PC_09_2019_FINAL_X1
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L E<br />
War dein zweiter Platz in diesem<br />
Jahr angesichts deiner Rückschläge<br />
schwerer als dein Sieg im letzten Jahr?<br />
Dieses Jahr war es eher eine mentale als<br />
eine physische Herausforderung. Im letzten<br />
Jahr hatte ich einen Lauf, es gab keine<br />
wirklichen Rückschläge im Rennen oder<br />
davor. In diesem Jahr war es ein echter<br />
Kampf, aber ich bin stolz, dass ich es geschafft<br />
habe, in der Spur zu bleiben. Es<br />
hätte nicht so sein sollen, aber ich bin<br />
trotzdem zufrieden. Ich wollte gewinnen,<br />
aber dass Egan gewann und ich immerhin<br />
Zweiter wurde, ist auch gut.<br />
Wie hast du die Störgeräusche ausgeblendet,<br />
als du in die Tour gingst?<br />
Ich halte mich aus dem Gerede heraus,<br />
ich nutze kein Social Media und bleibe in<br />
meiner eigenen kleinen Welt. Meine Frau<br />
ist gut darin, mich aufzurichten und bei<br />
Laune zu halten. Das Beste ist, sich nicht<br />
in die ganze Tour-Blase einwickeln zu<br />
lassen, weil es so intensiv ist. Wenn ich<br />
mich für jedes Selfie, um das ich gebeten<br />
werde, hinstellen würde, wäre ich noch auf<br />
der 3. Etappe. Das ist manchmal wirklich<br />
schwer, weil dir alle vorwerfen, wie ein<br />
Roboter zu sein.<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
G E R A I N T<br />
THOMAS<br />
DIE SCHWERE ZWEITE<br />
TOUR<br />
Der Sieger von 2018, Geraint Thomas, musste<br />
vor und während der diesjährigen Tour<br />
mehrere Rückschläge überwinden, wurde aber<br />
trotzdem Zweiter hinter seinem Teamkollegen<br />
Egan Bernal. Er erzählt Procycling, warum er<br />
sehr stolz auf das Resultat ist.<br />
Interview Sam Dansie<br />
Hat es Spaß gemacht, anders fahren<br />
zu können und die Tour auf andere<br />
Weise zu gewinnen?<br />
Ja. Es ist leicht, ein Team zu kritisieren,<br />
das gut fährt und mit einer bestimmten<br />
Formel gewinnt, aber es ist wie bei allem<br />
anderen: Wenn du Tomatenketchup<br />
machst und ein tolles Rezept hast, warum<br />
solltest du es ändern? Wir hatten eine bestimmte<br />
Formel, und in diesem Jahr<br />
mussten wir sie ändern, daher war es<br />
schön, auf diese Weise Erfolg zu haben.<br />
Vor der Tour haben wir dich gefragt,<br />
ob andere Teams einen Minderwertigkeitskomplex<br />
hätten. Du sagtest:<br />
„Vielleicht.“ Was würdest du jetzt<br />
antworten?<br />
Ich glaube, andere Teams sind ermutigt<br />
worden. Wir waren in den Bergen nicht<br />
ganz so stark wie früher, aber ich glaube,<br />
unsere größte Stärke – ich weiß, dass wir<br />
uns ständig darüber auslassen – ist die<br />
Kommunikation und Solidarität der Gruppe.<br />
Selbst wenn du nicht so gute Beine<br />
hast wie früher, ist es der Zusammenhalt,<br />
der uns stark macht, nicht die Einzelperson.<br />
Alle reden die ganze Zeit vom Geld,<br />
und das spielt eine Rolle, aber wenn du<br />
ETAPPE<br />
20<br />
SAMSTAG, 27. JULI<br />
ALBERTVILLE ›<br />
VAL THORENS<br />
59,5 KM<br />
Frühe Forscher, die die Alpen erkundeten,<br />
erwähnten den Mont Iseran, einen<br />
scheinbar 4.000 Meter hohen Gipfel<br />
in der Vanoise. Erst im 19. Jahrhundert,<br />
als die Region richtig kartiert wurde,<br />
erkannten die Menschen, dass es keinen<br />
solchen Gipfel gab. Es ist nicht einfach,<br />
einen Berg zu verlieren, doch die Tour<br />
de France hat auf der 20. Etappe des<br />
Rennens <strong>2019</strong> nach Val Thorens die<br />
gleiche Leistung vollbracht. Erdrutsche<br />
auf dem Cormet de Roselend zwangen<br />
die Organisatoren, diesen und einen<br />
weiteren Anstieg aus der Etappe zu<br />
streichen, und machten aus einer schweren<br />
letzten alpinen Herausforderung<br />
eine reine und beanspruchende<br />
Kletterpartie hoch nach Val Thorens.<br />
Jeder, der geplant hatte, den neuen<br />
Führenden Egan Bernal zu attackieren,<br />
hatte plötzlich den Großteil der<br />
Möglichkeiten verloren, auf dem er dies<br />
hätte tun können. Bernal und sein Team<br />
Ineos gingen auf der gekürzten Etappe<br />
auf Nummer sicher. Sie setzten sich<br />
hinter Jumbo, dessen Interesse darin<br />
lag, das Tempo hoch zu halten, Julian<br />
Alaphilippe vom Podium zu verdrängen<br />
und ihn durch ihren Kapitän Steven<br />
Kruijswijk zu ersetzen. Vincenzo Nibali<br />
dagegen zog die anderen 30 Fahrer ab,<br />
die als Gruppe vor dem Peloton fuhren,<br />
und ging mit Bärenkräften in den letzten<br />
Anstieg, um sich die Etappe zu<br />
holen, während Bernal seinen<br />
Gesamtsieg sicherte.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Vincenzo Nibali Bahrain-Merida 1:51:53<br />
2 Alejandro Valverde Movistar Team +0:10<br />
3 Mikel Landa Movistar Team +0:14<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 79:52:52<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:11<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:31<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 3<strong>09</strong><br />
2 Elia Viviani Deceuninck–QS 224<br />
3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 203<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 119