PC_09_2019_FINAL_X1
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
E G A N<br />
BERNAL<br />
gerutscht und böse gestürzt. Herrara,<br />
dem das Blut aus einer klaffenden Wunde<br />
über der linken Augenbraue rann, stieg<br />
wieder auf und gewann die Etappe. Die<br />
Siegerfotos von seinem blutüberströmten<br />
Gesicht machten den kolumbianischen<br />
Vorstoß bei der Tour unsterblich; es musste<br />
anscheinend einfach so sein.<br />
Dieses Mal war der beste escarabajo<br />
ebenfalls vom Glück verwöhnt, aber er<br />
fuhr unspektakulärer nach Saint-Étienne<br />
hinein. Er erreichte das Ziel zusammen<br />
mit Thomas. Als sie sich Seite an Seite<br />
ausfuhren, beschrieb Thomas einer der<br />
Kameras seine Enttäuschung, 20 Sekunden<br />
auf Thibaut Pinot und Julian Alaphilippe<br />
verloren zu haben, während Bernal<br />
vor einer anderen Kamera seinem Glücksstern<br />
dankte. „Ich wusste nicht, ob ich<br />
warten musste, aber das Team hat mich<br />
instruiert, in der Spitzengruppe zu bleiben“,<br />
fügte er hinzu.<br />
Als er über die Tour insgesamt nachdachte,<br />
sagte Bernal, sein kritischster Moment<br />
sei das Zeitfahren in Pau gewesen.<br />
Auf dem technisch anspruchsvollen und<br />
hügeligen 27,2-Kilometer-Kurs verlor er<br />
1:36 Minuten auf Alaphilippe, der seinen<br />
Vorsprung ausbaute – auf ganze 1:22 Minuten<br />
gegenüber seinem Teamkollegen<br />
Thomas. Ein viel schwerwiegender Verlust<br />
als an der Super Planche. Nachdem er am<br />
nächsten Tag am Tourmalet gut unterwegs<br />
war, beschrieb er das Zeitfahren als<br />
den schlimmsten Tag seiner Karriere. Obwohl<br />
er erst vier Jahre Profi ist, will das<br />
etwas heißen. Es war die erste Schwäche<br />
in Bernals Arsenal – und auch seine letzte<br />
bei der diesjährigen Tour de France.<br />
Beim Zeitfahren<br />
in Pau verlor Bernal<br />
Zeit – eine Disziplin,<br />
an der er in Zukunft<br />
arbeiten will.<br />
zuerst unmerklich und dann mit zunehmender<br />
Stärke. Als er acht Sekunden nach<br />
dem Etappensieger Thibaut Pinot, aber<br />
28 Sekunden vor Thomas ins Ziel kam,<br />
der in den ersten zwei Wochen zu wenig<br />
gegessen hatte, fuhr Bernal Zeit auf der<br />
Straße heraus, während er sich verbal seinem<br />
Chef Thomas noch unterordnete.<br />
„Ich fahre mit dem amtierenden Tour-<br />
Champion“, sagte er auf dem Gipfel des<br />
Tourmalet, wo der neue Eigentümer von<br />
Ineos, der schlaksige und wettergegerbte<br />
Sir Jim Ratcliffe das Rennen besuchte.<br />
„Ich respektiere, was das Team sagt, und<br />
will nicht dagegen verstoßen. Ich werde<br />
sehen, was das Team entscheidet. Wenn<br />
ich Thomas helfen muss, werde ich ihm<br />
helfen, und wenn ich mein Rennen fahren<br />
muss, werde ich das tun.“<br />
Im vergangenen Jahr stellte sich<br />
beim britischen Team die Frage nach<br />
der Kapitänsrolle. Wer hatte das Sagen:<br />
Froome oder Thomas? In diesem Jahr<br />
wiederholte sich das Spiel: Thomas oder<br />
Bernal? Aber zur Kapitänsfrage kam ein<br />
weiteres Thema – das der Mannschaftsstärke.<br />
Das Team riss das Rennen nicht<br />
so an sich wie in den letzten Jahren.<br />
Hatten andere Teams aufgeholt oder war<br />
Ineos schwächer?<br />
Thomas sagte offen, dass Michał Kwiatkowski<br />
nicht „so gut war, wie er gerne<br />
wäre“, während auch Gianni Moscon und<br />
Jonathan Castroviejo insgesamt unauffälliger<br />
waren. Wout Poels, versicherte<br />
Brailsford, wäre in der dritten Woche gut.<br />
Trotzdem: Während das alte Sky-Team<br />
die Gruppe um das Gelbe Trikot bei der<br />
ersten großen Bergankunft einst mit Fahrern<br />
bestückt hätte, war am Tourmalet<br />
erkennbar, dass Thomas und Bernal in<br />
den entscheidenden Anstiegen alleine<br />
sein würden.<br />
Das war auch weitgehend der Fall am<br />
folgenden Tag nach Prat d’Albis, an dem es<br />
obendrein nach taktischen Fehlern von<br />
BERGFÜHRER AM TOURMALET<br />
Er brachte es auf dem Tourmalet sofort<br />
wieder in Ordnung – an einem Tag, an<br />
dem Thomas schwächelte. Es war viel die<br />
Rede von den sieben Anstiegen der Route,<br />
die die 2.000-Meter-Marke knackten.<br />
Und davon, dass die höchste Tour der Geschichte,<br />
wie es hieß, Bernal lag. Für einen<br />
Fahrer, der auf 2.700 Meter Höhe aufgewachsen<br />
ist und dessen üblicher Trainingsanstieg<br />
zu Hause von dort noch<br />
einmal 1.000 Meter in die Höhe führt,<br />
sollten die Voraussetzungen nicht die<br />
schlechtesten sein.<br />
Die Bergankunft am Tourmalet auf der<br />
14. Etappe war der erste wirkliche Tag<br />
auf Bernals bevorzugtem Terrain, und hier<br />
begann der Kolumbianer vorzurücken –<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 45