehrs<br />

demonstriert. „Wir fordern<br />

Tempo 30 auf allen Straßen, wo wir<br />

heute unterwegs sind und mehr Sicherheit<br />

für Radfahrer“, so ein Sprecher<br />

der Initiative„autofreiberlin“.<br />

DieDemonstranten zogen vomHermannplatz<br />

zum Moritzplatz. (dpa)<br />

Auto angezündet: 14-Jährige<br />

festgenommen<br />

Zwei 14-Jährige Mädchen sollen für<br />

mehrereBrandstiftungen am Sonnabend<br />

in Moabit verantwortlich sein.<br />

Kurz nach 22 Uhrbrannte in der<br />

Kruppstraße ein geparktes Auto,eine<br />

Dreiviertelstunde später brannten<br />

Bauabfälle an der Rathenower<br />

Straße.Anschließend stand ein Bauschuttcontainer<br />

in der Stendaler<br />

Straße in Flammen. Am frühen<br />

Sonntagmorgen ging die Brandserie<br />

weiter –mit Feuer an einem Kleidercontainer<br />

und einem Mülleimer an<br />

der Kruppstraße.Die Minderjährigen<br />

wurden festgenommen. (dpa)<br />

Weihnachtsmarkt: Betreiber<br />

hofft auf Einigung<br />

Nach dem Urteil des <strong>Berliner</strong> Verwaltungsgerichts<br />

gegen den traditionellen<br />

Weihnachtsmarkt am Schloss<br />

Charlottenburghofft der Veranstalter<br />

noch auf eine Einigung mit den<br />

Behörden. Am Montag wolle er dem<br />

Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorfein<br />

Konzept für die geforderten<br />

Sicherheitsauflagen vorlegen,<br />

sagte Veranstalter Tommy Erbe.Er<br />

hoffe,bis Dienstag eine Genehmigung<br />

zu bekommen, damit der<br />

Weihnachtsmarkt stattfinden könne.<br />

DasGericht hatte entschieden, dass<br />

die Marktbetreiber keinen Anspruch<br />

auf eine Genehmigung durch das<br />

Bezirksamt haben. Voraussetzung<br />

sei, dass der Marktdie notwendige<br />

Sicherheit gewährleiste.Das sei aktuell<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

nicht der Fall. (dpa)<br />

Steht auf der Kippe: Der Weihnachtsmarkt<br />

am Schloss Charlottenburg. IMAGO


10 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Stadtgeschichte<br />

<strong>Berliner</strong> Kolonialismus und jede Menge alternative Fakten<br />

Glücklicherweise wird verstärkt über deutsche Übersee-Politik diskutiert, doch die Unkenntnis mancher Beteiligter irritiert. Ein Zwischenruf aus der Wissenschaft<br />

VonUlrich vander Heyden<br />

Der <strong>Berliner</strong> Senat möchte<br />

verständlicherweise Erfolge<br />

seiner Regierungspolitik<br />

vorweisen. Einige<br />

Abgeordnete der Regierungskoalition<br />

haben sich dafür etwas Besonderes<br />

einfallen lassen: Die Geschichte<br />

muss her.Dakann man versuchen<br />

zu punkten, vor allem in Bezug<br />

auf deutsche Kolonialgeschichte.<br />

Denn es gibt gegenwärtig<br />

wohl keine Publikation zum 19. Jahrhundert<br />

beziehungsweise zur Geschichte<br />

der Beziehungen nach<br />

Übersee, in der sich nicht kritisch<br />

mit der deutschen kolonialen Vergangenheit<br />

auseinandergesetzt<br />

wird. Das freut einen Kolonial- und<br />

Afrikahistoriker,der sich seit dreieinhalb<br />

Jahrzehnten mit den mannigfachen<br />

Fragestellungen aus dem Beziehungsgeflecht<br />

Deutschlands insbesondere<br />

mit Afrika auseinandersetzt.<br />

Jedoch kochen inzwischen zu<br />

viele unausgebildete Köche den Brei.<br />

Ohne eingehende Quellenkenntnis<br />

werden vielfach Behauptungen aufgestellt<br />

oder unkritisch kolportiert,<br />

die beim Fachmann nur Verwunderung<br />

hervorrufen können.<br />

WarBerlin Kolonialmacht?<br />

Neuerdings bewegt ein Antrag<br />

(Drucksache 18/1788) der Fraktionen<br />

der SPD, der Linken und von<br />

Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus<br />

die Gemüter der kolonialgeschichtlich<br />

Interessierten. In<br />

dem Papier heißt es, dass Berlin für<br />

seine koloniale Vergangenheit Verantwortung<br />

übernehmen solle.Aber<br />

wie kann das geschehen? WarBerlin<br />

eine Kolonialmacht? Oder befanden<br />

sich im deutschen Verwaltungszentrum<br />

lediglich Institutionen, die der<br />

Eroberung und Aufrechterhaltung<br />

der Kolonialherrschaft des deutschen<br />

Kaiserreichs dienten? Müssen<br />

nun auch andere Städte oder gar<br />

Dörfer Verantwortung für „ihre“ koloniale<br />

Vergangenheit übernehmen?<br />

Sollte solche Aufgabe, Verantwortung<br />

für die Handlungen eines Staates,<br />

die teils mehr als einhundert<br />

Jahre zurückliegen, glaubhaft zu<br />

übernehmen, nicht eher eine nationale<br />

Angelegenheit sein?<br />

Daskönnte Aufgabe einer breiten<br />

politischen Debatte sein. Einbezogen<br />

werden könnten Gedenkstättenaktivitäten,<br />

Verbesserung der Kenntnisse<br />

über Kolonialismus in Museen,<br />

Schulen und Universitäten. Denn<br />

das tut Not!<br />

Der imAusschuss für kulturelle<br />

Angelegenheiten des Abgeordnetenhauses<br />

eingebrachte und beschlossene<br />

Antrag stellt eine siebenstellige<br />

Summe für zwei Jahrebereit. Sollten<br />

die postkolonial engagierten Landespolitiker<br />

anregen wollen, sich<br />

den in Berlin vorhandenen kolonialen<br />

Erinnerungsorten stärker zu widmen,<br />

kann so ein Projekt sinnvoll<br />

werden. Zwar sind diese Orte weitgehend<br />

ausgeforscht, aber vielleicht<br />

lassen sich weiterefinden.<br />

Da gäbe es beispielsweise die<br />

Kurfürstenstraße und den Kurfürstendamm;<br />

zwei Straßennamen, die<br />

Die Darstellung der Festung Großfriedrichsburg,der von 1683 bis 1717 bestehenden kurbrandenburgischen Kolonie in Westafrika, zeigt die Situation von 1688. WIKIMEDIA/ADAM JONES<br />

Reste von Fort Großfriedrichsburg im heutigen Ghana<br />

WIKIMEDIA/CC BY 3.0/OBRUNI<br />

an den brandenburgischen Kurfürsten<br />

Friedrich Wilhelm von Brandenburg<br />

(1620–1688) erinnern, der den<br />

Auftrag zum Sklavenhandel seines<br />

Fürstentums erteilt hatte.<br />

Vielleicht sollte man <strong>Berliner</strong><br />

Straßen nach Persönlichkeiten benennen,<br />

die nach dem 3. Oktober<br />

1989 geboren worden sind.<br />

Zur Thematik der kolonialen Erinnerungsorte<br />

liegen mehr als ein<br />

halbes Dutzend Bücher vor, auf die<br />

die Initiatoren des Antrags schon vor<br />

Monaten aufmerksam gemacht worden<br />

sind. Sie hatten sich auch artig<br />

bedankt und mitgeteilt, dass man<br />

auf die in den Universitäten der Stadt<br />

vorhandenen Fachleute nicht verzichten<br />

wolle. Allerdings wurden<br />

diese weder zu Konsultationen noch<br />

zu Anhörungen eingeladen.<br />

Uneingeschränkt ist dem Ansinnen<br />

des Senats beizupflichten, „wissenschaftliche<br />

Aufarbeitung“ und<br />

die „Forschung zum Thema“ zu unterstützen.<br />

Aber was genau will man<br />

erforschen? Hätte man nicht Kolonialhistoriker<br />

dazu befragen müssen?<br />

Siekennen doch am besten den Forschungsstand.<br />

Außerdem sind viele<br />

Themen auf dem weiten Gebiet der<br />

deutschen Kolonialgeschichte ausgeforscht.<br />

Immerhin wurde im Osten<br />

Deutschlands seit Ende der<br />

1950er-Jahre hierzu gearbeitet und<br />

gelehrt; in der alten Bundesrepublik<br />

existiert seit etwa Mitte der 1960er-<br />

Jahre eine kritische Kolonialgeschichtsschreibung.<br />

Weitere Punkte des Antrages lesen<br />

sich so,als wolle man Eulen nach<br />

Athen tragen. Denn die geforderten<br />

Provenienzforschungen zu den aus<br />

kolonialem Kontext stammenden<br />

Objekten in Museen und Sammlungen<br />

sind im Gange. ImHumboldt-<br />

ForuminMitte wirdandie deutsche<br />

(nicht nur <strong>Berliner</strong>!) Kolonialgeschichte<br />

erinnert werden. In dem<br />

verabschiedeten Papier wird auch<br />

auf die Umbenennung von kolonial<br />

belasteten Straßennamen eingegangen.<br />

Es wird von „überfälligen Straßenumbenennungen“<br />

gesprochen.<br />

In der Tatgibt es „kolonial belastete“<br />

Straßen in Berlin. Wie der Umgang<br />

damit in„die Hose gehen“ kann<br />

und zur Lachnummer selbst in einigen<br />

afrikanischen Ländern geworden<br />

ist, zeigen die Aktivitäten im<br />

Afrikanischen Viertel, die weithin<br />

ohne fachwissenschaftliche Begleitung<br />

oder Beratung verliefen.<br />

Ohne explizit die Mohrenstraße<br />

zu erwähnen, werden sich die Befürworter<br />

vonderen Umbenennung bestärkt<br />

fühlen. Davon zeugt das diesjährige<br />

„Mohrenstraßen Umbenennungsfest“<br />

vom 25. August, an dem<br />

etwa 60 bis 70 zumeist junge Menschen<br />

teilnahmen, Kultursenator Lederer<br />

war Gastredner. Obder promovierte<br />

Jurist den auf der Veranstaltung<br />

verteilten Flyergelesen hat?<br />

Hier fällt eine kaum zu glaubende<br />

historische Unwissenheit auf. So<br />

mussten in der Mohrenstraße „meist<br />

junge versklavte Afrikaner immer in<br />

Baracken leben“. Abgesehen davon,<br />

dass es damals dort keine Baracken<br />

gab und die „Afrikaner“ zumeist Araber<br />

waren, existierte auf dem Territorium<br />

von Brandenburg-Preußen,<br />

anders als in der Kolonie Großfriedrichsburg,<br />

keine Sklaverei. Dieinden<br />

Mohrenkolonnaden untergebrachten<br />

ausschließlich jungen Männer (!)<br />

gehörten zum privilegierten Armeemusikcorps<br />

des preußischen Königs.<br />

Siewaren hoch geachtet und gut bezahlt.<br />

Ein Forschungsauftrag könnte<br />

untersuchen, wo sich in einer solchen<br />

Musikkapelle Frauen versteckt<br />

hatten und wie viele von den sogenannten<br />

Janitscharen in ihreHeimat<br />

zurückkehrten oder sich in der hiesigen<br />

Gesellschaft integrierthatten.<br />

Die Brandenburgisch-Africanische<br />

Compagnie wurde nicht 1682,<br />

sondern 1692 gegründet. Es wurden<br />

über die Festung Großfriedrichsburg<br />

nicht „über 24 000“, sondern fast<br />

20 000 versklavte Menschen nach<br />

Amerika verschifft. Neu wäre auch,<br />

dass –laut Flyer–auf den Plantagen<br />

in der Karibik die Sklaven „zur Produktion<br />

von Tabak und Zucker für<br />

die Haushalte von noblen Brandenburger*innen<br />

ausgebeutet“ wurden.<br />

„Einige Menschen“ mussten in<br />

Berlin „im Gericht arbeiten, um dort<br />

die imperiale Macht der Brandenburg-Preußen<br />

zu demonstrieren“,<br />

sagt der Flyer. Hier ergäbe sich ein<br />

weiteres Forschungsfeld, nämlich zu<br />

eruieren, wo die angeblichen Sklaven<br />

arbeiteten, wenn sie ihren<br />

Dienst in der Armee aufgekündigt<br />

hatten. Erstaunen ruft hervor, dass<br />

etwa 200 Jahre vor Errichtung des<br />

deutschen Kaiserreichs ein „Kaiser<br />

Friedrich Wilhelm“ gefordert haben<br />

soll, die aus Afrika Entführten „zur<br />

Arbeit am Potsdamer und <strong>Berliner</strong><br />

Gericht zu zwingen“. Darüber hinaus<br />

wurden sie „gewaltsam getauft“.<br />

Amo und die Mohren<br />

Es kann den Antragstellern aus dem<br />

Kulturausschuss beigepflichtet werden,<br />

Gelder„im Bereich der universitären<br />

und der schulischen wie außerschulischen<br />

Bildung“ bereitzustellen.<br />

Denn der Flyerprovoziertdie<br />

Schlussfolgerung, es müsste eine gehörige<br />

Summe Geldes für die Geschichtsbildung<br />

ausgegeben werden.<br />

Dies scheint, wie voranstehend<br />

an nur einigen Beispielen belegt, unbedingt<br />

angebracht zu sein.<br />

Absolut nichts ist gegen eine Ehrung<br />

Anton Wilhelm Amos (ca. 1703<br />

bis ca. 1753) durch einen Straßennamen<br />

in der deutschen Hauptstadt<br />

einzuwenden. Er gilt als erster afrikanischer<br />

Gelehrter in Deutschland,<br />

promoviert an der Universität in<br />

Halle. Einige DDR-Wissenschaftler<br />

erforschten dessen Geschichte. Nur<br />

gibt es ein Problem, welches sehr an<br />

die Blamage im AfrikanischenViertel<br />

erinnert, wenn die Mohrenstraße in<br />

Anton-Wilhelm-Amo-Straße, wie<br />

auf dem Umbenennungsfest gefordert,<br />

geändertwird. Denn neben den<br />

schon mehrfach ausgeführten und<br />

von Wissenschaftlern aus gutem<br />

Grunde zurückgewiesenen unwissenschaftlichen<br />

Begründungen für<br />

die Umbenennung wird angeführt,<br />

dass „Mohr“ keine Selbstbezeichnung<br />

der Afrikaner gewesen sei. Nun<br />

hat aber Anton Wilhelm Amo im<br />

Jahre1729 seine erste Disputation an<br />

der Hallenser Universität in lateinischer<br />

Sprache unter dem Titel „De<br />

iureMaurorum in Europa“ gehalten,<br />

zu Deutsch: „Über die Rechtsstellung<br />

der Mohren in Europa“.<br />

ProfessorUlrich vander Heyden ist als Historiker<br />

undSpezialist für dieKolonialgeschichte Afrikas<br />

an FU und HU sowie in Pretoria tätig.<br />

DAS IST<br />

DAS WAR<br />

DAS KOMMT<br />

Cedelendorp<br />

Land-Tag<br />

Fontanes Berlin<br />

So geschrieben haben SieZehlendorfvielleicht noch nie<br />

gesehen. In Cedelendorp verbindet sich „Cedlo“, altslawisch<br />

für Siedlung, mit dem niederdeutschen Wort für<br />

Dorf. DieKombination erinnertandie sogenannte deutsche<br />

Ostsiedlung im 12. und 13. Jahrhundert. Die Zuwanderer<br />

fanden slawische Siedlungen vor. Die ersten<br />

kamen in diesen unter, nachfolgende gründeten neue<br />

Straßen- und Angerdörfer. Cedelendorp findet erstmals<br />

1242 Erwähnung, als die Markgrafen Johann I. und Otto<br />

III. es an das Zisterzienserkloster Lehnin gaben.<br />

Das Museum des Heimatvereins Zehlendorf e. V. zeigt Heimat- und<br />

Regionalgeschichte, Clayallee 355, Mo, Do 10–18 Uhr;Di, Fr 10–14 Uhr<br />

Nureinen Taglang trafen sich die politisch berechtigten<br />

Stände im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit, um<br />

binnen dieses einen Tages alle gemeinsamen Angelegenheiten<br />

der Landleute zu verhandeln. Daher hießen diese<br />

Versammlungen „Land-Tag“. Derhistorische Begriff rettete<br />

sich in die Neuzeit, obwohl die späteren Landtage<br />

viel länger „tagten“. Anders als die heute gewählten Abgeordneten<br />

waren die Teilnehmer durch ihren Stand,<br />

also Herkunft oder Amt, zur Mitsprache privilegiert. Inhaber<br />

eines Landgutes (überwiegend Adlige) gehörten<br />

dazu oder Äbte landtagsfähiger Stifte.Sie vertraten überwiegend<br />

die Interessen ihres jeweiligen Standes.Der Begriff<br />

Landstandschaft bezeichnete das Recht, in eigener<br />

Person auf dem Landtag zu erscheinen und zu sprechen.<br />

Dieses Vorrecht war ursprünglich als Personalrecht<br />

durch Zugehörigkeit zum Adelsstand gegeben, später<br />

wandelte es sich zum Realrecht und galt als Zubehör eines<br />

Rittergutes: Mitdem Erwerb eines Gutes kaufte man<br />

auch einen Landtagsplatz. Preußen schaffte das Recht einer<br />

besonderen Vertretung der Rittergutsbesitzer in der<br />

Verfassung von 1850 ab –eine Folge der Revolution von<br />

1848. DasAbgeordnetenhaus,Zweite Kammer des Preußischen<br />

Landtags, wurde fortan nach Dreiklassenwahlrecht<br />

gewählt. Die Erste Kammer, das Herrenhaus, bestand<br />

nach 1853 ausschließlich aus nicht gewählten Mitgliedern,<br />

vergleichbar dem britischen Oberhaus. (mtk.)<br />

Theodor Fontanes 200. Geburtstag wird zwar schon seit<br />

Monaten gefeiert, aber das eigentliche Datum kommt<br />

noch: am 30. Dezember. Bis dahin zeigt die Stiftung<br />

Stadtmuseum in einer fotografischen Ausstellung, wie es<br />

in Berlin zu Lebzeiten des Dichters ausgesehen hat. 65<br />

Jahrelang lebte er in der Stadt; in dieser Zeit wurde auch<br />

die Fotografie erfunden. Die Ausstellung würdigt daher<br />

zwölf Fotografen, die Berlin zeitgleich mit Fontane fotografisch<br />

beschrieben haben –von Leopold Ahrendts über<br />

F. AlbertSchwartz bis hin zu Heinrich Zille.<br />

Fontanes Berlin, fotografische Ausstellung,bis 5. Januar,Di–So 10 bis<br />

18 Uhr,Sonderöffnungszeiten an Feiertagen, Märkisches Museum


hStbplbdzgtacbPcbtk<br />

Produktri übPewack<br />

ab Mo. 14.10.<br />

ab Mo. 28.10.<br />

Auch am Donnerstagfinden<br />

SievieleinteressanteAngebote<br />

in Ihrer ALDI Filiale.<br />

Kundenmonitor ® Deutschland 2019 A<br />

Platz 1 ALDI<br />

Preisführer<br />

Kategorie: Preis im Wettbewerbsvergleich<br />

in der Branche Lebensmittelmärkte –Discounter 2019<br />

PLAYLAND<br />

Laufrad<br />

FürKinderab1,5 Jahren;höhenverstellbarerSitz;<br />

stoßdämpfende<br />

Bereifung;Benutzergewicht:<br />

max. 20 kg;B×H×T:<br />

ca.36,5×52 ×76cm<br />

Stück<br />

Piste frei<br />

FÜR STARKE ANGEBOTEZUM<br />

29. 99*<br />

11⁄2+<br />

Prüfuümang<br />

Peocjkt-Ig<br />

s115-053Thh OsB<br />

:::w.bvqwcf<br />

ID 155-03-TOSS B19<br />

Silverlit<br />

Autorennbahn<br />

FürKinderab5Jahren;für innen;<br />

Tracksystem fürrasantes Rennen<br />

in derRöhre mitSuperspeed<br />

Set<br />

29. 99*<br />

5+<br />

ACTIVE TOUCH<br />

Skijacke<br />

FürMädchen undJungen;<br />

100%Polyester, schmutzundwasserabweisenddurch<br />

BIONIC FINISH ® ECO;<br />

normal/regular fit;<br />

122/128–158/164<br />

Stück<br />

14. 99*<br />

Viele<br />

weitere<br />

Artikel und<br />

verschiedene<br />

Designs<br />

ACTIVE TOUCH<br />

Skihose<br />

FürMädchenund Jungen;<br />

100%Polyester, schmutzundwasserabweisend<br />

durchBIONIC FINISH ® ECO;<br />

normal/regular fit;<br />

122/128–158/164<br />

Stück<br />

9. 99*<br />

PLAYLAND<br />

Puppenhaus<br />

FürKinderab3Jahren;offenes,<br />

modernes Hausmit 2Etagen;<br />

B×H×T:ca. 36,5 ×43×36,5 cm<br />

Stück<br />

19. 99*<br />

Ohne Zubehör<br />

3+<br />

4er-Set<br />

ID 127-11-TOSSB19<br />

BRIGITTE MOM ist ein geschütztes<br />

Zeichen der Gruner + Jahr GmbH<br />

- Alle Rechte vorbehalten -<br />

Mehr Angebote findenSie auch in denALDIFilialen oder unter aldi-nord.de/angebote<br />

Mo. 28.10.–Sa. 02.11.<br />

KNALLER-<br />

PROZENTE!<br />

KNALLHARTREDUZIERT!<br />

Ehrmann<br />

GrandDessert 1<br />

In denSortenVanille oder<br />

Double Choc<br />

-44%<br />

190-g-Becher<br />

0.44 **<br />

(100 g=0.23)<br />

0.79<br />

aldi-nord.de/aktion<br />

Philadelphia 1<br />

Frischkäse;<br />

verschiedene Sorten<br />

-42%<br />

175-g-Packung<br />

0.85 **<br />

(100 g=0.49)<br />

1.49<br />

-33%<br />

0,75-L-Flasche<br />

2.66 **<br />

(Liter =3.55)<br />

3.99<br />

* Bitte beachten Sie, dass diese Aktionsartikel im Unterschied zu unseremständig vorhandenenSortiment nur in begrenzter Anzahl<br />

zurVerfügung stehen.Sie können daher schon am Vormittagdes ersten Aktionstages kurz nach Aktionsbeginn ausverkauft sein.<br />

** Bittebeachten Sie, dass diese Artikel nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehen. Sie können daher zu bestimmten Zeiten der Aktion ausverkauft sein.<br />

1 Aus der Kühlung<br />

A Quelle: Kundenmonitor® Deutschland 2019 (www.kundenmonitor.de: Rubrik „Serviceprofile“), ServiceBarometer AG,München. Stand: 12.09.2019<br />

ALDI Einkauf GmbH &Co. oHG, Eckenbergstr.16+16A, 45307 Essen. Firma und Anschrift unserer regional tätigen Unternehmen finden Sie unter aldi-nord.de unter<br />

„Filialen und Öffnungszeiten“.Ferner steht Ihnen unserekostenlose automatisierte telefonische Hotline unter 0800-723 48 70 zur Verfügung.<br />

Rotkäppchen<br />

Sekt<br />

Verschiedene Sorten<br />

funny-frisch<br />

Chipsfrisch<br />

Verschiedene Sorten<br />

-28%<br />

175-g-Beutel<br />

0.99 **<br />

(100 g=0.57)<br />

1.39<br />

merci<br />

Finest Selection<br />

-16%<br />

Packung<br />

1.99 **<br />

(100 g=1.21/1.00)<br />

2.39<br />

Schokoladen-Spezialität; verschiedene Sorten und Gewichte, 165 goder 200 g<br />

28102019


12 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Berlin<br />

BANK ATM<br />

DER PERFEKTE RUHESTAND<br />

€<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Teil 1: Kassensturz kurz vor der Rente ● Teil 2: Wasbleibt im Portemonnaie ● Teil 3: Wohnen im Alter ● Teil 4: Fitbleiben ● Teil 5: Jede Menge Freizeit ● Teil 6: Alter und Liebe<br />

BLZ/GALANTY<br />

Sich endlich<br />

auf Reisen<br />

begeben<br />

Wieviel Geld Rentner<br />

benötigen<br />

Eines ist klar: Die Einkünfte als<br />

Rentner liegen mit Sicherheit<br />

unter denen als Arbeitnehmer. Aber<br />

werden sie reichen? Voreinigen Jahrengingen<br />

Experten davon aus,dass<br />

man mit rund 70 Prozent des letzten<br />

Nettogehalts im Ruhestand gut leben<br />

kann. Da die täglichen Kosten<br />

steigen und Rentner heute konsumfreudiger<br />

und unternehmungslustiger<br />

sind, ist dieser Wert im Schnitt<br />

auf 80 bis 85 Prozent gestiegen, so<br />

eine Schätzung des Sparkassen-Finanzportals.<br />

Richtig ist, dass einige Ausgaben<br />

für Rentner wegfallen. Wo man früher<br />

eingezahlt hat, wird heute entnommen:<br />

Dasbeginnt mit dem Riester-Sparplan<br />

und anderen Altersvorsorgen,<br />

zum Beispiel Lebensversicherungen,<br />

und endet mit der<br />

gesetzlichen Rente. Auch die Fahrtkosten<br />

für Wege zum Arbeitsplatz<br />

entfallen und einige Ausgaben für<br />

Kantinen- oder Restaurantbesuche.<br />

Ein weiterer Vorteil: Rentner erhalten<br />

einige Vergünstigungen bei Tickets<br />

und Eintrittskarten.<br />

Der Rentenbescheid informiertüber den<br />

Stand der Dinge.<br />

IMAGO-IMAGES<br />

Doch es gibt auch Ausgaben, die<br />

steigen. Rentner verbringen mehr<br />

Zeit zu Hause.Dadurch erhöhen sich<br />

die Kosten für Strom und Gas. Viele<br />

Rentner verändern ihre Wohnsituation,<br />

um sich zu verkleinernoder näher<br />

zu den Kindern zukommen. Sie<br />

ziehen von der Stadt aufs Land oder<br />

umgekehrt. Dasbringt –wenn es gut<br />

läuft –längerfristig Ersparnisse,doch<br />

der Umzug selbst und die Neueinrichtung<br />

einer Wohnung sind teuer.<br />

Um die Zeit zu füllen, ergreifen viele<br />

Rentner neue Hobbys. Sie lernen<br />

Klavierspielen, wandern regelmäßig<br />

oder betätigen sich kreativ.<br />

Auch diese Aktivitäten schlagen<br />

unter Umständen zu Buche. Das<br />

Lieblingshobbyvieler Rentner ist das<br />

Reisen. Nicht wenige freuen sich ihr<br />

ganzes Berufsleben darauf, endlich<br />

Zeit zu haben, fremde Länder zu erkunden.<br />

Auch hierfür braucht man<br />

natürlich Geld. Ebenso wie für Haustiere:<br />

Ein Hund oder eine Katze kosten<br />

nicht nur Unterhalt für Futter,<br />

sondernImpfungen und Tierarztbesuche<br />

sind ebenfalls Ausgaben, für<br />

die es Rücklagen geben muss.<br />

Zuletzt seien auch Ausgaben für<br />

die Gesundheit genannt. Das Alter<br />

bringt leider häufig Erkrankungen<br />

mit sich. Medikamente und Behandlungen<br />

kosten entsprechend.<br />

Werheute schon weiß, wie er sein<br />

Alter gestalten möchte, kann auch<br />

schon überschlagen, wie viel zum<br />

Beispiel für Freizeitaktivitäten oder<br />

Reisen einzukalkulieren ist. (mec.)<br />

Viele Menschen erleben das Rentenalter bei guter Gesundheit und als aktive Zeit. Doch neue Pläne kosten auch Geld.<br />

Soll und Haben<br />

Kurz vormRuhestand noch eine Zusatzrente ansparen –Finanzplaner Maximilian Kleyboldt erklärt,wie’s geht<br />

VonMechthild Henneke<br />

Jedes Jahr flattertdie Statusmeldung<br />

von der Rentenversicherung<br />

ins Haus, doch nicht wenige<br />

schieben die Briefe so<br />

lange beiseite, bis der Ruhestand in<br />

sichtbarer Nähe ist. Maximilian<br />

Kleyboldt ist stellvertretender Direktor<br />

der Bethmann-Bank und Vorstandsmitglied<br />

im Financial Planning<br />

Standards Board Deutschland<br />

(FPSB), das private Finanzplaner<br />

zertifiziert und als Non-Profit-Organisation<br />

auftritt. Er kennt die Situation<br />

von Kunden, die auch wenn sie<br />

schon die 50 überschritten haben,<br />

noch vorsorgen wollen. Hier seine<br />

Ratschläge.<br />

Gründliche Bestandsaufnahme: Bevor<br />

esindie Aktion geht, empfiehlt<br />

Kleyboldt eine gründliche Bestandsaufnahme.<br />

„Wichtig ist, die eigene<br />

Ausgangssituation richtig festzustellen“,<br />

sagt er. Welche Altersvorsorgeansprüche<br />

wurden bereits erworben,<br />

und wie werden sie sich bis zu<br />

Rente entwickeln –nehmen sie zu,<br />

nehmen sie ab? Außerdem müssten<br />

Einnahmen und Ausgaben angeschaut<br />

werden. Wie viel Geld werde<br />

monatlich gebraucht, heute, aber<br />

auch in Zukunft. „Es gilt, einen Kassensturz<br />

zu machen.“ Neben der<br />

staatlichen gebe es häufig auch eine<br />

betriebliche Rente. Diese müsse<br />

ebenfalls einbezogen werden.<br />

Sparpotenzial: Kleyboldts Ansage ist<br />

eindeutig. „Sparen, sparen, sparen –<br />

das hilft.“ Wer für den Ruhestand<br />

noch mehr vorsorgen wolle,solle auf<br />

einen Urlaub proJahr oder auf unnötige<br />

Ausgaben verzichten und stattdessen<br />

200 Euro im Monat anlegen.<br />

„Damit kann man seine Situation im<br />

Alter schon verbessern“, sagt er.<br />

Anlagemöglichkeiten: Ein Aktiensparplan<br />

ist für Kleyboldt eine sinnvolle<br />

Möglichkeit. Damit ist die regelmäßige<br />

Einzahlung in einen ETF-<br />

Sparplan gemeint. Diese ETFs (Exchange<br />

Traded Funds) bilden die<br />

Entwicklung von Aktienindizes wie<br />

dem Dax oder dem Weltaktienindex<br />

STAATLICH GEFÖRDERTE BETRIEBSRENTEN<br />

Neuregelung: Betriebsrenten sind wichtigeErgänzungen der staatlichen Renten.<br />

Der Gesetzgeber hat vorkurzem Neuregelungen geschaffen, damit die Betriebsrente stärker<br />

genutzt wird. Das lohnt sich besonders für Geringverdiener.Sie sollten mit ihrem Arbeitgeber<br />

über mögliche Varianten sprechen.<br />

Arbeitgeberanteil: Seit diesem Jahr sind alle Arbeitgeber verpflichtet, 15 Prozent<br />

beizusteuern, wenn Mitarbeiter mit eigenem Geld eine Betriebsrente ansparen wollen. Direktversicherungen<br />

bieten hierzu Modelle an. Dies lohnt sich besonders bei einer Betriebsrente,<br />

die monatlich unter 155 Euro liegt, weil für diese keine Sozialabgaben fällig werden.<br />

Staatliche Förderung: Geringverdiener unter 2200 Euro Bruttogehalt erhalten Förderung für<br />

Beiträgeunter 480 Euro pro Kalenderjahr.Der Staat gibt 144 Euro zu dieser Summe hinzu.<br />

Der Arbeitgeber erhält diesen Beitrag über die vonihm abgeführte Lohnsteuer zurück.<br />

Umschichten: Bestehende Versicherungen prüfen lohntsich, sagt Stiftung Warentest.<br />

Dadurch wird Geld frei, dasfür Zusatzrenteneingezahlt werden kann. Zum Beispiellohnt sich<br />

eine Vollkaskoversicherung nur bei neuenWagen. Der Umstieg in die Teilkaskobringtbares Geld.<br />

Billiger abschließen: Fünf Jahre alte Versicherungen sollten auf den Prüfstand gestellt<br />

werden. Bei Hausrat-, Haftpflicht- ,Unfall- aber auch Auslandsreiseversicherungen gibt es<br />

häufig Tarifsenkungen, die die Verbraucher dann nutzen können. Handy- und<br />

Brillenversicherungen hält Stiftung Warentest für überflüssig.<br />

MSCIWorld ab.Das Risiko ist bei dieser<br />

Investition anden Aktienmarkt<br />

geknüpft, doch haben sich ETFs in<br />

den letzten Jahren als ähnlich<br />

risikoreich wie gemanagte<br />

Investmentfonds erwiesen.<br />

„Es ist die kostengünstigste<br />

Variante“, sagt<br />

Kleyboldt. Eine Lebensversicherung<br />

abzuschließen,<br />

sei teurer. Weitere Anlagemöglichkeiten,<br />

die geprüft<br />

werden sollten, seien die<br />

Riester- und die Rürup-<br />

Rente. Vor allem, weil<br />

beide Modelle attraktive Zusatzleistungen<br />

enthalten, wie Kinderzulagen<br />

bei Riester.<br />

Eingroßes Risiko einzugehen, bei<br />

dem in als hoch riskant eingeschätzte<br />

Fonds oder Sparmodelle investiert<br />

wird, hält Kleyboldt für<br />

falsch. „Steht der Zeitpunkt der<br />

Rente kurz bevor, sollte das Risiko<br />

der Anlage eher gering sein bzw.zum<br />

Ruhestandsbeginn abnehmen“, sagt<br />

Maximilian<br />

Kleyboldt, FSPB<br />

FSPB<br />

Finanzplanung bei Eintritt<br />

des Ruhestands: Mit dem<br />

Alter von65oder 67 Jahren<br />

werden häufig Ansprüche<br />

er.Eine Reduzierung der Risiko- und<br />

somit Aktienquote wäre die Konsequenz,<br />

aber immer im Kontext der<br />

sonstigen persönlichen<br />

Vermögensverhältnisse<br />

und der persönlichen Zielvorstellungen.<br />

aus Altersvorsorgeversicherungen<br />

fällig. Kleyboldt<br />

zählt zwei verschiedeneVarianten<br />

auf, die Ruheständler<br />

gründlich überlegen sollten.<br />

Auszahlung als lebenslange Rente:<br />

Wersich dafür entscheidet, erhält bis<br />

zum Ende seines Lebens einen monatlichen<br />

Betrag. Diese Entscheidung<br />

gewährt maximale Sicherheit.<br />

„Wer damit rechnet, lange zu leben,<br />

sollte sich dafür entscheiden“, sagt<br />

Kleyboldt. DerNachteil: Entscheidet<br />

IMAGO-IMAGES<br />

das Schicksal gegen einen langen<br />

Ruhestand, bleibt das Geld im Schoß<br />

der Versicherung. „Es gibt in einigen<br />

Rentenversicherungen Sicherheitsvorkehrungen,<br />

sodass zum Beispiel,<br />

das, was noch nicht ausgezahlt<br />

wurde, andie Erben ausgeschüttet<br />

wird oder es gibt eine Rentengarantiezeit“,<br />

sagt Kleyboldt. Bei Versorgungswerken<br />

gebe es außerdemVorkehrungen<br />

für Ehepartner. Sie erhielten<br />

bis zu 60 Prozent der Rente<br />

als Witwen-/Witwerrente.<br />

Der Staat besteuert den Rentenbezug<br />

aus privater Altersvorsorge<br />

außerdem nur mit dem Ertragsanteil.<br />

Bekommt man zum Beispiel als<br />

65-jähriger 1000 Euro als Rente aus<br />

der Versicherung ausbezahlt, werden<br />

180 Euro für die Besteuerungzugrunde<br />

gelegt. Wird die gesamte<br />

Summe ausgezahlt, wird, je nach Abschlussdatum<br />

der Versicherung, die<br />

Ablaufleistung steuerpflichtig, und<br />

es werden bei der späteren Anlage<br />

auf Wertsteigerungen und Zinsen 25<br />

Prozent Abgeltungssteuer erhoben.<br />

Auszahlung der vollen Summe bei Eintritt<br />

in den Ruhestand: Diezweite Variante<br />

ist, sich die angesparte Zusatzrente<br />

auf einen Schlag überweisen<br />

zu lassen. „Bei der sogenannten Ablaufleistung<br />

hat der Ruheständler<br />

den Vorteil, dass er zu jeder Zeit auf<br />

das Geld zugreifen kann“, sagt Kleyboldt.<br />

Daraus kann er oder sie sich<br />

zum einen monatlich eine kleine<br />

Summe auszahlen. Zum anderen<br />

könne man versuchen, den Restbetrag<br />

für sich arbeiten zu lassen.<br />

„Wenn man denkt, dass man ein gutes<br />

Händchen bei der Kapitalanlage<br />

hat, kann man sich selbst darum<br />

kümmern“, fügt Kleyboldt hinzu.<br />

Diese Flexibilität biete einem nur die<br />

Auszahlung dervollen Summe.<br />

Ein weiterer Vorteil: Lässt die Gesundheit<br />

nach oder eine lebensverkürzende<br />

Krankheit tritt auf, ermöglicht<br />

eine große Summe auf dem<br />

Konto eventuell eine letzte große<br />

Reise. Mit einer endfälligen Ablaufleistung<br />

könne man auch die Erben<br />

besser absichern bzw. Schenkungen<br />

vornehmen, weil sich das Geld ja in<br />

den Händen des Einzahlers befindet.<br />

Früher<br />

in Rente<br />

gehen<br />

Ab 63 Jahren kann<br />

mit dem Job Schluss sein<br />

Wer nicht bis zum offiziellen<br />

Rentenstartmit 65 Jahren (plus<br />

x) warten will, kann bereits mit 63<br />

Jahren in Rente gehen. Dabei gibt es<br />

aber einiges zu beachten.<br />

45 Versicherungsjahre: Wer45Jahre<br />

lang Beiträge eingezahlt hat und<br />

heute mindestens 63 Jahrealt ist, hat<br />

Anspruch auf die Altersrente für besonders<br />

langjährig Versicherte, die<br />

ohne Kürzung gezahlt wird.<br />

35 Versicherungsjahre: Menschen<br />

mit 35 Beitragsjahren nennt die Rentenversicherung<br />

„langjährig Versicherte“.<br />

Sie können mit 63 Jahren in<br />

die Frührente gehen – allerdings<br />

müssen sie dann mit Abschlägen bei<br />

der Rente rechnen.<br />

Ein Beispiel: Ein Versicherter<br />

wurde am 1. 1. 1960 geboren und hat<br />

eine zu erwartende Bruttoaltersrente<br />

von 1500 Euro. Entschließt er<br />

sich, mit 63 Jahren, also am 1. 1. 2023,<br />

in Rente zu gehen (statt wie für diesen<br />

Jahrgang gültig regulär am 1. 5.<br />

2026), muss er eine Rentenminderung<br />

von zwölf Prozent in Kauf nehmen,<br />

so eine Berechnung der Deutschen<br />

Rentenversicherung. Bei<br />

1500 Euro wären das 180 Euro.<br />

Wichtig ist zu beachten, dass die<br />

Kürzung für die gesamte Dauer der<br />

Rentenzeit gilt.<br />

Abschlag: Die Abzüge bei der Frührente<br />

werden im Laufe der nächsten<br />

Jahre ansteigen. Der Grund: Das<br />

Rentenalter wirdimmer weiter angehoben<br />

und die zeitliche Differenz<br />

zur Frührente mit 63 Jahren wird<br />

größer. Liegt das Rentenalter zurzeit<br />

bei 65 Jahren und acht Monaten, so<br />

können 1964 und später Geborene<br />

erst mit 67 Jahren regulär in Rente<br />

gehen. Um vier Jahre früher sein Alter<br />

genießen zu können, würde die<br />

Rente um 14,4 Prozent gekürzt. Im<br />

Fall von 1500 Euro Rente wären das<br />

216 Euro.<br />

Ausgleichszahlungen: Versicherte<br />

können durch Beitragszahlungen<br />

die Rentenminderung ganz oder<br />

teilweise ausgleichen. Wie hoch<br />

diese Zahlungen ausfallen, berechnet<br />

die Rentenversicherung individuell.<br />

Billig ist es aber nicht. DieRentenversicherung<br />

gibt ein Rechenbeispiel:<br />

Werbei einer zu erwartenden<br />

Rente von rund 1452 Euro beschließt,<br />

14 Monate vor dem regulärenRentenantritt<br />

in Frührente zu gehen,<br />

müsste eine Ausgleichszahlung<br />

von 14383 Euro vornehmen. So<br />

könnte er die rund 61 Euro, die monatlich<br />

von der Rente abgezogen<br />

würden, selbst einschießen.<br />

Für Versicherte in den neuen Bundesländern<br />

lohnen sich die Ausgleichszahlungen<br />

besonders, denn<br />

hier sind die freiwilligen Beiträge<br />

geringer, umdie Rentenminderung<br />

auszugleichen. 2025 wird dieser<br />

Vorteil aufgehoben. Wer sich kurz<br />

vor Eintritt in die Frührente überlegt,<br />

doch weiterarbeiten zu wollen,<br />

kann dies übrigens tun. Die Ausgleichszahlungen<br />

werden zwar<br />

nicht erstattet, aber sie erhöhen die<br />

Rente. (mec)


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 13<br />

·························································································································································································································································································<br />

Berlin<br />

Digital ausgeschürft, analog konkurs<br />

Das Krypto-Start-up Envion köderte Anleger mit Versprechen über Gewinne beim Schöpfen virtuellen Geldes. Nach der Pleite geht es nun um Schadensbegrenzung<br />

VonAndreas Förster<br />

Die Bilder, 2017 von einer<br />

Drohne am blau-weißen<br />

Novemberhimmel über<br />

Eberswalde aufgenommen,<br />

kann man heute noch im Internet<br />

ansehen: Ein Tieflader fährt mit<br />

einem Schiffscontainer auf der Ladefläche<br />

zum riesigen Solarfeld auf<br />

dem Flugplatz Eberswalde. Ein Kran<br />

hebt den weißen Container mit dem<br />

blauen Schriftzug Envion vom Lkw<br />

und stellt ihn auf eine Betonfläche<br />

neben das Feld mit den silbrig<br />

schimmernden Solarpaneelen.<br />

Durch eine geöffnete Tür kann man<br />

im Inneren des sechs mal 2,40 Meter<br />

großen Containers Regale mit Dutzenden<br />

Rechnern für das sogenannte<br />

Kryptomining, die virtuelle<br />

Produktion von Bitcoins und anderendigitalen<br />

Währungen, erkennen.<br />

Doch die Fotos stehen nicht für<br />

Zukunftstechnologie,sondernfür die<br />

spektakuläre Pleite eines in Berlin<br />

entwickelten und scheinbar vielversprechenden<br />

Krypto-Start-ups. Sie<br />

stehen auch für einen gigantischen<br />

Anlegerskandal, bei dem rund 30 000<br />

Investoren insgesamt 100 Millionen<br />

Dollar in den Sand gesetzt haben.Wie<br />

konnte es dazu kommen? Welche<br />

Chancen haben Anleger,ihr mit windigen<br />

Versprechen angelocktes Geld<br />

zurückzubekommen?<br />

Die Idee des <strong>Berliner</strong> Gründers<br />

Die <strong>Berliner</strong> Gründer der im schweizerischen<br />

Baar ansässigen Envion AG<br />

hatten die Idee, sogenannte Mobile<br />

Mining Units herzustellen. Diese in<br />

Container eingebauten Mining-Fabriken<br />

sollten laut Projektbeschreibung<br />

Kryptowährungen wie Bitcoin<br />

„schürfen“ und die dazu notwendige<br />

hohe Energiemenge an den Quellen<br />

beziehen, wo sie gerade verfügbar ist.<br />

Bei nicht voll ausgelasteten Solar-,<br />

Wind- oder Wasserkraftwerken etwa,<br />

wo es immer Zeiten gibt, in denen<br />

überschüssiger Strom anfällt. Dann<br />

Ein Container mit eingebauten Mining-Fabriken, die Kryptowährungen schürfen soll, wird nahe einer Solaranlage platziert.<br />

sollte ein Tieflader die Mining-Fabrik<br />

dorthin schaffen, wo sie direkt ans<br />

Netz angeschlossen wird.<br />

So weit die Idee. Obsie funktionieren<br />

kann, ist nicht nachgewiesen.<br />

Der Envion-Container vom Eberswalder<br />

Flugplatz hat nie irgendwelche<br />

Bitcoins produziert. Fast zwei<br />

Jahre später schaut es sogar so aus,<br />

als habe der vermeintliche Prototyp<br />

vor allem dazu dienen sollen, statt<br />

Kryptowährung reales Geld zu<br />

schürfen. Sollte das der Plan gewesen<br />

sein, hat er funktioniert: In einem<br />

virtuellen Börsengang (Initial<br />

Coin Offering, ICO) hatten die Envion-Macher<br />

ab Mitte Dezember<br />

2017 in nur einem Monat rund 100<br />

Millionen Dollar eingesammelt und<br />

den Investoren Renditen von bis zu<br />

161 Prozent versprochen. Kurz darauf<br />

verkrachten sich Gründer und<br />

Geschäftsführer der Firmaund überzogen<br />

sich gegenseitig mit Klagen.<br />

Die Schlammschlacht führte dazu,<br />

dass ein Schweizer Kantonsgericht<br />

vor Jahresfrist die Auflösung des gerade<br />

mal dreizehn Monate existierenden<br />

Unternehmens verfügte. Irgendetwas<br />

produziert oder verkauft<br />

hatte die Firmabis dahin nicht.<br />

Der Envion-ICO fiel in die Hoch-<br />

Zeit des Bitcoin-Booms, in dem<br />

Krypto-Start-ups aus dem Boden<br />

schossen und immer neue virtuelle<br />

Börsengänge auflegten.<br />

Reguliert war diese ICO-<br />

Praxis kaum, was die Anleger<br />

aber auch nicht interessierte.<br />

Ineiner Zeit weltweit<br />

niedriger Zinsen<br />

suchten sie verzweifelt Anlagemöglichkeiten,<br />

und da<br />

schien vielen die Kryptowelt<br />

eine Verheißung zur<br />

Geldvermehrung. Zwar<br />

warnte schon 2017 die Europäische<br />

Börsenaufsicht Esma vor<br />

dem rapiden Anstieg von ICOs: „Wir<br />

sind besorgt, dass Investoren nicht<br />

wissen, welche Risiken damit verbunden<br />

sind“, erklärte die Esma damals.<br />

Doch die Warnung verhallte.<br />

2018 explodierte der Markt, Anleger<br />

Envion-Gründer<br />

Michael Luckow<br />

LUNAX/THOMAS EGLI<br />

DPA/NAIMA STRATEGIC LEGAL SERVICES GMBH<br />

investierten laut Branchenseite<br />

Coinschedule 21,6 Milliarden Dollar.<br />

Im Jahr zuvor waren es bereits sieben<br />

Milliarden Dollar,die bei ICOs eingesammelt<br />

wurden. 2019 ist die Blase<br />

geplatzt, die meisten der bis dahin<br />

aufgelegten ICO-Projekte erwiesen<br />

sich als Betrugs- oder Totalausfall.<br />

So auch die Envion AG.Ihr<br />

Gründer und Ideengeber,<br />

der <strong>Berliner</strong> Michael Luckow,<br />

gab in einem Gespräch<br />

mit dem Handelsblatt<br />

vor einem Jahr zu, er<br />

habe mit den Mining-Fabriken<br />

vor allem zunächst<br />

die Geldwelle reiten wollen.<br />

Denn der Hype um die<br />

Kryptowährungen sei ihm<br />

und seinen Freunden damals<br />

wie beim Neuen Markt, der Internet-Blase<br />

Ende der 1990er-Jahre,<br />

erschienen. „Die Leute bekamen das<br />

Geld einfach hinterhergeworfen. Es<br />

war vorauszusehen, dass das nicht<br />

lange gut gehen wird“, sagte er.Deshalb<br />

hatten sie in großer Eile ihr Projekt<br />

entwickelt, um Investorengelder<br />

zu bekommen. „Das Thema funktionierte<br />

und war erfolgreich. Also finanziell,<br />

nicht unbedingt technisch“,<br />

sagte Luckow.<br />

Geld für ein Projekt zu bekommen,<br />

das am Ende vielleicht gar nicht<br />

funktioniert? Vorzwei Jahren schien<br />

das in der Krypto-Welt kein Problem<br />

zu sein. Die Anleger störten sich offenbar<br />

auch nicht daran, dass Envion-Gründer<br />

Luckow sich vor dem<br />

Börsengang zurückzog. Im Herbst<br />

2017 übertrug er sein Aktienpaket an<br />

den von ihm berufenen Geschäftsführer<br />

Matthias Wöstmann, der mal<br />

Auslandskorrespondent der ARD war,<br />

dann eine wenig erfolgreiche Filmrechtefirma<br />

betrieb und schließlich<br />

eine Investmentgesellschaft gründete.<br />

Die Abmachung: Wöstmann<br />

sollte das Aktienpaket nach dem ICO<br />

an Luckowzurückgeben.<br />

Wozu der Scheinrückzug? Der 35-<br />

jährige Luckow gab im Handelsblatt<br />

an, er stehe lieber im Hintergrund.<br />

Einanderer denkbarer Grund: Möglicherweise<br />

wollte der nicht immer erfolgreiche<br />

Unternehmer, der es auch<br />

mit einer Ticketfirma, einer Marketingagentur<br />

und dem Internethandel<br />

mit chinesischen Sitzsäcken versucht<br />

hatte, einen Makel verbergen –sein<br />

Name stand seit 2015 im Schuldnerregister<br />

des Amtsgerichts Berlin.<br />

Enttäuschte Anleger haben Klagen<br />

gegen die Envion-Macher eingereicht,<br />

um ihreInvestitionen zurückzubekommen.<br />

Der Erfolg hängt<br />

auch von dem kürzlich am <strong>Berliner</strong><br />

Landgericht eröffneten Zivilprozess<br />

ab. Dort wollen die Richter die Verantwortlichkeiten,<br />

die technischen<br />

Details, die Vollständigkeit von<br />

Emissionsprospekten und die juristische<br />

Korrektheit des Envion-Börsengangs<br />

prüfen. Daneben laufen<br />

staatsanwaltschaftliche Ermittlungen<br />

wegen Betrugs- und Untreueverdacht<br />

gegen Firmenverantwortliche.<br />

Geprellte dürfen hoffen<br />

Etwas Hoffnung, wenigstens einen<br />

Teil ihres Geldes zurückzuerhalten,<br />

können sich die Geschädigten machen.<br />

Sie können aus der Liquidationsmasse<br />

der Schweizer Envion AG<br />

bedacht werden, und die Envion-<br />

Gründer um Luckow wollen ihre Erlöse<br />

aus dem Engagement für die<br />

Firma an ein Liquidation Upgrade<br />

Program (LUP) spenden. Diese unabhängig<br />

geführte Gesellschaft wirddie<br />

Mittel an die Anleger verteilen. Zu<br />

den Erlösen, die Luckowdem LUPzur<br />

Verfügung stellen wird, sollen auch<br />

Gelder gehören, die er durch mögliche<br />

Schadenersatzklagen gegen seinen<br />

Widersacher Wöstmann und<br />

dessen Partner erstreiten will.<br />

DieRede ist vonmehreren Millionen<br />

Euro, die dem LUP irgendwann<br />

zur Verfügung stehen sollen. Ob damit<br />

die gesamte Schadensumme abgedeckt<br />

wird und allen 30 000 Geprellten<br />

Gerechtigkeit widerfahren<br />

kann, bleibt abzuwarten. DasKapitel<br />

Envion ist jedenfalls auch juristisch<br />

noch längst nicht abgeschlossen.<br />

Pädophiler gefasst<br />

29-Jähriger bei Razzia gegen Clans verhaftet<br />

ImKampf gegen kriminelle Clans<br />

erhöhen die Sicherheitsbehörden<br />

ihren Ermittlungsdruck: Vom Freitagabend<br />

bis zum Sonnabendmorgen<br />

durchsuchten 180 Polizisten sowie<br />

30 Beamte von BKA, Zollfahndung,<br />

Finanz-und Bezirksämternerneut<br />

Lokale und Wettbüros in<br />

Wedding.<br />

Es gehe darum, Strukturen krimineller<br />

Clans zu erhellen und Straftaten<br />

aufzuklären, sagt ein Polizeisprecher.<br />

Diesmal traf es unter anderem<br />

die Betreiber von Lokalen rings um<br />

die Müllerstraße. Die Beamten stellten<br />

elf Spielautomaten sicher und<br />

nahmen sie wegen des Verdachts der<br />

Manipulierung mit. Zwei Wettbüros<br />

wurden geschlossen.<br />

Bereits wenige Stunden zuvor<br />

hatten die Einsatzkräfte Lokale in<br />

der Schul- und in der Liebenwalder<br />

Straße kontrolliert. Die Beamten<br />

fahndeten nach gewerbe-, arbeits-,<br />

steuer- und ordnungsrechtlichen<br />

Verstößen und wurden schnell fündig.<br />

So wurde ein 29-Jähriger in einer<br />

Shisha-Bar verhaftet. Nach ihm war<br />

mit internationalem Haftbefehl gefahndet<br />

worden. Der gebürtige<br />

Türke soll sich an Kindernvergriffen<br />

haben. Er kam direkt in das Untersuchungsgefängnis<br />

Moabit. Außerdem<br />

stellten Polizisten 20 Kilogramm unversteuerten<br />

Shisha-Tabak sicher. In<br />

der Antonstraße beschlagnahmten<br />

die Beamten das Auto eines 53-Jährigen.<br />

DieScheiben des Fahrzeugs waren<br />

widerrechtlich mit dunkler Folie<br />

beklebt. Außerdem entsprachen die<br />

Reifen des Autos nicht den technischen<br />

Normen.<br />

Für die nächsten Tage kündigten<br />

die Sicherheitsbehörden weitere<br />

stadtweite Kontrollen an. Seit Januar<br />

dieses Jahres hat es nach Angaben<br />

des Innensenators Andreas Geisel<br />

(SPD) 237 Einsätze gegen Clans in<br />

Berlin gegeben. Geisels Strategie ist<br />

dabei, die gesamte Auswahl staatlichen<br />

Handelns zu nutzen. Das beginnt<br />

beim Parken in der zweiten<br />

Reihe,das genauso zu ahnden ist wie<br />

Steuerhinterziehung. Diese Strategie<br />

soll fortgesetzt werden, hatten Fachleute<br />

am Donnerstag auf einer Konferenz<br />

zur Bekämpfung der Clankriminalität<br />

beschlossen. (ls.)<br />

Tankgutschein on Topvom 31.10. bis 02.11.2019<br />

NULL-KOMMA-FIX-LEASING-Aktionstage<br />

0% Zinsen* + 0,– € Anzahlung*+Relax-Service-Paket** +Tankgutschein***<br />

für fast alle Renault Kurzzulassungen<br />

Gesamtverbrauch(l/100 km) derbeworbenen Modelle: kombiniert: 7,7 –3,7; CO2-Emissionen kombiniert(g/km): 200 –90; Energieeffizienzklasse D–A+.<br />

WertenachMessverfahren VO (EG)715/2007.<br />

*ModellTwingo ausgenommen. Leasingbeispiel: Renault Captur LIMITED TCe 90 Kurzzulassung (EZ 25.04.2019): monatliche Rate inkl. gesetzl. USt 149,– €,<br />

Leasingsonderzahlung 0,– €/Laufzeit 36 Monate(36 Ratenà149,– €),Gesamtlaufleistung 30.000 km, eff.Jahreszins 0%;Sollzinssatz(gebunden) 0%,Gesamtbetrag:<br />

5.364,- €; zzgl. 770,– €Bereitstellungskosten. Ein Angebot für Privatkunden derRenault Leasing, Geschäftsbereichder RCI Banque S.A.,Niederlassung<br />

Deutschland, Jagenbergstraße 1, 41468 Neuss. Gültig bis02.11.2019.<br />

** Angebot enthält einen Renault Plus Garantie PLUS Vertrag(Anschlussgarantie nachder Neuwagengarantie inkl. Mobilitätsgarantie)sowie alle Kostender vorgeschriebenen<br />

Wartungsarbeiten für die Vertragsdauer für die Vertragsdauer von36Monaten bzw. 30.000 km ab Erstzulassung gemäß Vertragsbedingungen.<br />

***1xGutschein proRenault-Kurzzulassungskauf.Gutscheinwert je nachFahrzeugsegment500,-€, 750,-€ oder 1.000,-€. Erhalt desGutscheinbei Fahrzeugauslieferung.<br />

Abbildung zeigt Sonderausstattungen.<br />

RENAULTRETAILGROUP Deutschland GmbH<br />

Fennpfuhl |Weißenseer Weg32|13055Berlin<br />

Tempelhof |Germaniastraße145 –149 |12099 Berlin<br />

Reinickendorf |Roedernallee171–173 |13407 Berlin<br />

Pankow |Blankenburger Straße 8|13156 Berlin<br />

NIEDERLASSUNGENBERLIN<br />

www.renault-retail.de/berlin<br />

Polizisten während der Razzia am Sonnabendmorgen in Wedding.<br />

PUDWELL


14 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Berlin<br />

POLIZEIREPORT<br />

Rangelei mit Funkwagenbesatzung.<br />

AmSonnabendnachmittag hat ein<br />

23-Jähriger in Kreuzbergeinen Polizist<br />

ins Gesicht geschlagen. Gegen<br />

15.40 Uhrwaren mehrereFunkwagen<br />

wegen einer angeblichen Schlägerei<br />

in die Manteuffelstraße alarmiertworden.<br />

Aufdem Wegdorthin<br />

sprangen an einer Bushaltestelle<br />

zwei Männer vordie Funkwagen, sodass<br />

die Beamten starkbremsen<br />

mussten. Als sich die Schlägerei als<br />

Fehlalarmerwies,suchten die Streifen<br />

nach den Männern. In der Mariannenstraße<br />

wurden sie entdeckt.<br />

Einer der Männer schlug bei seiner<br />

Flucht einem Polizisten mit der<br />

Faust ins Gesicht. Beide Täter wurden<br />

überwältigt und konnten in Gewahrsam<br />

genommen werden.<br />

Unfall bei Flucht vor der Polizei.<br />

Auf der Flucht vorder Polizei hat in<br />

Wedding am Sonnabendmorgen ein<br />

31-Jähriger mehrereUnfälle verursacht.<br />

DerMann, der keinen Führerschein<br />

besitzt, war am frühen Morgen<br />

mit einem Renault vonder Triftstraße<br />

nach links in die Genter<br />

Straße abgebogen. Dabei verlor er<br />

die Kontrolle über den Wagen und<br />

prallte gegen vier geparkte Fahrzeuge.Zuvor<br />

war er Polizisten aufgefallen,<br />

als er an der Kreuzung Schulstraße/Maxstraße<br />

mit hoher Geschwindigkeit<br />

gefahren war.Sie folgten<br />

daraufhin dem Renault mit<br />

eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn,<br />

um ihn zu stoppen. Der31-<br />

Jährige überfuhr mehrererote Ampeln.<br />

In der Genter Straße endete die<br />

Flucht. Er wurde festgenommen. Bei<br />

seiner Durchsuchung stellten die<br />

Beamten Drogen sicher.<br />

Frau beim Ausparkenerfasst.<br />

Beieinem Unfall am Sonnabend in<br />

Westend ist eine Frau schwer verletzt<br />

worden. Ein73-Jähriger war gegen<br />

14 Uhrmit seinem Hyundai rückwärts<br />

vomMittelstreifen auf den Kaiserdamm<br />

gefahren. Seine drei Jahre<br />

jüngereLebensgefährtin wollte ihn<br />

einweisen. Dabei erfasste das Auto<br />

die Frau. Anschließend fuhr der Fahrermit<br />

dem Wagen rückwärts weiter<br />

und prallte gegen einen am rechten<br />

Fahrbahnrand geparkten Chevrolet.<br />

Die70-Jährige erlitt bei dem Unfall<br />

schwereVerletzungen.<br />

Beleidigt und geschlagen.<br />

Ein42Jahrealter Mann ist am Sonnabendabend<br />

in der Dietzgenstraße<br />

in Niederschönhausen homophob<br />

sowie rassistisch beleidigt und geschlagen<br />

worden. Polizisten nahmen<br />

einen 42-Jährigen fest. DasOpfer erlitt<br />

Verletzungen im Gesicht. Der<br />

Staatsschutz ermittelt. (ls.)<br />

Schauspieler Wolfgang Bahro freut sich, dass sich die<br />

Doppelstresswochen gelohnt haben. CHRISTIAN SCHULZ (3)<br />

VonAnfang bis Ende durchgelacht<br />

ANGELIKA MANN<br />

ist plötzlich dermaßen reich, dass sie<br />

sich ihre Traumrollen kaufen kann!<br />

Im richtigen Leben arbeitet sie noch<br />

daran, aber auf die Handlung der<br />

deutschsprachigen Erstaufführung<br />

der französischen Komödie „Ruhe!<br />

Wir drehen!“ am Schlosspark-Theater<br />

trifft das zu. Da gibt sie die reiche<br />

Diva Anne und Karsten Speck spielt<br />

den Produzenten, der auch ihr Mann<br />

ist. Angelika Mann findet ziemlich<br />

raffiniert, dass Dieter Hallervorden,<br />

der Chef des Hauses, der das Stück<br />

ins Deutsche übersetzt hat, sie mit<br />

Speck gelockt hat: „Das weiß man ja,<br />

dass ich auf Speck stehe! Besonders<br />

zum Frühstück.“ Die„Lütte“, wie die<br />

Künstlerin wegen ihrer überschaubaren<br />

Größe genannt wird, ging<br />

nach den Voraufführungen am Freitag<br />

und am Sonnabend optimistisch<br />

in die Premiere am Sonntag: „Bei<br />

beiden Voraufführungen hat das Publikum<br />

vom Anfang bis zum Ende<br />

durchgelacht. Wir kamen mit dem<br />

Text manchmal kaum dazwischen.<br />

Wenn das kein Bombenerfolg wird,<br />

verstehe ich die Welt nicht mehr.“<br />

Diese Rolle kommt ihr wie ein<br />

großes Geschenk vor. Ein Geschenk,<br />

das genau zur richtigen Zeit kommt:<br />

Im Jahr,indem sie ihren 70. Geburtstag<br />

und ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum<br />

feierte.<br />

WOLFGANG BAHRO<br />

hatte in den vergangenen Wochen in<br />

Doppelschichten gearbeitet: Tagsüber<br />

stand er in Babelsbergbei„Gute<br />

Zeiten, schlechte Zeiten“ vorder Ka-<br />

Angelika Mann mit Bühnenpartner Karsten Speck im<br />

<strong>Berliner</strong> Schlosspark-Theater.<br />

von Andreas Kurtz<br />

ak@andreaskurtz.net<br />

Im Schlosspark-Theater feiert<br />

„Ruhe! Wirdrehen!“ mit<br />

Angelika Mann, Wolfgang Bahro<br />

und Karsten Speck die Premiere der<br />

deutschen Erstaufführung<br />

mera. In seiner Freizeit und an den<br />

Wochenenden probte er das Stück<br />

„Ruhe! Wirdrehen!“ –die Doppelbelastung<br />

bereut er nicht: „Die beiden<br />

Voraufführungen waren super. Die<br />

Leute haben sich kaum eingekriegt.<br />

DieDoppelstresswochen haben sich<br />

in jedem Fall gelohnt.“<br />

Opernsänger Jochen Kowalski ist schon seit Vorwendezeiten<br />

ein großer Fanvon Angelika Mann.<br />

JOCHEN KOWALSKI<br />

freute sich schon wegen der Hauptdarstellerin<br />

auf den Abend im<br />

Schlosspark-Theater: „Ich bin schon<br />

seit Vorwendezeiten ein Verehrer des<br />

149 cm großen Kraftpakets,das liebevoll<br />

Lütte genannt wird. Bei ihr<br />

kommt so viel Günstiges zusammen.<br />

Dasihr eigene Urberliner komödiantische<br />

Talent, gepaart mit ihrem<br />

schlagkräftigen Humor werden es ihr<br />

ermöglichen, sich auch in Zukunft<br />

immer wieder neu zu erfinden.“<br />

Die ständigen Versuche der Sängerin<br />

und Schauspielerin, ihre nicht<br />

sehr hohe Erscheinung durch Diäten<br />

auch in der Breite zu reduzieren,<br />

sieht er skeptisch: „Zu einer Alterskarriere<br />

àla Lütte gehören natürlich<br />

unbedingt gewisse körperliche Ausbuchtungen<br />

–man fällt einfach gedämpfter,<br />

falls mal etwas nicht so<br />

laufen sollte.“<br />

HANS-JÜRGEN SCHATZ<br />

hat die Premiere amüsiert. Der<br />

Schauspieler war besonders von der<br />

genauen Beobachtung der Autoren<br />

des Stücks verblüfft. Denn viele der<br />

Verrücktheiten auf der Bühne<br />

kannte er aus seinem Arbeitsleben:<br />

„Erschütternd, aber genau so ist es!“<br />

ULRIKE FRANK<br />

spielt bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“<br />

die Ex-Frau des von Wolfgang<br />

Bahro gespielten Anwalts Jo Gerner.<br />

Sie hatte einen richtig guten Abend:<br />

„Soeine große Freude,Wolfgang in Situationen<br />

auf der Bühne zu sehen, die<br />

uns beiden nicht fremd sind.“<br />

Julia Biedermann kannte kein Halten:„Ich<br />

habe mich scheckig gelacht!“<br />

DIETER HALLERVORDEN<br />

fühlte sich am Premierenabend bestätigt:<br />

„Ich habe das Stück vor einiger<br />

Zeit in Frankreich gesehen und<br />

war mir sicher,dassdas in Berlin laufen<br />

wird.“ Er lobt besonders sein Ensemble:<br />

„Wir haben eine wunderbare<br />

Besetzung, für die ich sehr<br />

dankbar bin. Und die das übertrifft,<br />

was ich in Parisgesehen habe.“<br />

MARION KRACHT<br />

sorgte sich direkt nach der Premiere:<br />

„Hoffentlich bewahren alle Besucher<br />

das raffinierte Geheimnis dieser Inszenierung.“<br />

Und weil das eine sehr<br />

berechtigte Hoffnung ist, wird hier<br />

dazu nichts weiter verraten.<br />

Grünes Licht<br />

für den<br />

Amazon-Turm<br />

Senat lehnt Rechtsmittel<br />

gegen den Bau ab<br />

Das 140 Meter hohe Bürohochhaus<br />

Edge East Side scheint nun<br />

doch wie geplant entstehen zu können.<br />

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher<br />

lehne einen Rechtsstreit mit<br />

dem Bauherrn Coen van Oostrom<br />

und seiner FirmaEdge ab,berichtete<br />

der Tagesspiegel am Wochenende.<br />

Damit erteilte sie dem Ansinnen des<br />

Baustadtrats von Friedrichshain-<br />

Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne),<br />

eine Absage, der die bereits erteilte<br />

Baugenehmigung für das Gebäude<br />

an der Warschauer Straße anfechten<br />

möchte. Lüscher argumentiert, dass<br />

für eine nachträgliche Entziehung<br />

des Baurechts eine einschlägige<br />

Rechtsgrundlage fehle.<br />

Der Edge-Tower soll bis 2023 errichtet<br />

werden. 28 der 35 Etagen will<br />

der Online-Händler Amazon mieten.Vorgut<br />

einerWoche war bekannt<br />

geworden, dass Schmidt eine Neuplanung<br />

des Hochhauses erwirken<br />

möchte,weil der aktuelle Entwurfzu<br />

stark von den ursprünglichen Planungen<br />

abweiche. Der Bauherr verstoße<br />

nun gegen den städtebaulichenVertrag,<br />

sagte Schmidt. DieMitglieder<br />

des für die Planungen zuständigen<br />

Baukollegiums seien<br />

enttäuscht. Gemäß der <strong>Berliner</strong><br />

Hochhausleitline müsse ein Gebäude<br />

entstehen, das „eine besonders<br />

hohe städtebauliche und architektonische<br />

Qualität aufweist“.<br />

Offenbar ist das Hochhausleitbild<br />

jedoch nicht anzuwenden, wenn bereits<br />

eine rechtskräftige Baugenehmigung<br />

vorliegt. Diese ist dem Bezirk<br />

zufolge Anfang September erlassen<br />

worden, weil dem Vorhaben keine<br />

öffentlich-rechtlichen Vorschriften<br />

entgegengestanden hatten. (abg.)<br />

Der Edge East Side Towersoll direkt an<br />

der Warschauer Brückeentstehen.EDGE-TECH<br />

Sofort<br />

Barauszahlung!<br />

berliner adressen<br />

Wir kaufen alle EDELMETALLE...<br />

Zahngold - Altgold<br />

Faire Preise!<br />

Schmuck - Münzen - Platin - Silber<br />

Zinn und Versilbertes<br />

Berlin-Tegel<br />

Grußdorfstr.16, gegenüber derGorki-Einkaufspassage<br />

Mo.-Fr.: 9.00 -13.00 u. 14.00 -18.00 Uhr, Sa.: 9.00 -13.00 Uhr<br />

seit 41 Jahren<br />

Schwäbische<br />

schwäbisch solide, fleißigund schnell<br />

Goldverwertung Reutlingen<br />

Tel. 07121/38 13 01 Fax07121/38 03 25<br />

Waimer GmbH<br />

www.waimergold.de<br />

Vermischtes<br />

dienstleistungen<br />

Entrümp.,10%Rabatt f. Seniorenbei Leerwhg.<br />

an- und Verkäufe<br />

Kaufgesuche<br />

Kaufe Ölgemälde, Münzen, Antiquität.Dr.<br />

Richter, 01705009959<br />

Telefonische anzeigenannahme: 030 2327-50<br />

Hilfe für pflegebedürftige alte Menschen!<br />

In Würde alt werden ·www.senioren-bethel.de


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 15 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Berlin/Brandenburg<br />

Kenia<br />

wartet auf<br />

ein Ja<br />

Linke kritisiert<br />

rot-schwarz-grüne Pläne<br />

NachVorlage desVertrages für die<br />

künftige Kenia-Koalition in<br />

Brandenburgvon SPD mit CDU und<br />

Grünen ist nun die Zustimmung der<br />

Parteien erforderlich. In den nächsten<br />

Wochen ist das Votum der unterschiedlichen<br />

Gremien gefragt. Bei<br />

CDU und Grünen wird über Mitgliederbefragungen<br />

die Zustimmung<br />

zu dem Vertrag erkundet. Die<br />

SPD hat am 16. November einen<br />

Sonderparteitag angesetzt. DieWiederwahl<br />

von Dietmar Woidke (SPD)<br />

als Regierungschef ist für den 20. November<br />

geplant. Der lobte den 84-<br />

seitigen „Kenia“-Vertrag bei dessen<br />

Vorstellung: „Wir haben viele Vorhaben,<br />

die unser Land voranbringen<br />

sollen“, erklärte er und sprach von<br />

einer „Koalition der Mitte, der großen<br />

Mehrheit der Menschen“. Bessere<br />

Pflege, kostenlose Kitas und ein<br />

starker Staat sind drei Kernpunkte.<br />

Kritik an dem Vertrag hat am<br />

Sonnabend Brandenburgs amtierender<br />

Finanzminister Christian<br />

Görke (Linke) geäußert. „In diesem<br />

Koalitionsvertrag hat man allen alles<br />

versprochen“, sagte Görke im Inforadio<br />

vom RBB. „Jetzt soll das Geld<br />

der Kitt sein, der das Bündnis zusammenhält.“<br />

Er kritisierte, dass die<br />

drei Parteien einen Kredit von einer<br />

Milliarde Euro aufnehmen wollen.<br />

Alle wichtigen Projekte hätte man<br />

auch ohne diesen Kredit finanzieren<br />

können, da es eine beachtliche<br />

Rücklage von zwei Milliarden Euro<br />

gebe,sagte Görke.<br />

Christian Görke,Die Linke, bisher Finanzminister<br />

IMAGO IMAGES<br />

BVB/Freie Wähler haben bereits<br />

angekündigt, in der Wahlperiode jeden<br />

Vorschlag der Regierung auf<br />

seine Brandenburg-Tauglichkeit zu<br />

überprüfen. Stets stünden für Zustimmung<br />

oder Ablehnung sachliche<br />

Kriterien im Blick, hieß es.<br />

Am 1. September war ein neuer<br />

Landtag gewählt worden. Die Koalition<br />

verfügt über sechs Sitze Mehrheit.<br />

DieSPD wurde mit 26,2 Prozent<br />

stärkste Kraft vor der AfD mit 23,5<br />

Prozent. DieCDU erreichte 15,6 Prozent,<br />

die Linke 10,7 Prozent und die<br />

Grünen 10,8 Prozent. Die Freien<br />

Wähler kamen auf 5,0 Prozent.<br />

Laut dem vorliegenden Koalitionsvertrag<br />

sollen künftig Bildung<br />

und Pflege gestärkt sowie der Klimaschutz<br />

vorangebracht werden. Die<br />

Partner einigten sich, keine neuen<br />

Tagebaue oder Erweiterungen zuzulassen<br />

und damit auch keine Abbaggerung<br />

von Dörfern. Außerdem sollen<br />

mit einem neuen Kredit von einer<br />

Milliarde Euro in den kommenden<br />

zehn Jahren weitere Mittel in<br />

den Nahverkehr, den Neubau von<br />

Schulen und Kitas, indas Gesundheitswesen,<br />

die Digitalisierung und<br />

in den Klimaschutz fließen.<br />

Über die Besetzung der Ministerien<br />

entscheiden die Grünen bei einer<br />

Urwahl, SPD und CDU auf Landesparteitagen.<br />

Die SPD soll die<br />

Staatskanzlei und die Ministerien Finanzen,<br />

Bildung, Wirtschaft und Arbeit<br />

sowie Wissenschaft erhalten.<br />

DieCDU soll den drei HäusernInneres,<br />

Infrastruktur und Justiz vorstehen.<br />

Für die Grünen sind Umwelt<br />

und Landwirtschaft sowie Soziales/Frauen/Gesundheit<br />

und Verbraucherschutz<br />

vorgesehen. (dpa)<br />

Evelyne Brix, 87, in ihrer <strong>Berliner</strong> Wohnung: Das Foto ist Teil der Ausstellung „Ich lebe! Zehn Kinder,zehn Kriege, zehn Dekaden –und ein Baby“.<br />

Nudelsuppe vom Feind<br />

Als Kind bekam Evelyne Brix 1946 von Briten finanziertes Essen. Die Erinnerung daran hat sie geprägt<br />

VonMaritta Tkalec<br />

Dass sie mit 87 Jahren<br />

noch einmal prominent<br />

werden würde, das hätte<br />

Evelyne Brix nicht gedacht.<br />

Nun aber steht die <strong>Berliner</strong>in<br />

im Foyer des Auswärtigen Amtes inmitten<br />

der Tafeln einer Ausstellung<br />

und gehört zuden zehn Menschen<br />

aus aller Welt, deren Geschichten erzählt<br />

werden. „Ich lebe! Zehn Kinder,<br />

zehn Kriege,zehn Dekaden –und ein<br />

Baby“heißt die Ausstellung, ein Projekt<br />

der Kinderschutzorganisation<br />

Save the Children, die in diesem Jahr<br />

ihren hundertsten Geburtstag feiert.<br />

Evelyne Brix war 14 Jahre alt und<br />

lebte mit ihren Eltern und einem<br />

jüngeren Bruder im kriegszerstörten<br />

Lichtenberg, als sie zum ersten Mal<br />

mit Save the Children zu tun hatte –<br />

in ihrer Schule in der Nähe des S-<br />

Bahnhofs Lichtenberg: „Wir haben<br />

wirklich gehungert“, erinnert sie<br />

sich, „die Lebensmittelkarten reichten<br />

nicht aus, zehn Gramm Fett pro<br />

Tag, mehr nicht“. Dass es in der<br />

Schule Essen als Nothilfe gab, zweimal<br />

in derWoche,für alle Kinder,das<br />

sei eine große Hilfe gewesen.<br />

Noch heute schwärmt sie vonder<br />

Nudelsuppe mit Fleisch, die es an<br />

dem einen Taggab.Andem anderen<br />

bekamen die mageren Kinder Brötchen<br />

und Kakao. Diese Schulspeisungen<br />

wurden von den Quäkern,<br />

einer christlichen Gemeinschaft aus<br />

England, organisiert und von Save<br />

the Children mitfinanziert.<br />

Evelyne Brix war schon damals<br />

bewusst, dass diese Nothilfe nicht<br />

selbstverständlich war: „Die hätten<br />

uns nicht helfen müssen, wir waren<br />

ja der Feind. DieTatsache,dass<br />

es Menschen<br />

gab, die uns geholfen<br />

haben, hat mich mein<br />

ganzes Leben lang begleitet“,<br />

sagt sie heute.<br />

Deshalb hat sie versucht,<br />

selber zu helfen,<br />

als sie es konnte,<br />

spendete für „Brot für<br />

dieWelt“ und dieWelthungerhilfe.<br />

Dass Brix zu einer<br />

Protagonistin der Ausstellung<br />

wurde, fing<br />

mit einem Artikel in<br />

der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

an, die sie seit vielen<br />

Jahren abonniert hat.<br />

Im April las sie da einen Aufruf von<br />

Save the Children, Zeitzeugen der<br />

Nothilfe mögen sich bitte melden.<br />

„Kannst ja mal anrufen, dachte ich.<br />

Ichhabe ja nicht geahnt, dass es solche<br />

Ausmaße annehmen würde“, erzählt<br />

sie und freut sich. Der international<br />

preisgekrönte Fotograf Dominic<br />

Nahr hat Aufnahmen von ihr in<br />

ihrer Wohnung in Weißensee gemacht.<br />

Die Bilder sind nun auf einer<br />

Tafel im Lichthof des Außenministeriums<br />

zu sehen –neben Fotos, die<br />

ihre Kriegs-Odyssee nachzeichnen.<br />

1943 kam sie in ein Heim der der Kinderlandverschickung<br />

im heute tschechischen<br />

BadLettin –zweiJahrelebte<br />

sie fern von ihren Eltern. Bei Herannahen<br />

der Roten Armee<br />

mussten die 200<br />

Kinder los: Zu Fußging<br />

es durch den Böhmerwald<br />

nach Bayern,<br />

etwa 20 Kilometer<br />

Marsch jeden Tag. Sie<br />

gelangten schließlich<br />

nach St.Alban bei Freising.<br />

Erst als die Post<br />

wieder funktionierte,<br />

konnte sie die Eltern<br />

informieren. Die Mutter<br />

holte sie 1946 nach<br />

Evelyne Brix an ihrem ersten<br />

Schultag 1938.<br />

PRIVAT<br />

Berlin. „Glücklicherweise<br />

waren wir nicht<br />

ausgebombt“, erinnert<br />

sich die 87-Jährige.<br />

Fast 20 sagenhafte<br />

Jahre mehr zählt Erich Karl, der älteste<br />

der Protagonisten der Jahrhundertausstellung.<br />

Gestützt auf seinen<br />

Rollator schaut sich der 106-Jährige<br />

die Ausstellung an: Er bekam als<br />

Kind in Weimar nach dem Ersten<br />

Weltkrieg in der Schule Kakaosuppe<br />

in seinen Blechnapf gefüllt. Dentrug<br />

er an seinen Schulranzen geknüpft.<br />

Erich Karl gehörte zu den Ersten,<br />

denen Save the Children helfen<br />

Radfahrer droht Senat mit Klage<br />

konnte.Doch erledigt ist die Aufgabe<br />

noch lange nicht, im Gegenteil: Gegenwärtig<br />

gibt es so viele Konflikte in<br />

der Welt, dass 420 Millionen Kinder<br />

in Kriegen und gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />

aufwachsen –<br />

fast jedes fünfte Kind. Ihre Vertreter<br />

in der Ausstellung sind das Baby Rajiya,<br />

fotografiert2019 im Alter von15<br />

Tagen in einem Riesenlager von<br />

Rohingya-Flüchtlingen aus Myanmar<br />

in Bangladesch und die Elfjährige<br />

Amal aus Syrien, die nun im Libanon<br />

lebt. Dieanderen Namen, Bilder<br />

und Geschichten erinnernandie<br />

schlimmsten Ereignisse des vergangenen<br />

Jahrhunderts: die Genozide in<br />

Kambodscha und Ruanda, die<br />

Kriege in Korea und Afghanistan,<br />

den spanischen Bürgerkrieg, den<br />

Biafrakrieg in Nigeria und den jahrzehntelangen<br />

bewaffneten Konflikt<br />

in Kolumbien.<br />

Diese elf stehen für die vielen, die<br />

dank der Mitmenschlichkeit über<br />

Grenzen hinweg überleben konnten<br />

und erinnern andie vielen, denen<br />

das nicht vergönnt war. Bärbel Kofler,<br />

Menschenrechtsbeauftragte der<br />

Bundesregierung, erinnerte daher<br />

bei der Ausstellungseröffnung an<br />

jene, denen in der Welt von heute<br />

wirklich die Kindheit geraubt wird.<br />

Ausstellung im Lichthof des Auswärtigen Amtes,<br />

zugänglich täglich biszum 29. Novembervon<br />

10 bis 19 Uhr.Bitte Personalausweis mitbringen.<br />

Die neue Verkehrsführung auf der Oberbaumbrücke verstoße gegen das Mobilitätsgesetz, lautet sein Vorwurf<br />

VonPeter Neumann<br />

Neue Markierungen haben das<br />

Radfahren auf der Oberbaumbrücke<br />

sicherer gemacht, so der Senat.<br />

Doch viele Radfahrer sehen das<br />

anders.Einer vonihnen, Jens Blume<br />

aus Tempelhof, hat gegen die Anordnung<br />

der neuen Verkehrsführung<br />

Widerspruch eingelegt. Falls die Senatsverkehrsverwaltung<br />

ihn zurückweise,<br />

werde er Klage einlegen, so<br />

der 33-Jährige.„Dazu bin ich bereit.“<br />

Es könnte die erste vonvielen weiterenKlagen<br />

sein, in denen sich Bürger<br />

auf das Mobilitätsgesetz beziehen.<br />

Auf der Spreequerung in Friedrichshain-Kreuzberg<br />

wurde der Straßenraum<br />

nach Bauarbeiten neu aufgeteilt.<br />

So sieht die Rechnung derVerwaltung<br />

aus: Bisher standen Kraftfahrzeugen<br />

pro Richtung zwei<br />

Fahrstreifen auf insgesamt sechs Metern<br />

zur Verfügung, nun gibt es nur<br />

eine 4,45 Meter breite Fahrspur. Die<br />

Beim Nebeneinanderfahren kommen Autos Fahrrädernoft gefährlich nahe. THOMAS UHLEMANN<br />

Radfahrer erhielten mehr Platz. Der<br />

Radfahrstreifen Richtung Osten war<br />

bislang 1,35 Meter breit, der Streifen<br />

Richtung Westen 1,60 Meter. Jetzt<br />

seien beide zwei Meter breit. Jeweils<br />

80 Zentimeter breite Sicherheitsbereiche<br />

kämen dazu, so der Senat.<br />

Doch Jens Blume hat nachgemessen.<br />

Ergebnis: Stellenweise seien die<br />

Radfahrstreifen nur 1,35 Meter breit.<br />

„Ein sicheres Überholen ist nicht<br />

möglich“ – ein Verstoß gegen das<br />

<strong>Berliner</strong> Mobilitätsgesetz. Auch die<br />

Tatsache, dass Autos die Radfahrstreifen<br />

befahren können, laufe dem<br />

Gesetz zuwider. Viele Autos würden<br />

nebeneinander fahren, als gäbe es<br />

weiter zwei Fahrstreifen pro Rich-<br />

SAVE THE CHILDREN/DOMINIC NAHR<br />

tung. Dabei kämen sie den Fahrrädern<br />

gefährlich nahe. Laut Gesetz<br />

wäre ein „physischer Schutz“ wie<br />

zum Beispiel ein Bordstein erforderlich,<br />

damit das regelwidrige Befahrenunterbleibt.<br />

Fazit des Ingenieurs:<br />

„Statt auf dieser wichtigen Verbindung<br />

gesetzeskonforme Radwege<br />

einzurichten, wurden überbreite Autospuren<br />

eingerichtet und zu<br />

schmale ungeschützte Radspuren,<br />

die seit der Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes<br />

so gar nicht mehr gebaut<br />

werden dürften“, so Blume.<br />

Radfahrer können einander sicher<br />

überholen, entgegnete Dorothee<br />

Winden, Sprecherin von Verkehrssenatorin<br />

Regine Günther<br />

(Grüne). Klar sei auch: Jeder habe die<br />

Verkehrsregeln einzuhalten. Autofahrer<br />

müssten die Verkehrsführung<br />

beachten, und sie dürften die Radwege<br />

nicht befahren. Winden: „Wir<br />

beobachten die weitereEntwicklung<br />

und werden dies auswerten.“<br />

NACHRICHTEN<br />

Schlägerei wegen Fahrens<br />

mit E-Roller auf Gehweg<br />

EinStreit über E-Roller-Fahren auf<br />

dem Gehweg ist in der Nacht zu<br />

Sonntag in Potsdam zu einer Schlägerei<br />

ausgeartet. DieMänner waren<br />

voreiner Studentenkneipe auf- und<br />

abgefahren, was einer anderen<br />

Gruppe nicht gefallen hatte,wie die<br />

Polizei mitteilte.Bei Eintreffen der<br />

Beamten habe ein 31-Jähriger mit einer<br />

blutenden Wunde am Kopf auf<br />

dem Boden gelegen. Eine zweite Person<br />

sei augenscheinlich durch ein<br />

Messer verletzt worden. Diebeiden<br />

möglichen Tatverdächtigen hatten<br />

sich bereits entfernt, konnten in der<br />

Nähe ermittelt werden. DieMänner<br />

im Alter von20Jahren wurden vorläufig<br />

festgenommen. (dpa)<br />

Verdächtige Tüten sorgen in<br />

Luckau für Aufregung<br />

Nach dem Fund vonzweiPlastiktüten<br />

mit unbekanntem Inhalt hat die<br />

Polizei am Sonnabend für mehrere<br />

Stunden einen Teil der Innenstadt<br />

vonLuckau (Dahme-Spreewald) abgesperrt.<br />

Spezialisten des Landeskriminalamtes<br />

untersuchen den Inhalt<br />

der Tüten, dessen Zusammensetzung<br />

nach Polizeiangaben nach wie<br />

vorunklar ist. EinBürger hatte am<br />

Sonnabendvormittag im Zentrum<br />

vonLuckau die Tüten bemerkt und<br />

die Polizei alarmiert. EinTeil der Innenstadt<br />

wurde daraufhin abgesperrt.<br />

Auch nahe gelegene Straßen<br />

um die beiden Fundorte am Markt<br />

waren nach Polizeiangaben für mehrere<br />

Stunden nicht zugänglich. Die<br />

erste Untersuchung habe ergeben,<br />

dass der Inhalt nicht explosiv sei,<br />

sagte ein Sprecher der Polizeidirektion<br />

Süd. Diebeiden Tüten waren<br />

am späten Nachmittag sicher verpackt<br />

abtransportiertworden. Der<br />

Inhalt war vomAugenschein her<br />

eine grobkörnige Substanz, wie die<br />

Polizei mitteilte. (dpa)<br />

Die gesperrteInnenstadt von Luckau am<br />

Wochenende.<br />

DPA<br />

GEWINNZAHLEN<br />

Lottozahlen: 1-2-11-17-37-44<br />

Superzahl: 6<br />

Spiel 77: 1026825<br />

Landeslotterie Super 6: 221773<br />

Glücksspirale: (Gewinner nach Endziffern)<br />

3=10Euro<br />

93 =25Euro<br />

604 =100 Euro<br />

5103 =1000 Euro<br />

56 893 =10000 Euro<br />

874 964 =100 000 Euro<br />

404 733 =100 000 Euro<br />

Prämie: Monatliche „Sofortrente“ in Höhe von<br />

10 000 Euro auf die Nummer 7728 429.<br />

ARD-Fernsehlotterie:<br />

9844 701 gewinnt Mini Cooper Countryman<br />

1506 921 gewinnt BMW 118i<br />

0251 868 gewinnt Reise nach Warnemünde<br />

6172 519 gewinnt Reise nach Dollenberg<br />

5329 162 gewinnt 100 000 Euro<br />

Prämienziehung (nur für Mega-Lose):<br />

0415 946 gewinnt 1000 000 Euro<br />

223 437 gewinnt 100 000 Euro<br />

50 946 gewinnt 10 000 Euro<br />

8120 gewinnt 1000 Euro<br />

06 gewinnt 10 Euro<br />

Alle Angaben ohne Gewähr!


16 ** <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Lokalsport<br />

Ein Ausstand und seine Folgen: Wie beim SSV Köpenick-Oberspree fielen am Wochenende auf Berlins Amateurplätzen die Spiele aus. Betroffen waren stadtweit mehr als 1000 Begegnungen.<br />

IMAGO IMAGES<br />

Ruf nach professioneller Aufarbeitung<br />

Berlins Schiedsrichter haben am Wochenende einspektakuläres Zeichen gegen Gewalt gesetzt, doch für die Referees und Klubs geht der Kampf jetzt erst richtig los<br />

VonMichael Jahn<br />

Am 2.August war die Hoffnung<br />

groß, dass sich auf<br />

Berlins Fußballplätzen die<br />

Gewalt gegen Schiedsrichter<br />

eindämmen lassen würde. Und<br />

das, obwohl bereits in der vorangegangenen<br />

Saison Attacken gegen<br />

Unparteiische in Begegnungen der<br />

Amateurkicker an der Tagesordnung<br />

waren. Damals, amersten Spieltag<br />

der Berlin-Liga, wollten Referees der<br />

Hauptstadt zusammen mit ihren<br />

Kollegen aus Hamburg ein Zeichen<br />

setzen und auf die schwierige Situation<br />

aufmerksam machen. Beim<br />

Spiel von Sparta Berlin gegen Aufsteiger<br />

Fortuna Biesdorf (6:3) hatten<br />

vor dem Anpfiff alle Spieler zusammen<br />

mit dem Schiedsrichterkollektiv<br />

ein Banner in die Höhe gehalten.<br />

„Gemeinsam für Respekt und Fairness“,<br />

stand darauf.<br />

Knapp vier Monate später ist die<br />

Hoffnung geschwunden, weil die<br />

Lage eskaliert. Deshalb sind die<br />

Schiedsrichter des <strong>Berliner</strong> Fußball-<br />

Verbandes (BFV)indiesemWochenende<br />

in den Ausstand getreten. Mehr<br />

als 1000 Spiele konnten deshalb<br />

nicht stattfinden. Ausnahmezustand<br />

im <strong>Berliner</strong> Fußball mal anders.<br />

Ralf Kisting ist der Sprecher des<br />

<strong>Berliner</strong> Schiedsrichterausschusses<br />

und Obmann der Referees von Bundesligist<br />

Hertha BSC. Er weilte am<br />

Wochenende in München beim Treff<br />

aller Obmänner der Erstligisten und<br />

der Vertreter des Hamburger SV sowie<br />

vom VfB Stuttgart. Es ging dort<br />

um allgemeine Probleme der<br />

Schiedsrichter, aber die Aktion in<br />

Berlin war „in aller Munde“, wie Kisting<br />

im Gespräch mit dieser <strong>Zeitung</strong><br />

sagt. „Ich bekam zu 100 Prozent Zustimmung<br />

für den Ausstand der <strong>Berliner</strong><br />

Referees, alle fanden unsere<br />

Maßnahme gut und erforderlich.“<br />

Nicht immer kam das so deutlich<br />

zum Ausdruck wie beim Abgesandten<br />

von Eintracht Frankfurt. Der<br />

wollte sich unbedingt mit Kisting fotografieren<br />

lassen, weil er die Aktion<br />

in Berlin wichtig fand. Kisting meint:<br />

„Ich bekam viele Mails und Nachrichten<br />

aufs Handy – von <strong>Berliner</strong><br />

Vereinen, aber auch vonder Gewerkschaft<br />

der Polizei. DerTenor: Eswar<br />

Zeit, endlich zu handeln!“<br />

Kisting weiß, dass ein Zeichen allein<br />

nicht reichen wird, um die Verhältnisse<br />

auf den Fußballplätzen der<br />

Republik in den unteren Spielklassen<br />

zu verbessern. Der<strong>Berliner</strong> führt<br />

die zunehmende Gewalt auf Veränderungen<br />

in der Gesellschaft zurück,<br />

auf fehlende Akzeptanz des Gegners<br />

und des Spielleiters.<br />

Kisting und seine Schiedsrichter-<br />

Kollegen schlagen nun eine Reihe<br />

von Maßnahmen vor, um die Situation<br />

zu verbessern. So soll unter anderem<br />

der Heimverein künftig bei<br />

Spielen zwei Ordner stellen, so dass<br />

der Schiedsrichter nicht auf sich allein<br />

gestellt ist. Außerdem sollen die<br />

Mannschaften Kurse in Regelkunde<br />

abhalten –inder Hoffnung, dass dadurch<br />

das Verständnis für Entscheidungen<br />

der Schiedsrichter wächst.<br />

„Das alles kann und muss kurzfristig<br />

passieren“, sagt Kisting.<br />

Bislang ist die Regelschulung<br />

keine Pflicht, aber es gibtVereine,die<br />

sich ihrer Verantwortung bewusst<br />

„Ich bekam zu 100 Prozent Zustimmung<br />

für den Ausstand der <strong>Berliner</strong> Referees,<br />

alle fanden unsere Maßnahme gut.“<br />

Ralf Kisting hat als Vertreter von Hertha BSC in München auf einem Treffen<br />

aller Schiedsrichter-Obmänner der Bundesligisten viel Solidarität erfahren.<br />

sind. Kisting nennt ein sehr positives<br />

Beispiel: „Beim <strong>Berliner</strong> SC wirdeine<br />

Regelschulung schon in der C-Jugend<br />

durchgeführt. Dort konnten<br />

danach sogar sechs junge Schiedsrichter<br />

gewonnen werden.“<br />

Dass die Zeit drängt, beweist die<br />

Statistik. In Berlin stieg die Anzahl<br />

der Vorfälle bereits um 20 Prozent, in<br />

der Vorsaison sei bereits jeder siebte<br />

Schiedsrichter Opfer von Angriffen<br />

geworden, sagt Kisting. Verbale Beleidigungen<br />

sind an der Tagesordnung,<br />

außerdem sehen sich die Referees<br />

zunehmend körperlichen Attacken<br />

ausgesetzt. Vor allem junge<br />

Schiedsrichter haben Angst, Spiele<br />

bestimmter Vereine zu pfeifen.<br />

Nun hat der Schiedsrichterausschuss<br />

des BFV mit seinem Stoppzeichen<br />

deutschlandweit für Aufsehen<br />

gesorgt. Das Präsidium des BFV war<br />

nach heftiger Diskussion zuerst gegen<br />

die Maßnahme gewesen, setzte<br />

aber wegen des organisatorischen<br />

Chaos, das gedroht hätte, auch alle<br />

Spiele offiziell ab.Bernd Schultz, der<br />

Präsident, der sich bis zum heutigen<br />

Montag im Ausland befand, sagt:<br />

„Die zunehmende Gewaltbereitschaft<br />

gegenüber Schiedsrichtern<br />

sehe ich mit großer Sorge. Hier gilt es<br />

konsequent und gemeinsam gegen<br />

die Täter vorzugehen und alle Möglichkeiten<br />

der Sportgerichtsbarkeit<br />

auszuschöpfen. Gleichzeitig kann<br />

ein Ausstand von Schiedsrichtern<br />

immer nur die letzte Option sein.“<br />

Gerade das BFV-Sportgericht enttäuschte<br />

die Schiedsrichter, als zuletzt<br />

im Fall des Berlin-Ligisten Al<br />

Dersimspor ein nach Ansicht des<br />

Ausschusses viel zu mildes Urteil gefällt<br />

wurde.Dortwar ein Referee von<br />

einem Spieler geschlagen worden.<br />

Berlins Schiedsrichter-Chef Jörg<br />

Wehling fordert, die Kompetenz der<br />

Sportgerichte zu stärken. „Wir brauchen<br />

hauptamtliche Kräfte im Sportgericht,<br />

damit Urteile, die Auflagen<br />

und Bewährungsstrafen ein Maß erreichen,<br />

bei dem man sagt: ,Ja, das ist<br />

eine professionelle Aufarbeitung.’“<br />

Ralf Kisting sieht auch nach dem<br />

Wochenende in dem Ausstand ein<br />

wichtiges Signal: „Die Mehrheit der<br />

<strong>Berliner</strong> Schiedsrichter wollte diesen<br />

Ausstand, das war nicht nur eine<br />

Entscheidung unseres Ausschusses,<br />

sondern des Schiedsrichterbeirates,<br />

in dem rund 30 Leute sitzen und zuvor<br />

alle ihre Probleme auf den Tisch<br />

brachten.“ Das Fazit: Es muss sich<br />

schnellstens etwas verändern, damit<br />

die Spirale der Gewalt nicht noch<br />

weiter geht.<br />

Michael Jahn<br />

bleibt am Thema Gewalt<br />

gegenReferees dran.<br />

Wenn das Durchboxen Tradition hat<br />

Serie –Tierisch fit: Wiedie Zehlendorfer Eichhörnchen zum größten Radsportklub der Stadt wurden und warum es in Berlin bald wieder ein internationales Straßenrennen geben könnte<br />

VonChristian Kattner<br />

Der Standort hat sich schon<br />

mehrfach bewiesen. Nicht als<br />

Ort, um mit den eigenen Mitgliedern<br />

über organisatorische Dinge zu sprechen,<br />

wohl aber als „neutraler Boden“<br />

für Gespräche mit Verantwortlichen<br />

verschiedener Verbände, wie<br />

Karsten Podlesch das Café am Tempelhofer<br />

Hafen mit einem Lächeln<br />

im Gesicht beschreibt. In früheren<br />

Generationen war der Treffpunkt<br />

noch ein ganz anderer. Bei einem<br />

dieser, teils verpflichtenden, Treffen<br />

im „Schwarzen Adler“ in Zehlendorf<br />

wurde im Jahr 1952 sogar der Vereinsname<br />

des Klubs in Leben gerufen,<br />

den Podlesch mittlerweile als<br />

erster Vorsitzender anführt.<br />

Damals wurde zunächst in einer<br />

Garage geboxt. Eher zufällig und um<br />

die Ausdauer zu erhöhen, kam das<br />

Fahrrad ins Spiel. „Auf einmal hat<br />

das allen viel mehr Spaß gemacht als<br />

Boxen“, berichtet Karsten Podlesch<br />

von der Geschichte, die ihm irgendwann<br />

erzählt wurde. Aus Boxen<br />

wurde Radsport und fast so etwas<br />

wie ein Märchen, als es um die Suche<br />

nach einem Namen ging: „Man saß<br />

damals zusammen im Grünen und<br />

in diesem Augenblick lief ein Eichhörnchen<br />

über die Bäume. Dawar<br />

der Name geboren“, so Podlesch,<br />

Flink und fleißig: Die Zehlendorfer Eichhörnchen posieren vor der Ausfahrt.<br />

„als Eichhörnchen muss man fleißig<br />

sein, aber eigentlich bringt man ein<br />

Eichhörnchen nicht unbedingt mit<br />

Radsport inVerbindung.“ Gerade in<br />

den ersten Jahren waren viele Erklärungen<br />

notwendig, mittlerweile ist<br />

der Name in Fachkreisen aber<br />

deutschlandweit längst ein Begriff.<br />

Dasliegt auch an den vielen internationalen<br />

und nationalen Erfolgen,<br />

die gesammelt wurden. Podleschs<br />

Bruder Rainer etwa wurde zweimal<br />

Weltmeister und mehrfacher Deutscher<br />

Meister, Neffe Carsten wurde<br />

als Steher Welt- und Europameister.<br />

Aber auch der frühere Mountainbike-Weltmeister<br />

Mike Kluge hat als<br />

Eichhörnchen die Pedalen getreten.<br />

Denn: Über alle die Jahre ist man<br />

vom Grundprinzip der Nachwuchsarbeit<br />

nicht abgegangen. Auch wenn<br />

es in der heutigen Zeit sicherlich<br />

nicht mehr ganz so einfach ist, wie<br />

noch vor 20, 30 Jahren. „Radsport ist<br />

sehr trainingsintensiv“, sagt Karsten<br />

Podlesch, „wenn man ein Rennen<br />

gut beenden möchte, gehört sehr<br />

viel Training dazu. Es gibt Naturtalente,<br />

aber es gibt Leute, bei denen<br />

vergehen schon mal drei Jahre, bis<br />

der Knoten platzt.“ Mit 160 Mitgliedern<br />

sind die Eichhörnchen aktuell<br />

in Berlin der größte Radsportverein.<br />

Fast ein Fünftel dieser Mitglieder<br />

sind Nachwuchsfahrer im Bereich<br />

Schüler bis Jugend, dann allerdings<br />

klafft ein Loch bei den Junioren und<br />

den U23-Fahrern, auch gibt es nur<br />

zwei Elitefahrer. Es ist der Bereich<br />

mit der höchsten Ausstiegsquote.<br />

Mit der ersten Freundin und dem<br />

Abitur und dem Beginn einer Ausbildung<br />

wird neu priorisiert. Für ein<br />

Training, das mehr Zeit als in anderen<br />

Sportarten in Anspruch nimmt,<br />

gibt es da keine Kapazitäten mehr.<br />

„Unter zwei Stunden brauche ich<br />

nicht loszufahren, sonst komme ich<br />

gar nicht in den Bereich, wo ich die<br />

Leistung steigere“, sagt Podlesch.<br />

Er selbst ist kein gebürtiger <strong>Berliner</strong>,<br />

hat auch nicht im Nachwuchs<br />

bei den Eichhörnchen angefangen,<br />

aber wollte in der damals noch geteilten<br />

Hauptstadt sein Glück als<br />

Radrennfahrer suchen. Etwas, das<br />

damals noch möglich war,immerhin<br />

ZEHLENDORFER EICHHÖRNCHEN<br />

galt Berlin als Hochburg. Die Möglichkeiten<br />

waren aber in früheren<br />

Jahren ganz andere. Selbst, im eingemauerten<br />

Westteil der Stadt. Da, wo<br />

die Radrennfahrer heute im Stadtbild<br />

kaum noch zu sehen sind, weil<br />

sie ihre eigentlichen Trainingskilometer<br />

in Brandenburg rollen, wurden<br />

gerade im Bereich des Wannsees,aber<br />

auch auf Bahnen und den<br />

Straßen viel gefahren und trainiert.<br />

„Ganz wenig ist davon noch übrig“,<br />

sagt der Vereinsvorsitzende der<br />

Eichhörnchen. Es gebe zwar auch<br />

aktuell erfolgreiche deutsche Fahrer,<br />

aber die können nicht gehalten werden.<br />

Auch, weil die Infrastruktur<br />

keine optimalen Bedingungen mehr<br />

bietet. „Nehmen wir mal das Velo-<br />

drom. DieSportart, die da eigentlich<br />

zuhause ist, die Radrennfahrer, werden<br />

sehr stiefmütterlich behandelt.<br />

Da gibt es Vorschriften, die sich niemand<br />

vorstellen kann“, sagt Podlesch,<br />

„leider haben wir dafür zwei<br />

funktionierende Radrennbahnen<br />

geopfert, die vernachlässigt und später<br />

abgerissen wurden.“ Es sei mehrmals<br />

vorgekommen, dass das Velodrom<br />

für die <strong>Berliner</strong> Fahrer vor<br />

Meisterschaften nicht zur Verfügung<br />

stand, weil dort Konzerte stattfanden<br />

und sie stattdessen in Frankfurt/Oder<br />

trainieren mussten.<br />

Aber auch nach Straßenrennen<br />

müssen die <strong>Berliner</strong> außerhalb der<br />

Stadtgrenzen suchen. Vonden einst<br />

mehr als 30 Rennen, die jährlich in<br />

der Hauptstadt stattfanden, hat nur<br />

eins überlebt. „Die Behördengänge<br />

zermürben“, sagt Podlesch, „außerdem<br />

bekommt man keine Strecke<br />

mehr frei.“ Umso größer ist bei den<br />

Eichhörnchen die Freude darüber,<br />

dass sie es seit vier Jahren sind, die<br />

im Rahmen der Steglitzer Wochedas<br />

Lichterfelder Rundstreckenrennen<br />

ausrichten. „Wir streben da aber<br />

nach Höherem und wollen das Rennen<br />

wieder international machen“,<br />

sagt Podlesch. Gut möglich, dass es<br />

zu den Verhandlungen darüber wieder<br />

auf den neutralen Boden am<br />

Tempelhofer Hafen geht.


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 17 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Sport<br />

Wenn die<br />

Zeit<br />

wegläuft<br />

Die Eisbären verlieren<br />

gegen München 3:5<br />

VonChristian Kattner<br />

AmTag der Umstellung auf die<br />

Winterzeit klingelte der Wecker<br />

am Sonntag eine Stunde später.Und<br />

auch für die 14 200 Fans in der Arena<br />

am Ostbahnhof gab es im Spiel der<br />

Eisbären Berlin gegen München einen<br />

späten Weckruf. Trudelte die<br />

Partie über weite Phasen des<br />

Schlussdrittels vorsich hin, wurde es<br />

acht Minuten vor dem Ende durch<br />

den 3:4-Anschluss der Gastgeber<br />

noch einmal laut. Angetrieben von<br />

den Fans warfen die Eisbären alles<br />

rein, mussten sich aber dennoch 3:5<br />

geschlagen geben.„Imletzten Drittel<br />

waren wir noch einmal sehr gut, aber<br />

uns ist dort die Zeit weggelaufen“,<br />

sagte Eisbären-Trainer SergeAubin.<br />

Sein Team hatte am Sonntagnachmittag<br />

gut begonnen. Bereits<br />

nach wenigen Sekunden hatte James<br />

Sheppard die Chance zur frühen<br />

Führung, scheiterte aber wie wenig<br />

später auch Louis-Marc Aubry, an<br />

Münchens Danny aus den Birken.<br />

Beide Mannschaften gingen sehr aggressiv<br />

zuWerke, störten früh im gegnerischen<br />

Drittel und provozierten<br />

damit Fehler.Einen davon fingen die<br />

Eisbären in der achten Minute ab,<br />

Leo Pföderl passte schnell auf Marcel<br />

Noebels und der traf freistehend.<br />

Vorbereiter und Vollstrecker:Leo Pföderl,<br />

Schütze des zweiten EHC-Tors. CITY PRESS<br />

Eine Reaktion des souveränen Tabellenführers?<br />

Die blieb aus. Auch,<br />

weil die Gastgeber weiterhin Druck<br />

machten und dafür erneut belohnt<br />

wurden. Diesmal lenkte Pföderl<br />

selbst den Puck im Fallen, allerdings<br />

auch mit dem Schlittschuh, zum 2:0<br />

ins Münchner Tor(14.). Doch wieder<br />

einmal waren es Unkonzentriertheiten<br />

der Eisbären, die dem Gegner in<br />

die Karten spielten. So schickten die<br />

<strong>Berliner</strong> einen Spieler zu viel aufs Eis,<br />

Lukas Reichel musste für zwei Minuten<br />

auf die Bank. Fast hatten die Eisbären<br />

diese Strafe schadlos überstanden,<br />

da ließ sich Maxim Lapierre<br />

zu einer Undiszipliniertheit hinreißen<br />

und musste nach Beinstellen<br />

ebenfalls auf die Bank. In doppelter<br />

Unterzahl traf Münchens Trevor Parkes<br />

zum 1:2-Anschluss (19.).<br />

Auch nach dem Seitenwechsel<br />

wurden den Eisbären die Strafzeiten<br />

zum Verhängnis. Eine davon wurde<br />

in der 26. Minute gegen James Sheppard<br />

angezeigt, aber die Münchner<br />

spielten ihren Angriff perfekt zu<br />

Ende und glichen durch ihren Topscorer<br />

Mark Voakes aus.<br />

Treffer ins leereTor<br />

Als Sheppardinder 35. Minute dann<br />

tatsächlich auf der Strafbank Platz<br />

nahm, bestrafte das Yasin Ehliz mit<br />

dem 3:2 für München. 75 Sekunden<br />

später traf Keith Aulie noch zum 4:2.<br />

Im Schlussdrittel plätscherte das<br />

Spiel lange so hin. In einer Phase, in<br />

der München nicht mehr so recht<br />

wollte und die Eisbären nicht so<br />

recht konnten, war Mark Olverplötzlich<br />

frei vor dem Torder Gäste und<br />

traf zum 3:4-Anschluss (52.).<br />

Die Zuschauer wurden noch einmal<br />

wachgeküsst, mussten aber 62<br />

Sekunden vor dem Abpfiff mit dem<br />

Treffer von Christopher Bourque ins<br />

leere Tor die Entscheidung zugunsten<br />

der Münchner mitansehen.<br />

Der Tagder roten Rosen<br />

Englands grandioser Sieg im Halbfinale der Rugby-WM gegen Neuseeland wirkte wie der Beginn einer neuen Ära<br />

VonSissi Stein-Abel<br />

Mind Games. Eswar der<br />

Begriff der Woche:<br />

psychologische<br />

Kriegsführung. Dreckiges<br />

Grinsen, verbale Provokationen,<br />

Spionage-Geschichten. Eddie<br />

Jones, der Trainer der englischen<br />

Rugby-Nationalmannschaft, in seinem<br />

Element. Dasvon Gelächter begleitete<br />

Dauergequassel ist als „Eddie<br />

Jones Show“ bekannt. Haha, hahaha,<br />

selten so gelacht, sagte Steve<br />

Hansen, der Coach vonNeuseelands<br />

All Blacks,und gab den Mister Cool.<br />

Und dann stellten sich die Engländer<br />

in V-Form auf und keilten die<br />

irritierten All Blacks bei ihrem<br />

Kriegstanz ein, dem Haka, den sie<br />

traditionell vor Anpfiff aufführen. V<br />

wie Victory. Es war der Höhepunkt<br />

der Mind Games zurVerunsicherung<br />

des Gegners und Teil der Siegesformel,<br />

mit der die Briten den Titelverteidiger<br />

aus den Schuhen kippten<br />

und im Halbfinale der WM in Japan<br />

wie grüne Jungs aussehen ließen.<br />

Der 19:7 (10:0)-Triumph in Yokohama<br />

drückt ihre Überlegenheit<br />

nicht annähernd aus.<br />

Die Engländer zermalmten das<br />

Team des dreimaligen Weltmeisters,<br />

das zuvor mit seinem begeisternden<br />

Angriffsstil die Massen begeistert<br />

hatte und nun schnell den<br />

Schock überwinden muss, umdas<br />

Spiel um den dritten Platz am Freitag<br />

(10 Uhr, MEZ) gegen Wales über<br />

die Bühne zu bringen. England darf<br />

hingegen vom zweiten Weltmeister-Titel<br />

nach 2003 träumen. Im Finale<br />

treffen die Red Roses am Sonnabend<br />

(10 Uhr, MEZ) im selben Stadion<br />

auf Südafrika, das im penaltyreichen<br />

zweiten Halbfinalspiel Wales<br />

19:16 (9:6) besiegte und vom dritten<br />

Championat nach 1995 und 2007<br />

träumen darf.<br />

Zweieinhalb Jahre, sagte Eddie<br />

Jones, ein Australier mit japanischer<br />

Mutter, „haben wir uns auf dieses<br />

Halbfinale vorbereitet“, und es störte<br />

ihn nicht, „dass 120 Millionen Japaner<br />

gegen uns waren“. Selbst seine<br />

japanische Ehefrau, sagte er, stünde<br />

hinter den All Blacks, und „niemand<br />

glaubte, dass wir gewinnen würden“.<br />

Aber der Coach hatte seinen<br />

Spielern Glauben eingeimpft, die<br />

Überzeugung, dass die Neuseeländer,<br />

die seit 2007 kein WM-<br />

Spiel mehr verloren hatten, kein<br />

unantastbarer Mythos waren, sondern<br />

auch nur Menschen, die Fehler<br />

machen. Siesetzten seine Strategie<br />

um und stürzten den Rugby-Riesen<br />

mit einem Kracher vomThron.<br />

Die Engländer legten aus einer<br />

großartigen Defensive heraus ein ir-<br />

Englands MarkWilson feiertden Finaleinzug,Neuseeland ist am Boden. GETTY IMAGES/BOTTERILL<br />

England antwortet mit einer Victory-Formation auf den Haka der All Blacks.<br />

res Tempo vor, attackierten ihre Gegenspieler<br />

wie eine Horde Rottweiler,<br />

dominierten die Standardsituationen,<br />

kurz: Sie beherrschten ihren<br />

Gegner vonAbis Zund ließen den All<br />

Blacks, die so viel Druck nicht gewöhnt<br />

sind, weder Zeit noch Raum,<br />

um ins Spiel zu kommen. „England<br />

hat das Spiel in den Bereichen kontrolliert,<br />

die wir kontrollieren wollten“,<br />

sagte Steve Hansen, „wir wurden<br />

von einer besseren Mannschaft<br />

geschlagen und müssen es mit Fassung<br />

tragen. So schwer es zu verdauen<br />

ist, aber solche Dinge passierenimSporteben<br />

manchmal.“<br />

Die Neuseeländer, die passiv, ratlos<br />

und kopflos neben sich selbst<br />

Krönung verschoben<br />

GETTY/MULLAN<br />

standen, hatten sich noch nicht vom<br />

Angriff auf ihren Haka erholt, da lagen<br />

sie durch einen Bonuskick-Try<br />

vonManu Tuilagi nach 96 Sekunden<br />

schon in Rückstand und konnten<br />

sich bei den Rugby-Göttern bedanken,<br />

dass es nicht noch schlimmer<br />

kam, denn zwei Tries der Briten wurden<br />

aufgrund von vorausgegangenen<br />

Regelverstößen –zurecht –nicht<br />

anerkannt. Neuseelands einziger Try<br />

(57.) durch Ardie Saveaentsprang einem<br />

Lapsus der Engländer beim<br />

Einwurf. 1:1 Tries, das spiegelt nicht<br />

die Realität auf dem Platz wider.<br />

Dieübrigen zwölf Punkte der Red<br />

Roses erzielte George Ford mit vier<br />

Penalty-Kicks, die der Hilflosigkeit<br />

und Verzweiflung der All Blacks am<br />

34. Geburtstag ihres Kapitäns Kieran<br />

Read entsprangen, als ihnen die<br />

Felle vollends davonschwammen.<br />

Ihr deprimierender Auftritt und die<br />

grandiose Darbietung der Engländer<br />

wirkte wie das Ende der einen und<br />

der Beginn einer neuen Ära–mit der<br />

Einschränkung, dass sich die All<br />

Blacks im Umbruch befinden und<br />

die vielen jungen Profis, die am<br />

Sonnabend überrollt wurden, mit jeden<br />

TagErfahrung widerstands- und<br />

auch in solch gnadenlosen K.-o.-<br />

Spielen konkurrenzfähiger werden.<br />

WieSteve Hansen, der nach sieben<br />

Jahren als Neuseelands Cheftrainer<br />

zum Toyota-Klub nach Japan<br />

wechselt, ist auch Eddie Jones<br />

ein alter Fuchs, der aber noch nie<br />

Weltmeister war, und diesmal hat<br />

er seinen Kollegen nach allen Regeln<br />

der Kunst ausgetrickst. Er hat<br />

Hansen sogar verleitet,sein Siegerteam,<br />

das beim 46:14 gegen Irland<br />

wie aus einem Guss gespielt hatte,<br />

ohne Notzuverändern, indem er die<br />

beiden Flügelstürmer-Positionen<br />

umbesetzte.„Das war mein Fehler“,<br />

gab Hansen unumwunden zu, „das<br />

muss ich auf meine Kappe nehmen.“<br />

England, das in 16 Duellen nur<br />

einmal gegen Neuseeland gewonnen<br />

hatte, machte alles, was die All<br />

Blacks auszeichnet, bloß besser. Es<br />

war die Einstimmung auf einen<br />

Volkstrauertag im Land der Kiwis,<br />

das sich aufgrund der jahrzehntelang<br />

verströmten Magie der All<br />

Blacks als spirituelle Heimat des<br />

Rugby fühlt. Jetzt schicken sich Eddie<br />

Jones und England an, den Pokal<br />

ins Mutterland zurückzuholen, wo<br />

Rugby1823 erfunden wurde.„Als ich<br />

vorvier Jahren meinen Dienst antrat,<br />

war der Plan, die beste Mannschaft<br />

der Welt zu werden“, sagte Jones<br />

nach der Sternstunde von Yokohama,„jetzt<br />

haben wir noch ein Spiel<br />

voruns,indem wir die Chance dazu<br />

haben.Wirwissen, dass wir im Finale<br />

noch besser spielen können.“<br />

Lewis Hamilton verpasst trotz seines Sieges beim Großen Preis von Mexico die Titelfiesta in der Formel-1-WM<br />

Lewis Hamilton muss trotz einer<br />

brillanten Siegfahrt in Mexiko<br />

noch auf seinen sechsten Formel-1-<br />

Titel warten. Der Mercedes-Pilot ließ<br />

am Sonntag beim Reifenkrimi im<br />

Autódromo Hermanos Rodríguez<br />

Ferrari-Fahrer Sebastian Vettel hinter<br />

sich, kann aber rechnerisch in den<br />

verbleibenden drei Saisonläufen<br />

noch immer vonTeamkollege Valtteri<br />

Bottas eingeholt werden. Der Finne<br />

sicherte sich Platz drei und liegt nun<br />

74 Punkte hinter Hamilton.<br />

In Austin kann der Brite am kommenden<br />

Sonntag den fünften Triumph<br />

in sechs Jahren perfekt machen.<br />

Hamilton reicht auf dem Kurs<br />

in Texas der achte Platz. „Ich liebe das<br />

Rennfahren, das Warten macht mir<br />

nichts aus“, sagte er.Vettel hatte sich<br />

bereits in Japan aus dem WM-Kampf<br />

verabschieden müssen.<br />

In Mexiko kämpfte der 32 Jahre<br />

alte Deutsche zunächst vor allem<br />

wieder um die Vormacht im eigenen<br />

Team. Stallrivale Leclerc kletterte<br />

nachträglich auf die Pole Positon, in<br />

der Qualifikation hatte er sich vorVettel<br />

durchgesetzt. Beide profitierten<br />

vonder Strafe gegen MaxVerstappen.<br />

Der Niederländer war im<br />

Red Bull anders bei seiner<br />

letzten schnellen Runde<br />

nicht vom Gas gegangen,<br />

als die Gelben Flaggen wegen<br />

eines heftigen Einschlags<br />

von Bottas’ Mercedes<br />

geschwenkt worden<br />

metern nicht aus. Hamiltons Attacke<br />

beim Start wehrte Vettel ab. Ander<br />

Spitze behauptete sich Leclerc. Und<br />

was machte Bottas, der von Rang<br />

sechs losfahren musste?<br />

Der Finne rutschte zwischenzeitig<br />

auf Platz sieben,<br />

wurde dann von Verstappen<br />

leicht gerammt,<br />

machte aber wie Hamilton<br />

schnell wieder Plätze gut.<br />

GETTY IMAGES/CHARLES COATES<br />

Die beiden fuhren auf den<br />

Plätzen vier und fünf hinter<br />

Muss warten: Leclerc, Vettel und Alexander<br />

Albon, der im zweiten<br />

Lewis Hamilton.<br />

Red Bull von den fehl geschlagenen<br />

Start-Attacken am meisten<br />

profitierthatte.<br />

Als erster des Führungsquintetts<br />

kam Albon in die Boxzum Radtausch.<br />

Danach Leclerc. Er bekam die gleiche<br />

Reifenmischung, hieß: Vettels Stallrivale<br />

musste noch mal die Reifen<br />

wechseln lassen. Vettel war indes auf<br />

einer Einstopp-Strategie unterwegs.<br />

Dann forderte Hamilton den Deut-<br />

waren. Verstappen rutschte<br />

von der Pole auf Startrang<br />

vier.<br />

Die erste Reihe war rot,<br />

Hamilton dahinter und die Anfahrt<br />

bis zur ersten Kurve auf dem 2250<br />

Meter hoch gelegenen Kurs lang.<br />

Hieß: Windschatten-Chance. „Der<br />

dritte Startplatz ist nicht das Allerschlechteste“,<br />

betonte Teamchef Toto<br />

Wolff. Aufeine WM-Sause für Hamilton<br />

hatte sich Mercedes aber nicht<br />

unbedingt vorbereitet. Nach einer Titelfiesta<br />

sah es nach den ersten Kiloschen<br />

heraus, kam früher in die Box.<br />

„Lasst ihn fahren“, konterte Vettel die<br />

Aufforderung des Kommandostandes,nun<br />

auch neue Reifen aufziehen<br />

zu lassen.<br />

Richtig oder falsch? „Es fühlt sich<br />

so an, als hätten wir die Reifen zu früh<br />

gewechselt“, funkte Hamilton, der<br />

beim Mexiko-USA-Trip ohne seinen<br />

Stamm-Renningenieur auskommen<br />

musste.Die Strategie war klar:Hamilton<br />

sollte den Sieg holen, am besten<br />

die schnellste Rennrunde.Wenn Bottas<br />

Vierter würde, wäre der Triumph<br />

perfekt. Hamilton zweifelte, Hamilton<br />

haderte.„Du kannst das“, feuerte<br />

Mercedes-Chefstrategie James Vowles<br />

ihn an.<br />

Als Vettel zum ersten und Leclerc<br />

zum zweiten Maldie Reifen wechseln<br />

ließen, fuhr Hamilton vorneweg, dahinter<br />

Vettel, Bottas und Leclerc. Entschieden<br />

schien noch nichts. Bottas<br />

kam Vettel näher. Der aber hielt dem<br />

Druck aber ebenso Stand wie vorihm<br />

Hamilton. (dpa)<br />

NACHRICHTEN<br />

Nürnberg verliertAnschluss<br />

zur Tabellenspitze<br />

FUSSBALL. Der1.FCNürnbergverliertimAufstiegsrennen<br />

der Zweite<br />

Bundesliga weiter an Boden und die<br />

Spitzengruppe immer mehr aus den<br />

Augen. DerBundesliga-Absteiger<br />

musste sich am 11. Spieltag im bayerischen<br />

Derbymit einem 1:1 gegen<br />

Jahn Regensburgbegnügen und liegt<br />

als Tabellenachter sechs Punkte hinter<br />

Relegationsplatz drei, den Mitabsteiger<br />

VfB Stuttgartbelegt.<br />

1. FC Kaiserslauten rutscht<br />

immer tiefer in die Krise<br />

FUSSBALL. Der1.FCKaiserslautern<br />

stürzt in der Dritten Liga immer tiefer<br />

in die Krise.Der viermalige Deutsche<br />

Meister verlor am Sonntag das<br />

Kellerduell beim Chemnitzer FC 1:3<br />

und rutschte mit 13 Punkten aus 13<br />

Spielen auf Abstiegsplatz 17 ab.Die<br />

punktgleichen Chemnitzer kletterten<br />

nach zehn Punkten aus den<br />

jüngsten fünf Spielen auf Rang 16.<br />

Energie Cottbus gewinnt<br />

Derbygegen Babelsberg<br />

FUSSBALL. DerFCEnergie Cottbus<br />

hat in der Regionalliga Nordost das<br />

Brandenburg-Derbygegen den SV<br />

Babelsberg03mit 1:0 gewonnen. Für<br />

den Tabellenvierten traf Broschinski<br />

in der Nachspielzeit der ersten<br />

Hälfte.Babelsbergsteckt als Vorletzter<br />

weiter tief im Abstiegskampf.<br />

Baraou bleibt im achten<br />

Profikampf unbesiegt<br />

BOXEN. Talent Abass Baraou hat<br />

auch seinen achten Profikampf gewonnen.<br />

Der24Jahrealte Superweltergewichtler<br />

besiegte am Sonnabend<br />

in London im Rahmen der<br />

World Boxing Super Series den Iren<br />

John O'Donnell nach technischem<br />

K.o.inder sechsten Runde.Baraou,<br />

Sohn togolesischer Eltern, war in<br />

den vergangenen Jahren der herausragende<br />

deutsche Amateur und<br />

wurde vom<strong>Berliner</strong> Bundestrainer<br />

Ralf Dickertgefördert. 2017 gewann<br />

er in der Ukraine den EM-Titel und<br />

holte bei der WM in Hamburgdie<br />

Bronzemedaille.Jetzt trainierterbei<br />

Ulli Wegner und GeorgBramowski.<br />

Brees führtNew Orleans bei<br />

Comeback zum Sieg<br />

FOOTBALL. Quarterback Drew<br />

Brees,40, hat bei seinem Comeback<br />

nach einer Daumenverletzung die<br />

NewOrleans Saints zum Heimsieg in<br />

der amerikanischen Football-Liga<br />

NFL geführt. DieSaints setzten sich<br />

am Sonntag gegen die Arizona Cardinals<br />

mit 31:9 (10:6) durch. Für sie<br />

war es der sechste Sieg in Folge und<br />

der siebte im achten Saisonspiel.<br />

Moritz Wagner und Wizards<br />

unterliegen Spursknapp<br />

BASKETBALL. Der<strong>Berliner</strong> Moritz<br />

Wagner und der Frankfurter Isaac<br />

Bonga haben mit den Washington<br />

Wizards in der NBA eine bittereNiederlage<br />

kassiert. Beiden SanAntonio<br />

Spurs unterlag das Team um das<br />

deutsche Duo122:124, DeMarDe-<br />

Rozan sorgte fünf Sekunden vor<br />

Schluss für die Entscheidung zugunsten<br />

der Gastgeber.<br />

Este Tänak gewinnt<br />

erstmals die Rallye-WM<br />

RALLYE. DerEste OttTänak hat die<br />

französische Dominanz in der Rallye-WM<br />

nach 15 Jahren beendet und<br />

zum ersten Malden Titel geholt.<br />

Beim vorletzten Saisonlauf in Spanien<br />

reichte dem Toyota-Piloten ein<br />

zweiter Platz hinter dem Belgier<br />

ThierryNeuville (Hyundai), um<br />

Dauersieger Sebastien Ogier (Citroen)<br />

zu entthronen.


18 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Sport<br />

ZAHLEN<br />

Eishockey<br />

DEL, 15. Spieltag<br />

Krefeld Pinguine -ERC Ingolstadt 1:2<br />

Eisbären Berlin -Red Bull München 3:5<br />

Schwenningen -Wolfsburg 0:4<br />

Straubing -Augsburg 7:3<br />

Düsseldorf -Iserlohn 4:2<br />

Mannheim -Nürnberg 2:0<br />

Kölner Haie -Bremerhaven 2:5<br />

1. Red Bull München 15 55:29 42<br />

2. Straubing Tigers 15 58:38 30<br />

3. Düsseldorfer EG 15 44:28 29<br />

4. Adler Mannheim 14 47:39 28<br />

5. Bremerhaven 15 44:39 27<br />

6. Eisbären Berlin 14 41:38 23<br />

7. Nürnberg Ice Tigers 15 40:41 23<br />

8. ERC Ingolstadt 15 42:44 19<br />

9. Grizzlys Wolfsburg 15 37:43 17<br />

10. Augsburger Panther 15 42:52 17<br />

11. Kölner Haie 15 29:44 17<br />

12. Iserlohn Roosters 14 28:40 14<br />

13. Krefeld Pinguine 15 32:48 12<br />

14. Schwenninger Wild Wings 14 36:52 11<br />

Zweite Liga, 11. Spieltag<br />

Holstein Kiel -VfL Bochum 2:1 (1:1)<br />

Darmstadt 98 -ErzgebirgeAue 1:0 (0:0)<br />

Hamburger SV -VfB Stuttgart 6:2 (3:1)<br />

Dynamo Dresden -Arminia Bielefeld 0:1 (0:0)<br />

Karlsruher SC -Hannover96 3:3 (1:2)<br />

1. FC Nürnberg -Jahn Regensburg 1:1 (1:0)<br />

1. FC Heidenheim -FCSt. Pauli 1:0 (0:0)<br />

VfL Osnabrück -SpVgg Fürth 0:0<br />

SV Sandhausen -SVWehen Mo., 20.30<br />

1. Hamburger SV 11 28:10 24<br />

2. Arminia Bielefeld 11 22:12 22<br />

3. VfB Stuttgart 11 17:16 20<br />

4. ErzgebirgeAue 11 18:17 18<br />

5. 1. FC Heidenheim 11 16:13 16<br />

6. Jahn Regensburg 11 19:15 15<br />

7. SpVgg Fürth 11 11:14 15<br />

8. 1. FC Nürnberg 11 19:19 14<br />

9. Karlsruher SC 11 19:21 14<br />

10. Holstein Kiel 11 13:15 14<br />

11. Darmstadt 98 11 11:13 14<br />

12. FC St. Pauli 11 14:14 13<br />

13. Hannover96 11 13:17 13<br />

14. VfL Osnabrück 11 10: 9 12<br />

15. SV Sandhausen 10 10:11 12<br />

16. VfL Bochum 11 20:24 9<br />

17. Dynamo Dresden 11 12:21 9<br />

18. SV Wehen Wiesbaden 10 13:24 8<br />

Dritte Liga, 13. Spieltag<br />

Viktoria Köln -1.FCMagdeburg 1:1 (1:1)<br />

KFC Uerdingen -FCCZJena 2:0 (1:0)<br />

Würzburger Kickers -MSV Duisburg 0:2 (0:2)<br />

FC Ingolstadt 04 -Preußen Münster 3:2 (1:2)<br />

SpVgg Unterhaching -FSV Zwickau 0:0<br />

Hallescher FC -SVMeppen 3:3 (2:2)<br />

Hansa Rostock -TSV 1860 München 2:1 (1:0)<br />

Chemnitzer FC -1.FCKaiserslautern 3:1 (3:1)<br />

SG Großaspach -Braunschweig 1:3 (1:2)<br />

FC Bayern II -Waldhof Mannheim Mo., 19.00<br />

1. Hallescher FC 13 28:13 25<br />

2. MSV Duisburg 13 29:19 25<br />

3. Eintracht Braunschweig 13 23:15 24<br />

4. SpVgg Unterhaching 13 19:14 24<br />

5. FC Ingolstadt 04 13 25:17 22<br />

6. Hansa Rostock 13 17:14 22<br />

7. Viktoria Köln 13 24:21 20<br />

8. FSV Zwickau 13 20:15 19<br />

9. KFC Uerdingen 13 15:17 19<br />

10. SV Waldhof Mannheim 12 20:16 18<br />

11. 1. FC Magdeburg 13 18:12 17<br />

12. Bayern München II 12 21:23 17<br />

13. SV Meppen 13 25:20 16<br />

14. Würzburger Kickers 13 20:31 16<br />

15. TSV 1860 München 13 16:21 14<br />

16. Chemnitzer FC 13 19:23 13<br />

17. 1. FC Kaiserslautern 13 20:29 13<br />

18. SG Großaspach 13 15:29 12<br />

19. Preußen Münster 13 19:25 11<br />

20. FC CZ Jena 13 9:28 2<br />

RegionalligaNordost, 13. Spieltag<br />

Bischofswerdaer FV -1.FCLok Leipzig 0:3 (0:1)<br />

FC Viktoria 1889 Berlin -<strong>Berliner</strong> AK 07 4:2 (2:1)<br />

Wacker Nordhausen -Optik Rathenow 4:0 (2:0)<br />

Lichtenberg 47 -VSG Altglienicke 2:1 (1:0)<br />

Germania Halberstadt -Hertha BSC II 2:2 (1:1)<br />

Union Fürstenwalde -Rot-Weiß Erfurt 3:0 (3:0)<br />

BFC Dynamo -ZFC Meuselwitz 2:0 (1:0)<br />

BSG Chemie Leipzig -VfB Auerbach 2:0 (1:0)<br />

SV Babelsberg 03 -Energie Cottbus 0:1 (0:1)<br />

1. Hertha BSC II 13 44:18 29<br />

2. VSG Altglienicke 13 35:16 28<br />

3. 1. FC Lok Leipzig 13 23:13 28<br />

4. Energie Cottbus 13 33:23 26<br />

5. Wacker Nordhausen 13 31:21 23<br />

6. FSV Union Fürstenwalde 13 21:15 20<br />

7. FC Viktoria 1889 Berlin 13 15: 9 20<br />

8. BFC Dynamo 13 15:20 18<br />

9. <strong>Berliner</strong> AK 07 13 24:23 16<br />

10. Lichtenberg 47 13 12:13 16<br />

11. BSG Chemie Leipzig 13 15:16 15<br />

12. Rot-Weiß Erfurt 13 15:19 14<br />

13. VfB Auerbach 13 23:30 14<br />

14. ZFC Meuselwitz 13 17:22 13<br />

15. Germania Halberstadt 13 19:25 12<br />

16. Optik Rathenow 13 10:28 11<br />

17. SV Babelsberg 03 13 12:21 8<br />

18. Bischofswerdaer FV 13 11:43 5<br />

Oberliga, Nordost/Nord, 10. Spieltag<br />

TeBe -Hertha 06 5:0, Seelow-TorgelowerFC1:3,<br />

Strausberg -Brandenburger SC Süd 0:2, Ludwigsfelder<br />

FC -Greifswalder FC 0:1, Pampow-L.Stendal<br />

5:0, H. Rostock II -Staaken 7:0, Hertha 03 -<br />

Neustrelitz 4:1 (1:0), Tasmania -Bl. Weiss 90 3:0<br />

„Für uns ist es im Moment sehr wertvoll, hinten zu Null zu spielen.“ BVB-Kapitän Marco Reus formuliertbescheidene Ansprüche.<br />

Labiler Frieden<br />

Borussia Dortmund ist um einen beherrschten Blick auf die immer komplizierter werdende Lage bemüht<br />

VonDaniel Theweleit, Gelsenkirchen<br />

Lehrstück der Schülerin<br />

Die 17 Jahre alte Alice Robinson siegt im Ski-Weltcup<br />

An Glückwünsche von Lindsey<br />

Vonn und Mikaela Shiffrin muss<br />

man sich als 17 Jahre alte Schülerin<br />

aus Neuseeland erst mal gewöhnen.<br />

Ebenso an Pressekonferenzen nach<br />

Siegen im alpinen Ski-Weltcup und<br />

Preisgelder in Höhe von 45000<br />

Schweizer Franken – nur<br />

das mit dem Feiern wird<br />

wohl nie mehr so nüchtern<br />

ausfallen müssen wie an<br />

diesem ski-historischen<br />

Sonnabend.<br />

„Ein halbes Bier ist angemessen“,<br />

meinte Alice<br />

Robinson nach ihrem sensationellen<br />

Erfolg im Riesenslalom<br />

von Sölden –<br />

wohl wissend, dass sie am<br />

Montag zurück in die Heimat fliegt<br />

und noch eine letzte Woche Schule<br />

vor sich hat. Künftig wird sich aber<br />

alles nur noch ums Skifahren drehen<br />

für die Junioren-Weltmeisterin im<br />

Riesenslalom, die am Sonnabend in<br />

ihrem elften Rennen schon den ersten<br />

Sieg feierte. Sie ist nun die<br />

jüngste Sölden-Siegerin – und gab<br />

eine erste Antwortauf die Frage,wer<br />

nach den Rücktritten vonVonn, Felix<br />

Die Kernbotschaft, die die<br />

Angehörigen von Borussia<br />

Dortmund im Nachgang<br />

des 155. Pflichtspielderbys<br />

bei Schalke 04 zu verkünden<br />

hatten, war nicht zu überhören<br />

hinter den vielen Erklärungen,<br />

die am frühen Samstagabend formuliert<br />

wurden. Gelassenheit<br />

sprach aus den Gesichtern, Gelassenheit<br />

transportierten die Worte, irgendwie<br />

wirkte das fremd im normalerweise<br />

mit den ganz großen Gefühlen<br />

aufgeladenen Umfeld eines Revierderbys.<br />

Torhüter Marvin Hitz<br />

erklärte die vielen verlorenen Zweikämpfe<br />

in diesem torlosen Fußballspiel<br />

nicht mit Verunsicherung oder<br />

gar einem Einstellungsproblem,<br />

Schalke habe eben einfach „das<br />

Quentchen Glück“ in den „fifty-fifty<br />

Aktionen“ gehabt.<br />

Kapitän MarcoReus berichtete in<br />

nüchtern-analytischem Tonfall vom<br />

Verlust der Leichtigkeit, da müsse<br />

man sich auch mal an kleinen Dingen<br />

freuen. „Für uns ist es im Moment<br />

sehr wertvoll, hinten zu Null zu<br />

spielen“, sagte der Kapitän. Und Sebastian<br />

Kehl war laut Selbstauskunft<br />

sogar „zufrieden“ mit einem fußballerisch<br />

bemerkenswert fehlerhaften<br />

Auftritt. „Wir können am Ende mit<br />

dem Punkt leben“, sagte der der Leiter<br />

der Lizenzspielerabteilung.<br />

Nachdem in den vergangenen<br />

Wochen jeder Punktverlust den Erregungszustand<br />

in den roten Bereich<br />

getrieben hatte,waren sie an diesem<br />

Tagumeinen möglichst beherrschten<br />

Blick auf die immer komplizierter<br />

werdende Lage bemüht. Dabei<br />

wird kaum etwas besser, imGegenteil:<br />

Die Krisensymptome zeigen<br />

sich nicht mehr nur in kurzen Phasen<br />

der Spiele und in den Ergebnissen,<br />

sie haben schon am vorigen<br />

Mittwoch beim 0:2 in Mailand und<br />

jetzt auf Schalke ein prägendes Element<br />

des BVBunter dem Trainer Lucien<br />

Favreerfasst: die fußballerische<br />

Klasse, die in fast allen Bundesligapartien<br />

ein entscheidender Vorteil<br />

sein sollte.„Wirmüssen uns über die<br />

Mannschaft und das Spielerische<br />

unterhalten“, sagte Sportdirektor<br />

Michael Zorc,„das war nicht besonders<br />

gut heute.“<br />

Der Dortmunder Auftritt war<br />

durchsetzt von Ungenauigkeiten,<br />

von falschen Entscheidungen im<br />

Spielaufbau und einer erschreckenden<br />

Harmlosigkeit beim Versuch,<br />

Gefahr im Schalker Strafraum zu erzeugen.<br />

In der Serie zuvor mit nur<br />

fünf Punkten aus vier Partien gab es<br />

wenigstens noch Phasen der klaren<br />

Dominanz, nun sitzt dieVerunsicherung<br />

so tief, dass das Spiel der vielen<br />

Hochbegabten „ein bisschen zäh“<br />

wirkte, wie Zorc erläuterte. „Wir<br />

müssen unsere Automatismen wiederfinden.“<br />

„Wir müssen uns über die Mannschaft und<br />

das Spielerische unterhalten.“<br />

BVB-Sportdirektor Michael Zorc erhöht nach dem 0:0 im Derby gegen Schalke den<br />

Druck auf sein Dortmunder Team und den Trainer –wenn auch vorerst zwischen den Zeilen.<br />

AP/MARCO TROVATI<br />

Neureuther oder Marcel Hirscher zu<br />

den neuen Hauptdarstellern im<br />

Weltcup werden könnte.<br />

Schon beim Weltcup-Finale im<br />

Märzwar ihr mit Rang zwei der erste<br />

Podestplatz gelungen. Der deutsche<br />

Alpinchef Wolfgang Maier hatte die<br />

blonde Frau aus Queenstown<br />

deshalb längst auf<br />

dem Radar: „Ich wüsste<br />

niemanden aus der südlichen<br />

Hemisphäre, der so<br />

ein Potenzial hat. Diefährt<br />

wirklich frech Ski.“ Weniger<br />

glücklich war Maier<br />

mit seinen Sportlern. Viktoria<br />

Rebensburg kam mit<br />

Überraschung:<br />

Alice Robinson. 1,73 Sekunden Rückstand<br />

hinter Robinson auf Platz<br />

13, Stefan Luitz wurde 16. beim Sieg<br />

vonAlexis Pinturault aus Frankreich.<br />

Sölden ohne deutschen Top-12-<br />

Rang gab es letztmals 2002.<br />

Robinson lebt die meiste Zeit in<br />

Italien und wird von Chris Knight<br />

trainiert, der Weltcup-Rekordsiegerin<br />

Vonn und Shiffrin mitgeformt<br />

hat. Letztere wurde mit 0,06 Sekunden<br />

Rückstand Zweite,die Französin<br />

Tessa Worley Dritte. (dpa)<br />

Derselbst ernannte Titelkandidat<br />

ist in einem Zustand der Demut angekommen,<br />

und diese Entwicklung<br />

stützt die Annahme, dass die offensiveVerkündung<br />

des Meisterschaftszieles<br />

und der anschließende Umgang<br />

mit den eigenen Ambitionen<br />

nicht unbedingt konstruktiv gewirkt<br />

hat.<br />

Das Aufflammen der Trainerdiskussion<br />

während der vergangenen<br />

Wochen sei „der Situation geschuldet,<br />

natürlich auch der größeren Erwartungshaltung<br />

bei uns“, meinte<br />

Zorc, der immer wieder versichert,<br />

dass die Verantwortlichen des BVB<br />

keine derartige Debatte führen würden.<br />

Der Eindruck, dass unter den<br />

AP/MEISSNER<br />

Leuten, die Klubchef Hans-Joachim<br />

Watzke als „inner circle“ von Borussia<br />

Dortmund bezeichnet, kritisch<br />

über Favre gesprochen wird, konnte<br />

bislang trotzdem nicht aus der Welt<br />

geschafft werden.<br />

Zumal kaum Anzeichen für Verbesserungen<br />

sichtbar sind. Der BVB<br />

hatte drei mal großes Glück, als<br />

Schalkes Salif Sané die Unterkante<br />

der Latte traf, Suat Serdar an den Innenpfosten<br />

schoss und Schiedsrichter<br />

Felix Brych mit seinen Assistenten<br />

nach einem Handspiel vonThorgan<br />

Hazard auf einen Elfmeter verzichteten.<br />

„Wir waren besser“, sagte<br />

der Schalker Torhüter Alexander<br />

Nübel zurecht. Dass die Dortmunder<br />

dennoch einen Ausbruch der<br />

schwer kontrollierbaren Emotionen<br />

zwischen Wut, Enttäuschung und<br />

Frust verhinderten, die eine Derbyniederlage<br />

automatisch erzeugt, ist<br />

zweifellos ein kleiner Erfolg.<br />

Doch der Frieden ist labil, schon<br />

am kommenden Mittwoch kann der<br />

kurze Moment der Gelassenheit wieder<br />

einer zermürbenden Krisenstimmung<br />

weichen. Es steht ein DFB-Pokal-Spiel<br />

gegen Mönchengladbach<br />

bevor, es folgen Partien gegen die<br />

starken Wolfsburger, das für den angestrebten<br />

Achtelfinaleinzug vielleicht<br />

entscheidende Champions<br />

League-Spiel gegen Inter Mailand<br />

und die Reise zum FC Bayern München.<br />

All diese Duelle bergen einerseits<br />

große Chancen und zugleich<br />

enorme Gefahren für den BVB.<br />

Moment des Neuen<br />

Cody Kessel überzeugt beim 3:0-Sieg der BR Volleys<br />

Estrifft sich gut, dass die BR Volleys<br />

in dieser Saison in den ersten<br />

Spielen nicht auf die stärksten<br />

Teams der Volleyball-Bundesliga<br />

treffen, das 3:2 bei den Alpenvolleys<br />

mal ausgenommen. Und so zieht<br />

sich die Vorbereitung, die gar keine<br />

war, weil dauernd irgendwelche<br />

Nationalspieler zu<br />

irgendwelchen Turnieren<br />

abgestellt werden mussten,<br />

bis in diese Spiele hinein.<br />

Am Sonntag konnten<br />

die <strong>Berliner</strong> gegen Rottenburg<br />

ein bisschen probieren,<br />

Angriffskombinationen<br />

etwa. „Manches geht<br />

da noch in die Hose“, beobachtete<br />

Manager Kaweh<br />

Niroomand. Dennoch gewann der<br />

deutsche Meister gegen die Schwaben<br />

mit 3:0 (25:16, 25:21, 25:19). „Es<br />

war eine gute Leistung, ein konzentriertes<br />

Spiel, das Ergebnis stimmt“,<br />

fasste Niroomand den fünften Sieg<br />

im fünften Pflichtspiel zusammen.<br />

Weil der Kern des Teams sich aus<br />

dem Vorjahr kennt, klappt vieles<br />

schon ordentlich. Neue Spieler, wie<br />

Außenangreifer Cody Kessel, der aus<br />

Punktesammler:<br />

Cody Kessel.<br />

Lüneburgnach Berlin gewechselt ist<br />

und Angriffspartner Benjamin Patch<br />

in Sachen Sprunghöhe kaum nachsteht,<br />

finden schnell ins Team. Der<br />

US-Amerikaner war mit 14 Zählern<br />

erfolgreichster <strong>Berliner</strong> Punktesammler.<br />

Nachdem die BR Volleys<br />

bei einer Aufschlagserie<br />

von Kapitän Moritz Reichert<br />

acht Punkte in Folge<br />

DPA/SINA SCHULDT<br />

verbuchten, verwandelte<br />

Kessel den ersten Satzball,<br />

am Schluss lag seine Angriffsquote<br />

bei 71 Prozent.<br />

Ob die Ligaspiele, die<br />

am Mittwoch gegen Eltmann<br />

weitergehen, eine<br />

Art Warmspielen für die<br />

Champions-League-Partien<br />

gegen Russlands Meister Kemerovo,<br />

Fakel Novi Urengoi und Sloweniens<br />

Meister Ach Volleys Ljubljana<br />

im Dezember sind?„Das so zu sehen,<br />

macht für Außenstehende Sinn“,<br />

meint Kessel. „Ich als Wettkämpfer<br />

muss in jedem Moment, jedem Spiel<br />

präsent sein. Aber natürlich freue ich<br />

mich darauf, gegen die Besten der<br />

Besten anzutreten. Denn ich liebe es,<br />

guten Volleyball zu spielen.“ (kah.)<br />

Wiezu<br />

besten<br />

Zeiten<br />

Gladbach erobert wieder<br />

die Tabellenführung<br />

Nach spektakulären 90 Minuten<br />

fingen die ersten Gladbacher<br />

Fans an zu träumen. „Deutscher<br />

Meister wird nur der VfL“, schallten<br />

die Rufe nach dem 4:2 (2:0) gegen<br />

Eintracht Frankfurt durch den Borussia<br />

Park.Zaghaft zwar,aber deutlich<br />

vernehmbar. Die Gladbacher<br />

Spieler feierten vor der Nordkurve.<br />

Trainer Marco Rose umarmte lachend<br />

seine Schützlinge: Nach dem<br />

fünften Sieg aus den vergangenen<br />

sechs Spielen thront Gladbach weiter<br />

an der Tabellenspitze der Bundesliga.<br />

Ein Punkt vor Bayern München:<br />

Eine Situation, die an die besten<br />

Zeiten der Fohlen in den 1970er<br />

Jahren erinnert.<br />

„Spitzenreiter klingt nicht<br />

schlecht, es ist aber noch früh in der<br />

Saison“, sagte Rose:„Es war eine sehr<br />

gute erste Halbzeit, wir haben heute<br />

verdient gewonnen. Wir haben weiter<br />

versucht, Druck aufzubauen und<br />

sind weiter mutig auf das Torgegangen.“<br />

Marcus Thuram (28.), Oscar<br />

Wendt (45.+2), Nico Elvedi (75.) und<br />

Denis Zakaria (85.) erzielten die Treffer<br />

des fünfmaligen deutschen Meisters.<br />

Die Frankfurter liegen trotz der<br />

zwischenzeitlichen Anschlusstore<br />

vonDanny da Costa (59.) und Martin<br />

Jubelformation: Torschütze Denis Zakaria<br />

(l.) wird beglückwünscht. DPA/M. BECKER<br />

Hinteregger (79.) mit fünf Zählern<br />

Rückstand auf Rang neun. „Wir sind<br />

zwar immer wieder rangekommen,<br />

aber am Ende hat man die Klasse der<br />

Gladbacher bei den Kontern gesehen.<br />

Das ist schon eine sehr gute<br />

Mannschaft“, sagte Frankfurts Dominik<br />

Kohr.<br />

Obwohl beide Teams am Donnerstag<br />

in der Europa League im Einsatz<br />

waren, entwickelte sich vor<br />

52 300 Zuschauern ein intensives<br />

Kampfspiel mit Vorteilen für die<br />

Gastgeber. Frankfurt fehlte es in der<br />

Offensive ohne die verletzten Stürmer<br />

Andre Silva und Bas Dost an<br />

Durchschlagskraft, während Gladbach<br />

immer mehr die spielerische<br />

Linie fand. Den schönsten Angriff<br />

über Laszlo Benes und Breel Embolo<br />

veredelte Thuram mit seinem vierten<br />

Saisontreffer.<br />

Das Rose-Team blieb nach der<br />

Führung am Drücker, auch wenn<br />

Vorlagengeber Embolo verletzt vom<br />

Platz musste (35.). DerfrühereSchalker<br />

wurde durch Kapitän Lars Stindl<br />

ersetzt. Als die Frankfurter gedanklich<br />

schon in der Kabine waren, legte<br />

die Borussia nach. Nach einem Zweikampf<br />

zwischen Thuram und da<br />

Costa fielWendt der Ball vordie Füße<br />

und der Schwede ließ Torhüter Frederik<br />

Rönnowkeine Abwehrchance.<br />

Nach der Halbzeit intensivierten<br />

die Gäste ihre Angriffsbemühungen<br />

und wurden schnell belohnt. Nachdem<br />

Wendt eine Flanke unterlaufen<br />

hatte, bediente Daichi Kamada da<br />

Costa, der aus kurzer Distanz traf.<br />

DieGladbacher waren nach dem Gegentreffer<br />

angezählt und verloren<br />

ihreOrdnung. Frankfurterhöhte den<br />

Druck. Kamada vergab binnen kurzerZeit<br />

drei Chancen zum Ausgleich<br />

(66./67./68.), die Gladbacher sorgten<br />

kaum noch für Entlastung – dann<br />

traf Elvedi per Kopf. Wenig später<br />

brachte Hinteregger sein Team<br />

ebenfalls per Kopf noch mal heran,<br />

ehe Zakaria alles klar machte. (sid)


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 19 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Sport<br />

SC Freiburg<br />

BUNDESLIGA<br />

SC Paderborn<br />

Fortgeschrittenes<br />

Jokertum<br />

Wie jemand zum Joker<br />

wird, ist ein Thema,<br />

das durch den neuen Hollywood-Film<br />

über Batmans<br />

Gegenspieler gerade wieder<br />

an Aktualität gewann. Im<br />

Fußball ist die Frage leicht zu<br />

beantworten. Entweder<br />

jemand beherrscht<br />

die Kunst<br />

des Toreschießens<br />

ganz vorzüglich,<br />

spielt aber bei so<br />

guten Klubs, dass<br />

er trotzdem gelegentlich<br />

auf der Reservebank<br />

landet.<br />

Das gilt für Leute<br />

wie Franck Ribéry<br />

(15 Jokertore inder Bundesliga),<br />

Robert Lewandowski<br />

(16) und lange Zeit Claudio<br />

Pizarro(21).<br />

Oder er wird langsam alt<br />

und hat nicht mehr die Luft<br />

für diese hektischen Anfangsphasen,<br />

wenn alle wie<br />

dieVerrückten über den Platz<br />

rennen (Ribéry, Pizarro).<br />

Oder er ist gut, aber nicht so<br />

gut, dass ihn die Trainer ständig<br />

auf dem Spielfeld sehen<br />

wollen. Das Schicksal von<br />

Alexander Zickler (18) und<br />

Nils Petersen, der seit dem<br />

Gerade schwer angesagt:<br />

Joker. DPA<br />

späten Treffer beim 2:1 seines<br />

SC Freiburg gegen den<br />

RB Leipzig mit 22 Jokertoren<br />

alleiniger Rekordhalter ist.<br />

Das fortgeschrittene Jokertum<br />

ist eine bittersüße Situation<br />

für den Spieler, aber<br />

eine segensreiche<br />

Option für die Trainer,<br />

die das jedoch<br />

nicht immer erkennen,<br />

sonst<br />

hätte Joachim Löw<br />

Petersen ja mit zur<br />

WM genommen.<br />

Der Stürmer hat in<br />

Freiburg mehrfach<br />

rebelliert gegen<br />

seine ungeliebte<br />

Paraderolle,doch vergeblich,<br />

zuletzt hatte er seinen Platz<br />

vom Saisonbeginn in der<br />

Startformation wieder verloren.<br />

Es ist abzusehen, dass der<br />

30-Jährige auch künftig Gelegenheit<br />

bekommen wird,<br />

Pizarro weiter abzuhängen,<br />

in Sachen Effizienz ist er ihm<br />

ohnehin deutlich voraus.Der<br />

41-jährige Peruaner<br />

brauchte 158 Einwechslungen<br />

für seine 21 Treffer, Petersen<br />

für den Rekordgerade<br />

mal 74. (mali.)<br />

Verein Sp S U N Tore Punkte<br />

1 M'gladbach 9 6 1 2 19: 9 19<br />

2 München 9 5 3 1 24: 11 18<br />

3 SC Freiburg 9 5 2 2 17: 10 17<br />

4 VfL Wolfsburg 9 4 5 0 11: 5 17<br />

5 Bor.Dortmund 9 4 4 1 20: 11 16<br />

6 RB Leipzig 9 4 3 2 17: 10 15<br />

7 FC Schalke04 9 4 3 2 14: 9 15<br />

8 Leverkusen 9 4 3 2 14: 13 15<br />

9 Eintr.Frankfurt 9 4 2 3 16: 14 14<br />

10 Hoffenheim 9 4 2 3 11: 13 14<br />

11 Hertha BSC 9 3 2 4 15: 16 11<br />

12 SV Werder Bremen 9 2 4 3 15: 19 10<br />

13 Mainz 05 9 3 0 6 10: 19 9<br />

14 Düsseldorf 9 2 1 6 10: 16 7<br />

15 Union Berlin 9 2 1 6 9: 15 7<br />

16 1. FC Köln 9 2 1 6 9: 19 7<br />

17 FC Augsburg 9 1 4 4 10: 21 7<br />

18 SC Paderborn 9 1 1 7 11: 22 4<br />

10. Spieltag,1.bis 3. November:<br />

Hoffenheim -Paderborn Fr.,20.30<br />

Dortmund -Wolfsburg Sa., 15.30<br />

Leipzig -Mainz Sa., 15.30<br />

Leverkusen -M’gladbach Sa., 15.30<br />

Frankfurt-BayernMünchen Sa., 15.30<br />

Bremen -Freiburg Sa., 15.30<br />

1. FC Union -Hertha BSC Sa., 18.30<br />

Düsseldorf -Köln So., 15.30<br />

FC Augsburg -FCSchalke So., 18.00<br />

Torjäger<br />

13 Tore: Lewandowski (Bayern München)<br />

6Tore:Werner (RB Leipzig)<br />

5Tore: Alcácer (Borussia Dortmund),<br />

Hennings (Fortuna Düsseldorf),<br />

Paciencia (Eintracht Frankfurt),<br />

Reus (Borussia Dortmund),<br />

Weghorst (VfL Wolfsburg)<br />

Selten hat es sich bei einem<br />

Fußballer so gelohnt,<br />

Worte auf die Goldwaage<br />

zu legen wie bei Abdelhamid<br />

Sabiri. Der hat für<br />

den SC Paderborngegen Fortuna<br />

Düsseldorf einen sehenswerten<br />

Treffer erzielt. Er<br />

beförderte den Ball aus 22<br />

Metern Entfernung in den<br />

linken Winkel des gegnerischen<br />

Tors,von wo aus dieser<br />

hinter die Linie plumpste.<br />

Auf ebenjenes 1:0 folgte das<br />

2:0 und darauf Sabiris Fazit:<br />

„So kann man in der Liga<br />

bleiben – wenn man aus<br />

Scheiße Gold macht.“<br />

Der 22Jahre alte Mittelfeldspieler<br />

mit marokkanischen<br />

Wurzeln ist im Sommer<br />

ablösefrei aus Huddersfield<br />

gekommen, wo er in<br />

zwei Spielzeiten nur 13 Einsätze<br />

und daher nicht die<br />

Chance hatte,die Investition<br />

von1,5 Millionen Euro,überwiesen<br />

an den 1. FC Nürnberg,<br />

zu rechtfertigen.<br />

Dasmit den Exkrementen<br />

hat Sabiri selbst gesagt, aber<br />

tatsächlich deutet sich jetzt<br />

an, dass er für den SC Paderborn<br />

sehr wertvoll werden<br />

kann. Jedenfalls haben die<br />

Westfalen nach acht mehr<br />

oder weniger frustrierenden<br />

Jede Menge<br />

Kohle<br />

Alle Mann sind hinter Abdel<br />

hamid Sabiri (r.) her.<br />

GETTY<br />

Saisonspielen erstmals erleben<br />

dürfen, wie sich ein Sieg<br />

anfühlt. Zwar ist es mit dieser<br />

Art Empfindung an diesem<br />

Dienstag vielleicht schon<br />

wieder vorbei, wenn der SC<br />

PaderbornimDFB-Pokal gegen<br />

Bayer Leverkusen antreten<br />

muss,aber in den nächsten<br />

beiden Bundesligapartien<br />

warten zwei Nachbarn<br />

aus dem Tabellenkeller:<br />

Augsburgund Union Berlin.<br />

Womit die Waage und so<br />

weiter ins Spiel kommen.<br />

Klärschlamm wirdzuBiobriketts<br />

verarbeitet. Kacke zu<br />

Kohle –wie das zu Paderborn<br />

passt, kann sich jetzt jeder<br />

selbst überlegen. (cs.)<br />

SV Werder<br />

Ein Spiel und<br />

zwei Evergreens<br />

Fußballprofi trifft auf sein<br />

ehemaliges Team –das ist<br />

ein Evergreen im deutschen<br />

Fußballjournalismus. Doch<br />

selten traf ein Fußballprofi<br />

derart auf sein ehemaliges<br />

Team wie Ömer Toprak, dem<br />

am Ende der Partie seiner<br />

Bremer in Leverkusen sogar<br />

die Nase blutete.<br />

„Ich lag auf dem Boden,<br />

ich blute. Bis auf Peter Bosz,<br />

sein Trainerteam und die<br />

Ärzte hat keiner was gesagt.<br />

Leider gab es nicht so schöne<br />

Worte von der Bank, das hat<br />

mir nicht gefallen“, sagte der<br />

30-Jährige nach dem 2:2 (1:1)<br />

gegen jenen Klub, für den er<br />

Autsch: Ömer Toprak geht in die Knie.<br />

sechs Jahre lang gespielt<br />

hatte. Nach einem Zusammenprall<br />

kurz vor Schluss<br />

mit Bayers Stürmer Lukas<br />

Alario war Werders Abwehrmann<br />

von Leverkusener Ersatzspielern<br />

offenbar beleidigt<br />

worden. Unddann hatte<br />

Toprak noch die Hand des<br />

Kontrahenten am Ball gesehen,<br />

ohne eine Reaktion des<br />

Referees darauf zu sehen.<br />

Schon in der 4. Minute<br />

hatte Toprak eine Schlüsselrolle.Bayer<br />

führte einen Eckball<br />

aus,danahm das Schicksal<br />

seinen Lauf. Fußballprofi<br />

trifft ins eigene Tor, wieder so<br />

ein Evergreen. (cs.)<br />

IMAGO IMAGES<br />

Wolfsburg verpasst Sprung an die Spitze<br />

DPA/STEFFEN<br />

Der Wolfsburger Marcel Tisserand handelt bei<br />

diesem Kopfball nach dem Motto: schön, aber<br />

selten – und vor allem ohne Effekt. Der VfL<br />

Wolfsburgverpasste den Sprung an dieTabellenspitze<br />

der Fußball-Bundesliga. Die Niedersachsen<br />

blieben am Sonntag zwar auch gegen den FC<br />

Augsburgunbesiegt, kamen gegen den Abstiegskandidaten<br />

aber nicht über ein 0:0 hinaus. Drei<br />

Tage nach dem 2:2 in der Europa League bei KAA<br />

Gent in Belgien zeigte der VfL vor 22630 Zuschauern<br />

eine insgesamt schwache Leistung<br />

und gab nach dem 1:1 gegen Paderborn erneut<br />

gegen eine Mannschaft aus den Tiefen der Tabelle<br />

unnötigerweise Punkte ab.<br />

FSV Mainz 05<br />

Aus der Rumpelkammer<br />

der Regelkunde<br />

Den Nobelpreis für Mathematik<br />

wird Sandro<br />

Schwarz so bald nicht bekommen.<br />

Zumindest wenn<br />

dafür gewisse Geometriekenntnisse<br />

vorausgesetzt<br />

werden. Sein Verteidiger<br />

Moussa Niakhaté habe nicht<br />

die Körperfläche vergrößert<br />

in jener Szene, als die gesamte<br />

Fußballwelt, allen<br />

voran die vom gegnerischen<br />

1. FC Köln, einen Handelfmeter<br />

erwartete, behauptete<br />

der Trainer von Mainz 05<br />

nach dem 3:1-Sieg seines<br />

Teams.<br />

Bei einem weit ausgestreckten<br />

linken Arm, der die<br />

Flanke von Kingsley Schindler<br />

stoppte, ist dies eine<br />

kühne These, die möglicherweise<br />

erklärt, warum die<br />

Raumaufteilung der Mainzer<br />

Mannschaft gelegentlich zu<br />

denken gibt. Die Kölner jedenfalls<br />

waren fuchsteufelswild,<br />

weil es zum Zeitpunkt<br />

der Untat nur 1:2 stand und<br />

weil auch die zweite<br />

Schwarz-These, eshabe sich<br />

um keine unnatürliche<br />

Handbewegung gehandelt,<br />

eher der Rumpelkammer der<br />

Regelkunde entstammt.<br />

Verblüffend indes, dass<br />

Schiedsrichter Frank Willenborg<br />

zumindest im Ergebnis<br />

den Theorien des Mainzer<br />

Coaches entsprach und partout<br />

nicht auf den Elfmeterpunkt<br />

zeigen mochte, auch<br />

dann nicht, als ihn die Kölner<br />

Zentrale zur Vermeidung offenkundig<br />

unsinniger Entscheidungen<br />

zwecks Begutachtung<br />

der Szene zum Fernsehschirm<br />

beordert hatte.<br />

Selbst die Videobilder konnten<br />

der Sinnestäuschung, die<br />

den Schiedsrichter befallen<br />

hatte,nichts anhaben.<br />

Im Roman „Der Unsichtbare“<br />

von H.G.Wells ist die<br />

Hauptfigur bemüht, durch<br />

das geschickte Drapieren<br />

von Kleidungsstücken seine<br />

ansonsten dem Auge entzogenen<br />

Körperteile und Extremitäten<br />

sichtbar zu machen.<br />

Dem Mainzer Moussa<br />

Niakhaté ist bei Frank Willenborg<br />

offenbar das Gegenteil<br />

gelungen. (mali.)<br />

NEUNTER SPIELTAG<br />

2:1 (1:0)<br />

BAYERN–1. FC UNION<br />

2:2 (1:1)<br />

LEVERKUSEN– BREMEN<br />

2:3 (0:2)<br />

HERTHA–HOFFENHEIM<br />

4:2 (2:0)<br />

GLADBACH–FRANKFURT<br />

3:1 (1:1)<br />

MAINZ–KÖLN<br />

2:1 (1:0)<br />

FREIBURG–LEIPZIG<br />

0:0<br />

SCHALKE–DORTMUND<br />

2:0 (1:0)<br />

PADERBORN–DÜSSELDORF<br />

0:0<br />

WOLFSBURG–AUGSBURG<br />

Bayern München: Neuer -Kimmich,<br />

Pavard, Boateng,Davies -<br />

Thiago-Müller,Philippe Coutinho<br />

(86. Goretzka) -Coman<br />

(65. Gnabry), Lewandowski, Perisic<br />

(76. Tolisso)<br />

1. FC Union: Gikiewicz -Trimmel,<br />

M. Friedrich, Subotic, C. Lenz -<br />

Kroos (60. Becker), Andrich -<br />

Ingvartsen (66. Ujah), Gentner,<br />

Bülter -Andersson (66. Polter)<br />

Schiedsrichter:Fritz<br />

Zuschauer:75000<br />

Tore: 1:0 Pavard (13.), 2:0 Lewandowski<br />

(53.), 2:1 Polter<br />

(86./Foulelfmeter)<br />

Gelbe Karten: -/Andrich (4)<br />

BayerLeverkusen: Hradecky -<br />

Tah, S. Bender (24. Dragovic), L.<br />

Bender -Baumgartlinger (89.<br />

Pohjanpalo), Demirbay(62.<br />

Paulinho) -Bellarabi,Amiri,Weiser<br />

-K.Volland, Alario<br />

Werder Bremen: Pavlenka -Gebre<br />

Selassie, Toprak, Groß,<br />

Friedl -M.Eggestein, N. Sahin,<br />

Bittencourt(90.+1 Bargfrede),<br />

Klaassen -Sargent (86. J. Eggestein),<br />

Rashica (80. Goller)<br />

Schiedsrichter:Petersen<br />

Zuschauer:30210<br />

Tore: 1:0 Toprak (4./Eigentor),<br />

1:1 Rashica (40.), 1:2 Klaassen<br />

(48.), 2:2 Alario (58.)<br />

Gelbe Karten: L. Bender (1),<br />

Alario (2) /Klaassen (2)<br />

Hertha BSC: Jarstein -Klünter,<br />

Boyata (64. Kalou), Rekik, Plattenhardt<br />

-Skjelbred, Grujic (46.<br />

Duda) -M.Wolf, Darida, Lukebakio<br />

-Ibisevic (82. Selke)<br />

1899 Hoffenheim: Baumann -<br />

Akpoguma, Vogt (61. Bicakcic),<br />

B. Hübner -Kaderabek, Rudy,<br />

Grillitsch, L. Rupp (72. Adamjan),<br />

Skov -Locadia (61. Bebou),<br />

Kramaric<br />

SR: Schmidt -ZS: 44 499<br />

Tore: 0:1 Locadia (33.), 0:2 Kramaric<br />

(38.), 1:2 Lukebakio<br />

(55.), 2:2 Kalou (69.), 2:3 B.<br />

Hübner (79.)<br />

GK: Ibisevic (3) /Rudy(3), Kaderabek<br />

(1), Baumann (1)<br />

GRK: Darida (84.)<br />

Mönchengladbach: Sommer -<br />

Lainer,Jantschke(46. Beyer),<br />

Elvedi, Wendt -Zakaria -Benes,<br />

Neuhaus -Herrmann (82. Hofmann),<br />

Embolo (35. Stindl),<br />

Thuram<br />

Frankfurt: Rönnow-Abraham,<br />

Hasebe, Hinteregger -daCosta,<br />

Sow, Fernandes (83. Joveljic),<br />

Kostic (79. Chandler) -Rode<br />

(46. Kohr) -Kamada, Paciencia.<br />

SR: D. Schlager (Hügelsheim)<br />

Zuschauer:52300<br />

Tore: 1:0 Thuram (28.), 2:0<br />

Wendt (45.+2), 2:1 da Costa<br />

(59.), 3:1 Elvedi (75.), 3:2 Hinteregger<br />

(79.), 4:2 Zakaria (85.)<br />

Gelbe Karten: Neuhaus (3) -<br />

Abraham<br />

FSV Mainz: Zentner -Brosinski<br />

(73. Latza), St. Juste, Niakhaté,<br />

Martín -Kunde Malong -R.<br />

Baku, Öztunali (84. Hack) -<br />

Boetius -Szalai, Quaison (78.<br />

Onisiwo)<br />

1. FC Köln: Horn-Ehizibue (58.<br />

Schmitz), Bornauw,Czichos,<br />

Katterbach (81. Modeste) -<br />

Skhiri, Hector -Schindler (65.<br />

Cordoba), Schaub,Kainz -Terodde<br />

Schiedsrichter:Willenborg<br />

Zuschauer:31999<br />

Tore: 0:1 Terodde (14.), 1:1<br />

Boetius (21.), 2:1 Quaison<br />

(57.), 3:1 Öztunali (82.)<br />

GK: Kunde Malong (3), Niakhaté<br />

(5) /Bornauw (1), Hector (3)<br />

SC Freiburg: Flekken -Lienhart,<br />

R. Koch, Heintz -Schmid, Tempelmann<br />

(34. Grifo), Höfler (67.<br />

N. Schlotterbeck), Günter -Haberer,Höler<br />

-L.Waldschmidt<br />

(30. Petersen)<br />

RB Leipzig: Gulacsi -Klostermann,<br />

Upamecano, Orban, Halstenberg<br />

-Haidara, Demme -<br />

Sabitzer (56. Nkunku), Forsberg<br />

(60. Poulsen) -Werner (70. Matheus<br />

Cunha), Lookman<br />

Schiedsrichter:Osmers<br />

Zuschauer:24000<br />

Tore: 1:0 Höfler (45.+2), 2:0 Petersen<br />

(90.), 2:1 Klostermann<br />

(90.+2)<br />

GK: Höfler (3), Haberer (1),<br />

Grifo (1) /Upamecano (1)<br />

FC Schalke04: Nübel -Kenny,<br />

Stambouli, Salif Sané, Oczipka -<br />

Mascarell -D.Caligiuri (84.<br />

Schöpf), Serdar -Harit -Burgstaller<br />

(90.+1 Kabak), Matondo<br />

(80. Kutucu)<br />

Borussia Dortmund: Hitz -Piszczek,Weigl,<br />

Hummels, Guerreiro -<br />

Witsel, Delaney(74. Akanji) -<br />

Sancho, Reus, Hakimi (86.<br />

Brandt) -M.Götze (58. T. Hazard)<br />

Schiedsrichter:Brych<br />

Zuschauer:62271<br />

Gelbe Karten: Stambouli (2),<br />

Salif Sané (3), Kutucu (1) /<br />

Weigl (2), T. Hazard (1)<br />

SC Paderborn: Zingerle -Dräger,<br />

Kilian, Schonlau, Collins -Gjasula<br />

(78. Michel) -Pröger,Vasiliadis,<br />

Sabiri, Holtmann (61. Mamba) -<br />

Zolinski (64.Antwi-Adjej)<br />

Fortuna Düsseldorf: Z. Steffen -<br />

Ayhan, A. Hoffmann (65. Morales),<br />

Adams Nuhu -J.Zimmer<br />

(75. Ampomah), Mat. Zimmermann,<br />

Bodzek, Gießelmann -<br />

Kownacki, Tekpetey(66.<br />

Thommy) -Hennings<br />

SR: Dankert-ZS: 14 182<br />

Tore: 1:0 Sabiri (43.), 2:0<br />

Schonlau (64.)<br />

GK: Sabiri (1), Gjasula (5), Zolinski<br />

(1), Dräger (1), Kilian (1)<br />

/Zimmermann (3), Kownacki<br />

(2), J. Zimmer (1), Morales (3)<br />

VfL Wolfsburg: Pervan -Tisserand,<br />

Bruma, Brooks -William,<br />

Guilavogui, Gerhardt (83. Arnold),<br />

Roussillon -Klaus (60.<br />

Victor), Brekalo (71. Nmecha) -<br />

Weghorst<br />

FC Augsburg: Koubek -Lichtsteiner,Jedvaj,<br />

Uduokhai, Max -R.<br />

Khedira, Baier (83. Gouweleeuw)<br />

-M.Richter,Niederlechner,Vargas<br />

(71. Iago) -Finnbogason<br />

(77. Cordova)<br />

Schiedsrichter:Stieler (Hamburg)<br />

Zuschauer:22630


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 – S eite 20 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Sport<br />

Rafal Gikiewicz klärtper Faustabwehr,bringt damit aber Benjamin Pavard (nicht im Bild) ins Spiel, der zum 1:0 für die Bayerntrifft.<br />

IMAGO IMAGES/MATTHIAS KOCH<br />

Alles relativ<br />

Nach dem 1:2 beim FC Bayern ist Union-Coach Urs Fischer einerseits stolz auf sein Team, hadert andererseits mit der vergebenen Chance auf einen späten Ausgleich<br />

VonMarkus Lotter,München<br />

Zeit ist auch im Fußball relativ.<br />

Eskommt eben darauf<br />

an, wie sinnvoll man sie<br />

nutzt. So in etwa geht die<br />

Relativitätstheorie, die der Schweizer<br />

Sportwissenschaftler UrsFischer<br />

im Nachgang der Bundesligapartie<br />

zwischen dem FC Bayern und dem<br />

1. FC Union in den Raum warf, wobei<br />

es sich bei diesem Raum ganz konkret<br />

um den Presseraum in der Münchner<br />

Arena handelte.<br />

Fischer war dorthin als Verlierer<br />

gekommen, ohne sich so fühlen zu<br />

müssen, weil seine Mannschaft beim<br />

1:2 (0:1) gegen den deutschen Rekordmeister<br />

erneut ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />

auf höchstem nationalen<br />

Niveau unter Beweis gestellt<br />

hatte.Aber eines ärgerte den Fußballlehrer<br />

dann doch sehr,nämlich die in<br />

der Schlussphase verspielte Chance<br />

auf ein Remis.„Zehn Minuten sind im<br />

Fußball eine lange Zeit, um noch einen<br />

Ein-Tore-Rückstand wettzumachen“,<br />

sagte der 53-Jährige. Aber:<br />

„Das war mir zu hektisch. Da<br />

brauchst du mehr Geduld, mehr Cleverness.Aber<br />

schlussendlich war das<br />

eine tolle Leistung meiner Mannschaft,<br />

auf die ich richtig stolz bin.Wir<br />

haben alles abgerufen und den Bayern<br />

essoschwer wie nur irgendwie<br />

möglich gemacht.“ Und eswar ja in<br />

der Tatso, dass Union nach dem Anschlusstreffer,den<br />

Sebastian Polter in<br />

der 86. Minute durch einen von ihm<br />

gezogenen und selbst verwandelten<br />

Strafstoß erwirkt hatte, dem 2:2 so<br />

nahe war wie die erneut doch ziemlich<br />

wackligen Münchner dem 3:1.<br />

Einzuhastiger Gikiewicz<br />

Wenig später ging Fischer auch noch<br />

ins Detail. In diesen zehn Minuten,<br />

die nachVerrechnung der vierminütigen<br />

Nachspielzeit letztlich dann doch<br />

nur acht waren, habe insbesondere<br />

Keeper Rafal Gikiewicz die Präzision<br />

und das richtige Timing bei der Spieleröffnung<br />

gefehlt. „Lass die Jungs,<br />

bevor du den langen Ball schlägst,<br />

aufrücken, formier dich, damit du<br />

dann auch für den zweiten Ball bereit<br />

bist“, sagte Fischer. Was Gikiewicz,<br />

der mit zahlreichen Paraden erst die<br />

Voraussetzung für Fischers Ansatz einer<br />

Relativität der Zeit im Fußball geschaffen<br />

hatte, freilich im Hinblick<br />

auf das am Dienstagabend ausgetragene<br />

Zweitrundenspiel im DFB-Pokal<br />

beim SC Freiburg als Handlungshinweis<br />

verstehen durfte.<br />

Wenige Minuten vor Fischer war<br />

auch der bereits erwähnte Polter als<br />

Antwortgeber in der Mixed Zone auf<br />

den Schlussakt dieses intensiven und<br />

dadurch auch sehr kurzweiligen<br />

Spiels eingegangen. Der Stürmer beklagte<br />

dabei die Unentschlossenheit<br />

„Schlussendlich war das eine tolle Leistung<br />

meiner Mannschaft, auf die ich richtig<br />

stolz bin. Wir haben alles abgerufen und den<br />

Bayern es so schwer wie nur irgendwie<br />

möglich gemacht.“<br />

Urs Fischer weiß, dass eine Niederlage nicht<br />

gleich eine Niederlage ist.<br />

von Sheraldo Becker, der in der 70.<br />

Minute mit einer unbrauchbaren Mischung<br />

aus Torschuss und Querpass<br />

einen aussichtsreichen Konter verspielte.„Sheraldo<br />

muss dabei meiner<br />

Meinung nach mit direktem Zug auf<br />

dasTorgehen und ihn selber machen.<br />

Oder eben den Ball besser quer spielen.<br />

Dasweiß er auch, da wir im Training<br />

schon öfter darüber gesprochen<br />

haben“, sagte Polter,umnoch schnell<br />

im Sinne des Kabinenfriedens dies<br />

hier anzufügen:„Ich will ihn aber jetzt<br />

nicht damit anmahnen, wirklich<br />

nicht. Wir alle hätten in der einen<br />

oder anderen Szene einfach ruhiger<br />

spielen müssen. Ja, mit ein bisschen<br />

mehr Cleverness und mit ein bisschen<br />

Matchglück wäre hier heute<br />

mehr zu holen gewesen.“<br />

Implizit bleibt nach diesem forschen<br />

Auftritt der Unioner in der<br />

Münchner Arena festzuhalten, dass<br />

Fischers Lehreund sein Personalmanagement<br />

auch in der Bundesliga offensichtlich<br />

die gewünschte Wirkung<br />

nach sich zieht. So setzte er in München<br />

je nach Lesart auf ein 4-2-3-1<br />

beziehungsweise 4-3-3-System, in<br />

dem er durch die Hereinnahme von<br />

Felix Kroos das Zentrum stärkte und<br />

damit den Spielraum von Coutinho<br />

und Thomas Müller einschränkte.<br />

Kroos, der dabei an der Seite von<br />

Christian Gentner und dem erneut<br />

sehr präsenten Robert Andrich jede<br />

Menge Fleißarbeit verrichtete,bekam<br />

dann auch auf Nachfrage ein Sonderlob<br />

vonFischer.„Felix hat das sehr gut<br />

gemacht. Er hat auch schon vergangene<br />

Woche nach seiner Einwechslung<br />

gezeigt, dass er für einen Startelfeinsatz<br />

bereit ist.“<br />

Zudem ist Fischers Coaching auch<br />

von jeder Menge Mut gekennzeichnet.<br />

Nachdem Robert Lewandowski<br />

in der 53. Minute aus dem Zufall heraus<br />

das 2:0 erzielt und Sebastian Andersson<br />

einen von Ivan Perisic (65.)<br />

verursachten Handelfmeter verschossen<br />

hatte, gab er sich nicht verzagt,<br />

sondernsetzte mit Doppel-Einwechslung<br />

von Polter und Anthony<br />

Ujah (67.) sowie einer Systemumstellung<br />

auf ein 4-4-2 ein offensives Zeichen.<br />

Lasst Euch nicht schrecken,<br />

auch in München sind wir trotz des<br />

negativen Spielverlaufs noch zu allem<br />

fähig, sollte dies seinem Team bedeuten.<br />

Fischer weiß: Nicht nur die Zeit<br />

ist im Fußball relativ, sondern auch<br />

hin und wieder die Größe des Klubs.<br />

Verwandle Frust in Energie<br />

Hertha BSC verliert erneut ein Schlüsselspiel, geht nach dem 2:3 gegen Hoffenheim angesichts der gestiegenen spielerischen Qualität aber zuversichtlich in die Highlight-Woche<br />

VonSebastian Schmitt<br />

Wer nur hinhörte, hätte meinen<br />

können, dass Hertha BSC das<br />

Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim<br />

gewonnen hat. Lautstark und<br />

mit Sprechchören honorierte die<br />

Ostkurve, inder die treusten blauweißen<br />

Fans im Olympiastadion stehen,<br />

die Leistung ihres Teams nach<br />

der 2:3 (0:2)-Niederlage. Zum einen<br />

quittierten die Anhänger die kämpferische<br />

Leistung ihrer Mannschaft,<br />

die sich nach einem 0:2-Pausenrückstand<br />

nicht vonihrem Weghatte abbringen<br />

lassen und mit einem sehenswerten<br />

Fallrückzieher vonDodi<br />

Lukebakio eine spektakuläre, letztlich<br />

aber erfolglose Aufholjagd einleitete.<br />

Zum anderen war der Zuspruch<br />

auch ein symbolischer<br />

Schulterschluss der Fans mit ihrer Elf<br />

vor zwei besonderen Spielen in dieser<br />

Woche.<br />

Die Botschaft schien jedenfalls<br />

bei den Spielern angekommen zu<br />

sein. „Wir haben das Mini-Derbyam<br />

Mittwoch und das Derby amWochenende.<br />

Für die Fans ist es eine<br />

großartige Woche –wenn wir gewinnen“,<br />

sagte Salomon Kalou vor der<br />

zweiten Runde im Pokal gegen<br />

Zweitligist Dynamo Dresden und<br />

dem Derby beim 1. FC Union am<br />

Sonnabend. „Wir wissen, wie viel<br />

dieses Spiel den Fans bedeutet.<br />

Wenn wir zeigen wollen, dass es in<br />

Berlin nur ein Team gibt, müssen wir<br />

bereit für das Wochenende sein.“<br />

Mehr Qualität im Angriff<br />

Es mag vielleicht auch an den beiden<br />

unmittelbar anstehenden Aufgaben<br />

liegen, dass die Enttäuschung der<br />

Profis darüber, wieder einmal ein<br />

Schlüsselspiel nicht gewonnen zu<br />

haben und im Tabellenmittelfeld<br />

steckengeblieben zu sein, sich in<br />

Grenzen hielt. Gleichzeitig dürfte<br />

aber auch die eigene Leistung dafür<br />

verantwortlich gewesen sein. Denn<br />

anders als in denVorjahren, in denen<br />

Hertha regelmäßig zum großen<br />

Sprung ansetzte und die Grenzen<br />

Dodi Lukebakio zeigt sein Können und trifft per Fallrückzieher zum 1:2.<br />

aufgezeigt bekam, waren die <strong>Berliner</strong><br />

diesmal alles andere als chancenlos.Allein<br />

in den ersten zehn Minuten<br />

wirbelten die Blau-Weißen<br />

mit dem Selbstvertrauen von vier<br />

ungeschlagenen Spielen die sonst so<br />

kompakt stehenden Hoffenheimer<br />

ordentlich durcheinander. Erst verpasste<br />

Marius Wolf eine Hereingabe<br />

vonKarim Rekik nur um Zentimeter,<br />

BERND KÖNIG<br />

bevor Kapitän Vedad Ibisevic den<br />

Ball aus dem Fünfmeterraum an den<br />

Pfosten bugsierte. „Es war ein verrücktes<br />

Spiel“, resümierte entsprechend<br />

Hoffenheims Trainer Alfred<br />

Schreuder.„Wirsind ein sehr glücklicher<br />

Sieger.“<br />

Daslag vorallem daran, dass Hertha<br />

sich bei allen drei Gegentoren individuelle<br />

Fehler leistete. Beim 0:1<br />

(33.) vonJürgen Locadia wurde Passgeber<br />

Florian Grillitsch weder von<br />

Marko Grujic noch von Dedryck<br />

Boyata gestoppt. Das zweite und<br />

dritte Tor fingen sich die <strong>Berliner</strong><br />

nach Eckbällen ein, nachdem zuerst<br />

Per Skjelbred Andrej Kramaric (38.)<br />

und später Karim Rekik Benjamin<br />

Hübner (78.) aus den Augen verlor.<br />

„Nach zwei Standardgegentoren ist<br />

es schwer, noch einen Punkt mitzunehmen“,<br />

konstatierte Ante Covic<br />

die Konsequenz aus den unnötigen<br />

Gegentreffern.<br />

Dennoch probierte es Herthas<br />

Cheftrainer nach der Pause, stellte<br />

auf Dreierkette und Doppelspitze<br />

um, indem er Ondrej Duda und Kalou<br />

für Grujic und Boyata einwechselte.<br />

Der Belgier lief mit bandagiertem<br />

rechten Oberschenkel durch die<br />

Katakomben und droht zumindest<br />

für die kommenden Aufgaben wegen<br />

Leistenproblemen auszufallen.<br />

Mut und Hoffnung, dass für Hertha<br />

diese Saison mehr drin ist als<br />

Mittelmaß, macht –neben der gezeigten<br />

Moral nach den beiden Nackenschlägen<br />

–die gestiegene Qualität<br />

im Angriff durch dieVerpflichtungen<br />

von BVB-Leihgabe Wolf und Rekordtransfer<br />

Lukebakio. Das Duo<br />

zeigte gegen die TSG, dass sie die Fähigkeiten<br />

besitzen, in der Bundesliga<br />

jedem Gegner wehzutun. „Ich bin<br />

guter Dinge,dass wir beide Spiele gewinnen,<br />

wenn wir so spielen wie in<br />

der zweiten Halbzeit“, sagte dann<br />

auch Wolf mit Blick auf diese Woche.<br />

Dazu ist der Kader in der Breite<br />

besser als in der Vergangenheit, was<br />

der zuletzt nicht berücksichtigte Kalou<br />

bewies, als er nach Lukebakios<br />

artistischem Anschlusstreffer seinen<br />

Reservistenfrust bei seinem Torzum<br />

2:2 in Energie umwandelte (69.).<br />

Eine ähnliche Transformation<br />

verlangt Manager Michael Preetz für<br />

das Spiel im aller Voraussicht nach<br />

ausverkauften Olympiastadion gegen<br />

Dynamo. „Ich erwarte, dass wir<br />

das Spiel gewinnen, dass wir uns das<br />

zurückholen, was wir heute liegengelassen<br />

haben.“


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 – S eite 21 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Feuilleton<br />

PetraKohse empfiehlt,<br />

den 77. Geburstag von<br />

Ginka Steinwachs zu<br />

feiern–Seite 24/25<br />

„Im klassischen Western ist die Zeit stehen geblieben …“<br />

Irene Bazinger über „Die 5glorreichen Sieben“ in der Bar jeder Vernunft Seite 23<br />

1989/2019<br />

Null Wirkung<br />

im Westen<br />

Cornelia Geißler<br />

hörtAutoren<br />

vondamals zu<br />

Was habt ihr damals gelesen?,<br />

fragt Birgit Dahlke die drei<br />

Schriftsteller neben sich. Die Literaturwissenschaftlerin<br />

kennt sie gut,<br />

denn sie hat über die inoffizielle Literatur<br />

aus der DDR promoviert.<br />

„Diensthunde richtig führen“, nennt<br />

Katja Lange-Müller als Beispiel.<br />

Klingt ulkig, entspricht aber der<br />

Wahrheit, weil sie als Schriftsetzer<br />

natürlich die Manuskripte kennen<br />

musste, die sie zum Druck brachte.<br />

Ihr eigenes Schreiben sei auch aus<br />

Notwehr gegen das entstanden, was<br />

sie im Osten lesen musste.<br />

„Widerständiges Schreiben im<br />

geteilten Berlin“ heißt das Nachmittagsthema<br />

am Sonnabend innerhalb<br />

eines lehrreichen Schwerpunkts zu<br />

1989/2019 im Literaturforum im<br />

Brecht-Haus.Birgit Dahlke,die an der<br />

Humboldt-Universität arbeitet, ist es<br />

zu danken, dass auch Nachgeborene<br />

im Publikum sitzen und nicht nur alte<br />

Leute sich die Erzählungen alter<br />

Leute anhören. Die hier Schreibende<br />

weiß: Werdie Achtziger bewusst erlebte,ist<br />

heute nicht mehr jung.<br />

Jan Faktor und Bert Papenfuß, in<br />

der (Ost-)Runde neben Lange-Müller,sprechen<br />

darüber,dass sie Öffentlichkeit<br />

fast nur durch dieWohnungs-<br />

Lesungen in Prenzlauer Berg erreichten.<br />

In der West-Autoren-Runde stellt<br />

Michael Wildenhain den Hauptunterschied<br />

zwischen den beiden Podien<br />

klar: „Bei uns konnte man<br />

schreiben, was man wollte, und es<br />

hatte null Wirkung“, sagte er. Tanja<br />

Dückers erzählt, auf ihrem Gymnasium<br />

in Grunewald „die aus Wilmersdorf“<br />

gewesen zu sein. Das hatte vor<br />

der Gentrifizierung des Westens einen<br />

ärmlichen Beiklang. Die Ostberliner,<br />

sagt sie, seien ihr nie so fremd<br />

gewesen wie die Bayern, zudenen<br />

früher die Familienurlaube führten.<br />

Da meldet sich Katja Lange-Müller<br />

aus dem Publikum. Sie war 1984<br />

ausgereist und erinnert daran, dass<br />

in West-Berlin alle so taten, als kämen<br />

sie aus Hannover. Die Mauer<br />

war auch eine Sprachgrenze. Und<br />

heute? Das Berlinische stirbt aus.<br />

Aber das ist eine andereGeschichte.<br />

Das große Ausmisten<br />

Der 4. <strong>Berliner</strong> Herbstsalon will Zugehörigkeit ohne Hierarchien und Ausschlüsse denken<br />

VonAnna Gyapjas<br />

Das noble Unterfangen,<br />

Zugehörigkeit neu zu<br />

denken, beginnt mit einer<br />

Erklärung der Frauenverteidigung<br />

aus Rojava: „Stoppt<br />

den türkischen Besatzungskrieg gegen<br />

Nordostsyrien sofort.“ Verlesen<br />

von der Theaterschaffenden Anina<br />

Jendreyko auf der Bühne des Gorki-<br />

Theaters und annekdotisch ergänzt<br />

vonHito Steyerl, Heja Netirkund Bilgin<br />

Ayata, ersetzt die Intervention<br />

„Frauen für Rojava“ die Eröffnungsrede<br />

zum Auftakt des vierten <strong>Berliner</strong><br />

Herbstsalons.<br />

Seit 2013 widmet sich das interdisziplinäreFestival<br />

neuen Ideen der<br />

Gemeinsamkeit jenseits tradierter<br />

Hierarchien. Die Intervention verdeutlicht,<br />

welch Privileg es ist, diesen<br />

Diskurs im friedlichen Berlin zu führen,<br />

aber auch, welche Dringlichkeit<br />

ihm innewohnt: Ausgrenzung, Vertreibung<br />

und Auslöschung sind die<br />

Folgen eines Heimatbegriffs, der<br />

nicht alle einzuschließen vermag.<br />

Wo die Mittel der Politik solche Ungleichheit<br />

nicht zu korrigieren vermögen,<br />

verpflichtet dieses Privileg<br />

Kunst- und Kulturschaffende,hinzuschauen.<br />

Daher auch das Ausrufezeichen<br />

im Titel „De-Heimatize It!“<br />

Sprich: Der politische Diskurs um<br />

Heimat gehörtausgemistet.<br />

DerPass und das Gewehr<br />

Daniel Cremer präsentiert„Das Wunder der Liebe“ ab Freitag im Herbstsalon. MELANIE BONAJO<br />

Im Zeughauskino offenbart eine Videoinstallation<br />

vonYael Bartana das<br />

reinigende Potenzial dieser Maßnahme.<br />

Rettungsweste, Wasserkanister,<br />

Pass: In Zeitlupe fallen alltägliche<br />

Zeugnisse aus Geschichte und<br />

Gegenwart durch einen schwarzen<br />

Raum. Michelangelos David, ein Gewehr,<br />

traditionelle Gewänder, Schädel,<br />

dazu bedrohliches Dröhnen, das<br />

in den Fußsohlen vibriert, zwischendurch<br />

schneit es „Judensterne“. Assoziationen<br />

vonUnterdrückung und<br />

Genozid drängen sich auf, umso erleichterter<br />

ist man, wenn die Objekte<br />

aus dem Bild verschwinden. Die Arbeit<br />

ist inspiriert vom jüdischen<br />

Brauch des „Taschlich“, bei dem Taschen<br />

und Kleider an Ufern entleert<br />

werden, um die Vergebung der Sünden<br />

zu erbitten.<br />

„Unrettbar“ ist einzig der Begriff<br />

Heimat, weiß Bilgin Ayata, eine der<br />

„Frauen für Rojava“. Die Politikwissenschaftlerin<br />

lieferte mit ihremVortrag<br />

„De-Heimatize Belonging“ das<br />

Motto des vierten Herbstsalons. Als<br />

Schlagwort diverser Verflechtungen<br />

von Patriarchat, Kapitalismus und<br />

Rassismus stifte Heimat als politisches<br />

Konzept längst kein inklusives<br />

kollektives Bewusstsein mehr.<br />

Mit einer Ausstellung, einer Plattformfür<br />

Kurator*innen mit zukunftsweisenden<br />

Ansätzen und einer Konferenz<br />

greifen die Organisator*innen<br />

um die Gorki-Intendantin Shermin<br />

Langhoff diese These auf. Rund 40 in-<br />

ternationale Künstler*innen mit feministisch-intersektionalem<br />

Ansatz<br />

zeigen drei Wochen lang, welcher Erkenntnisgewinn<br />

der Vielheit innewohnt<br />

(die Gender-Sternchen gehören<br />

für die Akteurinnen und Akteure<br />

dazu). Aufdie Zweifler angesprochen,<br />

sagte Ayata bereits auf einem Podium:<br />

„Wir müssen darüber nachdenken,<br />

was wir schaffen können<br />

und nicht, was wir verlieren.“<br />

Neue Verbindungen zum Beispiel.<br />

Geht man durch die Ausstellung<br />

im benachbarten Palais am Festungsgraben,<br />

findet sich im zweiten<br />

StockwerkTanja Ostojics „Lexicon of<br />

Tanja Ostojic“. Über Jahre besuchte<br />

die inBerlin lebende Performance-<br />

Künstlerin Frauen, die denselben<br />

Namen wie sie tragen (auf dem Cam<br />

Ende fehlt noch ein Accent aigu, das<br />

hier im Schriftbild nicht darstellbar<br />

ist). Sie wollte untersuchen, was sie<br />

eint, was sie unterscheidet. Die Auszüge<br />

dieser künstlerischen Erforschung<br />

von Arbeitsbedingungen,<br />

Migrationswegen und Geschlechterfragen<br />

lesen sich wie ein Dokument<br />

solidarischer Praxis.<br />

VomLeben am Rand<br />

Ähnlich motiviert ist auch „TLDR“,<br />

eine Videoinstallation von Candice<br />

Breitz, die einige Räume weiter ausgestellt<br />

ist. Dorterzählen aktivistisch<br />

tätige Sexarbeiterinnen aus Kapstadt<br />

von Arbeit und Leben am Rand der<br />

Gesellschaft. Breitz verhandelt, inwiefernweiße<br />

Künstler alsVerstärker<br />

marginalisierter Stimmen fungieren<br />

können, zumal angesichts immer<br />

kürzerer Aufmerksamkeitsspannen.<br />

DerWeg, den sie mit den Mitgliedern<br />

des Kollektivs Sweat erarbeitet hat,<br />

ist ein Musical –das ist vonder Form<br />

her so ungewöhnlich, dass man tatsächlich<br />

dranbleiben will.<br />

WerAmbiguitäten zulässt, findet<br />

auch Klarheit. Davon erzählt Rola<br />

Khayyat im Container vor dem<br />

Gorki-Theater,wonoch bis Montagabend<br />

der Young Curators Academy<br />

Marathon stattfindet. Ihr Aufwachsen<br />

prägte ein Amalgam aus libanesischem<br />

Nationalismus und USamerikanischer<br />

Vorstadtkultur.<br />

Khayyats Großvater mütterlicherseits<br />

bekleidete eine Schlüsselposition<br />

bei der weltgrößten Erdölfördergesellschaft,<br />

die als amerikanisches<br />

Privatunternehmen ihren Anfang<br />

nahm: Saudi Aramco. Wie dies ihr<br />

Zugehörigkeitsgefühl formte, begriff<br />

die Fotografin Khayyat erst, als sie<br />

die Memoiren ihrer Mutter las. Nun<br />

untersucht sie mit ihren Schwestern,<br />

inwiefern ihre Familiengeschichte<br />

und privates Fotomaterial zusammen<br />

als Archiv des Imperialismus<br />

gelesen werden können.<br />

Herbstsalon bis 17. NovemberimMaxim Gorki<br />

Theater,Palais am Festungsgraben, Zeughauskino,<br />

Haus der Statistik und im Stadtraum. Eintritt<br />

frei(ausgenommen Bühnenveranstaltungen),<br />

www.berliner-herbstsalon.de<br />

NACHRICHTEN<br />

Holocaust-Überlebende<br />

Vera Friedländer ist tot<br />

DieAutorin Vera Friedländer,die<br />

sich als Mädchen an einer erfolgreichen<br />

Protestaktion gegen die Nazis<br />

in der <strong>Berliner</strong> Rosenstraße beteiligte<br />

und später als Zwangsarbeiterin<br />

in einer Schuhfabrik versklavt<br />

wurde,ist tot. Vera Friedländer starb<br />

am Freitag im Alter von91Jahren bei<br />

Berlin, wie der Verlag DasNeue Berlin<br />

am Sonntag bestätigte.Die Mitbegründerin<br />

des Jüdischen Kulturvereins<br />

Berlin hatte in ihrem 2016 erschienenenWerk„Ich<br />

war Zwangsarbeiterin<br />

bei Salamander“ über ihr<br />

Schicksal berichtet. (dpa)<br />

Handkebezweifelt Sätze,<br />

mit denen er zitiertwird<br />

Peter Handke meldet sich in der Debatte<br />

um den Literaturnobelpreis zu<br />

Wort.Erreagiertauf eineVeröffentlichung<br />

des Internet-Journals Perlentaucher,das<br />

auf ein Interview mit ihm<br />

in der Zeitschrift Ketzerbriefe von<br />

2011 hingewiesen hatte.Darin redete<br />

er das Massaker vonSrebrenica vom<br />

Juli 1995 klein. In der vonder Süddeutschen<br />

<strong>Zeitung</strong> veröffentlichten<br />

Mitteilung Handkes heißt es,erhabe<br />

das Interview damals nicht autorisiert.<br />

Wieder Tagesspiegel meldet,<br />

werdedie Schwedische Akademie<br />

dieses Interview prüfen. (BLZ)<br />

Little-Feat-Gitarrist<br />

Paul Barrère gestorben<br />

DerGitarrist Paul Barrèreist am<br />

Sonnabend im Alter von71Jahren<br />

gestorben, teilt die Band Little Feat<br />

mit. Barrère, der den Sound der amerikanischen<br />

Rockgruppe durch sein<br />

Slide-Spiel prägte,schloss sich Little<br />

Feat 1972 an und debütierte auf der<br />

LP „Dixie Chicken“. (BLZ)<br />

Anzeige<br />

Akademie-Dialog<br />

Desintegration und Empathie<br />

Über jüdische Identitäten<br />

Jeanine Meerapfel im Gespräch mit<br />

Max Czollek und Anna Schapiro<br />

Mi.30.10.<br />

Pariser Platz 4, Berlin<br />

20 Uhr, Eintritt €6/4<br />

UNTERM<br />

Strich<br />

Rom &Peter<br />

Jeder trage selber<br />

seine Last<br />

VonPeter Wawerzinek<br />

Wir stehen an der Gangway plötzlich nebeneinander,<br />

der Sebastian Felix und<br />

ich. Beide mit Ryanair auf dem Weg nach<br />

Rom, Flughafen Ciampino. ErReihe sieben,<br />

ich Reihe drei. Beide jeweils auf Sitz C, also<br />

ganz nah hintereinander. InRom angekommen,<br />

den Zubringerbus genommen, finden<br />

wir im hinteren Teil nebeneinander Platz. Es<br />

geht in die nächtlich erleuchtete Stadt hinein.<br />

Wir nehmen sie nur nebenher wahr. Zu<br />

viel Gesprächsstoff darüber vorhanden, was<br />

jeder von uns beiden so in den paar Tagen<br />

romfrei so erlebt und getan hat. VomBahnhof<br />

Termini aus sind es zu Fußvielleicht dreißig<br />

Minuten ohne sich groß zu sputen, sagt<br />

Ernst. Ichwill die Metronehmen, überlege es<br />

mir dann aber anders. Die Tasche ist schwer<br />

und kompakt gepackt, weil die Flugfirma für<br />

zusätzliches Gepäck unverschämte Summen<br />

verlangt. Ich schultere sie und komme<br />

ins Schwitzen. Ich stelle die Tasche mehrmals<br />

ab, befreie mich von Mantel, und<br />

Strickjacke laufe nur noch im dünnen Unter-<br />

Shirt herum. Sebastian will die abgelegten<br />

Klamotten in seinen Rucksack stopfen. Ich<br />

sage nein. Er will mir die Tasche abnehmen,<br />

mein Packesel sein. Ich weigere mich strikt.<br />

So weit kommt es nicht, widersetzeich mich<br />

gegen den deutlich jüngeren Burschen, und<br />

schleppe meine Last.<br />

Im Prinzip geht es wie bei einem gekonnten<br />

Dribbling mit uns beiden. Er holt sich<br />

seine Informationen vom Handy, spielt sie<br />

mir wie bunte Bälle zu. Ichkicke kurze Sätze<br />

wie Schonmalgehört, Kennich oder Achso<br />

zurück. Wir kommen rasch voran. An der<br />

langen alten Mauer kommt mir Brechts „Wer<br />

baute das siebentorige Theben“, in den Sinn.<br />

KLAUS ZYLLA<br />

Das große Rom ist voll von Triumphbögen.<br />

Wer errichtete sie? Mehr noch, sagt mein<br />

Dribbelpartner,stellt sich doch die Frage danach,<br />

wie viele Hände die Steine dafür erst<br />

einmal geformt, gebrannt, gestapelt, sie hierher<br />

transportiert und von danach dort geschleppt<br />

haben? Oh ja, stöhnte ich, spürewie<br />

sich mein Handgepäck tiefer in die Schulter<br />

frisst. Immer einmal wieder bleiben wir kurz<br />

stehen, um uns ein Haus,seine Fassade,den<br />

Dachsims anzusehen. Da ist Sebastian nämlich<br />

voll in seinem Metier.Ich muss mich setzen<br />

und meiner Stiefel kurz entledigen, die<br />

dicken Wollsocken von Berlin her gegen<br />

dünne Strümpfe austauschen.<br />

DasGebäude,auf dessen Stufen ich sitze,<br />

bekomme ich gesagt, sei besonders schön<br />

anzusehen. Vor allem der obere Abschluss<br />

wäre irgendwie genial. Ich gucke beim Aufstehen<br />

kurz einmal hin und nicke. Ich fühle<br />

mich von meinen Füßen her absolut besser.<br />

Es ist dunkel, denke ich, und dass Sebastian<br />

das Haus im helleren Licht sieht, so oft wie er<br />

vor ihm gestanden und an ihm schon emporgesehen<br />

haben mag. Und dann sind wir<br />

auch schon an der Tankstelle, einem weiteren<br />

architektonischem Kleinod. Tankstelle,<br />

meinst du, will ich fragen, unterlasse es tunlichst.<br />

Ichmag ja Ahnung vomSchreiben haben,<br />

was Roms Gebäudewirtschaft anbelangt<br />

hat hier nur einer den Hutauf.Links ab,<br />

den Wegbergan sind wir dann auch schon<br />

am großen Eingangstor zur Villa Massimo,<br />

schlüpfen durch die kleine Nebentür hinein.<br />

Oho, ruft Sebastian mit Blick auf ein Festzeltgestell<br />

aus. Was ist denn hier passiert? Nun<br />

darf ich auch einmal so richtig vom Leder<br />

ziehen und über die Ausstellungseröffnung<br />

reden, die ich gerade so noch mitbekommen.<br />

Da war der Kollege schon Richtung<br />

Berlin unterwegs. Ich bin ihm am nächsten<br />

Morgen gefolgt. Fragt bloß nicht wie früh.


22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Feuilleton<br />

Die Suche nach dem Existenziellen<br />

Gidon Kremer funktionierte die Konzerthaus-Hommage zum Festival für den polnischen Komponisten Mieczysław Weinberg um<br />

VonClemens Haustein und Peter Uehling<br />

Der lettisch-deutsche Violonist Gidon Kremer<br />

Die ihm gewidmete Hommage<br />

des Konzerthauses<br />

hat der große Geiger Gidon<br />

Kremer nicht dazu<br />

genutzt, seine eigene geistigeWelt zu<br />

entfalten, wie daseinige Jahrevorher<br />

der Pianist Alfred Brendel beim selben<br />

Anlass tat. Natürlich, auch Kremers<br />

Programm zeugt von ihm und<br />

seinen künstlerischen Idealen, aber<br />

den Mittelpunkt ließ er doch einem<br />

anderen: dem Komponisten Mieczysław<br />

Weinberg, dessen Geburtstag<br />

sich am 8. Dezember zum hundertsten<br />

Male jährt. Seit einiger Zeit<br />

wird dem in Polen geborenen und<br />

1996 in Russland gestorbenen Komponisten<br />

gesteigerte Aufmerksamkeit<br />

zuteil, und Kremer ist einer der<br />

Protagonisten dieser Entdeckung.<br />

Warum muss dieser Komponist<br />

erst entdeckt werden, während andere<br />

osteuropäische Kollegen wie<br />

Sofia Gubaidulina, Alfred Schnittke<br />

oder Arvo Pärt hier einträgliche Erfolge<br />

hatten und haben?<br />

Es hat vielleicht doch etwas mit Stil<br />

zu tun. Auch nach derWahrnehmung<br />

von drei Hommage-Konzerten mit<br />

Weinberg-Musik fällt es schwer, das<br />

geläufige Urteil über Weinberg als<br />

„zweitklassigem Schostakowitsch“<br />

als völlig unberechtigt zu verwerfen.<br />

So mögen Weinbergs Violinsonaten<br />

zwar ganz anders ausfallen als die<br />

einzige von Schostakowitsch –aber<br />

der epische Strom der Fünften, die<br />

Kremer mit Martha Argerich am<br />

Dienstag aufführte, kommt von dort<br />

und auch das Vermögen, die musikalische<br />

Entwicklung an sehr einprägsamer<br />

Melodik zu exerzieren. Im selben<br />

Konzert spielte Kremer auch<br />

Weinbergs erste Sonate für Violine allein:<br />

Ein gewaltiges Werk von ebenfalls<br />

symphonischem Zuschnitt, mit<br />

Märschen, Klagegesängen und einer<br />

in ihrer Kühnheit beeindruckenden<br />

Schreibweise für das Instrument.<br />

Am Donnerstag führte die Kremerata<br />

Baltica unter Leitung von<br />

Mirga Gražinyte-Tyla Weinbergs<br />

Zweite Symphonie für Streichorchester<br />

auf, ein melodisch höchst<br />

elaboriertes Werk, andem indes der<br />

expressive Rahmen Schostakowitschs<br />

in keinem Moment erweitert<br />

erscheint – wenn Lucas Debargue<br />

danach mit etwas hakliger Technik<br />

Schostakowitschs Erstes Klavierkonzert<br />

spielt, hört man deutlich direkter<br />

komponiertes, das aber zugleich<br />

hintergründiger wirkt.<br />

Daswiederholt sich am Freitag mit<br />

dem Konzerthausorchester: Weinbergs<br />

Violinkonzert spielt Kremer<br />

deutlich altersgeklärt, das Tempo in<br />

den beiden Marschsätzen zu Beginn<br />

und am Schluss des Werkes wirkt gebremst,<br />

das Energische dieser Musik<br />

interessiert ihn nicht mehr so sehr,<br />

der hauchige, durchschimmernde<br />

Ton seiner diskreten Amati-Violine<br />

herrscht vor. Weil Christoph Eschenbach<br />

am Pult des Konzerthausorchesters<br />

in der Begleitung ebenfalls<br />

auf klare Konturen verzichtet, mehr<br />

mit dem Lesen des Stückes beschäftigt<br />

zu sein scheint und die Musiker<br />

meist ihrem Glück überlässt, bleibt<br />

der Eindruck schwach. Auch hier ist<br />

mit Schostakowitschs Fünfter diese<br />

Blässe wie fortgeblasen. Einen ganz<br />

intuitiven Zugang scheint der neue<br />

Chefdirigent zu diesem Werk zu haben,<br />

in dem Schostakowitsch zu einer<br />

ANGIE KREMER<br />

Gefühlsmusik romantischer Prägung<br />

zurückkehrt. Wie Eschenbach und<br />

das Orchester mit seiner seit Kurt<br />

Sanderling währenden Schostakowitsch-Tradition<br />

den tragischen Sinn<br />

dieser Musik erfassen und die Aufführung<br />

zu einem erzählerischen Ganzenformen,<br />

das fesselt unmittelbar.<br />

Gewiss, Aufführungstraditionen<br />

begünstigen in diesem Fall Schostakowitsch<br />

und benachteiligen Weinberg.<br />

Und „zweitklassig“ ist Weinbergs<br />

Musik gegenüber der Schostakowitschs<br />

gewiss nicht im Sinne geringerer<br />

Qualität, sondern imSinne<br />

künstlerischer Priorität: Für den mit<br />

Schostakowitsch vertrauten Hörer<br />

gehen von dieser Musik kaum Impulse<br />

aus, sie erobert sich keine entscheidend<br />

neue technische Dimension.<br />

Solche Fragen jedoch scheinen<br />

Gidon Kremer gleichgültig zu sein:<br />

Seine vielbeschworene Suche nach<br />

dem „Existenziellen“ in der Musik<br />

wird als eine Suche nach etwas Inhaltlichem<br />

verstanden, das scheinbar<br />

unabhängig von Struktur artikulierbar<br />

ist. Wie Kremer Werke von Luigi<br />

Nono uraufführen und sich zugleich<br />

für die Musik des kürzlich gestorbenen<br />

Georgiers Gija Kantscheli engagieren<br />

konnte, deren dürftige Strukturen<br />

den Ausdruck von Traurigkeit<br />

angesichts eines verlorenen Kinderparadieses<br />

beglaubigen sollen –auch<br />

in dem Stück „Der gelbe Knopf“, mit<br />

dem das Kremerata-Konzert begann<br />

–, ist kaum zu begreifen.<br />

Von ähnlicher Gleichgültigkeit<br />

scheint das Auftragswerk für diese<br />

Hommage geprägt, Victor Kissines<br />

vom Konzerthausorchester unter<br />

Eschenbach uraufgeführte „Another<br />

Question“. Die Streicher der „Kremerata“<br />

wurden hier am anderen<br />

Ende des Saales aufgestellt; für Echoeffekte<br />

und als Klangschleier für das<br />

Orchester auf dem Podium. Charles<br />

Ives’ „Unanswered Question“ greift<br />

Kissine damit auf, ohne dessen Dramatik<br />

zu erreichen. Eher komische<br />

Züge hat es,wenn zum Ende des Stückes<br />

Gidon Kremer durch den Mittelgang<br />

nach vorne schreitet, dabei<br />

einen einzigen Flageolett-Ton aushaltend,<br />

den er mit einem Kiekser<br />

auf der höheren Nebennote zum Abschluss<br />

bringt –umdanach in der<br />

Tür neben dem Podium zu verschwinden.<br />

VomTosen der Zivilisation<br />

Großstadtlärm mit 14 Schlagzeugern –François-Xavier Roth dirigierte die <strong>Berliner</strong> Philharmoniker<br />

VonClemens Haustein<br />

Eshat ein bisschen gedauert, bis<br />

François-Xavier Roth, 49 Jahre<br />

alt, derzeit wohl der Dirigent mit<br />

dem stilistisch vielfältigsten Repertoire,<br />

einen Platz auf den <strong>Berliner</strong><br />

Konzertpodien bekam. Nach seinem<br />

Debüt vorvier Jahren gehörtermittlerweile<br />

zum festen Dirigentenstamm<br />

der <strong>Berliner</strong> Philharmoniker,<br />

jährlich kehrt erzum Orchester zurück.<br />

Als Roth beim vergangenen<br />

Musikfest mit seinem Originalklang-<br />

Ensemble „Les Siècles“ auftrat, fand<br />

das dennoch vor nicht einmal halb<br />

gefülltem Saal statt. Roths Kunst<br />

kommt auf leisen Sohlen, seine Inszenierung<br />

als Orchesterleiter beschränkt<br />

sich auf ein advokatenhaftes<br />

Zupfen an Krawattenknoten und<br />

Manschettenknöpfen.<br />

Keiner legt im Konzert musikgeschichtlich<br />

so weite Wege zurück wie<br />

der Franzose,auch beim Konzertmit<br />

den Philharmonikern amDonnerstagabend,<br />

das mit der 59. Sinfonie<br />

von Joseph Haydn, „Feuersinfonie“,<br />

röchelt. Hinund wieder singt er auch.<br />

Wo Haydns Musik zweihundertJahre<br />

zuvor höfisch zivilisiertist, dabei aber<br />

die Grenzen der Konvention austestet,<br />

da setzt Varèse den kalkulierten<br />

Barbarismus,der wiederum übergeht<br />

in das Geräuschbild der Hochzivilisation.<br />

Der Großstadtlärm, den Varèse<br />

unter anderem in „Arcana“ einfängt,<br />

er würde auch als Begleitmusik taugen<br />

für einen urzeitlichen Kampf der<br />

Elemente.<br />

Wasliegt auf der Wegstrecke zwischen<br />

Haydn und Varèse? Béla Barbeginnt.<br />

Eine kleine Streicher-Besetzung<br />

spielt hier, dazu zwei Oboen,<br />

zwei Hörner, keine Pauken und<br />

Trompeten. Dennoch ist die Wiedergabe<br />

von packender Plastizität und<br />

fein abgestuften Kontrasten.<br />

Beim Stück am Ende des Abends<br />

liefert der Komponist solche Plastizität<br />

gleich selbst durch ein überbordendes<br />

Instrumentarium. Dreimal so<br />

viele Musiker sitzen bei „Arcana“ von<br />

Edgar Varèse auf der Bühne,darunter<br />

14 Schlagzeuger.Der orchestrale Riesenorganismus<br />

brüllt, kreischt und<br />

tók zum Beispiel und damit der<br />

Traum, Zivilisation und Natur miteinander<br />

in Einklang zu bringen. In<br />

den Melodien und Rhythmen ungarisch-rumänischer<br />

Volkslieder, die<br />

Bartók sammelte, schien dieser<br />

Traum wahr zu werden. Bartók verwendete<br />

sie in seiner Tanz-Suite (Sz<br />

77) für großes Orchester ebenso wie<br />

im 3. Klavierkonzert, mit dem er sich,<br />

in den USA lebend, nach Europa zurücksehnte.<br />

Rhythmisch präzise und doch<br />

mit warmer Gesanglichkeit folgt<br />

der Solist Pierre-Laurent Aimard<br />

dieser Sehnsucht, im zweiten Satz,<br />

dem „Andante religioso“ steigert<br />

sich das zu anrührender Inbrunst,<br />

die Philharmoniker spinnen<br />

herbstliche Fäden um Aimards<br />

Klanggebet und spielen an diesem<br />

Abend überhaupt mit Wachheit,<br />

Lust und Präzision wie nur unter<br />

Dirigenten, die sie ernst nehmen.<br />

François-Xavier Roth nimmt es gelassen,<br />

er kommt und geht und<br />

setzt die Füße dabei parallel auf<br />

wie einer,der sehr genau ist.<br />

Höhepunkte Rumäniens in 10 Tagen<br />

Nostalgie, Kultur und Natur in Siebenbürgen, an der Moldau und am Donaudelta<br />

Im Preis enthaltene Leistungen:<br />

·Linienflug mit Lufthansa Frankfurt (Main) –<br />

Bukarest u. z. ·Rundreise im modernen<br />

klimatisierten Fernreisebus ·deutschsprachige<br />

örtliche Reiseleitung ab/bis Bukarest<br />

·9xÜbernachtung invorzüglichen Hotels<br />

der 4- und 5-Sterne-Kategorie (Viseu de Sus:<br />

3-Sterne Mittelklasse Hotel) ·9xFrühstücksbuffet<br />

·8xAbendessen inden Hotels ·Waldeisenbahnen<br />

in Covasna, im Wassertal und<br />

in Moldovita ·Besichtigung der Lokomotivmuseen<br />

in Sibiu und Dej ·Schiffsexkursion<br />

durch das Donaudelta mit Mittagessen an<br />

Bord ·Spezialitätenabend mit Folklore in<br />

Bukarest ·Alle Besichtigungen lt. Reiseverlauf<br />

inkl. Eintritten ·Donaufähre ·DERPART Reisebegleitung<br />

auf der gesamten Reise<br />

LESERREISEN<br />

INFORMATIONEN UNTER<br />

05331–98810<br />

KENNWORT:<br />

BERLINER ZEITUNG<br />

©SRG<br />

07.05. –16.05.2020 ab €1.830,–<br />

p. P. im DZ<br />

Zusätzliche Kosten p. P.:<br />

·EZ-Zuschlag: €295,– ·Rail &Fly Ticket 2. Klasse €78,– 1. Klasse €142,–<br />

©SRG<br />

Mehr Informationen auch unter www.berliner-zeitung.de/leserreisen |leserreisen@berliner-zeitung.de<br />

Detaillierte Informationen zur Reise und rechtliche Hinweise erhalten Sie vor Buchung vom Reiseveranstalter.<br />

Reiseveranstalter (i. S. d. G.): DERPART Reisevertrieb GmbH, Telefon 05331 –98810, Emil-von Behring-Straße 2, 60439 Frankfurt/Main<br />

LESERREISEN


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 23<br />

·························································································································································································································································································<br />

Feuilleton<br />

Die<br />

unendliche<br />

Geschichte<br />

Andcompany&Co. feiert<br />

das Mauerfalljubiläum<br />

Die Weisheit<br />

des<br />

Miteinander<br />

Das Atze Musiktheater zeigt<br />

das Fantasy-Stück „Albirea“<br />

VonDoris Meierhenrich<br />

Eswar einmal eine Schnecke namens<br />

„Bürokratie“, die sollte ein<br />

gesellschaftliches Zukunftsprojekt<br />

namens „Kommunismus“ ordnen.<br />

Dass daraus nichts wurde, wissen<br />

wir spätestens seit dreißig Jahren.<br />

Damals kaute sie nur und kaute und<br />

merkte gar nicht, was um sie herum<br />

geschah, bis die Mauer um ihren<br />

kleinen Garten einfach zusammenbrach.<br />

Natürlich ist die Schnecke<br />

selbst damit nicht verschwunden-<br />

Derzeit kaut sie in Gestalt der Performerin<br />

Nicola Nord auf der Bühne<br />

des HAU1. Ein Kohlkopf liegt auf ihrem<br />

Schneckenschoß und blind<br />

schiebt sie sich ein Blatt nach dem<br />

anderen ein, während sie mit einer<br />

Art Astronautin neben sich diskutiert.<br />

Die ist wohl das, was aus dem<br />

Kommunismus geworden ist: ein<br />

unruhiges, eher silbrig-futuristisch<br />

durch die Zeit schwirrendes Projekt,<br />

das sich heute „Fantasie“ nennt und<br />

in der Autorin Luise Meier seine<br />

Bühnen-Vertretung findet.<br />

Das Problem, das beide diskutierenist<br />

folgendes: Wiekann heute der<br />

revolutionäre Gedanke „Fantasie<br />

statt Bürokratie!“ real werden? Nein,<br />

wie kann er überhaupt real diskutiert<br />

werden?, fragt die Bürokratie-Schnecke.<br />

Muss er das überhaupt?, fragt<br />

die Fantasie dagegen, denn wieso<br />

sollte man nur das eine „statt“ dem<br />

anderen denken? „Warum überhaupt<br />

immer entscheiden?“, fragt<br />

Meier und als hätte der Eiserne Vorhang<br />

darauf gewartet, geht er hoch<br />

und ein Fantasialand wirdsichtbar,in<br />

dem Bürokratie und Fantasie scheinbar<br />

gleich wirken: ein übergroßer,<br />

sprechender Kohlkopf steht da –Politiker-Ähnlichkeiten<br />

erwünscht –<br />

menschengroße Überraschungseier,<br />

aus denen der Historiker Karsten<br />

Krampitz ins Geschehen eintritt, ein<br />

Sandmännchen-Raumschiff und<br />

eine Redner-Bütt, in der die Schülerin<br />

Amanda Heinau das Prinzip der<br />

„unendlichen Geschichte“ Michael<br />

Endes starkmacht.<br />

Zu einer Reise in Vergangenheit oder Zukunft<br />

gehörthier ein Raumschiff. HAU<br />

Die Andcompany &Co. hat zu ihrer<br />

diskursiven Mauerfall-Party ins<br />

HAU geladen und feiert das Ereignis<br />

natürlich nicht im geschichtspositivistischen<br />

Sinn. „1989: The Great<br />

Desintegration“ fragt –wie schon vor<br />

einem Jahr die Revolutions-Show<br />

„invisible republic“ –nach dem„Was<br />

wäre wenn“, nach den Hoffnungen<br />

und ungenutzten Möglichkeiten, die<br />

1989 kurz real waren, bis sie unter<br />

den Mühlrädern aus dem Westen zu<br />

nichts wurden. Auch das Nichts aber<br />

spielt an diesem gezielt albernen,<br />

aber vor allem inspirierenden Dilettanten-Abend<br />

gleich mehrere<br />

schöne Wiederauferstehungsrollen:<br />

als Wurmloch im System der Kohlköpfe<br />

oder auch als wandelnder<br />

Greenscreen, auf dem bekanntlich<br />

nichts zu sehen ist und doch Ungesehenes<br />

sichtbar werden kann. Mit<br />

der Wurmtechnik feiert Alexander<br />

Karschnia &Co. so etwas wie die performative<br />

Umsetzung der „MRX-<br />

Maschine“, die Luise Meier als gesellschaftliche<br />

Widerstandstechnik<br />

in ihrem scharfsinnigen Buch gleichen<br />

Namens beschrieben hat. Dort<br />

wie hier: lichte Texte im Gewand eines<br />

Theaters für (große) Kinder.<br />

Schießwütig: Meret Becker,Katharina Thalbach, Andreja Schneider,Anna Mateur,Anna Fischer (v.l.)<br />

Zehn Fäuste für kein Halleluja<br />

Zeitreise: „Die 5glorreichen Sieben“ als Western-Imitat aus Frauensicht in der Bar jeder Vernunft<br />

VonIrene Bazinger<br />

Wer sagt denn, dass man<br />

nur im Kino eine Zeitreise<br />

in ferne Welten –<br />

egal, ob die in der Zukunft<br />

oder in der Vergangenheit liegen<br />

–antreten kann? Das ist natürlich<br />

auch im Theater möglich, und<br />

damit sind nicht bloß die Störtebeker-oder<br />

die Karl-May-Festspiele gemeint.<br />

Es reicht, in die Barjeder Vernunft<br />

zu gehen. Dortkann man jetzt<br />

in den Wilden Westen eintauchen,<br />

wie es ihn nie gegeben hat –außer im<br />

Kino.„Die5glorreichen Sieben“ entstand<br />

nach einer Idee von Lutz Deisinger<br />

und Andreja Schneider, die<br />

mit Christopher Tölle und ihren Mitkämpferinnen<br />

überdies Regie führte.<br />

Der Titel ist an den Filmklassiker<br />

„Die glorreichen Sieben“ (1960) angelehnt.Wieder<br />

Regisseur John Sturges<br />

dafür „Die sieben Samurai“<br />

(1954) von Akira Kurosawa adaptierte<br />

und nach Nordamerika verlegte,versuchen<br />

es die <strong>Berliner</strong>innen<br />

mit einer eigenen dramaturgischen<br />

Brechung: Alle wichtigen Rollen werden<br />

nämlich vonFrauen gespielt.<br />

Dasheißt jedoch nicht, dass der<br />

Western als krachledernes Genre<br />

feministisch aufpoliert, gar gendermäßig<br />

überarbeitet wäre. Im<br />

Gegenteil, Meret Becker als<br />

schwuler Trickbetrüger, Anna Fischer<br />

als naives Halbblut, Anna<br />

Mateur als dampfplaudernder<br />

fahrender Händler, Andreja<br />

Schneider als mehr oder weniger<br />

gottesfürchtiger Reverend und Katharina<br />

Thalbach als mexikanischer<br />

Revolverheld lassen kein<br />

noch so peinliches Klischee aus.<br />

Und sie parodieren oder dekonstruieren<br />

diese keineswegs, sondern<br />

imitieren sie mit aller Kraft und<br />

ironischem Ernst – was oft zum<br />

Lachen ist, aber manchmal schon<br />

arg verstaubt wirkt. Nun gut,<br />

warum sollte bei einer Zeitreise in<br />

die Tiefen der Filmgeschichte und<br />

der Männerfantasien immer alles<br />

lustig sein?<br />

Für ein paar tatsächlich humorige<br />

Akzente sorgt der Schlagzeuger<br />

Peter Sandmann, der als Geräuschmacher<br />

die Zikaden zirpen<br />

und die Fußtritte nachhallen lässt.<br />

Das Bühnenbild von Friedrich Eggert<br />

besteht aus überdimensionalen<br />

Hufeisen als Raumteiler und<br />

typischer Prärie-Dekoration wie<br />

Kaktus, Geier oder Lagerfeuer.<br />

Die Story ist schnell erzählt: Die<br />

fünf Gestalten treffen einander zufällig<br />

und vereinen sich auf der Jagd<br />

nach einem gefährlichen Banditen.<br />

Am Schluss haben sie ihn erlegt<br />

und gründen im Licht der untergehenden<br />

Sonne eine Familie –oder<br />

so ähnlich …Dabei wird gebrüllt<br />

und geflucht, im Stehen gepinkelt<br />

und mit den Colts herumgefuchtelt,<br />

Fäuste und Pfeile fliegen durch<br />

die Luft, eine Bank wird ausgeraubt,<br />

viel Whisky gekippt. Dann<br />

wieder schnallen sich alle massige<br />

Pferdehintern samt Schweifen um<br />

und „reiten“ Richtung Künstlergarderoben.<br />

Außerdem werden über zwei Dutzend<br />

thematisch passende Songs<br />

vorgetragen, bluesig ausladend bei<br />

Anna Mateur, guttural mümmelnd<br />

bei Katharina Thalbach, gern einstimmig<br />

im Chor,damit man’s besser<br />

hört. DieBegleitung lieferteine fünfköpfige<br />

Westernband unter der Leitung<br />

vonFerdinand vonSeebach.<br />

Meret Becker räumt groß mit ihren<br />

artistischen Einlagen ab und ist<br />

auch sonst auf flinken Füßen inmitten<br />

der Wild-West-Wüstenei unterwegs.<br />

Andreja Schneider verschwindet<br />

fast hinter ihrem buschigen<br />

Schnurrbart, während Anna Fischer<br />

als Jungspund schnell tief in die routinierte<br />

Bodenständigkeit ihrer Gang<br />

hineingezogen wird.<br />

Sehr länglich und mit Elementen<br />

von Fremdscham erweist sich freilich<br />

die Szene, in der alle Frauen<br />

Frauen spielen. Dies sind nämlich<br />

Prostituierte, die „Westernmatratzen“<br />

genannt werden, Beckenbodentraining<br />

für das nahende Bummsfallera<br />

mit den sexuell unterversorgten<br />

Cowboys machen und das Publikum<br />

mit Sprüchen wie „Ich bin gut drauf.<br />

Bist du gut drunter“ quälen. Im klassischen<br />

Western ist die Zeit stehen<br />

geblieben, und so ist es nur konsequent,<br />

dass sie dies in dieser Produktion<br />

nicht anders ist. Trotzdem oder<br />

gerade deswegen sind bereits alle<br />

Vorstellungen ausverkauft.<br />

Die5glorreichenSieben bis17.11., Bar jeder<br />

Vernunft, Schaperstr. 24,Tel.883 15 82<br />

Herbstliches Happy End für ein Winterbild<br />

In einem amerikanischen Museum entdeckten Fahnder NS-Raubkunst aus der Sammlung des <strong>Berliner</strong> Verlegers Mosse<br />

VonIngeborg Ruthe<br />

Das junge Paar im<br />

idyllischen Gemälde<br />

„Winter“ des amerikanischen<br />

Realisten Gari<br />

Melcherswird nun den<br />

Mosse-Erben zurückgegeben<br />

AP<br />

MUTFOTO/BARBARA BRAUN<br />

Zeitzeugen gibt es wohl kaum<br />

mehr,die vor1933 im Mosse-Palais<br />

am Leipziger Platz in Berlin dieses<br />

Gemälde noch hätten sehen können.<br />

Der jüdische <strong>Zeitung</strong>sverleger<br />

und Kunstsammler Rudolf Mosse<br />

(1843–1920) hatte seine Bildersäle<br />

im musealen Sinne der breiten Öffentlichkeit<br />

zugänglich gemacht.<br />

Nach seinem plötzlichen Todbehielten<br />

die Erben diese Freizügigkeit bei.<br />

DieNazis machten solch freigeistigem<br />

Bürgersinn der Mosses ein rabiates<br />

Ende. Die erstklassige Sammlung<br />

des verstorbenen Patrons<br />

wurde beschlagnahmt, für Devisen<br />

verhökert. Ein Großteil der Mosse-<br />

Familie war schon ins Ausland geflohen.<br />

So gelangte auch das Bild „Winter“<br />

des amerikanischen Realisten<br />

Gari Melchers,1860–1932, auf ungeklärten<br />

Wegen wieder in die USA.<br />

Rudolf Mosse hatte das Motiv eines<br />

eher ländlich, irgendwie sogar<br />

biedermeierlich, aber farbenfroh<br />

aussehenden jungen Paares vor einer<br />

idyllischen Winterlandschaft mit<br />

roten Backsteinhäusern1900 auf der<br />

Großen <strong>Berliner</strong> Kunstausstellung<br />

gekauft. Den NS-Kunstschergen<br />

kann es vom Motiv her kaum missfallen<br />

haben. Dass es Juden gehörte,<br />

umso mehr. Sie machten es zu Geld<br />

für Hitlers perfide Pläne.<br />

Jetzt, nach 86 Jahren, wie die<br />

Nachrichtenagentur AP meldet,<br />

tauchte das Bild im Museum Arkell<br />

in Canajoharie/Bundesstaat New<br />

York,auf. DerUnternehmer und Museumsgründer<br />

Bartlett Arkell hatte<br />

es 1934 in einer New Yorker Galerie<br />

gekauft, später dem Museum überschrieben.<br />

Fahnder bargen das Bild.<br />

Gerichtsdokumente belegen, dass<br />

die Operation Teil einer internationalen<br />

Aktion zum Aufspüren von<br />

NS-Raubkunst ist. Das Museum Arkell<br />

gibt das Werk, das sich noch in<br />

FBI-Verwahrung in Albany befindet,<br />

ohne Pardon an die Mosse-Nachfahrenzurück.„Fair<br />

und gerecht“, wie es<br />

das deutsch-amerikanische Abkommen<br />

zur rückhaltlosen Aufklärung<br />

des NS-Kunstraubs verlangt.<br />

VonChristian Rakow<br />

Von „Herr der Ringe“ über „Game<br />

of Thrones“ bis „World of Warcraft“<br />

ist Fantasy das Top-Genre unserer<br />

Zeit. Egal ob in Buch, Film oder<br />

Videospiel. Nur das Theater tut sich<br />

damit schwer. Warum? Vermutlich,<br />

weil Fantasy unter E-Kunstfreunden<br />

immer noch im Ruch steht, eskapistisch<br />

zu sein und also die Wirklichkeit<br />

mit ihren Werte- und Wahrheitsfragen<br />

nicht in den Blick zu bekommen.<br />

Wasnatürlich Quatsch ist, man<br />

lese nur einmal die philosophischen<br />

„Hexer“-Romane eines AndrzejSapkowski<br />

oder spiele die Game-Trilogie<br />

„The Witcher“, die auf ihnen basiert.<br />

Wenn das Atze Musiktheater mit<br />

„Albirea –Nur ein Kind kann dieWelt<br />

retten“ jetzt ein performativ wie inhaltlich<br />

ambitioniertes Fantasy-<br />

Singspiel zur Uraufführung bringt,<br />

ist das allemal verdienstvoll. Atze-<br />

Chef Thomas Sutter hat dasWerk mit<br />

der Komponistin Sinem Altan verfasst<br />

und geht es in Eigenregie mit<br />

der gebotenen Opulenz an: mit Live-<br />

Kammerorchester, Lied- und<br />

Kampfkunst, mit nordisch düsteren<br />

Kriegermonturen, Masken wie vom<br />

Karneval in Venedig (Kostüme: Verena<br />

Hemmerlein) und kosmischen<br />

Videobildern (von Marc Jungreithmeier/STUDIO6).<br />

Motiveaus der Gießkanne<br />

„Albirea“ ist eine Geschichte der<br />

Menschen und ihrer spirituellen<br />

Kräfte: In einem Streit gottähnlicher<br />

Geister hat der Geist der Entzweiung<br />

Draco die Herrschaft übernommen<br />

und hetzt nun die Menschen<br />

gegeneinander auf. Dem bei Tieren<br />

aufgewachsenen Mädchen Albirea<br />

obliegt es, die Weisheit des Miteinanders<br />

in die Welt zurückzubringen<br />

und die Balance der Geister wiederherzustellen.<br />

Das Stück lebt von charismatischen<br />

Protagonisten: Guylaine<br />

Hemmer als Albirea mit gelenkiger<br />

Athletik und vitalem Wissensdrang,<br />

und Iljá Pletner als eitler Zwietracht-<br />

Schmied Draco, der sich auf seinem<br />

E-Bass düsteren Sinn herbeifiedelt.<br />

In der Gestaltung der Geschichte<br />

zeigt Sutter unübliche Schwächen.<br />

Der Text baumelt eher von Menschen-<br />

zu Götterwelt, als dass er<br />

schlüssig Bögen spannt.Viele Motive<br />

werden mit der Gießkanne ausgeschenkt:<br />

EinHauch vonParsifal umweht<br />

Albirea, dann wieder ist sie eine<br />

Heroin der Aufklärung, die die Frage<br />

nach dem „Warum“ in die Welt zurückbringt,<br />

bevor sie vom Neugierund<br />

Wissendurst zu allgemeinmoralischen<br />

Toleranzerwägungen hinübertaumelt.<br />

Dem Drive ihrer Abenteuergeschichte<br />

tun die Unschärfen keinen<br />

Abbruch. In energetischen Choreografien,<br />

visuell hochgejazzt, legt Sutters<br />

Inszenierung über ihre zweieinhalb<br />

Stunden ein gutes Tempo hin.<br />

Bis zum erbaulichen Schluss: „Das<br />

Wort des anderen wiegt so schwer<br />

wie dein eigenes.“ Ein Merksatz für<br />

Schulhofstreits wie für Konflikte in<br />

nordischen Fantasywelten.<br />

TOP 10<br />

Sonnabend, 26. Oktober<br />

1 Tagesschau ARD 6,4 24 %<br />

2 Sportschau ARD 5,0 23 %<br />

3 Gottschalks 80er … ZDF 4,9 17 %<br />

4 Zielfahnder ARD 4,1 14 %<br />

5 Das Supertalent RTL 3,7 13 %<br />

6 heute-journal ZDF 3,5 15 %<br />

7 Sportschau ARD 3,0 18 %<br />

8 heute ZDF 2,9 13 %<br />

9 Bares für Rares ZDF 2,6 11 %<br />

10 Take me out RTL 2,6 12 %<br />

ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %


24 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Tagestipp<br />

KALENDER<br />

Filmkonzert<br />

Bruce<br />

Springsteen<br />

live im Kino<br />

Songs vonBruce Springsteen<br />

sind fast immer in Noten<br />

und Wortegefasste Filme,also<br />

ist es nur konsequent, dass er<br />

sein Soloalbum „WesternStar“<br />

nun gleich selbst in Bilder und<br />

Szenen umgesetzt hat. Eigentlich<br />

war dieser Film als Service<br />

für seine Fans gedacht, denen<br />

er die 13 Lieder dieser Platte<br />

diesmal nicht auf der Bühne<br />

präsentieren konnte, da die<br />

Produktion mit einem voll besetzten<br />

Streichorchester selbst<br />

für ihn zu aufwendig gewesen<br />

wäre. Also haterdie Musiker in<br />

einer hundert Jahre alten<br />

Scheune in der Nachbarschaft<br />

seiner Ranch versammelt, um<br />

das komplette Album voreiner<br />

Handvoll von Zuschauern live<br />

aufzuführen. Verbunden werden<br />

die einzelnen Musikstücke<br />

durch Impressionen, in denen<br />

die Themen der Songs aufscheinen.<br />

Bevor das Ganze auf<br />

DVDerscheint, ist es an diesem<br />

Montag einmalig im Kino zu<br />

sehen. Frank Junghänel<br />

WesternStars jeweils 20 Uhr,inetlichen<br />

<strong>Berliner</strong>Kinos<br />

Die Dichterin und Performerin Ginka Steinwachs vor vier Jahren in Berlin.<br />

Die Dichterin Ginka Steinwachs<br />

ist eine Wortforscherin,<br />

eine Sprachmalerin<br />

und nimmt grundsätzlich<br />

alles so übergenau wie federleicht.<br />

Mit heller, singender<br />

Stimme ist sie ihre beste Interpretin<br />

und braucht das Vortragen auch,<br />

weil sie ihre Texte in der Performance<br />

in die dritte Dimension bringen<br />

kann. Anlässlich der Eröffnung<br />

ihres Archivs in der Akademie der<br />

Künste 2017 hatte sie den Weg zur<br />

Veranstaltung markiert wie Hänsel<br />

den Wegaus dem Wald nach Hause,<br />

nur nicht mit Brotkrumen, sondern<br />

mit einer Reihe vonSteinen und Kerzen,<br />

die abwechselnd platziert waren:<br />

Stein –Wachs –Stein –Wachs.<br />

„Ich schreibe mit Feuer, Wasser,<br />

Luft und Erde“, sagt sie vonsich„und<br />

die Luft kann auch mal Lust sein“.<br />

Verspielt bis in die zelebrierte Albernheit<br />

und zugleich philosophisch-subversiv<br />

ist das Werk der<br />

Wort-, Ding- und Alltags-Künstlerin,<br />

die ihren Tagebüchern Pullover<br />

strickt und über den Surrealisten<br />

André Breton promovierte. Die das<br />

Maskenspiel ebenso liebt wie die<br />

Technik, einzelne Buchstaben in<br />

PetraKohse<br />

findet es sehr inspirierend, das Leben in<br />

begreifbare Einheiten aufzuteilen und es<br />

dann zu feiern, wann man will.<br />

Worten groß zu schreiben, um mit<br />

solchen Binnen-Initialen neue Binnen-Welten<br />

zu öffnen. Die sich in<br />

Trödel und Geheimnissen verlieren<br />

kann und in jeder Zahl eine kabbalistische<br />

Verführung sieht. Insofern<br />

lässt es sich die in Berlin-Mitte und<br />

auf Mallorca lebende Künstlerin mit<br />

der elfenhaften Anmutung einer<br />

kindlichen Kaiserin auch nicht nehmen,<br />

am Donnerstag im LiteraturforumimBrecht-Haus<br />

ihren 7x11. Geburtstag<br />

zu feiern. Moderiert von<br />

Kerstin Hensel liest sie aus ihren Tagebüchern,<br />

die auch Collagen sind,<br />

Enthüllungen und Versteckspiele,<br />

denn Ginka Steinwachs erklärt alles<br />

Leben zur Kunst.<br />

Einen Tag zuvor und einen danach<br />

sowie noch einmal eine Woche<br />

darauf hat im Pfefferberg-Theater –<br />

moderiert von Marion Brasch –Lea<br />

Streisands Buch „Hufeland, Ecke<br />

Bötzow“ Premiere, gleich dreifach<br />

wohl wegen der großen Nachfrage.<br />

Die <strong>Berliner</strong> Kolumnistin, Schriftstellerin<br />

und Lesebühnenbewohnerinwar<br />

nämlich zehn Jahrealt, als die<br />

Mauer fiel und erzählt sich in ihrem<br />

biografischen Roman zunächst fünf<br />

charmante Jahre voller Kindermund<br />

KINO


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 25<br />

· ·<br />

·······················································································································································································································································································<br />

Tagestipp<br />

KALENDER<br />

Die Kunst<br />

des Lebens<br />

In dieser Wochefeiert Ginka Steinwachs<br />

ihren 7x11. Geburtstag, hat Lea Streisands<br />

Roman gleich dreimal Premiere und staunt<br />

Martin Simons über das Überleben<br />

Stunde der Denker<br />

und Kindersicht an das Ereignis<br />

heran. Damit ist sie so etwas wie die<br />

Ost-<strong>Berliner</strong>in der Stunde, sopragmatisch<br />

und unwillkürlich systemdurchschauend<br />

zugleich, so deutlich<br />

geprägt und geerdet und doch jung<br />

und offen genug für alles, was danach<br />

kam. Zupackend pointiert und<br />

geradeaus geschrieben, ist es nebenbei<br />

ein All-Generationen-Buch, an<br />

manchen Stellen wähnt man sich<br />

fast in Andreas Steinhöfels „Rico,Oskar<br />

und die Tieferschatten“, aber<br />

eben in Authentisch und später doch<br />

etwas erwachsener (auch wenn es<br />

tatsächlich einen Rico gibt).<br />

Und auf eine weitere Buchpremiereindieser<br />

lesungssatten Woche<br />

sei hingewiesen. „Jetzt noch nicht,<br />

aber irgendwann schon“, lautet der<br />

Titel eines Romans des <strong>Berliner</strong> Juristen,<br />

Journalisten und Redenschreibers<br />

Martin Simons. Und wer<br />

jetzt an „Du stirbst nicht“ von Kathrin<br />

Schmidt denken muss, jenes<br />

Buch von2009, mit dem die <strong>Berliner</strong><br />

Schriftstellerin und Dichterin 2010<br />

den Deutschen Buchpreis gewann,<br />

liegt schon ganz richtig. Um das Erleben<br />

des Momentes auf Messers<br />

Schneide geht es auch hier, wobei<br />

LITERATUR<br />

Martin Simons: Jetzt noch nicht,<br />

aber irgendwann schon<br />

28.10., Galerie Erstererster,<br />

Pappelallee 69<br />

Lea Streisand: Hufeland, EckeBötzow<br />

30. 10. (ausverkauft), außerdem 1. und<br />

7. 11., 20 Uhr,Pfefferberg-Theater,<br />

Schönhauser Alle 176<br />

Lebendiges Schreiben! Ginka<br />

Steinwachs zum 77. Geburtstag,<br />

31. 10., 20 Uhr,Literaturforum im<br />

Brecht-Haus, Chausseestr.125<br />

IMAGO IMAGES<br />

ein Hirnschlag je nach Ursache und<br />

Ort im Gehirn ganz verschiedene<br />

Symptome und Folgen haben kann.<br />

Während Schmidt erst zu sich kam,<br />

als das Sprachzentrum schon stark<br />

angegriffen war und das langsame<br />

Wiederfinden der Sprache formal<br />

und inhaltlich der Kern ihrer Überlebenserzählung<br />

ist, liest sich Simons’<br />

Buch mehr wie ein Bericht von außen.<br />

Aber nicht weniger dringlich.<br />

Immer noch etwas ungläubig<br />

und, ja, auch verunsichert, blickt der<br />

heute 46-Jährige auf das vor zwei<br />

Jahren Geschehene zurück. Wie er<br />

plötzlich, ausgerechnet in einer Meditation,<br />

die Kontrolle über seine<br />

Feinmotrik verlor, bald seinen rechten<br />

Armnicht bewegen konnte,aber<br />

noch einkaufen ging, auch wieder<br />

nach Hause fand und von selbst mit<br />

dem Taxi ins Krankenhaus fuhr, betäubt<br />

die Diagnose erfuhr und sich<br />

fragte, oberseiner Frau am Telefon<br />

letzte Worte für den kleinen Sohn<br />

durchgebensollte.Und wie er,seit er<br />

weiß, dass jeder Tag eine weitere<br />

Chance ist, den Augenblick ganz anders<br />

erlebt. Wieerweiß, dass er zwar<br />

jetzt noch nicht gestorben ist. Aber<br />

irgendwann eben schon.<br />

Unfreiheit<br />

erkennen und<br />

benennen<br />

Reist man meistens, um<br />

Orte zu besichtigen, lädt<br />

MarkoMartin mit seinem Buch<br />

„Dissidentisches Denken“ zu<br />

einer Reise ein, Menschen zu<br />

besichtigen. Es sind Schriftsteller<br />

undWissenschaftler,die mit<br />

ihrem Denken, mit ihren zum<br />

Teil zunächst geheim publizierten<br />

Schriften dazu aufriefen,<br />

Unfreiheit und Unmenschlichkeit<br />

zu benennen<br />

und nicht hinzunehmen. Einige<br />

hat der Reporter und Essayist<br />

auf seinen„Reisen zu den<br />

Zeugen eines Zeitalters“ persönlich<br />

getroffen und schildert<br />

die Begegnung mit ihnen, andere<br />

porträtiert er aus ihren<br />

Werken heraus. Er zeigt Verbindungslinien<br />

zwischen ihnen,<br />

so wenn Kafkas Freund<br />

Max Brod auch Edgar Hilsenrath<br />

beeinflusst, wenn Jean<br />

Améry auf Primo Levi trifft.<br />

MarkoMartin besuchte Václav<br />

Havel und Milan Kundera,<br />

sprach mit Jürgen Fuchs vor<br />

dessen Tod. CorneliaGeißler<br />

Buchvorstellungund Gespräch 20.30<br />

Uhr,Buchhändlerkeller,Carmerstr.1<br />

KINO<br />

So 03.11.<br />

20 Uhr |Philharmonie<br />

dso-berlin.de<br />

SIR ROGER<br />

NORRINGTON<br />

Mozart<br />

Symphonie Nr.38<br />

Martinů<br />

Symphonie Nr.3


26 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Spreewild


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 27<br />

· ·<br />

SponsorKat1920.indd 11 04.04.19 14:05<br />

·······················································································································································································································································································<br />

TV-Programm<br />

ARD<br />

9.00 (für HG) Tagesschau 9.05 (für HG) Live<br />

nach Neun 9.55 (für HG) Sturm der Liebe 10.45<br />

(für HG) Meister des Alltags 11.15 (für HG) Wer<br />

weiß denn sowas? 12.00 (für HG) Tagesschau<br />

12.15 (für HG) ARD-Buffet 13.00 (für HG)<br />

ZDF-Mittagsmagazin 14.00 (für HG) Tagesschau<br />

14.10 (für HG) Rote Rosen 15.00 (für HG)<br />

Tagesschau 15.10 (für HG) Sturm der Liebe<br />

16.00 (für HG) Tagesschau 16.10 (für HG)<br />

Verrückt nach Fluss 17.00 (für HG) Tagesschau<br />

17.15 (für HG) Brisant 18.00 (für HG) Wer weiß<br />

denn sowas? 18.50 (für HG) Morden im Norden<br />

19.45 (für HG) Wissen vor acht –Zukunft 19.50<br />

(für HG) Wetter vor acht 19.55 (für HG) Börse vor<br />

acht 20.00 (für HG) Tagesschau<br />

20.15 (für HG) Harry, Meghan und die<br />

Presse –wie es wirklich um sie steht<br />

Prinz Harry und seine Frau Meghan,<br />

Herzog und Herzogin von Sussex, geben<br />

ungewöhnliche Einblicke in ihr Leben als<br />

Ehepaar und junge Eltern.<br />

21.00 (für HG) Hart aber fair<br />

22.15 (für HG) Tagesthemen<br />

22.45 (für HG) Rabiat<br />

Klima retten? Ohne mich!<br />

23.30 (für HG) Erst die Miete, dann die<br />

Moral?<br />

0.15 (für HG) Nachtmagazin<br />

RTL<br />

5.15 Explosiv –Weekend 6.00 Guten Morgen<br />

Deutschland 8.30 (für HG) Gute Zeiten, schlechte<br />

Zeiten. Daily Soap 9.00 Unter uns. Daily Soap<br />

9.30 (für HG) Alles was zählt. Daily Soap 10.00<br />

Der Blaulicht Report. Reality-Soap 11.00 Der<br />

Blaulicht Report. Reality-Soap 12.00 Punkt 12<br />

–Das RTL-Mittagsjournal 14.00 Die Superhändler<br />

–4Räume, 1Deal 15.00 Schätze aus Schrott<br />

16.00 Mensch Papa! Väter allein zu Haus 17.00<br />

Herz über Kopf. Telenovela 17.30 Unter uns. Daily<br />

Soap 18.00 Explosiv –Das Magazin 18.30<br />

Exclusiv –Das Starmagazin 18.45 RTL Aktuell<br />

19.03 RTL Aktuell –Das Wetter 19.05 (für HG)<br />

Alles was zählt. Daily Soap 19.40 (für HG) Gute<br />

Zeiten, schlechte Zeiten. Daily Soap<br />

20.15 Bauer sucht Frau<br />

Dateshow. Die erste Hofnacht liegt hinter<br />

den Frauen, jetzt heißt es anpacken.<br />

Christopher beweist für seine Hofdame<br />

einen guten Riecher,und Sven lässt sich<br />

von seiner Besucherin frisieren.<br />

22.15 Extra –Das RTL Magazin<br />

23.25 Spiegel TV<br />

0.00 RTL Nachtjournal<br />

0.27 RTL Nachtjournal –Das Wetter<br />

0.30 Die Alltagskämpfer –Überleben in<br />

Deutschland<br />

Gestorben wird später /Fit im Alter<br />

MDR<br />

14.00 (für HG) MDR um 2 15.15 (für HG)<br />

Gefragt –Gejagt 16.00 (für HG) MDR um 4<br />

17.45 (für HG) MDR aktuell 18.05 (für HG)<br />

Wetter für 3 18.10 (für HG) Brisant 18.54 (für<br />

HG) Unser Sandmännchen 19.00 Regionales<br />

19.30 (für HG) MDR aktuell 19.50 (für HG)<br />

Mach dich ran 20.15 (für HG) Polizeiruf110:<br />

Schneewittchen. Krimireihe, D2006 21.45 (für<br />

HG) MDR aktuell 22.05 (für HG) Fakt ist! 23.03<br />

MDR aktuell 23.05 (für HG) Happy –Mein Vater,<br />

die Thaifrau und ich. Dokumentarfilm, D2016<br />

0.30 (für HG) Salto Postale<br />

Bayern<br />

14.45 (für HG) Gefragt –Gejagt 15.30 (für HG)<br />

Schnittgut 16.00 (für HG) Rundschau 16.15 (für<br />

HG) Wir in Bayern 17.30 Regionales 18.00 (für<br />

HG) Abendschau 18.30 (für HG) Rundschau<br />

19.00 (für HG) Querbeet 19.30 (für HG)<br />

Dahoam is Dahoam 20.00 (für HG) Tagesschau<br />

20.15 (für HG) Landfrauenküche 21.00 (für HG)<br />

Bayern erleben 21.45 (für HG) Rundschau<br />

Magazin 22.00 (für HG) Lebenslinien 22.45<br />

Verleihung des Theodor-Herzl-Preises an<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel 23.15 (für HG)<br />

Der Kaiser von Schexing 0.05 schlachthof<br />

Vox<br />

5.15 CSI: NY 6.00 CSI: NY 6.55 (für HG) CSI:<br />

Den Tätern auf der Spur 7.50 (für HG) CSI: Den<br />

Tätern auf der Spur 8.50 Verklag mich doch!<br />

9.50 Verklag mich doch! 10.50 Vox Nachrichten<br />

10.55 Mein Kind, dein Kind 11.55 Shopping<br />

Queen 12.55 Zwischen Tüll und Tränen 13.55<br />

Mein Kind, dein Kind 14.55 Shopping Queen<br />

16.00 4Hochzeitenund eine Traumreise 17.00<br />

Zwischen Tüll und Tränen 18.00 First Dates<br />

19.00 Das perfekte Dinner 20.00 Prominent!<br />

20.15 Goodbye Deutschland! Die Auswanderer<br />

23.15 (für HG) Survivor 0.45 Vox Nachrichten<br />

Super RTL<br />

9.25 Die Oktonauten 9.45 Calimero 10.05<br />

Sammy 10.35 Grizzy &die Lemminge 11.05 Voll<br />

zu spät! 11.30 Alvinnn!!! 12.00 Go Wild! 12.30<br />

Friends 12.50 Trolls –Die Party geht weiter!<br />

13.10 Polly Pocket 13.40 Tom und Jerry 14.10<br />

Bugs Bunny &Looney Tunes 14.20 Angelo!<br />

14.45 Dragons 15.15 Ninjago 15.40 Alvinnn!!!<br />

16.10 Sally Bollywood 16.40 Die Nektons<br />

17.10 Mighty Mops 17.40 Angelo! 18.10 Bugs<br />

Bunny &Looney Tunes 18.35 Woozle Goozle<br />

19.05 Alvinnn!!! 19.45 Tom und Jerry 20.15 On<br />

the Case. Doku-Serie 0.20 Infomercials<br />

Sport1<br />

5.00 Sport Clips 5.30 Antworten mit Bayless<br />

Conley 6.00 Die Arche-Fernsehkanzel 6.30<br />

Teleshopping 15.30 Normal 16.00 Storage Wars<br />

–Die Geschäftemacher. Doku-Soap. Daves<br />

Rückkehr 16.30 Storage Wars –Die Geschäftemacher.<br />

Doku-Soap. Topform 17.00 Fußball –<br />

DFB-Pokal Klassiker 18.30 Fußball. Volkswagen<br />

Pokalfieber 20.00 Fußball. DFB-Pokal Klassiker<br />

22.00 Sport1 News 22.30 Goooal! 23.00<br />

Fußball –Die MLS-Highlights 23.30 3. Liga Pur.<br />

13. Spieltag 0.15 Sport Clips<br />

ZDF<br />

5.15 citydreams 5.30 (für HG) ARD-Morgenmagazin<br />

9.00 (für HG) heute Xpress 9.05 (für HG)<br />

Volle Kanne –Service täglich 10.30 (für HG)<br />

Notruf Hafenkante 11.15 (für HG) Soko Wismar<br />

12.00 heute 12.10 drehscheibe 13.00 (für HG)<br />

ZDF-Mittagsmagazin 14.00 heute –in<br />

Deutschland 14.15 Die Küchenschlacht 15.00<br />

(für HG) heute Xpress 15.05 (für HG) Bares für<br />

Rares 16.00 (für HG) heute –inEuropa 16.10<br />

(für HG) Die Rosenheim-Cops. Krimiserie. Mozarts<br />

kleiner Bruder 17.00 (für HG) heute 17.10 (für<br />

HG) hallo deutschland 17.45 (für HG) Leute<br />

heute 18.00 (für HG) Soko Potsdam. Krimiserie.<br />

Fluch der guten Tat 19.00 (für HG) heute 19.20<br />

(für HG) Wetter 19.25 (für HG) WISO<br />

20.15 (für HG) Die Schattenfreundin<br />

Thriller, D2019. Mit Miriam Stein.<br />

Notgedrungen vertraut Ärztin Kathrin<br />

Ortrup ihren kleinen Sohn einer neuen<br />

Freundin an. Doch dann verschwinden ihr<br />

Kind und die andere Frau.<br />

21.45 (für HG) heute journal<br />

22.15 (für HG) Atomic Blonde<br />

Actionfilm, USA/D 2017. Mit Charlize<br />

Theron, James McAvoy<br />

0.00 heute+<br />

0.15 (für HG) Der Funktionär<br />

Dokumentarfilm, D2019<br />

Sat.1<br />

5.05 Auf Streife. Reality-Soap 5.30 Sat.1-Frühstücksfernsehen.<br />

Moderation: Marlene Lufen,<br />

Jochen Schropp 10.00 Im Namen der<br />

Gerechtigkeit –Wir kämpfen für Sie! Reality-Soap<br />

11.00 Im Namen der Gerechtigkeit –Wir<br />

kämpfen für Sie! Reality-Soap 12.00 Anwälte im<br />

Einsatz. Reality-Soap 13.00 Anwälte im Einsatz.<br />

Reality-Soap 14.00 Auf Streife. Reality-Soap<br />

15.00 Auf Streife –Die Spezialisten. Reality-Soap<br />

16.00 Klinik am Südring.Doku-Soap 17.00<br />

Klinik am Südring –Die Familienhelfer.<br />

Doku-Soap. Die Gemeinschaftspraxis 17.30<br />

Klinik am Südring /oder Sat.1 Regional-Magazine<br />

18.00 Die Ruhrpottwache 19.00 Genial<br />

daneben –das Quiz 19.55 Sat.1 Nachrichten<br />

20.15 (für HG) Zerschunden –<br />

Ein Fall für Dr. Abel<br />

Thriller, D/B 2019. Mit Tim Bergmann.<br />

True-Crime-Thriller in Anlehnung an einen<br />

wahren Fall des Rechtsmediziners Prof.<br />

Dr. Michael Tsokos<br />

22.20 akte. Spezial<br />

Zerschunden –die wahre Geschichte<br />

23.25 In der Schuldenfalle: Aufmachen!<br />

Polizei –Die Sat.1 Reportage<br />

0.20 (für HG) Zerschunden –<br />

Ein Fall für Dr. Abel<br />

Thriller, D/B 2019. Mit Tim Bergmann<br />

WDR<br />

13.55 Erlebnisreisen 14.00 (für HG) Von und zu<br />

lecker 14.30 (für HG) In aller Freundschaft<br />

16.00 (für HG) WDR aktuell 16.15 Hier und<br />

heute 18.00 (für HG) WDR aktuell /Lokalzeit<br />

18.15 (für HG) Servicezeit 18.45 (für HG)<br />

Aktuelle Stunde 19.30 Regionales 20.00 (für<br />

HG) Tagesschau 20.15 (für HG) Land und lecker<br />

21.00 (für HG) Ausgerechnet 21.45 (für HG)<br />

WDR aktuell 22.10 (für HG) Unterwegs im<br />

Westen 22.40 (für HG) Sträters Männerhaushalt<br />

23.25 (für HG) Wilfried Schmickler: Es war nicht<br />

alles schlecht 0.50 (für HG) Best of Storno<br />

NDR<br />

14.15 (für HG) die nordstory 15.15 (für HG)<br />

Gefragt –Gejagt 16.00 (für HG) NDR//Aktuell<br />

16.20 (für HG) Mein Nachmittag 17.10 (für HG)<br />

Leopard, Seebär &Co. 18.00 Regionales 18.15<br />

(für HG) Die Nordreportage 18.45 (für HG) DAS!<br />

19.30 Regionales 20.00 (für HG) Tagesschau<br />

20.15 (für HG) Markt 21.00 (für HG) Die<br />

Bewegungs-Docs 21.45 (für HG) NDR//Aktuell<br />

22.00 (für HG) 45 Min 22.45 (für HG)<br />

Kulturjournal 23.15 (für HG) Kommissar Beck –<br />

Die neuen Fälle: Auge um Auge. Krimireihe, D/S<br />

1997 0.45 (für HG) Die Bewegungs-Docs<br />

Kabel eins<br />

5.55 Eureka 7.40 Blue Bloods. Krimiserie 9.25<br />

(für HG) Navy CIS: L.A. Krimiserie 10.20 Navy CIS<br />

11.10 Without aTrace 12.10 Numb3rs 13.05<br />

(für HG) Castle 14.00 (für HG) The Mentalist<br />

14.55 (für HG) Navy CIS: L.A. 15.50 kabel eins<br />

news 16.00 Navy CIS 16.55 Abenteuer Leben<br />

täglich 17.55 Mein Lokal, Dein Lokal –Der Profi<br />

kommt 18.55 Achtung Kontrolle aktuell 20.15<br />

(für HG) Shang-High Noon. Actionfilm, USA 2000<br />

22.35 (für HG) Wild Wild West. Komödie, USA<br />

1999 0.40 Crying Freeman –Der Sohn des<br />

Drachen. Actionfilm, CDN/F 1995<br />

RTLZWEI<br />

5.15 Privatdetektive im Einsatz 6.00 Die<br />

Straßencops West –Jugend im Visier 7.00 Die<br />

Straßencops West –Jugend im Visier 8.00<br />

Frauentausch 14.00 Station B1 –Kinderärzte mit<br />

Herz 15.00 Die Wache Hamburg 16.00 Die<br />

Wache Hamburg 17.00 RTLZWEI News 17.05<br />

Krass Schule –Die jungen Lehrer 18.05 Köln<br />

50667 19.05 Berlin –Tag &Nacht 20.15 Die<br />

Geissens –Eine schrecklich glamouröse Familie!<br />

21.15 Die Reimanns 22.15 Hartes Deutschland<br />

–Leben im Brennpunkt 0.15 Exklusiv –Die<br />

Reportage 1.25 Exklusiv –Die Reportage<br />

Eurosport 1<br />

7.25 Snooker. World Open in Yushan. Tag 1, live<br />

10.30 Snooker 12.25 Snooker. World Open in<br />

Yushan. Tag 1, live 15.30 Snooker 16.30<br />

Motorsport. WTCR in Suzuka 17.10 Motorsport.<br />

WTCR in Suzuka 18.10 Motorsport. Porsche<br />

Mobil 1Supercup 2019 in Mexico City. Letztes<br />

von 10 Saisonrennen 18.55 Schwimmen 19.55<br />

Nachrichten 20.05 Snooker 22.00 Nachrichten<br />

22.05 Ski Alpin. FIS Weltcup 22.50 Ski Alpin. FIS<br />

Weltcup 23.35 Schwimmen 0.30 Radsport. 113.<br />

Lombardei-Rundfahrt2019 in Italien<br />

TV-Tipps<br />

ZDF, 22.15 UHR ACTIONFILM<br />

Atomic Blonde<br />

Berlin im November 1989: Am Rande einer Demonstration in Ostberlin<br />

wird ein MI6-Agent ermordet. Er sollte eine Liste mit Namen von Doppelagenten<br />

vomOsten in den Westen schmuggeln. Dieenglische Spionin<br />

Lorraine Broughton (CharlizeTheron) wird nach Berlin geschickt, um den<br />

Mordfall zu untersuchen und die Liste sicherzustellen. Dortangekommen,<br />

trifft Lorraine auf den unorthodox arbeitenden Verbindungsoffizier David<br />

Percival, der nach eigenen Regeln lebt und arbeitet. Obwohl sie sich gegenseitig<br />

nicht trauen, versuchen beide,ihreMission erfolgreich zu erledigen.Es<br />

ist der Beginn eines aberwitzigen und schlagkräftigen Katz-und-Maus-Spiels,<br />

in dem eine sexy Agentin aus Frankreich, ein undurchsichtige CIA-Agent, ein<br />

ominöse Verräter sowie ein brutaler KGB-Mann ganz eigene Ziele verfolgen.<br />

(USA/2017)<br />

Foto: ZDF<br />

Anzeige<br />

Sonderbeilage am 1. November<br />

1. FC UNION HERTHA BSC<br />

www.berliner-kurier.de<br />

SUDOKU<br />

NORMALVARIANTE –MITTEL mittel<br />

7 2 8<br />

4 1<br />

1 5 9<br />

7 3<br />

3 4<br />

6 1 5<br />

3 9<br />

2 7<br />

6 2 8<br />

MitDIAGONALEN-schwer<br />

MIT –SCHWER<br />

3 5 4<br />

7<br />

9 2<br />

8 9<br />

7 6<br />

6 3<br />

8 1<br />

3 2<br />

MEDIEN<br />

PARTNER<br />

AUFLÖSUNG Auflösung<br />

VOM vom26./27. 26.10.2019<br />

2019<br />

MITTEL mittel<br />

7 5 4 3 2 8 1 6 9<br />

3 9 8 1 4 6 7 5 2<br />

2 6 1 5 7 9 4 3 8<br />

4 1 3 7 8 2 6 9 5<br />

9 2 5 4 6 3 8 1 7<br />

8 7 6 9 1 5 2 4 3<br />

5 8 7 6 3 1 9 2 4<br />

1 4 9 2 5 7 3 8 6<br />

6 3 2 8 9 4 5 7 1<br />

AUFLÖSUNG<br />

Auflösung<br />

VOM<br />

vom<br />

26./27.<br />

26.10.2019<br />

10. 2019<br />

SCHWER schwer<br />

5 2 4 9 6 1 8 7 3<br />

9 3 1 4 7 8 6 2 5<br />

6 7 8 3 5 2 1 4 9<br />

8 6 3 1 2 5 4 9 7<br />

7 4 2 8 9 6 5 3 1<br />

1 9 5 7 3 4 2 8 6<br />

3 5 6 2 4 9 7 1 8<br />

2 8 9 5 1 7 3 6 4<br />

4 1 7 6 8 3 9 5 2<br />

RBB<br />

7.30 Sehnsuchtsort Wrangelkiez 8.00 (für HG)<br />

Brandenburg aktuell 8.30 (für HG) Abendschau<br />

9.00 (für HG) In aller Freundschaft 9.45 (für HG)<br />

In aller Freundschaft –die jungen Ärzte 10.30<br />

(für HG) Rote Rosen 11.20 (für HG) Sturm der<br />

Liebe 12.10 (für HG) Julia –Eine ungewöhnliche<br />

Frau 13.00 rbb24 13.10 (für HG) Verrückt nach<br />

Meer 14.00 (für HG) Schöne Aussicht.<br />

Heimatkomödie, D2007 15.30 (für HG) Tiere bis<br />

unters Dach 16.00 (für HG) rbb24 16.15 (für<br />

HG) Gefragt –Gejagt 17.00 (für HG) rbb24<br />

17.05 (für HG) Panda,Gorilla &Co. 17.55 (für<br />

HG) Unser Sandmännchen 18.02 rbb UM6<br />

18.27 zibb 19.30 (für HG) Abendschau /<br />

Brandenburg aktuell 20.00 (für HG) Tagesschau<br />

20.15 (für HG) Super.Markt Moderatorin<br />

Janna Falkenstein behandelt in dieser<br />

Ausgabe folgende Themen: Vergammelte<br />

Pilze /Rettungsgasse /Butter-Alternativen<br />

/Altersvorsorge /Reste-Kochen /<br />

Patientenakte<br />

21.00 (für HG) Die Charité<br />

21.45 (für HG) rbb24<br />

22.00 (für HG) Tatort: Duisburg-Ruhrort<br />

Krimireihe,D1981. Mit Götz George<br />

23.35 (für HG) Polizeiruf 110: Amoklauf<br />

Krimireihe,DDR 1988. Mit Peter Borgelt<br />

0.30 (für HG) Heiter bis tödlich: Akte Ex<br />

ProSieben<br />

8.45 (für HG) Die Simpsons. Zeichentrickserie<br />

9.15 (für HG) Die Simpsons 9.40 (für HG) Die<br />

Simpsons 10.10 (für HG) Die Simpsons 10.40<br />

(für HG) Die Simpsons 11.05 (für HG) Die<br />

Simpsons 11.35 (für HG) Die Simpsons 12.00<br />

(für HG) Die Simpsons 12.25 (für HG) Die<br />

Simpsons 12.55 (für HG) Die Simpsons 13.20<br />

(für HG) Die Simpsons 13.50 (für HG) Die<br />

Simpsons 14.15 (für HG) Die Simpsons 14.40<br />

(für HG) Die Simpsons 15.10 (für HG) Die<br />

Simpsons 15.35 (für HG) Die Simpsons 16.05<br />

(für HG) Die Simpsons 16.30 (für HG) Die<br />

Simpsons 17.00 taff 18.00 Newstime 18.10<br />

(für HG) Die Simpsons. Stadt ohne Gnade 18.40<br />

(für HG) Die Simpsons. Gone Boy 19.05 Galileo<br />

20.15 (für HG) The Big Bang Theory<br />

Sitcom. Das Roller-Revival. Wegen Amys<br />

Wutanfall auf dem Empfang der<br />

Nobelpreisträger werden sie und Sheldon<br />

in die Personalabteilung bestellt. Dort<br />

bekommen sie den Kopf gewaschen.<br />

20.45 (für HG) Young Sheldon<br />

21.10 (für HG) Die Simpsons<br />

22.10 (für HG) The Big Bang Theory<br />

23.10 Late Night Berlin –Mit Klaas<br />

Heufer-Umlauf<br />

0.20 (für HG) The Big Bang Theory<br />

0.45 (für HG) Young Sheldon<br />

Arte<br />

8.45 Stadt Land Kunst 9.40 360° –Geo<br />

Reportage 11.30 (für HG) Höllische Paradiese!<br />

12.15 Re: 12.50 Arte Journal 13.00 Stadt Land<br />

Kunst 14.00 Die schwarze Tulpe. Abenteuerfilm,<br />

F/I/E 1963 15.50 Feine Stoffe, ferne Länder<br />

16.45 (für HG) Xenius 17.10 Wie das Land, so<br />

der Mensch 17.40 Arktika Incognita 18.35 (für<br />

HG) Von Tierenund Hexen 19.20 Arte Journal<br />

19.40 Re: 20.15 Der Staat gegen Fritz Bauer.<br />

Drama, D2015 21.50 Der Richter und der<br />

Mörder. Kriminalfilm, F1976 23.55 La Roue.<br />

Stummfilm, F1923 3.45 (für HG) 28 Minuten<br />

3Sat<br />

13.20 Captain Cook auf Kreuzfahrt 14.05<br />

Uruguay 14.50 Chiles wilder Süden 16.15 (für<br />

HG) Wildes Patagonien 17.00 (für HG) In der<br />

Hängematteauf dem Amazonas 17.45 (für HG)<br />

Der Edelstein-Express 18.30 nano 19.00 (für<br />

HG) heute 19.20 Kulturzeit 20.00 (für HG)<br />

Tagesschau 20.15 (für HG) Island –Die<br />

ungezähmteVulkaninsel 21.00 (für HG) Shannon<br />

–Geheimnisvoller Fluss im Herzen Irlands 21.45<br />

Berg und See in Eis und Schnee 22.00 (für HG)<br />

ZIB 2 22.25 Ama-San. Dokumentarfilm, D2016<br />

0.05 (für HG) Schluss mit Überfluss<br />

Phoenix<br />

5.00 Momente der Geschichte 5.45 Die<br />

Rückkehr bedrohter Tierarten 8.00 phoenix vor<br />

Ort 15.00 Festakt der Europäischen Zentralbank<br />

17.30 phoenix der tag 18.00 Gifte, Daten,<br />

Risiken 18.30 Die Müllers und das Hohe Haus<br />

20.00 (für HG) Tagesschau 20.15 (für HG)<br />

Golfstrom –Der große Fluss im Meer. Dokumentation<br />

21.00 (für HG) Che Guevara 21.45 (für<br />

HG) heute journal 22.15 unter den linden.<br />

Talkshow 23.00 phoenix der tag 0.00 unter den<br />

linden 0.45 (für HG) Golfstrom –Der große Fluss<br />

im Meer 1.30 Che Guevara<br />

Kika<br />

13.15 (für HG) Die Wilden Kerle 13.40 (für HG)<br />

Die Pfefferkörner 14.10 Schloss Einstein –Erfurt<br />

15.00 (für HG) Helium 15.45 Livespiel 15.50<br />

Miss Moon 16.15 Die Piraten von nebenan<br />

16.50 (für HG) Geronimo Stilton 17.35 Der<br />

kleine Ritter Trenk 18.00 Sesamstraße<br />

präsentiert: Eine Möhre für Zwei 18.10 (für HG)<br />

Der kleine Drache Kokosnuss 18.35 Ernest &<br />

Celestine 18.47 Baumhaus 18.50 Sandmännchen<br />

19.00 Yakari 19.25 (für HG) Wissen macht<br />

Ah! 19.50 (für HG) logo! 20.00 (für HG) Kika<br />

Live 20.10 (für HG) Durch die Wildnis<br />

Dmax<br />

8.50 Hardcore Pawn 9.20 Baggage Battles 9.50<br />

Infomercial 10.15 Baggage Battles 11.15 Die<br />

Zwangsvollstrecker 13.15 Dubai Airport 14.15<br />

Ausgesetzt in der Wildnis 15.15 Ed Stafford: Wie<br />

ich die Welt überlebte 16.15 Lone Star Law<br />

17.15 Combat Dealers 18.15 SteelBuddies<br />

19.15 A8 20.15 Der Geiger –Boss of Big Blocks<br />

21.15 Chris &Mäx: Die Oldtimer-Spezialisten<br />

22.15 Die Gebrauchtwagen-Profis 23.10 DMAX<br />

News 23.15 Classic Remise –Das Haus der<br />

Traumautos 0.10 DMAX News<br />

Tagesschau 24<br />

5.00 Tagesschau 5.02 Hessenschau 5.30<br />

ARD-Morgenmagazin 9.00 Tagesschau-Nachrich<br />

ten 9.15 Sind Raser Mörder? 10.00 Tagesschau<br />

Nachrichten 10.15 Alles Wissen 11.00<br />

Tagesschau-Nachrichten 13.00 ZDF-Mittagsmagazin<br />

14.00 Tagesschau-Nachrichten 19.15<br />

Weniger ist mehr 20.00 Tagesschau 20.15 Anne<br />

Will 21.15 Tagesschau 21.17 Extra 21.30<br />

Westpol –Politik in Nordrhein-Westfalen 22.00<br />

Markt 22.45 Tagesschau vor 20 Jahren 23.00<br />

Tagesthemen 23.30 Unsere Kleidung –Grün<br />

gewaschen oder wirklich nachhaltig? Dokumenta<br />

tion 0.00 Sport inside 0.30 Grenzenlose<br />

Ganovenjagd 1.00 Nachtmagazin<br />

ONE<br />

6.40 Erlebnisreisen 6.50 Quarks 7.35 Party of<br />

Five 9.10 kinokino 9.25 Lindenstraße 9.55 Hot<br />

in Cleveland 10.15 Hot in Cleveland 10.35<br />

Lindenstraße 11.05 Morden im Norden 11.55<br />

Sturm der Liebe 13.30 Um HimmelsWillen<br />

14.20 Die Landärztin: Aus heiterem Himmel.<br />

Arztreihe, D/A 2007 15.50 Morden im Norden<br />

16.40 Hot in Cleveland 17.00 Hot in Cleveland<br />

17.20 Lindenstraße 17.50 Hart aber herzlich<br />

18.40 Sturm der Liebe 20.15 Grand Hotel<br />

21.45 Seriös –Das Serienquartett 22.30 Private<br />

Eyes 23.10 Hot in Cleveland 23.55 Der<br />

Irland-Krimi: Die Toten von Glenmore Abbey.<br />

Krimireihe,D2019 1.25 Grand Hotel<br />

ZDF NEO<br />

5.50 (für HG) Inspector Barnaby: Blut am Sattel<br />

Krimireihe,GB2010 7.20 (für HG) Kerners<br />

Köche 8.05 Topfgeldjäger 9.00<br />

Lafer!Lichter!Lecker! 9.45 (für HG) Bares für<br />

Rares 11.30 Dinner Date 12.15 (für HG) Monk<br />

13.35 Psych 15.00 (für HG) Monk 16.20 Psych<br />

17.40 (für HG) Bares für Rares 18.35 Dinner<br />

Date 19.20 (für HG) Bares für Rares 20.15 (für<br />

HG) Inspector Barnaby: Köpfen ist auch keine<br />

Lösung. Krimireihe,GB2010 21.45 (für HG)<br />

Inspector Barnaby: Blut am Sattel. Krimireihe, GB<br />

2010 23.15 Art of Crime 0.05 Art of Crime 0.50<br />

Spooks –ImVisier des MI5 1.45 (für HG)<br />

heute-show 2.15 Shapira Shapira<br />

ZDF INFO<br />

9.00 Mysterien des Weltalls 9.45 Schuldig in<br />

Schweden –Das Drama von Arboga 10.30 Tator<br />

Dessau –Der Fall Yangjie Li 11.15 Die<br />

Geheimnisse der Toten 12.45 Dem Tod auf der<br />

Spur –Die Männer vom Kriminaldauerdienst<br />

13.30 Momente der Geschichte 14.15 Der<br />

Vietnamkrieg 18.45 Brudermord am Airport<br />

19.30 Geheimakte Kim Jong Un –Nordkoreas<br />

rätselhafterFührer 20.15 Geheimes Nordkorea<br />

21.00 Undercover in Nordkorea –imReich des<br />

Kim Jong Un 22.00 Gold für Kim –ein Leben für<br />

Nordkoreas Führer 22.45 Im Niemandsland –<br />

Was Korea teilt 23.30 Despoten 0.15 Mein<br />

Besuch in Nordkorea<br />

Radio<br />

KLASSIK<br />

18.04 RBB KULTURRADIO (92.4 MHz)<br />

Alte Musik Mit Bernhard Schrammek. Bachs<br />

Festmusiken für die kurfürstlich-sächsische<br />

Familie, ca. 56 Min.<br />

21.05 Deutschlandfunk (97.7 MHz)<br />

Musik-Panorama 1. Raderbergkonzert 2019/20<br />

Francis Poulenc: Sonate für Flöte und Klavier.<br />

Heinz Holliger: „(t)air(e)“ für Flöte solo /Franz<br />

Schubert: Variationen über das Lied „Trockne<br />

Blumen“ für Flöte und Klavier, D802 /Thomas<br />

Adès: Concert Paraphrase on „Powder Her Face“<br />

für Klavier solo /Georg Philipp Telemann:<br />

Fantasie Nr. 10 für Flöte solo fis-Moll,TWV<br />

40:2-13 /César Franck: Sonate für Flöte und<br />

Klavier A-Dur, ca. 105 Min.<br />

HÖRSPIEL<br />

14.30 RBB KULTURRADIO (92.4 MHz)<br />

Lesung Der Ursprung der Welt (6/16). Von Ulric<br />

Tukur. Gelesenvom Autor, ca. 30 Min.<br />

22.03 Deutschlandfunk Kultur (89.6 MHz)<br />

Kriminalhörspiel Der Maulwurf. Von Rodney<br />

David Wingfield. Übersetzung: Mariannede<br />

Barde. Regie: Manfred Marchfelder. Mit: Herbert<br />

Stass, Sibylle Nicolai, Rolf Becker, Joachim<br />

Wichmann, Dieter Borsche, Friedhelm Ptok,<br />

Martin Umbach. Ton: Karlheinz Stoll. Stark<br />

benommen, wachen Frank, Bill und Jack in einem<br />

Keller auf. Der britische Geheimdienst, ihr<br />

ehemaligerArbeitgeber, hat sie in eine Falle<br />

gelockt, denn einervon ihnen war und ist ein<br />

Doppelagent, ca. 57 Min.<br />

MAGAZIN<br />

19.30 RBB KULTURRADIO (92.4 MHz)<br />

The Voice Mit Ortrun Schütz. Michael Hurley<br />

–Erinnerungen an den ewigen Hobo, der von de<br />

Musikwelt vergessen trotzdem für die Volksmusik<br />

szene von Greenwich Village in den 1960erund<br />

1970er Jahren unverzichtbar war, ca. 30 Min.<br />

20.04 RBB KULTURRADIO (92.4 MHz)<br />

Schöne Stimmen Mit Rainer Damm. Der Bass<br />

Enzo Dara. Den italienischen Bass-Virtuosen hat<br />

der Dirigent und Rossini-Spezialist Alberto Zedda<br />

als den begnadetsten Komödianten auf der<br />

modernen Bühne bezeichnet. Dabei hütete er<br />

sich immer vor Übertreibungen und warf nie mit<br />

Schinken nach der Speckseite.Sein angeborene<br />

Sinn für das Komische machte ihn auch als<br />

Schriftsteller erfolgreich, ca. 56 Min.<br />

JAZZ /BLUES<br />

20.03 Deutschlandfunk Kultur (89.6 MHz)<br />

In Concert Jazzfest Bonn. Bundeskunsthalle.Joe<br />

Lovano Trio „Tapestry“: Joe Lovano, Saxofon.<br />

Marilyn Crispell, Klavier. Carmen Castaldi,<br />

Schlagzeug. Moderation: MatthiasWegner,<br />

ca. 87 Min.


<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019 – S eite 28 *<br />

·························································································································································································································································································<br />

Panorama<br />

LEUTE<br />

NACHRICHTEN<br />

Garrett Kletjian hat mit einer verwaschenen,<br />

brandlöchrigen Strickjacke<br />

200 000 Dollar verdient. DieJacke gehörte<br />

nämlich niemand geringerem<br />

als dem 1994 verstorbenen Nirvana-<br />

Sänger Kurt Cobain, der darin das<br />

berühmte„MTVUnplugged“-Album<br />

aufnahm. Kletjian ersteigerte sie im<br />

Jahr 2015 für 137 000 Dollar.Am<br />

Sonnabend kam sie in NewYorkfür<br />

334 000 Dollar unter den Hammer.<br />

Sie singt auch im<br />

kleinen Kreis.<br />

DPA<br />

Helene Fischer<br />

(35) füllt bei ihrenKonzerten<br />

mühelos ganze<br />

Fußballstadien.<br />

Wenn allerdings<br />

Trigema, der Bekleidungshersteller<br />

mit dem<br />

Schimpansenmaskottchen<br />

einlädt, um 100. Firmenjubiläum zu<br />

feiern, dann tun es auch 1500 geladene<br />

Gäste in einem Festzelt in Burladingen<br />

(Baden-Württemberg). Zu<br />

den atemlosen ZuhörernimZelt gehörte<br />

neben der Unternehmerfamilie<br />

um Firmeninhaber Wolfgang<br />

Grupp und seiner Belegschaft ein illustrer<br />

Gästekreis aus Politik, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft. Ihnen allen<br />

versicherte Fischer,sich selbst im<br />

Sortiment eingedeckt zu haben: „Ich<br />

habe mir Sportwäsche ausgesucht.<br />

Herr Grupp,das kriegen aber nur Sie<br />

zu sehen“, sagte sie.Dalaust uns<br />

doch glatt der Affe. (avo.)<br />

TIERE<br />

Der Kauz wurde nahe der Grenze zu<br />

Österreich gerettet. DPA/BUNDESPOLIZEI<br />

Mit diesem Augenblick können wir<br />

bestens gelaunt in eine neueWoche<br />

starten: Unser Bild zeigt einen Raufußkauz<br />

(Aegolius funereus)ineinem<br />

Pappkarton. So weit, so schlecht.<br />

Aber:Der zu den kleinen Eulen gehörendeVogel<br />

wurde jetzt vonBeamten<br />

der Bundespolizei gerettet, sie entdeckten<br />

ihn bei einer Grenzkontrolle<br />

in der Nähe des bayerischen Mittenwald<br />

ohne Futter undWasser in einem<br />

Fahrzeug. DerTierschutzverein<br />

Garmisch-Partenkirchen nahm den<br />

Kauz auf. DieTransporteurebekamen<br />

eine Anzeige.Wir sagen: Bravo,<br />

Bundespolizei! (schl.)<br />

Noch sind etwa50Belugas in Gefangenschaft. Tierschützer mahnen zur Eile, um sie noch vor dem Winter freizulassen.<br />

Auf dem Wegindie Freiheit<br />

Im Osten Russlands waren 100 Wale in winzigen Becken eingesperrt. Jetzt dürfen sie zurück ins offene Meer<br />

VonStefan Scholl, Moskau<br />

Alexandra galt als Sorgenkind.<br />

Dasjunge Orca-Weibchen<br />

verschwand nach seiner<br />

Freilassung nicht mit<br />

seinen älteren Artgenossen im offenen<br />

Pazifik. Stattdessen tauchte es<br />

vor Fischerbooten auf, ließ sich füttern<br />

und streicheln. Im Internet hagelte<br />

es Kritik. „Kein Rehabilitierungsprogramm<br />

kann wilde Tiere, in<br />

deren Leben sich der Mensch eingemischt<br />

hat, der Natur zurückgeben“,<br />

schimpfte der Umweltaktivist Bacht<br />

Mawlanow. „Man hat sie einem qualvollen<br />

Todausgeliefert.“<br />

Das Projekt war von Anfang an<br />

umstritten: Im Juni verkündeten russische<br />

Staatsreporter während einer<br />

TV-Liveshow mit Wladimir Putin<br />

eine „Weltsensation“: Manwolle alle<br />

Meeressäuger, die im sogenannten<br />

Walgefängnis in einer Bucht nahe<br />

Wladiwostok eingesperrt waren,<br />

auswildern. Acht Tierehabe man bereits<br />

in Transportwannen verfrachtet.<br />

Es klang nach Propagandashow.<br />

„FreeWilly“ auf Russisch<br />

Das Walgefängnis im Osten Russlands<br />

war zuvor zu trauriger Berühmtheit<br />

gelangt: Etwa 100 Belugas<br />

und Orcas wurden seit Herbst 2018<br />

in winzigen Schwimmbecken eingepfercht.<br />

Privatfirmen hatten sie gefangen,<br />

um sie an ausländische<br />

Aquarien zu verkaufen. Internationale<br />

Aufmerksamkeit bekam das<br />

Walgefängnis, als Prominente wie<br />

Leonardo DiCaprio und Pamela Anderson<br />

die Freilassung der Tiere forderten.<br />

Dann machte der Kreml auf<br />

„FreeWilly“, frei nach dem Film über<br />

einen kleinen Jungen, der einen Wal<br />

aus einem Vergnügungsparkbefreit.<br />

In den Becken haben die Tiere kaum Platz zum Schwimmen.<br />

Die ersten Tiere wurden in Lkws<br />

und auf Frachtkähnen 1800 Kilometer<br />

über Land in die Sachalin-Bucht<br />

des Pazifiks geschafft und dort ohne<br />

weitere Vorbereitung ausgesetzt –<br />

obwohl internationale und russische<br />

Experten einen stressärmeren<br />

Transport auf dem Seeweg gefordert<br />

hatten. Die Fachleute sprachen sich<br />

zudem für eine langsame Eingewöhnung<br />

in größeren Gehegen aus, damit<br />

die Tieresich vonMenschen und<br />

Füttern entwöhnen und zu Jagdteams<br />

zusammenfinden könnten.<br />

Geholfen hat es nichts.„Nicht befreit,<br />

sondern hinausgeworfen“, wetterte<br />

das Walschutzbündnis „Freiheit<br />

für Orcas und Belugas“ in einer Stellungnahme.<br />

Doch der Zorn der Tierschützer<br />

hat sich gelegt.„Es läuft alles<br />

ziemlich gut“, sagt DmitriLisizyn von<br />

der Ökowacht Sachalin über die Auswilderung,<br />

die vom russischen Forschungsinstitut<br />

für Fischerei und<br />

Meereskunde organisiert wird. „Die<br />

Wale bewegen sich sehr aktiv im<br />

Meer,sie haben sich angepasst.“<br />

WHALE WATCHING RUSSIA/AP/DPA<br />

„Die Tiere sind in ihre wilden Familien<br />

zurückgekehrt oder jagen<br />

selbstständig“, berichtet Institutssprecher<br />

Alexei Smorodow. Dabei<br />

legten sie große Entfernungen zurück,<br />

was eine gute körperliche Verfassung<br />

belege. Das bestätigen auch<br />

die Satelliten-Sonden, mit denen die<br />

Experten einen Teil der freigelassenen<br />

Meeressäuger versehen haben.<br />

Im September zeigten die Sonden<br />

dann auch Erfreuliches in Sachen<br />

Alexandra. DasTier hatte sich inzwischen<br />

zwei anderen Weibchen angeschlossen<br />

und war im fischreichen<br />

Archipel Schantarski unterwegs.<br />

Dort beobachtete Walexperte Grigori<br />

Zidulko von Greenpeace auch<br />

ein anderes ausgewildertes Exemplar,das<br />

sich einer fremden Orca-Familie<br />

angeschlossen hatte. „Sie jagten<br />

gemeinsam und das erfolgreich,<br />

sie erbeuteten zwei Robben.“<br />

Offenbar greifen in der freien Natur<br />

die Instinkte der Wale,sie sind fähig,<br />

sich zu orientieren, Fischgründe<br />

und Artgenossen aufzuspüren. Und<br />

FREE RUSSIAN WHALES/DPA<br />

ihresoziale Intelligenz reicht aus,um<br />

sich mit ihnen anzufreunden. Bisher<br />

hat man zehn Orcas und 37 Belugas<br />

in der Sachalin-Bucht ausgewildert.<br />

Für den Transport der Belugas setzt<br />

das staatliche Institut inzwischen eigene<br />

Forschungsschiffe ein.<br />

Die Tiere hätten bewiesen, dass<br />

sie in der freien Wildbahn überleben<br />

können, urteilen Ökologen. Es sei<br />

die Ausnahme geblieben, dass das<br />

Orca-Weibchen Alexandra nach ihrer<br />

Freilassung Schiffe anschwamm<br />

und um Fische bettelte, heißt es bei<br />

Greenpeace. Und so etwas leisteten<br />

sich manchmal auch wilde Orcas.<br />

Eile ist geboten<br />

Derzeit verharren noch etwa 50 Belugas<br />

in den Becken des Walgefängnisses.<br />

Sie sollen bis zum Winteranfang<br />

ausgewildert werden. Dabei ist<br />

Eile dringend geboten, denn bei Minusgraden<br />

drohen den Tieren nach<br />

Einschätzung der Walschützer in<br />

den Transportwannen und beim<br />

Verladen Erfrierungen.<br />

Angesichts der schon beginnenden<br />

Herbststürme will man die restlichen<br />

Tierebis zum 1. November auf<br />

zwei Schiffe verladen und ins Meer<br />

bringen. Die Ökologen halten die<br />

Chancen zwar für gering, dass es den<br />

Belugas gelingt, sich diesen Herbst<br />

noch mit ihren Artgenossen in der<br />

Sachalin-Bucht zu vereinigen. Und<br />

sie warnen vor nordkoreanischen<br />

Fischwilderern, die in der Gegend<br />

aktiv sein sollen.<br />

Aber auch sie befürworten die sofortige<br />

Freilassung der Belugas, da<br />

ihnen sonst noch ein Winter im Walgefängnis<br />

droht. „Am wichtigsten<br />

ist“, sagt Zidulko, „dass die Tiere<br />

dort, wo sie ausgewildert werden,<br />

Nahrung finden können.“<br />

Verheerende Waldbrände<br />

wüten in Kalifornien<br />

Angesichts der verheerenden Waldbrände<br />

in Kalifornien haben die Behörden<br />

am Sonntag Zehntausende<br />

weitereMenschen angewiesen, ihre<br />

Häuser zu verlassen. DieZwangsevakuierungen<br />

betrafen die nördlich<br />

vonSan Francisco gelegene Weinbauregion<br />

Sonoma, wo bereits am<br />

Sonnabend 90 000 Bewohner vor<br />

den Flammen geflüchtet waren. Wegen<br />

der großen Brandgefahr kam es<br />

zu massiven Stromabschaltungen,<br />

bis zu zwei Millionen Menschen<br />

könnten betroffen sein. In dem US-<br />

Bundesstaat wüten derzeit mehrere<br />

Waldbrände,die durch Hitze, Trockenheit<br />

und die berühmten Santa-<br />

Ana-Winde angefacht werden. (AFP)<br />

Haftbefehl erlassen: Eritreer<br />

in Krefeld vor Zug gestoßen<br />

Weil er einen Radfahrer im Krefelder<br />

Hauptbahnhof voreinen einfahrenden<br />

Zuggestoßen haben soll, sitzt<br />

ein 34 Jahrealter Mann in Untersuchungshaft.<br />

DasAmtsgericht habe<br />

Haftbefehl wegen versuchten Totschlags<br />

und gefährlichen Eingriffs in<br />

den Schienenverkehr erlassen, teilte<br />

die Staatsanwaltschaft am Sonntag<br />

mit. Dertatverdächtige Deutsche<br />

soll einen Eritreer samt dessen Fahrradvor<br />

einen einfahrenden Zugins<br />

Gleisbett gestoßen haben. DerZug<br />

legte eine Vollbremsung hin, der 37-<br />

Jährige konnte sich rechtzeitig wegrollen<br />

und blieb unverletzt. Obwohl<br />

der Staatsschutz eingebunden<br />

wurde,gehen die Ermittler nach ersten<br />

Erkenntnissen nicht voneiner<br />

politisch motivierten Tataus. (dpa)<br />

Verdächtiger nach<br />

Leichenfund in Kino gefasst<br />

In einem Multiplex-Kino der niederländischen<br />

Stadt Groningen sind am<br />

Sonnabend die Leichen eines Ehepaares<br />

gefunden worden. Der56-<br />

jährige Mann und seine 55 Jahrealte<br />

Frau seien dortals Reinigungskräfte<br />

beschäftigt gewesen, teilte die PolizeiamSonntag<br />

mit. Wenige Stunden<br />

zuvor hatten Beamte einen 33 Jahre<br />

alten Verdächtigen unweit des Kinos<br />

angeschossen und am Bein verletzt.<br />

DerMann habe ein Messer in der<br />

Hand gehabt. Er sei festgenommen<br />

und zur Behandlung in ein Krankenhaus<br />

gebracht worden. DasMotiv für<br />

die Tatblieb zunächst unklar.Es<br />

gebe bislang keine Anzeichen dafür,<br />

dass Täter und Opfer sich kannten,<br />

berichtete die Nachrichtenagentur<br />

ANP unter Berufung auf die Polizei.<br />

Die<strong>Zeitung</strong> De Telegraaf berichtete,<br />

die Opfer seien durch Messerstiche<br />

getötet worden. (dpa)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!