ZAP-2019-19

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Fach 23, Seite 1172 Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle Anwaltsrecht/Anwaltsbüro während der üblichen Bürokernzeiten grundsätzlich antreffen kann, wenn er nicht berufs- oder erholungsbedingt ortsabwesend ist (Anwaltsgerichtshof Dresden, Beschl. v. 4.11.2004 – AGH 18/03 (II), BRAK-Mitteilungen 2005, 31 ff.). Der Rechtsanwalt unterhält dort eine Kanzlei, in der er für seine Mandanten, aber auch für Gerichte und Behörden erreichbar und ansprechbar ist (FEUERICH/WEYLAND, § 27 Rn 2; SIEGMUND, in: GAIER/WOLF/GÖCKEN, § 27 BRAO Rn 21 ff.; KLEINE-COSACK, § 27 Rn 1). Er hat dort auch Mitglied der Rechtsanwaltskammer (RAK) zu sein. Man spricht hier sinnvollerweise von einer Hauptstelle oder Hauptniederlassung, wenn es daneben noch Zweigstellen (Zweigniederlassungen) gibt. Jeder Rechtsanwalt kann in seiner Person nur eine Hauptstelle für seine Kanzlei haben (Ausnahme ist die in § 27 Abs. 2 BRAO normierte „weitere Kanzlei“, die aber eine Sonderform, nämlich eine andere Kanzlei, ist. Dazu näher unter II. 3). Eine Berufsausübungsgemeinschaft kann aber natürlich auch mehrere Hauptstellen unterhalten, wenn einzelne ihr angehörende Berufsträger jeweils in anderen Räumlichkeiten für ihre Mandanten, für Gerichte und Behörden, erreichbar und ansprechbar sind. Bezeichnen mehrere, gleichgültig auf welcher rechtlichen Grundlage zu gemeinsamer Berufsausübung zusammengeschlossene Rechtsanwälte mehrere Orte als „Kanzleistandorte“, erwartet der Rechtsuchende an jedem dieser Orte eine organisatorisch selbstständige Betriebseinheit, die von mindestens einem Rechtsanwalt dergestalt geführt wird, dass – jedenfalls von außen betrachtet – dieser Ort der Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit ist und der Rechtsanwalt dort zu angemessenen Zeiten präsent ist (KG, Beschl. v. 14.8.2018 – 5 U 134/17, BRAK-Mitteilungen 2019, 145 [rkr.; die NZB wurde abgelehnt, BGH Beschl. v. 14.3.2019 – I ZR 167/18, K&R 2019, 401 ff.]). Das Gesetz unterscheidet in §§ 27 Abs. 2 BRAO, 5 BORA zwischen „Kanzlei“ und „Zweigstelle“, stellt aber seinerseits klar, dass der Rechtsanwalt an beiden Standorten die im Wesentlichen gleichen personellen und organisatorischen Voraussetzungen bereithalten muss. Sowohl Hauptniederlassung als auch Zweigniederlassung bilden zusammen eine Kanzlei im weiteren Sinne. Der Begriff Kanzlei in § 27 Abs. 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt verpflichtet ist, in dem Bezirk der RAK, in der er Mitglied ist, eine Kanzlei zu errichten und zu unterhalten, meint bei Vorliegen von Zweigniederlassungen die Hauptniederlassung. 2. Die Zweigstelle (Nebenniederlassung) Denn die Zweigstelle (mitunter auch als „Zweigniederlassung“ oder „Nebenniederlassung“ bezeichnet) und die notwendigerweise vorhandene, aber vom Gesetz so nicht benannte Hauptstelle (bzw. Hauptniederlassung) werden jeweils als Niederlassungen der „Kanzlei im weiteren Sinne“ angesehen, die sich danach unterscheiden, in welcher der Rechtsanwalt seine berufliche Tätigkeit ihrem Schwerpunkt nach entfaltet (BGH NJW 2010, 3787; BGH GRUR 2012, 1275 – Zweigstellenbriefbogen, Rn 56). Die Zweigstelle ist ein weiterer Standort, der abhängig von der Hauptkanzlei geführt wird. Den für die Kanzlei nach §§ 27 BRAO, 5 BORA geltenden Anforderungen muss auch die Zweigstelle (§ 27 Abs. 2 BRAO) grundsätzlich genügen. An die Zweigstelle werden genau die gleichen Anforderungen wie an eine Hauptniederlassung gestellt, mit dem Unterschied, dass der Rechtsanwalt dort nicht überwiegend während der üblichen Bürozeiten anzutreffen sein muss. Hauptniederlassungen als auch Zweigniederlassungen sind von der physischen Präsenz eines Berufsträgers abhängig, wobei die Zweigniederlassung aber der Ort ist, an den sich der Berufsträger nicht überwiegend aufhält. Genauso wenig wie an seiner Hauptniederlassung trifft ihn eine Pflicht, an seiner Zweigniederlassung weitere Mitarbeiter, etwa Rechtsanwaltsfachangestellte, zu beschäftigen. Eine Pflicht eines Rechtsanwalts, Mitarbeiter zu beschäftigen, sieht das Gesetz nicht vor. 1030 ZAP Nr. 19 10.10.2019

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro Fach 23, Seite 1173 Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle An der Zweigniederlassung muss aber eine gewisse Büroorganisation bereitgehalten werden, die auf eine Regelmäßigkeit der anwaltlichen Tätigkeit an dieser Adresse schließen lässt, wenngleich es keiner personellen Ausstattung durch Mitarbeiter an der Zweigstelle bedarf. Nach § 5 BORA ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen in Kanzlei und Zweigstelle vorzuhalten. Das heißt auch an der Zweigniederlassung muss der Rechtsanwalt einen eigenständigen Büroraum, Telekommunikationsanschluss, Briefkasten und Kanzlei- oder zumindest Briefkastenschild aufweisen (die Pflicht zu einem Kanzleischild besteht an keinem Kanzleistandort, wenn ein Klingelschild und Briefkastenschild vorhanden sind, vgl. BGH, DtZ 1995, 132). Er muss wenigstens zu festen Sprechtagen in seiner Zweigniederlassung auch persönlich anzutreffen sein (vgl. BGH, Urt. v. 13.9.2010 – AnwZ (P) 1/09, NJW 2010, 3787, 3789). Die Räumlichkeit der Zweigstelle muss als solche klar erkennbar sein. Die Räumlichkeit muss als „Zweigstelle“ auf dem Kanzleischild deutlich sichtbar ausgewiesen werden. Anders als bei der Hauptstelle, ist also in jedem Fall ein Kanzleischild notwendig. Damit soll sichergestellt werden, dass der Besucher von vornherein weiß, dass es sich nur um eine Zweigstelle und nicht um die Hauptstelle der Kanzlei handelt. An eine Zweigstelle werden seit der Satzungsreform, die zum 1.1.2011 in Kraft trat, ansonsten die gleichen beruflichen Anforderungen wie an die Hauptkanzlei gestellt. Es muss nach § 5 BORA einen Mindestbestand an sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen erfüllt sein. In organisatorischer Hinsicht meint dies, dass der Rechtsanwalt in den Räumlichkeiten eine normale Büroeinrichtung, eine juristische Einrichtung (Gesetze, Kommentare, wobei ein Zugriff mittels elektronischer Medien ausreicht) und Telekommunikationsmittel (Telefon, Telefax, Internet) aufweisen muss. Der entscheidende Unterschied zwischen Kanzlei und Zweigstelle ergibt sich allein aus dem Willen des Rechtsanwalts, der seine Kanzlei als den ersten Ort und die Anbindung an die zuständige RAK erklärt und jede Zweigstelle als einen weiteren Ort der Niederlassung ansieht (HENSSLER/PRÜTTING, BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl. 2019 Rn 23 zu § 5 BORA). Praxistipp: Die RAK überprüft nicht, in welchem Büro der Rechtsanwalt mehr Zeit verbringt. So kann ein Rechtsanwalt durchaus auch die Kanzlei zu seiner Hauptstelle machen, an der er sich im Gegensatz zur Zweigstelle zeitlich etwas weniger aufhält, solange die Diskrepanz der Zeit des Aufenthalts zwischen beiden Büros nicht auffällig stark auseinanderfällt und er die organisatorischen Voraussetzungen an beide Niederlassungen nicht erfüllt. Es reicht, wenn der Berufsträger dort regelmäßig zu festen Sprechtagen anzutreffen ist, wobei im Idealfall von einer mindestens wöchentlichen physischen Präsenz auszugehen sein dürfte. Doch dies ist in Rechtsprechung und Schrifttum nicht konkret definiert. Das KG verwendet dazu in einem obiter dictum zur Abgrenzung einer Zweigstelle von einer Hauptkanzlei den Begriff „bei Bedarf“ (KG, a.a.O.: „Orte, an denen ein Rechtsanwalt regelmäßig (nur) bei Bedarf anzutreffen ist, wäre nach dieser Definition Zweigstellen“). Es führt aus, dass der Rechtsanwalt dort eine Zweigstelle unterhalte, wo er sich „bei Bedarf“ physisch aufhalte. Eine genaue Definition, was unter „bei Bedarf“ zu verstehen ist, gibt auch das KG nicht. Es reicht mit Sicherheit jedenfalls nicht aus, wenn der Berufsträger nur in seltenen Ausnahmefällen dort physisch anwesend ist, z.B. einen potenziellen Neumandanten in einem Großmandat einmalig dort zu empfangen bereit ist und sonst über Jahre hinweg dort nie physisch präsent ist. Eine gewisse Beständigkeit und Verlässlichkeit muss erwartet werden können. Auch kann es nicht reichen, nur einmal jährlich oder einmal im Jahresquartal (wenngleich regelmäßig) vor Ort zu sein, da auch damit der Vorstellung, die Gepflogenheiten der örtlichen Behörden und Gerichte zu kennen und mit ihnen im Kontakt zu stehen, nicht gewährleistet werden kann (vgl. dazu FEUERICH/WEYLAND, § 27 Rn 2; SIEGMUND in: ZAP Nr. 19 10.10.2019 1031

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Virtuelle Kanzlei und Zweigstelle<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

während der üblichen Bürokernzeiten grundsätzlich antreffen kann, wenn er nicht berufs- oder<br />

erholungsbedingt ortsabwesend ist (Anwaltsgerichtshof Dresden, Beschl. v. 4.11.2004 – AGH 18/03 (II),<br />

BRAK-Mitteilungen 2005, 31 ff.).<br />

Der Rechtsanwalt unterhält dort eine Kanzlei, in der er für seine Mandanten, aber auch für Gerichte und<br />

Behörden erreichbar und ansprechbar ist (FEUERICH/WEYLAND, § 27 Rn 2; SIEGMUND, in: GAIER/WOLF/GÖCKEN,<br />

§ 27 BRAO Rn 21 ff.; KLEINE-COSACK, § 27 Rn 1). Er hat dort auch Mitglied der Rechtsanwaltskammer (RAK)<br />

zu sein. Man spricht hier sinnvollerweise von einer Hauptstelle oder Hauptniederlassung, wenn es<br />

daneben noch Zweigstellen (Zweigniederlassungen) gibt.<br />

Jeder Rechtsanwalt kann in seiner Person nur eine Hauptstelle für seine Kanzlei haben (Ausnahme ist<br />

die in § 27 Abs. 2 BRAO normierte „weitere Kanzlei“, die aber eine Sonderform, nämlich eine andere<br />

Kanzlei, ist. Dazu näher unter II. 3). Eine Berufsausübungsgemeinschaft kann aber natürlich auch<br />

mehrere Hauptstellen unterhalten, wenn einzelne ihr angehörende Berufsträger jeweils in anderen<br />

Räumlichkeiten für ihre Mandanten, für Gerichte und Behörden, erreichbar und ansprechbar sind.<br />

Bezeichnen mehrere, gleichgültig auf welcher rechtlichen Grundlage zu gemeinsamer Berufsausübung<br />

zusammengeschlossene Rechtsanwälte mehrere Orte als „Kanzleistandorte“, erwartet der Rechtsuchende<br />

an jedem dieser Orte eine organisatorisch selbstständige Betriebseinheit, die von mindestens<br />

einem Rechtsanwalt dergestalt geführt wird, dass – jedenfalls von außen betrachtet – dieser Ort der<br />

Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit ist und der Rechtsanwalt dort zu angemessenen Zeiten präsent<br />

ist (KG, Beschl. v. 14.8.2018 – 5 U 134/17, BRAK-Mitteilungen <strong>20<strong>19</strong></strong>, 145 [rkr.; die NZB wurde abgelehnt,<br />

BGH Beschl. v. 14.3.<strong>20<strong>19</strong></strong> – I ZR 167/18, K&R <strong>20<strong>19</strong></strong>, 401 ff.]).<br />

Das Gesetz unterscheidet in §§ 27 Abs. 2 BRAO, 5 BORA zwischen „Kanzlei“ und „Zweigstelle“, stellt aber<br />

seinerseits klar, dass der Rechtsanwalt an beiden Standorten die im Wesentlichen gleichen personellen<br />

und organisatorischen Voraussetzungen bereithalten muss. Sowohl Hauptniederlassung als auch<br />

Zweigniederlassung bilden zusammen eine Kanzlei im weiteren Sinne.<br />

Der Begriff Kanzlei in § 27 Abs. 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt verpflichtet ist, in dem Bezirk der<br />

RAK, in der er Mitglied ist, eine Kanzlei zu errichten und zu unterhalten, meint bei Vorliegen von<br />

Zweigniederlassungen die Hauptniederlassung.<br />

2. Die Zweigstelle (Nebenniederlassung)<br />

Denn die Zweigstelle (mitunter auch als „Zweigniederlassung“ oder „Nebenniederlassung“ bezeichnet)<br />

und die notwendigerweise vorhandene, aber vom Gesetz so nicht benannte Hauptstelle (bzw.<br />

Hauptniederlassung) werden jeweils als Niederlassungen der „Kanzlei im weiteren Sinne“ angesehen, die<br />

sich danach unterscheiden, in welcher der Rechtsanwalt seine berufliche Tätigkeit ihrem Schwerpunkt<br />

nach entfaltet (BGH NJW 2010, 3787; BGH GRUR 2012, 1275 – Zweigstellenbriefbogen, Rn 56).<br />

Die Zweigstelle ist ein weiterer Standort, der abhängig von der Hauptkanzlei geführt wird. Den für die<br />

Kanzlei nach §§ 27 BRAO, 5 BORA geltenden Anforderungen muss auch die Zweigstelle (§ 27 Abs. 2<br />

BRAO) grundsätzlich genügen.<br />

An die Zweigstelle werden genau die gleichen Anforderungen wie an eine Hauptniederlassung gestellt,<br />

mit dem Unterschied, dass der Rechtsanwalt dort nicht überwiegend während der üblichen Bürozeiten<br />

anzutreffen sein muss. Hauptniederlassungen als auch Zweigniederlassungen sind von der physischen<br />

Präsenz eines Berufsträgers abhängig, wobei die Zweigniederlassung aber der Ort ist, an den sich der<br />

Berufsträger nicht überwiegend aufhält.<br />

Genauso wenig wie an seiner Hauptniederlassung trifft ihn eine Pflicht, an seiner Zweigniederlassung<br />

weitere Mitarbeiter, etwa Rechtsanwaltsfachangestellte, zu beschäftigen. Eine Pflicht eines Rechtsanwalts,<br />

Mitarbeiter zu beschäftigen, sieht das Gesetz nicht vor.<br />

1030 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>19</strong> 10.10.<strong>20<strong>19</strong></strong>

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