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T O U R<br />

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BELGIEN<br />

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T O U R<br />

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BELGIEN<br />

D I E T O U R D E<br />

BELGIEN<br />

Die Tour de France <strong>2019</strong> begann anlässlich des<br />

50. Jahrestages des ersten von Eddy Merckx’ fünf Toursiegen<br />

mit drei Etappen in Belgien. Procycling war live vor Ort und hat<br />

herausgefunden, warum sich das Land und die Tour so gut ergänzen.<br />

Hoch oben auf der Muur<br />

van Geraardsbergen<br />

herrscht Radsportfieber.<br />

Die berühmte Rampe ist<br />

von Hunderten von Fans<br />

in viele Farben getaucht<br />

und Technomusik dröhnt<br />

aus riesigen Lautsprechern am t’ Hemelryck,<br />

der Kneipe 50 Meter vor der Kuppe<br />

des Anstiegs. Die Fotografen werden üblicherweise<br />

von dem grasbewachsenen<br />

Hügel und der gedrungenen Kirche, deren<br />

Positionen in dem Rahmen einen perfekten<br />

Goldenen Schnitt bilden, an der Spitze<br />

angezogen. Die Kurve der Straße im Zusammenspiel<br />

mit dem Himmel erschafft<br />

nämlich ein Motiv, das so aussieht, als<br />

wären die letzten Meter der Kapelmuur<br />

ein gepflasterter Weg in die Unendlichkeit.<br />

Das Gedränge der Fans scheint jedoch etwas<br />

weiter unten am t’ Hemelryck tatsächlich<br />

am dichtesten und lautesten zu sein.<br />

Es könnte der Tag der Flandern-Rundfahrt<br />

sein – außer dass niemand sich warm<br />

eingemummt hat, um sich vor der für die<br />

Ronde typischen Aprilkälte zu schützen.<br />

Roy Jenkins, der frühere Präsident der<br />

Europäischen Kommission, nannte den<br />

permanent wolkenverhangenen belgischen<br />

Himmel einst „brabantsche Trübsal“, aber<br />

die Tour de France scheint den blauen<br />

Himmel mit über die Grenze gebracht zu<br />

haben. Die Luft ist voller Sommerwärme<br />

und das Gestrüpp unterhalb des Gipfels<br />

riecht nach Leben und Fruchtbarkeit.<br />

Wenn die Ronde stattfindet, treibt das erste<br />

Grün gerade aus, und anfangs passt das<br />

Sommer-Feeling nicht zu diesem Ort. Statt<br />

mit den KBC- und Het-Nieuwsblad-Fahnen<br />

der Ronde ist die Straße von gepunkteten<br />

Plakaten gesäumt, die für die französische<br />

Supermarket-Kette Leclerc werben.<br />

Die Menge sprudelt aber mindestens genauso<br />

über wie beim berühmten Gegenstück<br />

im April. Es ist dieselbe Mischung<br />

aus einheimischen und internationalen<br />

Fans – es sind sogar dieselben Leute. Kevin<br />

Van Wijnbergen, der sich den besten Platz<br />

an der Mauer gesichert hat – in der Kurve<br />

am letzten steilen Stück –, steht bei der<br />

Ronde am selben Platz. „Ich komme seit<br />

zwölf Jahren jedes Jahr her“, sagt er. „Hier<br />

ist die beste Stelle. Du bist so nah dran,<br />

Text Edward Pickering<br />

Fotografie Gruber Images<br />

dass du die Fahrer riechen kannst.“ Kevin,<br />

der in Geraardsbergen lebt, will aber nicht<br />

überheblich sein. „Ich denke, die Tour ist<br />

größer als die Ronde. Dass die Tour nach<br />

Geraardsbergen kommt, ist spektakulär.“<br />

Einer der Fotografen ist dagegen nicht<br />

zufrieden: „Sie haben die Etappe etwas<br />

zu sehr entschärft“, sagt er. Aber als Greg<br />

Van Avermaet als Erster über die Kuppe<br />

fährt, ist das Getöse mindestens so laut<br />

und herzlich wie bei der Flandern-Rundfahrt.<br />

Van Avermaet und die Muur sind<br />

so flämisch wie es nur geht, aber die Tour<br />

hat sich mit ihnen perfekt verbunden. Ein<br />

anderes Rennen, aber irgendwie gleich.<br />

Das sollte nicht überraschen. Belgien<br />

ist ein historischer Zufall, ein Land, das<br />

auf Kompromissen gründet – geteilt durch<br />

die Sprache und gebildet aus einem Kollektiv<br />

kulturell heterogener Provinzen,<br />

aber geeint durch eine historische Beziehung<br />

zum Katholizismus; und auch durch<br />

einen selbstironischen Sinn für Humor,<br />

den Flamen und Wallonen gemeinsam<br />

haben. Wie der Schriftsteller Daniel De<br />

Bruycker sagte: „Belgien ist das einzige<br />

Land, das sich fragt, ob es existiert.“<br />

Die Tour fühlt sich hier wohl. Die Einheimischen<br />

freuen sich auf die Tour de<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 63

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