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L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

E G A N<br />

BERNAL<br />

© Gruber Images<br />

Ineos roch. Bernal war Pinot gefolgt, der<br />

zu dem Zeitpunkt der stärkste Fahrer<br />

des Rennens war, und Thomas war gezwungen,<br />

länger abzuwarten, als ihm lieb<br />

gewesen wäre, um die Gefahr zu neutralisieren,<br />

die von einem unerwartet hartnäckigen<br />

Julian Alaphilippe ausging. Hätten<br />

die beiden besser zusammenarbeiten können?<br />

„Das Wichtigste ist, auf der Straße<br />

zu kommunizieren und dem anderen zu<br />

sagen, wie man sich fühlt“, sagte Thomas,<br />

während er auf der gedämpften Pressekonferenz<br />

des Teams am zweiten Ruhetag<br />

in Nîmes in die Ferne starrte.<br />

In den Alpen überhäufte Brailsford<br />

Thomas mit Lob für seine Großzügigkeit,<br />

dass er Bernal anleitete und dem Kolumbianer<br />

Spielraum für Angriffe ließ. Ihm<br />

blieb zwar kaum etwas anderes übrig, aber<br />

tatsächlich war Thomas immer noch auf<br />

der Jagd nach seinem zweiten Toursieg<br />

und sollte diese Ambitionen auch noch<br />

bis zur 19. Etappe und dem Abbruch des<br />

Rennens auf dem Gipfel des Iseran hegen.<br />

Die Diskrepanz zwischen seinen Worten<br />

und seinem Agieren war der pragmatische<br />

Kompromiss, der ausreichte, um das<br />

Team zu binden, aber der gleichzeitig locker<br />

genug war, um die Entscheidung auf<br />

D<br />

er unvermeidliche<br />

Konsens, der sich<br />

um Bernal – einen<br />

Toursieger mit<br />

22 – bildete, ist, dass er bei<br />

künftigen Frankreich-Rundfahrten<br />

eine feste Größe sein<br />

wird. Renndirektor Christian<br />

Prudhomme sagte, Bernal sei<br />

ein Federer, der einen Nadal<br />

brauche. Beweise gegen diese<br />

orthodoxe Sichtweise sind dünn<br />

gesät, aber es gibt historische<br />

Beispiele, die zu beachten sind:<br />

Jan Ullrich, Toursieger mit<br />

23 und Zweitplatzierter im<br />

folgenden Jahr; Felice Gimondi<br />

gewann die Tour in seiner ers -<br />

ten Profisaison, und obwohl er<br />

ansonsten viel gewann, konnte<br />

er die Grand Boucle kein zweites<br />

der Straße zu fällen. Aber die Tour ging<br />

dem Ende zu, und irgendjemand oder irgendetwas<br />

musste das Paar trennen. Da<br />

Alaphilippe mittlerweile ausgepowert war,<br />

sahen Pinot oder einer des Ineos-Paares<br />

wie Sieger aus.<br />

In Valloire, das in einer Talsenke zwischen<br />

dem Galibier und dem Col du Télé-<br />

DER MANN<br />

FÜR DIE ZUKUNFT?<br />

Mal für sich entscheiden. In<br />

jüngerer Zeit sah Nairo Quin -<br />

tana wie der kommende Tour -<br />

sieger aus, nachdem er 2013<br />

Zweiter geworden war, aber<br />

er schaffte es nicht auf das<br />

oberste Treppchen.<br />

Doch Bernals spanischer<br />

Trainer Xabier Artetxe sagte:<br />

„Wir wissen, dass er noch jung<br />

ist, und wir müssen auf ihn<br />

aufpassen. Aber er hat eine<br />

brillante Zukunft vor sich. Er<br />

ist immer motiviert, sich zu<br />

verbessern und alles zu ler -<br />

nen. Er versucht so viel über<br />

Physiologie, Ernährung und<br />

alles andere zu lernen. Er treibt<br />

dich an, dich zu verbessern,<br />

aber gleichzeitig vertraut er<br />

dir 100 Prozent.“<br />

Die kolumbi -<br />

a nischen Fans<br />

verwandelten<br />

die Etappen in<br />

Partyzonen.<br />

Aber Artetxe hat auch festgestellt,<br />

dass die Kolumbianer<br />

früher reifen. „Das chronologische<br />

Alter und das biologische<br />

Alter sind nicht dasselbe“, sagte<br />

er. „Für Leute aus einigen<br />

anderen Ländern kann das<br />

chronologische Alter höher als<br />

das biologische Alter sein, und<br />

es ist bekannt, dass Kolumbianer,<br />

wenn sie jünger sind, stärker<br />

sind als Europäer.“<br />

Er fügte hinzu: „Ich glaube,<br />

er kann sich noch in mehreren<br />

Bereichen verbessern. Er<br />

kann sich im Klettern und im<br />

Zeitfahren steigern, und wenn<br />

er mehr Erfahrung hat, wird er<br />

sicher ein besserer Fahrer sein.<br />

Wir hoffen, dass er in Zukunft<br />

noch stärker sein wird.“<br />

graphe liegt, waren die Ineos-Fahrer nahe<br />

dran, gegen ihren delikaten Pakt zu verstoßen.<br />

Tatsache ist, dass Bernal auf der<br />

18. Etappe 3,5 Kilometer vor dem Gipfel<br />

des Galibier angriff und einen Vorsprung<br />

von 45 Sekunden herausfuhr. Einen Kilometer<br />

vor dem Ziel fuhr Thomas eine unorthodoxe<br />

Gegenattacke, die das Ergebnis<br />

hatte, die Distanz zwischen dem Gelben<br />

Trikot und seinem kolumbianischen<br />

Teamkollegen zu reduzieren.<br />

„G instruierte mich, zu attackieren und<br />

den Sprung zu machen, und danach würde<br />

er es versuchen“, sagte Bernal im Ziel.<br />

Er fügte hinzu, dass alles vom Sportlichen<br />

Leiter dahinter, in diesem Fall Nicolas<br />

Portal, abgesegnet gewesen sei. Thomas<br />

sagte zudem, dass die Order aus dem<br />

Mannschaftswagen kam, aber Bernals<br />

Vorstoß der Gruppe um das Gelbe Trikot<br />

nicht genügend zugesetzt hatte, um Alaphilippe<br />

abzuschütteln. Daher musste er<br />

es selbst versuchen. Aber Thomas nahm<br />

die Gruppe um das Gelbe Trikot damit nur<br />

ins Schlepptau. Im Ziel war Bernals Vorsprung<br />

auf 32 Sekunden geschrumpft.<br />

Brailsford wies den Vorwurf barsch zurück,<br />

dass das Teammanagement hätte<br />

einschreiten müssen.<br />

Trotzdem versetzte der Anblick von<br />

Quintanas Etappensieg und Bernals Verbesserung<br />

vom fünften auf den zweiten<br />

Gesamtplatz Kolumbien in einen Freudentaumel.<br />

Eine Tatsache, die Bernal vollkommen<br />

entging: „Ich weiß nicht, was in<br />

Kolumbien los ist. Ich weiß nicht mal, was<br />

außerhalb des Teams los ist“, sagte er, als<br />

er auf den Trubel in seiner Heimat angesprochen<br />

wurde.<br />

Der Iseran ist als höchste asphaltierte<br />

Passstraße in Europa so hoch, dass es<br />

passte, dass Bernal an diesem Ort die<br />

Kontrolle über das Rennen übernahm.<br />

Geebnet wurde sein Weg dadurch, dass<br />

Pinot das Rennen an dem Tag nach<br />

30 Kilometern unter herzzerreißenden<br />

Umständen mit einer Oberschenkelverletzung<br />

aufgeben musste. Das andere Hindernis,<br />

die dringende Notwendigkeit,<br />

Alaphilippe das Gelbe Trikot abzunehmen,<br />

bedeutete, dass der 13 Kilometer<br />

lange Anstieg die felsige Kulisse bildete,<br />

vor der die französischen Herzen weiter<br />

gebrochen wurden. Erst attackierte Thomas,<br />

und dann tat Bernal, was sein<br />

Teamkollege tags zuvor nicht vermocht<br />

hatte, und schüttelte Alaphilippe endgültig<br />

ab. 1.000 Meter vor dem Gipfel und<br />

38 Kilometer vor der Ziellinie trug Bernal<br />

das virtuelle Gelbe Trikot. Dahinter hing<br />

46 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>

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