PC_09_2019_FINAL_X1
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L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
JUMBO–VISMA<br />
Groenewegen holte sich seinen ersehnten<br />
Etappensieg im Massensprint auf der<br />
siebten Etappe.<br />
Groenewegen war vor einem Jahr in derselben<br />
Position, als die erste Tour-Woche zu<br />
Ende ging und sein eingeplanter Sieg sich<br />
nicht eingestellt hatte. Dann landete er, als<br />
niemand mit ihm rechnete, auf den Etappen<br />
sieben und acht zwei Siege hintereinander.<br />
Zwölf Monate später riss Groenewegen<br />
auf derselben siebten Etappe, dieses<br />
Mal in Chalon-Sur-Saône, das Ruder wieder<br />
herum.<br />
Die Fahrer mussten einen Extrakilometer<br />
am Ufer der Saône radeln, um nach<br />
dem Sieg des Holländers zu ihren Mannschaftsbussen<br />
zurückzukommen. Als<br />
sich Reporter und Fans vor dem Jumbo–<br />
Visma-Bus versammelten, stand Generalmanager<br />
Richard Plugge ein paar Meter<br />
weiter am Mannschaftswagen, sodass die<br />
erste Person, die die Fahrer sahen, wenn<br />
sie auf den Rempart Saint Marie einbogen,<br />
er war. Er verteilte Umarmungen,<br />
Handschläge und Glückwünsche an alle,<br />
als sie eintrafen.<br />
In Interviews wollte Groenewegen nicht<br />
viel dazu sagen, ob es mental schwer für<br />
ihn gewesen sei, seinen Teamkollegen die<br />
Etappe gewinnen zu sehen, die seine hätte<br />
sein sollen, und wie er darüber hinwegkommen<br />
sei und wenige Tage später gewonnen<br />
habe. Aber Plugge sagte, das<br />
Team habe das Thema nicht gescheut.<br />
„Unsere Sportdirektoren haben Wert darauf<br />
gelegt, darüber zu sprechen, denn es<br />
muss auch Raum für seine Enttäuschung<br />
sein. Sie haben viel mit ihm darüber gesprochen,<br />
auch mit Mike. Sie teilen sich<br />
ein Zimmer, daher gab es ein gutes Gespräch.<br />
Er ist jemand, der durch ‚eine<br />
Wand‘ gehen kann, und er kommt zurück,<br />
wenn er eine Enttäuschung wie auf der<br />
ersten Etappe erlebt. Er ist jemand, der<br />
sagt: Morgen schlage ich zurück.“<br />
Das überwältigende Gefühl am Jumbo-<br />
Bus nach Groenewegens Sieg war Freude,<br />
aber für Groenewegens Sprintanfahrer Armund<br />
Grøndhal Jansen war das erste Gefühl<br />
nach der siebten Etappe reine Erleichterung.<br />
„Ich arbeite seit zwei Jahren bei<br />
der Tour für ihn, für mich ist das fast der<br />
Grund, warum ich hier bin“, sagte der<br />
Norweger, der nur einmal kurz aufhörte<br />
zu lächeln, um etwas zu trinken.<br />
„Ich bin hier, um Dylan zu helfen, Etappen<br />
zu gewinnen, und ich hätte nicht nach<br />
Hause fahren können, ohne dass er gewonnen<br />
hätte.“<br />
ETAPPE 10<br />
DER JEDI<br />
WIRD<br />
MEISTER<br />
WOUT VAN AERT<br />
Wout Van Aert stieg vom Rad, als er die<br />
Ziellinie in Albi auf der zehnten Etappe<br />
überquert hatte, und ließ sich auf den<br />
Lenker sinken, die Hände vors Gesicht<br />
geschlagen und nach Atem ringend. Sein<br />
Betreuer reichte ihm ein Getränk, das er<br />
schnell weggluckerte, bevor die Bestätigung<br />
kam, dass er die Etappe gewonnen<br />
hatte. Van Aert war mit einem Tigersprung<br />
einige Zentimeter vor Elia Viviani<br />
über die Linie gehechtet, bevor er die<br />
Arme jubelnd hochriss und einen lauten<br />
Jubelschrei ausstieß.<br />
Der Belgier war schon vor der Tour der<br />
Goldjunge seines Heimatlandes gewesen<br />
– drei Cross-Weltmeistertitel bis zum<br />
23. Lebensjahr erheben jeden Fahrer in<br />
den Superstar-Status. Als feststand, dass<br />
Van Aert <strong>2019</strong> zu Jumbo–Visma wechselte<br />
und in Vollzeit auf WorldTour-Niveau<br />
auf der Straße fahren würde, waren die<br />
Erwartungen himmelhoch, was er auch<br />
dort würde erreichen können. Noch höher<br />
wurden die Erwartungen dann nach seinem<br />
hervorragenden Frühjahr: Dritter<br />
beim Strade Bianche, Sechster bei Mailand–San<br />
Remo, Zweiter bei E3 Binck-<br />
Bank. Beim Critérium du Dauphiné gewann<br />
er zwei Etappen in Folge. Der<br />
schnelle Weg zum Tour-Debüt folgte.<br />
Man vergisst angesichts seines Palmarès<br />
leicht, dass Van Aert erst 24 und<br />
bei Straßenrennen auf höchstem Niveau<br />
ziemlich unerfahren ist. Es ist bemerkenswert,<br />
dass die Tour erst das dritte World-<br />
Tour-Etappenrennen ist, an dem er je teilgenommen<br />
hat. Angesichts des Hypes und<br />
Getöses könnte es leicht passieren, dass<br />
er unter diesem Druck einbricht oder die<br />
Schlagzeilen echten Resultaten im Weg<br />
stehen. Sein Intermezzo im Weißen Trikot<br />
zu Beginn der Tour brachte ihm noch<br />
mehr Aufmerksamkeit, bevor ein zweiter<br />
Platz hinter Sagan auf der fünften Etappe<br />
die Dinge weiter intensivierte.<br />
Das Jumbo-Management versichert,<br />
dass das Team keinen Platz für Egos habe,<br />
4Die Zahl der<br />
Siege von<br />
Wout Van<br />
Aert in <strong>2019</strong><br />
dass Fahrer gleich behandelt würden –<br />
ungeachtet ihres Status’. „Er ist bereits<br />
Weltmeister im Cyclocross, er versteht es,<br />
mit Druck umzugehen. Aber auf der anderen<br />
Seite mussten wir uns auf seine Entwicklung<br />
auf der Straße konzentrieren und<br />
haben versucht, ihm dabei zu helfen“, erklärte<br />
Plugge. „Und das hat funktioniert,<br />
denn bei der Tour de France ist alles ganz<br />
anders als im Cyclocross, da sind viel mehr<br />
Fahrer, daher muss der Prozess gut sein.“<br />
Die Tour ging gerade erst in ihren ersten<br />
Ruhetag, aber das Rennen war mehr als<br />
ein Erfolg für Jumbo. Vier Etappensiege<br />
entsprachen der besten Ausbeute seit<br />
Langem – so viele Erfolge hatte das Team<br />
zuletzt 20<strong>09</strong> gefeiert.<br />
„Das ist viel mehr, als wir gehofft hatten“,<br />
sagte auch ein strahlender Wout Van<br />
Aert über die herausragende erste Woche<br />
des niederländischen Teams.<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 75