Trisomie 21
Informations- und Aufklärungsbroschüre zum Down-Syndrom
Informations- und Aufklärungsbroschüre zum Down-Syndrom
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© shutterstock<br />
triSomie <strong>21</strong><br />
Informations- und Aufklärungsbroschüre<br />
zum Down-Syndrom<br />
Mit jedem Menschen ist etwas Neues in<br />
die Welt gesetzt, was es noch nie gegeben<br />
hat, etwas Erstes, Einzigartiges.<br />
(Martin Buber)<br />
Ein Projekt der Studiengänge Gesundheits- und Pflegemanagement<br />
www.fh-kaernten.at/gpm | www.facebook.com/GesundheitPflege
- - 2 - -
vorwort<br />
Liebe Eltern, liebe Angehörige, liebe Interessierte!<br />
Erstmals wollen wir Ihnen sehr herzlich zu Ihrem wunderbaren Kind gratulieren.<br />
Kinder sind unser größtes Geschenk, sie in ihrer Entwicklung begleiten<br />
und unterstützen zu dürfen, stellt eine bedeutende Herausforderung<br />
dar. Kommt ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zur Welt, so braucht es<br />
Einfühlungsvermögen, Zeit und Unterstützung, um in diese versorgende,<br />
begleitende und vor allem auch bestärkende Rolle hineinwachsen zu<br />
können. Ihr Kind ist mit dem Down-Syndrom auf die Welt gekommen. Dies<br />
bereitet vielen - gerade in der Anfangszeit - ein Wechselbad an Gefühlen.<br />
Wahrscheinlich tragen Sie bereits einen großen Sack voller Fragen mit sich,<br />
der mal leichter, mal schwerer zu buckeln ist. Wenn an dieser Stelle ein Rat<br />
an Sie gerichtet werden darf, so sprechen Sie offen über Ihre Ängste und<br />
Sorgen, stellen Sie Fragen wann immer Sie wollen! Nur ein offener, freier<br />
und selbstverständlicher Umgang mit den eigenen Unsicherheiten und<br />
Sorgen kann diese reduzieren.<br />
Welche Möglichkeiten<br />
haben wir, unser Kind<br />
zu fördern<br />
Warum gerade<br />
unser Baby<br />
Was wird<br />
alles auf uns<br />
zukommen<br />
Wie wird sich<br />
unser Kind<br />
entwickeln<br />
Welche Hilfen<br />
bekommen wir<br />
Viele dieser Fragen werden Sie lange begleiten, einige davon werden leider<br />
nie die ersehnten Antworten finden. Individuelle Entwicklungsverläufe<br />
lassen sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit vorhersagen, als Eltern<br />
ist man gefragt, sich auch ein Stück weit auf eine gute Entwicklung des<br />
Kindes zu verlassen. Und auch wenn man es eigentlich nie erwartet oder<br />
erhofft hätte, berichten Eltern beinahe ausnahmslos, dass gerade dieses<br />
Kind ihren Familien so unendlich viel Gutes bereitet (Halder, 2014).<br />
Vertrauen Sie darauf, dass alles gut wird. Mit dieser Broschüre wollen wir<br />
Ihnen aufzeigen, dass Sie nicht alleine sind. Es ist uns ein großes Anliegen,<br />
Wissenswertes rund um das Down-Syndrom im Überblick darzulegen,<br />
wirksame Behandlungs- und Förderungsmöglichkeiten vorzustellen, über<br />
gesellschaftliche (Tabu)Themen und Belastungen offen zu sprechen und<br />
auch Betroffene sowie einen Experten/eine Expertin zu Wort kommen zu<br />
lassen.<br />
Den Schmerz, die Ungewissheit, die Angst, die Sie vermutlich mal mehr,<br />
mal weniger stark verspüren, können wir Ihnen leider nicht nehmen. Was<br />
wir aber mit dieser Broschüre im besten Fall bewirken können, ist Ihnen<br />
Mut zu machen, mit ihrem Kind gemeinsam Schritt für Schritt zu gehen; die<br />
uneingeschränkte Liebe ihres Kindes wird Ihnen dabei helfen.
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Nichts ist entspannender,<br />
als das anzunehmen, was kommt.<br />
(Dalai Lama)<br />
- - 4 - -
Inhaltsverzeichnis<br />
1. FAKTEN ZuM DOWN-SYNDrOM 6<br />
1.1 Genetik und vieles mehr 7<br />
1.2 Körperliche Merkmale und Eigenschaften 11<br />
1.3 Entwicklungsverläufe bei Kindern mit Down-Syndrom 13<br />
1.3.1 Kognitive Entwicklung 13<br />
1.3.2 Motorische Entwicklung 14<br />
1.3.4 Soziale Entwicklung 15<br />
2. FrÜHFÖrDEruNG uND THErAPIEN BEI KINDErN MIT DOWN-SYNDrOM 16<br />
2.1 Kriterien zur Beurteilung von Therapien und Förderkonzepten 17<br />
2.2 Frühförderung 18<br />
2.3 Ablauf der Frühförderung 19<br />
2.4 Therapie- und Fördermöglichkeiten für Kinder mit Down-Syndrom 20<br />
2.4.1 Motorik 20<br />
2.4.2 Sprache 22<br />
2.4.3 Kognition 24<br />
2.4.4 Psychosoziale Kompetenzen 25<br />
3. FAMILIE UND SOZIALES 28<br />
3.1 Die Rolle der Eltern 29<br />
3.2 Die Rolle der Geschwister 30<br />
3.3 Die Rolle der Großeltern 31<br />
3.4 Selbsthilfegruppen für betroffene Familien 32<br />
3.5 Umgang mit Sexualität, Kontrazeption und Sterilisation 33<br />
3.6 Begutachtung 34<br />
3.7 Finanzielle und Sozialrechtliche Fragen 34<br />
3.8 Hilfreiche Anlaufstellen und Links 38<br />
4. INTErVIEWS MIT MÜTTErN VON KINDErN MIT DOWN-SYNDrom 40<br />
4.1 Datenerhebung - Das Leitfadeninterview 40<br />
4.2. Datenaufzeichnung und -verarbeitung 40<br />
4.3 Die Zielgruppe 41<br />
4.4 Interview mit Sonja S. 41<br />
4.5 Interview mit Barbara P. 44<br />
5. INTErVIEWS MIT FACHPErSONEN 50<br />
5.1 Datenerhebung - Das Leitfadeninterview 50<br />
5.2 Die Datenaufzeichnung und -verarbeitung 50<br />
5.3 Die Zielgruppe 50<br />
5.4 Das Interview mit Frau Mag. a Kirsten Ratheiser 51<br />
5.5 Das Interview mit Herrn Mag. Christian Spitaler 55<br />
lITErATurVErZEICHNIS 58
Literaturverzeichnis<br />
Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind.<br />
Wir sehen sie so, wie wir sind.<br />
(Anais Nin)
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
Im Folgenden werden Sie einiges an wissenswerten Fakten rund um das<br />
Down-Syndrom erfahren. Zu Beginn werden grundlegende, genetische<br />
Aspekte und Formen des Down-Syndroms dargelegt, gefolgt von Informationen<br />
zu Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik, Ursachen und<br />
Häufigkeiten. Weiter werden typische, äußere Erscheinungsmerkmale<br />
wie auch wichtige medizinische Aspekte aufgegriffen. Inhaltlich lässt<br />
sich das erste Kapitel mit möglichen Entwicklungsverläufen in den Bereichen<br />
Kognition, Sprache, Motorik und Sozialverhalten bei Kindern mit<br />
Down-Syndrom gut abrunden.<br />
1.1 Genetik und vieles mehr<br />
„Was ist das Down-Syndrom?“<br />
Beim Down-Syndrom (erstmal beschrieben von Dr. John Langdon-Down<br />
im Jahr 1866) handelt es sich um eine Fehlanlage des Erbgutes. Es kommt<br />
ein sogenanntes, überzähliges <strong>21</strong>. Chromosom vor. Im Regelfall enthalten<br />
die Körperzellen des Menschen 23 Chromosomen, die in Paaren vorhanden<br />
sind, das ergibt gesamt 46 Chromosomen, auf denen das gesamte<br />
Erbgut verschlüsselt ist (Eggers, Fegert & Resch, 2004) Bei Personen mit<br />
Down-Syndrom, oder auch <strong>Trisomie</strong> <strong>21</strong> genannt, ist das Chromosom <strong>21</strong> in<br />
jeder Körperzelle dreimal anstatt zweimal vorhanden, dies ergibt eine Gesamtzahl<br />
von 47 Chromosomen anstatt 46. Jeder mit Down-Syndrom hat<br />
das Chromosom <strong>21</strong> also dreimal, deshalb auch die lateinisch-griechische<br />
Bezeichnung: „Tri“ für „drei“ und „Somie“ für „Chromosom“ <strong>21</strong> (Eggers et<br />
al., 2004).<br />
Es gibt drei Formen des Down-Syndroms, welche in folgender Tabelle<br />
(Tab.1) veranschaulicht sind (Halder, 2012, 2014):<br />
Tabelle 1. Formen des Down-Syndroms<br />
Formen Merkmale Häufigkeit<br />
Freie <strong>Trisomie</strong> <strong>21</strong> Das dreifach vorhandene Chromosom „schwebt frei herum“. 95 %<br />
Translokation-<br />
<strong>Trisomie</strong><br />
Mosaik-<strong>Trisomie</strong><br />
Die reguläre Zahl von 46 Chromosomen ist vorhanden ebenso<br />
wie zusätzliches Chromosom-<strong>21</strong>-Material, das wiederum<br />
mit einem anderen Chromosom verbunden ist. Eltern können<br />
diese Form des Down-Syndroms übertragen, ohne dass sie<br />
Symptome aufweisen.<br />
Ein Teil der Zellen beinhaltet drei Chromosomen <strong>21</strong>. Betroffene<br />
haben Zellen mit 46 wie auch 47 Chromosomen, sie<br />
weisen Mixformen mit meist nur einem Teil der besonderen<br />
Merkmale des Down-Syndroms auf.<br />
3 bis 4 %<br />
1 bis 2 %<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike<br />
- - 7 - -
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
Welche dieser Formen vorliegt, kann durch eine Chromosomenuntersuchung<br />
geklärt werden. Die Chromosomenuntersuchung ist eine Blutuntersuchung,<br />
hierbei wird aus dem Blut des Babys eine Zellkultur gezüchtet<br />
und nach mehreren Tagen ergibt sich ein analysierbares Chromosomenbild,<br />
das so genannte Karyogramm (Halder, 2012, 2014).<br />
Pränatale Diagnostik<br />
„Kommt mein Baby gesund zur Welt?“<br />
Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik für werdende Eltern finden nicht<br />
im Rahmen der Mutter-Kind-Pass Untersuchung statt. Es handelt sich um<br />
zusätzliche Screening-Untersuchungen, welche nicht über die Sozialversicherung<br />
finanziert und von daher selbst bezahlt werden müssen. Es besteht<br />
keine Verpflichtung, eine pränatale Diagnostik durchführen zu lassen<br />
(Arzt & Jochum, 2009).<br />
In Österreich wird im ersten Drittel der Schwangerschaft der sogenannte<br />
Erst-Trimester-Test durchgeführt, dieser beinhaltet einen Ultraschall (Sonografie)<br />
und die Messung der Nackentransparenz (Kombination bestehend<br />
aus spezifischem Ultraschall und Blutwerten ab der 12. bis zur 14.<br />
Schwangerschaftswoche). Der Mutter-Kind-Pass sieht lediglich einen Basis-Ultraschall<br />
in der 9. bis 12. Schwangerschaftswoche vor. Bei Verdacht<br />
auf Down-Syndrom infolge des Erst-Trimester-Tests können weitere Untersuchen<br />
wie etwa die Fruchtwasserpunktion eingeleitet werden (Arzt & Jochum,<br />
2009).<br />
Entschließt man sich für die Inanspruchnahme pränataler Diagnostikmethoden,<br />
so ist es ratsam, sich im Vorfeld über das Risiko und die Folgen von<br />
invasiven Untersuchungen zu Informieren. Eine Fruchtwasseruntersuchung<br />
geht beispielsweise mit einem 0,3 bis einprozentigen Fehlgeburtenrisiko<br />
einher. Wesentliche Fragen sollten im Vorhinein klar beantwortet sein: Wie<br />
würde ich mit einem erhöhten Risiko einer möglichen Behinderung meines<br />
ungeborenen Kindes umgehen? Welche Entscheidungen würde ich im<br />
Falle eines positiven Befundes treffen? Wie stehe ich zu einem möglichen<br />
Schwangerschaftsabbruch? Wie würden meine Familie und mein Partner<br />
mit einem Risikobefund umgehen? uvm. (Bramkamp, Buer, Dohr, Hohenstein,<br />
Kleinschmidt & Pingen-Raimer, 2010).<br />
Einen Überblick stellen Tabelle 2 und 3 zu gängigen, pränatalen Diagnostikverfahren<br />
dar:<br />
- - 8 - -<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
Tabelle 2. Nichtinvasive Methoden der Pränataldiagnostik (Bramkamp et al., 2010)<br />
Untersuchung: Erst-Trimester-Test<br />
WIE:<br />
• Nackentransparenz mittels Ultraschall<br />
• Blutabnahme<br />
WANN:<br />
WARUM:<br />
11. bis 14. Schwangerschaftswoche (SSW)<br />
Risikoabschätzung für eine Chromosomenstörung bzw. Fehlbildungen<br />
VOR- und<br />
NACHTEILE:<br />
• Aussagekraft höher als bei Triple/Quadruple-Test<br />
• Ausschließlich Verdacht auf mögliche Behinderung<br />
• Gefahr einer falsch positiven Befundung<br />
• Nach auffälligen Befund bei Risikoschwangerschaft (z.B. Alter), weiterführende,<br />
invasive Untersuchung möglich<br />
Untersuchung: Triple/Quadruple-Test<br />
WIE:<br />
Venöse Blutabnahme der Schwangeren zur Bestimmung von Hormonen und<br />
Eiweißen (individuelle Risikoberechnung)<br />
WANN:<br />
WARUM:<br />
VOR- und<br />
NACHTEILE:<br />
15. bis 18. SSW<br />
Als Entscheidungsgrundlage für weitere Tests<br />
• Gibt Hinweis auf das Down–Syndrom<br />
• Gefahr einer falsch positiven Befundung<br />
• Durchführung des Tests erst in vorangeschrittener SSW möglich<br />
Tabelle 3. Invasive Methoden der Pränataldiagnostik (Bramkamp et al., 2010)<br />
Untersuchung: Chorionzottenbiopsie<br />
WIE:<br />
Transvaginale Entnahme von Zottengewebe unter Ultraschall-kontrolle<br />
WANN:<br />
WARUM:<br />
11. bis 13. SSW<br />
Direkte Chromosomenuntersuchung<br />
Zum Ausschluss von Stoffwechsel- und Muskelerkrankungen<br />
VOR- und<br />
NACHTEILE:<br />
• Ergebnisse liegen früher vor als bei Fruchtwasseruntersuchung<br />
• Fehlgeburtenrisiko bei 0,5 bis 1%<br />
• Diagnostizierte Krankheiten sind nicht behandelbar<br />
• Möglicher Schwangerschaftsabbruch ist früher möglich<br />
• Psychische Belastung während der Wartezeit<br />
• Entnahme kann als unangenehm erlebt werden<br />
Untersuchung: Amniozenthese oder Fruchtwasserpunktion<br />
WIE:<br />
Durch die Bauchdecke werden mittels Hohlnadel unter Ultraschallkontrolle einige<br />
Milliliter Fruchtwasser entnommen (Anlegen einer Zellkultur).<br />
WANN:<br />
WARUM:<br />
VOR- und<br />
NACHTEILE:<br />
16. SSW<br />
Diagnostik eines genetischen Defektes<br />
• Sehr genaue Ergebnisse<br />
• Relativ lange, belastende Wartezeiten<br />
• Nach dem Eingriff können Krämpfe, Wehen, Fruchtwasserverlust und leichte Blutungen<br />
auftreten<br />
• Fehlgeburtenrisiko bei 0,3 bis 1%<br />
• Bestimmung von Erkrankungen und Chromosomenabweichungen möglich nicht<br />
jedoch der Schweregrad<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike<br />
- - 9 - -
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
Häufigkeit (Prävalenz)<br />
„Wie häufig kommt das Down-Syndrom vor?“<br />
Es wird vermutet, dass die ältesten Belege für das Down-Syndrom Ton- und<br />
Steinfiguren aus der Olmec-Kultur vor 3000 Jahren sind. Down-Syndrom<br />
gibt es überall auf der Welt unabhängig von Rasse, ethnischer Herkunft<br />
und Bevölkerungsschichten. In Mitteleuropa liegt die Häufigkeit, ein Kind<br />
mit Down-Syndrom zu gebären, bei 1:500 bis 1:800. Weltweit leben in etwa<br />
fünf Millionen Menschen mit dem Down-Syndrom. Interessant dabei ist,<br />
dass laut Statistik alle drei Minuten ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt<br />
kommt. Die exakte Ursache für die zuvor beschriebene Zellteilungsstörung<br />
ist bis heute noch nicht geklärt. Nachgewiesen ist allerdings, dass das Risiko,<br />
ein beeinträchtigtes Kind zu gebären, mit zunehmendem Alter der<br />
Mutter steigt (Halder, 2012). Grundsätzlich gibt es Frauen jeden Alters, die<br />
ein Kind mit Down-Syndrom bekommen haben (Halder, 2014).<br />
Ursache<br />
„Was ist für das Down-Syndrom verantwortlich?“<br />
Die beiden Chromosomen <strong>21</strong> haben sich während der Stammzellenteilung<br />
nicht geteilt, dies kann sowohl in der Ei- als auch Samenzelle passieren.<br />
Das Nichtauseinandergehen der Chromosomen wird als Nondisjunktion<br />
bezeichnet. Die Ursache dafür ist bis heute unbekannt (Halder, 2014).<br />
Merkmale und Entwicklung<br />
„Wie kann man jemanden mit Down-Syndrom erkennen?“<br />
Jedes Syndrom kann anhand bestimmter Merkmale beschrieben werden,<br />
so auch das Down-Syndrom. Die Merkmale eines Down-Syndroms können<br />
auch vereinzelt bei Kindern ohne Down-Syndrom vorkommen; die Kombination<br />
mehrerer, entsprechender Merkmale ist hingegen typisch für das<br />
Down-Syndrom. Die ersten Lebensmonate verlaufen oftmals nicht anders<br />
als bei einer normentsprechenden Entwicklung. Insgesamt verläuft die<br />
Entwicklung jedoch langsamer, das bedeutet konkret, dass das Kind vielleicht<br />
etwas später sitzen und laufen wird und auch verzögert zu sprechen<br />
beginnt. Das Baby macht dennoch laufend Fortschritte. Für Bezugspersonen<br />
ist es enorm wichtig, auf die individuelle Entwicklung des Kindes zu<br />
vertrauen (Halder, 2014).<br />
- - 10 - -<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
1.2 Körperliche Merkmale und Eigenschaften<br />
Kinder mit Down-Syndrom haben<br />
einige körperliche Merkmale, die<br />
auf das Syndrom schließen lassen.<br />
Diese Merkmale sind bei betroffenen<br />
Kindern unterschiedlich ausgeprägt,<br />
was jedes Kind wiederum<br />
einzigartig macht. Familienähnlichkeiten<br />
lassen sich gut feststellen.<br />
Menschen mit Down-Syndrom haben<br />
ein wunderbares Wesen, ein<br />
individuelles Aussehen, ihr eigenes<br />
Temperament und geistiges Potential<br />
(Halder, 2014).<br />
© shutterstock<br />
Die sichtbaren Erscheinungsmerkmale bei Down-Syndrom sind (Eggers, et<br />
al., 2004; Hogenboom, 2010; Halder & Szczebak, 2011):<br />
• ein flaches Gesicht,<br />
• die mandelförmigen Augen mit einer nach oben hin schrägen Lidachse<br />
und weit auseinander stehenden Augen (Hypertelorismus),<br />
• eine Hautfalte am inneren Augenwinkel (Epikantus),<br />
• dysplastische Ohren (ungewöhnlich tief sitzende Ohren),<br />
• ein schmaler, hoher und zumeist spitzer Gaumen sowie eine große Zunge,<br />
• eine Vierfingerfurche,<br />
• ein großer Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Zehen (Sandalenlücke),<br />
• die anfangs stark verminderte Muskelspannung (schlaffe Muskulatur =<br />
muskuläre Hypotonie), später Muskelüberspannung (Muskelhypertonie),<br />
• ein auch häufig erhöhtes Körpergewicht.<br />
Medizinische Aspekte und empfohlene Untersuchungen bei Down-Syndrom<br />
innerhalb der ersten Lebenswochen (Reitter & Schlößer, 2008; Hogenboom,<br />
2010, Halder & Szczebak, 2011; Halder, 2012):<br />
• Chromosomenanalyse: Besteht nach der Geburt der Verdacht auf ein<br />
Down-Syndrom, so wird eine Chromosomenanalyse mittels Blut vom<br />
Neugeborenen durchgeführt, um die Anzahl der Chromosomen feststellen<br />
zu können (Erstellung eines Karyogramms). Darüber lässt sich das<br />
Bestehen eines Down-Syndroms bestätigen und die vorliegende Syndromform<br />
ermitteln.<br />
• Untersuchung der Schilddrüsenwerte: Eine angeborene Hypothyreose<br />
(Mangelversorgung der Körperzellen mit Schilddrüsenhormonen) kann<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike<br />
- - 11 - -
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
bestehen, weshalb eine entsprechende Untersuchung vorgenommen<br />
werden soll.<br />
• Blutuntersuchung zum Ausschluss/Nachweis von Leukämie (Blutkrebs).<br />
• Kinderkardiologische Untersuchung: 40 bis 50 % der Babys weisen einen<br />
angeborenen Herzfehler auf, der in den ersten Lebenswochen über<br />
eine Echokardiografie festgestellt werden kann.<br />
• Fehlbildungen und Störungen des Magen- und Darmtraktes (Darmverengung,<br />
Verschluss des Zwölffingerdarms, Verstopfung, etc.).<br />
• Untersuchung der Hüfte infolge des sehr schwachen Bindegewebes<br />
(Gefahr einer instabilen Hüfte, leichte Überstreckung der Gelenke etc.).<br />
Es empfiehlt sich eine Hüftsonographie im Rahmen der U2 Untersuchung.<br />
• Sehbeeinträchtigung: Eine augenfachärztliche Untersuchung innerhalb<br />
der ersten Lebenstage ist durchzuführen, um einen angeborenen Katarakt<br />
(grauer Star) rechtzeitig zu diagnostizieren; entsprechende Maßnahmen<br />
zur Vorbeugung einer möglichen Erblindung sind unmittelbar<br />
einzuleiten.<br />
• Hörbeeinträchtigung: Bei auffälligem Befund der OAE (otoakustische<br />
Emmissionen) sind eine Impedanzaudiometrie (Messung der Trommelfellbeweglichkeit)<br />
und eine Hirnstammaudiometrie (BERA) zum Ausschluss<br />
eines Paukenergusses bzw. einer angeborenen Innenohrschwerhörigkeit.<br />
• Kieferorthopädische Untersuchung: Häufig ist eine Hypotonie im Mundbereich<br />
gegeben, welche mittels gezielter Übungen der Mundmotorik<br />
verbessert werden kann (Förderung nach dem Castillo-Morales Konzept,<br />
Näheres dazu vgl. Kapitel 2.4.1).<br />
Weiterführende Untersuchungen im und ab dem ersten Lebensjahr finden<br />
Sie in der Broschüre „Medizinische Aspekte bei Down-Syndrom (mit<br />
Checklisten)“ (Halder & Szczebak, 2011).<br />
Eigenschaftsmerkmale bei Down-Syndrom (Eggers et al., 2004):<br />
• Hohe Kontaktfreudigkeit<br />
• Hohes Imitationsvermögen<br />
• Besonderes Interesse an Musik<br />
• Gutes Rhythmusgefühl<br />
• Ausgeprägte soziale Ader (hohe<br />
Empathie)<br />
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• Hohe Begeisterungsfähigkeit in der<br />
gemeinsamen Umsetzung von pädagogischen<br />
Maßnahmen<br />
- - 12 - -<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
1.3 Entwicklungsverläufe bei Kindern mit Down-Syndrom<br />
Im nächsten Abschnitt sollen die Entwicklungsbereiche bei Kindern mit<br />
Down-Syndrom skizziert werden. Begonnen wird mit der kognitiven Entwicklung,<br />
gefolgt von der Sprachentwicklung über die motorische Entwicklung<br />
bis hin zur Entwicklung des Sozialverhaltens.<br />
1.3.1 Kognitive Entwicklung<br />
Menschen mit Down-Syndrom verfügen über sehr viel mehr Fähigkeiten<br />
als es ihnen früher zugesprochen wurde. Die Entwicklung der Intelligenz<br />
erfolgt nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie bei Menschen ohne<br />
Beeinträchtigung, jedoch in einem verlangsamten Tempo. Mit einer gezielten<br />
Förderung können Menschen mit Down-Syndrom sprechen, lesen<br />
und schreiben lernen. Die intellektuelle Entwicklung eines Menschen ist<br />
nicht als statischer sondern vielmehr als dynamischer Prozess mit kontinuierlichem<br />
Verlauf anzusehen (Haveman, 2013). Das Ausmaß der intellektuellen<br />
Leistungsfähigkeit wird durch Intelligenztests bestimmt. Das Resultat<br />
wird in einem Intelligenzquotienten, dem sogenannten IQ, ausgedrückt,<br />
welcher das Leistungsniveau eines Kindes abbildet (Eggers et al., 2004).<br />
Kinder mit Down-Syndrom haben im Vergleich zu normentwickelten Kindern<br />
weniger Gehirnzellen und Verbindungen zwischen den Zellen; zudem<br />
sind neurologische Funktionsstörungen nachweisbar, welche die<br />
beeinträchtigte kognitive Entwicklung mit bedingen (u.a. Defizite der<br />
Informationsverarbeitung, Defizite der Informationsverarbeitung und des<br />
Kurzzeitgedächtnisses; Halder, 2014).<br />
Formen der intellektuellen Beeinträchtigung sind:<br />
• die leichte Intelligenzminderung (IQ von in etwa 65 bis 80):<br />
Ein Kind mit leichter Intelligenzminderung gilt als lernbehindert und kann<br />
in der Regel nach dem sonderpädagogischen Lehrplan beschult werden<br />
und später auch einer beruflichen Tätigkeit im Rahmen seiner Möglichkeiten<br />
und Kompetenzen nachgehen (Eggers et al., 2004).<br />
• die mittlere Intelligenzminderung (IQ von unter 60 bis 65):<br />
Bei Bestehen einer mittelgradigen Intelligenzminderung können Sonderschulen<br />
für praktische Bildbare (geistig Behinderte) besucht und später in<br />
geschützten Werkstätten gefördert werden. Eine soziale und wirtschaftliche<br />
Selbstständigkeit ist in der Regel nicht erreichbar (Eggers et al., 2004).<br />
• die schwere Intelligenzminderung (IQ zwischen 40 und 25):<br />
Die geistige Behinderung ist in einem beträchtlichen Ausmaß gegeben,<br />
sodass nur begrenzt sprachliche Verständigungs- und Ausdrucksmöglichkeiten<br />
genutzt werden können; einfachste Gewohnheiten wie die Nah-<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike<br />
- - 13 - -
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
rungsaufnahme, das Anziehen, der Gang auf die Toilette uvm. können<br />
über gezieltes Training angelernt werden (Eggers et al., 2004). In etwa 8 %<br />
der Menschen mit Down-Syndrom weisen eine schwere Intelligenzminderung<br />
gekoppelt an schwere körperliche Beeinträchtigungen auf (Halder,<br />
2014).<br />
1.3.2 Motorische Entwicklung<br />
Bei Kindern mit Down-Syndrom ist die motorische Entwicklung verzögert,<br />
das heißt sie erreichen verschiedene Meilensteine der motorischen Entwicklung<br />
später als andere Kinder. Beispielsweise lernen Kinder erst im<br />
Alter von 24 Lebensmonaten (bei einer Streuung von 13 bis 48 Lebensmonaten)<br />
eigenständig zu gehen, während das freie Gehen im Rahmen<br />
einer altersgemäßen Entwicklung um das erste Lebensjahr erfolgt (Sacks &<br />
Buckley, 2012). Als Ursachen für die Verzögerung sind die verminderte Körperspannung,<br />
die Überdehnbarkeit der Gelenke und/oder bestehende<br />
Gleichgewichtsstörungen zu nennen. Häufig eignen sich Kinder aufgrund<br />
dieser Probleme falsche Bewegungsabläufe an. Grobmotorische Aktivitäten<br />
wie etwa das Schwimmen, Radfahren, Tanzen uvm. können von<br />
Menschen mit Down-Syndrom problemlos ausgeübt werden, obgleich die<br />
Bewegungskoordination nicht so fein ausgeführt werden kann wie bei normentwickelten<br />
Menschen. Down-Syndrom Kinder haben weiter weniger<br />
Kraft in den Muskeln, welche gezielt mit Übungen aufgebaut wird. Bewegungen<br />
werden langsamer ausgeführt, ebenso sind längere Reaktionszeiten<br />
zu beobachten. Auch im Bereich der feinmotorischen Geschicklichkeit<br />
(Finger-/ Handgeschicklichkeit) können bestehende Schwierigkeiten<br />
mit gezieltem Üben und viel Geduld verbessert werden (Haveman, 2013,<br />
Halder, 2014, Sacks & Buckley, 2012). In der Sonderausgabe Leben mit<br />
Down-Syndrom wird umfassend auf die motorische Entwicklung von<br />
Down-Syndrom-Kindern und hilfreichen praktischen Tipps eingegangen<br />
(Deutsches Down-Syndrom-InfoCenter, 2012, 68-89).<br />
Folgende Fachpersonen stellen zum Aufbau/zur Festigung der motorischen<br />
Kompetenzen (u.a. Stärkung der Feinmotorik, Gleichgewicht, Koordination)<br />
Behandlungsangebote:<br />
Physiotherapeuten/innen, Ergotherapeuten/innen und Motopädagogen/innen<br />
(vgl. Kapitel 2.4.1).<br />
1.3.3 Sprachentwicklung<br />
Nicht alle Down-Syndrom Kinder entwickeln dieselben sprachlichen Kompetenzen.<br />
In etwa 80 % der Fälle ist die Sprachentwicklung infolge des<br />
„Leimohres“ (Ansammlung von Flüssigkeit im Mittelohr) von Geburt an<br />
erschwert. Die Kinder haben infolge der verzögerten Lautwahrnehmung<br />
- - 14 - -<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike
Kapitel 1.<br />
Fakten zum Down-Syndrom<br />
und -verarbeitung (Phonologie) insgesamt Schwierigkeiten Sprache zu erfassen<br />
(Halder, 2014).<br />
Die Sprech- und Sprachentwicklung zeigt Beeinträchtigungen im Rahmen<br />
der Lautbildung (Phonetik) und Artikulation. Betroffene können zwar Laute<br />
isoliert sprechen, lassen diese dann aber in Wörtern regelmäßig aus oder<br />
ersetzen sie durch andere. Die Ursache beruht hier auf Einschränkungen<br />
in der auditivkinästhetischen Erinnerungsgabe, also wie Lautfolgen produziert<br />
werden können (Haveman, 2013).<br />
Im Hinblick auf die Sprech- und Sprachentwicklung gibt es große individuelle<br />
Unterschiede: Zum einen können Kinder mit Down-Syndrom sehr<br />
schnell sprechen lernen oder sogar zweisprachig aufwachsen, zum anderen<br />
gibt es Kinder, die sehr schleppend Fortschritte innerhalb ihrer Sprachentwicklung<br />
durchlaufen; dies hängt auch von den Ausprägung des<br />
kognitiven Leistungspotentials ab. Folgende Fachpersonen stellen zum<br />
Aufbau und zur Festigung der kindlichen Sprechfertigkeiten (u.a. Stärkung<br />
der Mundmotorik, Aufbau phonetisch-phonologischer Kompetenzen) Behandlungsangebote:<br />
Logopäden/innen und Sprach(heil)therapeuten/innen (vgl. Kapitel 2.4.2).<br />
1.3.4 Soziale Entwicklung<br />
Kinder mit Down-Syndrom werden häufig als sehr freundlich, herzlich<br />
und sensibel beschrieben. Ihr Einfühlungsvermögen ist zumeist stark ausgeprägt,<br />
dennoch kann es wie bei allen Kindern zu Schwierigkeiten im<br />
sozialen Miteinander kommen. Diese Schwierigkeiten liegen in der verzögerten<br />
Sprech- und Sprachentwicklung sowie im verminderten Reaktionsvermögen<br />
begründet. Wenn ein Kind unabhängig von der Örtlichkeit, in<br />
der es sich gerade befindet (Zimmer, Flur, öffentlicher Platz usw.), in die<br />
Buddha-Haltung begibt, kann das auf eine Überforderungsreaktion des<br />
Kindes schließen lassen.<br />
Ein nicht zu vernachlässigendes Problem umfasst den Mangel an Sozialkontakten<br />
von betroffenen Familien. Es ist wichtig, Zeit mit unseren Mitmenschen<br />
zu verbringen, sich auszutauschen und von einander zu lernen.<br />
Erst wenn das Umfeld auf das Down-Syndrom hinreichend sensibilisiert<br />
und aufgeklärt ist, kann ein integrativer und inklusiver Umgang von Down-<br />
Syndrom Betroffenen in der Gesellschaft gelingen (Halder, 2014, Hogenboom,<br />
2010).<br />
Dillitz Marika & Kribernegg Kathrin Ulrike<br />
- - 15 - -
© shutterstock<br />
Das Leben ist kein Problem, das es zu lösen,<br />
sondern eine Wirklichkeit, die es zu erfahren gilt.<br />
(Gautama Buddha)
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Das Wichtigste für eine positive Entwicklung eines Kindes mit Down-Syndrom<br />
ist die liebevolle Annahme und Bindung an seine Familie. Die Einbindung<br />
unserer Kinder in Kindergärten, Schulen und in den Arbeitsmarkt unterstützt<br />
weiter den Erwerb und Ausbau wichtiger Kompetenzen, um Kinder und Jugendliche<br />
gut auf ein autonomes und selbstständiges Leben vorzubereiten.<br />
Kinder mit Down-Syndrom können erfolgreich schulische Fertigkeiten<br />
wie Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen, die gezielte Förderung der<br />
Kinder steht dabei im Vordergrund. Gezieltes und effektives Fördern heißt,<br />
die Qualität und das Ausmaß der Förderung einzuschätzen. Ein zu viel an<br />
Förderung kann unter Umständen den erwünschten Fortschritt hemmen,<br />
während auch ein zu wenig Förderung nicht zielführend ist. Es gilt dabei,<br />
ein individuellangemessenes Mittelmaß zu fi nden, das für Ihr Kind und auch<br />
für Ihre Familie gut passt. Prinzipiell kann und soll Förderung schon wenige<br />
Wochen nach der Geburt eingeleitet werden. Die Begabungen der Kinder<br />
sollen identifi ziert und gestärkt werden. Zumeist sind sie wahre Kommunikationstalente,<br />
die über hohe soziale Kompetenzen verfügen und oft auch sehr<br />
künstlerisch begabt sind (http://www.downsyndromzentrum.at/).<br />
2.1 KriterieN Zur BeurteiLuNG VoN tHerAPieN uND FÖrDerKoNZePteN<br />
Die Auswahl von Therapie- und Förderkonzepten sollte bestmöglich nach<br />
einer kritischen und refl exiven Haltung der Eltern, Pädagogen/innen und<br />
Therapeuten/innen erfolgen. Nach Wilken (2009) sind folgende Kriterien in<br />
den Auswahlprozess mit einzubinden:<br />
• Theoretisch begründete Konzepte, welche die Handlungsfähigkeit des<br />
Kindes erweitern, sind anderen Konzepten vorzuziehen.<br />
• Empfehlenswert sind Angebote, die dem Kind ermöglichen, nach seinen<br />
eigenen Interessen und Fähigkeiten zu handeln und dabei die individuellen<br />
Zeitbedürfnisse zu berücksichtigen.<br />
• Besonders förderlich sind hierbei Konzepte, die eine auf das Kind bezogene<br />
und familienorientierte Förderung ermöglich.<br />
• Jeder hat sein eigenes Entwicklungstempo; individuelle Erfolge und Erfahrungen<br />
im Einzelfall dürfen nicht verallgemeinert werden.<br />
Die Grunddevise lautet natürlich immer:<br />
Fördern und NICHT Überfordern!<br />
(Mag a . Ratheiser)<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid<br />
- - 17 - -
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Der Aufwand und die Einfl üsse der Therapien dürfen sich nicht belastend<br />
auf das Familienleben auswirken. Es ist abzuwägen, ob man von einem<br />
zeitintensiven und aufwendigen Programm nur kurzweilige Trainingseffekte<br />
erwarten kann oder ob dadurch ein nachhaltiger, positiver Nutzen für<br />
die kindliche Entwicklung erlangt wird (Wilken, 2009).<br />
2.2 FrÜHFÖrDeruNG<br />
Die Frühförderung bei Kindern mit Down-Syndrom ist wie bei Kindern ohne<br />
Down-Syndrom nach ihrer individuellen Entwicklung und ihren Lebensumständen<br />
ausgerichtet (Mosler, 2006). Durch Behandlungen und Therapien<br />
ist es möglich, förderliche Entwicklungsverläufe zu unterstützen. Das vielfältige<br />
Angebot erschwert oft, zwischen Evidenz basierten (nachgewiesen<br />
wirksamen) Programmen und wenig Erfolg versprechenden Maßnahmen<br />
zu unterscheiden.<br />
Kinder zeigen ein individuelles Entwicklungstempo, weshalb sich Erfahrungen<br />
am Einzelfall nicht ohne weiteres auf andere Kinder verallgemeinern<br />
lassen (Wilken, 2009).<br />
Einige Studien belegen die Wirksamkeit einzelner Frühfördermaßnahmen<br />
bei Kindern mit Beeinträchtigungen. Vor allem im Hinblick auf Kurzzeiteffekte<br />
erzielen Frühfördermaßnahmen konsistente Erfolge (Haveman,<br />
2013). Im nächsten Abschnitt werden ein Evidenz basiertes Frühförderprogramm<br />
und weiter ein Frühförderkonzept vorgestellt:<br />
Frühförderprogramm „Kleine Schritte“: Dabei handelt es sich um ein Programm,<br />
das Prinzipien zur Unterrichtung behinderter Kinder beinhaltet und<br />
aus insgesamt elf Büchern besteht. Zahlreiche, praktische Vorschläge zur<br />
Unterstützung von Eltern stehen im Vordergrund.<br />
Einige Grundprinzipien, die Havemann (2013) vertritt, sind die folgenden:<br />
• Auch Kinder mit eingeschränkten Fähigkeiten können lernen.<br />
• Kinder mit Down-Syndrom können dieselben Fertigkeiten erlernen wie<br />
alle anderen Kinder.<br />
• Die wichtigsten Lehrer/innen der Kinder sind ihre Eltern.<br />
• Bereits ab der Diagnosestellung soll eine gezielte Förderung beginnen.<br />
• Es gilt, gut durchdachte Lehr- und Einschätzungsmethoden in der Arbeit<br />
mit Kindern anzuwenden.<br />
• Es gilt weiter, die kindlichen und elterlichen Bedürfnisse an die Fördermaßnahmen<br />
anzupassen.<br />
Die Wirksamkeit des Programmes wurde überprüft und belegt. Unter anderem<br />
haben Eltern angegeben, gerne mit diesem Programm zu arbeiten;<br />
- - 18 - -<br />
AtioN<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
die Umsetzung der einzelnen Methoden in die Praxis wurde als geeignet<br />
bewertet. Zudem zeigt sich eine deutliche Verbesserung der kindlichen<br />
Entwicklung in den untersuchten Bereichen (Grobmotorik, Feinmotorik,<br />
rezeptive Sprache, expressive Sprache und persönliche und soziale Fähigkeiten<br />
überprüft; Haveman et al., 2005).<br />
mobile Frühförderung: Das Konzept der Mobilen Frühförderung wurde<br />
entwickelt, um Eltern in den ersten Jahren nach der Geburt ihres Kindes<br />
professionell zur Seite zu stehen. Dabei kommt zumindest ein Mal pro Woche<br />
ein/e Frühförderer/in (in der Regel eine Fachperson aus dem Bereich<br />
Sonderkindergartenpädagogik) in die Familie, unterstützt die Entwicklung<br />
des Kindes und stärkt auch die familiäre Situation. Der Aufbau einer stabilen<br />
Beziehung zum Kind ist gleichermaßen wichtig wie eine zusätzliche<br />
facheinschlägige, psychologisch-pädagogische Beratung für die Eltern<br />
(Schnoor, 2006).<br />
2.3 ABLAuF Der FrÜHFÖrDeruNG<br />
In der orientierungsphase erfolgt eine erste Kontaktaufnahme der Bezugsperson<br />
mit der Frühförderstelle, zumeist eine ambulante Einrichtung.<br />
Das Kind wird individuell erfasst, seine Stärken und Schwächen, Fähigkeiten<br />
und Bedürfnisse werden ermittelt. Dies bildet die Grundlage für die<br />
Planung angemessener und Maß geschneideter Therapiepakete. Die<br />
Frühförderung richtet sich mit ihrem ganzheitlichen Ansatz an die gesamte<br />
Familie (Wüllenweber et al., 2006). In der Frühförderung sind mehrere<br />
Berufsgruppen vertreten, welche die unterschiedlichen Entwicklungsbereiche<br />
des Kindes fördern. Typisch vertretene Berufsgruppen sind:<br />
• Kinderärzte/innen und andere Fachärzte/innen: Die Funktion des Kinderarztes<br />
liegt vor allem in der Diagnostik. Diese stellen unter anderem die<br />
Grundlage für die Planung der therapeutischen und pädagogischen Hilfen<br />
dar (Wild & Möller, 2014).<br />
Es wird die allgemeine, körperliche Entwicklung auf spezifi sche Funktionsstörungen<br />
hin untersucht. Ein besonderes Hauptaugenmerk wird dabei<br />
auf den Magen- und Darmtrakt und den Hormonhaushalt gelegt. Des<br />
Weiteren wird meist ein Immunsystemcheck und eine kieferorthopädische<br />
Diagnostik vorgenommen (Klinikum Niederberg GmbH, 2014; vgl.<br />
dazu Kapitel 1.2)<br />
• Psychologen/innen: Die Hauptaufgabe der Psychologen/innen umfasst<br />
das Ausmaß der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie die Beurteilung des<br />
sprachlichen und psychosozialen Entwicklungsstandes sowie der Wahrnehmungsfähigkeiten<br />
(Wild & Möller, 2014). Die Psychologen/innen bedienen<br />
sich in ihrer Arbeit standardisierten und nichtstandardisierten Verfah-<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid<br />
- - 19 - -
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
ren wie beispielsweise der Testbatterie für geistig behinderte Kinder (Wild<br />
& Möller, 2014).<br />
• Sozial- und Heilpädagogen/innen: Diese Berufsgruppe sollen Menschen<br />
mit Behinderung in der alltäglichen Lebensführung unterstützen. Es geht<br />
um den Aufbau persönlicher Kompetenzen mit dem Ziel ein möglichst hohes<br />
Maß an Selbständigkeit zu erreichen (Wild & Möller, 2014).<br />
• Verschiedene Therapeuten/innen: wie etwa Logopäden/innen, Ergotherapeuten/innen,<br />
Physiotherapeuten/innen; unter Einbezug von normierten<br />
Testverfahren und dem klinischen Eindruck wird der Entwicklungsstatus<br />
des Kindes ermittelt, Therapieziele festgelegt und je nach Bedarf<br />
eine eng- oder weitmaschige therapeutische Betreuung eingeleitet (Becker<br />
& Steding-Albrecht, 2006; Grimm, 2003).<br />
2.4 tHerAPie- uND FÖrDermÖGLiCHKeiteN FÜr KiNDer<br />
mit DoWN-SYNDrom<br />
Im Folgenden werden Therapie- und Fördermöglichkeiten im Bereich Motorik<br />
vorgestellt, es wird dabei auf unterschiedliche Konzepte Bezug genommen.<br />
Im Anschluss wird auch dem Sprachbereich Rechnung getragen, indem ausgewählte<br />
Therapieansätze im Überblick beschrieben werden.<br />
2.4.1 motoriK<br />
In den ersten Jahren nimmt das Kind seine Umwelt hauptsächlich über<br />
Bewegungen wahr. Im Rahmen der Förderung ist es wichtig, dem Kind<br />
Raum für Geborgenheit, Freude und Akzeptanz und vor allem auch Zeit<br />
zu geben. Kinder lernen durch das Wiederholen von Sequenzen am besten,<br />
über diesen Weg lernen sie ihren eigenen Körper kennen. Außerdem<br />
lernen sie, sich mitzuteilen, was für die weitere Entwicklung von großer Bedeutung<br />
ist (Mosler, 2006).<br />
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten zur Förderung der motorischen Kompetenzen.<br />
Ausgewählte und in der Praxis häufi g umgesetzte Behandlungen<br />
werden im nächsten Schritt behandelt:<br />
Physiotherapie und krankengymnastische Behandlung<br />
Viele Säuglinge bekommen eine krankengymnastische Behandlung. Die<br />
Physiotherapie ist bestrebt, die Eigeninitiative für Bewegungen und die<br />
gesamte Eigenaktivität des Kindes anzuregen, um so Selbstständigkeit<br />
herbeizuführen. Voraussetzend für nachhaltige Behandlungserfolge ist<br />
eine Umgebung, die ein ständiges Ausprobieren ermöglicht. Die Beweg-<br />
- - 20 - -<br />
AtioN<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
lichkeitsentwicklung soll gefördert und beschleunigt werden. Es empfi ehlt<br />
sich, geeignete Sitzhilfen und Bewegungshilfen in Absprache mit den Therapeuten/innen<br />
auszuwählen (Aly, 1997; Bundesministerium für Wirtschaft,<br />
Familie und Jugend: Elternbriefe Für Eltern von Kindern mit Behinderung).<br />
ergotherapie<br />
Das langfristige Ziel der Ergotherapie<br />
ist das Erreichen des maximalen<br />
Entwicklungsstandes, um<br />
die Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben zu ermöglichen. Hier<br />
kommt die gesamte Tragweite<br />
ergotherapeutischer Arbeit zum<br />
Tragen: motorisch-funktionelle<br />
Therapien, neuropsychologisches<br />
und neurophysiologisches Training,<br />
Selbstständigkeitstraining, Hilfsmittelerstellung<br />
und -anpassung,<br />
Wohnungsadaptierung, kreativhandwerkliche<br />
und gestalterische<br />
Tätigkeiten, Förderung im sozio-emotionalen Bereich und Angehörigenberatung.<br />
Dabei wird die Ergotherapie individuell auf das Kind und seine Bedürfnisse<br />
angepasst (Becker & Steding-Albrecht, 2006).<br />
Castillo-morales Konzept<br />
Dabei handelt es sich um ein ganzheitliches, neurophysiologisch orientiertes<br />
Behandlungskonzept. Zentrales Element ist der Respekt vor der Person<br />
und das Vertrauen in seine Fähigkeiten und Möglichkeiten. Die Haltung<br />
und Bewegung des Kindes soll unter Einbezug der Sinneswahrnehmung<br />
verbessert werden (Türk, Söhlemann & Rummel, 2012).<br />
© shutterstock<br />
Cranio-Sacrale therapie<br />
Die cranio-Sacrale Therapie umfasst ein Teilgebiet der osteopathie. Unregelmäßigkeiten<br />
oder Blockaden sollen erkannt und aufgelöst werden<br />
(Meissner, 2002).<br />
Heilpädagogisches Voltigieren<br />
Darunter versteht man akrobatisches Turnen auf einem galoppierenden<br />
Pferd. Diese Übungen sind allgemein für motorisch eingeschränkte Kinder,<br />
Jugendliche und Erwachsene sehr förderlich. Durch das heilpädagogische<br />
Voltigieren kommt es zum Auf- und Ausbau motorischer und<br />
sozialer Kompetenzen. Im Umgang mit Pferden erwerben Kinder ein Regelbewusstsein,<br />
lernen Konfl ikte zu lösen und Kompromisse einzugehen.<br />
Studienergebnisse weisen auf eine Verbesserung der sozio-emotionalen<br />
und motorischen Fähigkeiten hin (Schopper, n.d.). Nähere Informationen<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid<br />
- - <strong>21</strong> - -
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
fi nden Sie auf der Homepage für Therapeutisches Reiten in Österreich:<br />
http://www.oktr.at (Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend:<br />
Elternbriefe Für Eltern von Kindern mit Behinderung).<br />
tamo therapie<br />
Diese Methode dient der Behandlung von neurologischen und orthopädischen<br />
Bewegungsstörungen. Ziel der Therapie ist die Entwicklung von motorischen<br />
Bewegungsstrategien unter Berücksichtigung der vorhandenen<br />
Ressourcen. Bewegungen sollen kontrolliert ausgeführt und ausgebaut<br />
werden (Rosatti-Bonauer, n.d.).<br />
rota therapie<br />
Dies ist eine neurophysiologische Behandlungsart, bei der mit Hilfe einfacher<br />
Bewegungsübungen ein positiver Einfl uss auf die Muskelspannung genommen<br />
wird. Die Therapie hilft prophylaktisch einer förderlichen Tonusregulation.<br />
Durch gezielte Rotationsübungen werden im Gehirn, Bereiche aktiviert,<br />
welche für die Bewegung und Haltung verantwortlich sind. Muskeln werden<br />
dadurch harmonisch angespannt und entspannt (Bartel, n.d.)<br />
2.4.2 SPrACHe<br />
© shutterstock<br />
Die Kommunikation umfasst mehr<br />
als nur die verbale Sprache. Es<br />
bezeichnet alle Verhaltensweisen<br />
und Ausdrucksformen, mit denen<br />
wir uns anderen Menschen mitteilen<br />
können. Säuglinge und Kleinkinder<br />
teilen beispielsweise ihre<br />
Bedürfnisse durch Lautieren und<br />
Weinen ebenso durch ihre Körperhaltung,<br />
den Blickkontakt und<br />
Berührungen mit. Die sensorischen<br />
Fähigkeiten wie das Sehen, Hören,<br />
Fühlen, Riechen und Schmecken<br />
spielen in der Kommunikation von Kindern neben dem Gleichgewichtssinn<br />
und den Bewegungsempfi nden eine bedeutende Rolle (Wilken, 2005).<br />
Das wichtigste Ziel der Sprech- und Sprachförderung ist die Begeisterung<br />
für Sprechen (Sprechfreude) zu erhöhen und das Kind in seinen Ausdrucksmöglichkeiten<br />
zu bestärken (Szagun, 2006).<br />
Sprachtherapie<br />
Sprachtherapeuten/innen unterstützen Kinder im Erwerb der Sprache. Es<br />
wird nicht nur die Lautsprache erlernt, sondern auch nonverbale Kom-<br />
- - 22 - -<br />
AtioN<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
munikationsformen wie etwa Gestik und Mimik (Pollmächer & Holthaus,<br />
2005). Im weiten Sinne werden auch motorische, kognitive, soziale und<br />
emotionale Fähigkeiten gefördert, welche als Grundlage für die Sprachentwicklung<br />
gelten (Wilken, 2005).<br />
Logopädie<br />
Logopäden/innen behandeln Kinder mit Sprech- bzw. Sprachentwicklungsstörungen<br />
(u.a. Lautwahrnehmung, -bildung, Sprachverstehen, Wortschatz,<br />
Grammatik) sowie mit wie Stimm-, Schluck-, Kaustörungen, Stottersymptomatiken<br />
und/oder anderen Kommunikationsproblemen. Des<br />
Weiteren werden Saug-, Lippen-, Gaumen- oder Zungenabläufe trainiert<br />
und geschwächte Muskeln im Mundbereich gestärkt (Bundesministerium<br />
für Wirtschaft, Familie und Jugend: Elternbriefe Für Eltern von Kindern mit<br />
Behinderung; Meyer-Eppler, 2001; Pollmächer & Holthaus, 2005).<br />
Sprachförderung durch frühes Lesen<br />
Kinder mit Down-Syndrom können visuelle Reize besser aufnehmen und<br />
verarbeiten als auditive Reize. Diese visuellen Fähigkeiten bilden somit die<br />
Grundlage von Frühförderleseprogrammen. Erfahrungen zufolge können<br />
Kinder mit Down-Syndrom im Alter von drei bis vier Jahren einzelne Wörter<br />
lesen. Besonders wichtig sind hier kleine, klar gegliederte Lernschritte, um<br />
Enttäuschungen vorzubeugen; ein fehlervermeidendes Lernen und der<br />
Einsatz von Belohnungen zur Verstärkung von erwünschten Verhalten wird<br />
empfohlen (Wilken, 2008).<br />
Gebärdenunterstützte Kommunikation<br />
Zahlreiche Studien belegen die untersuchten Parallelen zwischen Laut<br />
und Gebärsprache. Ein Kind, das sich mit Gebärden verständigt, kann<br />
die erworbenen Grundprinzipien der Gebärsprache auf die gesprochene<br />
Sprache übertragen. Es lässt sich schlussfolgern, dass Kinder, die zuerst<br />
mit Gebärden kommunizieren, grundlegende sprachliche Kompetenzen<br />
erwerben. Sie müssen im nächsten Entwicklungsschritt nur den Übertrag<br />
dieser Prinzipien in die Sprachproduktion schaffen, dann steht dem freien<br />
Sprechen nichts mehr im Wege. Vielen Eltern erleichtern die Gebärden<br />
die Kommunikation mit ihrem Kind. Es entstehen dadurch auch weniger<br />
frustrierende Situationen. Nur wenige Kinder sind dauerhaft auf Gebärden<br />
angewiesen. Allgemein gibt es individuelle Unterschiede, wie schnell ein<br />
Kind Gebärden erlernt, mit dem Sprechen beginnt, seinen Wortschatz erweitert<br />
und morphosyntaktischen Fähigkeiten festigt (Satzbau, Verbbeugung<br />
usw.) (Grimm, 2003; Szagun, 2006; Wilken, 2005).<br />
tomatis<br />
Diese Therapieform wird als Horchtherapie bezeichnet und stellt eine Behandlungsmöglichkeit<br />
von Funktionsstörungen des Hör- und Gleichgewichtssystems<br />
dar. Das ohr erfüllt mehrere Aufgaben: Es nimmt Reize auf,<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid<br />
- - 23 - -
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
organisiert diese und leitet sie dann weiter. Somit liefert das ohr dem Nervensystem<br />
Energie und ist unter anderem verantwortlich für Körperspannung<br />
und Motorik. Dauerhafte Veränderungen der motorischen Kompetenzen,<br />
der Körperwahrnehmung, der Sprache, Kommunikation und<br />
Konzentration werden über diese Methode angestrebt (Wehmeyer, 2005).<br />
2.4.3 KoGNitioN<br />
Unter der kognitiven Entwicklung versteht man die Entwicklung aller Funktionen,<br />
die zur Wahrnehmung eines Sachverhaltes oder von Wissen benötigt<br />
werden. Die Förderung schließt Bereiche wie Kommunikation, Motorik,<br />
Selbstversorgung, Wohnen, Gesundheit und Sozialverhalten ein (Wild &<br />
Möller, 2014).<br />
In den ersten Lebensmonaten zeigen Kinder mit Down-Syndrom im Hinblick<br />
auf die kognitive Entwicklung kaum Unterschiede zu Kindern ohne<br />
Down-Syndrom. Der Unterschied wird erst mit zunehmendem Alter zusehends<br />
sichtbar (Sarimski, 2009). Die kognitive Entwicklung bei Down-Syndrom<br />
reicht von einer leichten bis schweren kognitiven Behinderung (vgl.<br />
Kapitel 1.3.1). Neben unterschiedlich individuellen Anlagen sind auch die<br />
Qualität der Förderung und/oder körperliche Einschränkungen wie beispielsweise<br />
ein angeborener Herzfehler entscheidend (Sarimski, 2014).<br />
Nach folgenden Förderungskonzepten wird in der Praxis gearbeitet:<br />
Ansatz nach montessori<br />
Eine Möglichkeit umfasst den Förderungsansatz nach Montessori. Mit Hilfe<br />
von „Sinnesmaterialien“ werden lebenspraktische Fähigkeiten und spezifi -<br />
sche Teilfunktionen gefördert. Unter Sinnesmaterialen versteht man das Lernen<br />
und Forschen über alle fünf Hauptsinne (Tastsinn, Geruchsinn, Sehsinn,<br />
Hör- und Geschmackssinn). Für die Förderung von kognitiven Fähigkeiten<br />
ist ein früher Förderbeginn wichtig. Intensive Frühförderprogramme erzielen<br />
einen stabilen Effekt auf die kognitive Entwicklung (Wild & Möller, 2014).<br />
Das Erlernen von Rechnen<br />
Rechnen bzw. der Rechenerwerb erfordert unterschiedliche Leistungen<br />
vom Gehirn unter anderem das Verstehen mathematischer Zusammenhänge,<br />
das Beibehalten (Gedächtnis) und auch ein gewisses Maß an<br />
Konzentration. Der Erwerb pränumerischer Fertigkeiten (Vorläuferfertigkeiten)<br />
sowie der Umgang mit Zahlen (Anwendung der Grundrechenarten)<br />
werden durch Visualisierung wesentlich erleichtert. Zum Beispiel können<br />
räumlich-visuelle Aufgaben und Rechenaufgaben mittels Zählen von Perlen<br />
auf einer Kette, Veränderung einer Kette von einem Halbkreis zu einem<br />
Kreis usw. erarbeitet werden (Wieser, 2004). Eine weitere Methode<br />
des Rechenerwerbs für Kinder mit Down-Syndrom stellt das „yes we can<br />
- - 24 - -<br />
AtioN<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
– Rechentraining“ dar. Dies ist eine spezielle Methode des Fingerrechnens,<br />
welche gezielt Vorläufer- und Rechenfertigkeiten trainiert wie etwa die<br />
Raumorientierung, welche unter anderen als Basis für das Rechnen gilt.<br />
Dieses Konzept beruht auf einem EU-Projekt unter der Leitung des Down<br />
Syndrom Zentrums „Leben Lachen Lernen“ (3×<strong>21</strong> Zentrum zur Förderung<br />
und Begleitung von Menschen mit <strong>Trisomie</strong> <strong>21</strong>).<br />
Lösungsorientiertes Verhaltenstraining<br />
Im lösungsorientierten Verhaltenstraining sollen Kinder erwünschte Verhaltensweisen<br />
langfristig einüben. Um einen nachhaltigen Effekt erzielen<br />
zu können, wird das Programm mit Hilfe von Videoanalysen umgesetzt,<br />
um sicherzustellen, dass sich positive Verhaltensweisen anstelle von Fehlverhalten<br />
eingestellt haben. Veränderungen in Gestik und Mimik lassen<br />
sich über die Videosequenzen gut identifi zieren. Ziel dieser Methode ist<br />
somit, ungünstiges Verhalten in ein positives Verhalten zu lenken und<br />
selbstgesteuertes Verhalten zu fördern (3×<strong>21</strong> Zentrum zur Förderung und<br />
Begleitung von Menschen mit <strong>Trisomie</strong> <strong>21</strong>: yes we can. Rechentraining:<br />
http://3x<strong>21</strong>.at/ywc/).<br />
2.4.4 PSYCHoSoZiALe KomPeteNZeN<br />
Psychosoziale Fertigkeiten sollen Kinder und Jugendliche befähigen, Anforderungen<br />
und Schwierigkeiten des täglichen Lebens selbst zu bewältigen<br />
und einen angemessenen Umgang mit Mitmenschen zu ermöglichen<br />
(Lohaus & Domsch, 2009).<br />
Kinder mit Down-Syndrom brauchen Zeit und Einfühlungsvermögen. Bei<br />
einer Überforderung reagieren Kinder mit Down-Syndrom sehr empfi ndlich,<br />
was zur Folge haben kann, dass sich andere Kinder - seien sie jünger<br />
oder älter - von ihnen abwenden. Häufi g sind die sozialen und emotionalen<br />
Fähigkeiten der Kinder mit Down-Syndrom sehr gut entwickelt, sie<br />
zeigen einen feinfühligen Umgang mit ihren Mitmenschen und können gut<br />
vereinbarte Regeln beachten und einhalten. Die Kinder schaffen es mit<br />
dieser Voraussetzung auch gut, sich in Institutionen wie integrativen Kindertagesstätten<br />
oder aber auch Regelkindergärten zurechtzukommen,<br />
solange die Gruppengröße überschaubar bleibt (Nentwich, 2014).<br />
Das Frühförderprogramm „Kleine Schritte“ gibt gute Impulse zur Integration<br />
von Kindern mit Down-Syndrom in Gruppenaktivitäten. Über das gemeinsame<br />
Musizieren, das gemeinsames Vorlesen von Geschichten oder<br />
das gemeinsame Spielen werden den Kindern Hilfestellungen gegeben,<br />
sich im Gruppengeschehen zurechtzufi nden (Haveman, 2013).<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid<br />
- - 25 - -
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Lernen über spielerische Aktivitäten bieten den Kindern folgende Vorteile<br />
(Haveman, 2013, S. 104):<br />
„Beim Spielen kann das Kind seine erlernten Fertigkeiten üben.<br />
Spielen hilft dem Kind, erlernte Fertigkeiten im Gedächtnis zu behalten.<br />
Beim Spielen lernt das Kind neue Möglichkeiten, seine Fertigkeiten anzuwenden<br />
(in einer anderen Umgebung, mit anderen Materialien).<br />
Beim Spielen lernt das Kind mit anderen zu interagieren (zuhören, sprechen,<br />
Dinge mit anderen teilen).<br />
Spielzeiten bieten die Gelegenheit, das Kind zu beobachten: Wendet<br />
es die erlernten Fertigkeiten an? Ist zusätzliche Unterstützung nötig?<br />
Spielzeiten bieten Gelegenheiten, dem Kind neue Fertigkeiten beizubringen,<br />
und eine angenehme Arbeitsumgebung.<br />
Spielzeiten geben dem Kind die Möglichkeit, seine Umgebung kennen<br />
zu lernen und zu erkunden.“<br />
Im Jugendalter erfährt vor allem die Vorbereitung auf das alltägliche Leben,<br />
insbesondere auf das spätere Arbeitsleben einen bedeutenden Stellenwert.<br />
Vor allem in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Freizeit und Sexualität<br />
benötigen Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom Unterstützung und<br />
sehr viel Aufklärung. Eltern und Fachpersonen sollen gemeinsam mit dem<br />
Jugendlichen überlegen, welche Möglichkeiten sich gut mit ihren Bedürfnissen<br />
und Wünschen realisieren lassen (z.B. fl exible Wohnangebote). Des<br />
Weiteren können Jugendliche und junge Erwachsene mit Down-Syndrom<br />
an Modellprojekten teilnehmen, um Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt<br />
zu erhalten (Lindmeier, 2001).<br />
Also ich habe schon immer wieder<br />
eine therapiefreie Zeit gemacht und<br />
diese Pause war auch für mich, nicht<br />
nur für sie…<br />
Und das Highlight, das haben wir seit heuer,<br />
wir machen Lifekinetik, also das ist der Hammer...für<br />
die Großen wie auch für die Kleinen<br />
super…bei den Lifekinetik-Stunden bin ich<br />
auch jedes Mal überrascht, was Katja alles<br />
schafft…<br />
(Mama von Katja)<br />
- - 26 - -<br />
AtioN<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid
KAPiteL 2.<br />
FRÜHFÖRDERUNG UND THERAPIEN<br />
BEI KINDERN MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Die abschließende Tabelle 4 beinhaltet wichtige Links zu Therapie- und Fördermöglichkeiten,<br />
Kinderbetreuungsangebote, Schul- und Wohnformen für<br />
Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom.<br />
tabelle 4. Links<br />
THEMA LINKS DETAILBEScHREIBUNG<br />
orientierungshilfe:<br />
Therapie- und Fördermöglichkeiten<br />
Unterschiedliche Kinderbetreuungsangebote<br />
Informationen rund um die<br />
Schule<br />
Wohnangebote<br />
www.besthelp.at<br />
www.kinderbetreuung.at<br />
www.schule.at<br />
www.cisonline.at<br />
www.bmukk.gv.at<br />
Kontakt mit der jeweiligen<br />
Bezirksverwaltungsbehörde,<br />
die über das bestehende<br />
Angebot informiert<br />
Bundesweiter Überblick<br />
über das Angebot von<br />
qualitätsvollen Therapien und<br />
Dienstleistungen<br />
Tagesmütter/Tagesväter<br />
Kinderkrippen<br />
Kindergruppen<br />
Kindergärten<br />
Rechtliche Informationen<br />
zu Ausmaß und Qualität der<br />
schulischen Integrationsmöglichkeiten;<br />
allgemeine<br />
Auskünfte zum Schulrecht;<br />
weitere Linksammlung<br />
Wohnformen wie etwa<br />
Kurzzeitwohnen<br />
Voll-/Teilbetreutes Wohnen<br />
Barrierefreies Wohnen<br />
Durch die Physiotherapeutin sind wir<br />
drauf aufmerksam gemacht worden,<br />
dass es einen Kindergarten gibt, wo sie<br />
alle Therapien bekommt. Also da hat sie ihre<br />
ganzen Therapien im Kindergarten, Physiotherapie,<br />
Logopädie und noch vieles mehr...“<br />
…weil nächstes Jahr ist dann Schuleinschreibung,<br />
da muss man sowieso hin, also in die<br />
Schule…und da kommt dann meistens eh eine<br />
her, die das Kind dann prüft, ob es schulreif ist<br />
oder nicht…Ich möchte schon, dass Hanna die<br />
Grundrechenarten kann und schreiben lernt.<br />
(Mama von Hanna)<br />
Kraner Marlene & Neuhold Verena Ingrid<br />
- - 27 - -
© shutterstock<br />
Die Menschen, denen wir eine Stütze sind,<br />
die geben uns Halt im Leben.<br />
(Marie von Ebner-Eschenbach)
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
Im nachstehenden Kapitel wird zum einen die familiale Rolle bei Kindern<br />
mit Down-Syndrom beleuchtet, zum anderen relevante und häufi g gestellte<br />
Fragen zu fi nanziellen und sozialrechtlichen Möglichkeiten beantwortet.<br />
3.1 Die roLLe Der eLterN<br />
Am Anfang sind (werdende) Eltern von der Nachricht, ihr Kind sei vom<br />
Down-Syndrom betroffen, sehr belastet. Viele Eltern befürchten, der neuen<br />
Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Phasen der Trauer, Wut und Schuldgefühle<br />
stellen sich häufi g ein.<br />
Entscheidend für eine positive Entwicklung des Kindes sowie der gesamten<br />
Familie ist der innerfamiliäre Umgang mit dem Down-Syndrom. Dieser<br />
sollte offensiv sein! Das credo lautet: Ich stehe zu meinem Kind und ich<br />
brauche rein gar nichts verheimlichen!<br />
Nur starke Eltern können starke und selbstbewusste<br />
Kinder großziehen, egal ob mit<br />
oder ohne Behinderung. Die tradierte Idee<br />
ist: Gute Eltern opfern sich auf! Die Realität zeigt jedoch:<br />
Gute Eltern berücksichtigen auch ihr eigenes<br />
Wohlbefi nden, um dem Kind Kraft geben zu können…<br />
(Mag. a Ratheiser)<br />
Besonders Mütter von Kindern mit Behinderungen sollten bestrebt sein,<br />
auch auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten und nicht nur auf die der<br />
Kinder und des Partners. Mütter werden in ihrem Alltag mit vielen Anforderungen<br />
überhäuft, die letztlich zu einer Überforderung führen können.<br />
Eine betroffene Mutter erzählt, wie sie ihren Alltag bewältigt: „Ich habe<br />
gelernt, mir bewusst Zeit für mich zu nehmen, in der ich sehr genau darauf<br />
achte, wie ich zu neuen Kräfte und zu mehr Lebensfreude komme. Ich<br />
habe die Erfahrung gemacht, dass mein Leben am besten klappt, wenn<br />
es mir gut geht. Davon profi tiere nicht nur ich selbst, sondern die ganze Familie.“<br />
(Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend: Elternbriefe<br />
Für Eltern von Kindern mit Behinderung, S.12)<br />
Väter von Kindern mit Behinderung nehmen im Leben ihrer Kinder eine<br />
sehr bedeutende Rolle ein. Die Beziehung zum Kind kann vor allem über<br />
Aktivitäten und Unternehmungen wie etwa dem gemeinsamen Fußballspielen,<br />
einem Radausfl ug zu zweit, das Bauen eines Baumhauses oder<br />
dem gemeinsamen Angeln aufgebaut und gestärkt werden. Ebenso<br />
übernehmen Väter in einem überdurchschnittlichen Ausmaß die fi nanzielle<br />
Brihac Petra & Holbura Diana<br />
- - 29 - -
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
Versorgung der gesamten Familie. Sie erleben ihre Berufstätigkeit häufi g<br />
auch als Stütze und Fels in der Brandung, wenn familiäre Herausforderungen<br />
das Leben erschweren. Väter, denen es gelingt, einen passenden<br />
Ausgleich zwischen Berufstätigkeit und einer aktiven und erfüllenden Vater<br />
und Partnerrolle zu fi nden, beschreiben diese neue Lebenssituation als<br />
zutiefst befriedigend und bereichernd (Hackenberg, 2008).<br />
Die Katja war eine, die hat als kleines Kind<br />
schon eingefordert, dass beim Essen alle<br />
da sein müssen und ich mein das bringt<br />
einer Familie so unheimlich viel... sie hat da schon<br />
Kultur rein gebracht, für sie ist es so wichtig, dass da<br />
alle da sind.<br />
(Mama von Katja)<br />
3.2 Die roLLe Der GeSCHWiSter<br />
Geschwister von Kindern mit Down-Syndrom müssen sich von klein auf mit<br />
der Tatsache auseinandersetzen, in einer anderen Familiensituation aufzuwachsen<br />
als viele ihrer Freunde/innen. Die besondere Rolle der Geschwister<br />
bleibt leider oft unbeachtet, sie prägt das Geschwisterkind jedoch<br />
nachhaltig. Das Kind mit Behinderung zieht einen sehr großen Teil der elterlichen<br />
Aufmerksamkeit und Energie auf sich. Geschwister stehen oft ungewollt<br />
im Hintergrund und spüren die Überbelastung der Eltern. Diese sind<br />
gefordert, ihre Kinder in ihrer besonderen Familiensituation zu unterstützen.<br />
Eine betroffene Mutter berichtet: „Tatsächlich gab es bei unserer zweitältesten<br />
Tochter Celine (9) dann wirklich hässliche Worte und Tränen in der<br />
Schule und wir waren nicht besonders gut auf diese Situation vorbereitet.“<br />
(Schneider, 2012, S.44).<br />
Sie haben als Familie gelernt, die schwierigen Situationen zu bewältigen,<br />
indem sie auf Hilfen zurückgreifen konnten. Beispielsweise las die Klassenlehrerin<br />
ihrer Klasse die Geschichte eines Babys vor, das mit Down-Syndrom<br />
…da hat schon einmal ein Bube gesagt:<br />
„Was willst du denn, du hast eine behinderte<br />
Schwester.“ Da hat die Katrin nur gesagt:<br />
„Wenn du meinst...“ ... der war das egal ... also die<br />
Geschwister sind immer zu ihr gestanden.<br />
(Mama von Hanna<br />
- - 30 - -<br />
AtioN<br />
Brihac Petra & Holbura Diana
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
zur Welt. celine hielt im Anschluss ein Referat über ihren Bruder Lennard;<br />
vor allem die dafür angefertigte Bildcollage kam bei den Mitschüler/innen<br />
besonders gut an. Weitere Erfahrungen können sie in den Elternbriefen für<br />
Eltern von Kindern mit Behinderung herausgegeben vom Bundesministerium<br />
für Wirtschaft, Familie und Jugend (bm wfi ) nachlesen.<br />
3.3 Die roLLe Der GroSSeLterN<br />
Großeltern reagieren auf die Nachricht, dass ihr Enkelkind das Down-Syndrom<br />
hat zumeist ähnlich wie die werdenden Eltern. Die Nachricht schockt.<br />
Allerdings kommt in der großelterlichen Wahrnehmung noch ein nicht unwesentlicher<br />
Aspekt hinzu...sie leiden nicht nur aus Sorge um das Neugeborene,<br />
sie leiden auch infolge des Schmerzes ihres eigenen Kindes.<br />
Ein Großvater erzählt folgendes über seinen empfundenen Schmerz:<br />
„Ich bin natürlich sehr besorgt über das Wohlergehen meines Enkelkindes,<br />
aber mein Herz zerbricht fast, wenn ich an meinen Sohn und meine<br />
Schwiegertochter denke, die dies nun durchmachen und nicht ganz normale<br />
Glücksgefühle, Eltern zu werden, ungetrübt erleben und genießen<br />
können.“(Deutsches Down-Syndrom Info-center, 2012, S.46).<br />
oft fühlen sich Großeltern und Eltern nicht in der Lage, miteinander über<br />
ihr Empfi nden zu reden. Man möchte sich gegenseitig nicht verletzen und<br />
schont sich. Doch ein ehrliches und offenes Gespräch miteinander über<br />
die neue, unerwartete Situation, hilft und schweißt die Familie zusammen.<br />
Viele Großeltern, welche die fi nanziellen Möglichkeiten und auch die nötige<br />
Freizeit haben, genießen die gemeinsame Zeit mit ihren Enkelkindern.<br />
Häufi g agieren Großeltern in einer entspannten Haltung, was sich positiv<br />
auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Das kostbarste, was Großeltern einem<br />
Kind schenken können, ist gemeinsame Zeit (Deutsches Down-Syndrom<br />
Info-center, 2012).<br />
Ferner ist es für Kinder mit Down-Syndrom von Bedeutung, auch außerhalb<br />
der Kernfamilie Bezugspersonen zu haben, an denen sie sich in ihrer<br />
Entwicklung orientieren können. Dies entlastet nicht nur die Eltern, sondern<br />
stärkt auch die Bindungsfähigkeit des Kindes und schafft Lernmöglichkeiten,<br />
um Beziehungen zu gestalten. Ebenso ist es für Eltern wichtig, dass<br />
sie sich mit anderen betroffenen Familien oder Fachpersonen regelmäßig<br />
austauschen und voneinander lernen. Realisieren lässt sich ein regelmäßiges<br />
Miteinander im Rahmen von Selbsthilfegruppen.<br />
Brihac Petra & Holbura Diana<br />
- - 31 - -
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
3.4 SeLBStHiLFeGruPPeN FÜr BetroFFeNe FAmiLieN:<br />
Was bieten Selbsthilfegruppen?<br />
Selbsthilfegruppen bieten eine Plattform zum Informations- und Erfahrungsaustausch<br />
von Betroffenen und Angehörigen. Sie dienen der praktischen<br />
Lebenshilfe und auch der gegenseitigen, emotionalen Unterstützung und<br />
Motivation. Eine wesentliche Erfahrung für Familien in Selbsthilfegruppen<br />
ist, sich mit den Herausforderungen nicht alleine zu fühlen und zu wissen,<br />
dass man mit jemanden über seine Sorgen, Erfahrungen, Freuden sprechen<br />
kann (http://down-syndrom.at).<br />
Folgende Kontaktadressen sind an dieser Stelle anzuführen (Tabelle 5):<br />
tabelle 5. Kontaktadressen für Familien mit Down-Syndrom<br />
KoNtAKtADreSSeN FÜr FAmiLieN mit DoWN-SYNDrom<br />
ÖSterreiCH:<br />
www.down-syndrom.at<br />
www.downsyndromzentrum.at<br />
www.selbsthilfe.at<br />
KärNteN:<br />
Verein Team t<strong>21</strong> Down-Syndrom<br />
Kontaktperson: Bettina Weidlitsch<br />
Email: team@t<strong>21</strong>downsyndrom.at<br />
Mobil: 0699/ 171 90 494<br />
www.t<strong>21</strong>downsyndrom.at<br />
SHG Down-Syndrom Kärnten:<br />
Kontaktperson: Sonja Stuppacher<br />
Email: sonja@stuppacher.net Mobil: 0699 11701228<br />
www.down-syndrom.at/ktn<br />
ZuSAtZANGeBote FÜr BetroFFeNe FAmiLieN:<br />
Stiftung Kindertraum:<br />
Tel. 01 585 45 16<br />
Fax 01 585 45 16-99<br />
kindertraum@kindertraum.at<br />
www.kidertraum.at<br />
urlaub speziell für Familien mit Kindern mit Behinderung:<br />
www.ibft.at<br />
Ansuchen auf Soforthilfe:<br />
Wichtig ist, dass alle Ansuchen schriftlich und mit vollständi-ger Adresse an den Verein<br />
„Licht ins Dunkel“ gestellt werden:<br />
„Licht ins Dunkel“<br />
Kramergasse 1, 1010 Wien<br />
Telefon: 01/533 86 88<br />
Fax: 01/533 99 55,<br />
Mail: offi ce@lichtinsdunkel.org<br />
lichtinsdunkel.orf.at<br />
Unterstützen Sie die Projekte mit Ihrer Spende! Nähere Informationen erhalten Sie auf den jeweiligen<br />
Homepages. Jeder Beitrag zählt!<br />
- - 32 - -<br />
AtioN<br />
Brihac Petra & Holbura Diana
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
„Grundsätzlich haben geistig Behinderte das gleiche Recht auf Partnerschaft,<br />
zärtliche Zuneigung und Sexualität wie geistig gesunde.“ (Egger et<br />
al., 2004, S. 716)<br />
Eine gemeinsame Aufklärung und gemischtgeschlechtliche Unterbringungen<br />
in stationären, teilstationären Einrichtungen und Wohnheimen für<br />
geistig Behinderte sind erstrebenswert. Unter Menschen mit geistiger Beeinträchtigung<br />
praktiziert sich Sexualität überwiegend durch sogenanntes<br />
„Petting“; die genitale Sexualität steht oftmals nicht im Vordergrund.<br />
© shutterstock<br />
3.5 umGANG mit SeXuALität, KoNtrAZePtioN uND SteriLiSAtioN<br />
Dennoch ist es wichtig umfassende Aufklärung vorzunehmen und sich<br />
Dennoch ist es wichtig umfassende Aufklärung vorzunehmen und sich<br />
auch über relevante rechtliche Sachlagen zu informieren beziehungsweise<br />
beraten zu lassen:<br />
Für die Sterilisation, ein operativer Eingriff zur Erlangung von Unfruchtbarkeit,<br />
beispielweise gilt in Österreich §87 und §90(2) des österreichischen<br />
Strafgesetzbuches, wonach der Eingriff nicht rechtswidrig ist, wenn der Betroffene<br />
einwilligt und der Eingriff nach dem 25. Lebensjahr vorgenommen<br />
wird. Bis zum vollendeten 19. Lebensjahr ist gegenwärtig eine Sterilisation<br />
mit Zustimmung der Eltern auch ohne gerichtliche Genehmigung möglich.<br />
Die Sterilisation geistig beeinträchtigter Menschen ist mit der Neufassung<br />
des Betreuungsgesetzes (§1905 BtG), das am 01.01.1992 in Kraft getreten<br />
ist, geregelt. Eine Sterilisation darf grundsätzlich nur mit Einwilligung des<br />
Betroffenen durchgeführt werden.<br />
Brihac Petra & Holbura Diana<br />
- - 33 - -
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
„Es ist absolut notwendig, vor dem geplanten Eingriff dem Behinderten<br />
Tragweite und Bedeutung der Sterilisationsoperation zu vermitteln und sich<br />
ein Urteil darüber zu verschaffen, ob und inwieweit der Betroffene in der<br />
Lage ist, das Besprochene auch wirklich zu verstehen. Ist dies der Fall, ist<br />
die Einwilligung oder Nichteinwilligung allein maßgebend für die Entscheidung,<br />
die Sterilisation durchzuführen oder nicht.“ (Egger et al., 2004, 716).<br />
Um einschätzen zu können, was der/die Betroffene tatsächlich will, bedarf<br />
es mehrerer, einfühlsamer Gespräche in längeren zeitlichen Abständen.<br />
Für diese Entscheidung braucht es ausreichend Zeit, Minderjährige dürfen<br />
keinesfalls sterilisiert werden.<br />
3.6 BeGutACHtuNG<br />
Pfl ege, Eingliederung, rechtliche Vertretung und Betreuung von Betroffenen<br />
gehören zu den allgemeinen Versorgungspfl ichten, die ärztlich begutachtet<br />
werden.<br />
Zur Feststellung der Pfl egebedürftigkeit wird eine Zuordnung des/der ärztlichen<br />
Begutachters/in zu verschiedenen Pfl egestufen vorgenommen. In<br />
Österreich gibt es eine Pfl egegeldregelung nach dem Bundespfl egegeldgesetz-BPGG<br />
von 1993, die eine Einordnung in sieben verschiedene Pfl e-<br />
gestufen vorsieht (Das Bundessozialamt, http://www.bundessozialamt.at).<br />
Das Ziel der Eingliederungshilfe besteht darin, geistig behinderten Menschen<br />
die Teilhabe an der Gesellschaft über Maßnahmen der Heilpädagogik,<br />
der Medizin und der allgemeinen Rehabilitation zu ermöglichen. In<br />
Österreich ist die Eingliederungshilfe nach den Sozialhilfegesetzen beziehungsweise<br />
auch in eigenen Landesbehinderten- oder Rehabilitationsgesetzen<br />
der Bundesländer geregelt.<br />
Die rechtliche Vertretung und Betreuung ist in Österreich im Bundesgesetz<br />
über die Sachwalterschaft für behinderte Personen verankert (Sachwaltergesetz<br />
1983).<br />
3.7 FiNANZieLLe uND SoZiALreCHtLiCHe FrAGeN<br />
Bereits nach Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom stellen sich für Eltern<br />
und Angehörige zumeist einige fi nanzielle, versicherungsrelevante und sozialrechtliche<br />
Fragestellungen.<br />
In der vorliegenden Broschüre sollen im folgenden Abschnitt die jeweiligen<br />
Unterstützungsangebote auf einen Blick dargestellt werden. Die Informationen<br />
beziehen sich überwiegend aus den nachstehend angegebenen<br />
Quellen:<br />
Das Bundessozialamt: http://www.bundessozialamt.at, das Bundesministerium<br />
für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz: http://www.bmask.<br />
gv.at, das Bundesministerium für Gesundheit: http://www.bmg.gv.at, das<br />
- - 34 - -<br />
AtioN<br />
Brihac Petra & Holbura Diana
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen: http://www.wien.gv.at<br />
und die behördenübergreifende Plattform: http://www.help.gv.at.<br />
erhöhte Familienbeihilfe (Kinderbeihilfe)<br />
Mit dem Zeitpunkt der Feststellung<br />
eines Down-Syndroms, kann der<br />
Antrag auf eine erhöhte Familienbeihilfe<br />
von 150 € beim zuständigen<br />
(Wohnsitz-)Finanzamt gestellt<br />
werden. Eine ärztliche Bescheinigung<br />
über den Grad der Beeinträchtigung<br />
wird anschließend<br />
über das Bundessozialamt ausgestellt.<br />
Die Voraussetzungen für den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe<br />
sind:<br />
• Der Grad der Behinderung liegt bei mindestens 50 Prozent.<br />
• Das Kind ist dauerhaft außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.<br />
Die erhöhte Familienbeihilfe wird bis zu fünf Jahren rückwirkend ausbezahlt,<br />
ein monatlicher Steuerfreibetrag wird dadurch ermöglicht. Wird<br />
zusätzlich zum Pfl egegeld die erhöhte Familienbeihilfe bezogen, so vermindert<br />
sich die erhöhte Familienbeihilfe in der Höhe des Pfl egegeldanspruchs.<br />
Nähere Informationen erhalten Sie hierfür beim Bundessozialamt<br />
(vgl. Kapitel 3.8 Kontaktadressen).<br />
© shutterstock<br />
Pflegegeld<br />
Rechtlich besteht mit Zeitpunkt der Geburt ein Pfl egegeldanspruch, wenn<br />
ein zusätzlicher Pfl egeaufwand von durchschnittlich mehr als 50 Stunden<br />
pro Monat notwendig wird. Sie erhalten je nach Pfl egebedarf ein entsprechendes<br />
Pfl egegeld. Der Pfl egegeldantrag wird formlos bei der Behörde<br />
eingebracht.<br />
Bei Kindern mit Beeinträchtigung lässt sich oftmals der erhöhte Pfl egeaufwand<br />
im Vergleich zu normentwickelten Kindern schwer einschätzen. Daher<br />
erweist sich das Führen eines “Pfl egetagebuchs“ als hilfreich. Darüber<br />
hinaus können Sie sich damit veranschaulichen, wann, wo und in welchem<br />
Ausmaß Ihr Kind in der Alltagsbewältigung Unterstützung und Hilfen<br />
benötigt. Weiter erleichtert eine schriftliche Dokumentation die Einstufung<br />
des individuellen Pfl egeaufwandes durch den ärztliche/n Begutachter/<br />
in. Vorgedruckte Pfl egetagebücher können Sie in unterschiedlichen Sozialberatungsstellen<br />
erhalten, ein kostenloses Pfl egetagebuch speziell für<br />
Kinder können Sie über die Lebenshilfe oberösterreich bestellen. Für die<br />
Einstufung von Kindern ab dem 15. Lebensjahr gelten dieselben Voraussetzungen<br />
wie bei Erwachsenen (Lebenshilfe oberösterreich, http://www.<br />
ooe.lebenshilfe.org).<br />
Brihac Petra & Holbura Diana<br />
- - 35 - -
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
Pflegekarenzgeld / Pflegeteilzeit (neu ab 01.01.2014)<br />
Bei plötzlich auftretendem Pfl egebedarf einer/eines nahen Angehörigen<br />
wird von der/m Arbeitgeber/in eine Pflegekarenz oder Pflegeteilzeit für eine<br />
Dauer von ein bis drei Monaten gewährt. Für Arbeitnehmer/innen mit privatrechtlichen<br />
Arbeitsverhältnissen, Bundes-, Landes- und Gemeindebedienstete<br />
und Bezieher/innen eines Arbeitslosengeldes oder einer Notstandshilfe gilt:<br />
• bei Pflegekarenz/Pflegeteilzeit ein Rechtsanspruch auf Pflegekarenzgeld.<br />
• für die Dauer des Bezuges eines Pflegekarenzgeldes ein Motivkündigungsschutz.<br />
• die Übernahme des Pensionsversicherungsbeitrages /Krankenversicherungsbeitrages<br />
durch den Bund.<br />
• dass eine Antragstellung erforderlich ist. Das Bundesamt für Soziales<br />
und Behindertenwesen entscheidet über die Gewährung, Entziehung<br />
oder Neubemessung eines Pfl egekarenzgeldes.<br />
Bei der Pfl egeteilzeit können Sie eine Reduktion der Arbeitszeit auf bis zu<br />
zehn Stunden pro Woche beantragen. Die Vereinbarung der Pfl egekarenz<br />
und der Pfl egeteilzeit mit zeitlicher Unterbrechung ist nicht zulässig.<br />
Das Pfl egekarenzgeld können Sie jedoch nicht länger als maximal zwölf<br />
Monate pro Pfl egebedürftigen in Anspruch nehmen.<br />
Selbstversicherung in der Pensionsversicherung<br />
Bei Pfl ege eines behinderten Kindes besteht die Möglichkeit einer freiwilligen<br />
Selbstversicherung in der Pensionsversicherung. Diese kann auch rückwirkend<br />
bis maximal zwölf Monate vor der Antragstellung abgeschlossen<br />
werden. Die Selbstversicherung kann bis maximal zur Vollendung des 40.<br />
Lebensjahres des Kindes von Ihnen in Anspruch genommen werden, wenn<br />
Sie für das im gemeinsamen Haushalt lebende beeinträchtigte Kind sorgen<br />
und daher keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können (Hauptverband der<br />
österreichischen Sozialversicherungsträger, http://www.hauptverband.at).<br />
Mitversicherung des Kindes in der Krankenversicherung<br />
Für gewöhnlich endet die Mitversicherung mit dem18. Lebensjahr des<br />
Kindes. Danach kann ein Antrag auf kostenlose Mitversicherung gestellt<br />
werden, wenn eine Erwerbsunfähigkeit auf Grund einer Beeinträchtigung<br />
oder Krankheit des Kindes besteht (Hauptverband der österreichischen<br />
Sozialversicherungsträger, http://www.hauptverband.at).<br />
Unterstützung bei Pflegebehelfe / Hilfsmittel<br />
Benötigte Pfl egebehelfe/Hilfsmittel (z.B. Sehhilfen, orthesen, Arbeitstisch)<br />
- - 36 - -<br />
AtioN<br />
Brihac Petra & Holbura Diana
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
© shutterstock<br />
werden nach Bedarf mit Antragsstellung,<br />
ärztlicher Befundung und<br />
Bewilligung von den Krankenkassen<br />
mit unterschiedlicher Kostenrückerstattung<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Ab dem vollendenden dritten Lebensjahr<br />
des Kindes können bei den<br />
Krankenkassen ebenso Inkontinenzprodukte wie etwa Windeln beantragt werden.<br />
Sie brauchen dazu einen Verordnungsschein von Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt,<br />
auf dem Bedarf und Behinderung bestätigt sind. Informieren Sie sich bei Ihrer<br />
zuständigen Krankenkasse nach dem genauen Prozentsatz der Kostenübernahme.<br />
Gebührenbefreiungen<br />
Treffen bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel ein geringes Einkommen zu,<br />
so haben Sie Anspruch auf Befreiung der Rezeptgebühr. Sie müssen zudem<br />
auch nicht das Service-Entgelt für die E-card entrichten. Diese Befreiung erhalten<br />
ausschließlich Personen aufgrund besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit.<br />
Hat jemand nicht von Gesetzes wegen Anspruch auf die Befreiung, so kann<br />
der Antrag beim zuständigen Krankenversicherungsträger gestellt werden.<br />
ob Sie Anspruch um Befreiung von der Fernseh- und Rundfunkgebühr haben,<br />
erfahren Sie unter der Service-Hotline: Gis 0810 00 10 80.<br />
unterstützung der mobilität<br />
Vom Bundessozialamt erhalten Sie Informationen für Voraussetzungen<br />
zum Erhalt von<br />
• möglichen Ermäßigungen für den öffentlichen Verkehr.<br />
• eine Rückvergütung der NoVA (Normalverbrauchsabgabe) und ein<br />
mögliches Kaufpreislimit.<br />
• die Befreiung der motorbezogenen Versicherungssteuer.<br />
• einen Parkberechtigungsausweis und<br />
• eine Gratisvignette.<br />
Sie können für den Ankauf eines PKWs bei Ihrer zuständigen Landesregierung,<br />
Ihrer Pensionsversicherung oder diversen Fonds nach finanzieller Unterstützung<br />
anfragen. Die Vorlage eines Behindertenpasses wird dafür vorausgesetzt.<br />
Steuerliche Absatzmöglichkeiten/Steuerliche Vergünstigungen<br />
Bei Bezug der erhöhten Familienbeihilfe haben Sie einen zusätzlichen<br />
Lohnfreibetrag. Außergewöhnliche Belastungen wie zum Beispiel den<br />
Selbstbehalt bei Pfl egegeldbezug, Kostenbeträge in Schulen oder Wohneinrichtungen<br />
und Werkstätten können Sie bei der Arbeiternehmerveranlagung<br />
geltend machen. Die steuerliche Absetzung der Mehrbelastung<br />
kann wahlweise als pauschaler Freibetrag oder durch Nachweis der tatsächlichen<br />
Kosten durchgeführt werden.<br />
Brihac Petra & Holbura Diana<br />
- - 37 - -
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
Steuerliche Absetzmöglichkeiten/Vergünstigungen wären:<br />
• Jährliche Pauschalbeträge<br />
• Freibeträge für Krankendiätverpfl egung<br />
• Freibetrag wegen Behinderung eines Kindes<br />
• Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen<br />
• Große Pendlerpauschale<br />
• Steuerbefreiung bei dauernder starker Gehbehinderung<br />
• Versicherungssteuer-Befreiung<br />
Als Nachweis für die Behinderung gilt unter anderem der Behindertenpass.<br />
Bei Behinderung unter 50 % stellt das Sozialministeriumservice einen abschlägigen<br />
Bescheid aus, in dem der Grad der Behinderung ersichtlich ist.<br />
unterstützungsfonds:<br />
Unterstützungsfonds übernehmen Leistungen für einmalige, behinderungsbedingte<br />
Ausgaben, unabhängig von der Ursache der Beeinträchtigung.<br />
Wenn ein Ereignis - insbesondere mit der Behinderung in Zusammenhang<br />
stehend - eintritt und dadurch eine soziale Notlage entsteht,<br />
gibt es Unterstützungsfonds, die rasch Hilfe leisten. Menschen wird Hilfe zur<br />
Verfügung gestellt, die noch nicht berufstätig sind (Kinder), nicht mehr im<br />
Erwerbsleben stehen oder sich aufgrund der Schwere der Behinderung nie<br />
3.8 HiLFreiCHe ANLAuFSteLLeN uND LiNKS (iN ALPHABetHiSCHer reiHeNFoLGe):<br />
AuSKuNFtSSYSteme iN ÖSterreiCH<br />
• Kärnten: Abteilung 4_Kompetenzzentrum Soziales<br />
http://www.sozialinfo.at<br />
• Behinderung • Gleichstellung • Selbstbestimmung • Persönliche Assistenz für behinderte Menschen<br />
http://www.bizeps.or.at<br />
BeHiNDerteN-ANWALtSCHAFt<br />
Beratung und Unterstützung von Personen, die sich im Zusammenhang mit einer Behinderung<br />
diskriminiert fühlen<br />
Telefon: 0800 808016 gebührenfrei (Mo-Fr: 8-12 Uhr)<br />
office@behindertenanwalt.gv.at | http://www.behindertenanwalt.gv.at<br />
BeHÖrDeNÜBerGreiFeNDe PLAttForm im iNterNet – AmtSHeLFer FÜr ÖSterreiCH<br />
Ein Wegweiser durch Ämter und Behörden – Amtswege leicht gemacht<br />
http://www.help.gv.at<br />
BuNDeSmiNiSterium FÜr WirtSCHAFt, FAmiLie uND JuGeND (Bm WFJ)<br />
• Familienbeihilfe • Kinderbetreuungsgeld • Elternbildung • Familienberatung<br />
• Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />
Franz-Josefs-Kai 51, 1010 Wien<br />
Familienservice Telefon: 0800 240 262<br />
Broschürenservice: http://www.eltern-bildung.at<br />
BuNDeSmiNiSterium FÜr ArBeit, SoZiALeS uND KoNSumeNteNSCHutZ (Bm ASK)<br />
• Pensionenversicherung • berufl iche Eingliederung von Menschen mit Behinderung<br />
• Pfl egevorsorge • Arbeitsmarkt • Arbeitsrecht • allgemeine soziale Fragen<br />
Stubenring 1, 1010 Wien<br />
Sozialtelefon: 0800 201 611 ( Fragen zur Behinderung)<br />
Pfl egetelefon: 0800 201 622 (Fragen zur Pfl ege) | Broschürenservice: 0800 202 074<br />
broschürenservice@bmask.gv.at | http://www.bmask.gv.at | http://www.pflegedaheim.at<br />
Plattform für pflegende Angehörige: http://www.hilfsmittelinfo.gv.at<br />
- - 38 - -<br />
AtioN<br />
Brihac Petra & Holbura Diana
KAPiteL 3.<br />
FAMILIE UND SoZIALES<br />
BuNDeSSoZiALAmt<br />
BuNDeSAmt FÜr SoZiALeS uND BeHiNDerteNWeSeN - SoZiALmiNiSteriumSerViCe<br />
• Behindertengleichstellung • Behindertenpass und Ausweis • Finanzielle Unterstützung •<br />
Dienstnehmer/innen • Kinder, Jugendliche und Studierende • Pfl ege • Gebührenbefreiung<br />
(Rezeptgebühr)<br />
Zentrale: Babenbergerstraße 5, 1010 Wien<br />
Telefon: 05 99 88 österreichweit zum ortstarif | Telefon: 05 99 88<br />
http://www.basb.gv.at | http://www.bundessozialamt.at | http://www.sozialministerium.at<br />
DACHVerBAND Der ÖSterreiCHiSCHeN BeHiNDerteNorGANiSAtioNeN<br />
• Selbstbestimmung, Barrierefreiheit und Gleichstellung<br />
Telefon: 0043 1 513 1533<br />
dachverband@oear.or.at | http://www.oear.or.at<br />
DACHorGANiSAtioN DoWN-SYNDrom ÖSterreiCH<br />
• Informationsplattform<br />
http://www.down-syndrom.at<br />
FAmiLieNBerAtuNG (KoSteNLoSe FAmiLieNSerViCe-HotLiNe:)<br />
0800 240 262 (Mo–Do: 9–15 Uhr)<br />
http://www.familienberatung.gv.at<br />
GiS GeBÜHreN iNFo SerViCe GmBH<br />
• Anfrage auf GIS-Gebührenbefreiung<br />
1051 Wien, Postfach 1000, Service-Hotline: 0810 001 080 (Mo-Fr: 8-<strong>21</strong> Uhr, Sa 9-17 Uhr)<br />
Kundendienst: 1040 Wien, Faulmanngasse 4 (Mo-Fr: 8-18 Uhr)<br />
gis.office@orf-gis.at | http://www.orf-gis.at<br />
HotLiNe FÜr ALLFäLLiGe FrAGeN Zum tHemA<br />
„GLeiCHSteLLuNG VoN meNSCHeN mit BeHiNDeruNGeN“<br />
iNterNetBiBLiotHeK<br />
gebührenfreie Hotline, telefon: 0800 331 1899<br />
zu den Themen: • Behinderung • Inklusion • Dokumentation<br />
http://www.bidok.at<br />
ÖSterreiCHWeiter ZiViLiNVALiDeNVerBAND (ÖZiV)<br />
• Interessensvertretung • Menschen mit Behinderung können ein selbstbestimmtes Leben führen<br />
Telefon: 0043 1 513 1535-0<br />
E-Mail: buero@oeziv.org | http://www.oeziv.org<br />
PLAttForm FÜr FAmiLieN mit KiNDerN mit BeHiNDeruNGeN<br />
• Informations-/Austauschplattform<br />
handicapkids@handicapkids.at | http://www.handicapkids.at<br />
VereiNe Zur uNterStÜtZuNG ruND umS KrANKe KiND<br />
• Beratung zu den Rechte kranker Kinder • Versicherungen<br />
Telefon: 0664 620 3040<br />
http://www.kib.or.at oder http://www.muki.com<br />
VerZeiCHNiS ÜBer FAmiLieNBerAtuNGSSteLLeN iN ÖSterreiCH<br />
kostenlosen Familienservice-Telefonhotline: 0800 240 262<br />
http://www.familienberatung.gv.at<br />
VerZeiCHNiS ÖSterreiCHiSCHeN SeLBStHiLFeGruPPeN<br />
http://www.selbsthilfe.at<br />
VoLKSHiLFe KärNteN<br />
• u.a. Alles rund ums Pfl egegeld<br />
Telefon: 0043 463 32 495<br />
vh@vhktn.at | http://www.volkshilfe.at/Pflegegeld<br />
Brihac Petra & Holbura Diana<br />
- - 39 - -
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
In Kapitel 4 soll das behandelte theoretische Wissen der vorangegangenen<br />
Abschnitte um persönliche Eindrücke und Erfahrungen betroffener<br />
Familien angereichert werden. Hierfür wurden Interviews durchgeführt,<br />
die darauf abzielen, Einblick in den familiären Alltag von Kindern mit<br />
Down-Syndrom zu gewähren.<br />
Der qualitative Zugang eignet sich besonders zur Erhebung sehr sensibler<br />
Themen; im Rahmen der Befragung bedarf es hier außerordentlicher Feinfühligkeit<br />
seitens der Interviewer/innen (Bortz & Döring, 2003).<br />
In der vorliegenden Studie wurde ein sorgfältiges und intensives Literaturstudium<br />
durchgeführt, das auch gleichzeitig die Erarbeitung relevanter<br />
Gesprächsbereiche vorbereitet. Im Sinne der Nachvollziehbarkeit sollen<br />
dem Leser/der Leserin die (methodische) Herangehensweise im Überblick<br />
erläutert werden (Mayring, 2003).<br />
4.1 DAteNerHeBuNG - DAS LeitFADeNiNterVieW<br />
Das Leitfadeninterview ist die gängigste Form mündlicher Befragungen,<br />
der Leitfaden bietet Strukturierung und somit auch ein gutes Gerüst für eine<br />
umfassende und vergleichbare Datenerhebung und -analyse. Der Leitfaden<br />
lässt ferner auch spontane Themen zu und steckt dennoch einen Rahmen<br />
ab, in dem sich das Gespräch bewegen soll (Bortz & Döring, 2003;<br />
Mayring, 2003).<br />
In Auseinandersetzung mit der Literatur ließen sich folgende inhaltliche<br />
Schwerpunkte in den Leitfaden einarbeiten: (Individueller/familiärer) Umgang<br />
mit der Diagnose, beanspruchte Förder- und Behandlungsmaßnahmen,<br />
institutioneller Werdegang, beanspruchte (soziale und fi nanzielle) Unterstützungsangebote<br />
und gesellschaftlicher Umgang mit Down-Syndrom<br />
(u.a. Leben mit Down-Syndrom, 2012; Bundesministerium für Wirtschaft, Familie<br />
und Jugend, Elternbriefe für Eltern von Kindern mit Behinderung).<br />
4.2. DAteNAuFZeiCHNuNG uND -VerArBeituNG<br />
Die Gespräche wurden im schriftlichen Einverständnis der befragten Personen<br />
mittels eines Tonbandgerätes aufgezeichnet. Die Audioaufzeichnung<br />
sichert maximalen Datengewinn (Bortz & Döring, 2003).<br />
Das aufgezeichnete Datenmaterial wurde in einem nächsten Schritt wörtlich<br />
transkribiert, also zu Papier gebracht. Durch wörtliche Transkription<br />
wird eine vollständige Textfassung des im Dialog erhobenen Materials<br />
hergestellt, dies bildet wiederum die Basis für eine ausführliche interpretative<br />
Auswertung. Im Zuge der Transkription wurde eine Übertragung von<br />
Dialektfärbungen ins Schriftdeutsch vorgenommen, um dadurch eine verständlichere<br />
Lesbarkeit zu erzielen (Bortz & Döring, 2003; Flick, et al., 2008).<br />
- - 40 - -<br />
AtioN<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
4.3 Die ZieLGruPPe<br />
Als Einschlusskriterien für potentielle Interviewpersonen wurden folgende<br />
festgelegt:<br />
• Die Eltern haben ein oder mehrere Kinder mit Down-Syndrom.<br />
• Ein Elternteil sollte biologische/r Mutter oder Vater sein.<br />
• Das Kind lebt zu Hause in der Kernfamilie und nicht in einer Institution.<br />
Auf Sonja S. wurde man über die Homepage der Selbsthilfegruppe Down-<br />
Syndrom in Kärnten (http://www.down-syndrom.at/ktn/) aufmerksam. Die<br />
Kontaktaufnahme erfolgte per E-Mail, ein Treffen wurde sogleich vereinbart.<br />
Barbara P. wurde über den Bekanntenkreis einer Interviewerin kontaktiert<br />
und um Mithilfe gebeten. Beide Mütter erklärten sich sofort für ein Interview<br />
bereit und gaben im schriftlichen Einverständnis an, dass die erhobenen<br />
Informationen in der vorliegenden Broschüre veröffentlicht werden dürfen.<br />
Interview mit Sonja S.:<br />
Mutter von zwei Kindern, einem Sohn (24jährig) und einer Tochter mit<br />
Down-Syndrom, die nun <strong>21</strong> Jahre alt ist. Die Familie lebt in der Stadt, die Eltern<br />
sind beide berufstätig und engagieren sich aktiv in Selbsthilfegruppe<br />
Down-Syndrom in Kärnten. Das Down-Syndrom ihrer Tochter wurde nach<br />
der Geburt festgestellt.<br />
Interview mit Barbara P.:<br />
Mutter von vier Kindern: zwei erwachsene Töchter, einem achtjährigen<br />
Sohn und einer sechs Jahre alten Tochter mit Down-Syndrom. Die Familie<br />
lebt am Land, der Vater ist berufstätig. Das Down-Syndrom ihrer Tochter<br />
wurde nach der Geburt festgestellt.<br />
4.4 iNterVieW mit SoNJA S.<br />
Unser „Sonnenschein“ Katja<br />
Der umgang mit der Diagnose<br />
Vor <strong>21</strong> Jahren kam die kleine Katja zur Welt. Erst nach der Geburt erfuhr<br />
die Mutter von der Diagnose „Down-Syndrom“.<br />
„Es war eigentlich schon… ja… da fällt man schon in ein tiefes Loch und<br />
zwar deshalb, weil man sich das Leben irgendwie anders vorstellt. Man<br />
hat ja so eine Lebensplanung: Das erste Kind und dann das zweite Kind<br />
und dann sind die Kinder größer und dann können wir als Eltern dies und<br />
jenes wieder machen…“<br />
Sonja bekam von ihrem Arzt alle wichtigen Informationen über das Down-<br />
Syndrom. Er gab Sonja den Mut, nicht aufzugeben. „Es bekommen schon<br />
die richtigen Leute solche Kinder…“, sagte er zu ihr.<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara<br />
- - 41 - -
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Sonja hat die Diagnose gut annehmen<br />
können, dennoch sagt sie heute: „Also<br />
normalerweise, sage ich einmal, wäre es<br />
gut, wenn man da gleich eine psychologische<br />
Betreuung bekommen würde, um<br />
auch so eine Trauerphase zulassen zu können,<br />
die habe ich leider ausgelassen.“<br />
Katja<br />
Sonja beschreibt ihre Tochter Katja folgendermaßen:<br />
„Sie war von Haus aus so ein<br />
Sonnenschein, also sie war immer schon<br />
unglaublich… also Menschen mit Down<br />
Syndrom sind einfach so.“<br />
Vor allem die Beziehung von Katja zu ihrem Bruder war von Anfang an<br />
etwas ganz Besonderes. „Die zwei waren ein gutes Team. Der Marc war<br />
immer unser bester Therapeut…“ Und Katja hat die Familie in jeder Hinsicht<br />
bereichert. Zu Hause in der Familie hat sie eine richtige Kultur reingebracht.<br />
„Die Katja war eine, die hat als kleines Kind schon eingefordert, dass beim<br />
Essen alle da sein müssen. Und ich denke, das bringt einer Familie so unheimlich<br />
viel…wo wird das heutzutage noch praktiziert?“.<br />
Was wurde alles unternommen?<br />
Laut Sonja ist es besonders wichtig, so früh als möglich das Kind zu fördern.<br />
Katja bekam Physiotherapie, Logopädie, Musiktherapie und aktuell macht<br />
sie Life Kinetik. Letzteres umfasst eine neue, lustige Trainingsform, welche<br />
das Gehirn mittels nicht-alltäglichen, koordinativen, kognitiven und visuellen<br />
Aufgaben fördert; es funktioniert nach dem Prinzip: Bewegungen ausführen,<br />
während das Gehirn zugleich gefordert wird! „Ich bin bei den Life Kinetik Stunden<br />
auch jedes Mal überrascht, was sie schafft, was sie da umsetzten kann.“<br />
Sonja kommentiert die beanspruchte Logopädie ihrer Tochter wie folgt:<br />
„Dann haben wir viel Logopädie gemacht...jetzt ist halt dann die Frage…<br />
war es die Therapie oder könnte sie auch so reden?…Katja redet so, dass<br />
sie auch von Fremden so halbwegs verstanden wird. Das ist ein großes<br />
Manko bei vielen, wo keine Logopädie gemacht wird, die werden teilweise<br />
nicht mal von ihren Eltern verstanden.“<br />
Katja wird weiter in sämtlichen Sportarten wie Skifahren und Schwimmen<br />
von ihrer Familie gefördert. „Es hat jeder seine Stärken, da muss man dann<br />
auch ein bisschen fördern, damit sie halt auch ihre Erfolgserlebnisse haben.<br />
Jeder hat so seine Talente!“<br />
Wichtig ist es aber, so Sonja, zwischen den Therapien Pausen einzulegen. „Also,<br />
die Therapie macht auch Stress. Ich habe schon immer wieder eine therapie-<br />
- - 42 - -<br />
AtioN<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
freie Zeit gemacht und diese Pause war auch für mich und nicht nur für Katja.“<br />
Herausfordernd bei all den Therapien und Empfehlungen ist es, Therapeuten/innen<br />
mit Kassenverträgen zu fi nden: „Gerade bei den Logopäden<br />
ist es so, wenn man da einen Kassenlogopäden haben will im ländlichen<br />
Raum, dann muss man mit ewigen Wartezeiten rechnen...Also, so in Klagenfurt<br />
gibt es eh schon recht viele, aber im ländlichen Bereich ist das<br />
eine Katastrophe.“<br />
institutioneller Werdegang<br />
Katja besuchte einen Montessori-Kindergarten und im Anschluss eine Montessori-Volksschule.<br />
Es war gottseidank nie ein Problem, einen Platz für Katja<br />
zu fi nden. „Ich werde nie vergessen, als die Volksschuldirektorin gesagt hat:<br />
Natürlich kann Katja hier zur Schule gehen, das ist doch unsere Aufgabe.“<br />
Katja besucht im Moment eine Institution, über die sie eine Anlehre zur Gärtnerin<br />
absolviert. Es wird darauf abgezielt, am „echten“ Arbeitsmarkt für sie<br />
mal einen Job zu fi nden, so Sonja. Dies gestaltet sich jedoch sehr schwierig.<br />
„Also ich war jetzt bei vielen Gärtnereien, hab dort angefragt, ob sie es<br />
sich vorstellen könnten... ja es sind sehr nette Gespräche, aber es ist einfach<br />
noch zu wenig Information da seitens der Arbeitgeber, wie das funktionieren<br />
kann, dass Leute mit Beeinträchtigung wirklich integriert werden<br />
können und auch wirklich teilhaben können an allem, was sie wollen.“<br />
unterstützungsangebote<br />
Um die Unterstützungsangebote müssen sich die Eltern selbst kümmern.<br />
Es gibt derzeit noch keine „Rundum-Anlaufstelle“, wo man hingehen und<br />
über alles hinreichend informiert wird: „Was aber vor allem für Leute, die<br />
sich bei solchen Dingen schwer tun, wichtig wäre. Weil alle Leute sind<br />
nicht so wie ich, die überall hinrennen und schauen, was es da alles gibt.<br />
Manche Leute gehen da wirklich unter.“<br />
„Es gibt keine soziale Unterstützung...Naja vielleicht bekommen Familien,<br />
die ein behindertes Kind bekommen, gleich Unterstützung im Krankenhaus...<br />
ich weiß das nicht.“<br />
Eine gute Anlaufstelle für Sonja ist die Selbsthilfegruppe für Down-Syndrom.<br />
„Ich sage einmal...wenn ein Betroffener sich an die Selbsthilfegruppe wendet,<br />
dann kann er alle Informationen hier bekommen. Er muss nur informiert<br />
sein, dass es diese Gruppe gibt.“<br />
umgang durch die Gesellschaft<br />
Katja wurde von Geburt an immer in die Gesellschaft integriert. Sonja: „Die Integration<br />
in die Gesellschaft läuft sehr gut, also das... da gibt es ganz selten...<br />
ganz, ganz selten blöde Bemerkungen von Anfang an hat es die nie gegeben.<br />
Also das ist...egal, wo wir hinkommen, ob ins Ausland, ins Mölltal oder<br />
Gailtal oder was weiß ich wohin, auf die Alm, Katja wird gut angenommen.“<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara<br />
- - 43 - -
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Wichtig hierbei ist vor allem die Öffentlichkeitsarbeit. „Ein großes Problem<br />
ist auch, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung keine Lobby haben.<br />
Die können nicht für sich selber reden, sie müssen es fast ausschließlich<br />
über ihre Eltern machen.“<br />
4.5 iNterVieW mit BArBArA P.<br />
Hanna – Der Sonnenschein in unserem Ort<br />
Der umgang mit der Diagnose<br />
Barbara erfuhr erst zwei Monate nach<br />
der Geburt, dass ihre jüngste Tochter das<br />
Down-Syndrom hat. „Das erste war schon<br />
Schock. Das ist klar, aber nachher hat es<br />
sich…nach einer Woche, war das schon<br />
egal. Mir wurde halt gesagt, du sollst offen<br />
damit umgehen und das Kind nicht verstecken.<br />
Das haben wir eh nie getan.“<br />
Hanna<br />
Umfassende Informationen über das Down-<br />
Syndrom bekam die Familie von einer Ärztin.<br />
„Ich habe eine gute Ärztin gehabt, die hat<br />
uns betreut und auch gesagt, was man tun<br />
kann mit ihr im Hinblick auf Therapien und so.“<br />
Eine Abtreibung wäre für Barbara nie in Frage gekommen, auch wenn<br />
sie es vor der Geburt gewusst hätte: „…ich fi nde Down-Syndrom ist kein<br />
Grund, dass du dein Kind abtreibst…wir würden Hanna nie mehr hergeben…<br />
weil sie sind ehrliche Leute, so anschmiegsam.“<br />
Das Leben der Familie mit den älteren drei Kindern hat sich durch Hanna<br />
nicht wesentlich verändert, sie wird nicht verwöhnt und zu ihr muss<br />
man sogar etwas strenger sein als zu den anderen, erzählt Barbara. Die<br />
Geschwister sind immer zu Hanna gestanden, da hat es nie Probleme<br />
gegeben.<br />
Was wurde alles unternommen?<br />
Hanna war gerade einmal zwei Monate alt, da bekam sie schon die<br />
Frühförderung, die sie bis zum Kindergarten erhalten hat. Auch die Physiotherapie<br />
war sehr wichtig für Hanna. „Als sie ein wenig älter war, gingen<br />
wir zur Logopädin. Zum Therapiereiten können wir heuer oder nächstes<br />
Jahr auch schon gehen, jetzt ist sie wohl bald groß genug (lacht).“<br />
Es war schwierig, eine speziell ausgebildete Physiotherapeutin am Land<br />
zu fi nden. „Zuerst haben wir eine Physiotherapeutin aus dem Nachbarort<br />
gehabt, die ist zu uns ins Haus gekommen. Aber die ist dann nach Wien<br />
- - 44 - -<br />
AtioN<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
gezogen. Ab da war es aber schon schwer, jemanden zu fi nden der spezialisiert<br />
auf die Behandlung von Kindern mit Down-Syndrom.“<br />
Auch wenn es auf dem Land schwerer ist passende Therapeuten zu fi nden<br />
als in der Stadt, war es für Barbara stets wichtig, dass Hanna in der Betreuung<br />
einer Therapeutin blieb, auch wenn die Familie dies zum Teil selbst<br />
fi nanzieren musste. „Sicherlich hätte ich in ein Kassenambulatorium mit ihr<br />
fahren können, aber da hätte sie nicht jedes Mal die gleiche Therapeutin<br />
gehabt. Und unsere Therapeutin war eine ganz liebe und die wusste dann<br />
auch genau, welche Fortschritte Hanna gemacht hat. Und die Hanna hat<br />
die Physiotherapie auch immer gerne gemacht.“<br />
Zu Hause werden die Übungen der Logopädin regelmäßig fortgesetzt,<br />
damit Hanna lernt, sich deutlich zu verständigen. Im Kindergarten haben<br />
sie ihr eine Zeit lang die Gebärdensprache beigebracht, aber dadurch<br />
wollte Hanna fast gar nichts mehr reden und kommunizierte ausschließlich<br />
über Gebärden. Daraufhin haben sie diese Maßnahme wieder fallen<br />
gelassen und konzentrieren sich ganz auf die Logopädie. Seitdem ist die<br />
Sprachentwicklung auch schon etwas weiter vorangegangen. Auch die<br />
Enkelkinder von Barbara unterstützen Hanna sehr in ihrer Sprachentwicklung:<br />
„…ich meine man erwartet schon mehr, vor allem wenn man sieht,<br />
wenn die Enkelkinder kommen und reden, da ist sie halt schon noch<br />
hinten nach. Die Kinder unterhalten sich komischerweise, die verstehen<br />
alles untereinander (lacht) ... aber die Kinder haben da schon ein anderes<br />
Empfi nden als wir. Meistens weiß ich auch was sie will, da ich sie gut<br />
kenne.“<br />
unterstützungsangebote<br />
Finanzielle Unterstützung für die Privattherapien gib es zum Glück von der<br />
Bezirksbehörde und den Krankenkassen. „Einen Teil der Therapiekosten<br />
bekomme ich von der BH zurück Ich hätte sogar für die Windeln alles<br />
zurück bekommen, aber das habe ich nicht in Anspruch genommen. Die<br />
Therapien die haben wir schon abgeschrieben und von der Krankenkasse<br />
haben wir auch einen Teil zurückbekommen. Und beim Jahresausgleich<br />
haben wir auch alles abschreiben können, also jede private Therapie.“<br />
Es ist schwierig einen Überblick über alle fi nanziellen Unterstützungsangebote<br />
zu bekommen, da man nicht hinreichend informiert wird. „Eigentlich<br />
erfährst du alles, wenn du Glück hast, von Dritte. Zuerst habe ich die<br />
Physiotherapeutin gehabt, von der habe ich viel erfahren, später dann<br />
im Kindergarten... aber so selber an Informationen zu kommen, von dem<br />
her, gibt es nicht viel Möglichkeiten ... außer du schaust im Internet nach.“<br />
institutioneller Werdegang<br />
Durch die Physiotherapeutin und einer Bekannten, die ebenfalls ein Kind mit<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara<br />
- - 45 - -
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Down-Syndrom hat, ist Barbara auf einen speziellen Kindergarten aufmerksam<br />
gemacht worden. Im Kindergarten bekommt Hanna alle Therapien,<br />
die sie braucht. „Ja sobald sie in den Kindergarten gekommen ist, haben<br />
wir nirgendswo mehr hinfahren müssen, weil sie alles vor Ort regelmäßig bekommt,<br />
von der Logopädie begonnen über Physiotherapie und vieles mehr.<br />
Es wird einem sehr viel vom Kindergarten abgenommen. Das ist super ja.“<br />
Barbara möchte, dass Hanna genügend Zeit für die Schuleinschreibung<br />
bekommt. Eine passende Schule hat sie für ihre Tochter mit Unterstützung<br />
des Kindergartens schon gefunden. Es ist der Mutter wichtig, dass Hanna<br />
nicht zu früh eingeschult wird. „Bevor Hanna nicht Sätze sprechen kann,<br />
sollte sie nicht in die Schule gehen. Ich möchte schon dass sie Grundrechnen<br />
und Schreiben kann. Hanna hat ja noch Zeit bis sie 8 Jahre ist, da muss<br />
sie spätestens eingeschult sein.“<br />
In Bezug auf die berufl iche Zukunft von Hanna wünscht sich Barbara, dass<br />
ihre Tochter soweit gefördert ist, dass sie mal im geschützten Rahmen ausgebildet<br />
wird und später vielleicht sogar einer berufl ichen Tätigkeit nachgehen<br />
kann, mit der sie selbst ein wenig Geld verdient.<br />
umgang durch die Gesellschaft<br />
In der Gesellschaft wird Hanna sehr gut aufgenommen. „Bei uns da ist das<br />
ganz normal. Sie haben immer gesagt, als sie noch klein war, dass sie der<br />
Sonnenschein in unserem Ort ist...“<br />
- - 46 - -<br />
AtioN<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Hanna mit den beiden Interviewerinnen Verena und Tamara<br />
Wir möchten uns ganz herzlich bei den beiden Familien für Ihre Offenheit<br />
und Ihr Engagement bedanken. Die Gespräche haben uns sehr beeindruckt!<br />
Sie zeigen uns am Beispiel Ihrer Familien, wie gut sich Ihre besondere<br />
Situation im Alltag meistern lässt. Seien Sie stolz auf sich!<br />
Wir sind sehr dankbar, dass wir Sie kennen lernen und in Ihre Geschichte<br />
eintauchen durften. Wir wünschen Ihnen auf ihrem weiteren Lebensweg<br />
alles Gute, viel Kraft und vor allem Gesundheit für Sie und Ihre Familien.<br />
Liebe Katja, liebe Hanna,<br />
Ihr seid zwei unfassbar liebenswerte und facettenreiche Menschen.<br />
Macht weiter so!<br />
Herzlichst<br />
Sabrina Fischer, Verena Hölbling & Tamara Urschitz<br />
in Stellvertretung für das gesamte Projektteam<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara<br />
- - 47 - -
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
unsere Aufgabenbereiche sind<br />
• Gespräche anbieten,<br />
• Kontakte pfl egen,<br />
• Informations- und Erfahrungsaustausch,<br />
• betroffene Eltern in schwierigen Situationen unterstützen,<br />
• organisation von Veranstaltungen, Seminaren und Workshops,<br />
• Kooperation mit Down-Syndrom Österreich.<br />
Wir wollen, dass<br />
• wertfreie Beratungsgespräche vor und nach pränataldiagnostischen<br />
Untersuchungen unter Beiziehung eines Psychologen/ einer<br />
Psychologinn stattfi nden.<br />
• bei Diagnose Down-Syndrom positive Informationen weitergegeben<br />
werden.<br />
• der Kontakt zur Selbsthilfegruppe schon im Krankenhaus beginnt und<br />
dass Informationsmaterial im Krankenhaus bzw. in Arztpraxen aufl iegt.<br />
• Inklusion in Krabbelstube, Kindergarten, Schule und Hort<br />
selbstverständlich wird.<br />
• integrative Berufsausbildung zum Standard wird, damit Arbeitsplätze<br />
am ersten Arbeitsmarkt möglich werden.<br />
• Menschen mit Down-Syndrom betreutes Wohnen ermöglicht wird<br />
bzw. Trainingswohnungen und auch Wohnungen mit Einzelbetreuung<br />
angeboten werden.<br />
• für Senioren mit Down-Syndrom passende Betreuungsmöglichkeiten<br />
geschaffen werden.<br />
Sonja Stuppacher<br />
0699/11701228<br />
Neckheimgasse 22/3<br />
9020 Klagenfurt<br />
sonja@stuppacher.net<br />
http://www.down-syndrom.at/ktn/<br />
- - 48 - -<br />
AtioN<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara
KAPiteL 4.<br />
INTERVIEWS MIT MÜTTERN VoN KINDERN<br />
MIT DoWN-SyNDRoM<br />
Verein team t<strong>21</strong> Down-Syndrom<br />
miteinander. Zeit für inklusion.<br />
Der Verein Team T<strong>21</strong> Down-Syndrom begleitet Familien mit Neugeborenen<br />
und Kindern mit Down-Syndrom sowie Jugendliche und Erwachsene<br />
mit Down-Syndrom rasch, konkret und unbürokratisch.<br />
• Wir unterstützen, beraten und informieren Angehörige:<br />
- Kinderbetreuung<br />
- schulische Ausbildung<br />
- berufl iche Qualifi kation<br />
• Wir vernetzen Menschen mit Down-Syndrom und deren Familien.<br />
• Wir tauschen uns untereinander aus.<br />
• Wir arbeiten mit Institutionen und ExpertInnen zusammen:<br />
- Unterstützungen<br />
- Förderungen<br />
- Therapien<br />
• Wir veranstalten Familientreffen, Ausfl üge, Feste, usw.<br />
• Wir organisieren Vorträge, Seminare und Workshops.<br />
• Wir leisten Öffentlichkeitsarbeit.<br />
• Wir glauben an ein selbstbestimmtes Leben für alle.<br />
• Wir leben miteinander, wir leben Inklusion.<br />
Wir tuN WAS Wir KÖNNeN – LerNeN Sie uNS KeNNeN!<br />
Bettina Weidlitsch, BA<br />
0699/ 171 90 494<br />
team@t<strong>21</strong>downsyndrom.at<br />
www.t<strong>21</strong>downsyndrom.at<br />
Fischer Sabrina, Hölbling Verena & Urschitz Tamara<br />
- - 49 - -
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
Die Erstellung einer qualitätsvollen Informations- und Aufklärungsbroschüre<br />
stellt insgesamt viele Anforderungen an die Herausgeberschaft. Eine<br />
dieser Herausforderungen umfasst den Einbezug von professionellen Meinungen<br />
und Erfahrungen zum Thema Down-Syndrom. Diesem Anspruch<br />
wird man gerecht, indem man hinaus geht ins „Feld“ und das Thema aus<br />
verschiedenen, praxisnahen Blickwinkeln erfasst.<br />
Auf der einen Seite sind es die betroffenen Familien selbst, die man zu<br />
ihrem subjektiven Erleben und Erfahrungen befragen kann, auf der anderen<br />
Seite sind es die Fachpersonen, die objektiv über Erfahrungen und<br />
Eindrücke in der Betreuung von Menschen mit Down-Syndrom und ihren<br />
Angehörigen berichten können.<br />
Für die Befragung mit Fachpersonen wurde als geeignete Interviewform,<br />
analog zu den Familieninterviews, das Leifadeninterview genutzt.<br />
Im Folgenden soll auf den Ablauf der vorliegenden Befragung Bezug genommen<br />
werden.<br />
5.1 DAteNerHeBuNG - DAS LeitFADeNiNterVieW<br />
Der Einsatz eines Leitfadens im Rahmen der Expertenbefragungen begründet<br />
sich gleichermaßen wie in den Familieninterviews (vgl. Kapitel 4.1).<br />
Der Leitfaden für die Expertenbefragung wurde theoriegeleitet erarbeitet,<br />
dieser beinhaltet wichtige Themenbereiche, welche in zusammengefasster<br />
Form nachstehend in die Broschüre Einzug fi nden.<br />
5.2 Die DAteNAuFZeiCHNuNG uND -VerArBeituNG<br />
Die Gespräche wurden im schriftlichen Einverständnis der beiden befragten<br />
Fachpersonen mittels eines Tonbandgerätes aufgezeichnet. Das Procedere<br />
orientiert sich analog zu dem, welches im Rahmen der Familieninterviews<br />
verfolgt wurde (vgl. Kapitel 4.2).<br />
5.3 Die ZieLGruPPe<br />
Die Zielgruppe umfasst also Fachpersonen, die nach absolvierter, facheinschlägiger<br />
Berufsausbildung in einem helfenden Beruf - insbesondere<br />
in der Beratung und Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen -<br />
tätig sind.<br />
Die Recherchen wurden unter Berücksichtigung der Einschlusskriterien vorgenommen,<br />
eine Aufl istung potentieller Kontaktpersonen wurde dabei erstellt.<br />
Unter anderem wurden im nächsten Schritt Mitarbeiterinnen der Familienberatungsstelle<br />
Integration : KÄRNTEN – Ungehindert Behindert per<br />
E-Mail kontaktiert ebenso Mitarbeiter/innen der Institution autArK Kärnten.<br />
- - 50 - -<br />
AtioN<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
In beiden Institutionen stieß man auf hohe Bereitschaft, die vorliegende<br />
Befragung zu unterstützen. Näheres zu den beiden Institutionen entnehmen<br />
Sie den Homepages: http://www.betrifftintegration.at, http://www.<br />
autark.co.at<br />
Nach telefonischer Terminfi xierung wurden die Gespräche in den jeweiligen<br />
Institutionen durchgeführt.<br />
integration : Kärnten – ungehindert Behindert<br />
Frau Mag. a Kirsten Ratheiser, Psychologin und Elterncoach, ist als Familienberaterin<br />
in Klagenfurt tätig und gibt als Arbeitsschwerpunkt die psychosoziale<br />
Prozessbegleitung von (werdenden) Eltern bei Geburts- und<br />
Diagnoseproblematik an. Frau Mag. a Ratheiser erklärte sich sofort für ein<br />
Interview bereit. Dieses wurde in der Niederlassung der Familienberatungsstelle<br />
INTEGRATIoN : KÄRNTEN in Klagenfurt durchgeführt.<br />
autArk KärNteN:<br />
Weiter wurde autArk KÄRNTEN kontaktiert. Herr Mag. christian Spitaler,<br />
Fachbereichsleiter in Klagenfurt, stellte sich gerne für eine Befragung zur<br />
Verfügung. autArk KÄRNTEN arbeitet vor allem an der Schnittstelle Schule<br />
und Beruf und ist im Bereich des Jugendcoachings und der Berufsausbildungsassistenz<br />
verankert.<br />
5.4 DAS iNterVieW mit FrAu mAG. A KirSteN rAtHeiSer<br />
Frau Mag. a Kirsten Ratheiser ist als Psychologin bei Integration<br />
: Kärnten in beratender Tätigkeit eingestellt.<br />
Das Interview beinhaltet die Erarbeitung von relevanten<br />
psychologischen und auch fi nanziellen sowie sozialrechtlichen<br />
Aspekten. Frau Mag. a Ratheiser stützt<br />
sich in der Beantwortung auf ihre Erfahrungen aus der<br />
alltäglichen Berufspraxis.<br />
Eine der wohl wichtigsten Fragen, welche uns Frau Ratheiser<br />
gleich zu Beginn des Interviews beantworten konnte, umfasst die<br />
Ausgangssituation betroffener Eltern: „<strong>Trisomie</strong> <strong>21</strong>, und was nun?“<br />
Zeitpunkt der Diagnosestellung<br />
Betroffene Eltern sind mit der außergewöhnlichen Situation konfrontiert,<br />
dass ihr ungeborenes oder bereits geborenes Baby etwas sehr Besonderes<br />
ist. Die Frage lautet: „Wie können sie damit umgehen?“<br />
„Das ist eine der vielen Fragen…So individuell und verschieden die Angehörigen<br />
sein können, so unterschiedlich sind auch ihre Zugänge“, so Frau Ratheiser.<br />
Angefangen von werdenden Eltern, die kurz vor dem völligen Zusammen-<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred<br />
- - 51 - -
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
bruch stehen, weil sie sich dieser Aufgabe kaum gewachsen fühlen, über<br />
Erziehungsberechtigte, die sich der bevorstehenden Herausforderung wenig<br />
bewusst sind, bis hin zu Mamas und Papas, die ihr ungeborenes Kind<br />
schon voll und ganz in ihr Herz geschlossen haben und dies mit liebevollen<br />
Kosenamen zum Ausdruck bringen.<br />
Vor allem sind es aber oft jüngere Eltern, die einen sehr refl ektierten und<br />
überaus aufgeklärten Umgang mit ihrer Situation praktizieren. Als wäre die<br />
Tatsache, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, völlig normal…was<br />
es - nebenbei gesagt - ja eigentlich auch ist!<br />
Im Rahmen einer professionellen Begleitung in der Anfangszeit gibt es kein<br />
standardisiertes Procedere, das der Fachmann/die Fachfrau einhalten kann.<br />
In psychologisch-beratenden Gesprächen lässt man zuerst mal die Betroffenen<br />
von sich erzählen und analysiert zugleich, wo die Familie steht und<br />
was sie braucht. Hauptaugenmerk legt Frau Ratheiser dabei auf das Publikmachen<br />
ihrer besonderen Situation, vor allem in ihrem sozialen Umfeld.<br />
Es gilt hier einzuschätzen, ob dies bereits erfolgt ist oder ob die Familie auf<br />
dem Weg des öffentlich Machen, was für Betroffene als sehr entlastend<br />
erlebt wird, Unterstützung braucht. Frau Ratheiser berät die Familien, worauf<br />
diese generell achten müssen und wie sie sich am besten auch schützen<br />
können. Häufi g berichten Eltern in ihrer Beratungsstelle, dass sie durch<br />
andere Menschen, Mitbürger, entweder angestarrt oder auch völlig ignoriert<br />
werden. Beides ist nachvollziehbar. „… manche Eltern stört es, dass<br />
ihre Kinder angesehen beziehungsweise angestarrt werden und andere<br />
wiederum stören sich an der Tatsache, dass offensichtlich weggeschaut<br />
wird…wir leben nun mal in einer Gesellschaft, die auf wenig Erfahrungswissen<br />
im Umgang mit Menschen mit Behinderung zurückgreifen kann.“<br />
Der Appell nach verstärkter, gesellschaftsorientierter Sensibilisierung- und Aufklärungsarbeit<br />
wird an dieser Stelle laut. Leider gibt es nicht „das Allheilmittel“,<br />
mit dem sich derart schwierige Situationen für Betroffene lösen lassen.<br />
Die Expertin meint zudem, dass der subjektiv-erlebte Stress und dessen Umgang<br />
einen sehr hohen Einfl uss auf das kindliche Wohlbefi nden nehmen<br />
können:<br />
„Wenn ich gestresst bin, bin ich keine entspannte Mutter und kein entspannter<br />
Vater und wenn ich nicht entspannt bin, kann sich auch mein<br />
Kind nur begrenzt entspannen. Ganz viele Stresskomponenten verbergen<br />
sich vor allem im Noch-Nicht-Wissen beziehungsweise Begreifen: Habe ich<br />
alle Diagnosen abgeholt? Habe ich etwas Wichtiges vergessen? Was bedeutet<br />
das jetzt für mein Kind konkret?“<br />
Fakten bleiben Fakten, nicht mehr und nicht weniger, so Frau Ratheiser.<br />
Fakten sind zwar oft schwer auszuhalten, aber man kann zumindest damit<br />
arbeiten, wenn man sich ihnen stellt: „Unsere Fantasie ist oft viel wilder als<br />
die Tatsachen!“ Ein Teil der Stressbewältigung umfasst weiter das gemeinsame<br />
Erarbeiten von Fragestellungen: „Was will beziehungsweise muss ich<br />
noch wissen und an wen kann ich meine Fragen richten?“. Beispielsweise<br />
kann man mit der Geburt nicht sicher sagen, ob das Kind sprechen lernt<br />
- - 52 - -<br />
AtioN<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
oder ab wann es zu sprechen beginnt. Aber man kann unter anderem<br />
schon sehr früh abklären lassen, ob die Herzversorgung intakt ist, ob die<br />
Schilddrüsenwerte passen, ob das Blutbild passt und vieles mehr (vgl. Kapitel<br />
1.2.1). Wichtig ist es, gemeinsam mit den Eltern Fragen zu formulieren<br />
und zu überlegen, wer hier die Ansprechpersonen sein können.<br />
therapieangebot<br />
Das Angebot ist sehr groß, was Eltern in erster Linie auch stark überfordern<br />
kann, so die Expertin.<br />
„Die Grunddevise lautet natürlich immer: Fördern und NICHT Überfordern!<br />
Nicht selten lassen sich Eltern von der Haltung leiten: Wenn wir nur ausreichend<br />
fördern, wird alles gut. Und das wiederum macht den Eltern zusätzlichen<br />
Druck, weil sie drei bis vier Mal in der Woche zu irgendwelchen<br />
Therapien laufen müssen. Das bedeutet, dass die ganze Familie im Dauerstress<br />
ist. Und aus der Lerntheorie wissend führt ausschließlich lustvolles<br />
Lernen anstelle von Stress- oder Angstlernen zum Erfolg.“<br />
Hier kann nur individuell an die Sache herangegangen werden. oft ist<br />
genau jene Therapieform, auf die das Kind gut anspricht, sehr entwicklungsförderlich,<br />
was aber im Umkehrschluss nicht bedeuten soll, dass auch<br />
andere Therapien, in denen sich der Zögling anfangs noch schwer tut,<br />
dem kindlichen Wohlbefi nden und dessen Entwicklung förderlich sind. “…<br />
Wichtig ist weiter, einen Arzt zu fi nden, dem man vertraut. Es braucht eine<br />
Vertrauensbasis, damit man die sinnvollen, nächsten Schritte offen und<br />
ehrlich diskutieren kann.“<br />
Es soll und darf von den Eltern genau hinterfragt werden, welche Ziele die<br />
Therapie verfolgt, wie die Erfolge aussehen können und wie die jeweiligen<br />
Therapiekonzepte von anderen betroffenen Kindern und Familien eingeschätzt<br />
und umgesetzt werden. Hierfür bietet sich auch der Austausch in<br />
Selbsthilfegruppen an.<br />
Starke Familien – starke Kinder<br />
Frau Ratheiser: „Nur starke Eltern können starke selbstbewusste Kinder großziehen,<br />
egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung. Die tradierte Idee beinhaltet:<br />
Eine gute Mutter oder ein guter Vater opfert sich auf…Die Realität zeigt<br />
hingegen: Eine gute Mutter oder ein guter Vater schaut, dass sie/er wirklich<br />
in der Kraft ist und Reserven nicht unnütz verbraucht werden. Das heißt,<br />
auch abends mal fortzugehen und sich mit Freunden zu treffen, ist völlig<br />
legitim - sofern das Kind natürlich gut versorgt ist. Mein erster Ansatz lautet<br />
demnach: Zuerst mal sich selbst stärken, was in weiterer Folge automatisch<br />
auch die Kinder stärkt und stützt. Und das ist die Basis für alles...“<br />
Ein weiterer, wichtiger Aspekt, der im Interview abgehandelt wurde, verweist<br />
auf die Wichtigkeit der aktiven Teilhabe betroffener Familien am gesellschaftlichen<br />
Leben.<br />
Im Gespräch mit der Expertin wurden auch Fragen zu Berufsmöglichkeiten<br />
und auch sozial-rechtlich, fi nanzielle Belange, die häufi g in der Praxis<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred<br />
- - 53 - -
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
thematisiert werden, bearbeitet. Diese werden im folgenden Abschnitt<br />
zusammengefasst dargestellt.<br />
Arbeitssituation bei Menschen mit Behinderung (vgl. dazu das nachfolgende<br />
Interview mit Herrn Spitaler):<br />
Viele Arbeitgeber sind – unaufgeklärter Weise oder zum Teil durch Falschinformationen<br />
– kaum bereit, behinderte Menschen einzustellen, obwohl<br />
dies laut Gesetz bei Erreichen einer gewissen Firmengröße verpfl ichtend<br />
für das Unternehmen wäre. Es werden sogar dafür ausgehängte Strafen<br />
in Kauf genommen. In diesem Fall braucht es mehr an Aufklärungsarbeit<br />
am Arbeitsmarkt.<br />
Auch hinsichtlich der fi nanziellen Situation von Betroffenen bei Ausübung<br />
einer Erwerbstätigkeit (Verdienst, erhöhte Familienbeihilfe, Bezug von anderen<br />
fi nanziellen Unterstützungsmitteln) sollte man sich gut beraten lassen,<br />
um als Familie nicht Gefahr zu laufen, irgendwelche Geldansprüche<br />
plötzlich verlieren zu können: „Also da muss man sich momentan noch<br />
sehr gut beraten lassen!“, so Frau Ratheiser. Eine entsprechende Beratungs-Anlaufstelle<br />
in Kärnten ist die Behindertenanwaltschaft unter der Leitung<br />
von Frau Mag. a Scheifl inger. Jeder einzelne Fall wird dort individuell<br />
geprüft und beraten.<br />
ob eine mögliche Selbstständigkeit des Down-Syndrom Kindes im Erwachsenenalter<br />
erreicht werden kann, bleibt offen. In vielen Fällen braucht es<br />
eine lebenslange, individuell-orientierte Form der Betreuung, um das tägliche<br />
Leben gut meistern zu können. Auch der Wunsch auf eine eigene<br />
Familie von Erwachsenen mit Down-Syndrom, darf ihnen niemals verwehrt<br />
werden. Meist übernehmen die Eltern nach automaischer Abgabe der obsorgepfl<br />
icht ihres Kindes mit vollendetem 18. Lebensjahr die Sachwaltschaft<br />
für ihr Kind und suchen je nach Themen, die sie im Moment als Familie beschäftigen<br />
(Sexualität, Paarbeziehungen uvm.) unterschiedliche Beratungen<br />
auf. Die Möglichkeit zu einer begleiteten Entscheidungsfi ndung wird in<br />
den jeweiligen Beratungsstellen geboten (vgl. Kontaktadressen Kapitel 3.8).<br />
Finanzielle und sozialrechtliche Aspekte<br />
Für betroffene Familien kann ein Anspruch auf Pfl egegeld und erhöhte<br />
Familienbeihilfe bestehen, nicht bei allen ist dies jedoch der Fall. Erhöhte<br />
Familienbeihilfe beispielsweise kann nur bei einem Behinderungsgrad<br />
von mehr als 50 % bezogen werden; diese kann auch rückwirkend beantragt<br />
werden. Frau Ratheiser äußert sich folgend in diesem Kontext:<br />
„Das Pflegegeld sichert die Grundversorgung, damit die Person nicht der<br />
Vernachlässigung anheim fällt…“ Die allgemeinen Rechte hinsichtlich der<br />
Grundversorgung sind im chancengleichheitsgesetz geregelt. Menschen<br />
mit Behinderung kommen über das chancengleichheitsgesetz in das Grundversorgungssystem,<br />
Menschen ohne Behinderung finden den Zugang durch<br />
die Mindestsicherung. Im chancengleichheitsgesetz gibt es bestimmte Zusatzkomponenten<br />
und Kann-Bestimmungen, also Förderungen, die man<br />
- - 54 - -<br />
AtioN<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
ansuchen kann. Hier muss der tatsächliche Bedarf von Fall zu Fall genau<br />
geprüft werden.<br />
5.5 DAS iNterVieW mit HerrN mAG. CHriStiAN SPitALer<br />
Mag. christian Spitaler ist Fachbereichsleiter bei aut-<br />
ArK in Klagenfurt. Im Interview gab er einen Überblick<br />
über das Dienstleistungsangebot von autArK, weiter<br />
gewährt er Einblick in die momentane Lage für Menschen<br />
mit Behinderung.<br />
Ein Überblick über die Arbeitsfelder von autArK:<br />
„Das Team und ich sind für die Umsetzung eines Jugendcoachings<br />
in Kärnten zuständig, das heißt, wir<br />
arbeiten gezielt an der Schnittstelle Schule und Beruf.“<br />
Insbesondere im letzten Pfl ichtschuljahr (neunte Schulstufe) werden Schulen<br />
aufgesucht, um (beeinträchtigte) Schüler/innen zu erreichen. Man will mit<br />
den Jugendlichen und dem Lehrkörper ins Gespräch kommen, um über<br />
das Unterstützungsangebot „Jugendcoaching“ zu informieren.<br />
Herr Spitaler thematisiert unterschiedliche Belastungen, welche betroffene<br />
Familie nach dem Pfl ichtschulbesuch ihres Kindes plagen, und welche Auswirkung<br />
elterliche Ängste und Unsicherheiten auf die Eltern-Kind-Beziehung<br />
nehmen:<br />
„Viele Eltern kommen natürlich mit großem Fragezeichen auf uns zu. …<br />
jetzt ist die Schule aus … Was jetzt? Was gibt es denn für Perspektiven? Wo<br />
bekomme ich was?“<br />
Hier bietet autArK mit dem Programm „Jugendcoaching“ umfassende<br />
Beratungen und Hilfestellungen an. Wir betrachten mit Eltern und Jugendlichen<br />
gemeinsam welche Stärken, Fähigkeiten aber auch welche<br />
Schwächen bestehen, um dann die Möglichkeiten, die es in Kärnten gibt,<br />
klären zu können. Selbstverständlich wird die Suche zuerst auf die jeweilige<br />
Region, in der die Betroffenen leben, fokussiert.“<br />
Gemeinsam verschafft man sich also einen Überblick über laufende Projekte,<br />
potentielle Ausbildungsmöglichkeiten und mögliche Arbeitgeber. Weiter<br />
werden auch Angebote/Praktika über das Arbeitsmarktservice (AMS) oder<br />
die Behindertenhilfe recherchiert. Dieser Prozess fordert gerade bei den Eltern<br />
intensive Auseinandersetzung und Reflexion mit dem Thema: „Das ist eine<br />
Herausforderung, die absolut neue Themenbereiche aufreißt und jeder - sowohl<br />
die Jugendlichen als auch die Eltern - sind erstmal gefragt, diese zu<br />
verarbeiten beziehungsweise neue Kompetenzen zu erlernen. Gerade beim<br />
Down-Syndrom gibt es in Bezug auf persönliche Fähigkeiten - kognitiver, psychischer<br />
und physischer Natur - ein breites Spektrum. „Hier kann man kein<br />
Standardprozedere aus dem Regal nehmen. Jeder ist individuell und wird<br />
auch so behandelt!“<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred<br />
- - 55 - -
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
Auch typische elterliche Erwartungen und Sorgen gegenüber ihren Kindern<br />
wurden im Gespräch mit dem Experten zum Thema gemacht.<br />
„Hat man Kinder, so ist es ganz normal, dass Elternteile besorgt sind.“, so<br />
Herr Spitaler. Eltern müssen lernen, dass sie nicht lebenslangen Schutz für<br />
ihre Sprösslinge bieten können. Umso förderlicher ist es, wenn man sich<br />
rechtzeitig den wichtigen und lebenspraktischen Kompetenzen widmet:<br />
„Eigenständigkeit, Selbstständigkeit, Durchhaltevermögen, Leistungsmotivation,<br />
dies wird in Richtung Qualifi zierung oder berufl iche Ausbildung<br />
ohne Ausnahme durch alle gefordert. Wichtig dabei ist, dass es jemand<br />
eigeninitiativ und eigenwillig bewältigt und nicht, weil es der Ausbilder/<br />
die Ausbilderin einfordert.“ Ferner meint Herr Spitaler, dass es prinzipiell bei<br />
autArK keine Altersgrenze gebe, somit kann man bis ins hohe Alter Unterstützung<br />
durch autArK erfahren. „Was uns hier gut gelingt, ist es, den Angehörigen<br />
ein wenig die Sorgen zu nehmen, Probleme abzupuffern und<br />
Hilfestellung zu geben.“<br />
Auf die Frage, ob man autArK als eine Art Auffangnetz sehen könne, betont<br />
Herr Spitaler, dass autArK gemeinsam mit den Jugendlichen bestrebt<br />
ist, einen hohen Grad an Normalisierung zu erlangen:<br />
„Natürlich gibt es Grenzen. Die Anforderungen der Arbeitswelt sind verhältnismäßig<br />
hoch und wir haben auch momentan eine sehr angespannte<br />
Lage am Arbeitsmarkt. Trotzdem haben wir sehr viele Maßnahmen und<br />
Projekte, in die wir die Jugendlichen gut integrieren können.“<br />
autArK geht dabei auf die Arbeitgeber zu und versucht im persönlichen<br />
Kontakt mit den Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen und zu erfragen,<br />
ob ein Praktikum oder sogar eine Ausbildung prinzipiell möglich wäre:<br />
„In Kärnten haben wir viele Klein- und Mittelbetriebe, in denen wir schon<br />
sehr viele Aus- und Weiterbildungen sowie Praktika arrangieren konnten.<br />
Unser Credo zielt darauf ab, regional zu arbeiten. Wir haben in ganz Kärnten<br />
unsere Standorte verteilt.“<br />
Vielfach haben Betriebe kuriose Vorstellungen zum Thema Behinderteneinstellungsgesetz:<br />
„Diese und andere Unsicherheiten werden gezielt in<br />
den Betrieben angesprochen und richtig gestellt. Durch die Aufklärungsarbeit<br />
gelingt es uns sehr oft, Berührungsängste zu verwerfen und ein positives<br />
Ergebnis zu erreichen.“<br />
Es besteht große Gefahr, dass sich betroffene Familien mit beeinträchtigen<br />
Jugendlichen auf Grund der außergewöhnlichen Situation eher isolieren<br />
anstatt den Unterschied aktiv zu integrieren, so der Experte. „Das Ziel<br />
muss also lauten, einen Menschen mit Beeinträchtigung, egal ob in Schule,<br />
Arbeit, im öffentlichen Leben oder in Freizeitaktivitäten, zu integrieren.<br />
Nicht nur darüber nachzudenken, sondern einfach zu handeln.“<br />
Weiter gibt es auch Projekte, die Menschen mit speziellen Bedürfnissen<br />
in sozialversicherten Projekten auffangen. In diesem Kontext rief autArK<br />
das Projekt „chancenforum“ ins Leben: „Hier werden Menschen mit Beeinträchtigung<br />
direkt über autArK im Sinne der Arbeitskräfteüberlassung<br />
- - 56 - -<br />
AtioN<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred
KAPiteL 5.<br />
INTERVIEWS MIT FAcHPERSoNEN<br />
angestellt und bei bestimmten Partnerbetrieben beschäftigt. Der Vorteil<br />
liegt darin, dass die Betroffenen, wie andere arbeitsfähige Menschen sozial-<br />
und pensionsversichert sind. Sie haben die gleichen Ansprüche.“<br />
Dieses Modell hat sich bewährt und sollte künftig noch mehr gefördert<br />
werden.<br />
autArK ist zudem bestrebt, auch in anderen Lebensbereichen, wie etwa<br />
mit eigenen Wohnprojekten Inklusion zu leben: „Wir bauen keine eigenen<br />
Heime oder Wohnhäuser, sondern versuchen uns bei Bauten, die der soziale<br />
Wohnbau erstellt, mit Wohngemeinschaften einzumieten. Die Erfahrungen<br />
sind durchwegs positiv. Durch die hohe anfängliche Transparenz<br />
gegenüber den anderen Mietern gibt es keine Reibungspunkte.“<br />
Menschen mit Beeinträchtigung sind durchaus in der Lage, sich in der<br />
„normalen“ Welt einzubringen. Natürlich kommt es hier auch immer auf<br />
den Grad der Beeinträchtigung an. Ebenso stellt die Inanspruchnahme<br />
von Fördermitteln und Projekten einen wichtigen Teil auf dem Weg in die<br />
Normalität dar:<br />
„Durch ständige Präsenz der Thematik in der Öffentlichkeit haben wir die<br />
Möglichkeit, gelebte Inklusion nicht mehr als Hindernis, sondern viel mehr<br />
als Chance für ein gemeinsames Miteinander zu sehen.“<br />
Abschließend möchten wir uns im Namen der gesamten Autorenschaft<br />
sehr herzlich für die überaus interessanten Gespräche mit Ihnen bedanken.<br />
Wir konnten sehr wertvolle Darstellungen und Meinungen aus beiden<br />
Gesprächen mitnehmen und hoffen, diese für den Leser/die Leserin gut<br />
nachvollziehbar aufbereitet zu haben.<br />
Beide Fachpersonen merken im Abschluss ihres Interviews an, dass es so<br />
viel mehr zu dieser komplexen Thematik zu erzählen und diskutieren gebe.<br />
Leider war es nur möglich, auf wenige, ausgewählte Themenbereiche einzugehen.<br />
Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft das Beste. Seien Sie weiterhin eine so<br />
unbezahlbare Stütze für bedürftige Familien. Wir danken Ihnen dafür!<br />
Herzlichst<br />
Kusternig christian und Müller Andreas Alfred<br />
in Stellevertretung für das gesamte Projektteam<br />
Kusternig christian & Müller Andreas Alfred<br />
- - 57 - -
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Szagun, G. (2006). Sprachentwicklung beim Kind. Weinheim: Beltz Verlag.<br />
Türk, c., Söhlemann, S. & Rummel, H. (2012). Das Castillo-Morales Konzept.<br />
1 Aufl . Stuttgart: Georg Thieme Verlag.<br />
- - 60 - -<br />
AtioN
LITERATURVERZEIcHNIS<br />
Verein Hand in Hand (n.d.). Facts: Was ist Down Syndrom. Zugriff am 25.<br />
November 2014, unter http://www.downsyndromzentrum.at<br />
Volkshilfe Österreich. Pfl egegeld für Angehörige-volkshilfe.at. Zugriff am<br />
04. Dezember 2014, unter http://www.volkshilfe.at/pfl egegeld;http://<br />
www.behinderte-kinder.de/pfl egegeldantrag/pfl egegeldantrag.htm<br />
Wehmeyer, S. (2005). Die Tomatis-Methode und ihre Bedeutung für die<br />
Heilpädagogik. München: GRIN Verlag GmbH.<br />
Wieser, B. (2004.). Rechen mit links und rechts. Leben-Lachen-Lernen,<br />
Zugriff am 25. November 2014, unter http://www.down-syndrom.at/<br />
cMS/index.php?id=322<br />
Wild, E. & Möller J. (2014). Pädagogische Psychologie. 1. Aufl . Heidelberg:<br />
Springer Verlag.<br />
Wilken, E. (2005). Spracherwerb und Gebärden. Erfahrungen mit GuK. Leben<br />
mit Down-Syndrom. Diagnose Down-Syndrom, was nun? Sonderausgabe.<br />
60-63.<br />
Wilken, E. (2008). Sprachförderung bei Kindern mit Down Syndrom. 10<br />
Aufl ., Stuttgart: Kohlhammer GmbH.<br />
Wilken, E. (2009). Menschen mit Down Syndrom in Familie, Schule und Gesellschaft.<br />
2 Aufl ., Marburg: Lebenshilfe-Verlag.<br />
Wilken, E. (2012). Was bedeutet es, einen Bruder oder eine Schwester<br />
mit Down-Syndrom zu haben? Leben mit Down-Syndrom. Diagnose<br />
Down-Syndrom, was nun? Sonderaus-gabe. 40-43.<br />
Wüllenweber, E., Theunissen, G. & Muhl, H. (2006). Pädagogik bei geistigen<br />
Behinderungen: Ein Handbuch für Studium und Praxis. Stuttgart:<br />
Kohlhammer Verlag.<br />
3×<strong>21</strong> Zentrum zur Förderung und Begleitung von Menschen mit <strong>Trisomie</strong><br />
<strong>21</strong>: yes we can. Rechentraining. Zugriff am 25. November 2014, unter<br />
http://www.3x<strong>21</strong>.at/ywc<br />
- - 61 - -
LITERATURVERZEIcHNIS<br />
IMPRESSUM<br />
Bachelorstudierende des berufsbegleitenden Studienganges Gesundheits- und Pfl egemanagement<br />
der Fachhochschule Kärnten (Jg. 2013)<br />
Namen des studentischen Projektteams (von links nach rechts):<br />
Kribernegg Kathrin Ulrike, Holbura Diana, Kusternig christian, Müller<br />
Andreas Alfred, Dillitz Marika, Urschitz Tamara, Fischer Sabrina, Hölbling<br />
Verena, Kraner Marlene, Neuhold Verena Ingrid und Brihac Petra.<br />
Freude an der Arbeit<br />
lässt das Werk trefflich geraten.<br />
(ARISTOTELES)<br />
Projektleitung: Frau mag. a Claudia Brunner<br />
Klinische und Gesundheitspsychologin<br />
Nebenberuflich Lehrende der Studiengänge Gesundheitsund<br />
Pflegemanagement der Fachhochschule Kärnten<br />
Email: c.brunner@fh-kaernten.at<br />
Erscheinungsjahr: 05/2015<br />
- - 62 - -<br />
AtioN
Standort Feldkirchen<br />
Hauptplatz 12<br />
A-9560 Feldkirchen i. K.<br />
Tel: +43 (0)5 / 90 500-4101<br />
Fax: +43 (0)5 / 90 500-4110<br />
www.fh-kaernten.at/gesundheit-soziales<br />
gesundheit-und-soziales@fh-kaernten.at