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L E<br />

Nach der 10. Etappe der Tour<br />

war es nachts um halb eins, als<br />

Michael Matthews einschlafen<br />

konnte. Er ließ die letzten 200 Meter des<br />

Sprints in Albi am Nachmittag immer<br />

wieder in seinem Kopf ablaufen. Zum achten<br />

Mal war er in die Top Ten gefahren.<br />

Heute war er Vierter geworden.<br />

Wenn er den Sprint nur früher angezogen<br />

hätte, dachte er immer wieder, wäre<br />

niemand an ihm vorbeigekommen und er<br />

hätte gewonnen. 400 Meter vor der Linie<br />

war Matthews gut positioniert am dritten<br />

Hinterrad. 350 Meter vor der Linie zog<br />

Cees Bol, sein Teamkollege und Tour-<br />

Debütant, für ihn den Sprint an. Das Ziel<br />

war direkt vor ihnen. 200 Meter vor der<br />

Linie machte Bol noch immer Tempo, aber<br />

ihm ging die Puste aus und die Meute um<br />

sie herum schwoll an. Als sein Teamkollege<br />

ausgeschert war, war Matthews eingeklemmt<br />

und hatte seinen Schwung<br />

verloren. Er versuchte, noch einmal zu<br />

beschleunigen, aber Wout Van Aert und<br />

Elia Viviani waren bereits an ihm vorbeigezogen.<br />

Es war zu spät.<br />

Am nächsten Morgen, am ersten Ruhetag<br />

der Tour, lässt Matthews den Moment<br />

noch immer Revue passieren, wieder und<br />

wieder. „Es ist frustrierend, wenn du<br />

weißt, dass es der Sieg hätte sein müssen,<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

MICHAEL<br />

MATTHEWS<br />

Michael Matthews’ Tour-Planung wurde auf<br />

den Kopf gestellt, als sein Teamkollege Tom<br />

Dumoulin seinen Start zwei Wochen vor dem<br />

Grand Départ absagte und er der einzige<br />

Kapitän von Sunweb wurde. Der Australier<br />

erzählt Procycling, wie er das Beste aus einer<br />

schwierigen Situation machte.<br />

aber du zu lange gewartet hast. Wenn du<br />

nicht die Beine hattest oder du gestürzt<br />

bist, kannst du es nehmen, wie es ist, aber<br />

wenn du weißt, dass du die Beine hattest,<br />

um es zu Ende zu bringen, ist es wahrscheinlich<br />

am schwersten zu akzeptieren“,<br />

sagt er zu Procycling mit einem fast mutlosen<br />

Seufzer.<br />

Auf der 1. Etappe unterlag er Mike Teunissen<br />

im Massensprint. Auf der 3. Etappe<br />

bei der steilen Hügelankunft in Épernay<br />

musste er sich Julian Alaphilippe geschlagen<br />

geben. Auf der 4. Etappe wurde er<br />

Neunter hinter Viviani. Auf der 5. Etappe<br />

nach Colmar und einem weiteren Top-<br />

Ten-Platz schien er überfordert zu sein.<br />

Die wellige Etappe hatte drei kategorisierte<br />

Anstiege aufgewiesen, was perfekt für einen<br />

Sprinter-Puncheur wie Matthews war.<br />

Sein Team hatte die Route ausgekundschaftet<br />

und auf der Straße Tempo gemacht,<br />

aber all das reichte immer noch<br />

nicht und Matthews wurde von seinem<br />

Angstgegner Peter Sagan geschlagen.<br />

Während die Fahrer nach einer Etappe<br />

normalerweise sofort im Bus verschwinden,<br />

schien Matthews überall hingehen zu<br />

wollen, nur nicht dorthin. Er rollte so langsam<br />

durch den geparkten Konvoi, dass<br />

sich seine Beine kaum drehten. Sein Kopf<br />

hing, der Blick war auf den Boden ge-<br />

ETAPPE<br />

11<br />

MITTWOCH, 17. JULI<br />

ALBI › TOULOUSE<br />

167 KM<br />

„Der sichere Weg zum Erfolg ist immer,<br />

es doch noch einmal zu versuchen.“<br />

(Thomas Edison) Caleb Ewan scheint<br />

dieses Motto verinnerlicht zu haben. In<br />

den letzten Jahren musste der australische<br />

Sprinter neben seinen Siegen auch<br />

mehrere Niederschläge verkraften.<br />

Vielleicht war die Tatsache, dass keiner<br />

seiner Konkurrenten bei der Tour<br />

dominieren konnte, ein kleiner Trost.<br />

In Toulouse hatte Ewan auf einen<br />

klassischen Sprintzug verzichtet – ein<br />

Schachzug, bei dem sich ein paar seiner<br />

Teamkollegen fragten, inwieweit sie<br />

eine nützliche Rolle im Tour-Aufgebot<br />

spielen konnten – stattdessen hatte er<br />

sich dafür entschieden, sich an ein<br />

geeignetes Vorderrad zu heften. Das<br />

hatte schon einige Male fast funktioniert,<br />

weshalb er bei dieser Strategie blieb.<br />

So folgte Ewan dem Hinterrad des<br />

Jumbo–Visma-Sprinters Dylan Groenewegen.<br />

Nachdem Groenewegen seinen<br />

Sprint angezogen und etwa eine<br />

Radlänge herausgefahren hatte, kam die<br />

Attacke von Ewan. Er beschleunigte,<br />

fuhr in den Windschatten des Holländers<br />

und zog vor der Ziellinie an ihm vorbei.<br />

Auch Viviani, der als Dritter finishte,<br />

hatte keine Chance.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Caleb Ewan Lotto Soudal 3:51:26<br />

2 Dylan Groenewegen Jumbo–Visma gl. Zeit<br />

3 Elia Viviani Deceuninck–QS gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

„ABENDS IST ES ZIEMLICH SCHWER,<br />

INS BETT ZU GEHEN. ES GEHEN DIR IMMER<br />

NOCH 1.000 SACHEN DURCH DEN KOPF.“<br />

Michael Matthews, Sunweb<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 47:18:41<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />

3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 257<br />

2 Elia Viviani Deceuninck–QS 184<br />

3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 174<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 85

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