ZAP-2019-19

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Fach 22 R, Seite 1134 Rechtsprechungsübersicht 2018/2019 Strafrecht Entscheidung, keine „besonderen Umstände“ i.S.v. § 56 Abs. 2 StGB anzunehmen, ausschließlich darauf gestützt, der Angeklagte habe sich mit dem Unrecht seiner Tat nicht auseinandergesetzt. Dies sei – so das OLG – rechtsfehlerhaft, denn das bloße Schweigen des Angeklagten hätte nicht zu seinem Nachteil berücksichtigt werden dürfen (vgl. u.a. BGH StraFo 2010, 207). Hinweis: Jeder Verteidiger kennt die Andeutungen von Richtern, die dahin gehen, dass ein Geständnis bestimmt helfen könnte, im Falle einer Verurteilung zu verhängende Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Das OLG Düsseldorf hat nun aber noch einmal deutlich klargestellt, dass einem schweigenden Angeklagten sein Schweigen unter keinem Gesichtspunkt negativ ausgelegt werden kann und damit den Grundsatz des „nemo tenetur“ (erneut) gestärkt (so auch FISCHER, § 56 Rn 23). II. Zueignungsabsicht (§§ 242 ff. StGB) 1. Wegnahme zum Zweck der Datenlöschung Wird ein Handy weggenommen, um auf ihm gespeicherte Bilder zu löschen, ist eine Zueignungsabsicht nur dann zu bejahen, wenn der Täter das Handy – wenn auch nur vorübergehend – über die für die Löschung der Bilder benötigte Zeit hinaus behalten will. Das ist das Fazit aus dem BGH, Beschl. v. 11.12.2018 (5 StR 577/18, NStZ 2019, 344 = StV 2019, 388 = StRR 6/2019, 19). Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagten M und K fuhren in einer S-Bahn, die wenig später die Geschädigte betrat. Diese setzt sich laut telefonierend wenige Meter von M entfernt auf einen Sitzplatz. Nachdem M die Geschädigte aufgefordert hatte, das laute Telefonieren zu unterlassen, entwickelte sich ein Wortgefecht mit gegenseitigen Beleidigungen. Als sich die Angeklagten zum Ausstiegsbereich begaben, um die S-Bahn zu verlassen, kam es erneut zu einem Wortgefecht, in dessen Verlauf die Geschädigte M bespuckte. Zudem fertigte sie mit ihrem Handy Bildaufnahmen von den Angeklagten an. M fasste nunmehr den Entschluss, sich in den Besitz des Handys der Geschädigten zu bringen, um die Bilder zu löschen. In dieser Absicht führte er einen Tritt in Richtung der M aus, um dieser das Handy aus der Hand zu treten, traf jedoch ihr Gesicht. Unmittelbar darauf zog K eine mit Bleikugeln gefüllte CO- Pistole und feuerte zwei Schüsse auf die Geschädigte ab, welche diese an Nasenflügel und Unterarm trafen. Da die Geschädigte weiterhin ihr Handy in der Hand hielt, entschloss sich M nun, ihr das Handy endgültig wegzunehmen. Er schlug ihr mehrmals mit wuchtigen Faustschlägen auf den Oberkörper und in das Gesicht. Es gelang M das Handy in seinen Gewahrsam zu nehmen. Die Angeklagten verließen die S-Bahn mit dem Handy. Danach löschten sie die auf dem Handy befindlichen Bilder, auf denen sie abgebildet waren, und legten es unter eine Tanne ab. Das LG hat die Angeklagten u.a. wegen schweren Raubs (§ 250 StGB) verurteilt. Die Revision des M hatte Erfolg. Der BGH hat die vom LG angenommene Zueignungsabsicht verneint, so dass die Verurteilung wegen schweren Raubs aufzuheben war. Das LG hatte eine Zueignungsabsicht der Angeklagten bei der Wegnahme des Handys mit der Begründung angenommen, deren Wille sei zumindest vorübergehend darauf gerichtet gewesen, wie ein Eigentümer über die auf dem Handy gespeicherten Daten zu verfügen. Der BGH sieht das anders. Zueignungsabsicht sei gegeben, wenn der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ oder zuführen wolle. An dieser Voraussetzung fehle es dagegen in Fällen, in denen der Täter die fremde Sache nur wegnehme, um sie „zu zerstören“, „zu vernichten“, „preiszugeben“, „wegzuwerfen“, „beiseite zu schaffen“ oder „zu beschädigen“ (u.a. BGH BGHSt 16, 190; 1985, 812; NStZ 2011, 699). Entsprechend verhalte es sich in Fällen, in denen der Täter ein Handy lediglich in der Absicht wegnehme, um dort gespeicherte Bilder zu löschen. 1020 ZAP Nr. 19 10.10.2019

Strafrecht Fach 22 R, Seite 1135 Rechtsprechungsübersicht 2018/2019 Eine Zueignungsabsicht sei in solchen Konstellationen nur dann zu bejahen, wenn der Täter das Handy – wenn auch nur vorübergehend – über die für die Löschung der Bilder benötigte Zeit hinaus behalten wolle. Ein auf eine Aneignung gerichteter Wille lasse sich den getroffenen Feststellungen jedoch nicht entnehmen und verstehe sich auch nicht von selbst. Sowohl der Anlass für die Wegnahme als auch die Besitzaufgabe am Handy kurz nach der Tat sprächen vielmehr dafür, dass die Angeklagten das Handy nicht über den Löschungsvorgang hinaus behalten wollten. Hinweis: Der BGH setzt mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung zur Entwendung von Handys bzw. zur Zueignungsabsicht in den Fällen konsequent fort (vgl. a. BGH v. 28.4.2015 – 3 StR 48/15, NStZ-RR 2015, 371). Im Beschl. v. 14.2.2012 (3 StR 392/11, NStZ 2012, 627) hatte er sie verneint für den Fall der Durchsuchung und des Kopierens vom Speicher des entwendeten Handys. Hier ging darum, dass die auf dem Handy gespeicherten Daten nicht nur kopiert und verwertet werden sollten und dass der Datenträger unverändert zurückgegeben werden sollte, sondern dass die Täter Daten vom Handy löschen wollten. Der BGH stellt offenbar auf das Interesse des Täters ab, der nur Interesse an den Daten und nicht an dem Datenträger selbst hat. Ob ggf. andere Tatbestände erfüllt sind – zu denken ist ggf. an §§ 303a f. StGB – hat der BGH offen gelassen. 2. Wegwerfen des Behältnisses Der BGH (Beschl. v. 3.4.2019 – 3 StR 530/18) befasst sich ebenfalls mit der Problematik der Zueignungsabsicht, und zwar bei einem Wohnungseinbruchsdiebstahl. Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war mit einem gesondert abgeurteilten Mittäter in ein freistehendes Einfamilienhaus eingebrochen. Dort nahmen sie „tatplanmäßig“ eine Schatulle mit Modeschmuck mit, um sie für sich zu behalten. Als die Beiden nach Verlassen des Anwesens feststellten, dass es sich „wider Erwarten“ um nahezu wertlosen Modeschmuck handelte, warfen sie die Schatulle nebst dem Schmuck weg. Das LG hat wegen Wohnungseinbruchdiebstahls verurteilt. Der BGH hat die Entscheidung aufgehoben: Auf der Grundlage dieser Feststellungen könne die Verurteilung wegen vollendeten Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 StGB a.F. keinen Bestand haben; denn sie trügen nicht die Annahme, dass der Angeklagte und sein Mittäter bezüglich des Schmuckkoffers samt Modeschmuck die nach § 242 Abs. 1 StGB erforderliche Zueignungsabsicht hatten. Enthalte ein Behältnis, das der Täter in seinen Gewahrsam bringt, nicht die vorgestellte werthaltige Beute, auf die es ihm bei der Tat allein ankommt, und entledige er sich – nachdem er dies festgestellt habe – deswegen des Behältnisses sowie des ggf. darin befindlichen, ihm nutzlos erscheinenden Inhalts, so könne er mangels Zueignungsabsicht bezüglich der erlangten Beute nicht wegen eines vollendeten, sondern nur wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Diebstahls bestraft werden (BGH NStZ 2000, 531; NStZ-RR 2013, 309; Beschl. v. 13.10.2016 – 3 StR 173/16; Beschl. v. 1.2.2000 – 4 StR 564/99). Hinweis: Das bedeutet: Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen müssen widerspruchsfrei belegen, dass sich die konkrete Zueignungsabsicht des Täters bei der Wegnahme auf das Behältnis an sich oder jegliche darin befindlichen Sachen bezog und somit ein vollendeter Diebstahl vorlag. 3. Fernziel Festnahme Dem BGH (Beschl. v. 26.4.2019 – 1 StR 37/19, NStZ-RR 2019, 248) lag dann folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagte war am 12.5.2018 aus der Haft entlassen worden. Da sie mit dem Leben in Freiheit nicht zurechtkam und das ihr zur Verfügung stehende Übergangsgeld bereits verbraucht hatte, entschloss sie sich, mit einem – zum Zwecke der Selbstverteidigung angeschafften – Pfefferspray einen Raub zu begehen. Durch die Straftat wollte sie wieder in das „geregelte Leben der Justizvollzugsanstalt“ ZAP Nr. 19 10.10.2019 1021

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Rechtsprechungsübersicht 2018/<strong>20<strong>19</strong></strong><br />

Strafrecht<br />

Entscheidung, keine „besonderen Umstände“ i.S.v. § 56 Abs. 2 StGB anzunehmen, ausschließlich darauf<br />

gestützt, der Angeklagte habe sich mit dem Unrecht seiner Tat nicht auseinandergesetzt. Dies sei – so das<br />

OLG – rechtsfehlerhaft, denn das bloße Schweigen des Angeklagten hätte nicht zu seinem Nachteil<br />

berücksichtigt werden dürfen (vgl. u.a. BGH StraFo 2010, 207).<br />

Hinweis:<br />

Jeder Verteidiger kennt die Andeutungen von Richtern, die dahin gehen, dass ein Geständnis bestimmt<br />

helfen könnte, im Falle einer Verurteilung zu verhängende Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt<br />

werden kann. Das OLG Düsseldorf hat nun aber noch einmal deutlich klargestellt, dass einem<br />

schweigenden Angeklagten sein Schweigen unter keinem Gesichtspunkt negativ ausgelegt werden kann<br />

und damit den Grundsatz des „nemo tenetur“ (erneut) gestärkt (so auch FISCHER, § 56 Rn 23).<br />

II.<br />

Zueignungsabsicht (§§ 242 ff. StGB)<br />

1. Wegnahme zum Zweck der Datenlöschung<br />

Wird ein Handy weggenommen, um auf ihm gespeicherte Bilder zu löschen, ist eine Zueignungsabsicht<br />

nur dann zu bejahen, wenn der Täter das Handy – wenn auch nur vorübergehend – über die für die<br />

Löschung der Bilder benötigte Zeit hinaus behalten will. Das ist das Fazit aus dem BGH, Beschl.<br />

v. 11.12.2018 (5 StR 577/18, NStZ <strong>20<strong>19</strong></strong>, 344 = StV <strong>20<strong>19</strong></strong>, 388 = StRR 6/<strong>20<strong>19</strong></strong>, <strong>19</strong>).<br />

Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Angeklagten M und K fuhren in<br />

einer S-Bahn, die wenig später die Geschädigte betrat. Diese setzt sich laut telefonierend wenige Meter<br />

von M entfernt auf einen Sitzplatz. Nachdem M die Geschädigte aufgefordert hatte, das laute<br />

Telefonieren zu unterlassen, entwickelte sich ein Wortgefecht mit gegenseitigen Beleidigungen. Als sich<br />

die Angeklagten zum Ausstiegsbereich begaben, um die S-Bahn zu verlassen, kam es erneut zu einem<br />

Wortgefecht, in dessen Verlauf die Geschädigte M bespuckte. Zudem fertigte sie mit ihrem Handy<br />

Bildaufnahmen von den Angeklagten an.<br />

M fasste nunmehr den Entschluss, sich in den Besitz des Handys der Geschädigten zu bringen, um die<br />

Bilder zu löschen. In dieser Absicht führte er einen Tritt in Richtung der M aus, um dieser das Handy aus<br />

der Hand zu treten, traf jedoch ihr Gesicht. Unmittelbar darauf zog K eine mit Bleikugeln gefüllte CO-<br />

Pistole und feuerte zwei Schüsse auf die Geschädigte ab, welche diese an Nasenflügel und Unterarm<br />

trafen. Da die Geschädigte weiterhin ihr Handy in der Hand hielt, entschloss sich M nun, ihr das Handy<br />

endgültig wegzunehmen. Er schlug ihr mehrmals mit wuchtigen Faustschlägen auf den Oberkörper und<br />

in das Gesicht. Es gelang M das Handy in seinen Gewahrsam zu nehmen. Die Angeklagten verließen die<br />

S-Bahn mit dem Handy. Danach löschten sie die auf dem Handy befindlichen Bilder, auf denen sie<br />

abgebildet waren, und legten es unter eine Tanne ab. Das LG hat die Angeklagten u.a. wegen schweren<br />

Raubs (§ 250 StGB) verurteilt. Die Revision des M hatte Erfolg.<br />

Der BGH hat die vom LG angenommene Zueignungsabsicht verneint, so dass die Verurteilung wegen<br />

schweren Raubs aufzuheben war. Das LG hatte eine Zueignungsabsicht der Angeklagten bei der<br />

Wegnahme des Handys mit der Begründung angenommen, deren Wille sei zumindest vorübergehend<br />

darauf gerichtet gewesen, wie ein Eigentümer über die auf dem Handy gespeicherten Daten zu<br />

verfügen. Der BGH sieht das anders. Zueignungsabsicht sei gegeben, wenn der Täter im Zeitpunkt der<br />

Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers<br />

körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem<br />

Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ oder zuführen wolle. An dieser<br />

Voraussetzung fehle es dagegen in Fällen, in denen der Täter die fremde Sache nur wegnehme, um<br />

sie „zu zerstören“, „zu vernichten“, „preiszugeben“, „wegzuwerfen“, „beiseite zu schaffen“ oder „zu<br />

beschädigen“ (u.a. BGH BGHSt 16, <strong>19</strong>0; <strong>19</strong>85, 812; NStZ 2011, 699). Entsprechend verhalte es sich in Fällen,<br />

in denen der Täter ein Handy lediglich in der Absicht wegnehme, um dort gespeicherte Bilder zu löschen.<br />

1020 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>19</strong> 10.10.<strong>20<strong>19</strong></strong>

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