ZAP-2019-20

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Fach 18, Seite 1682 Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. 2019 Rechtsprechung Lege das Jobcenter kein schlüssiges Konzept vor, müsse auf einen qualifizierten Mietspiegel (§ 558d BGB) oder auf eine Mietdatenbank (§ 558e BGB) zurückgegriffen werden. Fehle ein solcher, müssen die nach Gemeindeklassen und Zahl der Haushaltsmitglieder differenzierenden Werte der Tabelle zu § 12 WoGG mit einem Zuschlag von 10 % angewandt werden. Hinweis: Die Heranziehung der Tabellenwerte als „prozessualer Notbehelf“ eröffnet den Gerichten lediglich die Möglichkeit zu einzelfallbezogenen Entscheidungen; die Grundsicherungsträger bleiben gehalten, den Gerichten eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen (s. BERLIT, a.a.O., § 28, Rn 56 m.w.N.). In Anwendung dieser Leitlinien gelangte das BSG in den geschilderten Verfahren zu folgenden Ergebnissen: Im ersten Verfahren hat es das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Das LSG sei unzutreffenderweise von der Rechtmäßigkeit eines einheitlichen Vergleichsraums für den gesamten Landkreis und der Unterscheidung von fünf Wohnungsmarkttypen bei der Festlegung der angemessenen Bruttokaltmiete ausgegangen. Im zweiten Verfahren hat das BSG die Klage der Klägerin zu 2 als unzulässig zurückgewiesen. Die Klageschrift sei nur im Namen der Klägerin zu 1 verfasst worden. Ein Hinweis auf die Klägerin zu 2 ergebe sich aus der Klageschrift nicht. Das LSG durfte die Vergleichsräume nicht selbst festlegen, sondern musste dem Beklagten Gelegenheit geben, Ermittlungen zur Vergleichsraumbildung durchzuführen und ein schlüssiges Konzept vorzulegen. Dieser Mangel der Vergleichsraumbildung wirke sich auf den anzuerkennenden Bedarf für die Heizung aus. Im dritten Verfahren hat das BSG die Entscheidung aufgehoben und an das LSG zurückverwiesen. Wegen der Begründung verwies es auf das zweite Verfahren. In dem Verfahren müsse auch die Angemessenheit im Umzugszeitpunkt geprüft werden. Insoweit verwies das BSG auf sein Urt. v. 29.4.2015 – B 14 AS 6/14 R, BSGE 119, 1. Im vierten Verfahren hat das BSG die Revision zurückgewiesen. Eine Rückschreibung eines im Jahr 2012 aufgestellten Konzepts auf das Jahr 2011 sei nicht gerechtfertigt. Im fünften Verfahren hat das BSG das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das LSG sei nicht befugt gewesen, den Vergleichsraum selbst zu bilden. Eine Vergleichsraumbildung für den gesamten Landkreis und die Unterscheidung von Wohnungsmarkttypen für die Angemessenheitsgrenze sei nicht rechtmäßig. Das LSG müsse dem Beklagten Gelegenheit geben, die Vergleichsraumbildung nachzuermitteln und ein schlüssiges Konzept vorzulegen. 2. Bestimmtheitsanforderungen an einen Eingliederungsverwaltungsakt Nach § 15 Abs. 2 S. 1 SGB II soll, also im Regelfall muss, die Agentur für Arbeit mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person eine Eingliederungsvereinbarung schließen, in der u.a. die Leistungen der Agentur für Arbeit für die leistungsberechtigte Person zur Eingliederung in Arbeit und die Bemühungen der leistungsberechtigten Person zur Eingliederung in Arbeit – Anzahl der Bewerbungen, Art des Nachweises dieser Bemühungen – bestimmt werden. Kommt die Eingliederungsvereinbarung nicht zustande – etwa wegen Weigerung des Leistungsberechtigten –, sollen entsprechende Regelungen in einem Verwaltungsakt, dem sog. Eingliederungsverwaltungsakt festgelegt werden (§ 15 Abs. 3 S. 3 SGB II). Das BSG (Urt. v. 21.3.2019 – B 14 AS 28/18 R) hatte zu entscheiden, ob der Eingliederungsverwaltungsakt unbefristet erlassen werden darf. 1072 ZAP Nr. 20 23.10.2019

Rechtsprechung Fach 18, Seite 1683 Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. 2019 Die Klägerin stand seit Jahren im Leistungsbezug des beklagten Jobcenters. Nachdem es wiederholt nicht zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung gekommen war, erließ es einen Eingliederungsverwaltungsakt, in dem geregelt wurde, dass die Klägerin an einem Projekt teilnehmen solle und welche Bewerbungsbemühungen sie zu erbringen habe. Außerdem wurde die Übernahme von Bewerbungskosten festgelegt. Der Verwaltungsakt sollte bis auf Weiteres gelten. Auf die Klage der Klägerin wurde der Eingliederungsverwaltungsakt vom SG aufgehoben. Das LSG hat die Berufung des Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen. Mit der Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 15 Abs. 3 SGB II. Das BSG hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Die Regelungen in einem Eingliederungsverwaltungsakt folgten denselben Regeln wie die in einer Eingliederungsvereinbarung. Seit dem 1.8.2016 bestünde keine starre Laufzeit für die Eingliederungsvereinbarung. Den Verwaltungsakt bis auf Weiteres gelten zu lassen, sei deshalb nicht zu beanstanden. Er müsse allerdings konkrete Regelungen zur Überprüfung und Fortschreibung sowie zum spätesten Zeitpunkt hierfür enthalten. Dies leitet das BSG einmal aus dem Umstand her, dass der Verwaltungsakt sanktionsbedingte Obliegenheiten des Leistungsberechtigten begründet (s. §§ 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 31a SGB II), weshalb über deren zeitlichen Geltungsanspruch und den Gründen hierfür dem Leistungsberechtigten Kenntnis zu verschaffen sei. Ferner verweist das Gericht auf § 15 Abs. 3 S. 1 und 3 SGB II, wonach auch der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten gemeinsam überprüft und fortgeschritten werden soll. Der angefochtene Verwaltungsakt erfüllte diese Anforderungen nicht. 3. Keine Verteilung der Anschaffungskosten für Brennmaterialien auf mehrere Monate Das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld umfassen u.a. Leistungen für die angemessenen Aufwendungen für die Heizung (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Unerheblich ist, ob es sich um laufende oder einmalige Aufwendungen (z.B. Heizöl und Kohle) handelt (BSG, Urt. v. 16.5.2007 – B 7b AS 79/09 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 4; BSG, Urt. v. 17.6.2010 – B 14 AS 79/09 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 39). Eine Pauschalierung der hierfür anfallenden Kosten ist nicht zulässig (BSG, Urt. v. 16.5.2007 – B 7b AS 40/12 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 4). Das BSG (Urt. v. 8.5.2019 – B 14 AS 20/18 R) musste entscheiden, ob die Anschaffungskosten für Brennmaterialien auf mehrere Monate verteilt werden dürfen. In diesem Fall hätte das beklagte Jobcenter keine Leistungen erbringen müssen, weil dann über dem Bedarf nach dem SGB II liegende Einkünfte der Bedarfsgemeinschaft ausgereicht hätten, um die Brennkosten zu finanzieren. Die Kläger (Eltern mit drei Kindern) leben in einem Eigenheim. Beide Elternteile üben eine Berufstätigkeit aus. Außerdem bezogen sie Kindergeld. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhielten sie nicht. Im September 2013 kauften sie für knapp 1.400 € Briketts und Heizöl. Sie beantragten hierfür einen „jährlichen Heizkostenzuschuss“. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Kläger den beantragten Zuschuss selbst aufbringen könnten, wenn die Aufwendungen für die Heizkosten auf das Jahr verteilt würden. Die hiergegen eingelegte Klage hatte Erfolg. Das Urteil des SG wurde im Berufungsverfahren vom LSG bestätigt. Die Revision des Beklagten wurde vom BSG zurückgewiesen. Der Bedarf sei wegen des die Grundsicherung für Arbeitsuchende prägenden Monatsprinzips im September 2013 anzuerkennen. Unerheblich sei, dass die Brennmaterialien nicht nur für diesen Monat verwendet werden sollten. Eine Abweichung vom Monatsprinzip des Inhalts, dass der Bedarf auf mehrere Monate zu verteilen sei, enthalte das SGB II nicht. Vorschriften, die eine Abweichung vom Monatsprinzip beinhalten, könnten nicht ZAP Nr. 20 23.10.2019 1073

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Lege das Jobcenter kein schlüssiges Konzept vor, müsse auf einen qualifizierten Mietspiegel (§ 558d<br />

BGB) oder auf eine Mietdatenbank (§ 558e BGB) zurückgegriffen werden. Fehle ein solcher, müssen die<br />

nach Gemeindeklassen und Zahl der Haushaltsmitglieder differenzierenden Werte der Tabelle zu § 12<br />

WoGG mit einem Zuschlag von 10 % angewandt werden.<br />

Hinweis:<br />

Die Heranziehung der Tabellenwerte als „prozessualer Notbehelf“ eröffnet den Gerichten lediglich die<br />

Möglichkeit zu einzelfallbezogenen Entscheidungen; die Grundsicherungsträger bleiben gehalten, den<br />

Gerichten eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. eine unterbliebene<br />

Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen (s. BERLIT, a.a.O., § 28, Rn 56 m.w.N.).<br />

In Anwendung dieser Leitlinien gelangte das BSG in den geschilderten Verfahren zu folgenden Ergebnissen:<br />

Im ersten Verfahren hat es das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.<br />

Das LSG sei unzutreffenderweise von der Rechtmäßigkeit eines einheitlichen Vergleichsraums für den<br />

gesamten Landkreis und der Unterscheidung von fünf Wohnungsmarkttypen bei der Festlegung der<br />

angemessenen Bruttokaltmiete ausgegangen.<br />

Im zweiten Verfahren hat das BSG die Klage der Klägerin zu 2 als unzulässig zurückgewiesen. Die<br />

Klageschrift sei nur im Namen der Klägerin zu 1 verfasst worden. Ein Hinweis auf die Klägerin zu 2 ergebe<br />

sich aus der Klageschrift nicht. Das LSG durfte die Vergleichsräume nicht selbst festlegen, sondern<br />

musste dem Beklagten Gelegenheit geben, Ermittlungen zur Vergleichsraumbildung durchzuführen und<br />

ein schlüssiges Konzept vorzulegen. Dieser Mangel der Vergleichsraumbildung wirke sich auf den<br />

anzuerkennenden Bedarf für die Heizung aus.<br />

Im dritten Verfahren hat das BSG die Entscheidung aufgehoben und an das LSG zurückverwiesen.<br />

Wegen der Begründung verwies es auf das zweite Verfahren. In dem Verfahren müsse auch die<br />

Angemessenheit im Umzugszeitpunkt geprüft werden. Insoweit verwies das BSG auf sein Urt. v.<br />

29.4.<strong>20</strong>15 – B 14 AS 6/14 R, BSGE 119, 1.<br />

Im vierten Verfahren hat das BSG die Revision zurückgewiesen. Eine Rückschreibung eines im Jahr <strong>20</strong>12<br />

aufgestellten Konzepts auf das Jahr <strong>20</strong>11 sei nicht gerechtfertigt.<br />

Im fünften Verfahren hat das BSG das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das<br />

LSG sei nicht befugt gewesen, den Vergleichsraum selbst zu bilden. Eine Vergleichsraumbildung für den<br />

gesamten Landkreis und die Unterscheidung von Wohnungsmarkttypen für die Angemessenheitsgrenze<br />

sei nicht rechtmäßig. Das LSG müsse dem Beklagten Gelegenheit geben, die Vergleichsraumbildung<br />

nachzuermitteln und ein schlüssiges Konzept vorzulegen.<br />

2. Bestimmtheitsanforderungen an einen Eingliederungsverwaltungsakt<br />

Nach § 15 Abs. 2 S. 1 SGB II soll, also im Regelfall muss, die Agentur für Arbeit mit der erwerbsfähigen<br />

leistungsberechtigten Person eine Eingliederungsvereinbarung schließen, in der u.a. die Leistungen<br />

der Agentur für Arbeit für die leistungsberechtigte Person zur Eingliederung in Arbeit und die<br />

Bemühungen der leistungsberechtigten Person zur Eingliederung in Arbeit – Anzahl der Bewerbungen,<br />

Art des Nachweises dieser Bemühungen – bestimmt werden. Kommt die Eingliederungsvereinbarung<br />

nicht zustande – etwa wegen Weigerung des Leistungsberechtigten –, sollen entsprechende<br />

Regelungen in einem Verwaltungsakt, dem sog. Eingliederungsverwaltungsakt festgelegt werden<br />

(§ 15 Abs. 3 S. 3 SGB II).<br />

Das BSG (Urt. v. 21.3.<strong><strong>20</strong>19</strong> – B 14 AS 28/18 R) hatte zu entscheiden, ob der Eingliederungsverwaltungsakt<br />

unbefristet erlassen werden darf.<br />

1072 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>20</strong> 23.10.<strong><strong>20</strong>19</strong>

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