08.10.2019 Aufrufe

PC_09_2019_FINAL_X1

  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

TOUR DE FRANCE<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

DIE BESTE AUFLAGE SEIT 30 JAHREN<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong><br />

€ 5,90<br />

A-€ 6,50<br />

CHF 10,80<br />

Lux-€ 6,50<br />

www.procycling.de<br />

EGAN<br />

BERNAL<br />

SO WURDE DER KOLUMBIANER<br />

ZUM JÜNGSTEN TOURSIEGER<br />

DER NACHKRIEGSZEIT<br />

DER<br />

GROSSE<br />

RÜCKBLICK<br />

Analysen, Features,<br />

Interviews – das war die<br />

Grande Boucle<br />

<strong>2019</strong><br />

EMANUEL<br />

BUCHMANN<br />

Mit Understatement zum Erfolg<br />

– der Ravensburger über die<br />

Schlüsselmomente seiner Tour<br />

EXKLUSIV-INTERVIEW<br />

GERAINT<br />

THOMAS<br />

Der Sieger des letzten Jahres<br />

sagt uns, was gut lief<br />

– und was nicht<br />

LOULOU-<br />

MANIA!<br />

Frankreich ist<br />

verrückt nach<br />

Julian Alaphilippe<br />

JUMBO–<br />

VISMA<br />

THIBAUT<br />

PINOT<br />

KONRAD &<br />

PÖSTLBERGER<br />

70% K<br />

90% K


YOUTUBE<br />

FACEBOOK<br />

LINKEDIN<br />

TWITTER<br />

INSTAGRAM<br />

PERISCOPE


EDITORIAL<br />

DANKE, EMU!<br />

Was war das für eine Tour de France! Fünf Fahrer, die bis zur letzten Etappe Kopf an Kopf<br />

um das Gelbe Trikot kämpften – so eng wie in diesem Jahr ging es bei der Frankreich-<br />

Rundfahrt schon lange nicht mehr zu. Dazu Dramen um Mitfavoriten. Wetterkapriolen<br />

mit entscheidendem Einfluss auf den Rennverlauf. Ein Überraschungsmann, der bis kurz<br />

vor dem Ende bravourös das Gelbe Trikot verteidigte. Und ein Sieger, der aufgrund seines<br />

jugendlichen Alters vielleicht für eine neue Zeitrechnung im Radsport sorgen könnte. Es ist<br />

definitiv keine Untertreibung, wenn man sagt: Die Tour <strong>2019</strong> geht als Tour der Superlative<br />

in die Geschichte ein.<br />

Einen großen Anteil daran, dass die Tour de France <strong>2019</strong> eine der mitreißendsten der<br />

vergangenen Jahre war, hatte aus deutscher Sicht Emanuel Buchmann. Als Journalist hat<br />

man eigentlich die Aufgabe, neutral zu sein. Doch als „Emu“ am Col du Tourmalet auf den<br />

letzten zwei Kilometern attackierte und sich endgültig in den erweiterten Favoritenkreis<br />

dieser Tour fuhr, gab es auch bei uns in der Redaktion kein Halten mehr. Das galt umso<br />

mehr, als an den folgenden Tagen klar wurde, dass der Bora-Profi realistische Chancen auf<br />

einen Platz auf dem Podium in Paris haben würde. Am Ende sorgte Buchmann mit Rang<br />

vier nicht nur für die beste deutsche Grand-Tour-Platzierung seit Andreas Klöden 20<strong>09</strong>,<br />

sondern mit seiner taktisch klugen Fahrweise für viel Freude beim Zuschauen. Danke, Emu!<br />

Emanuel Buchmann ist aber nur einer von vielen Hauptdarstellern der Tour <strong>2019</strong>, denen<br />

wir uns auf den kommenden Seiten ausführlich widmen. In unserem großen Tour-de-<br />

France-Rückblick erfahren Sie noch einmal alles zur diesjährigen Auflage der Frankreich-<br />

Rundfahrt – angefangen beim Favoritenschreck Julian Alaphilippe und seinem zweiwöchigen<br />

Kampf um das Gelbe Trikot über das Drama um den Topfavoriten Thibaut Pinot bis<br />

hin zum jungen Sieger Egan Bernal. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, liebe Leserinnen<br />

und Leser, viel Spaß beim Schmökern in der neuen Procycling!<br />

Werner Müller-Schell<br />

Redaktion


INHALT<br />

AUSGABE 187 / SEPTEMBER <strong>2019</strong><br />

30<br />

TOUR-DE-FRANCE-RÜCKBLICK<br />

Procycling schaut mit Genuss und Freude auf eine der<br />

besten Auflagen der modernen Zeit.<br />

40<br />

EGAN BERNAL<br />

Der junge Kolumbianer überraschte die Radsportwelt<br />

mit seinem Toursieg im Alter von gerade einmal 22.<br />

RUBRIKEN<br />

© Getty Images<br />

6<br />

SCHNAPP-<br />

SCHUSS<br />

Rennen im Bild<br />

12<br />

PROLOG<br />

Aus dem Herzen<br />

des Pelotons<br />

24<br />

INSIDER<br />

Rick Zabel<br />

& Ralph Denk<br />

28<br />

STRAVA<br />

Die Daten<br />

der Profis<br />

122<br />

WUNSCH-<br />

LISTE<br />

Produkt-Highlights<br />

128<br />

VORSCHAU<br />

Themen der<br />

nächsten Ausgabe<br />

130<br />

JENS VOIGT<br />

Das letzte<br />

Wort<br />

4 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


50<br />

EMANUEL BUCHMANN<br />

Der Ravensburger analysiert die Schlüsselmomente seiner Tour.<br />

58<br />

PATRICK KONRAD & LUKAS PÖSTLBERGER<br />

Bora–hansgrohes starke Österreicher über die Rollen im Team.<br />

62<br />

BELGIEN<br />

So erlebte Procycling einen grandiosen Grand Départ.<br />

70<br />

JUMBO–VISMA<br />

Die niederländische Equipe war das Team der Tour.<br />

76<br />

DIE ERSTE WOCHE<br />

Warum war die Eröffnungswoche so unterhaltsam?<br />

84<br />

MICHAEL MATTHEWS<br />

Der schwere Kampf des Australiers vom Team Sunweb.<br />

90<br />

CALEB EWAN<br />

So kam der beste Sprinter des Rennens auf die Erfolgsstraße.<br />

96<br />

THIBAUT PINOT<br />

Der tragische Held der <strong>2019</strong>er-Tour – nicht nur für die Franzosen.<br />

104<br />

SIMON YATES<br />

Mitcheltons Doppel-Etappensieger nutzte die Gunst der Stunde.<br />

112<br />

JULIAN ALAPHILIPPE<br />

Die größte Persönlichkeit eines überragenden Rennens.<br />

118<br />

GERAINT THOMAS<br />

Warum hatte der Sieger von 2018 dieses Mal das Nachsehen?<br />

© Bora–hansgrohe/Bettini Photo (Buchmann), Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 5


POLEN-<br />

RUNDFAHRT<br />

4. Etappe, 6. August <strong>2019</strong><br />

Sander Armee, Carl Fredrik Hagen,<br />

Tomasz Marczynski, Harm Van -<br />

houcke, Jelle Wallays und Enzo<br />

Wouters trauern um ihren tödlich<br />

verunglückten Lotto-Soudal-Teamkollegen<br />

Bjorg Lambrecht. Der<br />

22 Jahre alte Belgier war am Tag<br />

zuvor schwer gestürzt und erlag<br />

im Krankenhaus seinen inneren<br />

Verletzungen. Fahrer und Orga -<br />

nisatoren entschieden sich dafür,<br />

die Etappe zu neutralisieren, das<br />

Rennen jedoch trotz der Tragödie<br />

fortzusetzen.<br />

© Luc Claessen/Getty Images<br />

6 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SCHNAPPSCHUSS<br />

IMPRESSIONEN DES RADSPORT-MONATS<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 7


SCHNAPPSCHUSS<br />

8 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SCHNAPPSCHUSS<br />

PRUDENTIAL<br />

RIDELONDON<br />

Surrey Classic, 4. August <strong>2019</strong><br />

In der englischen Hauptstadt fügte<br />

Deceuninck–Quick-Step seiner<br />

bislang erneut überragenden<br />

Saison einen weiteren Titel hinzu,<br />

als Elia Viviani zum Abschluss und<br />

Höhepunkt des Radsport-Festivals<br />

Prudential RideLondon das<br />

Herrenrennen auf der Prachtstraße<br />

The Mall für sich entschied. Sein<br />

Anfahrer Michael Mørkøv schaffte<br />

es als Dritter ebenfalls aufs Podium<br />

und rundete den perfekten Tag<br />

für die belgische Equipe ab.<br />

© Alex Livesey/Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 9


SCHNAPPSCHUSS<br />

10 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SCHNAPPSCHUSS<br />

TOUR DE<br />

FRANCE<br />

13. Etappe, 19. Juli <strong>2019</strong><br />

Maximilian Schachmann quält<br />

sich den letzten Anstieg zum Ziel<br />

hinauf. Beim Zeitfahren mit Start<br />

und Ende in Pau hatte der Deutsche<br />

gut im Rennen gelegen, ehe ein<br />

heftiger Sturz sämtliche Ambitionen<br />

zunichte machte. Das<br />

traurige Ergebnis waren eine<br />

gebrochene Hand und der Aus -<br />

stieg aus der Grande Boucle am<br />

folgenden Morgen. Auch Wout<br />

Van Aert (Jumbo–Visma), Sieger<br />

der 10. Etappe, verletzte sich beim<br />

Zeitfahren schwer und konnte<br />

nicht mehr weiterfahren.<br />

© Chris Graythen/Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 11


PROLOG<br />

PROLOG<br />

AUS DEM HERZEN DES PELOTONS<br />

EIN STARKES TEILNEHMERFELD<br />

Es ist eine Rekordzahl: 15 WorldTour-Mannschaften haben ihren<br />

Start für die Deutschland Tour <strong>2019</strong> angekündigt. Und das ist nicht das<br />

einzige Highlight, das die Zuschauer erwarten dürfen. Eine Vorschau.<br />

Text Werner Müller-Schell<br />

© Deutschland Tour/Pixathlon<br />

Die deutschen Radsportfans können sich<br />

auf ein Spitzensportereignis freuen, denn<br />

die Deutschland Tour erwartet bei ihrer<br />

zweiten Auflage eine Topbesetzung – das gaben<br />

die Veranstalter während des ersten Ruhetags der<br />

Tour de France bekannt. Insgesamt 15 Teams aus<br />

der höchsten Radsportliga, der WorldTour, haben<br />

ihren Start angekündigt. Zudem vervollständigen<br />

sieben Teams aus dem ProContinental- und dem<br />

Continental-Bereich die Startliste der 22 Mannschaften.<br />

Damit steht die Weltelite am Start der<br />

viertägigen Rundfahrt, die zwischen dem 29. August<br />

und 1. September von Hannover nach Erfurt<br />

führt. „Bereits in unserem zweiten Jahr haben wir<br />

das Maximum an WorldTour-Teams bei uns am<br />

Start stehen. Das ist Rekord – mehr geht nicht.<br />

Dieses große Interesse der besten Teams der Welt<br />

zeigt, welchen Stellenwert sich die Deutschland<br />

Tour nach der Premiere im letzten Jahr erarbeitet<br />

hat“, freut sich Claude Rach, Geschäftsführer der<br />

organisierenden Gesellschaft zur Förderung des<br />

deutschen Radsports.<br />

Angeführt wird das hochkarätige Peloton von den<br />

beiden deutschen Teams Bora–hansgrohe und<br />

Sunweb. Vor allem die Equipe aus dem bayerischen<br />

Raubling plant mit ihrer Besetzung ein<br />

Highlight für die deutschen Fans: „Die Deutschland<br />

Tour ist einer der Höhepunkte für uns. Mit<br />

jetzigem Stand planen wir mit einem komplett<br />

deutschen Team und unseren deutschen Spitzenfahrern.<br />

Pascal Ackermann, Marcus Burghardt<br />

und Emanuel Buchmann haben den Termin im<br />

Kalender stehen“, bestätigte Teamchef Ralph<br />

12 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Bereits bei ihrer<br />

ersten Wiederauflage<br />

präsentierte<br />

sich die Deutschland<br />

Tour als Publikumsmagnet.<br />

15 WorldTour-<br />

Teams werden bei<br />

der Deutschland<br />

Tour <strong>2019</strong> am Start<br />

stehen.<br />

Denk bereits frühzeitig. Auch bei der Sunweb-<br />

Equipe können die deutschen Fans auf die Local<br />

Heroes Lennard Kämna und Max Kanter hoffen.<br />

BEKANNTE STARS UND<br />

NACHWUCHSTEAMS<br />

Katusha-Alpecin plant ebenfalls mit einem<br />

schlagkräftigen Team rund um die heimischen<br />

Klassiker-Spezialisten Rick Zabel und Nils Politt.<br />

Dazu kommen einige internationale WorldTour-<br />

Teams, die deutsche Fahrer in ihren Reihen haben:<br />

CCC mit Tour-de-France-Ass Simon Geschke<br />

und Jonas Koch, AG2R La Mondiale mit Nico<br />

Denz sowie Bahrain-Merida mit den beiden<br />

sprintstarken Profis Phil Bauhaus und Marcel Sieberg.<br />

Aus dem ProContinental-Bereich darf man<br />

sich aus deutscher Sicht vor allem auf Arkéa-Samsic<br />

mit den Routiniers André Greipel und eventuell<br />

Robert Wagner freuen.<br />

Wie im Vorjahr bleiben die Deutschland-Tour-<br />

Macher auch in dieser Saison ihrem Prinzip treu,<br />

den heimischen Nachwuchs zu fördern. Daher<br />

sind trotz des Aufstieges der Deutschland Tour<br />

in die HC-Kategorie vier deutsche Kontinentalteams<br />

am Start. Die Mannschaften Bike Aid,<br />

Dauner-Akkon, Lotto Kern-Haus und P&S Metalltechnik<br />

haben sich mit ihren Leistungen in der<br />

ersten Saisonhälfte für die Deutschland Tour<br />

qualifiziert. „Diese Teams haben in den letzten<br />

Wochen in der Bundesliga und den internationalen<br />

Rennen um die Deutschland Tour gekämpft.<br />

Für sie und die deutschen Talente ist die Deutschland<br />

Tour die wichtigste Bühne und Sprungbrett<br />

zugleich“, betont Claude Rach.<br />

EINE STRECKE FÜR DIE<br />

KLASSIKER-FAHRER<br />

Spannung verspricht dabei nicht nur das Starterfeld,<br />

sondern auch die Strecke: Deutschlands<br />

größtes und einziges Etappenrennen wird in vier<br />

Etappen durch vier Bundesländer von Hannover<br />

nach Erfurt führen. Die Radprofis erwartet dabei<br />

eine Streckenführung über 700 Kilometer. Der<br />

Auftakt von Hannover in die Region Harz über<br />

167 Kilometer wird aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach ein Aufeinandertreffen der Sprinter, bevor<br />

am zweiten Tag über 202 Kilometer von Marburg<br />

nach Göttingen die Spezialisten für welliges Gelände<br />

gefragt sind. Eine Vorentscheidung im<br />

Kampf um den Gesamtsieg dürfte dann die hügelige<br />

dritte Etappe über 189 Kilometer von Göttingen<br />

nach Eisenach bringen, während der es unter<br />

anderem über den Rennsteig geht. Das<br />

spannende Finale steigt schließlich auf den 159,5<br />

Kilometern von Eisenach nach Erfurt. „Die Fans<br />

in den Etappenorten, an der Strecke und das<br />

TV-Publikum können sich auf Weltklassesport<br />

bei Deutschlands größtem Radsportfestival freuen“,<br />

so Claude Rach. Die Höhenprofile der Etappen<br />

finden Sie auf der kommenden Doppelseite.<br />

Übrigens: Neben den Radprofis bietet die<br />

Deutschland Tour <strong>2019</strong> auch allerlei Nebenevents<br />

für alle Fahrradfans. Zu nennen sind etwa<br />

Laufradrennen für Kinder, Radrennen für Nachwuchsathleten,<br />

Auftritte von Showgruppen und<br />

Eventmessen für Fahrradinteressierte in den jeweiligen<br />

Start- und Zielorten. Im vergangenen<br />

Jahr hatten während der gesamten Deutschland<br />

Tour 125.000 Schaulustige dem Spektakel beigewohnt;<br />

in dieser Saison erwarten die Veranstalter<br />

eine weitere Zuschauersteigerung.<br />

Gestartet wird die Deutschland Tour <strong>2019</strong><br />

am 29. August. In Hannover werden sich am<br />

Abend zuvor vor dem Neuen Rathaus im Rahmen<br />

der Teampräsentation alle 22 Mannschaften und<br />

132 Fahrer den Fans präsentieren. Das Ziel in<br />

Erfurt wird vier Tage später – am 1. September –<br />

erreicht.<br />

Neben den WorldTour-Teams nehmen<br />

drei Professional-Continental-Teams und<br />

vier Continental-Teams an der D-Tour teil.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 13


PROLOG<br />

„JEDES JAHR EIN<br />

BISSCHEN BESSER“<br />

Interview Chris Hauke<br />

© Lotto Kern-Haus<br />

Lotto Kern-Haus ist eines von vier heimischen<br />

Continental Teams, die sich bei der Deutschland<br />

Tour präsentieren können. Wir sprachen<br />

mit Teamchef Florian Monreal über den Grund für<br />

die Wildcard und die Pläne für das Rennen.<br />

Florian, wie war eure Reaktion, als ihr von<br />

der Einladung erfahren habt?<br />

Wir haben uns natürlich sehr gefreut, dass wir<br />

eine Einladung erhalten haben und bei der<br />

Deutschland Tour am Start stehen werden. Dementsprechend<br />

wollen wir uns dort auch bestmöglich<br />

präsentieren.<br />

Zwei der vier Teams haben sich sportlich<br />

qualifiziert, ihr seid eines der beiden anderen,<br />

die per Wildcard dabei sind. Warum,<br />

glaubst du, haben euch die Organisatoren<br />

ausgewählt?<br />

Mit unseren Fahrern Jonas Rutsch und Joshua<br />

Huppertz haben wir bewiesen, dass wir auch<br />

international bei großen europäischen Rennen<br />

vorne mitfahren können – etwa bei der Tour de<br />

Luxembourg, wo Jonas Achter der Gesamtwertung<br />

geworden ist. Die anderen deutschen Continental<br />

Teams haben ein solches Ergebnis nicht<br />

vorzuweisen.<br />

Die Erfolge und Leistungen von Jonas<br />

Rutsch haben ihn auch für die Eliteklasse<br />

interessant gemacht. Er wechselt zur kommenden<br />

Saison in die WorldTour – mit gerade<br />

mal 21 Jahren.<br />

Jonas hat bereits einen Vertrag bei EF Education<br />

First in der Tasche. Er trifft bei der Deutschland<br />

Tour zum ersten Mal auf seine neue Mannschaft.<br />

Das ist gut für ihn, aber auch für uns. Vielleicht<br />

können wir da noch den einen oder anderen Kontakt<br />

herstellen.<br />

Ihr fahrt bei der Deutschland Tour neben<br />

15 Teams aus der WorldTour. Welche Rolle<br />

kann Lotto Kern-Haus da spielen?<br />

Das Rennen wird wie letztes Jahr sehr hart. Wenn<br />

15 WorldTour-Mannschaften am Start sind, spielt<br />

man als Continental Team nicht direkt die Hauptrolle.<br />

Aber mit Jonas und Joshua haben wir zwei<br />

starke Fahrer, die auf jeden Fall in diesem Konzert<br />

mitspielen können. Joshua ist letztes Jahr in Merzig<br />

knapp an einer Top-Five-Platzierung vorbeigeschrammt.<br />

Durch einen Sturz kurz vor ihm ist er<br />

dann schlussendlich Zwölfter geworden. Wir können<br />

also schon darauf hoffen, dass wir um die eine<br />

oder andere Top-Ten-Platzierung mitfahren.<br />

Die Marschroute dürfte klar sein: in Gruppen<br />

gehen und das Rennen beleben.<br />

Ja, selbstverständlich. Wir wollen uns vorne in<br />

den Ausreißergruppen präsentieren, um auch die<br />

Fernsehzeit in ARD und ZDF mitzunehmen. Aber<br />

des Weiteren zählt am Ende des Tages natürlich<br />

auch das Top-Ten-Ergebnis. Da werden wir uns<br />

schon die eine oder andere Etappe raussuchen.<br />

Sind Jonas Rutsch und Joshua Huppertz die<br />

beiden Fahrer eures Teams, auf die die Zuschauer<br />

besonders achten sollten?<br />

Definitiv. Jonas und Joshua werden dort in Topverfassung<br />

sein. Jonas kommt von der Tour de<br />

l’Avenir, die kurz vorher stattfindet [15. bis<br />

25. August]. Dort fährt er noch für die Nationalmannschaft.<br />

Auch Joshua wird bei der Deutschland<br />

Tour topfit am Start stehen.<br />

Mit der Deutschland Tour wollen die Organisatoren<br />

dem deutschen Radsport zu mehr Aufmerksamkeit<br />

verhelfen. Wie ist denn die Situation<br />

bei einem deutschen Continental Team?<br />

Ich finde, die Situation ist ganz gut. Klar kann sie<br />

immer besser sein, aber immer nur Jammern<br />

bringt auch nichts. Ich mache das jetzt im sechsten<br />

Jahr, und es geht jedes Jahr ein bisschen besser.<br />

Die Deutschland Tour ist für uns natürlich<br />

ein absolutes Highlight. Wir werden unsere Sponsoren<br />

dort mit VIP-Shuttles herumfahren und<br />

abends ein Get Together und Meet & Greet mit<br />

den Fahrern veranstalten. Die Deutschland Tour<br />

ist für uns perfekt, um uns zu präsentieren und<br />

auch für größere Sponsoren attraktiv zu machen.<br />

Aktuell findet im deutschen Radsport ein<br />

Generationenwechsel statt. Welche Rolle<br />

kann Jonas Rutsch in Zukunft spielen? Und<br />

was zeichnet ihn aus?<br />

Jonas ist ein Phänomen. Wie er für ein Eintagesrennen<br />

über den Punkt gehen kann, ist schon<br />

überwältigend. Und auch, wie er sich vorbereiten<br />

kann. Er wollte [die U23-Version von] Gent–Wevelgem<br />

unbedingt gut fahren, und er hat dort gewonnen.<br />

Und dann, zwei Wochen später, in Flandern<br />

Fünfter zu werden – das muss man erst mal<br />

machen als junger Bursche. Jonas wird seinen<br />

Weg gehen, und er hat mit EF Education First ein<br />

sehr gutes Team an der Seite, bei dem er auch früh<br />

Florian Monreal, Teamchef von Lotto<br />

Kern-Haus.<br />

in die Klassiker reinschnuppern kann. Und<br />

dort mit Andreas Klier einen erfahrenen Sportlichen<br />

Leiter, der ihn bei diesen Rennen genau<br />

leiten kann.<br />

Ihr habt mit Max Walscheid schon mal einen<br />

Fahrer in die WorldTour gebracht, er ist bis<br />

Ende 2015 für euch gefahren und heute für<br />

Sunweb aktiv. Was überwiegt bei dir als<br />

Teamchef? Die Trauer, so gute Leute gehen<br />

lassen zu müssen, oder ist da auch einiges<br />

an Stolz dabei, dass ihr Fahrer auf dieses<br />

Top level gebracht habt?<br />

Nein, wird sind alle stolz darauf. Ich betreibe das<br />

Team auch, weil ich dem Radsport weiterhelfen<br />

will. Wenn ein Sportler die Chance bekommt, höherklassig<br />

zu fahren, dann soll er sie auch ergreifen.<br />

Das ist das Wichtigste. Auch unsere Sponsoren<br />

und Partner wissen es zu schätzen, dass sie es<br />

einem solchen Fahrer durch ihre Unterstützung<br />

ermöglichen, in die WorldTour zu wechseln.<br />

Glaubst du, dass die Deutschland Tour eine<br />

Signalwirkung haben kann?<br />

Ja, definitiv. Das hat man letztes Jahr gemerkt.<br />

Es gab viele begeisterte Zuschauer an der Strecke,<br />

auch die Fernsehübertragung ist gut angenommen<br />

worden. Alleine wie viele Leute hier in Koblenz<br />

[das Team hat seinen Sitz in Weitersburg bei<br />

Koblenz] am Start waren und auch bei der Teampräsentation<br />

– das hat schon was bewirkt. Und<br />

ich denke, dass dieses Jahr, wenn das Rennen vier<br />

Tage in ARD und ZDF zu sehen ist, noch eine<br />

Schippe draufgelegt wird.<br />

14 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

Die Deutschland Tour <strong>2019</strong> verspricht zu einem Kampf zwischen Sprintern und Klassiker-<br />

Jägern um den Gesamtsieg zu werden. Dies sind die Profile der vier Etappen.<br />

1. ETAPPE, DONNERSTAG, 29.08.<br />

HANNOVER–HALBERSTADT (167 KM)<br />

2. ETAPPE, FREITAG, 30.08.<br />

MARBURG–GÖTTINGEN (202 KM)<br />

600m<br />

500m<br />

400m<br />

300m<br />

200m<br />

100m<br />

55m HANNOVER<br />

0<br />

|REGION HANNOVER<br />

|LANDKREIS HILDESHEIM<br />

211m SEESEN<br />

498m Sternplatz (2.8km at 6.4%)<br />

285m Innerstestausee<br />

128m OSTERWIECK - BERSSEL<br />

167m Litter collection zone<br />

267m HUY NEINSTEDT<br />

78.5 86 90.5<br />

133 147.5 151.5<br />

|LANDKREIS GOSLAR |GOSLAR<br />

|LANDKREIS HARZ<br />

140m HALBERSTADT<br />

167km<br />

600m<br />

500m<br />

400m<br />

300m<br />

200m<br />

100m<br />

190m MARBURG<br />

402m WALDECK (1.8km at 8.7%)<br />

0<br />

67.5<br />

102.5<br />

172 181 193<br />

178.5 187.5<br />

|LANDKREIS MARBURG-BIEDENKOPF |LANDKREIS KASSEL |LANDKREIS GÖTTINGEN<br />

|LANDKREIS WALDECK-FRANKENBERG<br />

|GÖTTINGEN<br />

327m HABICHTSWALD (EHLEN)<br />

154m ROSDORF<br />

238m GÖTTINGEN (1.1km at 4.6%)<br />

205m Litter collection zone<br />

150m GÖTTINGEN (Crossing finish line #1)<br />

238m GÖTTINGEN<br />

150m GÖTTINGEN<br />

202km<br />

3. ETAPPE, SAMSTAG, 31.08.<br />

GÖTTINGEN–EISENACH (189 KM)<br />

4. ETAPPE, SONNTAG, 01.<strong>09</strong>.<br />

EISENACH–ERFURT (159,5 KM)<br />

600m<br />

500m<br />

400m<br />

300m<br />

200m<br />

100m<br />

230m GÖTTINGEN<br />

0<br />

466m HEILIGENSTADT (3.3km at 5.6%)<br />

30.5<br />

180m TREFFURT<br />

78<br />

216m KRAUTHAUSEN (LENGRÖDEN)<br />

|LANDKREIS GÖTTINGEN |HESSEN-WERRA-MEISSNER-KREIS<br />

|THÜRINGEN-LANDKREIS EICHSFELD |THÜRINGEN-WARTBURGKREIS<br />

95<br />

438m Hohe Sonne (1.8km at 6.5%)<br />

213m EISENACH (RENNBAHN)<br />

2<strong>09</strong>m EISENACH (First crossing finish line)<br />

374m Vachaer Stein (2.4km at 4.2%)<br />

292m Litter collection zone<br />

438m Hohe Sonne<br />

2<strong>09</strong>m EISENACH<br />

151 162 168 178.5<br />

158.5 173.5<br />

|EISENACH<br />

189km<br />

900m<br />

800m<br />

700m<br />

600m<br />

500m<br />

400m<br />

300m<br />

200m<br />

100m<br />

231m EISENACH<br />

711m Neue Ausspanne (4.9km at 4.6%)<br />

754m RUPPBERG (4.6km at 6%)<br />

834m OBERHOF (4.9km at 4.6%)<br />

708m OBERHOF WEGSCHEIDE<br />

276m ARNSTADT<br />

264m ERFURT (Crossing finish line #1)<br />

189m Litter collection zone<br />

Crossing finish line #2<br />

280m ERFURT (Wartburgstrasse)<br />

0<br />

44.5<br />

78.5 93.5 117<br />

143 151.5 159.5km<br />

85.5<br />

141.5 150.5<br />

|EISENACH<br />

|LANDKREIS SCHMALKALDEN-MEININGEN |ERFURT<br />

|WARTBURGKREIS<br />

|LANDKREIS GOTHA<br />

|LANDKREIS GOTHA<br />

|ILM-KREIS<br />

264m ERFURT<br />

HOHER BESUCH<br />

Neben den deutschen Topfahrern nehmen<br />

auch zahlreiche internationale Hochkaräter<br />

am Rennen teil – bei Redaktionsschluss waren<br />

unter anderem die folgenden Stars von ihren<br />

Teams gemeldet: Geraint Thomas (Team Ineos),<br />

Vincenzo Nibali (Bahrain-Merida), Flandern-<br />

Sieger Alberto Bettiol (EF Education First), Caleb<br />

Ewan (Lotto Soudal), Julian Alaphilippe, Enric<br />

Mas (beide Deceuninck–Quick-Step), Richie Porte<br />

(Trek-Segafredo) sowie Alexander Kristoff und<br />

Daniel Martin (beide UAE Team Emirates).<br />

DIE TRIKOTS<br />

Diese Farben werden die Führenden der<br />

einzelnen Wertungen tragen:<br />

Gesamtwertung<br />

Bergwertung<br />

Sprintwertung<br />

Nachwuchswertung<br />

VERLOSUNG<br />

In Zusammenarbeit mit dem Veran -<br />

stalter ASO verlosen wir je ein Trikot<br />

pro Wertung. Zur Teilnahme senden<br />

Sie eine Mail mit Namen, Anschrift<br />

und dem Kennwort „D Tour“ an:<br />

gewinnspiel@wom-medien.de.<br />

Wer möchte, kann auch sein Wunschtrikot<br />

angeben. Die Gewinner werden<br />

schriftlich benachrichtigt.*<br />

* Um zu gewinnen, senden Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Kennwort „D Tour" bis 26.<strong>09</strong>. an folgende Mail-Adresse: gewinnspiel@wom-medien.de. Unter allen E-Mails, die uns bis einschließlich<br />

26.<strong>09</strong>. erreichen, werden die Gewinner bzw. die Gewinnerinnen (mindestens 18 Jahre alt) ermittelt. Teilnahmeberechtigt sind Personen ab Vollendung des 18. Lebensjahres. Pro Person bzw. E-Mail-<br />

Adresse wird nur eine Teilnahme akzeptiert. Die Gewinner werden im Anschluss an das Gewinnspiel bis 01.10. per Zufallsverfahren ermittelt und per E-Mail benachrichtigt. Die bereitgestellten<br />

Informationen werden von der WOM Medien GmbH ausschließlich für das Gewinnspiel verwendet und nach der Verlosung gelöscht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 15


PROLOG<br />

IN ALLER KÜRZE<br />

2021<br />

Das Jahr, bis zu dem der Vertrag<br />

von Giulio Ciccone von Trek-<br />

Segafredo verlängert wurde,<br />

weniger als einen Tag, nachdem er<br />

bei der Tour de France das Gelbe<br />

Trikot geholt hatte. Der Italiener<br />

stieg in dieser Saison in die<br />

WorldTour auf und gewann direkt<br />

eine Etappe und das Berg-Trikot<br />

beim Giro d’Italia.<br />

„DER STURZ<br />

HATTE GRÖSSERE<br />

AUSWIRKUNGEN,<br />

ALS ICH ANFANGS<br />

DACHTE.“<br />

Wout Van Aert steht vor einer<br />

langen Erholungsphase von<br />

dem tiefen Schnitt an seinem<br />

rechten Bein, den er sich bei<br />

einem Sturz im Zeitfahren der<br />

13. Etappe zugezogen hatte.<br />

Health Mate wird<br />

in dieser Saison das<br />

Sponsoring seiner gleichnamigen<br />

Frauenmannschaft<br />

einstellen, nachdem die<br />

Ethik-Kommission der UCI<br />

eine Untersuchung der<br />

Missbrauchsvorwürfe von<br />

Fahrern gegen den Manager<br />

Patrick Van Gansen eingeleitet<br />

hat. Zehn Fahrerinnen gaben<br />

an, dass es in der belgischen<br />

Mannschaft zu Missbrauch<br />

gekommen sei.<br />

„Hoffentlich finde ich<br />

bald wieder die Freude<br />

am Radfahren.“ Obwohl er<br />

der Titelverteidiger war, verzichtete<br />

Michał Kwiatkowski<br />

nach einer enttäuschenden<br />

Tour de France im August<br />

auf sein Heimrennen, die<br />

Polen-Rundfahrt. Der Pole<br />

hatte dort in den Bergen, die<br />

ihm sonst liegen, mit einer<br />

Formschwäche zu kämpfen.<br />

Sein erster<br />

Grand-<br />

Tour-Titel<br />

Chris Froome wurde zum Gewinner<br />

der Vuelta 2011 ernannt. Der<br />

ursprüngliche Sieger, Juan José<br />

Cobo, entschied sich, keine<br />

Berufung gegen ein UCI-Urteil in<br />

Bezug auf seine anomalen Daten<br />

im Biologischen Pass aus dieser<br />

Zeit einzulegen. Froome gewann<br />

somit sieben große Rundfahrten.<br />

20<br />

Jahre alt ist Andrea Bagioli,<br />

Deceuninck–Quick-Steps erste<br />

neue Verpflichtung für 2020,<br />

die ihn zum zweitjüngsten Fahrer<br />

des Teams vor dem 19-jährigen<br />

Remco Evenepoel macht. Der<br />

Italiener zeigte starke Leistungen<br />

auf U23-Niveau mit zwei Etappen<br />

und dem Gesamttitel bei der<br />

Ronde de l’Isard in seinem<br />

Palmarès in diesem Jahr.<br />

„ICH HABE MICH<br />

NOCH NICHT<br />

FÜR EINEN WEG<br />

ENTSCHIEDEN.“<br />

Marcel Kittel sagte, er werde<br />

bis nach der Tour de France<br />

warten, um zu entscheiden,<br />

ob er in den Rennsport zurückkehren<br />

oder sich aus dem Sport<br />

zurückziehen werde.<br />

© Getty Images<br />

Die ASO soll an der Entwicklung eines Damen-Etappenrennens<br />

arbeiten, das einer großen Rundfahrt entspricht. Reuters<br />

berichtete, dass es sich bei dem Rennen zwar nicht unbedingt um<br />

eine Tour de France der Damen handeln wird, die Organisation<br />

aber ein spezielles Team zusammenstelle, das an der „Entwicklung<br />

des Damenradsports“ arbeite. Die ASO startete La Course im Jahr<br />

2015, aber das eintägige Rennen soll auf der Kippe stehen.<br />

Die Zukunft des<br />

niederländischen<br />

ProContinental-Teams<br />

Roompot-Charles steht<br />

infrage. Der Titelsponsor<br />

Roompot bestätigte,<br />

dass er sein Engagement<br />

zum Ende dieser Saison<br />

beenden wird.<br />

52<br />

Tage vor der Weltmeisterschaft<br />

in Yorkshire wurde die Grinto-<br />

Moor-Brücke, die sich auf der<br />

geplanten Herren-Straßenrennstrecke<br />

befindet, von Überschwemmungen<br />

weggespült.<br />

16 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

„ER IST<br />

BEREITS WEITER<br />

GENESEN, ALS<br />

WIR ES GEHOFFT<br />

HATTEN.“<br />

Ineos-Teamchef Dave Brailsford<br />

erzählte der BBC, dass Chris<br />

Froomes Genesung von seinen<br />

schweren multiplen Verletzungen,<br />

die er beim Critérium du Dauphiné<br />

erlitten hat, sehr gut verläuft.<br />

50.000<br />

Euro war die Video- und Kameraaus<br />

rüstung wert, die Lotto Soudal<br />

nach der 11. Etappe der Tour<br />

gestohlen wurde, am gleichen<br />

Tag, an dem Caleb Ewan seinen<br />

ersten Etappensieg für das Team<br />

erzielte. Die Diebe brachen in das<br />

Hotel des Teams in Blagnac ein.<br />

„ICH DENKE, DIE CPA<br />

SOLLTE ETWAS TUN. ICH<br />

WEISS NICHT, WARUM WIR<br />

SIE BEZAHLEN, WENN SIE<br />

UNS NICHT SCHÜTZT.“<br />

Peter Sagan kritisierte die fehlende Intervention des<br />

Fahrerverbandes bei der 16. Etappe der Tour in Nîmes,<br />

wo die Temperaturen bis über 40 Grad stiegen.<br />

Nach dem Gewinn<br />

einer Debüt-Etappe<br />

bei der Tour de France hoch<br />

nach La Planche des Belles<br />

Filles musste Dylan Teuns<br />

nach einem Gartenunfall<br />

sein nächstes Rennen,<br />

die Clásica San Sebastián,<br />

absagen. Der Belgier schlug<br />

bei seinem Unfall mit dem<br />

Kopf auf das Rad seines<br />

Mähtraktors, als die Maschi ne<br />

einen technischen Defekt<br />

hatte. Teuns wurde mit<br />

15 Stichen genäht.<br />

Die<br />

Italiener<br />

machen zu<br />

Der italienische ProConti-Kader<br />

Nippo Vini Fantini-Faizane wird<br />

Ende <strong>2019</strong> aufgelöst. Die World-<br />

Tour soll in der nächsten Saison<br />

auf 20 Teams erweitert werden,<br />

und das Team sagte, dass dieser<br />

Schritt es extrem schwierig<br />

machen werde, eine Wildcard<br />

für den Giro d’Italia zu erhalten.<br />

Boels-Dolmans’ Jolien<br />

D’hoore sagte, dass<br />

sie nach ihrem zweiten Sturz<br />

in fünf Monaten sechs bis<br />

acht Wochen an der Seitenlinie<br />

verbringen werde. Die<br />

Belgierin kam auf der ersten<br />

Etappe der BeNe Ladies Tour<br />

zu Fall und brach sich den<br />

Ellbogen. Sie hatte bereits<br />

die erste Phase der Saison<br />

in diesem Frühjahr verpasst,<br />

nachdem sie sich im März<br />

das Schlüsselbein gebrochen<br />

hatte. „Es ist nicht nur ein<br />

körperlicher Rückschlag …<br />

es betrifft mich … mentaler“,<br />

sagte sie.<br />

17<br />

Sekunden Vorsprung hatte<br />

Diego Ulissi beim Test-Event<br />

der Olympischen Spiele in Tokio.<br />

96 Fahrer traten bei dem Rennen<br />

auf der 234 Kilometer langen<br />

Strecke des Herren-Straßenrennens<br />

für das nächste Jahr<br />

an. Die Niederländerin Annemiek<br />

van Vleuten und die Britin Lizzie<br />

Deignan gehörten zu denjenigen,<br />

die ebenfalls nach Japan geflogen<br />

waren, um einen Eindruck der<br />

Straßenrennstrecke der Frauen<br />

zu erhalten.<br />

Di Data<br />

bekommt<br />

einen neuen<br />

Look<br />

Dimension Data wird ab 2020 als<br />

Team NTT auftreten, da sich die<br />

südafrikanische Mannschaft an<br />

den Namen ihres Hauptsponsors<br />

anpasst. Die japanische Firma<br />

Nippon Telegraph and Telephone<br />

gehört seit 2010 dem IT-Unternehmen<br />

Dimension Data.<br />

„ICH KANN NICHT<br />

WEITERMACHEN,<br />

ALS WÄRE NICHTS<br />

PASSIERT. ICH MUSS<br />

REALISTISCH UND<br />

EINSICHTIG SEIN.“<br />

Nach einem 15. Platz bei der<br />

Tour plant Romain Bardet,<br />

Änderungen an seinem<br />

Rennkalender für das<br />

nächste Jahr vorzunehmen<br />

in der Hoffnung<br />

auf eine bessere Form<br />

und bessere Ergebnisse<br />

zur Tour de France.<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 17


ANZEIGE<br />

SCHAUFENSTER<br />

PRODUKTEMPFEHLUNGEN<br />

Santini<br />

EINE HOMMAGE AN DIE VUELTA<br />

Seit drei Jahren ist Santini offizieller Partner der Spanien-Rundfahrt und produziert unter anderem die<br />

Führungstrikots der Vuelta. In diesem Jahr gibt es unter dem Motto Santini La Vuelta nun erstmals auch<br />

fünf Sondereditionen für Fans zu kaufen: KM Cero, Costa Blanca, Los Machucos, Asturias und Toledo<br />

heißen die fünf Jerseys, mit denen auch bei lockeren Trainingsfahrten Vuelta-Feeling aufkommt. Das<br />

KM-Cero-Trikot ist der Puerta del Sol, einem der bekanntesten und meistbesuchten Plätze Madrids,<br />

gewidmet. Das Costa Blanca wiederum widmet sich den ersten fünf Etappen der Vuelta <strong>2019</strong> in der<br />

Region Costa Blanca. Das Los Machucos bezieht sich auf den Alto de Los Machucos, den mit 28 Prozent<br />

steilsten Anstieg der 21 Etappen langen Landesrundfahrt. Asturias wiederum ist Austragungsort der<br />

15. und 16. Etappe. Das fünfte Trikot widmet sich Toledo, dem Zielort der 19. Etappe.<br />

© Hersteller<br />

www.santinicycling.com<br />

18 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


ANZEIGE<br />

Ridley<br />

TEST: NOAH SL – TECHNISCH NICHT ZU TOPPEN<br />

Das Ridley Noah hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Als es 2007<br />

die Nachfolge des Damocles antrat, war es als maximal steifes Sprinterrad<br />

konzipiert – prompt gewann Robbie McEwen damit eine Tour-Etappe und<br />

diverse andere Rennen. Benannt nach dem ältesten Sohn von Ridley-Gründer<br />

Jochim Aerts, wurde das Rad mit dem charakteristischen Sitzdom<br />

immer weiterentwickelt: Ab 20<strong>09</strong> kamen nach und nach Aero-Features wie<br />

die „Split Fork“ und die rauen „F-Surfaces“ hinzu; beim Noah Fast von 2013<br />

waren die Felgenbremsen in Gabel und Hinterbau integriert.<br />

2018 brachte das Noah SL dann eine teilweise Neuausrichtung. Zunächst<br />

einmal verschwand der unpraktische Sitzdom, dann wurde die Aerodynamik<br />

optimiert: Beim aktuellen Modell sollen kleine Rinnen an Gabel, Steuer -<br />

und Unterrohr Mikroturbulenzen beruhigen („F-Surface Plus“); der Gabel -<br />

kopf ist nun integriert und mit der typischen Abrisskante am Unterrohr<br />

kombiniert. Außerdem reduzieren „F-Wings“ neuerdings den Luftwiderstand<br />

an den Gabelenden. Mit Carbon-Cockpit und komplett integrierten<br />

Leitungen wirkt das Rad nun noch aufgeräumter.<br />

Procycling fuhr das Ridley Noah Fast bei widrigsten Witterungsbedingungen<br />

über Teile des Kurses von Lüttich–Bastogne–Lüttich – 135 Kilometer<br />

und 2.300 Höhenmeter mit Dauerregen, Schneeregen und Hagelschauern.<br />

Eigentlich kein Terrain für ein Aero-Rad, doch die Qualitäten des Noah SL<br />

waren vom ersten Kilometer an spürbar: Wer eine konventionelle Rennmaschine<br />

gewohnt ist, wird überrascht sein angesichts der Leichtigkeit,<br />

mit der dieses Rad Fahrt aufnimmt und mit der man ein deutlich schnelle -<br />

res Tempo halten kann. Dabei vereint das Ridley eine hohe Laufruhe mit<br />

angenehmer Handlichkeit – in der Abfahrt liegt es sicher auf der Straße,<br />

und bergauf im Wiegetritt lässt es sich mit leichter Hand bewegen. Mit<br />

einem Gewicht um 7,5 Kilo ist es hier ohnehin sehr gut dabei.<br />

Auf dem regennassen Asphalt der Ardennen bewährt sich auch die<br />

erstklassige Ausstattung: Die Vittoria-Baumwollreifen rollen weich ab und<br />

bieten optimalen Nässegrip; Campagnolos Scheibenbremsen verzögern<br />

extrem stark, lassen sich dabei aber sehr gut dosieren. Ebenfalls auffällig<br />

hoch ist der Komfort – hart muss ein Aero-Renner nicht mehr sein. In der<br />

Spitzenausstattung mit Super Record 12-fach EPS (inklusive 32er-Rettungsring,<br />

der an der Redoute ein Segen war) und Carbonlaufrädern liegt das<br />

Noah bei 10.499 Euro (Rahmenset: 4.499 Euro); dafür erhält man aber auch<br />

eine Rennmaschine, die technisch und funktionell derzeit nicht zu toppen ist.<br />

www.ridley-bikes.com<br />

© Caspar Gebel<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 19


ANZEIGE<br />

Rapha<br />

DAS OUTFIT DER PROFIS<br />

Die Fahrer im EF Education First Pro Cycling Team tragen eine<br />

Auswahl von Produkten aus der Rapha-Kollektion Pro Team<br />

– identisch mit jenen, die auch für Endverbraucher erhältlich<br />

sind. EF-Fans können bei Rapha also nicht nur Trikot und Hose,<br />

sondern auch zahlreiche weitere Artikel wie etwa Kappe, Socken<br />

oder Windweste im typisch pinkfarbenen EF-Design erhalten.<br />

Das EF Education First Pro Team Aero Jersey ist ein leichtes,<br />

windschnittiges Trikot für schnelle Renneinsätze. Das Trikot<br />

besteht aus exakt demselben Material und ist ebenso aufgebaut<br />

wie der Zeitfahranzug des Teams. Die Pro Team Bib Shorts sind<br />

dagegen eine Trägerhose für Renneinsätze, erprobt bei<br />

Kopfsteinpflasterklassikern wie großen Rundfahrten und<br />

Ähnlichem. Auch die EF Education First Pro Team Socks und<br />

die Rennmütze in Team-Optik werden in der erhältlichen<br />

Variante im WorldTour-Peloton getragen. Selbiges gilt für das<br />

EF Education First Pro Team Lightweight Gilet – einen Windschutz<br />

im Taschenformat zum Schutz auf kalten Abfahrten<br />

und für den Transport von Trinkflaschen für den Teamkapitän.<br />

Abgerundet wird das Outfit durch den EF Education First Pro<br />

Team Sleeveless Base Layer, einen ärmellosen Baselayer für<br />

Trainingsfahrten und Renneinsätze bei heißer Witterung.<br />

www.rapha.cc<br />

Assos<br />

TRIKOTS FÜR EINEN<br />

GUTEN ZWECK<br />

Als Partner des Dimension-Data-Teams für Qhubeka hat Assos<br />

zur Unterstützung der Kampagne #BicyclesChangeLives vor<br />

Kurzem eine Trikotkollektion in limitierter Auflage herausgebracht.<br />

Mithilfe der Kampagne #BicyclesChangeLives werden<br />

Fahrräder für Menschen in Afrika finanziert, die dadurch Zugang<br />

zu Bildung, Gesundheitsversorgung sowie wirtschaftlichen<br />

Möglichkeiten erhalten. Das Trikot ist jeweils in Anlehnung an<br />

den Giro d’Italia und die Tour de France in den Farben Pink,<br />

Gelb und Schwarz sowie in neutraleren Farben erhältlich. Zehn<br />

Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf der Moving-Forward-<br />

Trikots gehen direkt an die Qhubeka-Wohltätigkeitsorganisation.<br />

Jedem Trikot wird außerdem eine eigene Musette beigelegt, die<br />

als Teil eines der Handarbeitsprogramme von Qhubeka in Süd -<br />

afrika unter der Verwendung von Materialien aus der Region von<br />

Hand angefertigt wurde.<br />

www.assos.com<br />

© Hersteller<br />

20 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


ANZEIGE<br />

MTS<br />

TRAINIEREN IN ISTRIEN<br />

Selberfahrer aufgepasst: Istrien lockt mit einer großen Streckenauswahl<br />

und tollen Trainingsbedingungen für Rennradfahrer.<br />

Unterkommen kann man in der Gegend rund um die Städte<br />

Porec, Rabac und die Inseln Krk und Rab in den Valamar-Bike-<br />

Hotels, die Ausstattung und Services für jedes Radabenteuer<br />

bieten; unabhängig davon, ob man mit dem eigenen Rennrad<br />

unterwegs ist oder eines mieten möchte: Jedes Valamar-Bike-<br />

Hotel verfügt über einen Radkeller, eine Mietstation, Radreparaturstellen<br />

sowie ein umfangreiches Angebot für Besucher –<br />

inklusive Trainingsprogramm.<br />

Mavic<br />

AUF DEN SPUREN VON<br />

BERNARD HINAULT<br />

www.valamar.com<br />

Mavic feiert mit einer Sonderedition die Karriere des fünffachen<br />

Tour-de-France-Champions Bernard Hinault. Die Bernard Hinault<br />

Limited Edition umfasst ein Jersey aus Merinowolle, Socken<br />

sowie eine Limited Edition Cap in klassischem Style, baut in<br />

Sachen Funktion zugleich aber auf die neuesten Entwicklungen<br />

in Sachen Textiltechnologie. Die Merinowolle hält den Fahrer<br />

so unter anderem trocken und bleibt dennoch geruchsfrei. In<br />

drei Taschen bringt man unterwegs das Notwendigste unter,<br />

reflektierende Highlights an Front- und Rückseite erhöhen<br />

zudem die Sicherheit im Straßenverkehr. Da es sich um eine<br />

limitierte Edition handelt, ist die Seriennummer im Kragen ein -<br />

gearbeitet. Während Trikot und Socken eher schlicht gehalten<br />

sind, ist die Kappe ein absoluter Hingucker: Auf der Unterseite<br />

des Schirms ist nämlich ein Bild von Hinault in Action abgedruckt.<br />

www.mavic.com<br />

© Hersteller<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 21


ANZEIGE<br />

Bigben Interactive / Cyanide<br />

ALS TEAMMANAGER INS GELBE TRIKOT<br />

Der Pro Cycling Manager ist längst eine Konstante für viele Radsportfans.<br />

Seit 19 Jahren gibt es die Computersimulation bereits, und auch<br />

<strong>2019</strong> wurde kurz vor der Tour de France die neueste Version der Serie<br />

veröffentlicht. Im Spiel übernimmt man die Rolle eines Teammanagers<br />

und kann seine eigene Profimannschaft durch die Saison und darüber<br />

hinaus begleiten. Insgesamt können so über 200 Rennen und 600 Etappen<br />

auf der ganzen Welt simuliert werden, wobei der Spieler vom Trai -<br />

ning über die Rennplanung und Rennstrategie bis hin zur Steuerung der<br />

Fahrer im Rennen sämtliche Aufgaben eines Sportlichen Leiters über -<br />

nehmen kann – auch das Aushandeln von Verträgen oder das Gewinnen<br />

neuer Sponsoren.<br />

Bei unserem Procycling-Test hat uns dabei vor allem die 3D-Rennsimulation<br />

gefallen. Die KI der computergesteuerten Fahrer und Teams hat sich<br />

im Vergleich zu den Vorgängerversionen so deutlich verbessert, dass die<br />

Rennverläufe und Ergebnisse oft sehr realistisch ausfallen. Das gilt entspre -<br />

chend auch für die Multiplayer-Variante, die durch die seit Jahren sehr<br />

treue Fan-Community, die ergänzende Datenbanken, Trikots, Teams, Fahrer<br />

usw. erstellt, noch einmal zusätzlich aufgewertet wird. Der Managerteil<br />

könnte dagegen manchmal detaillierter sein – besonders Themen wie das<br />

Training oder das Sponsoring sind noch ausbaufähig.<br />

Neben dem Hauptkarriere-Modus und dem Online-Multiplayer-Modus<br />

für bis zu 16 Spieler gibt es zudem verschiedene weitere Modi – etwa den<br />

Pro-Cyclist-Modus. In diesem kann der Spieler einen einzelnen Fahrer bis<br />

an die Spitze bringen. Im Einzelrenn-Modus kann man als Sportlicher Leiter<br />

einzelne Rennen wie etwa die Tour de France <strong>2019</strong> mit seinem Lieblingsteam<br />

spielen. Und im Track-Cycling-Modus kann man Rennen auf der<br />

Radrennbahn bestreiten. Das Spiel ist als <strong>PC</strong>-Version im Fachhandel oder<br />

auf Online-Plattformen wie Steam erhältlich.<br />

www.bigben-interactive.de / www.cyanide-studio.com<br />

© Hersteller<br />

22 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


ANZEIGE<br />

die Spielgeschwindigkeit aber deutlich langsamer. Zudem haben wir mehr<br />

als 200 3D-Etappen. Die künstliche Intelligenz ist ebenfalls sehr herausfordernd,<br />

weil der Radsport ein taktisch sehr komplexer Sport ist. Individualsport<br />

und Teamsport zugleich, dazu ganz verschiedene Rennen und Rennfahrertypen.<br />

Nehmen wir Peter Sagan und Alejandro Valverde: Sie sind zwei<br />

große Champions, aber mit komplett verschiedenen Fähigkeiten. Das gilt es<br />

zu berücksichtigen.<br />

Wie groß ist Ihr Entwicklungsteam eigentlich?<br />

Jedes Jahr sind wir mehr oder weniger um die 20 Leute, die sich um die Entwicklung,<br />

Programmierung, das Gamedesign, die Grafik etc. kümmern. Neben<br />

dem Pro Cycling Manager entwickeln wir ja auch noch das Konsolenspiel<br />

Tour de France.<br />

„IN UNSEREM TEAM SIND<br />

ALLE GLÜHENDE FANS“<br />

Nur wenige <strong>PC</strong>-Spiele schaffen es, sich über 19 Jahre konstant weiterzuentwickeln.<br />

Im Procycling-Interview sprachen wir mit Clement Pinget,<br />

Game Designer des Pro Cycling Managers, worauf es ihm bei der Ge -<br />

staltung der komplexesten Radsportsimulation auf dem Computerspielemarkt<br />

ankommt.<br />

Pro Cycling Manager <strong>2019</strong> ist bereits das 19. Spiel der Radsportmanager-Serie.<br />

Worin liegt die Herausforderung, den Profiradsport am<br />

Computer so realistisch wie möglich darzustellen?<br />

Da gibt es ganz viele verschiedene Schwierigkeiten. Ich denke, dass das der<br />

Hauptgrund dafür ist, dass es vor unserem Projekt kein richtiges Radsportspiel<br />

auf dem Markt gab. Einen Manager zu programmieren, ist schon sehr<br />

komplex, aber die 3D-Simulationen sind noch einmal eine Herausforderung<br />

für sich. Man muss die verschiedenen Landschaften, Städte etc. darstellen.<br />

In einer Autorennsimulation geht das oft einfacher, da man sich aufgrund der<br />

höheren Geschwindigkeit einiger 3D-Tricks bedienen kann. Im Radsport ist<br />

Und alle sind glühende Radsportfans?<br />

Ein großer Teil definitiv. [lacht] Und damit meine ich wirkliche Fans, die sich<br />

für den Radsport – von der Tour Down Under bis zur Lombardei-Rundfahrt<br />

– durchgehend interessieren. Im Team diskutieren wir oft über die Rennen,<br />

die Transfergerüchte, das Equipment – das gehört einfach dazu. Einige von<br />

uns sind zudem selber Fahrer und nehmen an Amateurrennen teil. Ein Mitglied<br />

unseres Teams, Antoine Dalibard, war sogar selber einmal Profi und<br />

fuhr ein Rennen gegen Froome, Thomas und Dan Martin.<br />

Pro Cycling Manager <strong>2019</strong> ist bereits das 19. Spiel der Serie. Wie hat<br />

sich das Spiel im Laufe der Jahre verändert?<br />

In vielen Dingen. Der größte Unterschied ist sicherlich die 3D-Grafik. Der<br />

allererste Cycling Manager 2001 war sehr einfach gehalten. Die Straße<br />

ging einfach nur geradeaus, Spaß gemacht hat es vielen Fans aber trotzdem.<br />

Zudem gab es nur einen Saison-Modus, der nicht mit dem heutigen Karriere-<br />

Modus zu vergleichen ist. Auch war es damals wesentlich schwieriger, 3D-<br />

Strecken zu bauen, wofür es heute aber gute Tools gibt. Eine große Veränderung<br />

ist zudem die künstliche Intelligenz. Im Prinzip ist heute alles anders –<br />

außer, dass es immer noch ein Radsportmanager-Spiel ist.<br />

Auf welche Features der <strong>2019</strong>er-Variante sind Sie besonders stolz?<br />

Eine große Veränderungen für <strong>2019</strong> ist der Pro Cyclist Mode, bei dem man<br />

einen einzelnen Fahrer Schritt für Schritt weiterentwickeln kann, bis er zum<br />

großen Champion wird. Man kann hier sehr detailliert vorgehen – etwa die<br />

Performance oder die Persönlichkeit eines Fahrers entwickeln. Insgesamt gibt<br />

es zwölf verschiedene Skills mit jeweils drei Leveln. Auch die Benutzersteuerung<br />

im diesjährigen Spiel ist uns sehr gut gelungen, was man beispielsweise<br />

beim Durchführen von Transfers sehen kann.<br />

Herr Pinget, vielen Dank für das Gespräch!<br />

© Hersteller<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 23


PROLOG<br />

INSIDER<br />

RICK ZABEL<br />

EINE GROSSE ENTTÄUSCHUNG<br />

Der Katusha-Alpecin-Profi berichtet über seinen Ausstieg bei der Tour.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Jojo Harper/Team Katusha-Alpecin (Porträt), Chris Graythen/Getty Images<br />

Wenn es schlecht läuft,<br />

dann richtig. In den ersten<br />

fünf Jahren meiner<br />

Profikarriere war ich so gut wie nie<br />

krank. In diesem Jahr hat es mich<br />

dafür nun schon mehrfach erwischt.<br />

Nachdem ich nach einem schwierigen<br />

Saisonstart alles auf die Tour<br />

de France ausgerichtet hatte, ereilte<br />

mich im Laufe der zweiten Tour-<br />

Woche ein viraler Infekt. Einige<br />

Etappen kämpfte ich krank weiter,<br />

doch vor der elften Etappe war meine<br />

Frankreich-Rundfahrt endgültig<br />

vorbei. Zum zweiten Mal in Folge<br />

musste ich deshalb die Tour vorzeitig<br />

verlassen. Es ist schwer in Worte<br />

zu fassen, wie enttäuscht ich darüber<br />

bin – auch jetzt, nachdem alles<br />

schon einige Zeit zurückliegt.<br />

Das gilt umso mehr, als dass meine<br />

Form richtig gut war. Schon in<br />

den Tagen vor dem Start merkte ich,<br />

dass sich die vielen Trainings- und<br />

Rennkilometer im Vorfeld bezahlt<br />

gemacht haben. Auch auf den ersten<br />

Etappen bestätigte sich dieser Eindruck:<br />

Im Mannschaftszeitfahren<br />

gehörte ich als Nicht-Zeitfahrer zu<br />

den drei Stärksten im Team. Und<br />

als wir bei den Zwischenzeiten in<br />

Führung lagen, gab es sogar einen<br />

kurzen Moment, an dem ich vom<br />

Gelben Trikot träumen durfte.<br />

So gut der Auftakt auch war – von<br />

da an ging es kontinuierlich bergab.<br />

Immer wieder bekam ich am Abend<br />

nach den Etappen Kopfschmerzen,<br />

nach der ersten Bergankunft am<br />

sechsten Tag gesellte sich auch noch<br />

Fieber dazu. Ich fühlte mich schlapp<br />

und abgekämpft – einfach kaputt.<br />

Auf den folgenden Abschnitten ging<br />

es deshalb nur noch darum, das Ziel<br />

zu erreichen. Irgendwie hatte ich die<br />

Hoffnung, ich könnte mich wieder<br />

erholen. Doch bei der Tour ist das<br />

so gut wie unmöglich. Als das Fieber<br />

nach der zehnten Etappe auf fast<br />

40 Grad stieg, ich den Ruhetag<br />

komplett im Bett verbringen musste<br />

und am Morgen der elften Etappe<br />

einen Ruhepuls von 93 hatte, war<br />

klar: Ich muss aussteigen. Auch<br />

heute, ein paar Wochen später, frage<br />

ich mich immer noch, warum gerade<br />

mir das passieren musste. Schon im<br />

letzten Jahr war ich sehr enttäuscht,<br />

„ALS ICH AM MORGEN DER ELFTEN ETAPPE<br />

EINEN RUHEPULS VON 93 HATTE,<br />

WAR KLAR: ICH MUSS AUSSTEIGEN.“<br />

aber nun? Zwei Jahre in Folge? Normal<br />

kennt man mich als lockeren<br />

Typen im Peloton, der immer gut<br />

drauf ist. Aber dieses vorzeitige<br />

Ende der Tour de France <strong>2019</strong> hat<br />

mich schwer getroffen.<br />

Natürlich habe ich die Tour von zu<br />

Hause aus weiterverfolgt. Es war<br />

eine verrückte Tour, und so, wie die<br />

Frankreich-Rundfahrt in diesem<br />

Jahr verlaufen ist, hat es mich noch<br />

mehr geschmerzt, dass ich sie nicht<br />

zu Ende fahren habe können. Gerade<br />

durch die Etappenverkürzungen<br />

am Ende war es für Sprinter in<br />

diesem Jahr sehr einfach, es nach<br />

Paris zu schaffen – das tat doppelt<br />

weh. Aus deutscher Sicht war die<br />

Leistung von Emanuel Buchmann<br />

sicherlich eine unglaublich tolle<br />

Geschichte – auch wenn ich mir<br />

beim Kampf der Favoriten die<br />

ein oder andere Attacke mehr gewünscht<br />

hätte. Als Zuschauer auf<br />

Da war die Welt noch in Ordnung:<br />

Rick Zabel führt das Team Katusha-<br />

Alpecin beim Mannschaftszeitfahren<br />

als Erster über den Zielstrich.<br />

dem Sofa wird man eben auch als<br />

Profi zum Fan.<br />

Nun hoffe ich, bald wieder selbst<br />

Teil des Pelotons sein zu können. In<br />

den kommenden Wochen arbeite ich<br />

deshalb hart an meinem Comeback.<br />

Wann ich wieder zurückkehre, kann<br />

ich allerdings noch nicht sagen, da<br />

ich die Nachwirkungen meines Infektes<br />

von der Tour auch drei Wochen<br />

nach meinem Ausstieg immer<br />

noch spüre. Ein toller Zeitpunkt<br />

wäre sicherlich das WorldTour-Rennen<br />

in Hamburg oder aber auch die<br />

Deutschland Tour. Ich hoffe deshalb,<br />

dass ich euch beim nächsten<br />

Mal wieder Positives berichten kann.<br />

Dann habe ich vielleicht auch Neuigkeiten,<br />

wie es mit meinem Team<br />

Katusha-Alpecin weitergeht. Es gab<br />

ja in den vergangenen Wochen immer<br />

wieder Gerüchte um die Mannschaft<br />

– das Einzige, was ich sagen<br />

kann: Es wird weitergehen. Ich<br />

selbst mache mir jedenfalls keine<br />

Gedanken – Optionen gibt es immer.<br />

Geboren am 7. Dezember 1993,<br />

zog es den Sohn von Erik Zabel<br />

schon früh zum Radsport. Nach<br />

guten Platzierungen bei den Junioren<br />

wechselte er 2012 zum Rabobank<br />

Development Team. 2014<br />

wurde Rick Zabel Profi bei BMC und<br />

fuhr drei Jahre bei der US-amerikanischen<br />

Equipe. 2017 wechselte er<br />

zu Katusha-Alpecin und bestritt<br />

erstmals die Tour de France und<br />

die Straßen-WM.<br />

24 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

INSIDER<br />

RALPH DENK<br />

EINE TOUR DER REKORDE<br />

Der Teamchef von Bora–hansgrohe blickt auf die Frankreich-Rundfahrt zurück.<br />

Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Bora–hansgrohe/BettiniPhoto (Porträt), Bora–hansgrohe/VeloImages<br />

Das war eine perfekte Tour de<br />

France! Wir haben alle Ziele<br />

erreicht – den anvisierten<br />

Etappensieg, das Grüne Trikot und<br />

die erhoffte Top-Ten-Platzierung in<br />

der Gesamtwertung haben wir mit<br />

dem vierten Rang von Emanuel<br />

Buchmann sogar übertroffen. Es war<br />

definitiv eine Tour der Rekorde für<br />

uns – und eine Tour, an die wir uns<br />

noch lange zurückerinnern werden.<br />

Ich bin aus zweierlei Gründen besonders<br />

stolz auf das gesamte Team<br />

Bora–hansgrohe: Erstens hat Peter<br />

Sagan sein siebtes Grünes Trikot gewonnen<br />

– ein Rekord, für den wir in<br />

den letzten Jahren das richtige Umfeld<br />

für Peter zusammengestellt<br />

haben. Und zweitens hat Emanuel<br />

den vierten Gesamtrang geholt – ein<br />

Fahrer, der bei uns Profi geworden<br />

ist und den wir in den letzten Jahren<br />

behutsam entwickelt haben. Hinzu<br />

kommen die starken Auftritte der<br />

anderen Fahrer, etwa von Gregor<br />

Mühlberger in den Alpen. Im Sprint<br />

und bei den Klassikern waren wir in<br />

den letzten Jahren schon top, in dieser<br />

Saison haben wir aber auch gezeigt,<br />

dass wir uns bei Rundfahrten<br />

enorm weiterentwickelt haben – da<br />

war diese Tour der perfekte Beweis.<br />

Emanuels Leistung ist umso höher<br />

zu bewerten, als dass er in den<br />

drei Wochen keinen einzigen Fehler<br />

gemacht hat. Er war auf jeder Etappe<br />

immer in der richtigen Position, immer<br />

aufmerksam und immer auf<br />

Augenhöhe. Das ist über die enorme<br />

Zeitdauer von 21 Tagen nicht nur<br />

eine unheimliche Stressbelastung<br />

für den Körper, sondern auch für<br />

den Kopf. Auch sein Formaufbau<br />

hat haargenau gestimmt und im<br />

Gegensatz zur letztjährigen Vuelta<br />

konnte er bei dieser Tour seine Leistung<br />

von Anfang bis Ende immer<br />

abrufen. Emanuel hat das wirklich<br />

„BESONDERS FREUT MICH, DASS WIR MIT<br />

DIESER ERFOLGREICHEN TOUR DE FRANCE<br />

ZUM AUFSCHWUNG DES RADSPORTS IN<br />

DEUTSCHLAND BEITRAGEN KONNTEN.“<br />

bravourös gemeistert und gezeigt,<br />

dass er in Zukunft sogar zu noch<br />

mehr in der Lage sein kann.<br />

Was mich besonders freut, ist, dass<br />

wir mit dieser erfolgreichen Tour de<br />

France zum Aufschwung des Radsports<br />

in Deutschland beitragen<br />

konnten. Durch uns hat die ARD im<br />

Juli Topquoten erreicht, auch in den<br />

Online- und Printmedien konnten<br />

wir eine erhebliche Steigerung der<br />

Aufmerksamkeit feststellen. Entsprechend<br />

ist meine Hoffnung groß,<br />

dass dieser Erfolg in Deutschland<br />

den Radsport wieder mehr in den<br />

Fokus der Öffentlichkeit rückt und<br />

Der Auftakt zu einer erfolgreichen<br />

Tour: Maximilian Schachmann, Emanuel<br />

Buchmann, Ralph Denk, Patrick<br />

Konrad und Peter Sagan (von links).<br />

sich beispielsweise auch wieder<br />

mehr junge Menschen für das Radfahren<br />

interessieren. Der Sport hätte<br />

sich das definitiv verdient.<br />

In den kommenden Wochen stehen<br />

für uns nun mit der Deutschland<br />

Tour und der Vuelta direkt zwei<br />

weitere wichtige Highlights auf dem<br />

Programm. Bei beiden Rennen wollen<br />

wir uns von unserer besten Seite<br />

präsentieren und gehen deshalb mit<br />

sehr starken Aufgeboten an den<br />

Start: In Deutschland dürfen sich<br />

die Fans unter anderem über Emanuel<br />

Buchmann und Pascal Ackermann<br />

freuen, bei der Vuelta werden<br />

wir mit Rafał Majka, Davide Formolo,<br />

Felix Großschartner und Sam<br />

Bennett antreten. Nach dem starken<br />

Frühjahr und der überragenden Tour<br />

de France hoffe ich, dass wir unsere<br />

Saison genau so fortsetzen können.<br />

Denn eines steht fest: Wir werden<br />

uns keinesfalls auf unseren bisherigen<br />

Erfolgen ausruhen. Wir haben<br />

noch viel vor und werden weiter alles<br />

tun, um uns zu verbessern.<br />

Ralph Denk ist Teammanager der<br />

deutschen WorldTour-Mannschaft<br />

Bora–hansgrohe. Nach jahrelanger<br />

Aufbauarbeit ist die Equipe mit Sitz<br />

im oberbayerischen Raubling seit<br />

2017 in der höchsten Radsportliga<br />

aktiv. In Procycling berichtet Denk,<br />

in früheren Jahren selbst aktiver<br />

Rennfahrer, jeden Monat über seinen<br />

Alltag als Teamchef.<br />

26 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Storck Fascenario.3 Comp Carbon<br />

Ultegra mech., DT Swiss Laufräder<br />

Storck Carbon Komponenten, 7 kg<br />

ab 2.499,- €<br />

Neu: Jetzt alle Modelle online direkt bei Storck bestellbar.<br />

Auslieferung und Service durch die Storck Stores und Studios<br />

www.storck-bikes.com<br />

e:shop


PROLOG<br />

DIE TOUR AM<br />

TOURMALET<br />

So schlug sich das Peloton am Schlussanstieg der 14. Etappe.<br />

Text Werner Müller-Schell<br />

© Strava (Screenshots)<br />

Den Tourmalet und die Tour<br />

de France verbindet eine<br />

lange Geschichte. Bereits im<br />

Jahr 1910 wurde der Pass auf Anregung<br />

des Luxemburgers Alphonse<br />

Steinès als erster Hochgebirgspass<br />

überhaupt in das Programm der<br />

Frankreich-Rundfahrt aufgenommen<br />

– und hat sich seitdem als einer<br />

der schwersten und berühmtesten<br />

Anstiege der Tour etabliert. <strong>2019</strong><br />

stand er bereits zum 84. Mal im<br />

Streckenprofil – und markierte als<br />

Schlussanstieg der 14. Etappe direkt<br />

eine der Schlüsselstellen der diesjährigen<br />

Tour. Der 117,5 Kilometer<br />

kurze Tagesabschnitt von Tarbes<br />

auf den Tourmalet war nämlich der<br />

Auftakt einer unglaublich schweren<br />

Schlusswoche durch die Pyrenäen<br />

und die Alpen – und trennte direkt<br />

die Spreu vom Weizen.<br />

Nachdem die spanische Movistar-Equipe<br />

lange Zeit ein sehr<br />

hohes Tempo angeschlagen hatte,<br />

entwickelte sich am 19 Kilometer<br />

langen Schlussanstieg ein extrem<br />

kräftezehrendes Ausscheidungsfahren,<br />

dem nach und nach zahlreiche<br />

Mitfavoriten auf den Toursieg<br />

wie Nairo Quintana (Kolumbien)<br />

oder Richie Porte (Australien)<br />

zum Opfer fielen. Dabei ganz vorne<br />

mit dabei: Emanuel Buchmann:<br />

Der Deutsche aus den Reihen von<br />

Bora–hansgrohe war stets Teil der<br />

Spitzengruppe und sorgte mit einer<br />

Tempoverschärfung zwei Kilometer<br />

vor dem Ziel sogar dafür, dass<br />

Titelverteidiger Geraint Thomas<br />

(Großbritannien) den Anschluss<br />

an die Spitze verlor. Den Tagessieg<br />

sicherte sich letztlich Lokalmatador<br />

Thibaut Pinot vor seinem Landsmann<br />

Julian Alaphilippe, dem Niederländer<br />

Steven Kruijswijk und<br />

Buchmann.<br />

1.649 HÖHENMETER PRO<br />

STUNDE<br />

Genau 18,9 Kilometer und 1.407<br />

Höhenmeter misst der Tourmalet<br />

auf Strava. Durch seine enorme Länge<br />

zeigt der Berg sehr gut, welche<br />

außerordentlichen Leistungen die<br />

Radprofis im Rennen abrufen. Schon<br />

auf den ersten Blick zeigt sich dabei:<br />

<strong>2019</strong> fuhr das Peloton den Anstieg<br />

in einem unglaublichen Tempo hinauf.<br />

Wohl dadurch bedingt, dass<br />

es sich um den Schlussanstieg der<br />

Etappe handelte, unterboten gleich<br />

sechs Fahrer die bisherige Bestzeit<br />

– und das deutlich: Etappensieger<br />

Thibaut Pinot war mit seiner Aufstiegszeit<br />

ganze sechs Minuten<br />

schneller als der bisherige Strava-<br />

Rekordhalter Sébastien Reichenbach<br />

bei der Überfahrt im Jahr 2016.<br />

Pinot bewältigte den im Schnitt sieben<br />

Prozent steilen Anstieg mit einer<br />

Durchschnittsgeschwindigkeit<br />

von 22,2 km/h und einer Aufstiegsrate<br />

von stolzen 1.649 Höhenme-<br />

28 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


PROLOG<br />

Setzte die Strava-Bestzeiten hinauf<br />

auf den Tourmalet: Thibaut Pinot.<br />

Das Strava-Segment am Tourmalet<br />

finden Sie unter www.strava.com/<br />

segments/5170240.<br />

Das Strava-Ranking<br />

Col du Tourmalet (par Luz-St-Sauveur)<br />

(18,9 Kilometer / 1.407 Höhenmeter)<br />

tern pro Stunde – ein in Anbetracht<br />

der Länge sehr guter Wert.<br />

Bei einem Spitzenrennen wie der<br />

Tour de France gibt es trotz des<br />

„Zurschaustellens“ auf Strava ein<br />

hohes Maß an Geheimniskrämerei<br />

unter den Profis. Keiner will sich so<br />

richtig in die Karten schauen lassen.<br />

So genießen die veröffentlichten<br />

Leistungswerte des im Strava-Ranking<br />

Viertplatzierten, des Neuseeländers<br />

George Bennett (Etappen-<br />

11. mit 58 Sekunden Rückstand),<br />

Seltenheitswert. Bei einem Körpergewicht<br />

von 58 Kilogramm trat<br />

dieser über eine Fahrzeit von 52:13<br />

Minuten im Schnitt 312 Watt, das<br />

bedeutet 5,4 Watt pro Kilogramm.<br />

Bei Pinot dürfte dieser Wert also<br />

noch einmal deutlich höher gelegen<br />

haben. Zum Vergleich: Alberto Contador<br />

kam in seinen besten Zeiten<br />

bei ähnlichen Zeiträumen auf über<br />

6,0 Watt pro Kilogramm.<br />

1. Thibaut Pinot Groupama<br />

51:13 Minuten<br />

2. Steven Kruijswijk Jumbo–Visma<br />

51:21<br />

3. Warren Barguil Arkéa-Samsic<br />

51:50<br />

4. George Bennett Jumbo–Visma<br />

52:13<br />

5. Laurens De Plus Jumbo–Visma<br />

52:31<br />

6. Richie Porte Trek-Segafredo<br />

53:20<br />

7. Damiano Caruso Bahrain-Merida<br />

1:02:29<br />

8. Jack Haig Mitchelton-Scott<br />

1:02:56<br />

9. Elie Gesbert Arkéa-Samsic<br />

1:03:15<br />

10. Patrick Konrad Bora–hansgrohe<br />

1:03:55<br />

© Jean Catuffe/Getty Images<br />

CARBON WHEEL TECHNOLOGY. Handmade in Austria<br />

Squad 2.5 Race Squad 4.2 Race DB Squad 5.8 Race DB Squad 2.5 SL Squad 4.2 SL Squad 5.8 SL<br />

• beste Bremsperformance mit der patentierten Bremsfläche<br />

• verbesserte Aerodynamik • RFID-System • asymmetrisches Profil<br />

• integrierter Tachomagnet • UV-beständig<br />

ROAD<br />

SQUAD 2.5 SL<br />

SQUAD 4.2 SL<br />

SQUAD 5.8 SL<br />

SQUAD 2.5 RACE<br />

SQUAD 4.2 RACE<br />

SQUAD 5.8 RACE<br />

AERODYNAMIC CROSS WIND STABILITY ATHLETE<br />

Low High Stable Unstable Beginner Professional<br />

XeNTiS Composite Entwicklungs- und Produktions GmbH, Dr.-Niederdorfer-Straße 25, 8572 Bärnbach, Austria, Tel.: +43 3142 6<strong>09</strong>45 0, Fax: +43 3142 6<strong>09</strong>45 690, office@xentis.com, www.xentis.com


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ANALYSE<br />

ERDRUTSCH-SIEG<br />

Die Tour de France <strong>2019</strong> war ein spannendes und<br />

unvorhersehbares Rennen, bei dem jeder Tag eine<br />

neue Wendung zu bringen schien. Mit einer französischen<br />

Renaissance, einer offenen Gesamtwertung und<br />

zwangsläufig einem Sieger vom Team Ineos bot sie von<br />

Brüssel bis Paris Action nonstop. Procycling schaut<br />

zurück auf die beste Tour seit 30 Jahren.<br />

Text Edward Pickering Fotografie Gruber Images<br />

30 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

BELGIEN<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 31


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ANALYSE<br />

Julian Alaphilippe<br />

kämpfte bis zum<br />

Ende um sein hart<br />

erarbeitetes Gelbes<br />

Trikot.<br />

Unwetter sorgten<br />

in den Alpen dafür,<br />

dass die Strecke<br />

der Tour verändert<br />

werden musste.<br />

m frühen Morgen des 26. Juli setzte sich<br />

Dave Brailsford mit Egan Bernal und Geraint<br />

Thomas zusammen und sagte ihnen:<br />

Ihr habt 37 Minuten Zeit, die Tour de<br />

France zu gewinnen.<br />

Die 19. Etappe sollte das Tour-Peloton<br />

am Nachmittag desselben Tages über eine<br />

Reihe von kleinen Anstiegen auf einer welligen,<br />

aber stetig ansteigenden Straße in<br />

den Ort Bonneval-sur-Arc führen, dann<br />

über den Col de l’Iseran, hinunter ins Isère-Tal<br />

und hoch zum Skigebiet in Tignes.<br />

Der Preis für die Passage des höchstens<br />

Punkts der Tour, das Souvenir Henri Desgrange,<br />

der dieses Jahr am Iseran lag, betrug<br />

5.000 Euro. Aber für Brailsford stand<br />

mehr auf dem Spiel als fünf Riesen in bar.<br />

Laut Brailsfords Plänen sollte die Ziellinie<br />

nicht nur der Etappe, sondern der gesamten<br />

Tour am Gipfel des Iseran liegen.<br />

Nach seiner Berechnung würden an dem<br />

Punkt nur noch drei bis vier Fahrer übrig<br />

sein und logischerweise würden ein oder<br />

zwei von ihnen Ineos-Fahrer sein. Und er<br />

war sich sicher, dass Julian Alaphilippe,<br />

der Spitzenreiter des Rennens, nicht mehr<br />

da sein würde. Natürlich würden noch die<br />

lange Abfahrt und dann der Anstieg nach<br />

Tignes folgen, aber der am Iseran herausgefahrene<br />

Vorsprung würde halten oder<br />

am Ende noch wachsen. Es war eine wilde<br />

und anarchische Tour de France gewesen,<br />

bei der Ineos’ traditioneller Würgegriff auf<br />

das Geschehen durch die Angriffslust von<br />

Alaphilippe und Thibaut Pinot (und durch<br />

die Schwäche der Bergleutnants des britischen<br />

Teams, verglichen mit den letzten<br />

Jahren) deutlich gelockert worden war.<br />

Aber wenn Ineos etwas wusste, dann<br />

sicherlich, wer was an einem einzelnen<br />

Anstieg ausrichten konnte. Der Iseran,<br />

12,9 steile einspurige Kilometer von Bonneval-sur-Arc<br />

mit einem Höhengewinn<br />

von knapp einem Kilometer und einem<br />

Hochgebirgsgipfel – 2.770 Meter – sollte<br />

Ineos’ ausgewähltes Schlachtfeld sein.<br />

Brailsford irrte sich in mehr als einem<br />

Punkt. Egan Bernal, sein kolumbianisches<br />

Wunderkind, brauchte weniger als 37 Minuten,<br />

erreichte den Gipfel in 35:42 (obwohl<br />

Geraint Thomas 1:03 Minuten mehr<br />

brauchte, fast genau nach Plan). Und der<br />

Ineos-Generalmanager hatte unmöglich<br />

wissen können, dass die Ereignisse in der<br />

Abfahrt – ein unvorhersehbarer Hagelsturm<br />

und ein noch unvorhersehbarer<br />

Erdrutsch – das Rennen schließlich ebenso<br />

definieren würden wie der Anstieg. Es<br />

war, als hätte sich die anarchische Tour<br />

<strong>2019</strong> dagegen wehren wollen, von<br />

32 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 33


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ANALYSE<br />

Ineos vereinnahmt zu werden. Keine zehn<br />

Minuten, nachdem Bernal den Gipfel erklommen<br />

hatte, wurde das Rennen neutralisiert.<br />

Mutter Natur hatte das Rennen<br />

in die Zange genommen und die Organisatoren<br />

mussten einen Kompromiss eingehen,<br />

der lautete: Etappenziel und Zeitnahme<br />

auf dem Gipfel des Iseran.<br />

Brailsfords mutige Ankündigung,<br />

dass die Ziellinie auf dem Gipfel<br />

des Iseran liegen würde, stellte sich<br />

als hellsichtig heraus. Als er zwei Tage<br />

später auf der Place de la Concorde stand,<br />

ein kolumbianisches Fußballshirt statt<br />

eines Ineos-Trikots tragend, das er mit<br />

einem Fan am Straßenrand getauscht hatte,<br />

und der Sonnenuntergang Paris in ein<br />

warmes Licht tauchte, verglich Brailsford<br />

Bernals Coup am Iseran mit der berühmten<br />

Attacke am Colle delle Finestre, mit<br />

der Chris Froome den Giro d’Italia 2018<br />

gewonnen hatte. „Es war sehr ähnlich“,<br />

sagte er. „Wir wussten, wenn die Klassementfahrer<br />

am Iseran, einem so langen<br />

und schweren Anstieg in großer Höhe,<br />

maximales Tempo machen würden, wären<br />

am Gipfel wahrscheinlich nur noch zwei,<br />

drei, vielleicht vier Fahrer übrig. Und weg<br />

wären sie. Was sie machen mussten, war,<br />

37 Minuten lang alles zu geben, und nur<br />

die Topfahrer würden übrig bleiben“, fuhr<br />

er fort. „Aber du brauchst den Mumm, es<br />

zu machen.“<br />

Mit diesem Anstieg wurde Egan Bernal<br />

der vierte Tour-Champion von Ineos und<br />

Sky nach Bradley Wiggins, Chris Froome<br />

und Geraint Thomas, und das Rennen<br />

<strong>2019</strong> war ihr siebter Sieg in acht Jahren.<br />

Mit drei Etappensiegen<br />

wurde Caleb<br />

Ewan der dominierende<br />

Sprinter<br />

der Tour <strong>2019</strong>.<br />

Das Ziel erwies sich als dasselbe wie bei<br />

all ihren anderen Siegen. Aber der Weg,<br />

dort hinzukommen, war ein ganz anderer.<br />

Bevor Bernals Coup in den Alpen die<br />

Tour-Thronfolge für die Ineos-Dynastie<br />

sicherte, hatten sich die Radsportfans an<br />

einem Rennen erfreut, bei dem alle taktischen<br />

Normen ignoriert zu werden schienen.<br />

Von Brüssel bis Briançon in den Alpen<br />

war das Rennen abwechslungsreich<br />

und chaotisch. Ein unerwarteter Sprinter<br />

gewann die erste Etappe, ein unerwartetes<br />

Team gewann das Mannschaftszeitfahren<br />

auf der zweiten Etappe unerwartet deutlich.<br />

Dann gewann mit Julian Alaphilippe<br />

der erwartete Fahrer die dritte Etappe in<br />

den Hügeln der Champagne, aber auf<br />

ziemlich unerwartete Art und Weise. Erst<br />

auf der vierten Etappe hatten wir einen<br />

richtigen Massensprint, den Elia Viviani<br />

gewann, aber selbst das war ein bisschen<br />

anders, weil sich das Gelbe Trikot Alaphilippe<br />

selbst in den Sprintzug einspannte.<br />

Es lief alles wie gewohnt auf der fünften<br />

Etappe nach Colmar, die in einem reduzierten<br />

Massensprint vom besten „Reduzierten-Massensprint-Sprinter“<br />

der Welt,<br />

Peter Sagan, gewonnen wurde. Aber dann<br />

führte die Tour einen Tag später nach La<br />

Planche des Belles Filles. Wir fragten uns<br />

vor der Etappe, ob Alaphilippe seinen Vorsprung<br />

irgendwie würde verteidigen können,<br />

am Ende sahen wir ihn in der letzten<br />

steilen Rampe vor dem Ziel attackieren<br />

und fast jeden einzelnen Klassementfahrer<br />

abschütteln. Und natürlich verlor<br />

er sein Trikot, aber an Giulio Ciccone von<br />

Trek-Segafredo, der es sich für zwei Tage<br />

lieh, bevor eine weitere furiose Attacke,<br />

dieses Mal von Alaphilippe und Thibaut<br />

Pinot auf dem Weg nach Saint-Étienne, es<br />

dem Franzosen zurückbrachte.<br />

Alaphilippe war bei dieser Tour eine<br />

Naturgewalt, ein Agent der Entropie. Entropie<br />

ist die Eigenschaft, durch die ein<br />

System von Ordnung zu Unordnung übergeht,<br />

und Alaphilippe ließ bei der Tour<br />

eine Reihe von Bomben hochgehen - immer<br />

wenn Ordnung in das Rennen zu<br />

kommen schien, sprengte er das ganze<br />

Ding erneut. Das zweite Gesetz der Thermodynamik<br />

besagt, dass sich die gesamte<br />

Entropie eines isolierten Systems immer<br />

erhöht, und Alaphilippe folgte dem buchstabengetreu:<br />

Jedes Mal, wenn er das isolierte<br />

System der Tour de France erschütterte,<br />

in Épernay, La Planche des Belles<br />

Filles, Saint-Étienne, dem Zeitfahren in<br />

Pau – ganz besonders dem Zeitfahren in<br />

Pau –, dem Col du Tourmalet und bis auf<br />

halber Höhe des Col de l’Iseran, dachten<br />

mehr und mehr Leute an das Unmögliche.<br />

Alaphilippe sagte Journalisten fast<br />

täglich, dass er nicht erwarte, die Tour<br />

zu gewinnen, dass er es einfach von Tag<br />

zu Tag angehe, ohne an den nächsten<br />

zu denken. Selbst als sein Vorsprung im<br />

Zentralmassiv und den Pyrenäen schrittweise<br />

wuchs, versicherte er, dass er einfach<br />

den Tag genutzt habe, wie schon am<br />

Tag zuvor, und es am nächsten Tag genauso<br />

machen wolle.<br />

Am Ende verwirrte Alaphilippe seine<br />

Rivalen und Fans zweieinhalb Wochen<br />

lang mit seiner geschickten Fahrweise,<br />

aber er war wehrlos gegen den Plan, den<br />

Ineos am Iseran ausführte. Die drei Minuten,<br />

die er an einem einzigen Anstieg nach<br />

Val Thorens kassierte, waren wie ein kalter<br />

Eimer Eiswasser ins Gesicht der Fans,<br />

die davon geträumt hatten, dass er gewinnen<br />

könnte. Natürlich wird ein Fahrer von<br />

Alaphilippes physischer und psychologischer<br />

Statur – ein Angreifer mit Punch,<br />

der oft das Beste aus seinen Angriffen<br />

macht, aber viel Energie aufwendet, um<br />

nach diesen Chancen zu suchen, und sogar<br />

seinen Sprinter unterstützt – immer<br />

verletzbar sein in den längeren und höheren<br />

Anstiegen, die in diesem Jahr ein<br />

Merkmal der Alpen waren. Aber er hätte<br />

auch von einer anderen Eigenart der Alpen<br />

profitieren können. Stellen Sie sich nur<br />

einmal vor, der Erdrutsch wäre auf der<br />

Südseite des Anstiegs passiert, bevor das<br />

Rennen ihn erklommen hatte – er wäre<br />

mit 90 Sekunden Vorsprung auf Bernal<br />

ohne den Iseran in den Beinen in die letzte,<br />

verkürzte Etappe gegangen. Eine wilde<br />

kontrafaktische Vorstellung, aber es war<br />

diese Art von Tour.<br />

Thibaut Pinot war die andere prägende<br />

Kraft der Tour <strong>2019</strong>. Er hätte<br />

sie gewinnen können und die<br />

bitteren Tränen, die er in Tignes weinte,<br />

nachdem er wegen einer unerwarteten<br />

Knieverletzung vom Rad steigen musste,<br />

zeigten, dass er das auch wusste. Die Tour<br />

zog den Franzosen zurück in ihre Arme,<br />

und selbst als er in Albi 1:40 Minuten<br />

verlor, träumten die einheimischen Fans<br />

noch – umso mehr, als er mit einigem<br />

Abstand klar der stärkste Fahrer in den<br />

Pyrenäen war.<br />

Pinot fluchte nach der Etappe nach Albi<br />

über die unglücklichen Umstände, unter<br />

denen er und seine Teamkollegen 20 oder<br />

30 Plätze im Feld verloren, weil sie im<br />

Kreisverkehr den längeren Weg genom-<br />

34 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


men hatten. In solchen Momenten können<br />

Rennen verloren oder gewonnen werden.<br />

Der Riss, den Ineos und Deceuninck dann<br />

erzwangen, zerlegte das Feld in mehrere<br />

Stücke – wenn Groupama auf der rechten<br />

Seite der Straße und nicht links in den<br />

Kreisverkehr gegangen wäre, wäre Pinot<br />

in der Spitzengruppe gewesen; aber er landete<br />

in der nächsten Gruppe, und einige<br />

zu starke Ablösungen von seinen eigenen<br />

Teamkollegen und von Astana, dessen<br />

Kapitän Jakob Fuglsang den Zug auch verpasst<br />

hatte, warfen ihn zurück. Die Verfolgungsarbeit<br />

brachte Pinot auf zehn Sekunden<br />

an die Spitzengruppe heran, aber<br />

die Anstrengung, ihn so nahe heranzuführen,<br />

hatte die Feuerkraft von Groupama<br />

und Astana verbraucht, und die Lücke<br />

wuchs bis zum Ziel auf das Zehnfache an.<br />

Im Teambus war er anschließend am Boden<br />

zerstört. „Wo warst du?“, fragte er<br />

mürrisch und wütend einen schweigenden<br />

Anthony Roux, der aus der Gruppe herausgefallen<br />

war. Pinot fiel in Albi vom dritten<br />

auf den elften Platz zurück. Mit einem guten<br />

Zeitfahren in Pau, dem Etappensieg<br />

am Col du Tourmalet und dem zweiten<br />

Platz am Prat d’Albis machte er fast anderthalb<br />

Minuten auf Bernal gut, aber mit<br />

all diesen großen Anstrengungen kam er<br />

nur wieder auf gleiche Höhe, nachdem er<br />

so viel harte Arbeit geleistet hatte, um<br />

THIBAUT PINOTS ZWEIER-FLUCHT ZUSAMMEN<br />

MIT JULIAN ALAPHILIPPE NACH SAINT-ÉTIENNE<br />

WAR EINER DER MOMENTE, AN DEM DIE TOUR DE<br />

FRANCE FÜR DIE FRANZOSEN WIRKLICH<br />

BEGANN, FUNKEN ZU SPRÜHEN.<br />

Thibaut Pinot<br />

fuhr die beste Tour<br />

seines Lebens und<br />

wurde dank seiner<br />

Attacken zum Publikumsliebling.<br />

überhaupt erst Zeit herauszufahren. Er<br />

war in La Planche des Belles Filles mit<br />

Thomas und Alaphilippe ganz vorne gewesen,<br />

und seine Zweier-Flucht mit Alaphilippe<br />

nach Saint-Étienne war der Moment,<br />

an dem die Tour für die Franzosen<br />

wirklich begann, Funken zu sprühen.<br />

So wurde Pinot der jüngste tragische<br />

französische Held der Tour. Seine Vorgänger<br />

sind Laurent Fignon und vielleicht Jean-<br />

François Bernard, die in den 1980ern bei<br />

dem Rennen geglänzt hatten. Beide hatten<br />

dasselbe Talent wie Pinot, beide trugen<br />

das Herz auf der Zunge, und beide hatten<br />

eine ambivalente, mürrische Einstellung<br />

zu der Aufmerksamkeit, die ihnen jeden<br />

Sommer zuteilwurde. Der Druck, ein einheimischer<br />

Favorit zu sein, ließ Bernard<br />

einbrechen – er hatte eine gute Tour 1987,<br />

konnte den Erwartungen aber nie gerecht<br />

werden. Fignons Karriere wurde definiert<br />

durch seine Acht-Sekunden-Niederlage<br />

gegen Greg LeMond 1989, obwohl er da<br />

schon zwei Frankreich-Rrundfahrten gewonnen<br />

hatte. Pinot hat die physische<br />

Kapazität, die Tour zu gewinnen, und hat<br />

mehrmals gesagt, dass er sein Heimatrennen<br />

zu lieben gelernt hat. „Du kannst jedes<br />

Rennen gewinnen, aber nur die<br />

© Kramon<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 35


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ANALYSE<br />

© Getty Images<br />

Tour macht dich zu einem Fahrer, den<br />

die Leute nicht vergessen“, sagte er der<br />

L’Équipe. Aber Thibaut Pinot ist nicht<br />

Chris Froome oder Bernard Hinault oder<br />

Lance Armstrong – er fährt mit Emotionen,<br />

was seine Stärke ist, aber auch seine<br />

Schwäche. Das ist es auch, was das französische<br />

Publikum in gewissem Maße<br />

von ihm erwartet – und das gibt er ihnen<br />

auch. Aber es ist auch das Problem, ein<br />

französischer Tour-Favorit zu sein. Das<br />

Publikum liebt dich so sehr, dass es dich<br />

erdrücken kann.<br />

Trotz der telegenen Ritte von Pinot<br />

und Alaphilippe hatte man fast das<br />

Gefühl der Unausweichlichkeit, als<br />

sich der Staub über den tektonischen Verschiebungen<br />

in den Alpen legte und Ineos<br />

den ersten und zweiten Gesamtplatz belegte.<br />

So macht es Ineos bei der Tour – es<br />

ist das vierte Mal bei ihren sieben Siegen,<br />

dass das Team das Rennen gewonnen und<br />

einen weiteren Fahrer unter den ersten<br />

Vier hat, und das zweite Mal, dass es die<br />

Plätze eins und zwei belegt nach Wiggins<br />

und Froome 2012.<br />

Ungeachtet des Endergebnisses hatte<br />

das britische Team bei der Tour <strong>2019</strong><br />

nicht wie sonst ausgesehen. Michał Kwiatkowski<br />

war auf den Bergetappen schwächer<br />

als erwartet, Wout Poels weniger<br />

sichtbar als sonst und Luke Rowe wurde<br />

auf der Etappe nach Gap nach einer Rangelei<br />

mit dem Jumbo-Fahrer Tony Martin<br />

aus dem Rennen ausgeschlossen. Dylan<br />

van Baarle übertraf die Erwartungen –<br />

nachdem er einige Kilo (und, wie Kritiker<br />

meinten, alle persönlichen Ambitionen)<br />

verloren hatte, war er der effektivste Berghelfer<br />

von Ineos. Er wurde sehr gut eingesetzt<br />

– auf den entscheidenden Etappen<br />

nach Valloire und Tignes wurde er in die<br />

Ausreißergruppe geschickt und kam aus<br />

Enric Mas tröstet<br />

Julian Alaphilippe,<br />

nachdem dieser<br />

nach der 19. Etappe<br />

das Gelbe Trikot<br />

abgeben musste.<br />

ihr zurück, um die Favoriten an den wichtigen<br />

Anstiegen lange zu unterstützen.<br />

Brailsford hatte die Etappe nach Tignes<br />

mit Froomes Attacke am Finestre beim<br />

letztjährigen Giro verglichen, aber am<br />

Ende sah es so aus, als hätten sie den<br />

Sturm überstanden und das Rennen<br />

schließlich allein durch zahlenmäßige<br />

Überlegenheit zu ihren Gunsten gewendet.<br />

Auf den größten Etappen war Bernal<br />

der stärkste Fahrer und daher gewann er<br />

natürlich. Ineos hatte mitunter angreifbar<br />

gewirkt – Thomas und Bernal verpassten<br />

die Alaphilippe-Pinot-Attacke auf dem<br />

Weg nach Saint-Étienne (obwohl Thomas<br />

entschuldigt war, da er gerade von einem<br />

Sturz zurückgekommen war), Bernal patzte<br />

beim Zeitfahren in Pau und Thomas<br />

zeigte in den Pyrenäen Schwächen. Insgesamt<br />

ging viel schief bei Ineos, aber jedes<br />

Mal hielt man den Schaden in Grenzen.<br />

Die Geschwindigkeit, mit der das Team<br />

36 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Thomas nach seinem Sturz auf dem Weg<br />

nach Saint-Étienne zurück in die Spitzengruppe<br />

brachte, war beeindruckend, und<br />

es ist vorstellbar, dass ein anderer Favorit<br />

mehr Zeit verloren hätte, wäre er in dieser<br />

Situation gewesen. Thomas konnte auch<br />

die Auswirkungen minimieren, als er am<br />

Tourmalet zurückgefallen war.<br />

Aber an anderen wichtigen Tagen – gerade<br />

Albi und der Iseran – schlug Ineos zu,<br />

sauber, chirurgisch und mitleidlos. Auf<br />

den Champs-Élysées bezeichnete Brailsford<br />

Bernals Triumph als Sieg der Logik<br />

über die Emotion. Selbst in Val Thorens,<br />

wo es verlockend gewesen sein muss, Bernal<br />

von der Leine zu lassen und zu versuchen,<br />

mit ihm die Etappe zu gewinnen,<br />

ging man auf Nummer sicher. Die Fahrer<br />

verloren nie die Konzentration, und deswegen<br />

haben sie die Tour gewonnen. Die Tour<br />

de France mag drei Wochen lang sein, aber<br />

sie ist auch ein Event der Momente – Ineos<br />

hat das schon lange verstanden; Pinot hat<br />

es vielleicht endlich gelernt.<br />

Fans und Beobachter waren sich<br />

während des Rennens weitgehend<br />

einig, dass es das beste und offenste<br />

seit Jahren war. Selbst das Gefühl, dass<br />

die beiden letzten Alpenetappen nach den<br />

Erdrutschen, die Tignes und den Cormet<br />

de Roselend abschnitten, eine Enttäuschung<br />

waren, wurden durch das dramatische<br />

Wetter und die schiere Kraft der<br />

Natur gedämpft.<br />

Das Rennen war die ganze Zeit knapp.<br />

Bis in die Alpen schienen sechs Fahrer die<br />

Gesamtwertung gewinnen zu können:<br />

Thomas, Bernal, Pinot, Kruijswijk, Buchmann<br />

und Alaphilippe selbst. Brailsford<br />

bezeichnete Alaphilippe als Überraschungsfahrer,<br />

den sie nicht erwartet hatten.<br />

„Ich wurde zu Beginn der Tour gefragt,<br />

ob ich ihn für gefährlich halte, und<br />

ich antwortete, ohne nachzudenken: keinesfalls“,<br />

sagt Brailsford. „Danach dachte<br />

ich: Oh Shit. Du schaust es dir logisch an<br />

und sagst – außer wenn du nichts von<br />

Radsport verstehst –: Er wird einbrechen.<br />

Steven Kruijswijk<br />

(rechts) wurde bei<br />

dieser Tour zum<br />

größten Rivalen<br />

des Teams Ineos.<br />

Aber jeden Tag, der vorbeigeht, denkt deine<br />

emotionale Seite: Moment mal … wird<br />

er eine Überraschung sein?“<br />

Alaphilippes Vorsprung und seine Zähigkeit,<br />

ihn nicht nur zu verteidigen,<br />

© Chris Auld<br />

Perfekte Kontrolle<br />

für die Sommeretappe.<br />

Mit Reifen von Continental.<br />

Profitieren Sie als Auto- und Radfahrer von unserer<br />

jahrzehntelangen Erfahrung in der Entwicklung<br />

und Herstellung von Premium-Reifen.<br />

Jetzt mehr erfahren:<br />

www.continental-reifen.de<br />

OFFIZIELLER PARTNER


© Getty Images<br />

sondern an verschiedenen Tagen sogar<br />

noch auszubauen, stellte ein Problem für<br />

alle seine Rivalen dar. Sie wussten alle,<br />

dass sie Zeit auf ihn gewinnen mussten,<br />

aber sie mussten sich auch gegenseitig im<br />

Blick behalten, und sie waren kräftemäßig<br />

so nahe beieinander, dass sie sich Blößen<br />

hätten geben können, wenn sie es mit<br />

Alaphilippe aufgenommen hätten. Es ist<br />

ein Faktor einiger Großer Rundfahrten der<br />

jüngeren Zeit, dass die Fahrer ihre Gegner<br />

nicht richtig auswählten – oder auswählen<br />

konnten. Beim Giro d’Italia 2018<br />

kämpfte Tom Dumoulin die meiste Zeit<br />

gegen Simon Yates, der lange führte. Indem<br />

er sich auf Yates konzentrierte, entgingen<br />

ihm die Warnzeichen, als Chris<br />

Froome am Finestre attackierte und dann<br />

Egan Bernal fuhr<br />

sich mit jungen<br />

22 Jahren ins Rampenlicht<br />

dieser<br />

Tour und trug Gelb<br />

nach Paris.<br />

das Rosa Trikot stahl. Und bei der diesjährigen<br />

Italien-Rundfahrt verbrachten<br />

Vincenzo Nibali und Primož Roglic die<br />

ersten zwei Wochen damit, gegeneinander<br />

zu fahren und sich zu beobachten,<br />

während Richard Carapaz attackierte und<br />

ES IST EIN FAKTOR EINIGER GROSSER<br />

RUNDFAHRTEN DER JÜNGEREN ZEIT,<br />

DASS DIE FAHRER IHRE GEGNER<br />

NICHT RICHTIG AUSWÄHLTEN.<br />

das Rosa Trikot am Ende gewann. Dieses<br />

Mal nahmen es die Favoriten, ausgenommen<br />

Pinot, erst miteinander auf, als Alaphilippe<br />

am Iseran endgültig distanziert<br />

war. Danach lief das Rennen auf die einfache<br />

Tatsache hinaus, dass Egan Bernal<br />

nach Pinots Aufgabe der beste Kletterer<br />

des gesamten Rennens war.<br />

Die Tour de France <strong>2019</strong> war anarchisch,<br />

chaotisch und unterhaltsam –<br />

trotz der Vorhersehbarkeit des Endergebnisses.<br />

Ambitionen wurden freigesetzt,<br />

nachdem Julian Alaphilippe als Katalysator<br />

des Rennens fungiert hatte. Wir<br />

werden nächstes Jahr sehen, ob das Team<br />

Ineos in der Lage sein wird, den neu erwachten<br />

Angriffsgeist bei der Frankreich-Rundfahrt<br />

wieder einzufangen.<br />

38 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


D 5,80 Euro<br />

Alles Zum THema ...<br />

AUSGABE Nº1.19 JOLANDA NEFF · 16 BIKES IM TEST · SWISS EPIC · WATTMESSTRAINING · BIKES DER PROFIS · PANNENSCHUTZ<br />

A 6,40 Euro<br />

LUX 6,40 Euro<br />

CH 10,50 CHF<br />

AUSGABE Nº2.19 ALLMOUNTAIN- UND TOURENBIKES · MINI-WERKZEUG · TOUREN-PLANUNG UND NAVIGATION · SCHWARZWALD<br />

D 5,80 Euro<br />

A 6,40 Euro<br />

LUX 6,40 Euro<br />

CH 10,50 CHF<br />

11<br />

11<br />

E-MTBS<br />

E-MTBS<br />

IM<br />

IM<br />

TEST<br />

TEST<br />

· 48<br />

· 48<br />

ZUBEHÖR-TEILE<br />

ZUBEHÖR-TEILE<br />

· AKKU-RECYCLING<br />

· AKKU-RECYCLING<br />

· E-MTB-FAHRTECHNIK<br />

· E-MTB-FAHRTECHNIK<br />

· ENGADIN<br />

· ENGADIN<br />

E-MTB SPEZIAL Nº2.19<br />

E-MTBs<br />

1<br />

im E Test<br />

ZUBEHÖR-<br />

48 TEILe<br />

FAHr-<br />

E-MTB TECHNIK<br />

E-MTB<br />

D<br />

6,90<br />

6,90<br />

Euro<br />

Euro<br />

A<br />

7,50<br />

7,50<br />

Euro<br />

Euro<br />

LUX<br />

LUX<br />

7,50<br />

7,50<br />

Euro<br />

Euro<br />

CH CH 12,80 12,80 CHF CHF<br />

SONDerAUsGaBE<br />

Cross Country<br />

XC Bikes im Test, Wattmesstraining, Reifen<br />

All Mountain & Tour<br />

Tourenplanung, Mini-Werkzeug-Test, Wetter<br />

E-MTB N°2.19<br />

Biketests, Akku-Recycling, Fahrtechnik<br />

AUSGABE Nº3.19 12 ENDURO-BIKES IM TEST · FEDERGABELN · AUSGEBAUTE FAHRZEUGE · ENDURO-TRAILS · SAALBACH HINTERGLEMM<br />

D 5,80 Euro<br />

A 6,40 Euro<br />

LUX 6,40 Euro<br />

CH 10,50 CHF<br />

eNDURO&TraIl<br />

MOUNTA|nBIKE-aBENTeUEr "eRFaHREN"<br />

AUSGABE Nº4.19 7 DOWNHILL-BIKES IM TEST · BIKEPARK DIGNE-LES-BAINS · FAHRWERK-SETUP · WORLD CUP LEOGANG<br />

D 5,80 Euro<br />

A 6,40 Euro<br />

LUX 6,40 Euro<br />

CH 10,50 CHF<br />

11 E-MTBS IM TEST · 48 ZUBEHÖR-TEILE · AKKU-RECYCLING · E-MTB-FAHRTECHNIK · ENGADIN AUSGABE Nº5.19 21 MOUNTAINBIKES IM TEST · TRAILCHECK EIFEL · APPS FÜR E-MTB UNTERWEGS SPEZIAL · ABENTEUER Nº2.19 AFRIKA<br />

E-MTBs<br />

1 im E Test<br />

ZUBEHÖR-<br />

48 TEILe<br />

FAHr-<br />

TECHNIK<br />

E-MTB<br />

D 5,80 Euro<br />

A 6,40 Euro<br />

LUX 6,40 Euro<br />

CH 10,50 CHF<br />

D 6,90 Euro<br />

A 7,50 Euro<br />

LUX 7,50 Euro<br />

CH 12,80 CHF<br />

SONDerAUsGaBE<br />

Enduro & TRail<br />

Federgabeltest, Enduro-Trails, Fahrtechnik<br />

Gravity<br />

Biketest, Fahrwerktuning, Kanada<br />

First Ride<br />

Bikes 2020, Nützliche Apps, Eifel<br />

Jetzt bestellen<br />

shop.worldofmtb.de


40 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

E G A N<br />

BERNAL<br />

NATURGEWALT<br />

Wie Egan Bernal Verletzungen und Mannschaftspolitik überwand,<br />

um als erster Kolumbianer die Tour de France zu gewinnen.<br />

Text Sam Dansie Fotografie Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 41


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

E G A N<br />

BERNAL<br />

escheiden und bodenständig“ nannte der<br />

geschlagene Tour-Champion Geraint Thomas<br />

seinen Nachfolger Egan Bernal. In<br />

Val Thorens – die letzte Bergetappe des<br />

Rennens und der Moment, in dem Bernal<br />

zum designierten Sieger wurde – konnte<br />

man sehen, was der Waliser meinte: Bernal<br />

warf den Blumenstrauß für das Weiße<br />

Trikot in Richtung des feiernden kolumbianischen<br />

Kontingents, aber traf nicht. Der<br />

22-Jährige hielt seine Hand an den Mund<br />

und versteckte ein verschämtes Lächeln.<br />

Später, auf der Pressekonferenz des Gelben<br />

Trikots, als die Medien den Kolumbianer<br />

zum ersten Mal während des turbulenten<br />

Rennens richtig kennenlernten,<br />

entsprach sein Verhalten erneut Thomas’<br />

Beschreibung: Bernal beantwortete Fragen<br />

mit Takt, Bescheidenheit und Humor.<br />

24 Stunden zuvor, als Bernal die Gesamtwertung<br />

auf den letzten vier Kilometern<br />

des Col de l’Iseran auf den Kopf gestellt<br />

hatte, war jedoch nichts von dem<br />

Engelchen zu sehen gewesen. Den Mund<br />

leicht geöffnet. Die Beine wirbelnd. Geduckte<br />

Haltung. Eine Reihe von Kletterern<br />

– darunter die Grand-Tour-Sieger Vincenzo<br />

Nibali und Simon Yates – versuchten,<br />

mit Bernal Schritt zu halten, konnten es<br />

aber nicht. Bernal drehte sich kaum um.<br />

Aber es war auch nicht wichtig, was hinter<br />

ihm passierte. Seine Zukunft lag da oben<br />

– vor ihm.<br />

Auf dem 2.770 Meter hohen Gipfel des<br />

Iseran war er in der Gesamtwertung mit<br />

45 Sekunden Vorsprung an Julian Alaphilippe<br />

vorbeigezogen und dank des<br />

außergewöhnlich nassen Wetters in den<br />

Alpen bald nur noch eine verkürzte Bergetappe<br />

von einem historischen Sieg entfernt.<br />

Dem ersten Toursieg eines Kolumbianers.<br />

Dem jüngsten Tour-Gewinn in der<br />

Nachkriegsära. Und dem siebten Sieg der<br />

Ineos-Sky-Dynastie in acht Jahren.<br />

Bernals früherer<br />

Teammanager<br />

Gi anni Savio gratuliert<br />

seinem ehemaligen<br />

Schützling.<br />

EIN GLÜCKSFALL<br />

Angesichts von Bernals Weg zur Tour<br />

musste man sich fragen, ob das Resultat<br />

vorherbestimmt war. 2018 fühlte er sich<br />

nach Siegen beim Colombia Oro y Paz und<br />

der Kalifornien-Rundfahrt sowie einem<br />

knappen zweiten Platz bei der Tour de<br />

Romandie bei der Tour de France sofort zu<br />

Hause. Es war eine seltene Auszeichnung,<br />

dass er in seinem Debüt-Jahr bei seinem<br />

Team überhaupt bei der Tour starten durfte,<br />

angesichts der Tendenz von Ineos, erst<br />

einmal die „Zahlen“ eines Fahrers zu bewerten,<br />

ehe man ihn auf ein Rennen losließ,<br />

das das wichtigste des Jahres ist.<br />

© Sirotti (Rodríguez), Offside Sports Photography (Parra), Yuzuru Sunada (Bernal, Botero, Quintana)<br />

MARTÍN<br />

RODRÍGUEZ<br />

Martín „Cochise“<br />

Rodríguez fuhr als erster<br />

Kolumbianer die Tour<br />

de France. Der<br />

Bahnspezialist und<br />

Verfolgungs-<br />

Weltmeister der<br />

Amateure von 1971 fuhr<br />

in der Saison 1975 mit<br />

Felice Gimondi im<br />

Bianchi-Team.<br />

KOLUMBIANER BEI DER TOUR<br />

LUIS<br />

HERRERA<br />

„Lucho“ feierte 1984<br />

bei einer legendären<br />

Kletterpartie nach Alpe<br />

d’Huez den ersten<br />

kolumbianischen<br />

Etappensieg in<br />

Frankreich. Ein Jahr<br />

später gewann er das<br />

Gepunktete Trikot – ein<br />

weiteres Debüt für das<br />

südamerikanische Land.<br />

FABIO<br />

PARRA<br />

1988 machte der<br />

kolumbianische<br />

Radsport einen weiteren<br />

Schritt nach vorn, als<br />

Parra als erster Vertreter<br />

des Landes auf dem<br />

Podium der<br />

Gesamtwertung stand.<br />

Parra wurde Dritter<br />

hinter Pedro Delgado<br />

und Steven Rooks.<br />

SANTIAGO<br />

BOTERO<br />

Nach den Höhen<br />

Kolumbiens in den<br />

1980er-Jahren war von<br />

den südamerikanischen<br />

Fahrern weniger zu<br />

sehen. Botero befeuerte<br />

das Interesse wieder,<br />

als er 2000 das<br />

Gepunktete Trikot auf<br />

dem Höhepunkt der<br />

Armstrong-Ära gewann.<br />

NAIRO<br />

QUINTANA<br />

Quintana markierte eine<br />

neue Welle von<br />

Kolumbianern bei der<br />

Tour. Als er bei seinem<br />

Debüt 2013 Zweiter<br />

wurde und das Weiße<br />

plus das Gepunktete<br />

Trikot gewann, rechnete<br />

man damit, dass er<br />

bald das Gelbe<br />

gewinnen würde.<br />

FERNANDO<br />

GAVIRIA<br />

Die Omnipräsenz von<br />

Kolumbien in allen<br />

Bereichen des Pelotons<br />

wurde bestätigt, als der<br />

Sprinter Fernando<br />

Gaviria mit Quick-Step<br />

zwei Sprintetappen bei<br />

der Tour de France 2018<br />

gewann. <strong>2019</strong> nahm er<br />

allerdings nicht an der<br />

Frankreich-Rundfahrt teil.<br />

42 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Bernal trug allerdings maßgeblich zu<br />

Geraint Thomas’ Gesamtsieg und zur<br />

Rettung von Chris Froomes Podiumsplatz<br />

bei. Sein verblüffendster Akt war, die<br />

Gruppe der Favoriten in einer verschärften<br />

Acht-Kilometer-Passage an der Alpe<br />

d’Huez zu sprengen.<br />

In diesem Jahr knüpfte Bernal früh an<br />

diese Leistungen an. Auf der ersten Etappe<br />

von Paris–Nizza erwies er sich als cleverer<br />

Ausnutzer des Seitenwinds. „Pure<br />

Klasse“ lautete Luke Rowes Beurteilung<br />

der Geschicklichkeit und Kraft des Kolumbianers<br />

in einem der schwierigeren<br />

Gefilde des Radsports. Eine Qualität, die<br />

Bernal auch zeigte, als das Tour-Peloton<br />

auf der zehnten Etappe nach Albi von Seitenwind<br />

zerlegt wurde. Am Ende von Paris–Nizza,<br />

am Col du Turini, wurde ihm<br />

schließlich das Gelbe Trikot von Eddy<br />

Merckx persönlich überreicht. Der Belgier<br />

ließ sich, nachdem er die Vorstellung Bernals<br />

gesehen hatte, zu der Bemerkung<br />

hinreißen: „Wenn er bei der Tour die Unterstützung<br />

des Teams hat, sehe ich nicht,<br />

wie man ihn schlagen kann.“<br />

Zu dem Zeitpunkt war vorgesehen,<br />

dass Bernal das Team Ineos beim Giro<br />

anführt, aber knapp eine Woche vor der<br />

Grande Partenza in Bologna stürzte er,<br />

„ZWEI STUNDEN NACH DEM STURZ, ALS ICH NOCH<br />

SCHMERZEN HATTE, FRAGTE ICH MEINEN TRAINER,<br />

WIE VIEL ZEIT WIR BIS ZUR TOUR HABEN. ICH FING<br />

AN, ÜBER DIE TOUR NACHZUDENKEN.“<br />

Ineos leistet auf<br />

der vorletzten<br />

Etappe Führungsarbeit,<br />

um Bernals<br />

Gelbes Trikot zu<br />

beschützen.<br />

12<br />

Kolumbianer<br />

gewannen<br />

bereits<br />

Etappen<br />

bei der Tour<br />

de France<br />

als er zu Hause in Andorra trainierte,<br />

und brach sich das Schlüsselbein. „Zwei<br />

Stunden nach dem Sturz, als ich noch<br />

Schmerzen hatte und fast weinte, fragte<br />

ich meinen Trainer, wie viel Zeit wir bis<br />

zur Tour haben. Ich fing an, über die<br />

Tour nachzudenken“, erinnerte sich Bernal<br />

in Val Thorens.<br />

Für ihn gab es keinen Zweifel an der<br />

Zufälligkeit des gebrochenen Schlüsselbeins.<br />

„Vielleicht gab es dafür einen Grund,<br />

und jetzt bin ich im Begriff, die Tour de<br />

France zu gewinnen. Ich weiß nicht, ob es<br />

Schicksal oder Bestimmung ist, aber wenn<br />

ich vor dem Giro nicht gestürzt wäre, wäre<br />

ich heute nicht in dieser Position. Es ist<br />

wirklich unglaublich“, sagte er, darauf bei<br />

der Tour angesprochen. Dass er nur wenige<br />

Wochen nach seinem Sturz die Tour de<br />

Suisse mit zwei furiosen Vorstellungen bei<br />

den aufeinanderfolgenden Bergankünften<br />

am Flumserberg und am Gotthard Pass<br />

gewann, während Thomas das Rennen<br />

nach einem Sturz auf der vierten Etappe<br />

aufgeben musste, dämpfte die Spekulationen,<br />

dass der Kolumbianer Ineos’ Mann<br />

für die Tour sein würde, nicht.<br />

© Gruber Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 43


© Chris Auld (groß), Offside Sports Photography<br />

DAS PERFEKTE RENNEN<br />

In seinen abschließenden Bemerkungen<br />

nach der 20. Etappe sprach ein enttäuschter<br />

Geraint Thomas darüber, dass der<br />

Zustand des Flows, der seine Tour 2018<br />

charakterisiert hatte, dieses Jahr so<br />

schwer zu erreichen war. „Ich hatte keinen<br />

einzigen Sturz und keinen einzigen Defekt<br />

und fühlte mich jeden Tag gut. Ich hatte<br />

einfach nur eine Glückssträhne – ähnlich<br />

wie Egan in diesem Jahr“, so der Waliser.<br />

Nach dem Mannschaftszeitfahren am<br />

zweiten Tag vor der großartigen Kulisse<br />

der Brüsseler Architektur war Bernal<br />

auf dem siebten Rang der Gesamtwertung.<br />

Er sollte während des restlichen<br />

Rennens nicht mehr dahinter zurückfallen.<br />

Im Schatten des Atomiums in Brüssel<br />

sagte er: „Das Gefühl war besser als<br />

letztes Jahr beim Mannschaftszeitfahren.“<br />

Später nannte Ineos-Teamboss Dave<br />

Brailsford die Vorstellung auf der zweiten<br />

Etappe „eines der besten, wenn nicht das<br />

beste Mannschaftszeitfahren des Teams<br />

bei der Tour“.<br />

Bernal schob sich am nächsten Tag<br />

weiter nach vorn, als er Tiesj Benoots Hinterrad<br />

auf der knackigen Zielrampe in<br />

Épernay halten konnte. Fünf Sekunden<br />

wurden der Distanz zwischen Bernals<br />

Hinterrad und Thomas’ Vorderrad zugeschrieben,<br />

was zu Spekulationen führte,<br />

wer Vorrang im Team und Form auf seiner<br />

Seite hatte. Diese Linien verschoben sich<br />

bei der Schotterankunft an der Super<br />

Planche auf der sechsten Etappe: Thomas<br />

kam neun Sekunden vor dem Kolumbianer<br />

ins Ziel. Brailsford, der Bernal in Schutz<br />

nahm, beeilte sich, die Erwartungen zu<br />

dämpfen, und erinnerte alle daran, dass<br />

die Tour de France etwas ganz anderes sei<br />

als ein einwöchiges WorldTour-Rennen.<br />

„Bei der Tour de Suisse war Bernal fantastisch.<br />

Sehr bedächtig“, sagte Brailsford<br />

einer Gruppe britischer Journalisten am<br />

nächsten Tag in Mâcon, „aber das Feld<br />

war nicht das Tour-de-France-Feld.“<br />

Während Thomas auf den Etappen 1,<br />

8 und 16 stürzte, war Bernal das Glück<br />

drei Wochen lang treu. Insbesondere vermied<br />

er die Beinahe-Katastrophe auf der<br />

8. Etappe, die sechs der acht Mitglieder<br />

der Ineos-Truppe zu Fall brachte oder<br />

aufhielt, als sie in einen allzu selbstbewussten<br />

Michael Woods crashten, der im<br />

Winter bei einem ehemaligen MTB-<br />

Downhiller Abfahrtsunterricht genommen<br />

hatte. Aber Kolumbianer haben auf dem<br />

Weg nach Saint-Étienne, wo die Etappe<br />

zu Ende ging, das Glück auf ihrer Seite.<br />

34 Jahre zuvor war Bernals Landsmann<br />

Lucho Herrera auf dem Weg in die Stadt<br />

im Zentralmassiv auf einem Ölfleck weg-<br />

Geraint Thomas<br />

und Egan Bernal<br />

Schulter an Schulter<br />

auf der Planche<br />

des Belles Filles.<br />

Ein blutüberströmter<br />

Lucho<br />

Herrera nach<br />

seinem Sturz bei<br />

der Tour 1985.<br />

44 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

E G A N<br />

BERNAL<br />

gerutscht und böse gestürzt. Herrara,<br />

dem das Blut aus einer klaffenden Wunde<br />

über der linken Augenbraue rann, stieg<br />

wieder auf und gewann die Etappe. Die<br />

Siegerfotos von seinem blutüberströmten<br />

Gesicht machten den kolumbianischen<br />

Vorstoß bei der Tour unsterblich; es musste<br />

anscheinend einfach so sein.<br />

Dieses Mal war der beste escarabajo<br />

ebenfalls vom Glück verwöhnt, aber er<br />

fuhr unspektakulärer nach Saint-Étienne<br />

hinein. Er erreichte das Ziel zusammen<br />

mit Thomas. Als sie sich Seite an Seite<br />

ausfuhren, beschrieb Thomas einer der<br />

Kameras seine Enttäuschung, 20 Sekunden<br />

auf Thibaut Pinot und Julian Alaphilippe<br />

verloren zu haben, während Bernal<br />

vor einer anderen Kamera seinem Glücksstern<br />

dankte. „Ich wusste nicht, ob ich<br />

warten musste, aber das Team hat mich<br />

instruiert, in der Spitzengruppe zu bleiben“,<br />

fügte er hinzu.<br />

Als er über die Tour insgesamt nachdachte,<br />

sagte Bernal, sein kritischster Moment<br />

sei das Zeitfahren in Pau gewesen.<br />

Auf dem technisch anspruchsvollen und<br />

hügeligen 27,2-Kilometer-Kurs verlor er<br />

1:36 Minuten auf Alaphilippe, der seinen<br />

Vorsprung ausbaute – auf ganze 1:22 Minuten<br />

gegenüber seinem Teamkollegen<br />

Thomas. Ein viel schwerwiegender Verlust<br />

als an der Super Planche. Nachdem er am<br />

nächsten Tag am Tourmalet gut unterwegs<br />

war, beschrieb er das Zeitfahren als<br />

den schlimmsten Tag seiner Karriere. Obwohl<br />

er erst vier Jahre Profi ist, will das<br />

etwas heißen. Es war die erste Schwäche<br />

in Bernals Arsenal – und auch seine letzte<br />

bei der diesjährigen Tour de France.<br />

Beim Zeitfahren<br />

in Pau verlor Bernal<br />

Zeit – eine Disziplin,<br />

an der er in Zukunft<br />

arbeiten will.<br />

zuerst unmerklich und dann mit zunehmender<br />

Stärke. Als er acht Sekunden nach<br />

dem Etappensieger Thibaut Pinot, aber<br />

28 Sekunden vor Thomas ins Ziel kam,<br />

der in den ersten zwei Wochen zu wenig<br />

gegessen hatte, fuhr Bernal Zeit auf der<br />

Straße heraus, während er sich verbal seinem<br />

Chef Thomas noch unterordnete.<br />

„Ich fahre mit dem amtierenden Tour-<br />

Champion“, sagte er auf dem Gipfel des<br />

Tourmalet, wo der neue Eigentümer von<br />

Ineos, der schlaksige und wettergegerbte<br />

Sir Jim Ratcliffe das Rennen besuchte.<br />

„Ich respektiere, was das Team sagt, und<br />

will nicht dagegen verstoßen. Ich werde<br />

sehen, was das Team entscheidet. Wenn<br />

ich Thomas helfen muss, werde ich ihm<br />

helfen, und wenn ich mein Rennen fahren<br />

muss, werde ich das tun.“<br />

Im vergangenen Jahr stellte sich<br />

beim britischen Team die Frage nach<br />

der Kapitänsrolle. Wer hatte das Sagen:<br />

Froome oder Thomas? In diesem Jahr<br />

wiederholte sich das Spiel: Thomas oder<br />

Bernal? Aber zur Kapitänsfrage kam ein<br />

weiteres Thema – das der Mannschaftsstärke.<br />

Das Team riss das Rennen nicht<br />

so an sich wie in den letzten Jahren.<br />

Hatten andere Teams aufgeholt oder war<br />

Ineos schwächer?<br />

Thomas sagte offen, dass Michał Kwiatkowski<br />

nicht „so gut war, wie er gerne<br />

wäre“, während auch Gianni Moscon und<br />

Jonathan Castroviejo insgesamt unauffälliger<br />

waren. Wout Poels, versicherte<br />

Brailsford, wäre in der dritten Woche gut.<br />

Trotzdem: Während das alte Sky-Team<br />

die Gruppe um das Gelbe Trikot bei der<br />

ersten großen Bergankunft einst mit Fahrern<br />

bestückt hätte, war am Tourmalet<br />

erkennbar, dass Thomas und Bernal in<br />

den entscheidenden Anstiegen alleine<br />

sein würden.<br />

Das war auch weitgehend der Fall am<br />

folgenden Tag nach Prat d’Albis, an dem es<br />

obendrein nach taktischen Fehlern von<br />

BERGFÜHRER AM TOURMALET<br />

Er brachte es auf dem Tourmalet sofort<br />

wieder in Ordnung – an einem Tag, an<br />

dem Thomas schwächelte. Es war viel die<br />

Rede von den sieben Anstiegen der Route,<br />

die die 2.000-Meter-Marke knackten.<br />

Und davon, dass die höchste Tour der Geschichte,<br />

wie es hieß, Bernal lag. Für einen<br />

Fahrer, der auf 2.700 Meter Höhe aufgewachsen<br />

ist und dessen üblicher Trainingsanstieg<br />

zu Hause von dort noch<br />

einmal 1.000 Meter in die Höhe führt,<br />

sollten die Voraussetzungen nicht die<br />

schlechtesten sein.<br />

Die Bergankunft am Tourmalet auf der<br />

14. Etappe war der erste wirkliche Tag<br />

auf Bernals bevorzugtem Terrain, und hier<br />

begann der Kolumbianer vorzurücken –<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 45


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

E G A N<br />

BERNAL<br />

© Gruber Images<br />

Ineos roch. Bernal war Pinot gefolgt, der<br />

zu dem Zeitpunkt der stärkste Fahrer<br />

des Rennens war, und Thomas war gezwungen,<br />

länger abzuwarten, als ihm lieb<br />

gewesen wäre, um die Gefahr zu neutralisieren,<br />

die von einem unerwartet hartnäckigen<br />

Julian Alaphilippe ausging. Hätten<br />

die beiden besser zusammenarbeiten können?<br />

„Das Wichtigste ist, auf der Straße<br />

zu kommunizieren und dem anderen zu<br />

sagen, wie man sich fühlt“, sagte Thomas,<br />

während er auf der gedämpften Pressekonferenz<br />

des Teams am zweiten Ruhetag<br />

in Nîmes in die Ferne starrte.<br />

In den Alpen überhäufte Brailsford<br />

Thomas mit Lob für seine Großzügigkeit,<br />

dass er Bernal anleitete und dem Kolumbianer<br />

Spielraum für Angriffe ließ. Ihm<br />

blieb zwar kaum etwas anderes übrig, aber<br />

tatsächlich war Thomas immer noch auf<br />

der Jagd nach seinem zweiten Toursieg<br />

und sollte diese Ambitionen auch noch<br />

bis zur 19. Etappe und dem Abbruch des<br />

Rennens auf dem Gipfel des Iseran hegen.<br />

Die Diskrepanz zwischen seinen Worten<br />

und seinem Agieren war der pragmatische<br />

Kompromiss, der ausreichte, um das<br />

Team zu binden, aber der gleichzeitig locker<br />

genug war, um die Entscheidung auf<br />

D<br />

er unvermeidliche<br />

Konsens, der sich<br />

um Bernal – einen<br />

Toursieger mit<br />

22 – bildete, ist, dass er bei<br />

künftigen Frankreich-Rundfahrten<br />

eine feste Größe sein<br />

wird. Renndirektor Christian<br />

Prudhomme sagte, Bernal sei<br />

ein Federer, der einen Nadal<br />

brauche. Beweise gegen diese<br />

orthodoxe Sichtweise sind dünn<br />

gesät, aber es gibt historische<br />

Beispiele, die zu beachten sind:<br />

Jan Ullrich, Toursieger mit<br />

23 und Zweitplatzierter im<br />

folgenden Jahr; Felice Gimondi<br />

gewann die Tour in seiner ers -<br />

ten Profisaison, und obwohl er<br />

ansonsten viel gewann, konnte<br />

er die Grand Boucle kein zweites<br />

der Straße zu fällen. Aber die Tour ging<br />

dem Ende zu, und irgendjemand oder irgendetwas<br />

musste das Paar trennen. Da<br />

Alaphilippe mittlerweile ausgepowert war,<br />

sahen Pinot oder einer des Ineos-Paares<br />

wie Sieger aus.<br />

In Valloire, das in einer Talsenke zwischen<br />

dem Galibier und dem Col du Télé-<br />

DER MANN<br />

FÜR DIE ZUKUNFT?<br />

Mal für sich entscheiden. In<br />

jüngerer Zeit sah Nairo Quin -<br />

tana wie der kommende Tour -<br />

sieger aus, nachdem er 2013<br />

Zweiter geworden war, aber<br />

er schaffte es nicht auf das<br />

oberste Treppchen.<br />

Doch Bernals spanischer<br />

Trainer Xabier Artetxe sagte:<br />

„Wir wissen, dass er noch jung<br />

ist, und wir müssen auf ihn<br />

aufpassen. Aber er hat eine<br />

brillante Zukunft vor sich. Er<br />

ist immer motiviert, sich zu<br />

verbessern und alles zu ler -<br />

nen. Er versucht so viel über<br />

Physiologie, Ernährung und<br />

alles andere zu lernen. Er treibt<br />

dich an, dich zu verbessern,<br />

aber gleichzeitig vertraut er<br />

dir 100 Prozent.“<br />

Die kolumbi -<br />

a nischen Fans<br />

verwandelten<br />

die Etappen in<br />

Partyzonen.<br />

Aber Artetxe hat auch festgestellt,<br />

dass die Kolumbianer<br />

früher reifen. „Das chronologische<br />

Alter und das biologische<br />

Alter sind nicht dasselbe“, sagte<br />

er. „Für Leute aus einigen<br />

anderen Ländern kann das<br />

chronologische Alter höher als<br />

das biologische Alter sein, und<br />

es ist bekannt, dass Kolumbianer,<br />

wenn sie jünger sind, stärker<br />

sind als Europäer.“<br />

Er fügte hinzu: „Ich glaube,<br />

er kann sich noch in mehreren<br />

Bereichen verbessern. Er<br />

kann sich im Klettern und im<br />

Zeitfahren steigern, und wenn<br />

er mehr Erfahrung hat, wird er<br />

sicher ein besserer Fahrer sein.<br />

Wir hoffen, dass er in Zukunft<br />

noch stärker sein wird.“<br />

graphe liegt, waren die Ineos-Fahrer nahe<br />

dran, gegen ihren delikaten Pakt zu verstoßen.<br />

Tatsache ist, dass Bernal auf der<br />

18. Etappe 3,5 Kilometer vor dem Gipfel<br />

des Galibier angriff und einen Vorsprung<br />

von 45 Sekunden herausfuhr. Einen Kilometer<br />

vor dem Ziel fuhr Thomas eine unorthodoxe<br />

Gegenattacke, die das Ergebnis<br />

hatte, die Distanz zwischen dem Gelben<br />

Trikot und seinem kolumbianischen<br />

Teamkollegen zu reduzieren.<br />

„G instruierte mich, zu attackieren und<br />

den Sprung zu machen, und danach würde<br />

er es versuchen“, sagte Bernal im Ziel.<br />

Er fügte hinzu, dass alles vom Sportlichen<br />

Leiter dahinter, in diesem Fall Nicolas<br />

Portal, abgesegnet gewesen sei. Thomas<br />

sagte zudem, dass die Order aus dem<br />

Mannschaftswagen kam, aber Bernals<br />

Vorstoß der Gruppe um das Gelbe Trikot<br />

nicht genügend zugesetzt hatte, um Alaphilippe<br />

abzuschütteln. Daher musste er<br />

es selbst versuchen. Aber Thomas nahm<br />

die Gruppe um das Gelbe Trikot damit nur<br />

ins Schlepptau. Im Ziel war Bernals Vorsprung<br />

auf 32 Sekunden geschrumpft.<br />

Brailsford wies den Vorwurf barsch zurück,<br />

dass das Teammanagement hätte<br />

einschreiten müssen.<br />

Trotzdem versetzte der Anblick von<br />

Quintanas Etappensieg und Bernals Verbesserung<br />

vom fünften auf den zweiten<br />

Gesamtplatz Kolumbien in einen Freudentaumel.<br />

Eine Tatsache, die Bernal vollkommen<br />

entging: „Ich weiß nicht, was in<br />

Kolumbien los ist. Ich weiß nicht mal, was<br />

außerhalb des Teams los ist“, sagte er, als<br />

er auf den Trubel in seiner Heimat angesprochen<br />

wurde.<br />

Der Iseran ist als höchste asphaltierte<br />

Passstraße in Europa so hoch, dass es<br />

passte, dass Bernal an diesem Ort die<br />

Kontrolle über das Rennen übernahm.<br />

Geebnet wurde sein Weg dadurch, dass<br />

Pinot das Rennen an dem Tag nach<br />

30 Kilometern unter herzzerreißenden<br />

Umständen mit einer Oberschenkelverletzung<br />

aufgeben musste. Das andere Hindernis,<br />

die dringende Notwendigkeit,<br />

Alaphilippe das Gelbe Trikot abzunehmen,<br />

bedeutete, dass der 13 Kilometer<br />

lange Anstieg die felsige Kulisse bildete,<br />

vor der die französischen Herzen weiter<br />

gebrochen wurden. Erst attackierte Thomas,<br />

und dann tat Bernal, was sein<br />

Teamkollege tags zuvor nicht vermocht<br />

hatte, und schüttelte Alaphilippe endgültig<br />

ab. 1.000 Meter vor dem Gipfel und<br />

38 Kilometer vor der Ziellinie trug Bernal<br />

das virtuelle Gelbe Trikot. Dahinter hing<br />

46 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Bernals Attacke<br />

auf der 19. Etappe<br />

bedeutete, dass<br />

er das Weiße mit<br />

dem Gelben Trikot<br />

tauschte.<br />

5Siege bei<br />

Etappenrennen<br />

holte<br />

Bernal bereits<br />

seit der<br />

Saison 2018<br />

Thomas an den Hinterrädern des Jumbo-<br />

Duos Laurens De Plus und Steven Kruijswijk<br />

und plante im Schlussanstieg nach<br />

Tignes einen eigenen Angriff.<br />

Und so endete die Situation, als sintflutartiger<br />

Regen, Hagel und ein Erdrutsch<br />

die Straße nach Tignes blockierten. Die<br />

Uhr wurde auf dem Gipfel des Iseran angehalten,<br />

und mit dieser Entscheidung<br />

war Bernal mit 45 Sekunden Vorsprung<br />

im Gelben Trikot. Auf der verspäteten Siegerehrung<br />

weinte Bernal, als ihm das Trikot<br />

vor den Augen seines Vaters German<br />

und seiner Freundin Xiomy überreicht<br />

wurde. „Sie werden viel leiden müssen,<br />

um mir dieses Gelbe Trikot wegzunehmen“,<br />

sagt er. Im Mannschaftshotel begannen<br />

die Mitarbeiter, den unausweichlichen<br />

siebten Toursieg des Teams zu feiern.<br />

Wer weiß, was passiert wäre, hätte die<br />

Natur nicht interveniert. Vor dem Start in<br />

Brüssel wäre die Idee, dass ein 22-Jähriger<br />

mit einem 43-Kilometer-Solo eine moderne<br />

Tour gewinnt, als Wunschdenken abgetan<br />

worden. Aber bei dieser Tour zählten<br />

Logik und überlieferte Weisheiten<br />

wenig. In Tignes wollten auf jeden Fall nur<br />

wenige bestreiten, dass der stärkste noch<br />

im Rennen befindliche Fahrer in Gelb war.<br />

Und was hieß das für die Beziehung<br />

zwischen Bernal und Thomas? Am Abend<br />

nach der verkürzten Etappe nach Val Thorens<br />

verließ das designierte Gelbe Trikot,<br />

Bernal, den Dinner-Lkw von Ineos vorzei-<br />

tig, um mit seiner Familie zu feiern. Thomas<br />

hing noch länger mit seinen Teamkollegen<br />

herum, bevor er sich zu einem<br />

letzten Medientermin ins Hotel begab.<br />

Bernal unterbrach Thomas’ Interview mittendrin<br />

und hielt ihm ein Exemplar von<br />

Thomas’ Buch The Tour According to G<br />

und einen Kugelschreiber hin. „Kannst du<br />

das signieren?“, fragte Bernal. Thomas’<br />

Antwort: „Klar. Was soll ich reinschreiben?<br />

Für Egan?“<br />

„ICH WEISS NICHT, OB ES SCHICKSAL<br />

ODER BESTIMMUNG IST, ABER WENN ICH<br />

VOR DEM GIRO D’ITALIA NICHT GESTÜRZT WÄRE,<br />

WÄRE ICH HEUTE NICHT IN DIESER POSITION.<br />

ES IST WIRKLICH UNGLAUBLICH. “<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 47


© Chris Auld<br />

48 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JOURNAL<br />

ETAPPE 1<br />

GRAND PLACE, BRUSSELS<br />

06.07.<strong>2019</strong><br />

IM SCHATTEN<br />

VON EDDY<br />

MERCKX<br />

ehen Sie ins Zentrum Londons, irgendwo in<br />

G<br />

einem Umkreis von fünf Kilometern um den<br />

Buckingham Palast, und das Gesicht von<br />

Königin Elisabeth II. ziert alles. Tassen, Geschirrtücher,<br />

Kühlschrankmagnete, Schlüsselanhänger,<br />

Keksdosen … Nur wenige werden die Königin im wirklichen<br />

Leben je sehen, aber sie ist doch überall präsent.<br />

Auf dem Kopfsteinpflaster des Place des Palais, vor dem<br />

Königspalast in Brüssel, würde man dasselbe erwarten.<br />

Der Haken ist jedoch, dass nicht das amtierende Staatsoberhaupt<br />

Belgiens, König Philippe, sondern Eddy Merckx<br />

dort omnipräsent ist. Das Gesicht des fünffachen Tourde-France-Siegers<br />

prangt auf allen Bushaltestellen und<br />

Schaufenstern, während sein Name in Großbuchstaben<br />

auf den Schirmen der frei verteilten gelben Kappen, die die<br />

Köpfe der Fans schmücken, steht.<br />

Der Düsseldorfer Grand Départ 2017 hatte eine gedämpfte<br />

Stimmung. Manchmal, inmitten der Regenfälle, war es<br />

so ruhig, dass schwer zu erkennen war, dass die Tour sogar<br />

in der Stadt war. Im Jahr 2018, in der Vendée, begann<br />

die Tour auf Noirmoutier-en-l’Île, einer Insel, die über eine<br />

lange, verkehrsreiche Straße erreichbar ist. Aber <strong>2019</strong> gehören<br />

Belgien und die Tour zusammen. Unter der heißen<br />

Sommersonne Brüssels sind Tausende gekommen, um die<br />

Tour zu sehen. Es war ein klares Zeichen für die Bedeutung<br />

dieser Veranstaltung, da dies ein Land ist, in dem die<br />

Tour nicht das wichtigste Rennen ist.<br />

Noch bemerkenswerter war vielleicht die Tatsache, dass<br />

die Mehrheit der wartenden Fans mit den Eddy-Kappen<br />

erst geboren wurde, nachdem der berühmteste belgische<br />

Radfahrer vor 50 Jahren seinen ersten Tour-Titel gewann.<br />

„Merckx ist 74; es gibt nicht viele Menschen seines Alters<br />

hier, aber die Jugend zieht Merckx immer noch an. Sie<br />

kennt ihn. Er ist eine Legende, nicht nur in Belgien, sondern<br />

in der ganzen Welt“, sagte der Generaldirektor von<br />

Lotto Soudal, Marc Sergeant, der weniger als zehn Kilometer<br />

von Brüssel entfernt aufgewachsen ist.<br />

Um 11:45 Uhr, kurz vor Beginn des Rennens, brach<br />

Jubel aus, der durch die Menge zog. Eine Gruppe von<br />

Menschen ging vorbei und auf den Start zu. „Es ist<br />

Merckx“, sagte jemand, obwohl er nicht sehen konnte, wer<br />

im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.<br />

Dann war er für einen Moment zu sehen: Eddy Merckx,<br />

sanftmütig lächelnd unter seinen grauen Haaren und den<br />

dunklen Augenbrauen. Ein Gesicht, das sofort erkennbar<br />

war. Der echte Merckx.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 49


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

EMANUEL<br />

BUCHMANN<br />

EIN NEUER<br />

TOUR-HELD<br />

Emanuel Buchmann hielt bei der Tour de France im Konzert<br />

der ganz Großen mit. Am Ende erreichte er mit Rang vier<br />

im Gesamtklassement das beste deutsche Tour-Ergebnis seit<br />

zehn Jahren. Die Tour <strong>2019</strong> aus der Perspektive des<br />

Bora–hansgrohe-Kapitäns im Rückblick.<br />

Text Werner Müller-Schell Fotografie Bora–hansgrohe/Bettini Photo<br />

50 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


© Tim de Waele/Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 51


ETAPPE<br />

1<br />

SAMSTAG, 9. JULI<br />

BRÜSSEL › BRÜSSEL<br />

194,5 KM<br />

© Getty Images (Teunissen)<br />

Belgien ist ein Land, das auf Kompromissen<br />

und Harmonie zwischen den beiden<br />

Landesteilen Flandern und Wallonien<br />

basiert – eine Tatsache, die es zum<br />

genauen Gegenteil eines Massensprints<br />

der Tour de France macht. Bei der ersten<br />

Etappe der Tour <strong>2019</strong>, einer Schleife<br />

westlich und südlich von Brüssel bis tief<br />

in die Region der Flandernrundfahrt, gab<br />

es wenig Möglichkeiten der internationalen<br />

Zusammenarbeit. Greg Van<br />

Avermaet hatte bei den Klassikern dem<br />

flämischen Stolz einen Schub gegeben<br />

und vertraute darauf, dass er als Erster<br />

über die Muur van Geraardsbergen und<br />

den Bosberg kommen würde, die sich<br />

das Peloton für einen Tag von der<br />

Flandernrundfahrt lieh. Doch die<br />

flämischen Fans verfolgten ein<br />

unerwartetes Finish: Der Favorit Dylan<br />

Groenewegen stürzte, und die nicht als<br />

allzu schwer eingeschätzten Anstiege<br />

erledigten viele der anderen als<br />

Siegkandidaten eingeschätzten Sprinter.<br />

Man hätte die Zielankunft eigentlich als<br />

ein Peter-Sagan-Finish beschreiben<br />

können. Aber der Slowake stellte in den<br />

letzten acht Jahren bei der Tour immer<br />

wieder unter Beweis, dass er weitaus<br />

häufiger unter den ersten fünf landet als<br />

zu gewinnen. Der ultimative Kompromiss<br />

Belgiens gegenüber den Sprintern<br />

bestand am Ende in Mike Teunissen,<br />

einem Sprintanfahrer, der alle anderen<br />

auf der ansteigenden Zielgeraden<br />

hinter sich ließ.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 4:22:37<br />

2 Peter Sagan Bora–hansgrohe gl. Zeit<br />

3 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 4:22:37<br />

2 Peter Sagan Bora–hansgrohe +0:04<br />

3 Caleb Ewan Lotto Soudal +0:06<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 50<br />

2 Peter Sagan Bora–hansgrohe 50<br />

3 Caleb Ewan Lotto Soudal 33<br />

TEAMPRÄSENTATION<br />

„Ich habe alles dieser Tour untergeordnet,<br />

habe meine Lehren aus der letzt -<br />

jährigen Vuelta gezogen und bin bis<br />

diese Woche im Höhentraining geblieben“,<br />

sagt Emanuel Buchmann zum<br />

Tour-Start. Das ganze Jahr hatte er sich<br />

minutiös auf die diesjährige Tour vor -<br />

bereitet und sogar auf eine Teilnahme<br />

an der kurz vor der Frankreich-Rundfahrt<br />

ausgetragenen deutschen Meisterschaft<br />

verzichtet. Dass seine Form gut ist, hatte<br />

sein letzter Auftritt bei der Dauphiné<br />

gezeigt, als er im Konzert der Tour-Favoriten<br />

Platz vier belegt hatte. Zum Start<br />

stapelt der Bora-Kapitän aber tief und will<br />

„erst einmal ohne Zeitverlust in die Berge<br />

kommen“, wie er erklärt. „Dort hoffe ich,<br />

meine Stärken voll ausspielen zu können.<br />

Das Ziel ist ganz klar: die Top Ten der<br />

Gesamtwertung. Das ist sicher möglich,<br />

aber man braucht natürlich auch das<br />

nötige Glück.“<br />

Im Mannschaftszeitfahren<br />

belegte<br />

Bora–hansgrohe<br />

Rang zwölf.<br />

„ICH HABE ALLES DIESER TOUR<br />

UNTERGEORDNET UND HABE MEINE<br />

LEHREN AUS DER LETZTJÄHRIGEN<br />

VUELTA GEZOGEN.“<br />

2. ETAPPE<br />

BRÜSSEL–BRÜSSEL<br />

(MZF / 27,6 KM)<br />

Zum Start erfolgt beinahe der erste<br />

Rückschlag. Im Finale der ersten Etappe<br />

wird Buchmann in einen Massensturz<br />

verwickelt und verletzt sich leicht am<br />

Knie. Vor dem Start des Mannschaftszeitfahrens<br />

am zweiten Tag gibt er aber<br />

Entwarnung: „Zum Glück war mein Knie<br />

heute Morgen schon viel besser als<br />

gestern Abend. Da hatte ich doch ziem -<br />

liche Schmerzen“, meint er. Bora–hansgrohe<br />

landet mit 46 Sekunden Rückstand<br />

auf Tagessieger Jumbo–Visma auf Rang<br />

zwölf – Schadensbegrenzung. „Unser<br />

Zeitfahren war okay. Nicht unser bestes,<br />

aber eine solide Leistung“, sagt Buchmann<br />

nach dem Rennen. „Mein Ziel<br />

sind weiterhin die Top Ten in der Ge -<br />

samtwertung. Ich denke, da ist immer<br />

noch alles möglich, wenn ich nun ohne<br />

weitere Stürze durchkomme. Die 45 Se -<br />

kunden Rückstand heute sind absolut<br />

im Rahmen.“<br />

12. 63.<br />

+0:46 Min. +0:56 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

52 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


6. ETAPPE<br />

MULHOUSE–LA PLANCHE DES<br />

BELLES FILLES<br />

(160,5 KM)<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

EMANUEL<br />

BUCHMANN<br />

3. ETAPPE<br />

BINCHE–ÉPERNAY<br />

(215 KM)<br />

Das schwierige Finale in den Weinbergen<br />

rund um Épernay ist ein erster kleiner<br />

Test der Favoriten. Während Julian Ala -<br />

philippe mit einem überragenden Tages -<br />

sieg in Gelb schlüpft, bleibt Buchmann in<br />

der zweiten Verfolgergruppe auf Tuch -<br />

fühlung: „Das Rennen war am Ende sehr<br />

hart, aber das wussten wir. Ich habe mich<br />

gut gefühlt und hatte auch keinerlei<br />

Probleme mit meinem Knie. Es läuft also<br />

alles gut. Es war am Ende wichtig, immer<br />

vorne zu bleiben, da das Rennen extrem<br />

hektisch war, aber wir waren in der<br />

Gruppe noch gut vertreten, da hat das<br />

Team einen super Job gemacht.“<br />

28. 32.<br />

+0:31 Min. +1:11 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

ETAPPE<br />

2<br />

SONNTAG, 6. JULI<br />

BRÜSSEL PALAIS ROYAL<br />

› BRÜSSEL ATOMIUM<br />

27,6 KM<br />

Die Weltausstellung ist eine regelmäßige<br />

Veranstaltung, die um die Welt wandert<br />

und das Beste aus Technik und Kultur<br />

verschiedener Nationen präsentiert. Mit<br />

anderen Worten: Sie unterscheidet sich<br />

nicht so sehr von einem Radrennen.<br />

Die zweite Etappe der Tour <strong>2019</strong> führte<br />

die Fahrer auf eine große Runde durch<br />

die schicken und grünen Vororte<br />

Brüssels, bevor sie in den Norden der<br />

Stadt führte und unter dem glänzenden<br />

Edelstahlgebäude des Atomiums<br />

endete. Das Atomium war das Herzstück<br />

der Weltausstellung von 1958, die<br />

damals in Brüssel stattfand. Es wurde in<br />

Form eines Eisenmoleküls aus neun<br />

Atomen gebaut und sollte Modernität,<br />

den Glauben an die Wissenschaft und<br />

den Glauben an die Zukunft symbolisieren.<br />

Im Teamzeitfahren lagen zehn<br />

Teams tatsächlich so dicht wie<br />

Eisenatome beisammen, wobei nur<br />

21 Sekunden zwischen dem zweitplatzierten<br />

Team Ineos und dem elftplatzierten<br />

Team Mitchelton-Scott lagen. Mit<br />

20 Sekunden Vorsprung gewann<br />

Jumbo–Visma bereits die zweite Etappe<br />

des ersten Tourwochenendes und Mike<br />

Teunissen konnte seine Führung in der<br />

Gesamtwertung weiter ausbauen.<br />

Besser hätte die Tour für das Team von<br />

Tony Martin nicht starten können.<br />

Es wird ernst. Die erste Bergankunft<br />

verspricht mit dem steilen Finale auf der<br />

Schotterstraße zur Planche des Belles<br />

Filles Höchstspannung. Und Buchmann<br />

deutet erstmals an, wozu er bei dieser<br />

Tour in der Lage ist: Als Tages-Achter<br />

erreicht er sogar vor dem späteren<br />

Gesamtsieger Egan Bernal das Ziel. „Ich<br />

habe mich den ganzen Tag über sehr gut<br />

gefühlt. Am letzten Berg war ich vorne<br />

dabei und konnte das Tempo ohne<br />

Probleme mitgehen. Auf dem ersten<br />

Steilstück hatte ich das erste Mal etwas<br />

zu kämpfen und habe dann am Beginn<br />

des Schotterabschnitts etwas rausgenommen.<br />

Dafür war mein Finale wieder<br />

richtig stark“, freut er sich im Ziel. Die<br />

Erkenntnis aus dem ersten großen<br />

Schlagabtausch der Topfahrer: „Ich bin<br />

bei den Besten dabei und meine Chancen<br />

auf die Top Ten sind intakt. Ich kann also<br />

mit viel Selbstvertrauen in die nächsten<br />

Bergetappen gehen.“<br />

8. 12.<br />

+1:51 Min. +1:22 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

Hinauf zur<br />

Planche des Belles<br />

Filles ließ Buchmann<br />

erstmals sein<br />

Potenzial bei dieser<br />

Tour aufblitzen.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Jumbo–Visma 28:57<br />

2 Team Ineos +0:20<br />

3 Deceunick–Quick-Step +0:21<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 4:51:34<br />

2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:10<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma gl. Zeit<br />

NACHWUCHSWERTUNG<br />

1 Wout Van Aert Jumbo–Visma 4:51:44<br />

2 Gianni Moscon Team Ineos +0:20<br />

3 Egan Bernal Team Ineos gl. Zeit<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 53


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

EMANUEL<br />

BUCHMANN<br />

„ICH HABE MICH HEUTE DEN GANZEN<br />

TAG ÜBER SEHR GUT GEFÜHLT<br />

UND HATTE AUCH NIE PROBLEME<br />

IN DER GRUPPE.“<br />

Auf der zehnten<br />

Etappe machte<br />

starker Seitenwind<br />

das Rennen schwer.<br />

10. ETAPPE<br />

SAINT-FLOUR–ALBI<br />

(217,5 KM)<br />

8. ETAPPE<br />

MÂCON–SAINT-ÉTIENNE<br />

(200 KM)<br />

Ein weiterer schwieriger Tag mit zahl -<br />

reichen giftigen Anstiegen. Während sich<br />

Julian Alaphilippe im Finale das Gelbe<br />

Trikot zurückholt, bleibt Buchmann<br />

kontrolliert im Verfolgerfeld. Der Lohn:<br />

der Sprung auf Platz zehn in der<br />

Gesamtwertung. Sein Fazit: „Ich habe<br />

mich heute den ganzen Tag über sehr<br />

gut gefühlt und hatte nie Probleme in<br />

der Gruppe. Das Team hat sehr gut<br />

gearbeitet, besonders Gregor Mühlberger<br />

war eine wichtige Unterstützung<br />

am letzten Anstieg. Es ist schön, in die<br />

Top Ten vorgefahren zu sein, aber die<br />

Tour wird in der letzten Woche entschieden,<br />

da ist das nicht mehr als eine<br />

Momentaufnahme.“<br />

18. 10.<br />

+0:26 Min. +1:45 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

Buchmann im<br />

Ziel der welligen<br />

achten Etappe.<br />

Die größten Überraschungen gibt es oft<br />

auf den Etappen, auf denen man sie nicht<br />

erwartet. Starker Wind wirbelt im Finale<br />

das Peloton durcheinander, zahlreiche<br />

Mitfavoriten wie Thibaut Pinot geraten<br />

auf der Windkante in Rückstand. Nicht so<br />

Buchmann. Er und Bora–hansgrohe sind<br />

hellwach, als die Jagd beginnt. Buchmann<br />

macht folglich einen Riesensatz<br />

auf Platz fünf in der Gesamtwertung.<br />

„Ein Riesendank gilt heute dem Team.<br />

Die Jungs hatten immer ein Auge auf<br />

Patrick Konrad und mich und haben uns<br />

nach vorne gefahren, bevor kritische<br />

Situationen entstanden sind. Alles hat<br />

perfekt geklappt und wir konnten auf<br />

viele Fahrer Zeit herausfahren“, freut er<br />

sich im Ziel. Ein deutscher Fahrer nach<br />

fast zwei Tour-Wochen in den Top Fünf<br />

– vom ansteigenden Medieninteresse in<br />

der Heimat lässt sich der 26-Jährige nicht<br />

beeindrucken: „Die Tour beginnt erst so<br />

richtig am Ende dieser Woche, es ist noch<br />

nichts gewonnen. Es ist jedoch natürlich<br />

ein Vorteil, mit einem Polster in die ersten<br />

echten Bergetappen zu gehen.“<br />

22.<br />

+0:00 Min.<br />

5.<br />

+1:45 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

54 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


13. ETAPPE<br />

PAU–PAU<br />

(EFZ / 27 KM)<br />

In der letzten<br />

Tour-Woche festigt<br />

Buchmann seinen<br />

Top-Fünf-Platz.<br />

14. ETAPPE<br />

TARBES–COL DU TOURMALET<br />

(117,5 KM)<br />

Lange galt Buchmann nicht als herausragender<br />

Zeitfahrer. Doch spätestens<br />

seit seinem fünften Platz beim Kampf<br />

gegen die Uhr beim Critérium du<br />

Dauphiné im Juni ist klar, dass der<br />

Deutsche hier aufgeholt hat. Auch in<br />

Pau hält er gut mit: Der 15. Platz mit nur<br />

1:19 Minuten Rückstand auf den Tages -<br />

sieger Julian Alaphilippe bedeutet<br />

weiterhin Platz sechs in der Gesamtwertung.<br />

„Ich denke, das war ein sehr gutes<br />

Zeitfahren von mir. Ich habe schnell<br />

einen guten Rhythmus gefunden und<br />

bin gut über den hügeligen Teil der<br />

Strecke gekommen. In den Abfahrten<br />

habe ich kein Risiko genommen, daher<br />

habe ich sicherlich einige Sekunden<br />

liegen gelassen. Aber sicher ins Ziel<br />

kommen war die Priorität. Dass ich im<br />

flachen Teil dann noch Zeit verlieren<br />

würde, war mir klar, aber alles in allem<br />

bin ich mit meiner Zeit sehr zufrieden.“<br />

15.<br />

+1:19 Min.<br />

6.<br />

+3:04 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

Das Zeitfahren in<br />

Pau beendet Buchmann<br />

auf einem<br />

starken 15. Platz.<br />

Die Bergankunft auf dem Col du Tour -<br />

malet läutet das Finale der Tour de<br />

France <strong>2019</strong> ein. Und Buchmann ist<br />

mittendrin: Zwei Kilometer vor dem Ziel<br />

sorgt er mit zwei Antritten dafür, dass<br />

der Titelverteidiger Geraint Thomas ins<br />

Straucheln gerät. Am Ende wird er Vierter<br />

– und fährt sich endgültig in den Kreis<br />

der Top-Fünf-Kandidaten. „Ich bin sehr<br />

zufrieden heute. Meine Beine waren<br />

von Beginn an richtig gut, und ich hatte<br />

eigentlich zu keinem Zeitpunkt der<br />

Etappe Probleme. Bis zwei Kilometer vor<br />

dem Ende war ich nie wirklich am Limit,<br />

darum habe ich dann auch attackiert. Es<br />

hat mich schon etwas überrascht, dass<br />

Thomas zurückgefallen ist, aber ich fahre<br />

mein eigenes Rennen. Am Schluss war<br />

ich einfach nicht explosiv genug, um um<br />

den Sieg zu kämpfen, aber heute Zeit auf<br />

viele Konkurrenten gut zu machen, war<br />

schon wichtig.“<br />

4. 5.<br />

+0:08 Min. +3:12 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

15. ETAPPE<br />

LIMOUX–FOIX<br />

(185 KM)<br />

Die nächste Bergankunft hinauf nach<br />

Prat d’Albis. Buchmann ist erneut ganz<br />

vorne dabei, kontert eine Attacke von<br />

Thibaut Pinot und wird zeitgleich mit<br />

Egan Bernal Vierter. „Ich hatte heute<br />

wieder gute Beine“, sagt er später. „Die<br />

Etappe war sehr schnell, aber ich konnte<br />

bis zum Finale gut Kraft sparen, da meine<br />

Teamkollegen mich auf den engen<br />

Straßen immer gut vorne platziert haben.<br />

Als Pinot dann attackiert hat, war ich das<br />

erste Mal am Limit. Ich konnte zuerst<br />

zwar mitgehen, habe aber schnell ge -<br />

merkt, dass er wohl heute zu stark für<br />

mich ist. Ich habe dann etwas rausgenommen,<br />

um in meinem Rhythmus zu<br />

fahren. Das hat super geklappt und ich<br />

konnte Bernal wieder einholen. Mit dem<br />

vierten Platz bin ich richtig glücklich.“<br />

In der Gesamtwertung liegt der Allgäuer<br />

sechs Tage vor Paris mit gerade einmal<br />

2:14 Minuten Rückstand auf Rang sechs.<br />

„Die Tour ist offen wie nie, das Ziel sind<br />

weiter die Top Ten. Aber wenn man ohne<br />

schlechten Tag durchkommt, ist sicher -<br />

lich einiges noch möglich. Ich denke,<br />

Pinot ist im Moment der Stärkste, er hat<br />

eine gute Mannschaft, wie man die<br />

letzten beiden Tage gesehen hat.“<br />

4. 6.<br />

+0:51 Min. +2:14 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 55


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

EMANUEL<br />

BUCHMANN<br />

18. ETAPPE<br />

EMBRUN–VALLOIRE<br />

(208 KM)<br />

Die Etappe von Embrun nach Valloire<br />

mit dem schweren Galibier am Ende<br />

gilt als eine der anspruchsvollsten der<br />

gesamten Tour. Insbesondere Movistar<br />

sorgt für ein schnelles Tempo. Buchmann<br />

bleibt in der Gruppe der Topfavoriten<br />

– unter anderem mithilfe seines<br />

stark fahrenden Teamkollegen Gregor<br />

Mühlberger. „Movistar hat das Rennen<br />

schon am Izoard schnell gemacht. Da<br />

war es wirklich wichtig, Gregor Mühl -<br />

berger noch dabeizuhaben. Ich möchte<br />

mich bei ihm bedanken, er ist ein starkes<br />

Rennen gefahren und konnte mich auch<br />

noch am Galibier unterstützen“, bedankt<br />

er sich nach dem Rennen. Als Egan<br />

Bernal mit einer Attacke im Finale einen<br />

ersten Grundstein für seinen späteren<br />

Gesamtsieg legt, bleibt Buchmann ruhig.<br />

„Ich habe nicht reagiert, als Bernal<br />

attackiert hat, denn unser Plan war, bei<br />

Thomas und Jumbo–Visma zu bleiben.<br />

Darum bin ich mitgefahren, als auch<br />

noch Thomas versucht hat wegzufah-<br />

Buchmann und<br />

Steven Kruijswijk<br />

kämpften bis zum<br />

Ende um Platz drei.<br />

Am Schluss<br />

durfte sich der<br />

Bora-Profi über<br />

Rang vier freuen.<br />

ren. Mit der Hilfe von Pinot habe ich<br />

die Lücke vor dem Gipfel schließen<br />

können. Am Ende war es kein Tag,<br />

um etwas zu gewinnen, aber man<br />

hätte einiges verlieren können. Meine<br />

Beine sind nach wie vor gut. Ich bin<br />

also zuversichtlich für die nächsten<br />

beiden Tage.“<br />

11. 6.<br />

+5:18 Min. +2:14 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

19. ETAPPE<br />

SAINT-JEAN-DE-MAURIENNE–TIGNES<br />

(89 KM)<br />

Viele erwarten an diesem Tag einen<br />

Generalangriff auf den immer noch<br />

führenden Julian Alaphilippe. Und<br />

tatsächlich: Sowohl Ineos als auch<br />

Jumbo–Visma sorgen bereits zur<br />

Rennmitte am Col de l’Iseran für ein<br />

höllisches Tempo, dem Alaphilippe bald<br />

Tribut zollen muss. „Das Rennen war<br />

heute von Anfang an richtig schnell. Am<br />

l’Iseran hat Team Ineos das Kommando<br />

übernommen, und zuerst hat Thomas,<br />

dann Bernal attackiert. Gregor Mühlberger<br />

ist wieder sehr stark gefahren und war<br />

lange bei mir. Ich war dann in der Gruppe<br />

mit Thomas in einer guten Situation und<br />

hatte alles unter Kontrolle“, erzählt<br />

Buchmann. Während Egan Bernal als<br />

Solist attackiert, bereitet sich die restliche<br />

Favoritengruppe bereits auf das Finale<br />

vor. Doch so weit kommt es nicht: Ein<br />

schweres Unwetter sorgt dafür, dass<br />

die Etappe abgebrochen werden muss.<br />

Die Zeit wird am Iseran genommen. Da<br />

Thibaut Pinot das Rennen bereits früh<br />

aufgeben muss, gewinnt Buchmann<br />

trotzdem eine Position und schiebt sich<br />

auf Rang fünf. „Es war schon eine merk -<br />

würdige Situation, als ich im Radio die<br />

Nachricht bekommen habe, dass abge -<br />

brochen wird. Zuerst haben wir es auch<br />

gar nicht geglaubt, aber wir haben dann<br />

miteinander gesprochen und alle hatten<br />

dieselbe Information. Es wäre auch unmöglich<br />

gewesen weiterzufahren, wie<br />

man gesehen hat. Ich habe noch nie so<br />

viel Eis auf der Straße gesehen“, sagt<br />

Buchmann, dem klar ist: „Jetzt wird<br />

morgen alles entschieden. Sicherlich<br />

werden ein paar Fahrer schon früh<br />

atta ckieren, auch ich kann morgen etwas<br />

versuchen, wenn ich gute Beine habe.<br />

Morgen braucht man nichts mehr zu<br />

sparen, da gilt nur mehr All-in.“<br />

- 5.<br />

+1:03 Min. +1:55 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

56 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


20. ETAPPE<br />

ALBERTVILLE–VAL THORENS<br />

(59 KM)<br />

Wegen der Folgen des Unwetters vom<br />

Vortag wird die Etappe erneut verkürzt.<br />

Das Feld erwartet zum großen Finale<br />

der Tour nun ein reines Uphill-Rennen.<br />

Während der Toursieg von Egan Bernal<br />

nur Formsache ist, kämpfen dahinter<br />

Julian Alaphilippe, Geraint Thomas,<br />

Steven Kruijswijk und Emanuel Buchmann<br />

um die Plätze. Am 33 Kilometer<br />

langen Schlussanstieg schlägt Jumbo–<br />

Visma ein knallhartes Tempodiktat an,<br />

dem Alaphilippe schnell zum Opfer fällt.<br />

„Die Etappe war zwar kurz heute, aber<br />

der Schlussanstieg war extrem lang. Das<br />

Tempo war von Beginn an hoch, auch<br />

wenn es Abschnitte gab, an denen man<br />

sich kurz erholen konnte, war es vor<br />

allem mental sehr anstrengend. Nach<br />

drei Wochen so lange fokussiert zu<br />

bleiben, ist nicht einfach“, sagt Buchmann.<br />

Seine finale Attacke reitet er<br />

schließlich einen Kilometer vor dem Ziel<br />

– doch sowohl Thomas als auch Kruijs -<br />

wijk schließen schnell auf, Buchmann<br />

klettert trotzdem auf Rang vier in der<br />

Gesamtwertung. „Am Ende hatte ich<br />

nichts zu verlieren, denn der Abstand<br />

nach hinten war groß genug, um etwas<br />

zu probieren. Leider hatte ich nicht mehr<br />

die besten Beine, aber ich bin völlig<br />

über wältigt und überglücklich mit mei -<br />

nem vierten Rang. Es war in diesem<br />

Jahr das Optimum, denn Thomas und<br />

Kruijswijk waren einfach besser. Aber<br />

mal sehen, was die nächsten Jahre noch<br />

bringen werden.“<br />

7. 4.<br />

+0:23 Min. +1:56 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

Geschafft: Buchmann<br />

und Teamkollege<br />

Mühlberger<br />

feiern im Ziel<br />

in Val Thorens.<br />

21. ETAPPE<br />

RAMBOUILLET–PARIS<br />

(128 KM)<br />

Die Abschlussetappe wird für Emanuel<br />

Buchmann zur Triumphfahrt. Als erster<br />

Deutscher seit Andreas Klöden 20<strong>09</strong><br />

schafft er eine Top-Ten-Platzierung bei<br />

der Tour de France. Als Vierter hat er<br />

seine eigenen Erwartungen dabei bei<br />

Weitem übertroffen. „Ich brauche sicher<br />

noch ein oder zwei Wochen, um wirklich<br />

zu realisieren, was da in den letzten drei<br />

Wochen passiert ist. Unter den besten<br />

Fünf der Tour de France zu stehen, ist<br />

unglaublich“, freut er sich im Ziel im Paris.<br />

„Ich habe immer daran geglaubt, dass<br />

vieles möglich ist, aber man darf sich bei<br />

der Tour einfach keinen Fehler erlauben.<br />

Das ist mir gelungen, auch wenn ich am<br />

Ende am Limit war. Der vierte Gesamt -<br />

rang ist sicherlich das Optimum in<br />

diesem Jahr gewesen, denn Bernal,<br />

Thomas und Kruijswijk waren einfach<br />

noch ein bisschen stärker. Ich muss jetzt<br />

erst einmal ein wenig abschalten, runter -<br />

kommen, um das alles genießen zu kön -<br />

nen“, so Buchmann weiter. Sein Erfolg,<br />

so hofft er, soll „wieder mehr Kinder und<br />

Jugendliche dazu motivieren, mit dem<br />

Radsport zu beginnen. Außerdem möch -<br />

te ich mich noch bei Ralph Denk und<br />

Bora–hansgrohe bedanken. Zusammen<br />

haben wir in den letzten Jahren sehr hart<br />

für diesen Erfolg gearbeitet. Heute kön -<br />

nen wir gemeinsam darauf anstoßen.“<br />

47. 4.<br />

+0:00 Min. +1:56 Min.<br />

Etappenplatzierung<br />

Gesamtwertung<br />

„ICH HABE IMMER DARAN GEGLAUBT,<br />

DASS VIELES MÖGLICH IST, ABER MAN<br />

DARF SICH BEI DER TOUR EINFACH<br />

KEINEN FEHLER ERLAUBEN. DAS IST<br />

MIR GELUNGEN, AUCH WENN ICH AM<br />

ENDE AM LIMIT WAR.“<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 57


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ÖSTERREICH<br />

ÖSTERREICH-<br />

CONNECTION<br />

Drei von acht Fahrern im Bora–hansgrohe-Team waren aus Österreich.<br />

Wir haben zwei von ihnen, Patrick Konrad und Lukas Pöstlberger,<br />

am zweiten Ruhetag in Nîmes gefragt, wie es ihnen erging,<br />

Emanuel Buchmann in der Gesamtwertung und<br />

Peter Sagans Grünes Trikot zu unterstützen.<br />

Interview Edward Pickering<br />

Wie läuft die Tour für euch beide?<br />

Lukas Pöstlberger: Es läuft ganz gut.<br />

Ich bin hier, um meine Kapitäne zu unterstützen<br />

– Patrick, Peter und Emanuel.<br />

Ich hatte zwei Tage, wo ich ein bisschen<br />

schwach war – ich hatte Magenprobleme,<br />

aber ich habe durchgehalten und bin jetzt<br />

wieder auf der Höhe.<br />

Ist es eine andere Erfahrung, für<br />

andere zu fahren statt für deine eigenen<br />

Ziele?<br />

LP: Ich kann ziemlich gut klettern, daher<br />

versuche ich, die Kletterer zu unterstützen.<br />

Es unterscheidet sich nicht sehr von<br />

anderen Rennen, aber das Niveau ist höher<br />

und das Rennen ist härter.<br />

Wie ist es bei dir, Patrick?<br />

Patrick Konrad: In den ersten zwei Wochen<br />

hatte ich zwei Stürze. Seitdem habe<br />

ich mit einigen Problemen zu kämpfen.<br />

Auf der Etappe zum Tourmalet habe ich<br />

viel Zeit verloren und gestern [15. Etappe]<br />

habe ich alles versucht, um aus der Ausreißergruppe<br />

heraus zu gewinnen, aber es<br />

hat nicht geklappt. Vielleicht war es nicht<br />

der richtige Tag. Es war ein großer Kampf<br />

und mir fehlt es auch ein bisschen an<br />

4Österreicher<br />

fahren im<br />

28-köpfigen<br />

Aufgebot<br />

von Bora–<br />

hansgrohe<br />

Form. Die letzten Tage waren wirklich<br />

hart für mich.<br />

Was sind das für Probleme?<br />

PK: Mit meinem Rücken. Die Rippen sind<br />

auch nicht in Ordnung, sie tun weh. Auf<br />

diesem Niveau kann das ein großes Problem<br />

sein. Es war nicht wirklich gut, aber<br />

das ist die Tour und Stürze passieren.<br />

Oder du wirst krank oder so. Es gehört<br />

alles zum Radsport.<br />

Du hast hervorragende Resultate bei<br />

Rundfahrten in diesem Jahr eingefahren<br />

und warst in den ersten beiden<br />

Wochen in den Top 15. War der Plan,<br />

aufs Gesamtklassement zu fahren,<br />

oder war deine Rolle immer, Emanuel<br />

zu unterstützen?<br />

PK: Der Plan war, dass ich aufs Gesamtklassement<br />

fahre – insbesondere nach<br />

dem Giro im letzten Jahr, wo ich Siebter<br />

wurde. Ich hatte eine sehr gute Vorbereitung<br />

mit dem dritten Platz bei der Tour de<br />

Suisse und der österreichischen Meisterschaft,<br />

die ich gewonnen habe. Ich war<br />

wirklich in guter Form, aber manchmal<br />

kommt es vor, dass irgendeine Kleinigkeit<br />

nicht funktioniert.<br />

Wann bist du gestürzt?<br />

PK: Auf der dritten Etappe, ich bin mit<br />

den Rippen auf das Hinterrad eines anderen<br />

Fahrers geknallt. Es wurde schon besser,<br />

aber nach dem ersten Ruhetag bin ich<br />

zum zweiten Mal auf die Stelle gestürzt.<br />

Das war viel schlimmer.<br />

Bora hat mit Emanuel Ambitionen in<br />

den Top Ten der Gesamtwertung und<br />

ihr werdet wahrscheinlich das Grüne<br />

Trikot gewinnen, solange Peter von<br />

jetzt bis Paris nichts passiert. Ist das<br />

für die restlichen Fahrer in der Truppe<br />

schwer zu managen?<br />

LP: Ich finde, es ist ziemlich schwer, für<br />

beide Ziele zu fahren. Du musst immer<br />

Energie aufwenden. Die Klassementfahrer-Teams<br />

wie Ineos zum Beispiel können<br />

es auf den Sprintetappen lockerer angehen<br />

lassen, während wir für einen Massensprint<br />

oder sogar die Zwischensprints arbeiten.<br />

Für Peter ist es einfacher, weil er<br />

viel alleine macht, aber wir müssen ihn<br />

trotzdem unterstützen. Wir können ihn<br />

nicht alleine fahren lassen. Das ist kein<br />

Juniorenrennen, wo er tun konnte, was er<br />

wollte, weil er der Stärkste ist. Es ist hart,<br />

denn speziell für Fahrer wie mich gibt es<br />

58 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


immer etwas zu tun, aber es ist auch befriedigend,<br />

denn du weißt, dass es immer<br />

einen Grund hinter allem gibt, was du tust.<br />

Selbst auf einer Bergetappe müsst<br />

ihr an den Bonussprint und an die<br />

Gesamtwertung denken …<br />

LP: Auf einer Bergetappe wie gestern oder<br />

vorgestern, wo Peter in die Ausreißergruppe<br />

ging, um sich die Punkte beim Zwischensprint<br />

zu sichern …<br />

PK: Peter ging in die Ausreißergruppe,<br />

um die Punkte zu holen, aber dann überlebte<br />

er den großen Anstieg und somit waren<br />

wir eine Gruppe von 30 oder 40 Fahrern<br />

mit Emanuel, Gregor [Mühlberger]<br />

und mir, aber wir hatten auch Peter dabei.<br />

Er konnte helfen, indem er Flaschen hochbrachte,<br />

daher war es eine Win-Win-Situation<br />

für das Team. Die Sportlichen Leiter<br />

haben es wirklich gut hinbekommen –<br />

wir können aus der Tatsache, dass wir<br />

das Grüne Trikot anstreben, manchmal<br />

eine gute Situation für unsere Ambitionen<br />

in der Gesamtwertung machen.<br />

War das geplant?<br />

LP: Die Fahrer haben sich einfach engagiert,<br />

aber Peter versucht immer, dem<br />

Team etwas zurückzugeben, und sogar<br />

im Grünen Trikot geht er Flaschen holen.<br />

Er versucht immer, den Klassementfahrern<br />

zu helfen.<br />

Peter ist eine spezielle Persönlichkeit.<br />

Er zieht Stunts für die Fans ab, aber<br />

bei Interviews wirkt er ein wenig lustlos.<br />

Wie ist er aus Sicht der Fahrer?<br />

PK: Er macht sich keine großen Gedanken<br />

– er handelt einfach spontan, etwa als er<br />

dem Fan das Buch unterschrieben hat. Es<br />

gefällt ihm, die Fans glücklich zu machen,<br />

und er hat gerne mehr Spaß. Er ist ein guter<br />

Teamkollege.<br />

LP: Er macht seine Teamkollegen glücklich.<br />

Beim Rest des Pelotons bin ich mir<br />

nicht so sicher. [lacht]<br />

Pöstlberger<br />

fährt seit Sommer<br />

2015 für Bora–<br />

hansgrohe.<br />

Was ist Emanuel für ein Typ?<br />

LP: Er ist sehr ruhig und konzentriert. Er<br />

ist sehr streng zu sich selbst und weiß,<br />

was er will.<br />

Das Team hat klein angefangen, doch<br />

jedes Jahr scheinen seine Ambitionen<br />

zu wachsen. Ihr seid beide seit fünf<br />

Jahren im Team. Wie seht ihr eure<br />

Entwicklung?<br />

PK: Das Team arbeitet hart, um besser<br />

zu werden. Wir wachsen, nicht nur mit<br />

den Fahrern, sondern auch mit den Mitarbeitern,<br />

und denken darüber nach, wie<br />

wir mehr Erfolg haben können.<br />

LP: Wir wachsen zusammen. Wenn ich<br />

für die österreichischen Fahrer spreche,<br />

muss man zurückschauen, wo wir hergekommen<br />

sind. Zuerst war da die Gelegenheit,<br />

für ein kleines ProConti-Team zu<br />

fahren. Dann war es für mich ein ziemlicher<br />

Schock, als wir Peter Sagan unter<br />

Vertrag nahmen, einen damals zweifachen<br />

Weltmeister. Ich hatte gerade meine erste<br />

Saison absolviert und sagte mir: Das wird<br />

ziemlich schwer, vielleicht dauert es drei<br />

oder vier Jahre, auf WorldTour-Niveau zu<br />

kommen. Aber ich hatte dann keine Wahl<br />

– wir stiegen im nächsten Jahr in die<br />

„WIR SIND ALLE WIE EINE FAMILIE. WENN EINER VON<br />

UNS ÖSTERREICHERN GUT FÄHRT, SPORNT ES DICH<br />

NATÜRLICH AUCH SELBST AN. UND NATÜRLICH<br />

UNTERSTÜTZEN WIR UNS GEGENSEITIG.“<br />

Lukas Pöstlberger<br />

WorldTour auf, also wurde mir die Entscheidung<br />

abgenommen.<br />

PK: Ralph [Denk, Teammanager] hat<br />

ein Team mit Fahrern zusammengestellt,<br />

die auch Freunde sind. Wir fahren zusammen,<br />

seit wir Junioren sind, und kennen<br />

uns sehr gut. Das gilt auch für Gregor<br />

[Mühlberger; Anm. d. Red.] und Felix<br />

[Großschartner] – sie sind zusammen zur<br />

Schule gegangen, in dieselbe Klasse. Wir<br />

kennen uns alle, und das hat für Ralph<br />

funktioniert.<br />

LP: Ralph sieht die Stärke in einem Team,<br />

wenn wir auch Freunde sind.<br />

Welchen Weg muss ein österreichischer<br />

Fahrer gehen, der in die World-<br />

Tour will?<br />

PK: Wir haben gute Teams auf Conti-<br />

Niveau wie Tirol oder Felbermayer. Als<br />

ich U23-Fahrer war, haben sie sich alle<br />

neu orientiert, um jungen U23-Fahrern<br />

die Chance zu geben, sich zu entwickeln<br />

und Resultate zu holen. Sie haben auch<br />

angefangen, viele Rennen in Italien und<br />

Deutschland zu bestreiten. Als junger<br />

Österreicher kannst du gegen die besten<br />

U23-Fahrer in Europa antreten, und die<br />

meisten von ihnen sind jetzt hier bei der<br />

Tour. Es ist wichtig für junge U23-Fahrer,<br />

an internationalen Rennen teilzunehmen.<br />

Fahren diese Teams in Österreich und<br />

im Ausland?<br />

PK: Es gibt auch die U23-Nationalmannschaft,<br />

die die Thüringen-Rundfahrt<br />

oder die Tour de l’Avenir fährt. Für<br />

mich war die Tour de l’Avenir ein großer<br />

Schritt, als ich Dritter wurde [2013]. Die<br />

Fahrer, die dort gut abschnitten, sind<br />

auch hier bei der Tour – Adam Yates war<br />

Zweiter und Simon Yates gewann zwei<br />

Etappen. Da habe ich zum ersten Mal erkannt,<br />

dass ich mit den Besten mithalten<br />

kann. Die meisten Fahrer, die da vorne<br />

waren, sind Profis geworden.<br />

LP: Wir waren nie zusammen in einem<br />

ProConti-Team, aber wir sind zusammen<br />

in der Nationalmannschaft gefahren. Wir<br />

waren Rivalen, aber nicht wirklich. Die<br />

L’Avenir ist im August, wenn du da ein<br />

gutes Ergebnis holst, ist die Chance, einen<br />

Profivertrag zu bekommen, viel größer als<br />

zu Beginn des Jahres.<br />

PK: Auch die Österreich-Rundfahrt und<br />

die Tour of the Alps – es ist toll, diese<br />

Rennen in Österreich zu haben, denn sie<br />

sind für die ProConti- und Conti-Teams<br />

eine gute Plattform, um mit den Profis zu<br />

fahren und zu sehen, wie alles läuft.<br />

© BettiniPhoto, Getty Images (unten)<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 59


© Yuzuru Sunada<br />

Erzählt uns von der Österreich-Rundfahrt.<br />

LP: Wir waren in den letzten paar Jahren<br />

nicht dabei. Es ist schwer, sie mit unserem<br />

aktuellen Rennprogramm zu kombinieren,<br />

weil wir zu dieser Zeit normalerweise bei<br />

der Tour de France sind oder uns ausruhen.<br />

Es ist ein superschweres Rennen. Du<br />

musst in Topform sein, um es bei so vielen<br />

Klettermetern zu gewinnen.<br />

PK: Die Österreich-Rundfahrt war für<br />

uns beide ein Sprungbrett zu Bora. Ich<br />

erinnere mich, dass ich bereits ein paar<br />

internationale Rennen gewonnen hatte<br />

und ein Treffen mit Ralph hatte. Er fragte<br />

mich, was mein großes Ziel für die Saison<br />

sei, und ich sagte, die Österreich-Rundfahrt.<br />

Er fragte mich, was ich glaube, bei<br />

dem Rennen ausrichten zu können. Ich<br />

sagte: Top 15. Ich wurde Vierter und bekam<br />

von Ralph die Chance, als Stagiaire<br />

zu fahren – und das war mein Sprungbrett.<br />

Lukas gewann dort eine Etappe und<br />

konnte ein Jahr später bei Ralph als Stagiaire<br />

fahren. Für Österreicher ist die Österreich-Rundfahrt<br />

wirklich wichtig.<br />

LP: Sie ist für die österreichischen Fahrer<br />

wichtig wegen der Performance. Du<br />

merkst schnell, dass du auf einem höheren<br />

Niveau fährst. Wenn du vom Conti-<br />

Niveau kommst und dann .1- oder .HC-<br />

Rennen fährst, spürst du, dass es einfach<br />

andere Rennen sind. Das Niveau ist höher.<br />

Du kannst sehr davon profitieren.<br />

Für das Publikum in Österreich, das von<br />

der Kategorie nichts weiß, ist es einfach<br />

ein Radrennen. Aber für einen Rennfahrer<br />

ist es ein großer Unterschied, denn wenn<br />

du bei einem HC-Etappenrennen gewinnst<br />

oder Top Drei oder Vier bist, bedeutet<br />

es mehr als dasselbe Ergebnis bei<br />

einem .2-Rennen.<br />

PK: Außerdem sehen dich die großen<br />

Teams bei einem solchen Rennen.<br />

LP: Einige große Teams starten dort,<br />

weil es gut für sie ist, Punkte zu holen.<br />

Du trittst gegen sie an und sie lernen dich<br />

kennen. Es ist eine große Chance für österreichische<br />

Fahrer.<br />

Ihr wart beide österreichischer Meister.<br />

Was bedeutet euch das?<br />

PK: Lukas war der jüngste österreichische<br />

Meister [2012 mit 20 Jahren]. Es ist wirklich<br />

schwer, dieses Rennen zu gewinnen,<br />

weil das Peloton nur aus rund 100 Fahrern<br />

besteht, normalerweise sind es 180<br />

oder 200. Außerdem kommst du von den<br />

größten Rennen der Welt und triffst dann<br />

auf die jungen Österreicher, die U23-<br />

Teams. Bei allem, was du tust, beobachten<br />

sie dich. Sie wollen gegen die großen Jungs<br />

bestehen, deswegen ist es nicht so einfach,<br />

ein solches Rennen zu gewinnen.<br />

LP: Und du musst wirklich stark sein. Wir<br />

sind ein kleines Team gegen achtköpfige<br />

Mannschaften. Du musst dir überlegen,<br />

wie du gewinnen willst.<br />

Haben die Leute dein Trikot während<br />

der Rennen bemerkt?<br />

PK: Ich habe mich immer noch nicht<br />

daran gewöhnt, nach drei Jahren im<br />

grünschwarzen Trikot Weiß und Rot zu<br />

tragen. Aber es ist speziell. Die Menge<br />

nimmt dich wahr.<br />

Radsport ist mehr als die Tour. Du<br />

hast gute Resultate bei den Klassikern<br />

und das Rosa Trikot beim Giro<br />

getragen, Lukas. Was sind deine persönlichen<br />

Ambitionen?<br />

LP: Ich habe die Giro-Etappe [1. Etappe<br />

2017] durch Zufall gewonnen, würde<br />

ich sagen! Aber seitdem ist mein persönliches<br />

Ziel, bei jeder großen Rundfahrt<br />

eine Etappe zu gewinnen. Neulich habe<br />

ich es probiert, aber nicht geschafft<br />

[9. Etappe]. Ich war nicht sicher, wie ich<br />

kletterte, daher habe ich versucht, mich<br />

aus der Ausreißergruppe abzusetzen, um<br />

mit etwas Vorsprung in den Anstieg zu<br />

gehen, um es über die Kuppe und ins Ziel<br />

Der österreichische<br />

Meister Patrick<br />

Konrad auf<br />

der Planche des<br />

Belles Filles.<br />

1Österreicher<br />

hat bisher das<br />

Gelbe Trikot<br />

bei der Tour<br />

getragen<br />

zu schaffen, aber ich habe den Gegenwind<br />

unterschätzt.<br />

Du warst auch Fünfter beim E3-Prijs<br />

und Vierter beim Dwars door Vlaanderen<br />

…<br />

LP: Dwars door Vlaanderen ist eines meiner<br />

liebsten Rennen. Die Flandern-Rundfahrt<br />

ist aber eigentlich mein absoluter<br />

Favorit. Doch dort hängt es immer von Peter<br />

ab, weil er der Kapitän ist und über eine<br />

so lange Distanz mit den Besten mithalten<br />

kann. Kleinere Rennen wie E3 und Dwars,<br />

die mag ich wirklich. Ich will eines von ihnen<br />

gewinnen.<br />

Warum bist du gut bei diesen<br />

Rennen?<br />

LP: Du musst ziemlich clever sein und<br />

so viel Energie wie möglich sparen, und<br />

natürlich brauchst du einen großen Motor,<br />

um im richtigen Augenblick zur Stelle zu<br />

sein. Du lernst im Laufe deiner Karriere<br />

viel darüber, wie du dich bei einem Klassiker<br />

im Feld bewegst und reagierst – es ist<br />

ganz anders als hier bei der Tour, und ich<br />

habe die erste Etappe in Belgien wirklich<br />

genossen, weil sie wie eine Klassikeretappe<br />

war. Ich bin an die Straßen in Belgien gewöhnt,<br />

an den Beton, das Kopfsteinpflaster<br />

und die Lücken in der Straße. Du kannst<br />

viel mehr Energie sparen, wenn du weißt,<br />

was auf dich zukommt.<br />

60 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Patrick, deine Klassementergebnisse<br />

sind sehr gut. Du hast unter anderem<br />

Top-Ten-Plätze beim Giro, der Tour<br />

de Suisse und der Baskenland-Rundfahrt.<br />

Welche Ambitionen hast du?<br />

PK: Natürlich eines dieser Rennen eines<br />

Tages zu gewinnen. Vielleicht auf dem<br />

Podium der Tour de France zu stehen. Ich<br />

glaube, ich habe noch ein paar Jahre, um<br />

das zu erreichen und entsprechende Resultate<br />

einzufahren.<br />

Der österreichische Sport stand in<br />

jüngster Vergangenheit im Zentrum<br />

MAX<br />

BULLA<br />

Bulla war der<br />

Pionier der<br />

österreichischen<br />

Radrennfahrer,<br />

gewann in den<br />

1930ern drei Tour-<br />

Etappen und zwei<br />

Vuelta-Etappen.<br />

1931 trug er<br />

als erster und<br />

bisher letzter<br />

Österreicher das<br />

Gelbe Trikot<br />

der Tour.<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ÖSTERREICH<br />

Pöstlberger gewann<br />

2017 die erste<br />

Etappe des Giro<br />

d’Italia und trug<br />

das Rosa Trikot.<br />

der Blutdoping-Ermittlungen der<br />

„Operation Aderlass“. Was wisst ihr<br />

darüber und inwieweit hatte das eine<br />

Auswirkung auf eure Moral oder eure<br />

Einstellung?<br />

LP: Natürlich hat das Auswirkungen<br />

auf die Moral – es ist wie ein Schlag ins<br />

Gesicht.<br />

PK: Die ganze Geschichte war eine große<br />

Enttäuschung. Du hoffst, die Blödheit<br />

stirbt aus und dass es solche Leute im<br />

Sport nicht mehr gibt. Wir müssen vieles<br />

verändern in der Welt. Ich hoffe, dass wir<br />

die globale Erwärmung, das Plastikproblem,<br />

die Politik und diese Art von Problemen<br />

im Sport abwenden können.<br />

Was hält euch im Radsport?<br />

LP: Das ist eine Leidenschaft. Immer<br />

schon. Jetzt wissen wir, dass wir als saubere<br />

Fahrer gute Resultate holen können.<br />

Es freut mich, Patrick oder Gregor oder<br />

Felix gut fahren zu sehen. Wir sind alle wie<br />

eine Familie. Wenn einer von uns Österreichern<br />

gut fährt, spornt es dich natürlich<br />

auch selbst an. Und natürlich unterstützen<br />

wir uns gegenseitig. Der Radsport ist zu<br />

100 Prozent eine Mannschaftssportart,<br />

und das ist der Schlüssel zum Erfolg.<br />

ÖSTERREICHS HELDEN<br />

Im Laufe der Radsportgeschichte hat Österreich immer wieder erfolgreiche Fahrer<br />

hervorgebracht. Procycling stellt fünf dieser Profis vor.<br />

ADOLF<br />

CHRISTIAN<br />

Christian wurde<br />

1957 Profi in<br />

Fausto Coppis<br />

Carpano-Team. In<br />

jener Saison gab<br />

er im jungen Alter<br />

von 23 Jahren sein<br />

Debüt bei der<br />

Tour und wurde<br />

direkt Gesamt-<br />

Dritter beim<br />

wichtigsten<br />

Radrennen<br />

der Welt.<br />

PETER<br />

LUTTENBERGER<br />

Luttenberger<br />

überraschte mit<br />

einem fünften<br />

Platz bei der Tour<br />

de France 1996<br />

mit jugendlichen<br />

23 Jahren. Er ließ<br />

1997 und 2003<br />

zwei 13. Plätze in<br />

Frankreich folgen,<br />

beendete aber<br />

seine Karriere<br />

letztlich als<br />

Berghelfer.<br />

GEORG<br />

TOTSCHNIG<br />

Totschnig<br />

erreichte drei Top-<br />

Ten-Plätze beim<br />

Giro, einen bei der<br />

Tour und einen<br />

bei der Vuelta,<br />

wobei ein fünfter<br />

Rang beim Giro<br />

2003 sein bestes<br />

Resultat war.<br />

Bei der Tour de<br />

France 2005<br />

gewann er eine<br />

Bergetappe.<br />

BERNHARD<br />

EISEL<br />

Eisel ist in der<br />

zweiten Hälfte<br />

seiner Karriere<br />

Sprintanfahrer<br />

und Road Captain<br />

für Mark<br />

Cavendish. Er<br />

holte aber auch<br />

selbst einige<br />

sehenswerte<br />

Resultate bei den<br />

Klassikern und<br />

gewann Gent–<br />

Wevelgem 2010.<br />

ETAPPE<br />

3<br />

MONTAG, 8. JULI<br />

BINCHE › ÉPERNAY<br />

215 KM<br />

Deutsche Wissenschaftler fanden einmal<br />

heraus, dass ein Champagnerkorken<br />

eine kräftig geschüttelte Flasche mit<br />

etwa 40 Kilometern pro Stunde verlässt;<br />

in etwa so schnell muss Julian Alaphilippe<br />

gefahren sein, als er das Feld an der<br />

Côte de Mutigny 16 Kilometer vor dem<br />

Ende der dritten Etappe, zwischen<br />

Binche und Épernay, stehen ließ.<br />

(Natürlich liegt die Steigung des<br />

Anstiegs bei Mutigny ebenfalls bei<br />

12,2 Prozent, genau wie bei Champagner).<br />

Es wurde viel von diesem edlen<br />

Getränk verzehrt, als die Tour die<br />

Weinberge der Marne überquerte und<br />

über die Avenue de Champagne von<br />

Épernay weiter zum Ziel lief. Der<br />

sprudelnde Angriff von Alaphilippe,<br />

gefolgt von einer 16 Kilometer langen<br />

Aufholjagd, gab den lokalen Fans Grund<br />

zum Feiern: die erste Etappe in<br />

Frankreich im Jahr <strong>2019</strong> und zugleich<br />

ein erster Etappensieg. Sechsundzwanzig<br />

Sekunden später kam der Sprint um<br />

den zweiten Platz, mit einer Auswahl<br />

von klassischen Sprintern und GC-Kandidaten.<br />

Der Titelverteidiger Geraint<br />

Thomas kam nochmals fünf Sekunden<br />

später mit seiner Gruppe ins Ziel.<br />

Die Avenue de Champagne gilt als die<br />

teuerste Straße der Welt. Die Fahrer auf<br />

der falschen Seite dieser fünfsekündigen<br />

Lücke müssen gehofft haben, dass sie<br />

die Zeit nicht zu billig verschenkt haben.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 4:40:29<br />

2 Michael Matthews Team Sunweb +0:26<br />

3 Jasper Stuyven Trek-Segafredo gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 9:32:19<br />

2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:20<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +0:25<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 76<br />

2 Michael Matthews Team Sunweb 59<br />

3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 54<br />

© Getty Images (groß, Bulla, Luttenberger, Totschnig, Alaphilippe), Yuzuru Sunada (Eisel), Offside L’Equipe (Christian)<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 61


62 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

BELGIEN<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

BELGIEN<br />

D I E T O U R D E<br />

BELGIEN<br />

Die Tour de France <strong>2019</strong> begann anlässlich des<br />

50. Jahrestages des ersten von Eddy Merckx’ fünf Toursiegen<br />

mit drei Etappen in Belgien. Procycling war live vor Ort und hat<br />

herausgefunden, warum sich das Land und die Tour so gut ergänzen.<br />

Hoch oben auf der Muur<br />

van Geraardsbergen<br />

herrscht Radsportfieber.<br />

Die berühmte Rampe ist<br />

von Hunderten von Fans<br />

in viele Farben getaucht<br />

und Technomusik dröhnt<br />

aus riesigen Lautsprechern am t’ Hemelryck,<br />

der Kneipe 50 Meter vor der Kuppe<br />

des Anstiegs. Die Fotografen werden üblicherweise<br />

von dem grasbewachsenen<br />

Hügel und der gedrungenen Kirche, deren<br />

Positionen in dem Rahmen einen perfekten<br />

Goldenen Schnitt bilden, an der Spitze<br />

angezogen. Die Kurve der Straße im Zusammenspiel<br />

mit dem Himmel erschafft<br />

nämlich ein Motiv, das so aussieht, als<br />

wären die letzten Meter der Kapelmuur<br />

ein gepflasterter Weg in die Unendlichkeit.<br />

Das Gedränge der Fans scheint jedoch etwas<br />

weiter unten am t’ Hemelryck tatsächlich<br />

am dichtesten und lautesten zu sein.<br />

Es könnte der Tag der Flandern-Rundfahrt<br />

sein – außer dass niemand sich warm<br />

eingemummt hat, um sich vor der für die<br />

Ronde typischen Aprilkälte zu schützen.<br />

Roy Jenkins, der frühere Präsident der<br />

Europäischen Kommission, nannte den<br />

permanent wolkenverhangenen belgischen<br />

Himmel einst „brabantsche Trübsal“, aber<br />

die Tour de France scheint den blauen<br />

Himmel mit über die Grenze gebracht zu<br />

haben. Die Luft ist voller Sommerwärme<br />

und das Gestrüpp unterhalb des Gipfels<br />

riecht nach Leben und Fruchtbarkeit.<br />

Wenn die Ronde stattfindet, treibt das erste<br />

Grün gerade aus, und anfangs passt das<br />

Sommer-Feeling nicht zu diesem Ort. Statt<br />

mit den KBC- und Het-Nieuwsblad-Fahnen<br />

der Ronde ist die Straße von gepunkteten<br />

Plakaten gesäumt, die für die französische<br />

Supermarket-Kette Leclerc werben.<br />

Die Menge sprudelt aber mindestens genauso<br />

über wie beim berühmten Gegenstück<br />

im April. Es ist dieselbe Mischung<br />

aus einheimischen und internationalen<br />

Fans – es sind sogar dieselben Leute. Kevin<br />

Van Wijnbergen, der sich den besten Platz<br />

an der Mauer gesichert hat – in der Kurve<br />

am letzten steilen Stück –, steht bei der<br />

Ronde am selben Platz. „Ich komme seit<br />

zwölf Jahren jedes Jahr her“, sagt er. „Hier<br />

ist die beste Stelle. Du bist so nah dran,<br />

Text Edward Pickering<br />

Fotografie Gruber Images<br />

dass du die Fahrer riechen kannst.“ Kevin,<br />

der in Geraardsbergen lebt, will aber nicht<br />

überheblich sein. „Ich denke, die Tour ist<br />

größer als die Ronde. Dass die Tour nach<br />

Geraardsbergen kommt, ist spektakulär.“<br />

Einer der Fotografen ist dagegen nicht<br />

zufrieden: „Sie haben die Etappe etwas<br />

zu sehr entschärft“, sagt er. Aber als Greg<br />

Van Avermaet als Erster über die Kuppe<br />

fährt, ist das Getöse mindestens so laut<br />

und herzlich wie bei der Flandern-Rundfahrt.<br />

Van Avermaet und die Muur sind<br />

so flämisch wie es nur geht, aber die Tour<br />

hat sich mit ihnen perfekt verbunden. Ein<br />

anderes Rennen, aber irgendwie gleich.<br />

Das sollte nicht überraschen. Belgien<br />

ist ein historischer Zufall, ein Land, das<br />

auf Kompromissen gründet – geteilt durch<br />

die Sprache und gebildet aus einem Kollektiv<br />

kulturell heterogener Provinzen,<br />

aber geeint durch eine historische Beziehung<br />

zum Katholizismus; und auch durch<br />

einen selbstironischen Sinn für Humor,<br />

den Flamen und Wallonen gemeinsam<br />

haben. Wie der Schriftsteller Daniel De<br />

Bruycker sagte: „Belgien ist das einzige<br />

Land, das sich fragt, ob es existiert.“<br />

Die Tour fühlt sich hier wohl. Die Einheimischen<br />

freuen sich auf die Tour de<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 63


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

BELGIEN<br />

France, statt festzustellen, dass es nicht<br />

die Flandern-Rundfahrt ist. Tatsächlich ist<br />

es nicht ungewöhnlich, dass die Tour nach<br />

Belgien kommt. Bei 106 Auflagen war die<br />

Tour 49-mal hier zu Gast, und wenn man<br />

bedenkt, dass das erste Mal 1947 war,<br />

scheint die Tour ihren Nachbarn im Norden<br />

fast jedes Jahr zu besuchen. <strong>2019</strong> war<br />

trotzdem etwas anders: Charleroi und Lüttich<br />

haben drei Grand Départs ausgetragen,<br />

aber dieser war der erste in Brüssel,<br />

der belgischen Hauptstadt, seit 1958. Die<br />

ASO, der Organisator der Tour, hat für den<br />

diesjährigen Grand Départ eine Feier ersonnen,<br />

die das wichtigste Monument der<br />

Weltausstellung 1958 in Brüssel – das<br />

Atomium, ein glänzendes futuristisches<br />

Gebäude in Form eines Eisenatoms und<br />

Ziel des Mannschaftszeitfahrens – mit<br />

dem 50. Jahrestag des ersten Toursieges<br />

von Belgiens Lieblingssohn verband. In<br />

Geraardsbergen reden die Einheimischen<br />

gerne von den drei „Ms“, die die Stadt berühmt<br />

machen: die Mattentaart, die Muur<br />

und das Manneken Pis (das, wie die Geraardsbergener<br />

versichern, älter ist als das<br />

berühmtere in Brüssel, das seinerseits an<br />

dem Wochenende ein Gelbes Trikot trägt).<br />

Aber als sich die erste Etappe der Tour<br />

<strong>2019</strong> auf den Weg durch Flandern zu ihrem<br />

westlichsten Punkt in Geraardsbergen<br />

macht, scheint es ein viertes M zu geben:<br />

Merckx. Die Karawane hat Zigtausende<br />

von Kappen an die Fans am Straßenrand<br />

verteilt, auf denen „Eddy“ steht, sodass<br />

jedes Foto von der gewaltigen Menge, vor<br />

allem von der in Brüssel, ein Meer aus gelben<br />

Köpfen ist. Es ist ein kleiner genialer<br />

Marketing-Einfall, der dazu führt, dass der<br />

Grand Départ seine charakteristische Farbe<br />

hat, und es scheint, dass sein Name auf<br />

den Lippen aller Radsportfans liegt.<br />

DUALE ERGEBNISSE<br />

Wir wissen, dass das Eröffnungswochenende<br />

der Tour selten spannenden Radsport<br />

bietet. Prologe sind Prologe – der<br />

stärkste Fahrer gewinnt, der zweitstärkste<br />

Fahrer wird Zweiter und so weiter. Und<br />

auch wenn die gewonnenen und verlorenen<br />

Sekunden für Gemunkel und Formanalysen<br />

gut sind, so hat nie jemand hier<br />

die Tour gewonnen oder verloren. Wenn<br />

die erste Etappe ein Sprint ist, sei es flach<br />

oder bergauf, folgt sie einem Muster – eine<br />

Ausreißergruppe geht, ihr werden ein paar<br />

Minuten Vorsprung zugestanden, sie wird<br />

gestellt, und dann wird das erste Gelbe<br />

Trikot unter den Spezialisten ausgemacht.<br />

Selbst Mannschaftszeitfahren hatten zuletzt<br />

kaum Auswirkungen auf das Rennen,<br />

da die Teams nur Sekunden trennten.<br />

<strong>2019</strong> war weitestgehend wie erwartet.<br />

Aber es gab Wendungen – die erste vierköpfige<br />

Ausreißergruppe auf der ersten<br />

Etappe, der Van Avermaet so lange angehörte,<br />

wie er brauchte, um genügend<br />

Bergpunkte zu sammeln, um ein paar<br />

Tage im Gepunkteten Trikot zu fahren,<br />

wurde früh zurückgeholt. Daher war Zeit<br />

für einen ungewöhnlichen zweiten Kamikaze-Angriff,<br />

den Stéphane Rossetto als<br />

Solist startete. Und das Ergebnis des<br />

Sprints, der leicht bergan führte und von<br />

einem Sturz auf der Zielgeraden über­<br />

Der fünffache<br />

Toursieger Eddy<br />

Merckx war einer<br />

der Gäste beim<br />

Grand Départ.<br />

INTERNATIONALE GRAND DÉ PARTS<br />

© Getty Images (Merckx)<br />

4<br />

5 6<br />

2 1<br />

1 2 1 1<br />

LUXEMBURG<br />

Luxemburg<br />

1989, 2002<br />

DEUTSCHLAND<br />

Köln 1965<br />

Frankfurt 1980<br />

West-Berlin 1987<br />

Düsseldorf 2017<br />

IRLAND<br />

Dublin 1998<br />

BELGIEN<br />

Brüssel 1958, <strong>2019</strong><br />

Charleroi 1975<br />

Lüttich 2004, 2012<br />

SCHWEIZ<br />

Basel 1982<br />

NIEDERLANDE<br />

Amsterdam 1954<br />

Scheveningen 1973<br />

Leiden 1978 s’-Hertogenbosch<br />

1996 Rotterdam<br />

2010 Utrecht 2015<br />

UK<br />

London 2007<br />

Yorkshire 2014<br />

SPANIEN<br />

San Sebastián 1992<br />

MONACO<br />

Monaco 20<strong>09</strong><br />

64 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Van Avermaet an<br />

der Mauer von Geraardsbergen,<br />

dem<br />

bekanntesten Anstieg<br />

in Flandern.<br />

„DER TOUR-AUFTAKT FAND KOMPLETT<br />

IM ZEICHEN VON EDDY MERCKX STATT,<br />

DER EIN AUSSERGEWÖHNLICHER,<br />

BESCHEIDENER UND GROSSARTIGER<br />

MANN IST.“<br />

Christian Prudhomme, Tour-Direktor<br />

schattet wurde, war kein vorhersehbares,<br />

fing doch der bislang kaum in Erscheinung<br />

getretene Mike Teunissen<br />

Peter Sagan auf der Linie ab. Am nächsten<br />

Tag bestätigte Teunissens Jumbo–<br />

Visma-Team, dass es Form, Vertrauen<br />

und Schwung auf seiner Seite hatte, als<br />

es das Mannschaftszeitfahren gewann.<br />

Am letzten Tag des Rennens in Belgien,<br />

einem Etappenstart in Binche, sah eine<br />

riesige Menge das Peloton nach Süden<br />

über die Grenze fahren. Um den Geist der<br />

grenz überschreitenden Harmonie zu zementieren,<br />

umfasste die Ausreißergruppe<br />

Tim Wellens, einen Belgier von der Sprach ­<br />

grenze mit einem flämischen Vater und<br />

einer wallonischen Mutter, sowie Yoann<br />

Offredo, einen Franzosen, der für ein belgisches<br />

Teams fährt und dessen Lieblingsrennen<br />

die Kopfsteinpflasterklassiker des<br />

Frühjahrs sind. Dann legte Julian Alaphilippe,<br />

ein Franzose in den Diensten eines<br />

belgischen Rennstalls, im Ardennenvorgebirge<br />

der Champagne los und holte den<br />

Etappensieg und das Gelbe Trikot. Für<br />

eine Etappe, die halb belgisch, halb französisch<br />

war, schien alles zu passen. Aber<br />

der wahre Star des Eröffnungswochenendes<br />

war Brüssel – und natürlich Merckx.<br />

„Es war der bewegendste aller Grand<br />

Départs, die ich erlebt habe“, sagte Christian<br />

Prudhomme, der Boss der Tour, zu<br />

Procycling. „Natürlich waren in Yorkshire<br />

und London die Zuschauermengen ebenso<br />

groß wie in Brüssel. Aber der Tour-Auftakt<br />

fand komplett im Zeichen von Eddy<br />

Merckx statt, der ein außergewöhnlicher,<br />

bescheidener und großartiger Mann ist.<br />

Es war majestätisch, so viele Leute ‚Merci,<br />

Eddy‘ sagen zu hören.“ Prudhommes früheste<br />

Erinnerung an den Radsport war die<br />

letzte Etappe des Rennens 1968, daher<br />

umspannt sein eigenes Leben als Radsportfan,<br />

Journalist und dann Organisator<br />

des größten Rennens der Welt fast genau<br />

das von Eddy Merckx als größtem Champion,<br />

den der Sport je gesehen hat. „Ich<br />

bin die 100 Meter vom Village Départ zur<br />

Startlinie mit Eddy gelaufen, bevor die<br />

Etappe begann – und es war unvergesslich.<br />

Die Leute klatschten, riefen seinen<br />

Namen und hatten Tränen in den Augen.“<br />

DAS PUBLIKUM ALS MOTOR<br />

Offredo, der auf der dritten Etappe in der<br />

Ausreißergruppe fuhr, fand die belgischen<br />

Etappen inspirierend. „Wir trafen<br />

Christian Prudhomme am Vorabend der<br />

Tour, und er erinnerte uns daran, dass<br />

das Wichtigste im Radsport die Emotionen<br />

sind – noch vor jedem Sieg“, erzählte<br />

er. „Ich bin ein Fahrer, der mit Emotionen<br />

fährt und in der Ausreißergruppe habe<br />

ich den ganzen Tag gelächelt. Das Publikum<br />

ist unser Motor. Die Flandern-<br />

Rundfahrt ist ähnlich, aber es gibt eine<br />

spezielle Atmosphäre bei der Tour, und<br />

wir als Fahrer wollen den Fans ein bisschen<br />

von dem zurückgeben, was sie uns<br />

geben. In einer Ausreißergruppe zu sein,<br />

heißt für mich, dem Publikum und der<br />

Menge Ehre zu erweisen.“<br />

Aber der Radsport besteht nicht nur aus<br />

Menschenmengen und Lärm, und Emotionen<br />

können ebenso ruhig und nachdenklich<br />

wie warm und energetisch sein.<br />

ETAPPE<br />

4<br />

DIENSTAG, 9. JULI<br />

REIMS › NANCY<br />

213,5 KM<br />

Das Gelbe Trikot ist auf einer flachen<br />

Etappe mit einer Sprintankunft<br />

normalerweise ganz vorne dabei. Meist<br />

liegt das daran, dass der Führende auf<br />

Nummer sicher gehen will, um den<br />

Gefahren bei einer solchen Ankunft zu<br />

entgehen. Tatsächlich neigen die<br />

Gesamtführenden dazu, sich von<br />

hektischen Massensprints und all den<br />

möglichen Unfällen, die passieren<br />

können, fernzuhalten. Das letzte Mal,<br />

dass wir ein Gelbes Trikot sahen, das für<br />

einen Teamkollegen den letzten<br />

Kilometer eines Massensprints anfuhr,<br />

war 2012, als Bradley Wiggins auf den<br />

Champs-Élysées an die Spitze stürmte,<br />

um für Mark Cavendish den Sieg<br />

vorzubereiten. Paris war jedoch bei den<br />

Fahrern in Gedanken viel zu weit weg,<br />

als sie zu Beginn der ersten Woche in<br />

Nancy ankamen, aber das hinderte<br />

Julian Alaphilippe nicht daran, seine<br />

Rolle in der Mannschaft von Deceuninck–Quick-Step<br />

zu erfüllen, als sie den<br />

Sieg für Elia Viviani vorbereitete. Der<br />

Franzose wurde von Road Captain<br />

Michael Mørkov zwei Kilometer vor dem<br />

Ziel an die Spitze befohlen, krempelte<br />

seine metaphorischen Ärmel hoch und<br />

übernahm die Kontrolle. Auf der<br />

Zielgeraden musste der Italiener nicht<br />

mehr tun, als seine Nase 200 Meter vor<br />

dem Ziel in den Wind zu halten, um so<br />

schnell wie möglich bis zur Ziellinie zu<br />

sprinten. Fünf Jahre nach seinem<br />

Tour-Debüt holte Viviani seinen Sieg.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Elia Viviani Deceuninck–QS 5:<strong>09</strong>:20<br />

2 Alexander Kristoff UAE Emirates gl. Zeit<br />

3 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 14:41:39<br />

2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:20<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–-Visma +0:25<br />

BERGWERTUNG<br />

1 Tim Wellens Lotto Soudal 7<br />

2 Xandro Meurisse Wanty-Gobert 3<br />

3 Greg Van Avermaet CCC Team 2<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 65


ETAPPE<br />

5<br />

MITTWOCH, 10. JULI<br />

SAINT-DIÉ-DES-VOSGES ›<br />

COLMAR<br />

175,5 KM<br />

Zu flach für eine Bergetappe, zu bergig<br />

für eine Flachetappe. Der fünfte Tag der<br />

Tour <strong>2019</strong> hätte nicht besser für die<br />

neue Generation von Allround-Sprintern<br />

konzipiert werden können, die in den<br />

letzten Jahren die Klassiker und diese<br />

Art von Etappen bei den großen<br />

Rundfahrten dominiert haben.<br />

Natürlich ist der König der Allrounder<br />

Peter Sagan, und er hat die Etappe<br />

ordnungsgemäß gewonnen, nachdem<br />

das Feld durch die beiden Steigungen<br />

der zweiten Kategorie auf etwa die<br />

Hälfte seiner ursprünglichen Größe<br />

reduziert wurde. Eine gute Auswahl<br />

weiterer Allround-Sprinter – Wout Van<br />

Aert, Matteo Trentin, Sonny Colbrelli und<br />

Michael Matthews (plus dem Führenden,<br />

Julian Alaphilippe) – füllte die Top Ten<br />

hinter Sagan. Es war eine typische Tour<br />

für Sagan: Ein Etappensieg liegt im<br />

Schnitt seiner üblichen Trefferquote,<br />

aber neben dem Sieg in Colmar<br />

erreichte er bei der Tour <strong>2019</strong> auf<br />

weiteren acht Etappen die Top fünf. Das<br />

bedeutet, dass er im Rennen um das<br />

Grüne Trikot fast unschlagbar ist – er ist<br />

der einzige Fahrer, der Massensprints,<br />

hügelige Sprints und alle Bonussprints<br />

dazwischen holen kann. Der Zweite in<br />

Colmar, Wout Van Aert, zeigt jedoch<br />

Anzeichen dafür, dass er sich zu einem<br />

starken Rivalen für Sagan entwickelt hat.<br />

Er kann sprinten und klettern – und<br />

könnte Sagan 2020 schlagen.<br />

Am Square Eddy Merckx, einem kleinen<br />

Monument auf dem Place des Bouvreuils<br />

im Brüsseler Vorort Woluwé-Saint-Pierre,<br />

ist es am Sonntagmorgen fast still – obwohl<br />

die Teams nur ein paar Blocks weiter<br />

ihre Übungsrunden auf dem Kurs des<br />

Mannschaftszeitfahrens drehen. Am Place<br />

des Bouvreuils ist Eddy Merckx aufgewachsen,<br />

und hier hatte seine Familie ein<br />

Geschäft. Es ist daher überraschend, dass<br />

außer einem Einheimischen niemand hier<br />

ist, als das größte Rennen der Welt dem<br />

größten Radsportler der Welt seine Ehre<br />

erweist.<br />

Einzig ein Mann schlendert umher. Es<br />

stellt sich heraus, dass Carl, so sein Na ­<br />

me, auf dieselbe Schule gegangen ist wie<br />

Merckx, und er erklärt, dass die Belgier<br />

Merckx zwar verehren, aber nicht so viel<br />

Aufhebens davon machen wollen. „Er war,<br />

glaube ich, in der Klasse von 1957, und<br />

ich war Ende der 1960er-Jahre dort. Aber<br />

als er die Tour gewann, hat uns die Schule<br />

nie richtig gesagt, dass er einst ebenfalls<br />

hier war. Das mag überraschend sein,<br />

aber so sind wir Belgier – wir sind nie auf<br />

etwas stolz.“<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

BELGIEN<br />

Der Belgier<br />

Firmin Lambot<br />

gewann die Tour<br />

1919 – die erste<br />

Auflage mit dem<br />

Gelben Trikot.<br />

Das Team Jumbo–Visma<br />

im Ziel<br />

des Mannschaftszeitfahrens.<br />

2005 wurden zwei Umfragen in Belgien<br />

durchgeführt: eine namens „De grootste<br />

Belg“ in Flandern und eine weitere namens<br />

„Le plus grand Belge“ in der Wallonie.<br />

Das Land wählte in seinen linguistischen<br />

Blöcken den größten Belgier der<br />

Geschichte, wobei Jacques Brel die französischsprachige<br />

Umfrage gewann und der<br />

wohltätige Pater Damian die flämische.<br />

Merckx war neben dem Geistlichen der<br />

Einzige, der es in die Top Vier beider Erhebungen<br />

geschafft hatte.<br />

Merckx hat sich immer als Belgier<br />

bezeichnet, und die Tour de France hat<br />

bei ihrem Besuch <strong>2019</strong> sorgfältig darauf<br />

geachtet, beiden Seiten der sprachlichen<br />

Trennlinie ihre Aufwartung zu machen,<br />

Flandern und die Wallonie zu besuchen<br />

und beide Schreibweisen von Brüssel zu<br />

verwenden.<br />

Die Tour de France hält sich aus der<br />

Politik möglichst raus. Aber die Tour ist<br />

von Natur aus geografisch, und das Geografische<br />

ist das Politische. Das Rennen<br />

findet in der echten Welt statt, nicht in<br />

dem künstlichen und abgeschirmten<br />

Raum eines Sportstadions, und die echte<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 4:02:33<br />

2 Wout Van Aert Jumbo–Visma gl. Zeit<br />

3 Matteo Trentin Mitchelton-Scott gl. Zeit<br />

© Getty Images (groß, Sagan), Offside L’Equipe<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 18:44:12<br />

2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:14<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +0:25<br />

NACHWUCHSWERTUNG<br />

1 Wout Van Aert Jumbo–Visma 18:44:26<br />

2 Egan Bernal Team Ineos +0:26<br />

3 Enric Mas Deceuninck–QS +0:32<br />

66 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

BELGIEN<br />

Welt ist nicht so keimfrei wie die Welt des<br />

Sports. Dies ist das Zeitalter des Brexit,<br />

der Gelbwesten-Demos in Frankreich und<br />

eines wieder erstarkenden flämischen Nationalismus<br />

in Belgien. Die rechtsextreme<br />

Vlaams Belang hat bei belgischen Kommunalwahlen<br />

13 Prozent der Stimmen<br />

geholt, während es der französische Front<br />

National bei den letzten Präsidentschaftswahlen<br />

in Frankreich unter die letzten<br />

zwei geschafft hat. Kann sich die Tour von<br />

diesen Spannungen abkoppeln?<br />

Prudhomme sieht die Tour lieber als<br />

einende Kraft. „Alle Rennorganisatoren<br />

der Welt wissen, dass wir der Lebensrealität<br />

nicht entgehen können“, sagt er. „Wir<br />

DIE TOUR DE FRANCE HAT BEI IHREM BESUCH <strong>2019</strong><br />

SORGFÄLTIG DARAUF GEACHTET, BEIDEN SEITEN<br />

DER SPRACHLICHEN TRENNLINIE IN BELGIEN IHRE<br />

AUFWARTUNG ZU MACHEN UND FLANDERN<br />

UND DIE WALLONIE ZU BESUCHEN.<br />

Das Tour-Fieber<br />

erfasst Brüssel:<br />

Zahlreiche Fans<br />

kamen, um das<br />

Rennen zu sehen.<br />

96<br />

Die Anzahl<br />

der Tage von<br />

Eddy Merckx<br />

im Gelben<br />

Trikot<br />

sind nicht in einem geschlossenen Stadion.<br />

Was der Tour ihre Kraft gibt, ist, dass<br />

sie draußen bei den Menschen ist. Aber<br />

genau deswegen können wir nicht den<br />

Schwierigkeiten entkommen, mit denen<br />

die Leute zu tun haben – soziale Probleme<br />

und Konflikte.“ Und er fährt fort: „Aber<br />

die Tour eint die Menschen. Schauen Sie<br />

sich Merckx an. Er ist Belgier, er bringt die<br />

Leute zusammen – genau wie große Ereignisse<br />

wie die Tour, genau wie die französische<br />

Fußballnationalmannschaft die<br />

Franzosen letztes Jahr vereint hat.“<br />

Der Grand Départ <strong>2019</strong> wurde von den<br />

Radsportfans jedenfalls universell gut aufgenommen.<br />

Die Jugendstil-Architektur<br />

Brüssels bildete eine beeindruckende Kulisse<br />

für das Rennen, und die drei Etappen in<br />

Belgien waren ein „Best of“ des belgischen<br />

und französischen Radsports. Ein bisschen,<br />

das muss man sagen, wie Eddy Merckx.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 67


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JOURNAL<br />

© Gruber Images<br />

ETAPPE 6<br />

LA PLANCHE DES BELLES FILLES<br />

11.07.<strong>2019</strong><br />

DAS ERSTE<br />

KRÄFTEMESSEN<br />

IN DEN BERGEN<br />

J<br />

ede Erwähnung von Thibaut Pinot während<br />

des Kommentars auf La Planche des Belles<br />

Filles führt zu Jubel. Fahnen wehen, ein Horn<br />

wird geblasen, Glocken läuten. Es gibt keine<br />

Ruhe vor dem Sturm bei der Bergankuft, besonders wenn<br />

es die erste bei der diesjährigen Tour de France ist. Hier<br />

ist Pinots Heimat, und sein Name steht in Großbuchstaben<br />

in der letzten Kurve 100 Meter vor dem Ziel. Die vielen<br />

Schriftzüge zieren die 24 Prozent steile Steigung. Man<br />

kann den Zielbogen sehen, zu dem sich die Straße dann in<br />

einer Geraden nach oben erstreckt, wo die Logos von Tissot<br />

und Continental leuchten. Aber es ist viel zu steil, um<br />

die Ziellinie selbst zu sehen.<br />

Die Zuschauer feuern Dylan Teuns und Giulio Ciccone,<br />

die zuerst zum Ziel kommen, an. Teuns’ goldener<br />

Helm wackelt von links nach rechts, als er aus dem Sattel<br />

geht und an der steilsten Stelle der Kurve um die Innenseite<br />

zieht. Ciconne rollt nach rechts, als sich zwischen<br />

dem flüchtigen Duo zum ersten Mal des Tages eine Lücke<br />

öffnet.<br />

Nach einigen Sekunden Ruhe wird es dann richtig laut.<br />

Allez, allez, allez, allez! Das Gelbe Trikot von Julian Alaphilippe<br />

ist sichtbar. Sein Kopf ist gesenkt, während er von<br />

einer Seite zur anderen schaukelt; eins, zwei – eins, zwei<br />

– eins, zwei – eins, zwei – eins, zwei stampft er auf seine<br />

Pedale ein. Er blickt über seine linke Schulter, um Geraint<br />

Thomas direkt hinter ihm zu sehen. Der Waliser bleibt<br />

sitzen, lehnt sich aber auch nach vorne, sein Kopf senkt<br />

sich für eine Sekunde und nimmt den Blick vom Hinterrad<br />

des Franzosen. Nach einer kurzen Pause nimmt die Lautstärke<br />

wieder zu, als Pinot die 75-Meter-Marke passiert.<br />

Ein Tropfen Schweiß hängt an seiner Nase. Er beschleunigt,<br />

den Mund weit geöffnet, als ihn der Anblick des Gipfels<br />

noch mal motiviert. Nairo Quintana ist nicht weit dahinter,<br />

dann eine weitere Gruppe.<br />

Dan Martin zeigt dem Anstieg wortwörtlich die Zähne.<br />

Enric Mas kämpft sich langsam im Zickzack von links<br />

nach rechts über die schmerzhafte Steigung. Dann eine<br />

weitere Pause. Romain Bardet erscheint fast eine Minute<br />

später und wirkt müde und ausgelaugt. Der Lärm um ihn<br />

herum nimmt zu. Wenn nur die Lautstärke in der Lage<br />

wäre, sein Fahrrad voranzutreiben.<br />

Die weiteren Fahrer blättern vorbei, als ob sie in der<br />

Linse einer Spielzeugkamera zu sehen sind, in der sich<br />

die Figuren bei jedem Klick weiterbewegen. Die erste<br />

Bergankunft der Tour wurde lange erwartet, war aber im<br />

Handumdrehen vorbei.<br />

68 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 69


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JUMBO–VISMA<br />

Jumbo–Visma war in der ersten Tour-Woche<br />

flott unterwegs und gewann vier Etappen.<br />

Procycling analysiert, wie das holländische<br />

Team so erfolgreich wurde.<br />

© Jumbo–Visma<br />

70 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


ETAPPE 1<br />

NICHT<br />

ZU<br />

STOPPEN<br />

MIKE TEUNISSEN<br />

Mike Teunissen hielt sich mit dem linken<br />

Zeigefinger das Ohr zu, während er das<br />

Telefon fester an sein rechtes drückte. Die<br />

Mikrofone und Kameras schoben sich näher<br />

an ihn heran. Er trug ein Gelbes Trikot,<br />

aber eben nicht das normale seines<br />

Jumbo–Visma-Teams. Seine Augen hatten<br />

Fältchen an der Seite, verursacht durch<br />

das Lächeln, das über sein Gesicht huschte,<br />

als er seinem Gesprächspartner lauschte.<br />

Vor Mai <strong>2019</strong> hatte der Holländer nur<br />

ein einziges Profirennen für sich entschieden<br />

– den Prolog der Tour de l’Ain 2015.<br />

Jetzt stand er in der Mixed Zone der Tour<br />

de France und hatte gerade die Eröffnungsetappe<br />

des diesjährigen Rennens für sich<br />

entschieden und war damit ins Maillot<br />

Jaune geschlüpft. Ungläubigkeit traf seinen<br />

Gesichtsausdruck wohl am besten.<br />

Kein Wunder, dass das Lächeln nicht<br />

mehr aus Teunissens Gesicht gewichen<br />

war, seit er die Ziellinie überquert hatte.<br />

„Es war mein Vater“, sagte Teunissen,<br />

nachdem er das Telefongespräch beendet<br />

hatte und seine Aufmerksamkeit wieder<br />

der Wand aus Reportern widmete. „Er<br />

wollte mir sagen, dass er stolz auf mich ist.“<br />

Viele hatten in Brüssel mit einem niederländischen<br />

Sieger gerechnet – aber<br />

eben nicht mit Teunissen. Die gesamte<br />

Aufmerksamkeit lag auf seinem Teamkollegen<br />

Dylan Groenewegen, aber als er zwei<br />

Kilometer vor der Linie in einen Sturz verwickelt<br />

wurde, war der Sprintanfahrer<br />

Teunissen in einer kleinen Gruppe von<br />

In einem engen<br />

Sprint schlägt Teunissen<br />

Topfavorit<br />

Peter Sagan auf<br />

der Linie.<br />

Fahrern weiter vorn. Noch bevor klar war,<br />

dass Groenewegen in einem Pulk auf dem<br />

Boden saß, befand sich Teunissen in einem<br />

Kopf-an-Kopf-Sprint mit Peter Sagan.<br />

„War das Van Aert?“ „Mike wer?“,<br />

fragte man sich im Medienzelt.<br />

In neun von zehn Fällen hätte Teunissen<br />

gegen Sagan die schlechteren Chancen.<br />

Aber dieses Mal war alles anders. Im<br />

Sport reicht es eben manchmal auch, dass<br />

man nur einmal die besseren Chancen<br />

hat, um zu gewinnen.<br />

Nachdem er 2015 bei LottoNL–Jumbo<br />

Profi geworden war, wechselte Teunissen<br />

zwei Jahre später zu Sunweb. Er wollte<br />

mehr Verantwortung tragen, aber er kam<br />

in dem deutschen Team nicht zurecht und<br />

ging vor dieser Saison zu Jumbo zurück.<br />

Das holländische Team hat den Ruf, Talente<br />

zu fördern und aus Fahrern mit ordentlichem<br />

Potenzial A-Promis zu machen;<br />

Groenewegen und Primož Roglic<br />

sind die einschlägigen Beispiele. Und mit<br />

Teunissen haben sie <strong>2019</strong> begonnen,<br />

dasselbe zu machen. Zwei Etappensie-<br />

© Gruber Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 71


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JUMBO–VISMA<br />

© Getty Images (Teunissen), Kramon (klein), Gruber Images<br />

ge und die Gesamtwertung der Vier Tage<br />

von Dünkirchen im Mai brachten den Ball<br />

ins Rollen, bevor Teunissen fünf Wochen<br />

später die ZLM Tour gewann.<br />

„Bei den Vier Tagen von Dünkirchen<br />

haben wir ihm die Gelegenheit gegeben,<br />

Verantwortung zu übernehmen. Dann<br />

holte er bei der ZLM Tour die Führung –<br />

das war geplant. Für sein Selbstbewusstsein<br />

war das sehr wichtig“, sagte Merijn<br />

Zeeman, der Jumbo-Coach, zu Procycling,<br />

als er mit einer Flasche Champagner<br />

in der Hand vor dem Mannschaftsbus<br />

stand. „Er arbeitet mit einem unserer<br />

Trainer, Tim Heemskerk, der einen super<br />

Job mit ihm gemacht hat. Er hat sich vom<br />

Training, aber auch vom Selbstbewusstsein<br />

her sehr verbessert.“<br />

Zum ersten Mal in Teunissens Karriere<br />

ging er auf Erfolgskurs in die Tour. Sein<br />

neues Selbstbewusstsein zeigte sich darin,<br />

dass er auf der ersten Etappe in einer<br />

Position war, den Sprint zu bestreiten,<br />

und Sagan auf der Linie abfangen konnte.<br />

„Ich dachte, ich bin noch da, ich bin<br />

noch frisch, wir können es versuchen“,<br />

sagte ein immer noch strahlender Teunissen,<br />

als er sich im Pressekonferenz-Lkw<br />

hinsetzte und nicht langweilte, obwohl<br />

ihm 45 Minuten lang dieselben Fragen<br />

gestellt wurden. Diese Geschichte wurde<br />

er nicht müde zu erzählen.<br />

„Ich fühlte mich gut, und ich dachte,<br />

nach all der Vorarbeit von den Jungs ist<br />

das Mindeste, was ich tun kann, es selbst<br />

zu versuchen. Ich hätte mir nur nie vorstellen<br />

können, dass ich das Rennen gewinne.<br />

Es ist verrückt: Du gewinnst eine<br />

Etappe der Tour de France, du holst das<br />

Gelbe Trikot. Es ist sehr lange her, dass<br />

ein Niederländer Gelb getragen hat, und<br />

es passiert für mich alles gleichzeitig. Ja,<br />

es ist unglaublich.“<br />

Teunissen<br />

war der erste<br />

Niederländer seit<br />

30 Jahren im<br />

Gelben Trikot.<br />

ETAPPE 2<br />

ENDLICH<br />

DAS<br />

RICHTIGE<br />

TEAM<br />

TONY MARTIN<br />

Die Rohre aus rostfreiem Stahl, die die<br />

neun Silberkugeln verbinden, die das<br />

Brüsseler Atomium bilden, spendeten<br />

fast keinen Schatten an der Ziellinie des<br />

Mannschaftszeitfahrens. Unterhalb davon<br />

begannen die acht Fahrer des Teams<br />

Ineos, ihre roten Plastikstühle zu verlassen<br />

– heiße Stühle im wörtlichen wie im<br />

bildlichen Sinn in Anbetracht der Nachmittagssonne.<br />

Sie hatten die Stellung fast<br />

zwei Stunden lang gehalten, nachdem sie<br />

als erstes Team auf den 27,6 Kilometer<br />

langen Kurs gegangen waren und die<br />

schnellste Zeit hingelegt hatten. Aber ein<br />

Jubelschrei vom Jumbo–Visma-Masseur,<br />

als das niederländische Team über die Linie<br />

rollte und inmitten eines Schwarms<br />

von Journalisten zum Stehen kam, bestätige,<br />

dass das lange Warten von Ineos umsonst<br />

gewesen war.<br />

Nachdem die beiden Teams als Erstes<br />

und als Letztes ins Mannschaftszeitfahren<br />

gestartet waren, rechnete man damit,<br />

als Jumbo schließlich um 17:00 Uhr an<br />

den Start ging, dass die Mannschaft Ineos<br />

den Sieg noch streitig machen könnte.<br />

Aber wenige hätten gedacht, dass sie die<br />

Zeit der Tour-Titelverteidiger um ganze<br />

20 Sekunden unterbieten würde.<br />

Vor einem Jahr war, wie Jumbo–Visma<br />

selbst sagt, das schlechte Abschneiden<br />

beim Mannschaftszeitfahren bei der Tour<br />

2018 mit ein Grund, dass Primož Roglic<br />

das Podium verpasste – er verlor an dem<br />

Tag 1:11 Minuten auf Sky und ihm fehlten<br />

59 Sekunden zu einem Podestplatz in<br />

Paris. Die Qualitäten im Mannschaftszeitfahren<br />

zu verbessern, war<br />

wichtig, wenn das Team<br />

Toursieger sein wollte. Mehr<br />

Motoren würden sicher<br />

helfen – die <strong>2019</strong>er-Neuzugänge<br />

Tony Martin und<br />

Wout Van Aert brachten<br />

sie mit – aber es fehlte nicht nur eine Steigerung<br />

der Feuerkraft. Das Team brauchte<br />

einen Talisman, der einen kühlen Kopf<br />

bewahren, das richtige Tempo vorgeben<br />

und jeden Fahrer anleiten konnte in einem<br />

Szenario, in dem jede Sekunde zählt.<br />

„Bei der Analyse nach der Tour 2018<br />

kam heraus, dass wir keinen wirklichen<br />

Tony Martin war<br />

maßgeblich am<br />

Erfolg von Jumbo–<br />

Visma im Mannschaftszeitfahren<br />

beteiligt.<br />

72 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Das niederländische Team hatte am Ende<br />

mehr als 20 Sekunden Vorsprung vor den<br />

Topfavoriten um Ineos.<br />

ETAPPE<br />

6<br />

DONNERSTAG, 11. JULI<br />

MULHOUSE › LA PLANCHE<br />

DES BELLES FILLES<br />

160,5 KM<br />

„ES WAR BEMERKENSWERT, WIE VIEL<br />

KRAFT MIKE IN SEINEN BEINEN HATTE.<br />

ER TRAT FLÜSSIG IN DIE PEDALE. DAS<br />

GELBE TRIKOT HAT AUF JEDEN FALL<br />

ETWAS MIT IHM GEMACHT.“<br />

Laurens De Plus, Jumbo–Visma<br />

3Die Anzahl<br />

der MZF-Siege<br />

von Jumbo–<br />

Visma seit der<br />

Saison 2015<br />

Anführer hatten. Wir hatten keinen<br />

Fahrer, der reif genug war, die Führung<br />

zu übernehmen und bei Situationen im<br />

Rennen kreativ zu sein“, sagte Matthieu<br />

Heijboer, der das Mannschaftszeitfahren<br />

plante, zu Procycling. „Der Schlüssel dazu<br />

war Tony Martin. Er hängt die Latte sofort<br />

sehr hoch, wenn er die erste Ablösung<br />

fährt. Er gibt das Tempo vor.“<br />

Das Mannschaftszeitfahren bei der<br />

UAE Tour im Februar war als frühes Versuchsgelände<br />

ausgegeben und beim Trainingslager<br />

in Alicante bewirkte Martin<br />

sofort etwas. „Er brachte eine ruhige Einstellung<br />

mit“, sagte Heijboer. „Er sagte:<br />

Vertraut mir, ich gebe das Tempo vor. Folgt<br />

mir einfach, und wir werden es schaffen.“<br />

Tatsächlich gewann Jumbo das Mannschaftszeitfahren<br />

der UAE Tour – erst das<br />

zweite seit Tirreno–Adriatico 2011.<br />

Einen Monat später fehlten dem Team<br />

auf der ersten Etappe von Tirreno–Adriatico<br />

nur sieben Sekunden, um Mitchelton-<br />

Scott zu schlagen – die Kurve zeigte nach<br />

oben. Aber Heijboer betonte, der Erfolg bei<br />

der Tour <strong>2019</strong> habe sich nicht über Nacht<br />

eingestellt, sondern 2015 begonnen. Auch<br />

eine Zusammenarbeit mit Professor Bert<br />

Blocken, Experte für Windkraft und Aerodynamik<br />

an der TU Eindhoven, habe sich<br />

ausgezahlt.<br />

„Wir hatten schon gute Grundlagen<br />

und gute Ergebnisse im Einzelzeitfahren“,<br />

sagte Heijboer weiter. „Wenn wir nicht<br />

diese ganze Arbeit investiert hätten, wären<br />

wir nicht so erfolgreich. Tony und<br />

Wout kamen zu uns und konnten sofort<br />

Leistung bringen.“<br />

Expertise und die Kombination der<br />

richtigen Fahrer waren nicht die einzigen<br />

Waffen, die das Team in Brüssel in seinem<br />

Arsenal hatte. Das Gelbe Trikot auf Teunissens<br />

Schultern gab dem Team auch einen<br />

nicht quantifizierbaren X-Faktor auf<br />

dem Kurs in Brüssel. Es flog förmlich.<br />

„Es war bemerkenswert, wie viel Kraft<br />

Mike in seinen Beinen hatte“, sagte Laurens<br />

De Plus nach der Etappe über die<br />

Leistung seines Teamkollegen. „Er trat<br />

flüssig in die Pedale. Das Gelbe Trikot hat<br />

auf jeden Fall etwas mit ihm gemacht.“<br />

Auch Nico Verhoeven, Sportlicher Leiter<br />

des Teams, glaubt, dass das Leibchen<br />

geholfen habe. „Vorher sagten wir, dass<br />

wir zu den Favoriten gehören und unter<br />

die ersten fünf Teams kommen, aber wenn<br />

du am Samstag gewinnst und mit Mike in<br />

Gelb fährst, spürst du einen Auftrieb. Daher<br />

scheuen wir uns jetzt nicht mehr zu<br />

sagen, dass wir gewinnen wollen.“<br />

Zum ersten Mal seit 1978, als Jan Raas<br />

das Double für TI Raleigh holte und den<br />

Prolog plus die Etappe 1A in Leiden gewann,<br />

sicherte sich Jumbo–Visma beide<br />

Siege beim Grand Départ in Brüssel.<br />

Ein extra Kilometer mit steilstem Gravel.<br />

Die neue „Super Planche“-Bergankunft<br />

auf der Planche des Belles Filles<br />

schwebte wie ein Schatten über der<br />

ersten Tour-Woche. Die Strecke ist ein<br />

klassisches Beispiel dafür, wie die Tour<br />

vermehrt steile und schwierige<br />

Passagen in ihr Profil einbaut, um die<br />

Fahrer an ihr Limit zu bringen. Zum<br />

Leidwesen von Romain Bardet: Der<br />

Franzose erlitt einen weiteren Rückschlag<br />

in seiner Tour-Karriere, als er am<br />

ersten richtigen Berg der Tour <strong>2019</strong><br />

abgehängt wurde. Als Journalist hätte<br />

man sich keine bessere Metapher<br />

ausdenken können als das, was im Ziel<br />

passierte: Gerade als Bardets Vorderrad<br />

die Ziellinie überquerte, verklemmte<br />

sich seine Kette. Das Rennen um den<br />

Sieg hatte sich da bereits ein paar<br />

Minuten früher abgespielt: Dylan Teuns<br />

und Giulio Ciccone waren die letzten<br />

Überlebenden einer Fluchtgruppe und<br />

teilten sich die Etappe nach alter<br />

Tradition auf: Etappensieg für den einen<br />

(Teuns), Gelb für den anderen (Ciccone).<br />

Für die Gesamtwertung entscheidend<br />

war jedoch, was dahinter passierte:<br />

Geraint Thomas attackierte und erwies<br />

sich als der stärkste der Klassementfahrer.<br />

Julian Alaphilippe griff ebenfalls<br />

an und bewies seine gute Form. Auch<br />

Thibaut Pinot und Emanuel Buchmann<br />

zeigten, dass mit ihnen im weiteren<br />

Tour-Verlauf zu rechnen sein würde.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Dylan Teuns Bahrain-Merida 4:29:03<br />

2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo +0:11<br />

3 Xandro Meurisse Wanty-Gobert +1:05<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 23:14:55<br />

2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:06<br />

3 Dylan Teuns Bahrain-Merida +0:32<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 144<br />

2 Michael Matthews Team Sunweb 98<br />

3 Elia Viviani Deceuninck–QS 92<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 73


ETAPPE<br />

7<br />

FREITAG, 12. JULI<br />

BELFORT ›<br />

CHALON-SUR-SAÔNE<br />

230 KM<br />

© Getty Images<br />

Eine Bummelfahrt hat in der ersten<br />

Tour-Woche Tradition. Ein Tag, an dem<br />

die Teams sich einig sind, es locker<br />

angehen zu lassen und langsam zu<br />

fahren. In diesem Jahr fiel diese Etappe<br />

auf den mit 230 Kilometern längsten<br />

Abschnitt der gesamten Tour von<br />

Belfort nach Chalon-sur-Saône. Doch<br />

was sind die Zutaten für einen solchen<br />

Tag? Eine harte Etappe am Vortag? In<br />

der Tat hatte das Peloton fünf Anstiege<br />

bis zum Ziel in Planche des Belles Filles<br />

zurückzulegen. Vielleicht ist es auch die<br />

Aussicht auf einen Massensprint? Auch<br />

hier stimmten dank der letzten 90,<br />

weitestgehend flachen, Kilometer die<br />

Vorzeichen. Und eine ungefährliche<br />

Fluchtgruppe? Yoann Offredos und<br />

Stéphane Rosettos Attacke von<br />

Kilometer null weg ist wohl perfekt<br />

dafür. Trotzdem sind solche Etappen<br />

nicht ohne Gefahren: Schmerzhaft<br />

erfahren musste das Tejay van<br />

Garderen. Als er bei voller Fahrt etwas<br />

an seinem Rad checken wollte, knallte<br />

er gegen einen Metallpfosten.<br />

Am nächsten Tag ging er nicht mehr<br />

an den Start. Action in das Feld kam<br />

erst im Finale, als die Sprintzüge<br />

aufwachten und Dylan Groenewegen<br />

nach 6:02:44 Stunden die Ziellinie<br />

überquerte. Ein typisch langer Tag eben,<br />

wie er in der ersten Woche der Tour de<br />

France mittlerweile Tradition hat.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Dylan Groenewegen Jumbo–Visma 6:02:44<br />

2 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />

3 Peter Sagan Bora–hansgrohe gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 29:17:39<br />

2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:06<br />

3 Dylan Teuns Bahrain Merida +0:32<br />

BERGWERTUNG<br />

1 Tim Wellens Lotto Soudal 43<br />

2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 30<br />

3 Xandro Meurisse Wanty-Gobert 27<br />

ETAPPE 7<br />

DIE BESTEN<br />

LIEFERN<br />

IMMER<br />

DYLAN GROENEWEGEN<br />

Es war Samstagabend am 6. Juli,und<br />

nichts war gelaufen, wie Dylan Groenewegen<br />

es sich vorgestellt hatte. Der<br />

erste Tag der Tour war vorbei und sein<br />

Jumbo–Visma-Team hatte gewonnen.<br />

Nur, dass sein Zimmergenosse Mike<br />

Teunissen im Bett neben ihm das Gelbe<br />

Trikot trug, das Trikot, von dem alle<br />

dachten, es wäre seins. Groenewegen trug<br />

an dem Abend nur schmerzhafte Hautabschürfungen,<br />

nachdem er in Brüssel gestürzt<br />

und aus dem Rennen war.<br />

Während der ganzen Vorbereitung auf<br />

die Tour hatte es danach ausgesehen, dass<br />

Groenewegen die Eröffnungsetappe gewinnen<br />

und sich damit das erste Gelbe<br />

SIEGE<br />

<strong>2019</strong><br />

Mit den vier Erfolgen<br />

bei der Tour<br />

wuchs das Siegeskonto<br />

von Jumbo–<br />

Visma <strong>2019</strong> auf<br />

39 Erfolge. Der<br />

erfolgreichste<br />

Fahrer des Teams<br />

ist bis dato Dylan<br />

Groenewegen.<br />

39<br />

SIEGE<br />

<strong>2019</strong><br />

5<br />

Groenewegen<br />

Van Aert<br />

Teunissen<br />

Trikot überstreifen würde. Er war der<br />

formstärkste Sprinter der Saison, hatte<br />

bis Juli zehn Siege geholt – fünf davon in<br />

den letzten zwei Wochen vor der Tour. Zu<br />

sagen, das Pendel habe in seine Richtung<br />

ausgeschlagen, wäre eine Untertreibung<br />

– selbst das Team erwartete fast von ihm,<br />

dass er gewinnt. Aber die Dinge können<br />

sich bei der Tour in einem Sekundenbruchteil<br />

ändern.<br />

Das Rennen lässt den Fahrern keine<br />

Zeit, ihre Wunden zu lecken, besonders<br />

wenn man Sprinter ist. Drei Tage später,<br />

auf der vierten Etappe nach Nancy, musste<br />

sich Groenewegen wieder aufrappeln<br />

und es erneut versuchen. Aber es lief<br />

immer noch nicht richtig, und die<br />

Schmerzen vom Samstag wirkten<br />

nach. Er war im Finale ungewöhnlich<br />

weit hinten positioniert und kam nur<br />

4 auf den fünften Platz. Die Kameras<br />

schwenkten auf den Jumbo-Mannschaftsbus.<br />

Ein niedergeschlagener Groenewegen,<br />

mit hängendem Kopf, als er sich<br />

auf der Rolle abwärmte, musste eine Frage<br />

nach der anderen beantworten, warum er<br />

nicht gewonnen habe – wieder einmal.<br />

Trotzdem verstehen es Topathleten,<br />

das Blatt zu wenden, insbesondere wenn<br />

sie mit Widrigkeiten konfrontiert sind.<br />

11<br />

74 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JUMBO–VISMA<br />

Groenewegen holte sich seinen ersehnten<br />

Etappensieg im Massensprint auf der<br />

siebten Etappe.<br />

Groenewegen war vor einem Jahr in derselben<br />

Position, als die erste Tour-Woche zu<br />

Ende ging und sein eingeplanter Sieg sich<br />

nicht eingestellt hatte. Dann landete er, als<br />

niemand mit ihm rechnete, auf den Etappen<br />

sieben und acht zwei Siege hintereinander.<br />

Zwölf Monate später riss Groenewegen<br />

auf derselben siebten Etappe, dieses<br />

Mal in Chalon-Sur-Saône, das Ruder wieder<br />

herum.<br />

Die Fahrer mussten einen Extrakilometer<br />

am Ufer der Saône radeln, um nach<br />

dem Sieg des Holländers zu ihren Mannschaftsbussen<br />

zurückzukommen. Als<br />

sich Reporter und Fans vor dem Jumbo–<br />

Visma-Bus versammelten, stand Generalmanager<br />

Richard Plugge ein paar Meter<br />

weiter am Mannschaftswagen, sodass die<br />

erste Person, die die Fahrer sahen, wenn<br />

sie auf den Rempart Saint Marie einbogen,<br />

er war. Er verteilte Umarmungen,<br />

Handschläge und Glückwünsche an alle,<br />

als sie eintrafen.<br />

In Interviews wollte Groenewegen nicht<br />

viel dazu sagen, ob es mental schwer für<br />

ihn gewesen sei, seinen Teamkollegen die<br />

Etappe gewinnen zu sehen, die seine hätte<br />

sein sollen, und wie er darüber hinwegkommen<br />

sei und wenige Tage später gewonnen<br />

habe. Aber Plugge sagte, das<br />

Team habe das Thema nicht gescheut.<br />

„Unsere Sportdirektoren haben Wert darauf<br />

gelegt, darüber zu sprechen, denn es<br />

muss auch Raum für seine Enttäuschung<br />

sein. Sie haben viel mit ihm darüber gesprochen,<br />

auch mit Mike. Sie teilen sich<br />

ein Zimmer, daher gab es ein gutes Gespräch.<br />

Er ist jemand, der durch ‚eine<br />

Wand‘ gehen kann, und er kommt zurück,<br />

wenn er eine Enttäuschung wie auf der<br />

ersten Etappe erlebt. Er ist jemand, der<br />

sagt: Morgen schlage ich zurück.“<br />

Das überwältigende Gefühl am Jumbo-<br />

Bus nach Groenewegens Sieg war Freude,<br />

aber für Groenewegens Sprintanfahrer Armund<br />

Grøndhal Jansen war das erste Gefühl<br />

nach der siebten Etappe reine Erleichterung.<br />

„Ich arbeite seit zwei Jahren bei<br />

der Tour für ihn, für mich ist das fast der<br />

Grund, warum ich hier bin“, sagte der<br />

Norweger, der nur einmal kurz aufhörte<br />

zu lächeln, um etwas zu trinken.<br />

„Ich bin hier, um Dylan zu helfen, Etappen<br />

zu gewinnen, und ich hätte nicht nach<br />

Hause fahren können, ohne dass er gewonnen<br />

hätte.“<br />

ETAPPE 10<br />

DER JEDI<br />

WIRD<br />

MEISTER<br />

WOUT VAN AERT<br />

Wout Van Aert stieg vom Rad, als er die<br />

Ziellinie in Albi auf der zehnten Etappe<br />

überquert hatte, und ließ sich auf den<br />

Lenker sinken, die Hände vors Gesicht<br />

geschlagen und nach Atem ringend. Sein<br />

Betreuer reichte ihm ein Getränk, das er<br />

schnell weggluckerte, bevor die Bestätigung<br />

kam, dass er die Etappe gewonnen<br />

hatte. Van Aert war mit einem Tigersprung<br />

einige Zentimeter vor Elia Viviani<br />

über die Linie gehechtet, bevor er die<br />

Arme jubelnd hochriss und einen lauten<br />

Jubelschrei ausstieß.<br />

Der Belgier war schon vor der Tour der<br />

Goldjunge seines Heimatlandes gewesen<br />

– drei Cross-Weltmeistertitel bis zum<br />

23. Lebensjahr erheben jeden Fahrer in<br />

den Superstar-Status. Als feststand, dass<br />

Van Aert <strong>2019</strong> zu Jumbo–Visma wechselte<br />

und in Vollzeit auf WorldTour-Niveau<br />

auf der Straße fahren würde, waren die<br />

Erwartungen himmelhoch, was er auch<br />

dort würde erreichen können. Noch höher<br />

wurden die Erwartungen dann nach seinem<br />

hervorragenden Frühjahr: Dritter<br />

beim Strade Bianche, Sechster bei Mailand–San<br />

Remo, Zweiter bei E3 Binck-<br />

Bank. Beim Critérium du Dauphiné gewann<br />

er zwei Etappen in Folge. Der<br />

schnelle Weg zum Tour-Debüt folgte.<br />

Man vergisst angesichts seines Palmarès<br />

leicht, dass Van Aert erst 24 und<br />

bei Straßenrennen auf höchstem Niveau<br />

ziemlich unerfahren ist. Es ist bemerkenswert,<br />

dass die Tour erst das dritte World-<br />

Tour-Etappenrennen ist, an dem er je teilgenommen<br />

hat. Angesichts des Hypes und<br />

Getöses könnte es leicht passieren, dass<br />

er unter diesem Druck einbricht oder die<br />

Schlagzeilen echten Resultaten im Weg<br />

stehen. Sein Intermezzo im Weißen Trikot<br />

zu Beginn der Tour brachte ihm noch<br />

mehr Aufmerksamkeit, bevor ein zweiter<br />

Platz hinter Sagan auf der fünften Etappe<br />

die Dinge weiter intensivierte.<br />

Das Jumbo-Management versichert,<br />

dass das Team keinen Platz für Egos habe,<br />

4Die Zahl der<br />

Siege von<br />

Wout Van<br />

Aert in <strong>2019</strong><br />

dass Fahrer gleich behandelt würden –<br />

ungeachtet ihres Status’. „Er ist bereits<br />

Weltmeister im Cyclocross, er versteht es,<br />

mit Druck umzugehen. Aber auf der anderen<br />

Seite mussten wir uns auf seine Entwicklung<br />

auf der Straße konzentrieren und<br />

haben versucht, ihm dabei zu helfen“, erklärte<br />

Plugge. „Und das hat funktioniert,<br />

denn bei der Tour de France ist alles ganz<br />

anders als im Cyclocross, da sind viel mehr<br />

Fahrer, daher muss der Prozess gut sein.“<br />

Die Tour ging gerade erst in ihren ersten<br />

Ruhetag, aber das Rennen war mehr als<br />

ein Erfolg für Jumbo. Vier Etappensiege<br />

entsprachen der besten Ausbeute seit<br />

Langem – so viele Erfolge hatte das Team<br />

zuletzt 20<strong>09</strong> gefeiert.<br />

„Das ist viel mehr, als wir gehofft hatten“,<br />

sagte auch ein strahlender Wout Van<br />

Aert über die herausragende erste Woche<br />

des niederländischen Teams.<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 75


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

WOCHE 1<br />

D I E<br />

SCHWERSTE WOCHE<br />

Die erste Woche der Tour war eine der besten seit Jahren.<br />

Procycling analysiert, was das Rennen so spannend gemacht hat.<br />

Text Sam Dansie<br />

Fotografie Getty Images<br />

© Gruber Images<br />

76 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 77


ETAPPE<br />

8<br />

SAMSTAG, 13. JULI<br />

MÂCON › SAINT-ÉTIENNE<br />

200 KM<br />

Abgesehen davon, dass er beim Giro<br />

2012 Dritter wurde, trat Thomas De<br />

Gendt im Klassement bei großen<br />

Rundfahrten nie in Erscheinung. Er war<br />

schon immer eher ein Baroudeur. Als<br />

junger Fahrer für Topsport Vlaanderen<br />

und Vacansoleil unterwegs, brachte ihm<br />

seine unbeherrschte Art nur wenig<br />

Freunde ein. Jetzt ist er selbst ein<br />

Veteran. Er hat zahlreiche Erfolge zu<br />

verzeichnen, und die Angriffe von De<br />

Gendt werden nun von seinen Kollegen<br />

mit Ehrfurcht und Respekt aufgenommen.<br />

André Greipel, ehemaliger<br />

Teamkollege, beglückwünschte den<br />

Belgier zu seinem Sieg in Saint-Étienne<br />

– nicht überraschend, denn es war<br />

wahrscheinlich einer der besten Tage<br />

in De Gendts Karriere überhaupt.<br />

Er hatte mit Alessandro De Marchi, Ben<br />

King und Niki Terpstra angegriffen und<br />

einen Abstand von bis zu fünf Minuten<br />

herausgefahren. Aber da das Gelbe<br />

Trikot durch Bonussekunden in Gefahr<br />

war, wurde der Vorsprung am Ende<br />

des letzten Anstiegs schnell auf<br />

90 Sekunden reduziert. De Gendts<br />

Führung im Klassement erledigte sich<br />

durch den Angriff von Pinot und<br />

Alaphilippe, aber der Belgier fand neue<br />

Reserven, um seinen Etappensieg zu<br />

sichern. Es ist selten, dass ein Ausreißversuch<br />

überlebt, wenn es ums<br />

Klassement geht, aber wenn diese<br />

Flucht De Gendt beinhaltet, lohnt es sich,<br />

genauer hinzusehen.<br />

D<br />

ie schwerste erste Tour-Woche<br />

überhaupt – das war Daryl Impeys<br />

Bewertung der ersten<br />

Woche nach seinem Erfolg in<br />

Brioude. Eine kleine Übertreibung sei ihm<br />

zugestanden: Nachdem er eine Karriere<br />

lang auf der Jagd nach einem Tour-Etappensieg<br />

gewesen war, hatte ihm ein Tag in<br />

der Ausreißergruppe in Gesellschaft von<br />

14 starken Fahrern den Erfolg gebracht,<br />

aber es war ein Gefühl, das vom Peloton<br />

geteilt wurde.<br />

Am zweiten Morgen eines Trios von<br />

Etappen im Zentralmassiv sagte Thibaut<br />

Pinots Groupama-FDJ-Bodyguard Stefan<br />

Küng: „Wir reden immer von den Hochgebirgsetappen<br />

und wie schwer sie sind, aber<br />

diese Art von Etappen ist schwerer, weil<br />

man die Anstiege schneller fährt, weil sie<br />

kürzer sind. Und wenn eine starke Ausreißergruppe<br />

vorn ist und einige Teams hinten<br />

Interesse an einem Sprint haben, wird<br />

Vollgas gefahren.“ Am Tag zuvor war das<br />

Peloton mehr als 3.700 Meter geklettert,<br />

die auf sieben kategorisierte und zahlreiche<br />

nicht kategorisierte Anstiege verteilt waren.<br />

Aber während er in Saint-Flour lässig<br />

an der Motorhaube eines Bora–hansgrohe-<br />

Wagens lehnte, blies Enrico Poitschke, der<br />

Leitende Sportdirektor des Teams, die<br />

Wangen auf und verwies auf das kurze<br />

Gedächtnis der Fahrer. „Jedes Jahr ist<br />

hart!“, attestierte er ihnen die Neigung,<br />

vergangene Strapazen zu vergessen. „Vielleicht<br />

vergessen die Jungs die Anstrengungen<br />

sehr schnell. Sie müssen sich voll<br />

konzentrieren und in der besten Form<br />

sein, damit sie um den Sieg kämpfen können“,<br />

sagte er.<br />

Alaphilippe genießt<br />

sein Gelbes<br />

Trikot, das er nach<br />

der dritten Etappe<br />

zum ersten Mal<br />

überstreifen durfte.<br />

Es bestand Einigkeit, dass die Eröffnungswoche<br />

der Tour <strong>2019</strong> eine Achterbahnfahrt<br />

war. Als der erste Akt nach zehn<br />

Tagen abgeschlossen war, hatten neun<br />

verschiedene Fahrer eine Etappe gewonnen<br />

und das Gelbe Trikot hatte viermal<br />

den Besitzer gewechselt. Und trotz eines<br />

von Deceuninck–Quick-Step und Ineos<br />

initiierten Überfalls bei Seitenwind auf<br />

den letzten 30 Kilometern der Etappe<br />

nach Albi lagen die Top Ten nur gut zwei<br />

Minuten auseinander. So passte es, dass<br />

die Eröffnungswoche damit endete, dass<br />

der Weltranglistenerste Julian Alaphilippe<br />

in der Champagne gewann.<br />

Im Folgenden haben wir die Gründe für<br />

diesen schwierigen Tour-Auftakt zusammengefasst.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Thomas De Gendt Lotto Soudal 5:00:17<br />

2 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:06<br />

3 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS gl. Zeit<br />

ATTACKE! WICHTIGE ANGRIFFE<br />

IN DEN ERSTEN ZEHN TAGEN<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 34:17:59<br />

2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo +0:23<br />

3 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:53<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 204<br />

2 Michael Matthews Team Sunweb 144<br />

3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 129<br />

3. ETAPPE JULIAN<br />

ALAPHILIPPE, ÉPERNAY<br />

DISTANZ ZUM ZIEL:<br />

16 KM<br />

Alaphilippe nutzte die 12,2 Prozent<br />

steile Côte de Mutigny, um in dem<br />

Moment zu entwischen, in dem die<br />

frühe Ausreißergruppe neutralisiert<br />

wurde. Er fuhr 26 Sekunden<br />

heraus und erobert auf diesem<br />

Weg das Gelbe Trikot.<br />

6. ETAPPE DYLAN<br />

TEUNS, SUPER<br />

PLANCHE DISTANZ<br />

ZUM ZIEL: 160 KM<br />

Eine elfköpfige Ausreißergruppe<br />

setzte sich kurz nach dem Start in<br />

Mülhausen ab. Dylan Teuns und<br />

Giulio Ciccone waren die letzten<br />

Überlebenden und behielten eine<br />

Minute Vorsprung. Teuns gewann<br />

die Etappe.<br />

8. ETAPPE THOMAS DE<br />

GENDT, SAINT-ÉTIENNE<br />

DISTANZ ZUM ZIEL:<br />

200 KM<br />

Der Belgier setzte sich nach dem<br />

Start in Mâcon mit einem starken<br />

Quartett ab. De Gendt setzte am<br />

Schlussanstieg zwölf Kilometer<br />

vor dem Ende mit 1:30 Minuten<br />

Vorsprung zu einem Solo an und<br />

rettete sich hauchdünn ins Ziel.<br />

78 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

WOCHE 1<br />

FROOME<br />

FEHLTE<br />

K<br />

önnte man argumentieren,<br />

dass das Team Ineos nicht so<br />

stark war wie in früheren Jahren<br />

und dass das zu einem<br />

besseren Rennen beitrug? Möglicherweise.<br />

Im Anstieg nach Planche des Belles<br />

Filles schrumpfte ihr burgunderroter<br />

Bergzug früh auf drei Fahrer zusammen<br />

– und zwei davon waren mutmaßliche<br />

Co-Kapitäne. Wie Astana-Fahrer Pello<br />

Bilbao sagte, konnte Ineos das Rennen<br />

nicht so kontrollieren wie in früheren Jahren.<br />

Er konkretisierte: „Wir haben in der<br />

Mannschaft darüber gesprochen, und<br />

Ineos kann das Rennen offensichtlich<br />

nicht so leicht dominieren. Vielleicht ist<br />

der Unterschied zwischen Ineos und anderen<br />

Teams nicht mehr so groß.“<br />

Das Team Astana bekam dann bei Seitenwind<br />

auf dem Weg nach Albi eine bö -<br />

se Abreibung verpasst. Eine ungünstig<br />

platzierte Verpflegungszone ließ sie im<br />

Windkantenrennen den Anschluss verpassen<br />

– eine Situation, die Jakob Fuglsang<br />

1:40 Minuten kostete. Eine hitzige<br />

Auseinandersetzung zwischen Fuglsangs<br />

Masseur Christian Valente und dem<br />

Sportlichen Leiter im Auto kochte in Al -<br />

bi über. „Es war bitter, 1:40 Minuten zu<br />

verlieren, wenn du jeden Tag um fünf Sekunden<br />

kämpfst“, sagte Bilbao. „Ineos<br />

hat nicht die Power gezeigt, die das Team<br />

in den vergangenen Jahren hatte, aber<br />

dann hat es im richtigen Moment, wie<br />

gestern, beide Kapitäne vorn, und fuhr<br />

sehr, sehr stark.“<br />

Aber Bilbao versicherte, dass etwas<br />

anders war. Vielleicht war es das Fehlen<br />

von Chris Froome, der verletzungsbedingt<br />

nicht teilnehmen konnte. „Wenn Froome<br />

bei einem Rennen ist, scheinen alle auf<br />

ihn zu warten und darauf, wann er sei -<br />

nen Angriff setzt“, sagte Bilbao. „Er ist<br />

der Fahrer, der den größten Ausschlag<br />

geben kann, wie er letztes Jahr am Finestre<br />

beim Giro d’Italia gezeigt hat. In gewisser<br />

Weise blockiert er vielleicht das Rennen,<br />

besonders, wenn er ein starkes Team<br />

hat, das den Verlauf des Rennens kontrollieren<br />

kann.“<br />

DAS ZENTRALMASSIV<br />

D<br />

ie diesjährige Route führte<br />

durch das wellige Terrain der<br />

Champagne mit ihren Weinbergen,<br />

die Vogesen, dann<br />

weiter südlich durch das Beaujolais, die<br />

Monts du Lyon, das Zentralmassiv und<br />

seine südlichen Ausläufer in Aveyron und<br />

Tarn. Der aus der Gegend – genauer gesagt<br />

aus Rodez – stammende AG2R-La-Mondiale-Fahrer<br />

Alexandre Geniez, der das<br />

Rennen von einem Trainingslager in den<br />

Alpen aus verfolgte, sagte: „Ich glaube,<br />

die wenigsten Teams haben mit einem<br />

so schweren Rennen gerechnet.“<br />

Er fügte hinzu: „Ich glaube, es ist eine<br />

gute Idee, früh ins Zentralmassiv zu gehen,<br />

denn normalerweise, wenn das Rennen<br />

später dorthin kommt, sind Berge wie<br />

die Pyrenäen und Alpen schon vorbei und<br />

die Gesamtwertung ist schon etabliert.“<br />

Bei den letzten drei Besuchen wurde<br />

das Zentralmassiv auf der 14. Etappe<br />

(2018), der achten Etappe (2017) und<br />

der fünften Etappe (2016) befahren. Ein<br />

Unterschied: das Fehlen einer Hügelankunft.<br />

Stattdessen entwarf Streckenchef<br />

Thierry Gouvenou hügelige Etappen mit<br />

flachen Finalen.<br />

Welliges Terrain zu finden in der Hoffnung,<br />

die Klassementfahrer aus der Reserve<br />

zu locken, ist nicht neu, aber in<br />

diesem Jahr war auf dem Plateau des Zentralmassivs<br />

ein Großteil der Route zwischen<br />

400 und 850 Meter hoch, was<br />

viel hügeliger ist als das Terrain, das man<br />

antrifft, wenn die Tour de France in den<br />

Westen führt. „Die meiste Zeit geht es<br />

über schmale Straßen und es ist nie flach“,<br />

sagte Geniez weiter. „Die Straßen führen<br />

immer im Zickzack und es kann heiß und<br />

windig sein.“<br />

Hat die Tour vielleicht ein Rezept gefunden,<br />

um ein hypertrainiertes Peloton<br />

aufzubrechen, in dem, wie Lotto-Fahrer<br />

Jens Keukeleire sagte, „alle bei 100 Prozent“<br />

sind? Im letzten Jahr hatten am<br />

ersten Ruhetag nach der neunten Etappe<br />

nur zwei Fahrer mehr als eine Stunde<br />

Rückstand auf das Gelbe Trikot. In diesem<br />

Jahr kam der Ruhetag einen Tag später,<br />

aber stolze 86 Fahrer wiesen mehr als<br />

60 Minuten Rückstand auf Gelb auf.<br />

Das Zentralmassiv hielt zahlreiche giftige<br />

Anstiege für das Peloton bereit.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 79


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

WOCHE 1<br />

FRANZÖSISCHE ALLIANZ<br />

Julian Alaphilippe<br />

und Thibaut Pinot<br />

attackierten auf<br />

der achten Etappe<br />

gemeinsam.<br />

B<br />

ora–hansgrohe-Sportdirektor<br />

Enrico Poitschke wollte die<br />

Behauptung, die Eröffnungswoche<br />

der Tour <strong>2019</strong> sei die<br />

schwerste aller Zeiten gewesen,<br />

so nicht stehen lassen. Er räumte<br />

jedoch ein: „Viele Teams haben verschiedene<br />

Optionen und verschiedene Ziele –<br />

und das ist uns sehr wichtig.“<br />

Als er das sagte – an dem Vormittag, an<br />

dem die Tour Saint-Flour verließ und sich<br />

auf ihren windigen Weg nach Albi machte –,<br />

war er ein ziemlich zufriedener Mann. Im<br />

Laufe der ersten Tour-Woche war für das<br />

deutsche Team ein Etappensieg herausgesprungen<br />

und es hatte das Grüne Trikot mit<br />

Minctis esequi<br />

sus aliquCearum<br />

fugit, optaturem<br />

quis etur? Lit veliqui<br />

occae pra<br />

ATTACKE! WICHTIGE ANGRIFFE<br />

IN DEN ERSTEN ZEHN TAGEN<br />

8. ETAPPE<br />

ALAPHILIPPE, SAINT-<br />

ETIENNE DISTANZ ZUM<br />

ZIEL: 12 KM<br />

Julian Alaphilippe attackierte mit<br />

Thibaut Pinot am Hinterrad an<br />

der Côte de Jaillère. Die beiden<br />

Franzosen arbeiteten gut<br />

zusammen und setzten sich vom<br />

Peloton ab. Die Lücke zu De Gendt<br />

konnten sie am Ende aber nicht<br />

mehr schließen.<br />

9. ETAPPE DARYL<br />

IMPEY, BRIOUDE<br />

DISTANZ ZUM ZIEL:<br />

150 KM<br />

Die 14-köpfige Ausreißergruppe<br />

mit Daryl Impey fuhr einen entscheidenden<br />

Vorsprung heraus.<br />

An der Côte de Saint-Just 13 Kilometer<br />

vor dem Ziel attackierte<br />

Benoot mit Jasper Stuyven. Impey<br />

schloss zu ihnen auf und gewann<br />

den Sprint.<br />

Peter Sagan immer fester im Griff. „Ich<br />

glaube, wir haben es sehr gut gemacht.“<br />

Er fügte hinzu: „Bei vielen Etappen ging<br />

es darum, um Positionen zu kämpfen. Ich<br />

habe keine Fehler gesehen.“ Und am Ende<br />

des Tages war er noch glücklicher: Sein<br />

Hoffnungsträger für die Gesamtwertung,<br />

Emanuel Buchmann, war heil aus dem Seitenwind<br />

hervorgegangen, nachdem er auf<br />

den von Deceuninck–Quick-Step und Ineos<br />

angetriebenen D-Zug aufgesprungen war,<br />

der das Peloton zerriss und Thibaut Pinot,<br />

Jakob Fuglsang, Rigoberto Urán und Richie<br />

Porte 1:40 Minuten kostete. Im Ziel lag<br />

Buchmann nur 33 Sekunden hinter Geraint<br />

Thomas in der Gesamtwertung.<br />

Es war eine gute Woche für spannende<br />

Taktiken. Bis zum Seitenwind auf der<br />

zehnten Etappe war die achte Etappe nach<br />

Saint-Etienne die beste gewesen: Eine<br />

ausreißerfreundliche Etappe, die vier starke<br />

Fahrer nutzten – einige ausgewiesene<br />

Fluchtspezialisten des Pelotons: Thomas<br />

De Gendt, sein Double Alessandro De<br />

Marchi, Ben King und Niki Terpstra. Dahinter<br />

hatte Überraschungsspitzenreiter<br />

Giulio Ciccone sechs Sekunden Vorsprung<br />

auf Julian Alaphilippe. Es gab einen Bonussprint<br />

12,5 Kilometer vor dem Ziel<br />

auf der Kuppe der Côte de la Jaillère, die<br />

1,9 Kilometer lang und 7,6 Prozent steil<br />

war. Ein solches Szenario war perfekt für<br />

das Rennen. „Das ganze Peloton wusste,<br />

dass Alaphilippe attackieren würde“, sagte<br />

Michał Kwiatkowski am nächsten Tag.<br />

10. ETAPPE WOUT<br />

VAN AERT, ALBI<br />

DISTANZ ZUM ZIEL:<br />

30 KM<br />

Ineos und Deceuninck schwärmten<br />

bei Seitenwind nach vorn und<br />

rissen das Feld mit den Favoriten<br />

in zwei Teile. Mehrere Klassementfahrer<br />

landeten auf der falschen<br />

Seite – unter anderem Thibaut<br />

Pinot und Jakob Fuglsang. Wout<br />

Van Aert gewann den Sprint.<br />

Dann stürzte der Ineos-Zug in einer<br />

schnellen Rechtskurve vor dem Anstieg.<br />

Geraint Thomas schloss zwar rasch wieder<br />

auf, aber da war Pinot schon mit<br />

Alaphilippe entwischt, um die Zeitgutschriften<br />

einzuheimsen, und De Gendt<br />

war immer noch vorn. De Gendt gewann<br />

und Pinot und Alaphilippe fuhren 20 Sekunden<br />

vor dem Feld ins Ziel. Vorteil<br />

Frankreich: Alaphilippe machte die nötige<br />

Zeit gut, um Giulio Ciccone das Gelbe<br />

Trikot wieder abzunehmen, und Pinot<br />

war auf den dritten Platz der Gesamtwertung<br />

geklettert.<br />

Küng fasste es gut zusammen, als er<br />

sagte: „Es gab mehrere Rennen im Rennen,<br />

und am Ende kam Thomas De Gendt<br />

mit einem superben Ritt durch. Und es<br />

gab auch das Interesse, dass Alaphilippe<br />

das Gelbe Trikot zurückholte – es war<br />

sicher, dass er attackieren würde, und<br />

glücklicherweise konnte Thibaut darauf<br />

reagieren“, sagte der Schweizer.<br />

„Wenn du die Teams siehst, die Tempo<br />

machten: Es waren Trek für das Gelbe Trikot,<br />

dann Sunweb und Bora für den Etappensieg<br />

und dann Astana und EF, um das<br />

Rennen schwer zu machen für Fuglsang<br />

und Woods – das hat die Etappe wirklich<br />

schwer gemacht.“<br />

80 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


ETAPPE<br />

9<br />

SONNTAG, 14. JULI<br />

SAINT-ÉTIENNE › BRIOUDE<br />

170,5 KM<br />

Lotto Soudal<br />

schickte seine<br />

Fahrer in der<br />

ersten Tour-Woche<br />

ständig in die<br />

Spitzengruppen.<br />

4Etappensiege<br />

aus Fluchtgruppen<br />

während der<br />

ersten zehn<br />

Tage<br />

AUF SIEG<br />

SPIELEN<br />

F<br />

ür den Juli schmückte sich die<br />

staatliche belgische Lotterie<br />

mit einem Logo mit gelbem<br />

Laufrad und dem Slogan „Tour<br />

de Chance“. Es war das Motto, nach dem<br />

das Team, das man sponsert, Lotto Soudal,<br />

lebte. Wenn es ein Sprint war, arbeitete<br />

das Team für Caleb Ewan, aber an allen<br />

anderen Tagen brachte es einen Fahrer in<br />

der Ausreißergruppe unter. Bis zur zehnten<br />

Etappe hatten drei Fahrer – De Gendt,<br />

Tim Wellens und Tiesj Benoot – insgesamt<br />

fast 950 Kilometer in Ausreißergruppen<br />

verbracht. Das Team hatte eine<br />

Etappe gewonnen, acht Tage lang das<br />

Bergtrikot getragen, viermal den Prix de<br />

la Combativité verliehen bekommen und<br />

Ewan war bei jedem Sprint in die Top Drei<br />

gefahren. Sein Durchbruch kam, als er die<br />

elfte Etappe in Toulouse gewann.<br />

Nach De Gendts Etappensieg, den er<br />

als schönsten seiner Karriere bezeichnete,<br />

sagte Lotto-Manager Marc Sergeant: „Jamais<br />

vu!“ – Beispiellos! Das Team konnte<br />

seine Tour bereits als Erfolg betrachten.<br />

Sergeant sagte zu Procycling: „Andere<br />

Sportliche Leiter haben mir gesagt, sie<br />

wollten bis zur letzten Woche warten,<br />

aber warum warten? In der letzten Woche<br />

wollen alle in der Ausreißergruppe sein<br />

und dann hast du Gruppen mit 30 Fahrern.<br />

In der letzten Woche hat die Gesamtwertung<br />

schon Gestalt angenommen,<br />

und dann lassen sie 30 Jungs, die<br />

15, 20 oder mehr Minuten Rückstand<br />

haben, fahren. Aber du weißt nie, was<br />

passiert. Wir warten nicht darauf.“<br />

Am nächsten Tag ging Benoot in eine<br />

starke Ausreißergruppe und hätte den<br />

Sieger Impey auf dem letzten Kilometer<br />

fast noch abgeschüttelt. Dann gewann<br />

Impey als vierter Fahrer aus einer Ausreißergruppe<br />

vor dem ersten Ruhetag in<br />

diesem Jahr – eine Zahl, die seit der<br />

20<strong>09</strong>er-Auflage des Rennens nicht mehr<br />

erreicht wurde.<br />

Sergeant fügte hinzu: „Ich verstehe die<br />

Teams mit einem Klassementfahrer, aber<br />

wenn man keinen hat, muss man in die<br />

Ausreißergruppen gehen, attackieren und<br />

sich blicken lassen. Als De Gendt gewann,<br />

hat es in Belgien niemanden mehr auf seinem<br />

Sitz gehalten. Und das sind die Emotionen,<br />

die wir für den Sponsor brauchen.“<br />

Das Profil der neunten Etappe zwischen<br />

Saint-Étienne und Brioude deutete<br />

bereits die Möglichkeiten für eine<br />

Ausreißergruppe an. So bildete sich<br />

auch nur wenige Kilometer nach dem<br />

Start eine 14-köpfige Gruppe, die Fahrer<br />

fast aller Teams beinhaltete – etwa<br />

Oliver Naesen, Marc Soler und den<br />

späteren Gewinner, Daryl Impey. Das<br />

Team von Impey, Mitchelton-Scott, hatte<br />

diese Etappe für Impey oder seinen<br />

Teamkollegen Matteo Trentin vorgesehen.<br />

Julian Dean, der Sportdirektor des<br />

Teams, erklärte, dass neben der<br />

Konzentration auf Adam Yates’<br />

Gesamtplatzierung so etwas der Druck<br />

vom Team genommen wurde. Nach und<br />

nach reduzierte sich die Gruppe auf die<br />

stärksten Fahrer des Tages. An der Côte<br />

de Saint-Juste, 13 Kilometer vor dem Ziel,<br />

gingen Tiesj Benoot und Nicolas Roche<br />

in die Offensive. Roche musste jedoch<br />

Tempo herausnehmen und Impey, der<br />

seine Karriere als Sprinter begonnen<br />

hatte, konnte auf die beiden aufschließen.<br />

Als er sie eingeholt hatte, war<br />

Roche erschöpft, also war er mit Benoot<br />

alleine vorn. Besser hätte es Impey nicht<br />

treffen können, da er der deutlich stärkere<br />

Sprinter für dieses Finale war. So war<br />

sein Sieg auf der Ziellinie gegen<br />

Benoot nur die Kür einer sonst<br />

anstrengenden Etappe.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Daryl Impey Mitchelton-Scott 4:03:12<br />

2 Tiesj Benoot Lotto Soudal gl. Zeit<br />

3 Jan Tratnik Bahrain Merida +0:10<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 38:37:36<br />

2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo +0:23<br />

3 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:53<br />

BERGWERTUNG<br />

1 Tim Wellens Lotto Soudal 43<br />

2 Thomas De Gendt Lotto Soudal 37<br />

3 Guilio Ciccone Trek-Segafredo 30<br />

© Kramon (groß)<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 81


ETAPPE<br />

10<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

WOCHE 1<br />

MONTAG, 15. JULI<br />

SAINT-FLOUR › ALBI<br />

217,5 KM<br />

Frankreich liebt seine Kreisverkehre.<br />

Mehr als 30.000 gibt es im ganzen Land.<br />

Man sollte also denken, dass französische<br />

Fahrer ein gewachsenes Gespür<br />

dafür besitzen, den schnellsten Weg<br />

durch sie zu finden. Doch Thibaut Pinot<br />

von Groupama-FDJ war einer der<br />

Verlierer, als die Spitze des Pelotons mit<br />

Seitenwind einen großen Kreisverkehr<br />

rund 30 Kilometer nördlich von Albi<br />

erreichte. Als Ineos den langen – also<br />

falschen – Weg um den Kreisel fuhr und<br />

einige der Klassementfahrer folgten,<br />

hatte das britische Team ausreichend<br />

Kraft, diesen Fehler sofort zu korrigieren.<br />

Als es zurück an die Spitze kam,<br />

schloss es sich direkt mit Deceuninck-<br />

Quick-Step zusammen, und während<br />

einer französischen TV-Werbepause<br />

hatte sich das Peloton in zwei Teile<br />

geteilt. Geraint Thomas, Egan Bernal und<br />

Julian Alaphilippe hielten das Tempo<br />

bewusst hoch, während Richie Porte,<br />

Pinot, Jakob Fuglsang und Rigoberto<br />

Urán Zeit auf ihre Konkurrenten<br />

verloren. Fuglsangs Teamkollege Luis<br />

León Sánchez versuchte zwar, die erste<br />

Gruppe einzuholen, doch die Lücke<br />

wurde nicht geschlossen und wuchs<br />

auf 1:40 Minuten an. Wout Van Aert<br />

gewann den Sprint dieses Tages, der<br />

die Gesamtwertung deutlich veränderte.<br />

So torpedierte ein einziger französischer<br />

Kreisverkehr die Gewinnchancen des<br />

französischen Favoriten Pinot.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Wout Van Aert Jumbo–Visma 4:49:39<br />

2 Elia Viviani Deceuninck–QS gl. Zeit<br />

3 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 43:27:15<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />

3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />

BERGWERTUNG<br />

1 Tim Wellens Lotto Soudal 43<br />

2 Thomas De Gendt Lotto Soudal 37<br />

3 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 30<br />

82 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Michael Schär<br />

führt die Spitzengruppe<br />

auf der<br />

zehnten Etappe an.<br />

DER<br />

PARCOURS<br />

W<br />

ie Lotto Soudals Belgier Jens<br />

Keukeleire sagte, trug die Streckengestaltung<br />

zur Qualität<br />

des Rennens in diesem Jahr<br />

bei. „Nicht so langweilig, oder?“, sagte er<br />

lächelnd. „Ich glaube wirklich, das liegt<br />

an der Strecke. Wenn du dir die Etappenprofile<br />

anschaust, sind da viele Teams und<br />

Fahrer, wo du sagst, sie werden heute<br />

wahrscheinlich den Etappensieg anpeilen“,<br />

sagte er zu Procycling am ersten Ruhetag<br />

im Mannschaftshotel in Castres.<br />

"Das war wirklich aufregend. Es war<br />

meine erfreulichste erste Woche bei der<br />

Tour.“ Er verglich es mit früheren Jahren:<br />

„Ich erinnere mich, dass man früher zwei<br />

oder drei von diesen langen und langweiligen<br />

Flach etappen hatte, und in diesem<br />

Jahr hatten wir davon nur eine. Außerdem<br />

dauerte es im letzten Jahr neun Tage, bis<br />

eine echte Bergetappe kam.“<br />

„WENN DU DIR DIE PROFILE<br />

ANSCHAUST, SIND DA VIELE TEAMS<br />

UND FAHRER, WO DU SAGST, SIE<br />

WERDEN HEUTE WAHRSCHEINLICH<br />

DEN ETAPPENSIEG ANPEILEN.“<br />

Jens Keukeleire, Lotto Soudal<br />

In diesem Jahr kam auf der sechsten<br />

Etappe der erste Berg und der sogenannte<br />

„Super Planche“-Anstieg, der mit einem<br />

Kilometer Schotterpiste oberhalb des Skigebiets<br />

von Planche des Belles Filles in<br />

den Vogesen endete. Aus verschiedenen<br />

Gründen hatte die Etappe keine Auswirkungen<br />

auf die Gesamtwertung – anders<br />

als in vergangenen Jahren, als ein Fahrer<br />

hier das Gelbe Trikot holte und bis nach<br />

Paris trug. Eine Ausreißergruppe, die<br />

zweite des Rennens, machte den Etappensieg<br />

unter sich aus, und ein dritter neuer<br />

Fahrer, Giulio Ciccone von Trek-Segafredo,<br />

holte das Gelbe Trikot. Als sich der Staub<br />

gelegt hatte, hatten 14 Fahrer nicht mehr<br />

als 2:02 Minuten Abstand auf ihn. „Wir<br />

haben die 15 besten Klassementfahrer<br />

gesehen, aber wir haben keinen großen<br />

Kampf gesehen“, sagte Keukeleire.<br />

„Bevor das Rennen das Zentralmassiv<br />

erreichte, hatte das Peloton zwei Tage, wo<br />

wir dachten, das könnte ein Sprint sein<br />

oder etwas für Alaphilippe. Es ist mir wirk -<br />

lich aufgefallen, als wir einen ersten Blick<br />

auf den diesjährigen Parcours geworfen<br />

hatten, dass es eine schöne erste Woche<br />

der Tour würde“, fügte der Belgier hinzu.<br />

Arkea-Samsics Tour-Veteran Amaël<br />

Moinard sagte, die Fahrer hätten härter<br />

arbeiten müssen und seien erschöpfter.<br />

„Die Müdigkeit, die sich zu Beginn der<br />

Tour ansammelt, bedeutet, dass es am<br />

Ende sehr weh tun wird“, warnte der<br />

Franzose bei seiner elften Tour. „Es werden<br />

Fahrer einbrechen.“<br />

Vielleicht hatte Daryl Impey mit seiner<br />

Aussage ja doch recht.<br />

© Chris Auld<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 83


DER<br />

VERZWEIFELTE<br />

KAMPF<br />

Interview Sophie Hurcom Fotografie Chris Auld<br />

84 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

Nach der 10. Etappe der Tour<br />

war es nachts um halb eins, als<br />

Michael Matthews einschlafen<br />

konnte. Er ließ die letzten 200 Meter des<br />

Sprints in Albi am Nachmittag immer<br />

wieder in seinem Kopf ablaufen. Zum achten<br />

Mal war er in die Top Ten gefahren.<br />

Heute war er Vierter geworden.<br />

Wenn er den Sprint nur früher angezogen<br />

hätte, dachte er immer wieder, wäre<br />

niemand an ihm vorbeigekommen und er<br />

hätte gewonnen. 400 Meter vor der Linie<br />

war Matthews gut positioniert am dritten<br />

Hinterrad. 350 Meter vor der Linie zog<br />

Cees Bol, sein Teamkollege und Tour-<br />

Debütant, für ihn den Sprint an. Das Ziel<br />

war direkt vor ihnen. 200 Meter vor der<br />

Linie machte Bol noch immer Tempo, aber<br />

ihm ging die Puste aus und die Meute um<br />

sie herum schwoll an. Als sein Teamkollege<br />

ausgeschert war, war Matthews eingeklemmt<br />

und hatte seinen Schwung<br />

verloren. Er versuchte, noch einmal zu<br />

beschleunigen, aber Wout Van Aert und<br />

Elia Viviani waren bereits an ihm vorbeigezogen.<br />

Es war zu spät.<br />

Am nächsten Morgen, am ersten Ruhetag<br />

der Tour, lässt Matthews den Moment<br />

noch immer Revue passieren, wieder und<br />

wieder. „Es ist frustrierend, wenn du<br />

weißt, dass es der Sieg hätte sein müssen,<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

MICHAEL<br />

MATTHEWS<br />

Michael Matthews’ Tour-Planung wurde auf<br />

den Kopf gestellt, als sein Teamkollege Tom<br />

Dumoulin seinen Start zwei Wochen vor dem<br />

Grand Départ absagte und er der einzige<br />

Kapitän von Sunweb wurde. Der Australier<br />

erzählt Procycling, wie er das Beste aus einer<br />

schwierigen Situation machte.<br />

aber du zu lange gewartet hast. Wenn du<br />

nicht die Beine hattest oder du gestürzt<br />

bist, kannst du es nehmen, wie es ist, aber<br />

wenn du weißt, dass du die Beine hattest,<br />

um es zu Ende zu bringen, ist es wahrscheinlich<br />

am schwersten zu akzeptieren“,<br />

sagt er zu Procycling mit einem fast mutlosen<br />

Seufzer.<br />

Auf der 1. Etappe unterlag er Mike Teunissen<br />

im Massensprint. Auf der 3. Etappe<br />

bei der steilen Hügelankunft in Épernay<br />

musste er sich Julian Alaphilippe geschlagen<br />

geben. Auf der 4. Etappe wurde er<br />

Neunter hinter Viviani. Auf der 5. Etappe<br />

nach Colmar und einem weiteren Top-<br />

Ten-Platz schien er überfordert zu sein.<br />

Die wellige Etappe hatte drei kategorisierte<br />

Anstiege aufgewiesen, was perfekt für einen<br />

Sprinter-Puncheur wie Matthews war.<br />

Sein Team hatte die Route ausgekundschaftet<br />

und auf der Straße Tempo gemacht,<br />

aber all das reichte immer noch<br />

nicht und Matthews wurde von seinem<br />

Angstgegner Peter Sagan geschlagen.<br />

Während die Fahrer nach einer Etappe<br />

normalerweise sofort im Bus verschwinden,<br />

schien Matthews überall hingehen zu<br />

wollen, nur nicht dorthin. Er rollte so langsam<br />

durch den geparkten Konvoi, dass<br />

sich seine Beine kaum drehten. Sein Kopf<br />

hing, der Blick war auf den Boden ge-<br />

ETAPPE<br />

11<br />

MITTWOCH, 17. JULI<br />

ALBI › TOULOUSE<br />

167 KM<br />

„Der sichere Weg zum Erfolg ist immer,<br />

es doch noch einmal zu versuchen.“<br />

(Thomas Edison) Caleb Ewan scheint<br />

dieses Motto verinnerlicht zu haben. In<br />

den letzten Jahren musste der australische<br />

Sprinter neben seinen Siegen auch<br />

mehrere Niederschläge verkraften.<br />

Vielleicht war die Tatsache, dass keiner<br />

seiner Konkurrenten bei der Tour<br />

dominieren konnte, ein kleiner Trost.<br />

In Toulouse hatte Ewan auf einen<br />

klassischen Sprintzug verzichtet – ein<br />

Schachzug, bei dem sich ein paar seiner<br />

Teamkollegen fragten, inwieweit sie<br />

eine nützliche Rolle im Tour-Aufgebot<br />

spielen konnten – stattdessen hatte er<br />

sich dafür entschieden, sich an ein<br />

geeignetes Vorderrad zu heften. Das<br />

hatte schon einige Male fast funktioniert,<br />

weshalb er bei dieser Strategie blieb.<br />

So folgte Ewan dem Hinterrad des<br />

Jumbo–Visma-Sprinters Dylan Groenewegen.<br />

Nachdem Groenewegen seinen<br />

Sprint angezogen und etwa eine<br />

Radlänge herausgefahren hatte, kam die<br />

Attacke von Ewan. Er beschleunigte,<br />

fuhr in den Windschatten des Holländers<br />

und zog vor der Ziellinie an ihm vorbei.<br />

Auch Viviani, der als Dritter finishte,<br />

hatte keine Chance.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Caleb Ewan Lotto Soudal 3:51:26<br />

2 Dylan Groenewegen Jumbo–Visma gl. Zeit<br />

3 Elia Viviani Deceuninck–QS gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

„ABENDS IST ES ZIEMLICH SCHWER,<br />

INS BETT ZU GEHEN. ES GEHEN DIR IMMER<br />

NOCH 1.000 SACHEN DURCH DEN KOPF.“<br />

Michael Matthews, Sunweb<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 47:18:41<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />

3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 257<br />

2 Elia Viviani Deceuninck–QS 184<br />

3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 174<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 85


ETAPPE<br />

12<br />

DONNERSTAG, 18. JULI<br />

TOULOUSE ›<br />

BAGNÈRES-DE-BIGORRE<br />

2<strong>09</strong>,5 KM<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

MICHAEL<br />

MATTHEWS<br />

© Yuzuru Sunada (Yates)<br />

Über solche Etappen wird oft gesagt,<br />

dass es eigentlich zwei Rennen in einem<br />

gibt – eines um den Etappensieg, das<br />

andere um die Platzierung im Gesamtklassement.<br />

So mussten die Fernsehkommentatoren<br />

die fast zehnminütige<br />

Lücke schließen, die zwischen Simon<br />

Yates, der im Sprint vor Pello Bilbao und<br />

Gregor Mühlberger gewann, und den<br />

Favoriten entstanden war, die scheinbar<br />

entspannt und ohne größere Ambitionen<br />

für diesen Tag gemeinsam ins Ziel<br />

fuhren. Diese erste Etappe in den<br />

Pyrenäen war schwer zu beurteilen.<br />

Verglichen mit den folgenden Alpenabschnitten<br />

oder den beiden schweren<br />

Pyrenäenetappen nach dem Zeitfahren<br />

des nächsten Tages war es für Yates ein<br />

leichtes Spiel. Der Col de Peyresourde<br />

und Hourquette d’Ancizan, beides<br />

Anstiege der ersten Kategorie, versetzten<br />

das Peloton nicht wirklich in Unruhe;<br />

stattdessen zog Luke Rowe von Ineos<br />

– eigentlich ein Fahrer für flachere<br />

Etappen – das Feld über die Gipfel und<br />

bis zur Ziellinie. So lag die gesamte Spannung<br />

an der Spitze des Rennens. Yates’<br />

Teamkollege Matteo Trentin holte an<br />

der letzten Bergwertung, dem Hourquette<br />

d’Ancizan, den bis dahin Führenden<br />

Simon Clarke ein, konnte jedoch dem<br />

Tempo von Yates und Mühlberger nicht<br />

folgen. In der Abfahrt gelang es Pello<br />

Bilbao, zum Spitzenduo aufzuschließen,<br />

jedoch holte sich Yates den Tagessieg.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Simon Yates Mitchelton-Scott 4:57:53<br />

2 Pello Bilbao Astana gl. Zeit<br />

3 Gregor Mühlberger Bora–hansgrohe gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 52:26:<strong>09</strong><br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />

3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />

NACHWUCHSWERTUNG<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 52:27:25<br />

2 Enric Mas Deceuninck–QS +0:30<br />

3 David Gaudu Groupma-FDJ +3:16<br />

richtet. Jede Menge Gedanken müssen<br />

ihm durch den Kopf gegangen sein. Was<br />

konnte er sonst noch tun?<br />

Matthews trug sein Herz immer auf der<br />

Zunge, ob er gewonnen oder verloren hatte.<br />

Er beantwortete Fragen vor und nach<br />

jeder Etappe, und er antwortete umfassend,<br />

auch wenn er sichtbar frustriert oder<br />

ratlos war. Am Ruhetag lächelt er, als er<br />

uns begrüßt, und setzt sich hin, aber er<br />

spricht langsam und macht sehr lange<br />

Pausen, während er einatmet und nachdenkt.<br />

Eine Blase, die so intensiv und<br />

druckvoll ist wie die Tour, kann das Rennen<br />

zu einem einsamen Ort macht. Es gibt<br />

wenige Orte, wo man sich die Wunden<br />

lecken und regenerieren kann. Fahrer, zumindest<br />

die erfolgreichsten, sind in der<br />

Lage, sich aufzurappeln und es am nächsten<br />

Tag wieder zu probieren, selbst wenn<br />

sie nicht wollen.<br />

„Bei der Tour de France, wo so viele<br />

Journalisten sind, wo du ständig darüber<br />

sprichst, sieht es jeder, wenn du einen<br />

Fehler machst. Die ganze Welt sieht es,<br />

und dann bekommst du immer dieselben<br />

Fragen gestellt“, erklärt uns Matthews.<br />

„Ich habe eine wirklich gute Gruppe um<br />

mich, die an mich glaubt. Ich glaube, das<br />

hilft mir definitiv, am nächsten Morgen<br />

aufzustehen und weiterzumachen.<br />

Abends ist es ziemlich schwer, ins Bett<br />

zu gehen. Es gehen dir immer noch 1.000<br />

Sachen durch den Kopf – wo du einen<br />

Fehler gemacht hast oder was passiert ist<br />

oder sonst etwas“, sagt der Australier.<br />

35<br />

Karrierensiege<br />

für Matthews<br />

– doch nur<br />

zwei davon<br />

fuhr er bis<br />

Ende Juli im<br />

Jahr <strong>2019</strong> ein<br />

Für Matthews<br />

war der Wechsel<br />

seines Tourplans<br />

in letzter Minute<br />

eine große mentale<br />

Herausforderung.<br />

Vor zwei Jahren lief bei der Tour für Matthews<br />

alles wie am Schnürchen. Er gewann<br />

zwei Etappen und sein erstes Grü -<br />

nes Trikot, während sein Teamkollege<br />

Warren Barguil ebenfalls zwei Tageserfolge<br />

und das Gepunktete Trikot holte. Sechs<br />

Wochen zuvor hatte Tom Dumoulin mit<br />

dem Giro d’Italia die erste große Rundfahrt<br />

für das deutsche Team gewonnen.<br />

Sie ritten auf einer Welle.<br />

Aber nichts ist sicher im Radsport. In<br />

diesem Jahr ging alles schief, was schiefgehen<br />

konnte. Bis Juli hatte Sunweb nur sechs<br />

Siege zu Buche stehen, mit die wenigsten in<br />

der WorldTour. Ihr Talisman Dumoulin<br />

musste den Giro nach einem Sturz aufgeben.<br />

Er war für die Tour vorgesehen, doch<br />

zwei Wochen vor dem Grand Départ sagte<br />

er den Start wegen Knieproblemen ab. In<br />

Frankreich kursierten Gerüchte, der Holländer<br />

sei kurz davor, das Team zu verlassen.<br />

Matthews hatte sich das ganze Frühjahr<br />

darauf vorbereitet, bei der Tour als<br />

Helfer für Dumoulin zu fahren, was bedeutete,<br />

dass er seine eigenen Ambitionen<br />

weitgehend hintanstellte. Dann fand er<br />

sich plötzlich im Niemandsland wieder.<br />

Der langlebige Sprinter war jetzt der<br />

De-facto-Teamkapitän, hatte sich aber<br />

nicht darauf vorbereitet.<br />

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass<br />

ich jeden Tag diese Etappensiege anpeile.<br />

Ich war mental nicht darauf vorbereitet.<br />

2017 hatte ich mich geistig darauf eingestellt,<br />

dass ich jeden Tag um den Etappensieg<br />

kämpfe und um die Zwischensprints.<br />

Ich habe viel Planung dort reingesteckt,<br />

daher war ich mental und physisch bereit.<br />

Jetzt glaube ich, dass ich physisch bereit<br />

bin, aber mental wahrscheinlich nicht da,<br />

wo ich sein sollte, um auf jeder Etappe mit<br />

den besten Sprintern zu kämpfen.“<br />

Sein Chefanfahrer Bol, ein Neuprofi,<br />

war nach Dumoulins Ausfall kurzfristig<br />

ins Aufgebot genommen worden. Das Paar<br />

war zuvor nur einmal, bei der Flandern-<br />

Rundfahrt, zusammen gefahren. Verständlicherweise<br />

dauerte es ein bisschen,<br />

bis sie aufeinander eingespielt waren, und<br />

jede Etappe war für sie sowohl eine steile<br />

Lernkurve als auch ein großes Ziel. Als<br />

Matthews mit jedem Tag verzweifelter<br />

um den Sieg kämpfte, war es auch wahrscheinlicher,<br />

dass er Fehler machte. Je<br />

mehr er es wollte, umso mehr liefen er<br />

und sein Team Gefahr, sich zu sehr den<br />

Kopf zu zerbrechen. „Das hat mich wahrscheinlich<br />

mental ein bisschen blockiert,<br />

wenn ich in die Sprints ging, zu denken:<br />

Oh, ich sollte da sein, ich sollte dort sein,<br />

86 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


ich sollte dies und jenes tun, statt einfach<br />

meinem Renninstinkt zu folgen, denn darin<br />

bin ich am besten.“<br />

Auch körperlich war Matthews anders.<br />

Er hatte ein mehrwöchiges Höhentraining<br />

vor dem Rennen gemacht, an seinem Klettern<br />

gearbeitet, um Dumoulin besser zu<br />

unterstützen. Er hatte Zeitfahren trainiert,<br />

da die Teamprüfung auf der 2. Etappe für<br />

einen Klassementfahrer wichtig war. Seine<br />

Ausdauer war gut, und Matthews fühlte<br />

sich fitter als vorher, aber die Veränderungen<br />

beeinträchtigten seine Explosivität.<br />

Der Stachel war ihm gezogen worden:<br />

„Nicht so bissig, so feurig, so explosiv zu<br />

sein wie in früheren Jahren, beeinträchtigt<br />

mich wahrscheinlich ein bisschen.“<br />

Sunwebs Teamchef Iwan Spekenbrink<br />

träumte davon, seine Equipe nach dem<br />

Mannschaftszeitfahren in Brüssel auf<br />

dem Podium zu sehen. Der Tag hätte ein<br />

Signal der Stärke sein sollen bei Dumoulins<br />

Versuch, das Gelbe Trikot zu erobern<br />

– und ein passendes Symbol für die Einheit<br />

des Teams.<br />

Selbst ohne Dumoulin war Matthews<br />

entschlossen, alles zu geben. Da kein<br />

Mannschaftsbus im Zielbereich stand,<br />

kollabierte er im Mannschaftswagen und<br />

ließ sich dort auf die Vordersitze fallen.<br />

Als er sich schließlich aufrichtete, wischte<br />

ein Masseur sein nasses Gesicht ab, während<br />

er seinen Kopf in seinen Händen<br />

hielt. Als er aufstand, musste er gestützt<br />

werden, bevor er vorsichtige Schritte in<br />

Richtung Rollentrainer machte.<br />

„Ich habe einfach alles gegeben, was ich<br />

hatte, und noch mehr, und als ich die Linie<br />

überquerte, kann ich ehrlich sagen, hätte<br />

ich nicht eine Pedalumdrehung mehr hingekriegt“,<br />

sagt er. „Dem Team und Iwan zu<br />

zeigen, dass es mir auch so viel bedeutete,<br />

war für sie schön zu sehen.“<br />

2017 war Matthews in derselben Position.<br />

Er fuhr regelmäßig in die Top Ten,<br />

konnte zunächst aber nicht gewinnen. Er<br />

gab nicht auf, und auf der 14. Etappe nach<br />

Rodez hatte er Erfolg. Zwei Tage später ein<br />

weiterer Sieg. Nichts konnte ihn aufhalten,<br />

und in Paris trug er das Grüne Trikot. Ob<br />

Matthews senkt<br />

den Kopf, als er<br />

auch in Saint-Étienne<br />

den Etappensieg<br />

verpasst hat.<br />

8<br />

GRAND-TOUR-<br />

ETAPPENSIEGE<br />

TDF Vuelta Giro<br />

<strong>2019</strong> eine weitere Wende bringen würde,<br />

war fraglich. Während einst alles zu Gold<br />

wurde, was das Team anfasste, zerfiel<br />

<strong>2019</strong> stattdessen alles zu Staub. Aber es<br />

zeugte von Matthews’ Entschlossenheit,<br />

dass er nicht aufhörte, es zu versuchen.<br />

GRAND-TOUR-TRIO<br />

Auch wenn er <strong>2019</strong> keine Etappe<br />

gewinnen konnte, bleibt Michael<br />

Matthews einer von nur 19<br />

aktiven Fahrern, die bei jeder<br />

Grand Tour mindestens einmal<br />

siegreich waren. Er gewann zwei<br />

Etappen beim Giro, drei bei der<br />

Tour und drei bei der Vuelta. Sein<br />

letzter Erfolg stammt allerdings<br />

aus dem Jahr 2017.<br />

© Yuzuru Sunada<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 87


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JOURNAL<br />

ETAPPE 13<br />

PAU<br />

19.07.<strong>2019</strong><br />

DIE STADT DER<br />

ÜBERRASCHUNGEN<br />

© Gruber Images<br />

er am zweithäufigsten besuchte Ort der Tour,<br />

D<br />

Pau und seine idyllische Umgebung, waren<br />

Schauplatz für viele Momente der Renngeschichte.<br />

Einige davon sind berüchtigt. An<br />

einem Ruhetag, an dem David Millar im Jahr 2007 im<br />

Mittelpunkt der Saunier-Duval-Pressekonferenz im Palais<br />

Beaumont stand, lief ein Raunen durch den Raum: Alexander<br />

Winokurow war aus dem Rennen wegen Blutdopings<br />

ausgeschlossen worden. Der Raum begann sich daraufhin<br />

zu leeren.<br />

Seitdem hat Pau ein paar ruhige Jahre hinter sich. Eine<br />

Reihe von Etappenstarts, ein paar Sprints, zwei Ausreißer-Siege<br />

für Pierrick Fédrigo – solche Sachen eben. In<br />

diesem Jahr, gegen Ende eines heißen Freitags auf dem<br />

Place de Verdun, brummte es wieder in Pau.<br />

„Das war eine heiße Angelegenheit“,sagte Richie Porte.<br />

Er war mit seinen Bemühungen zufrieden, stellte aber fest,<br />

dass noch größere Namen folgen würden. „Nach der Streckenbesichtigung<br />

heute Morgen ist die Temperatur extrem<br />

gestiegen“, fügte Dan Martin hinzu. Der Schweiß lief ihm<br />

in Strömen herab. „Ich habe mein Bestes gegeben, und<br />

mehr ist einfach nicht möglich.“<br />

Der vorletzte Fahrer war Geraint Thomas. Als er einen<br />

sicheren Ort gefunden hatte, um sich vom Verkehr fernzuhalten,<br />

und die Medien sich beruhigt hatten, sagte er:<br />

„Ich war ein wenig überhitzt, aber ich habe versucht, damit<br />

klarzukommen. Als ich wirklich Gas geben wollte,<br />

hatte ich das Gefühl, dass ich diese fünf Prozent nicht<br />

hatte.“ Die Ankunft von Julian Alaphilippe im Ziel war<br />

wahrzunehmen, bevor er zu sehen war. Während Thomas<br />

sprach, wurde von den Zuschauern an der Rue Mulot, der<br />

steilen kleinen Straße, die zum Platz führte, gegen die<br />

Plakate gehämmert, während sie nicht mehr als einen<br />

gelben Blitz sahen. Er kam nach 35 Minuten ins Ziel und<br />

lag 14 Sekunden vor Thomas.<br />

Thomas bekam die Nachricht und schüttelte sich. „Das<br />

habe ich wirklich nicht erwartet“, sagte er. „So wie er<br />

fährt, wenn er das durchhält, wird er gewinnen.“<br />

Eine solche Steigerung ist im modernen Rennsport ungewöhnlich,<br />

und in der Folgezeit bekam Alaphilippe den<br />

ersten Vorgeschmack auf Fragen, die seine Glaubwürdigkeit<br />

anzweifelten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Zeitfahren<br />

mit dem Gelben Trikot beenden würde und dass<br />

ich in die Berge dieser Tour mit dem Gelben Trikot starten<br />

würde. Ich bin nicht hier, um auf Verdachtsmomente zu<br />

antworten, ich weiß, welche Arbeit ich geleistet habe, um<br />

hier zu sein“, antwortete er.<br />

Von der Balustrade des Palais aus ragten die hellblauen<br />

Pyrenäen am Horizont hervor und versprachen eine weitere<br />

Herausforderung für Alaphilippes neu entdeckte Fähigkeiten.<br />

Was konnte er nach diesem Zeitfahren nun am<br />

Tourmalet erreichen?<br />

88 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 89


Text Sam Dansie Fotografie Chris Auld<br />

DEN<br />

GEKNACKT<br />

Procycling analysiert die Entwicklung von Caleb Ewans Sprintzug,<br />

um herauszufinden, wie der Australier die Erfolgsformel gefunden hat.<br />

Caleb Ewan, der 25 Jahre alte<br />

Tour-Debütant von Lotto Soudal,<br />

wurde bei der ersten Welle von<br />

Sprints bei der Tour Dritter, Dritter, Zweiter<br />

und Dritter. Bei einer Tour, wo kein<br />

einzelner Sprinter dominieren konnte und<br />

Siege durch die Tiefe der Hochprofil-Laufräder<br />

bestimmt wurden, wuchs der Druck<br />

auf den Youngster von Tag zu Tag.<br />

„Morgen versuchen wir es wieder“, sagte<br />

Roger Kluge, einer von Ewans Sprintanfahrern<br />

bei Lotto, nach vier knappen<br />

Niederlagen. Der Satz hörte sich abgedroschen<br />

an. Er klang nach Frustration –<br />

nicht über Ewan, sondern darüber, dass<br />

das kleine Quäntchen Glück immer fehlte.<br />

„Niemand hätte es mehr verdient als Caleb“,<br />

fügte er hinzu.<br />

Der nächste Tag war ein Sprint in Toulouse.<br />

Danach kamen die Pyrenäen und<br />

zwei weitere Sprintetappen. Zeit und<br />

Möglichkeiten wurden knapper.<br />

Ewans Sprintzug war seit Langem in<br />

Arbeit. Kluge kam 2017 zu Orica-Greenedge,<br />

um mit „dem neuen jungen Sprintstar“<br />

zu arbeiten und weil er einer be-<br />

stimmten „Spezifikation“ entsprach. Diese<br />

Spezifikation war die eines Rammbocks<br />

von einem Sprintanfahrer – jemand, der<br />

für den kleinen Sprinter ein großes Loch in<br />

die Luft boxen kann. Kluge, 80 Kilogramm<br />

schwer und 193 Zentimeter groß<br />

und mit einem reichen und erfolgreichen<br />

Hintergrund auf der Bahn und einem großen<br />

Motor, entsprach den Anforderungen.<br />

Von Anfang an, auf der Straße und abseits<br />

davon, harmonierten kleiner Sprinter<br />

und großer Anfahrer. Bei ihrem ersten gemeinsamen<br />

Rennen, der Tour Down Under<br />

90 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

CALEB EWAN<br />

2017, gewann Ewan vier Etappen. Aber<br />

das Orica-Team nahm Veränderungen am<br />

Sprintzug vor, um ihn noch schneller zu<br />

machen. Beim nächsten WorldTour-Rennen<br />

in Abu Dhabi wurde Luka Mezgec<br />

als letzter Mann eingearbeitet. „Luka hat<br />

mehr Punch, ist mehr Sprinter als ich, ich<br />

kann das Tempo länger halten, also bin ich<br />

eine Position nach hinten gerutscht“, sagte<br />

Kluge. Aber wer welchen Job machte, hing<br />

vom Kurs ab. Wenn der Sprint leicht bergauf<br />

führte, war Mezgec der letzte Mann;<br />

bergab wurden Kluges Geschwindigkeit,<br />

Gewicht und Kraft priorisiert.<br />

Von 2017 bis zum Ende dieser Tour<br />

hat Ewan in Partnerschaft mit Kluge<br />

31 zweite und dritte Plätze geholt, darunter<br />

einen zweiten Platz bei Mailand–San<br />

Remo 2018. Im selben Zeitraum gewann<br />

er 19-mal. So viele knappe Niederlagen<br />

könnten am Selbstwertgefühl eines Sprinters<br />

nagen, doch Kluge versichert, dass<br />

Ewan mental stark genug war, um mit diesen<br />

Podiumsplätzen umzugehen. „Wir teilen<br />

uns bei den meisten Rennen ein Zimmer<br />

und ich habe ihn ein paarmal beim<br />

Trainingslager in Monaco besucht. Er hatte<br />

viele Podiumsplätze in den letzten anderthalb<br />

Jahren, wahrscheinlich mehr als jeder<br />

andere Sprinter, aber ich glaube, ich unter-<br />

stütze ihn ein bisschen und sage ihm, dass<br />

er es weiter versuchen muss.“<br />

SEIN GLÜCK BEI(M) LOTTO SUCHEN<br />

Ewan sagt, er wäre als Neuprofi in die<br />

Tour gegangen, wenn es bei der Auswahl<br />

des Teams nach ihm gegangen wäre.<br />

„Vielleicht war es am Ende gut, dass es<br />

nicht so kam“, ergänzt der Australier.<br />

„Aber ich denke nicht, dass dies meine<br />

erste Tour de France hätte sein sollen. Ich<br />

hatte schon vor drei oder vier Jahren das<br />

Gefühl, bereit zu sein.“ An wen die spitze<br />

Bemerkung gerichtet ist, ist klar.<br />

Ewan war letztes Jahr für einen Tour-<br />

Start am Ende eines Mitchelton-Scott-<br />

Sprintzugs vorgesehen. „Im letzten Jahr<br />

haben wir die ganze Saison mit Luka und<br />

Mat Hayman und anderen, die in die<br />

Tour-Vorbereitung involviert waren, trainiert“,<br />

sagte Kluge. „Wir waren bei der Kalifornien-Rundfahrt,<br />

dann haben wir ein<br />

wirklich gutes Team aufgebaut und plötzlich<br />

wurde entschieden, nur Kletterer mitzunehmen.“<br />

Dass er übergangen wurde,<br />

lag teils daran, dass Ewan seinen Wechsel<br />

zu Lotto Soudal bereits perfekt gemacht<br />

hatte, und teils daran, dass Mitchelton-<br />

Ewan bezwingt<br />

Groenewegen in<br />

Toulouse und holt<br />

sich seinen ersten<br />

Tour-Etappensieg.<br />

3Etappen<br />

gewann Ewan<br />

bei dieser Tour<br />

– mehr als<br />

jeder andere<br />

Sprinter<br />

Scott sich mit Adam Yates auf die Gesamtwertung<br />

konzentrieren wollte.<br />

Obwohl Kluge zu Beginn der Saison<br />

als Teil des Ewan-Pakets zu Lotto kam<br />

– was für ihre enge Verbindung spricht –,<br />

brachte der Wechsel noch mehr Umbauten<br />

im Sprintzug mit sich. Die Frage war<br />

insbesondere, wie man mit Jasper De<br />

Buyst umgeht, der wie Kluge einen starken<br />

Bahnhintergrund hatte. Er wurde als<br />

Ersatz für Mezgec eingesetzt. „Wir haben<br />

nicht bei null angefangen, aber einen<br />

neuen Anfahrer wie Jasper zu bekommen<br />

und sich an unterschiedliches Material<br />

zu gewöhnen, braucht Zeit“, sagte Kluge.<br />

„Wir sind noch in einem neuen Team und<br />

finden noch heraus, was das Beste für<br />

Caleb ist.“<br />

Beim Giro, wo die drei zusammen gefahren<br />

sind, wurde Ewan bei den Sprints<br />

Dritter, Zweiter und Vierter. Dann gewann<br />

er die Etappen 8 und 11. Der Code,<br />

einmal geknackt, war, aus dem Windschatten<br />

seines Rivalen Pascal Ackermann<br />

herauszusprinten. Ackermann, in<br />

der Maglia Ciclamino, war der beste<br />

Sprin ter des Rennens.<br />

Aber irgendwie vergaß Lotto Soudal die<br />

Formel. Laut Kluge ging das Team in diesem<br />

Sommer mit der Absicht in die Tour,<br />

Ewan einen formaleren Sprintzug zu geben.<br />

„Wenn man zurückschaut, hat er<br />

meistens, wenn man ihn auf den letzten<br />

Kilometern eskortiert hat, gewonnen, aber<br />

das ist nicht, was er will“, erklärte der<br />

Deutsche. „Zu Beginn der Tour haben wir<br />

das vergessen und waren ganz aufgeregt<br />

und motiviert, einen perfekten und großen<br />

Sprintzug aufzubauen. Vielleicht war<br />

GLÜCKSBRINGER<br />

C<br />

aleb Ewans Etappensieg war die Wohlfühlgeschichte<br />

des Rennens. Sechs Wochen vor Beginn der Tour kam<br />

seine Tochter Lily zu Hause in Monaco zu früh zur<br />

Welt. Er musste zum Rennen reisen, bevor Lily das Krankenhaus<br />

verlassen durfte. „Es war wohl das Schwerste, was ich je machen<br />

musste: zu einem Rennen zu fahren und meine Tochter im<br />

Krankenhaus zurückzulassen. Ich bin so froh, dass ich meiner<br />

neuen Familie das mit so einer großen Sache zurückzahlen konnte“,<br />

sagte er nach seinem Sieg in Toulouse. Seine Frau Ryann flog<br />

mit Lily zum Ruhetag in Nîmes ein und konnte Ewan begrüßen,<br />

als er seinen Etappensieg holte. „Wenn meine Tochter alt genug<br />

ist, wird es ziemlich cool, ihr zu erzählen, dass das allererste<br />

Rennen, bei dem sie mich gesehen hat, die Tour de France war<br />

und ich auch noch eine Etappe gewonnen habe.“<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 91


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

CALEB EWAN<br />

Ein glücklicher<br />

Caleb Ewan<br />

umarmt seine<br />

Teamkollegen<br />

nach dem Erfolg<br />

bei Etappe 11.<br />

das falsch. Das haben wir an dem Tag,<br />

als er in Chalon Zweiter wurde, besser gemacht.<br />

Ich habe ihn bis auf die letzten drei<br />

bis vier Kilometer in einer guten Position<br />

gehalten, auf der Höhe von Jumbo oder<br />

Quick-Step. Fast 1,5 Kilometer vor der<br />

letzten Kurve war ich fertig, aber ich war<br />

eigentlich nicht am Limit, ich musste ein -<br />

fach nicht mehr tun.“ Auf der Linie war<br />

Groenewegen einen Bruchteil schnel ler<br />

und Ewans Streben nach einem ersten<br />

Tour-Etappensieg ging einen vierten, dann<br />

einen fünften Tag weiter. Es wurde ernst.<br />

MR. MOTIVATOR<br />

Am Ruhetag in Albi am Vorabend des<br />

Sprints in Toulouse nahm Lotto-Soudal-Teammanager<br />

Marc Sergeant Ewan<br />

beiseite und hielt ihm eine Aufmunterungsrede.<br />

Ewan wollte sich über den Inhalt<br />

des Gesprächs nicht äußern, sondern<br />

sagte nur: „Marc hat so eine beruhigende<br />

Art. Ich habe mich anschließend gefühlt,<br />

als stünde ich überhaupt nicht unter<br />

Druck. Er hat mit vielen Sprintern gearbeitet<br />

und weiß, dass wir uns selbst unter<br />

Druck setzen. Er weiß, wie er uns diesen<br />

Druck nimmt“, fügte der Australier hinzu.<br />

Auf einem nicht kategorisierten Hügel<br />

kurz vor dem Ziel und der Ringstraße auf<br />

dem Weg in die platanengesäumte Altstadt<br />

von Toulouse ließ sich der Fahrer aus<br />

Sydney nicht aufhalten. Selbst als Viviani<br />

ihn vom besten Hinterrad des Rennens<br />

– dem von Groenewegen – verdrängen<br />

wollte, ließ Ewan den Italiener nicht rein<br />

und auch keinen anderen gewinnen. Er<br />

bezwang den Holländer mit derselben<br />

hauchdünnen Differenz, mit der er in<br />

Chalon verloren hatte. Und was auch immer<br />

Wirkung zeigte – Sergeants weiser<br />

Rat, die Ankunft von Ewans Frau und der<br />

neugeborenen Tochter bei dem Rennen<br />

oder die schiere Entschlossenheit, sich zu<br />

holen, wovon er geträumt hatte –, der Sieg<br />

fühlte sich unausweichlich an. Gegen<br />

Ende der Tour sollte er diese Siegesausbeute<br />

verdreifacht und den prestigeträchtigen<br />

Sprint auf den Champs-Elysées gewonnen<br />

haben.<br />

„ZU BEGINN DER TOUR WAREN WIR AUFGEREGT<br />

UND MOTIVIERT, EINEN PERFEKTEN SPRINTZUG<br />

AUFZUBAUEN. VIELLEICHT WAR DAS FALSCH.“<br />

Roger Kluge, Lotto Soudal<br />

1. ETAPPE<br />

4. ETAPPE 7. ETAPPE 10. ETAPPE 11. ETAPPE 16. ETAPPE 21. ETAPPE<br />

© Getty Images (Leiste)<br />

Ewan vermeidet<br />

einen Sturz in der<br />

Schlussphase,<br />

bei dem Groenewegen<br />

zu Fall<br />

kommt. Doch auf<br />

den letzten Metern<br />

ist der Weg vor ihm<br />

versperrt. „Ich war<br />

eingeklemmt. Ich<br />

kam am Ende nicht<br />

raus und musste<br />

aufhören, in die<br />

Pedale zu treten.<br />

Aber so geht das im<br />

Sprint. Das kommt<br />

vor“, sagte er.<br />

Rund 500 Meter<br />

vor dem Ziel es -<br />

kor tiert De Buyst<br />

Ewan zur Gruppe<br />

der Sprinter. Ewan<br />

hängt sich an<br />

Vivianis Hinterrad,<br />

kommt aber nicht<br />

klar und wird Dritter.<br />

„Wenn du einen<br />

Kilometer vor der<br />

Linie von so weit<br />

hinten kommst,<br />

verbrauchst du zu<br />

viel Energie, um<br />

nach vorn zu kommen“,<br />

sagte er.<br />

Ewan hängt sich an<br />

Peter Sagans Hinterrad<br />

hinter dem De -<br />

ceuninck-Team. Im<br />

leicht ansteigenden<br />

Finale schert er<br />

rechts aus, um sich<br />

in Vivianis Windschatten<br />

zu saugen,<br />

wird aber um Millimeter<br />

von Groenewegen<br />

abgefangen.<br />

„Ich glaube, ich bin<br />

einen fast perfekten<br />

Sprint gefahren, aber<br />

Dylan war einfach ein<br />

bisschen schneller.“<br />

Ewan wählt den<br />

Sunweb-Zug als zu<br />

verfolgende Hinterräder<br />

aus, aber<br />

Sunweb-Anfahrer<br />

Cees Bol gerät ins<br />

Stottern und sein<br />

Kapitän Michael<br />

Matthews geht un -<br />

ter. Ewan rettet sich<br />

auf den dritten Platz.<br />

„Er [Bol] hätte gehen<br />

sollen, als die Straße<br />

steiler wurde, aber<br />

er zögerte und wir<br />

alle verloren Ge -<br />

schwindigkeit.“<br />

Drei Kilometer lang<br />

bleibt Ewan an Groenewegens<br />

Hinterrad.<br />

Nach einer gewaltigen<br />

Ablösung von<br />

Teunissen eröffnet<br />

Groenewegen seinen<br />

Sprint 250 Meter vor<br />

der Linie. Ewan wartet,<br />

bevor er beschleunigt<br />

und sich in den<br />

Windschatten des<br />

Holländers saugt.<br />

„Ich bin an sein Hin -<br />

terrad gesprintet,<br />

um in seinen Windschatten<br />

zu gehen.“<br />

De Buyst hält das<br />

Tempo hoch, bis De -<br />

ceuninck beschleunigt<br />

und Ewan ans<br />

siebte Hinterrad zu -<br />

rückfällt. Rund 230<br />

Meter vor der Linie<br />

eröffnet Ewan seinen<br />

Sprint und setzt sich<br />

gegen Vi viani und<br />

Groenewegen durch.<br />

„Ich ging vom Hinterrad<br />

weg, nahm einen<br />

echten Anlauf und<br />

eröffnete meinen<br />

Sprint vor den anderen<br />

Jungs“, sagte er.<br />

Die formellen Sprintzüge<br />

kehren zurück.<br />

Irgendwie. Auf dem<br />

letzten Kilometer ist<br />

Ewan an den Hinterrädern<br />

von Kluge<br />

und De Buyst, löst<br />

sich aber von ihnen,<br />

um sich an den<br />

Quick-Step-Zug zu<br />

hängen. Vom siebten<br />

Hinterrad in einer<br />

Kurve schießt er von<br />

links nach rechts und<br />

fängt Groenewegen<br />

und Niccolò Bonifazio<br />

auf der Linie ab.<br />

92 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


Auf den Champs-<br />

Élysées holte sich<br />

Ewan den dritten<br />

Sieg einer für ihn<br />

superben Tour <strong>2019</strong>.<br />

© Anadolu/Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 93


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JOURNAL<br />

ETAPPEN 1–21<br />

BELGIEN & FRANKREICH<br />

6.–28.07.<strong>2019</strong><br />

SURFEN AUF<br />

DER GRÜNEN<br />

WELLE<br />

© Kramon<br />

ora–hansgrohes Peter Sagan gewann sein<br />

B<br />

siebtes grünes Trikot innerhalb von acht Jahren.<br />

Nach dem Etappenziel in Paris hatte der<br />

Slowake einen Vorsprung von 68 Punkten<br />

auf den nächstbesten Fahrer, Caleb Ewan von Lotto Soudal.<br />

Der australische Tour-Debütant gewann drei Etappen<br />

und war in vier weiteren Sprints unter den ersten drei.<br />

Sagan gewann eine Etappe in Colmar und kam achtmal<br />

unter die ersten fünf. Das bedeutete, dass Ewan in gewissem<br />

Maße der bessere Punktesammler auf der Ziellinie<br />

war. Aber der Unterschied, wie immer, wurde durch Sagans<br />

Erfahrung beim Sammeln von Punkten in den Zwischensprints<br />

gemacht, und er erreichte die Ziele, die andere<br />

Sprinter nicht erreichten. Das ist die Dominanz von ihm<br />

und seinem Team – die Rivalen haben es aufgegeben. Sagan<br />

gehört praktisch das Grüne Trikot.<br />

Aber während es Routine war, sein rekordverdächtiges<br />

siebtes Grünes Trikot zu holen – er übertraf damit Erik<br />

Zabels frühere Bestmarke –, war Sagans On-the-Bike-<br />

Persönlichkeit so extravagant und erfreuend wie nie zuvor.<br />

Signiert er seine Autobiografie für einen Fan am<br />

Straßenrand, während er den Tourmalet hinauffährt?<br />

Klar. Einhändige Wheelies im Anstieg für die Fans?<br />

Sowieso. Wheelie auf seiner Zeitfahrmaschine? Sicher.<br />

Sogar sein eher exzentrischer, aber äußerst hilfsbereiter<br />

Vater L’ubomír war beim Rennen dabei, um die Reise<br />

seines Sohnes durch Frankreich um ein gewisses Etwas<br />

zu bereichern.<br />

Aber Fragen darüber, ob Sagan tatsächlich Freude am<br />

Radfahren hat, sind ein Streitpunkt: Häufig wirkt er gelangweilt,<br />

teilnahmslos oder geht lieber mountanbiken.<br />

Und diese Seite von Sagan war öfters im weitläufigen Zielbereich<br />

nach den Etappen zu sehen, wo Trikots und Etappensieger<br />

verpflichtet sind, Fragen zu beantworten, wie<br />

ihr Tag war. In diesem Bereich unternahm Sagan wenige<br />

Anstrengungen und versuchte, sie schnell zu durchqueren.<br />

Und auch originelle Fragen konnten ihn nicht aus der<br />

Reserve locken. Manchmal war es bedrückend, ihm zuzusehen.<br />

„Was soll ich sagen?“, schmollte er in der Pressekonferenz,<br />

nachdem er die 5. Etappe gewonnen hatte.<br />

Sagan ist am besten, wenn es keinen Vermittler oder<br />

Filter zwischen ihm und denen gibt, die ihm bewundernd<br />

folgen. Die Kamera liebt ihn. Soziale Medien verbreiten<br />

Sagans Späße unter seinen zahlreichen Fans. Er ist am<br />

anstrengendsten, wenn man ihn bittet, Erklärungen über<br />

sich selbst abzugeben. Er ist ein Mann, der lieber Taten<br />

sprechen lässt, als selbst zu sprechen.<br />

94 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 95


EINSAM<br />

AN DER<br />

SPITZE<br />

96 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

THIBAUT<br />

PINOT<br />

Thibaut Pinots Tour endete<br />

herzzerreißend, als er am<br />

drittletzten Tag mit dem Sieg<br />

vor Augen aussteigen musste.<br />

Procycling untersucht, wie der<br />

stille, schüchterne Franzose sein<br />

Potenzial beim größten Rennen<br />

der Welt entdeckt hat.<br />

Text Edward Pickering Fotografie Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 97


An der Planche des<br />

Belles Filles fuhren<br />

Alaphilippe und<br />

Pinot wertvolle<br />

Sekunden auf die<br />

Konkurrenz heraus.<br />

Die Fahrt über die Südseite<br />

des Col de l’Iseran hoch<br />

nach Tignes ist eine lange<br />

und langsame. Sie lässt<br />

einem Mann Zeit zum<br />

Nachdenken, vielleicht zu<br />

viel. Während Thibaut<br />

Pinot am frühen Nachmittag des 26. Juli<br />

fassungslos im Wagen des Sportlichen Leiters<br />

Thierry Bricaud saß, war vor ihm Egan<br />

Bernal im Begriff, Pinots Tour de France<br />

zu gewinnen, und ein unerwarteter Erdrutsch<br />

begrub die Aussicht auf den Alpen-<br />

Showdown, den die Organisatoren für das<br />

Ende des Rennens geplant hatten.<br />

Ebenso schnell waren auch Pinots Ambitionen<br />

beerdigt. Ein vages Empfinden<br />

auf der 17. Etappe nach Gap, dass etwas<br />

mit seinem linken Oberschenkel nicht<br />

stimmte, wurde am nächsten Tag zu dem<br />

Gefühl, dass er nur mit einem Bein über<br />

den Galibier nach Valloire fuhr, und morgens<br />

in Tignes zur qualvollen Unfähigkeit,<br />

das Knie zu beugen. Die Verletzung, ein<br />

Muskelfaserriss im linken Oberschenkel,<br />

kommt bei einem Rennfahrer ebenso selten<br />

vor wie ein Erdrutsch bei der Tour. Wie<br />

der Mannschaftsarzt Jacky Maillot sagte,<br />

Im Alter von 22<br />

fuhr Pinot bei der<br />

Tour 2012 mit einem<br />

Etappensieg<br />

und Platz 10 im GC<br />

ins Rampenlicht.<br />

ist es eine typische Verletzung für einen<br />

Fußballspieler oder Leichtathleten, nicht<br />

für einen Radsportler.<br />

Pinot war um drei Uhr nachmittags,<br />

35 Kilometer nach dem Start in Saint-<br />

Jean-de-Maurienne, unter Tränen vom<br />

Rad gestiegen. Es dauerte mehr als drei<br />

Stunden, bis er der klaustrophobischen<br />

Stille des Groupama-FDJ-Mannschaftswagens<br />

entkam, als er schließlich das<br />

Hotel L’Ecrin du Val Claret erreichte,<br />

200 Meter von der Ziellinie in Tignes entfernt,<br />

wo er in einem anderen Universum<br />

die Etappe gewonnen und sich das Gelbe<br />

Trikot übergezogen hätte. Sein Generalmanager<br />

Marc Madiot war den ganzen<br />

Nachmittag oben im Zielbereich gewesen<br />

und hatte so viel Gleichmut bewahrt, wie<br />

er unter diesen Umständen nur konnte.<br />

„C’est le sport. C’est la vie“, sagte er wartenden<br />

Journalisten. Pinot war der vierte<br />

Groupama-Fahrer, der ins Hotel kam, ein<br />

fassungsloser und zutiefst erschütterter<br />

Ausdruck auf seinem Gesicht, seine Augen<br />

geschwollen und rot. Er lief klackernd<br />

zum Eingang, noch in seinen Radschuhen.<br />

Warum auch nicht? Seine Turnschuhe<br />

waren wahrscheinlich noch im Bus wie<br />

sonst auch – schließlich plant niemand,<br />

eine Tour-Etappe im Mannschaftswagen<br />

„THIBAUT HAT HART GEARBEITET, UM DIESE<br />

TOUR IN GUTER FORM IN ANGRIFF ZU NEHMEN.<br />

ES WAR SCHICKSAL, DASS ER NICHT GEWINNEN<br />

KONNTE, ABER WIR KOMMEN ZURÜCK.“<br />

Marc Madiot, Groupama-FDJ-Teammanager<br />

98 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ETAPPE<br />

13<br />

FREITAG, 19. JULI<br />

PAU › PAU<br />

27,2 KM EZF<br />

THIBAUT<br />

PINOT<br />

zu beenden. Aber man hätte trotzdem<br />

denken können: Er ist nicht bereit, sich<br />

einzugestehen, dass seine Tour vorbei ist,<br />

deswegen trägt er noch seine Radschuhe.<br />

Pinot stellte sich wenig später in einer<br />

gemütlichen, mit abgenutztem rotem Teppich<br />

ausgelegten Lounge im ersten Stock<br />

seines Hotels den Medien, was man ihm<br />

hoch anrechnen muss.<br />

„Ich habe es satt“, sagte er ruhig, und<br />

es sah aus, als hätte das letzte bisschen<br />

Energie seinen Körper verlassen.<br />

„Ich habe weitergekämpft und es gab<br />

immer die kleine Chance, dass mein<br />

Bein heilt, aber es kam nicht so.“<br />

Draußen fand durch unglückliche Umstände<br />

die hastig improvisierte Siegerehrung<br />

für die Trikots statt, und der Lärm<br />

der Musik und Hochrufe für Egan Bernal,<br />

als er das Gelbe Trikot überreicht bekam,<br />

drangen durch die Fenster herein, eine<br />

unpassende Party-Kulisse für die Totenwache,<br />

die innen gehalten wurde.<br />

Pinots Daumen tippten einander an,<br />

als er weitersprach.<br />

„Ich hätte gewinnen können. Davon<br />

bin ich überzeugt“, sagt er. Dann weinte<br />

er wieder, und niemandem fiel etwas ein,<br />

was er noch hätte fragen können.<br />

Madiot sagte: „Wir müssen uns auskurieren,<br />

und dann kommen wir wieder<br />

auf die Beine. Thibaut hat hart gearbeitet,<br />

um diese Tour in guter Form in Angriff<br />

zu nehmen. Es war Schicksal, dass<br />

er nicht gewinnen konnte, aber wir kommen<br />

zurück.“<br />

Pinot, der bei dieser Tour große Erwartungen<br />

hatte, hatte unter einer Uhr gesessen,<br />

die um 8:40 Uhr stehen geblieben<br />

war. Madiot sagte auch, dass Pinot jetzt<br />

Zeit brauche, aber die stehengebliebene<br />

PINOTS<br />

GRAND-<br />

TOUR-<br />

MÜHEN<br />

12<br />

GRAND-TOUR-<br />

STARTS<br />

6 x DNF<br />

4 x Tour de<br />

France<br />

1 x Giro d’Italia<br />

1 x Vuelta a<br />

Espana<br />

2012 10. der Tour<br />

2013 DNF, Tour,<br />

7. der Vuelta<br />

2014 DNF, 3. der Tour<br />

Tour, Vuelta<br />

2015 16. der Tour<br />

2016 DNF, Tour<br />

2017 DNF, Tour,<br />

4. des Giro<br />

2018 DNF, Giro,<br />

6. der Vuelta<br />

<strong>2019</strong> DNF, Tour<br />

Mit einem starken<br />

Mannschaftszeifahren<br />

auf der<br />

2. Etappe eröff ne -<br />

te Groupama-FDJ<br />

das Rennen.<br />

Uhr war ein Symbol der Tatsache, dass<br />

seine Zeit – zumindest bei der Tour <strong>2019</strong><br />

– abgelaufen war.<br />

GEWINNE UND VERLUSTE<br />

Weniger als eine Woche vor Tignes hatte<br />

sich Pinot im Glutofen eines Hotel-Innenhofs<br />

in Nîmes hingesetzt, um eine<br />

Pressekonferenz zu geben, nachdem er<br />

einen Etappensieg am Col du Tourmalet<br />

und einen zweiten Platz am Prat<br />

d’Albis geholt hatte – an einem Tag, an<br />

dem er sämtliche Tour-Favoriten abgeschüttelt<br />

hatte.<br />

Dass Pinot noch nicht im Gelben Trikot<br />

war, lag an zwei Dingen: erstens an den<br />

100 Sekunden, die er bei Seitenwind in<br />

Albi verloren hatte – auf einer Etappe, auf<br />

die er vielleicht eines Tages zurückblickt<br />

und sie als den maßgeblichen Faktor betrachtet,<br />

dass er die Tour nicht gewonnen<br />

hat; und zweitens an der dynamischen<br />

und störenden Aggression von Julian Alaphilippe,<br />

dessen Spritzigkeit in den kürzeren<br />

Anstiegen keine Überraschung war,<br />

aber dessen Langlebigkeit im Hochgebirge<br />

der Pyrenäen und Alpen sehr gefährlich<br />

auszusehen begann.<br />

Bis Albi war für Pinot alles gut gelaufen.<br />

Groupama-FDJ hatte das Mannschaftszeitfahren<br />

in Brüssel im Griff gehabt,<br />

nicht zuletzt dank des Neuzugangs Stefan<br />

Küng, der half, das Team auf den 8. Platz<br />

zu befördern, aber vor allem nur zwölf Sekunden<br />

hinter dem zweitplatzierten Ineos.<br />

Bei der Hügelankunft in Épernay wurde<br />

Pinot wie alle anderen von Alaphilippes<br />

Soloangriff und Etappensieg überrascht,<br />

aber er war auf der richtigen Seite eines<br />

Risses im Peloton, das die nächsten elf<br />

Fahrer vom Rest des Feldes, darunter Titelverteidiger<br />

Geraint Thomas, um fünf<br />

Sekunden trennte. Er war Fünfter in La<br />

Planche des Belles Filles, seinem „Heim“-<br />

Anstieg – Thomas, Alaphilippe und Pinot<br />

nahmen hier allen anderen Favoriten Zeit<br />

ab. Und er ging bei einer weiteren spektakulären<br />

Schlussattacke von Alaphilippe<br />

auf der Etappe nach Saint-Étienne mit<br />

und holte 20 Sekunden plus einen Sechs-<br />

Sekunden-Bonus auf den Rest seiner<br />

Rivalen heraus. Er war Gesamt-Dritter,<br />

53 Sekunden hinter Alaphilippe, aber<br />

19 vor Thomas, 23 vor Bernal und 34 vor<br />

Steven Kruijswijk, seinen schärfsten Rivalen<br />

in der Gesamtwertung.<br />

Albi hatte Sand ins Getriebe gestreut,<br />

aber er hatte die Pyrenäen-Etappen<br />

Trotz der hohen Decke und der<br />

Tatsache, dass der Konferenzraum groß<br />

genug war, um endlose Tischreihen<br />

aufzunehmen, konnte man das Echo des<br />

Erstaunens im Palais Beaumont von Pau<br />

deutlich hören, als Julian Alaphilippe<br />

nach dem Zeitfahren die Ziellinie mit<br />

einer neuen Bestzeit überquerte. Zur<br />

Überraschung aller Experten hatte der<br />

Franzose diese Etappe vor allen anderen<br />

Zeitfahrspezialisten gewonnen.<br />

Alaphilippe selbst hüpfte – komplett in<br />

Gelb gekleidet, samt gelbem Aerohelm<br />

– im Ziel von seinem Fahrrad, beugte die<br />

Knie und streckte die Arme so weit aus<br />

wie das Grinsen in seinem Gesicht, bevor<br />

er seine Teamkollegen umarmte, die im<br />

Zielbereich auf ihn warteten. Eigentlich<br />

war erwartet worden, dass er an diesem<br />

Tag sein Gelbes Trikot würde abgeben<br />

müssen. Doch stattdessen begann nun,<br />

nach 13 Tagen, der wahre Kampf um den<br />

Gesamtsieg. Niemand hatte mit<br />

Alaphilippe gerechnet, der förmlich<br />

über den Stadtkurs flog und sein Rad<br />

perfekt durch alle Kurven manövrierte.<br />

Ebenso rechnete niemand damit, dass er<br />

den letzten, 100 Meter langen Anstieg<br />

derart schnell fahren würde, dass er<br />

Geraint Thomas weitere acht Sekunden<br />

abnahm. Ein großer Tag für Alaphilippe,<br />

ein großer Tag für Frankreich.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 35:00<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +0:14<br />

3 Thomas De Gendt Lotto Soudal +0:36<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 53:01:<strong>09</strong><br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:26<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +2:12<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora-Hansgrohe 277<br />

2 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 191<br />

3 Elia Viviani Deceuninck-QS 184<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 99


ETAPPE<br />

14<br />

THIBAUT<br />

SAMSTAG, 20. JULI<br />

TARBES ›<br />

TOURMALET BARÈGES<br />

117,5 KM<br />

Wie viel Spannung kann ein Radrennen<br />

auf 117 Kilometern bieten? Wenn es der<br />

Col du Soulor ist, gefolgt vom Tourmalet<br />

– 19 Kilometer mit 7,4 Prozent – dann<br />

wird es tatsächlich richtig spannend.<br />

Bereits bei der Auffahrt zum Soulor<br />

brach Romain Bardet komplett ein und<br />

verlor dort über 20 Minuten. Auch Adam<br />

Yates musste hier abreißen lassen,<br />

schaffte es in der Abfahrt zurück in die<br />

Gruppe des Gelben Trikots, verlor aber<br />

letztendlich doch sieben Minuten zur<br />

Spitze. An den unteren Hängen des<br />

Tourmalets wurde Dan Martin abgehängt,<br />

als Movistar ein hartes Tempo in<br />

der Gruppe um Alaphilippe anschlug.<br />

Das ging spektakulär nach hinten los, als<br />

Nairo Quintana etwa zehn Kilometer vor<br />

dem Ziel nicht mehr mithalten konnte.<br />

Dann beschleunigten David Gaudu und<br />

sein Teamkollege Thibaut Pinot, wobei<br />

Steven Kruijswijk mit seinen Leutnants<br />

Laurens De Plus und George Bennett,<br />

sowie Egan Bernal, Geraint Thomas,<br />

Emanuel Buchmann und das Gelbe<br />

Trikot Julian Alaphilippe mitzogen. Ein<br />

Angriff kurz nach der Flamme Rouge<br />

schüttelte Thomas ab, der 30 Sekunden<br />

später durch das Ziel rollte. Im finalen<br />

Sprint kam keiner der letzten Fahrer an<br />

Pinot vorbei. Wenn dieser Sieger eine<br />

Überraschung war, war dies nichts im<br />

Vergleich dazu, dass Alaphilippe seine<br />

Führung im Gelben Trikot weiter<br />

ausbauen konnte.<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

PINOT<br />

Groupama-FDJ-<br />

Boss Marc Madiot<br />

betonte, dass<br />

Pinot die Tour<br />

erneut in Angriff<br />

nehmen werde.<br />

Pinot und Ala -<br />

phi lippe geben sich<br />

die Hand, nachdem<br />

sie die 8. Etappe<br />

mit einer gemeinsamen<br />

Attacke befeuert<br />

haben.<br />

und das Zeitfahren in Pau genutzt, um<br />

dieses Defizit wettzumachen, angetrieben<br />

von Wut und der besten Form seines Lebens.<br />

In den Pyrenäen konnte ihm niemand<br />

Paroli bieten und Cyrille Guimard,<br />

der in seiner Blütezeit als Manager in den<br />

1980ern mit Bernard Hinault, Laurent<br />

Fignon und Greg LeMond gearbeitet hatte,<br />

sagte: „Ich habe einen Tiger auf seinem<br />

Rad gesehen. Der Ausdruck in seinen Augen<br />

sagte, dass er alle fressen will.“<br />

In Nîmes sah Pinot wie ein kommender<br />

Sieger aus. Er benahm sich auch so. „Ich<br />

bin nicht, wie ich vorher war“, sagte er.<br />

Pinot hat den Großteil seines Erwachsenenlebens<br />

mit der Verfolgung des Ziels<br />

verbracht, Radrennen zu gewinnen und zu<br />

versuchen, dem Ruhm, der Aufmerksamkeit<br />

und dem Bullshit zu entkommen, die<br />

zwangsläufig damit einhergehen. Die nebligen,<br />

kühlen und feuchten Berge in der<br />

Umgebung von Mélisey, seiner Heimatstadt<br />

in den Vogesen, haben ihn geprägt<br />

– er ist ein grüblerischer, introvertierter<br />

Mensch, dessen tägliche Routine sich ums<br />

Tierehüten, Gemüseanbauen und Radfahren<br />

dreht, eine Existenz, die der Komplexität<br />

des Mannes selbst diametral entgegengesetzt<br />

ist.<br />

Die allgemeine Auffassung war, dass<br />

Pinot den Druck nicht vertrug und eine<br />

Reihe von aufgegebenen Rennen ihm einen<br />

Verfolgungswahn eingebracht hatte.<br />

Überhaupt standen frühen Erfolgen – Gesamt-Zehnter<br />

plus ein Etappensieg bei<br />

seinem Tour-Debüt 2012 mit 22; dritter<br />

Platz zwei Jahre später – diverse Desaster<br />

im Laufe der Jahre gegenüber. Er bekam es<br />

2013 mit der Abfahrtsangst zu tun, und<br />

seine Tour 2015 rettete er nur mit einem<br />

Etappensieg in Alpe d’Huez, als er in der<br />

Gesamtwertung keine Rolle mehr spielte.<br />

Er wandte sich von der Tour ab und zeigte<br />

sein Talent beim Giro und der Vuelta sowie<br />

einem Sieg bei der Lombardei-Rundfahrt<br />

vor seinem Helden Vincenzo Nibali<br />

im vergangenen Jahr.<br />

Doch das Gefühl von Zerbrechlichkeit<br />

hielt an – er ging als Gesamt-Dritter in die<br />

vorletzte Etappe des Giro 2018 und beendete<br />

den Tag in einem Krankenhausbett,<br />

mit Lungenentzündung.<br />

In Nîmes jedoch machte Pinot einen<br />

zuversichtlichen Eindruck. Seine Ant-<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Thibaut Pinot Groupama-FDJ 3:10:20<br />

2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:06<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 56:11:29<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +2:02<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +2:14<br />

BERGWERTUNG<br />

1 Tim Wellens Lotto Soudal 64<br />

2 Thibaut Pinot Groupama-FDJ 42<br />

3 Thomas De Gendt Lotto Soudal 37<br />

100 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

THIBAUT<br />

PINOT<br />

© Gruber Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 101


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

THIBAUT<br />

PINOT<br />

Unter Tränen<br />

steigt Pinot ins<br />

Teamauto, nachdem<br />

er realisieren<br />

muss, dass seine<br />

Tour vorbei ist.<br />

worten und seine Körpersprache auf der<br />

Pressekonferenz suggerierten, dass er keinerlei<br />

Zweifel an seiner Fähigkeit hatte, die<br />

Tour zu gewinnen – er war sehr sachlich<br />

in seinem Selbstvertrauen, nicht defensiv.<br />

Madiot, der neben ihm saß, sagte: „Wir<br />

sind Zen.“ ‚Zen‘ wäre das letzte Adjektiv,<br />

das man benutzen würde, um Madiot –<br />

der gefilmt worden war, wie er sich bei<br />

Pinots Sieg am Tourmalet die Seele aus<br />

dem Leib schrie – zu charakterisieren,<br />

aber bei der diesjährigen Tour strahlte<br />

Groupama eine ruhige Zuversicht aus.<br />

Pinot hat sich wirklich verändert. Man<br />

könnte sagen, dass sein Kopf seine Beine<br />

eingeholt hat – der Mann, der mit 22 Jahren<br />

eine Tour-Etappe gewann, war abseits<br />

der Straße immer noch ein Junge. Aber<br />

jetzt, nicht mehr still und feindselig, fuhr<br />

er wie ein Toursieger und benahm sich<br />

auch wie einer.<br />

„Das Erste, was Sie über Thibaut wissen<br />

müssen, ist, dass er ein sehr spontaner<br />

Junge ist“, sagte Elisa Madiot, die Pressesprecherin<br />

des Teams, zu Procycling. „Als<br />

Person und Athlet würde er nie etwas tun,<br />

was er nicht will. Er tut, wonach er sich<br />

fühlt, und als Athlet hat er ein sehr gutes<br />

Gespür für ein Rennen. Er spürt die Situation<br />

– er ist der Beste, den ich je gesehen<br />

habe. Andererseits, wenn er etwas nicht<br />

will, kannst du alles versuchen, aber er<br />

wird es nie tun.“<br />

Sie sagt weiter: „Als er jünger war,<br />

konnte er nicht verstehen, warum die Leute<br />

so interessiert an ihm waren, er hatte<br />

Angst vor den Erwartungen an ihn, und er<br />

wollte nicht, dass sich sein Leben verändert.<br />

Er ist gerne mitten in der Natur mit<br />

seinen Tieren und niemandem um ihn<br />

herum. Aber er beginnt zu verstehen, dass<br />

es seine Nachteile hat, ein erfolgreicher<br />

Sportler zu sein, und es ist Teil des Lebens,<br />

das er sich ausgesucht hat.“<br />

Sein Bruder Julien, der zum Trainerstab<br />

von Groupama gehört, bestätigt, was<br />

Elisa Madiot sagte. „Als er jung war, behielt<br />

Thibaut seine Meinung immer für<br />

sich. Er mochte es nie, eingeschränkt zu<br />

werden; er lässt sich nicht gerne managen.<br />

Er will seine Entscheidungen immer selbst<br />

treffen und nicht auf Leute hören, die ihn<br />

in eine Schublade stecken wollen, sei es in<br />

der Schule oder in seinem Radsportteam“,<br />

sagte er. „Aber andererseits hat er eine<br />

Reflexionsfähigkeit, dank derer er einen<br />

Fehler sehr selten zweimal macht.“<br />

AUS DEM RAMPENLICHT<br />

Pinot stand <strong>2019</strong> nie mitten im Fokus der<br />

französischen Erwartungen. Alaphilippe,<br />

ein viel gewinnenderer und extrovertierterer<br />

Charakter, der sich in seiner Haut vollkommen<br />

wohlzufühlen schien, trug fast<br />

zwei Wochen lang das Gelbe Trikot und<br />

absorbierte viel von der Aufmerksamkeit,<br />

die Pinot zuteilgeworden wäre, wenn er<br />

als einziger Franzose nahe der Spitze der<br />

Gesamtwertung gewesen wäre. Angesichts<br />

seiner spritzigen Angriffe, seines<br />

Siegs im Zeitfahren und starker Vorstellungen<br />

in den Pyrenäen war die größte<br />

Frage, die das französische Publikum sich<br />

stellte: Kann Alaphilippe die Tour gewinnen?<br />

Aufgrund der in Albi verlorenen Zeit<br />

kam Pinot nie näher als eine Minute an<br />

das Gelbe Trikot heran.<br />

Es war fast, als wüssten das französische<br />

Publikum und die Presse, dass sie<br />

ihn, wenn sie zu sehr darauf hofften, dass<br />

Pinot gewinnt, mit Druck überladen würden;<br />

und es gab die nagende Furcht, dass<br />

irgendetwas irgendwie bei ihm schiefgehen<br />

würde … wie immer.<br />

Die Aussicht auf einen ersten französischen<br />

Sieger seit 34 Jahren hätte die Nation<br />

in Ekstase versetzen sollen – unter den<br />

gegebenen Umständen war sich das Publikum<br />

zwar bewusst, dass etwas Besonderes<br />

passierte, folgte aber Alaphilippes Beispiel<br />

und nahm die Tour Tag für Tag. (Pinots<br />

Bruder Julien behauptete, der erste französische<br />

Sieger seit Jahren zu sein, sei nicht<br />

ausschlaggebend; sie wollten nur die Tour<br />

gewinnen. „Der erste französische Sieger<br />

seit Hinault zu sein, belastet uns nicht. Es<br />

ist uns egal“, sagt er zu Procycling. „Die<br />

Journalisten interessiert es. Uns? Pah.“)<br />

Doch Pinot versteckte sich nicht. „Bei<br />

Thibaut geht es mehr um Emotionen als<br />

um Action“, sagte Madiot dem Daily Telegraph<br />

während der Tour. Seine Angriffe<br />

in Saint-Étienne, am Tourmalet und Prat<br />

d’Albis erinnerten an die Frankreich-<br />

Rundfahrten in den Zeiten vor Ineos/Sky,<br />

vor Armstrong und vor Indurain und ver-<br />

102 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

THIBAUT<br />

PINOT<br />

ETAPPE<br />

15<br />

SONNTAG, 21. JULI<br />

LIMOUX ›<br />

FOIX PRAT D’ALBIS<br />

185,5 KM<br />

William Bonnet<br />

tröstet Pinot, als<br />

der Schmerz seiner<br />

Verletzung<br />

zu stark ist, um<br />

weiterzufahren.<br />

zauberten die einheimischen Fans ebenso<br />

sehr wie die neutralen Zuschauer. Er<br />

nahm uns alle mit in schwindelerregende<br />

Höhen, daher war es nur natürlich, dass<br />

wir seinen Schmerz mitfühlten, als er hart<br />

auf der Erde aufprallte.<br />

Viele Jahre bewahrte Pinot eine gewisse<br />

Distanz zum französischen Publikum,<br />

erst durch öffentliche Bekundungen von<br />

mangelndem Selbstvertrauen, dann dadurch,<br />

dass er dem größten Rennen seines<br />

Heimatlands die kalte Schulter zeigte und<br />

es vorzog, sich auf neutralem Terrain in<br />

Italien oder Spanien zum Ausdruck zu<br />

bringen. <strong>2019</strong> gestattete er den französischen<br />

Fans zumindest, sich von ihnen<br />

in guten wie in schlechten Zeiten in die<br />

Arme nehmen zu lassen. Ob Pinot davon<br />

profitiert oder nicht, ist fraglich – die französische<br />

Presse schlachtete seine Qualen<br />

in Tignes weidlich aus, und die Erwartung<br />

schien zu sein, dass sein Martyrium öffentlich<br />

und schmerzvoll sein sollte.<br />

Aber die breitere Geschichte war eine<br />

positivere. Pinot hatte endlich die Tour<br />

wiederentdeckt – er versprach, sich von<br />

nun an darauf zu konzentrieren, das Gelbe<br />

Trikot zu gewinnen. Die Tour hat Thibaut<br />

Pinot immer geliebt, aber er hat lange gebraucht,<br />

diese Liebe zu erwidern.<br />

Als sich die Tour dem Fuße des Prat<br />

d’Albis näherte, öffnete der Himmel<br />

seine Schleusen. Zwei Wochen lang war<br />

das Peleton weitgehend von Regen<br />

verschont worden, aber jetzt, als sich<br />

der letzte Anstieg der Pyrenäen näherte,<br />

kam es zu einem heftigen Regenguss.<br />

Die Stadt Foix im Tal war durchnässt,<br />

während niedrig stehende Wolken<br />

und Nebel die Gipfel geheimnisvoll ver -<br />

deckten. Jeder machte sich Gedanken,<br />

was wohl oben zu erwarten sei.<br />

Da die GC-Fahrer am Tourmalet die<br />

Kontrolle behalten hatten, wurde eine<br />

große Ausreißergruppe mit 36 Fahrern<br />

ziehen gelassen, um um den Tagessieg<br />

zu fahren. Simon Yates hatte bei den<br />

ersten drei Anstiegen des Tages<br />

abgewartet, bis die Gruppe allmählich<br />

kleiner wurde. Als Simon Geschke an der<br />

Mur de Péguère vorausging, fuhr Yates<br />

die Lücke zu und zog schließlich von<br />

dannen. Er jagte solo den letzten Anstieg<br />

hinauf und holte seinen zweiten Sieg. Als<br />

die GC-Fahrer am Prat d’Albis eintrafen,<br />

erwies sich Thibaut Pinot zum zweiten<br />

Mal in Folge als der beste Kletterer des<br />

Rennens. Er ging an der steilen, neunprozentigen<br />

Steigung sechs Kilometer<br />

vor dem Ziel aus dem Sattel und keiner<br />

seiner Konkurrenten konnte folgen. An<br />

der Linie hatte er weitere 1:16 auf das<br />

Gelbe Trikot gutgemacht. Nur 2:14 lagen<br />

jetzt zwischen den ersten sechs Plätzen<br />

und der Sieger stand noch in den Sternen.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Simon Yates Mitchelton-Scott 4:47:04<br />

2 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:33<br />

3 Mikel Landa Movistar gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

7Anzahl der<br />

Grand-Tour-<br />

Etappensiege<br />

von Pinot<br />

SEINE ANGRIFFE IN SAINT-ÉTIENNE, AM TOURMALET<br />

UND PRAT D’ALBIS ERINNERTEN AN DIE ZEITEN VOR<br />

INEOS/SKY, VOR ARMSTRONG UND VOR INDURAIN<br />

UND VERZAUBERTEN DIE EINHEIMISCHEN FANS<br />

EBENSO SEHR WIE DIE NEUTRALEN ZUSCHAUER.<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 61:00:22<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:47<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 284<br />

2 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 191<br />

3 Michael Matthews Team Sunweb 187<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 103


104 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

SIMON<br />

YATES<br />

W I E D E R G U T M A C H U N G<br />

Nach einem unbefriedigenden Giro d’Italia meldete sich Simon<br />

Yates zurück und gewann zwei Etappen der Tour. Es verkörperte<br />

die Fähigkeit seines Mitchelton-Scott-Teams, das Ruder in schwierigen<br />

Situationen herumzureißen.<br />

Text Sophie Hurcom<br />

© Chris Auld<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 105


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

SIMON<br />

YATES<br />

S<br />

imon Yates steht auf und schüttelt sein<br />

Trikot von der Brust weg, um etwas kühle<br />

Luft zirkulieren zu lassen. Es steht ein<br />

Klimagerät auf dem Boden des Konferenzraums<br />

im dritten Stock des Logis Nîmotel<br />

in Nîmes, wo Mitchelton-Scott am zweiten<br />

Ruhetag der Tour de France untergebracht<br />

ist. Draußen ist das Thermometer<br />

auf 37 Grad geklettert. Yates ist zwar in<br />

einem australischen Team, aber in diesem<br />

sengenden, nicht heimischen Klima ist er<br />

immer noch der Junge aus dem englischen<br />

Bury. Er lacht, als er dem Team-Pressesprecher<br />

sagt, dass er sitzen bleibe, wo er<br />

während unseres Interviews saß – nur vor<br />

einer Klimaanlage halte man es heute aus.<br />

Yates ist guter Dinge, und das ist kein<br />

Wunder. Am Tag zuvor hat er seine zweite<br />

Etappe bei der Tour gewonnen. Er lächelt,<br />

als er sich wieder auf seinen Platz setzt;<br />

aufeinanderfolgende Interviews sind nicht<br />

anstrengend, wenn man gute Resultate<br />

auf seiner Seite hat.<br />

Vor sechs Wochen war das noch ganz<br />

anders. Yates hatte gerade den Giro d’Italia<br />

beendet und war Gesamt-Achter geworden<br />

– mit 7:49 Minuten Rückstand<br />

auf den Sieger Richard Carapaz. Für andere<br />

wäre ein Top-Ten-Platz bei einer großen<br />

Rundfahrt ein mehr als respektables Ergebnis,<br />

doch nicht für Yates. Er war in Italien<br />

angetreten, um den Titel zu holen und<br />

die Erinnerungen an zwölf Monate zuvor<br />

auszulöschen, als er auf der 19. Etappe,<br />

das Rosa Trikot auf den Schultern, entkräftet<br />

einbrach. Moralisch gestärkt durch<br />

seine erste gewonnene Landesrundfahrt,<br />

die Vuelta a España im September, erklärte<br />

er mutig, den Giro im Mai gewinnen zu<br />

wollen. Auf der Pressekonferenz vor dem<br />

Rennen zeigte er selbstsicher und ungeniert<br />

auf sich selbst und sagte „ich“, als er<br />

gefragt wurde, wer der Favorit sei.<br />

Achter zu werden, war nicht sein Plan.<br />

Tatsächlich nannte Yates das Resultat<br />

„herzzerreißend“.<br />

Yates kam dann kurzfristig ins Tour-<br />

Aufgebot, um seinen Bruder Adam in der<br />

Gesamtwertung zu unterstützen. Simon<br />

hatte die Freiheit, auf Etappenjagd zu gehen,<br />

insbesondere als Adam die Gesamtwertung<br />

abschreiben konnte. Er ergriff die<br />

Chance mit beiden Händen und gewann<br />

seine ersten beiden Tour-Etappen sicher<br />

und souverän, erst auf der 12. Etappe in<br />

Bagnères-de-Bigorre aus der Ausreißergruppe<br />

heraus, bevor er die Galavorstellung<br />

drei Tage später auf der 15. Etappe<br />

am Prat d’Albis wiederholte. Wenn Yates’<br />

Glücksbringer beim Giro verloren gegangen<br />

war, hatte er ihn wiedergefunden.<br />

„Körperlich bin ich sehr gut daraus<br />

[dem Giro] hervorgegangen, so gut habe<br />

ich mich noch nie von einer großen Rundfahrt<br />

erholt“, sagt er zu Procycling, während<br />

er mit seinem Silberarmband am linken<br />

Handgelenk spielt.<br />

„Ich war nie fest für die Tour eingeplant,<br />

aber ich habe mich sehr gut regeneriert<br />

und bin dann ohne Druck ins Rennen gegangen,<br />

es ist eine Kombination, um hier<br />

wirklich in guter Form zu starten.“<br />

Yates spielt seine Gefühle nach dem<br />

Giro nicht herunter: „Ich bin dort angetreten,<br />

um zu gewinnen, daraus mache ich<br />

keinen Hehl, und das nicht zu schaffen,<br />

war sehr enttäuschend“, sagt er. Aber er<br />

will das Resultat abhaken. Er habe danach<br />

sofort Urlaub gemacht, wie nach jeder<br />

Landesrundfahrt, und nicht viel Zeit zum<br />

Grübeln gehabt, wie er sagt.<br />

Die Tour lieferte eine willkommene Ablenkung,<br />

zumal er mehr Freiheiten hatte<br />

und weniger unter Druck stand, als wenn<br />

er die Gesamtwertung angepeilt hätte.<br />

Stattdessen konnte er an den Tagen, die<br />

ihm am meisten lagen, angriffslustig und<br />

nach seinem Instinkt fahren, wie er es<br />

mag. Die Etappensiege waren eine natürliche<br />

Folge.<br />

„Ich hatte wirklich Spaß“, sagt Yates.<br />

„Wenn es auf das Ende eines Rennens zugeht,<br />

spürst du den Druck und willst etwas<br />

gewinnen, aber wenn ich etwas versuche<br />

und es nicht funktioniert, ist es<br />

nicht schlimm, denn mein Ziel war, meinen<br />

Bruder Adam zu unterstützen. Ich<br />

habe hier nicht wirklich etwas zu verlieren,<br />

was mir hilft, glaube ich.“<br />

Am Hourquette<br />

d’Ancizan startet<br />

Yates die Attacke,<br />

die ihm den Sieg<br />

auf der 12. Etappe<br />

bringen wird.<br />

DAS POSITIVE SEHEN<br />

Man verliert im Radsport häufiger als man<br />

gewinnt. Dass man sich wieder aufrappelt<br />

und es erneut versucht, ist also ganz<br />

normal. Der Sport ist voller Höhen und<br />

Tiefen, doch Yates und sein Mitchelton-<br />

Scott-Team scheinen es besser zu verstehen<br />

als andere, Enttäuschung schnell in<br />

Freude umzumünzen. Beim Giro 2018<br />

ging Mikel Nieve 24 Stunden nach Yates‘<br />

Einbruch am Colle delle Finestre in die<br />

Ausreißergruppe und gewann die Etappe.<br />

Yates meldete sich nach dem Giro zurück<br />

und entschied die Vuelta für sich. Und als<br />

er beim diesjährigen Giro keine Chancen<br />

mehr auf den Sieg hatte, gewann sein<br />

Teamkollege Esteban Chaves die vorletzte<br />

Bergetappe (19.).<br />

Und jetzt die Tour. Yates’ zwei Siege<br />

waren nicht das Einzige, was Mitchelton<br />

zu feiern hatte; auch Daryl Impey und<br />

Matteo Trentin mischten mit und gewannen<br />

die Etappen 8 und 17, ebenfalls aus<br />

Ausreißergruppen heraus. Obwohl Adam<br />

Yates das Podium weit verfehlte, machten<br />

Mitcheltons vier Etappensiege die Tour<br />

<strong>2019</strong> zu ihrer erfolgreichsten Auflage<br />

überhaupt.<br />

Die Reaktion von Sportdirektor Matt<br />

White, als Yates seine zweite Etappe<br />

gewann, sagte alles. Am Tag vor der<br />

15. Etappe verlor Adam am Tourmalet<br />

6:42 Minuten und rutschte vom 10. auf<br />

den 18. Platz ab. Jeder Hauch von Hoffnung<br />

auf einen Podiumsplatz war verflogen.<br />

Als Simons zweiter Etappensieg<br />

MITCHELTON-<br />

SCOTTS<br />

TOUR-ATTACKEN<br />

Alle vier Etappensiege von Mitchelton-Scott bei der Tour<br />

entstanden aus Ausreißergruppen. Doch diese Tage waren nicht<br />

die einzigen, an denen das Team zum Angriff blies.<br />

ETAPPE FAHRER DISTANZ ERGEBNIS<br />

9 Daryl Impey 156 km 1.<br />

12 Simon Yates & Daryl Impey 167 km 1., 6.<br />

15 Simon Yates 147 km 1.<br />

17 Matteo Trentin 194 km 1.<br />

18 Adam Yates 128 km 31.<br />

19 Simon Yates 101 km (2.)<br />

106 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

SIMON<br />

YATES<br />

ETAPPE<br />

16<br />

DIENSTAG, 23. JULI<br />

NÎMES › NÎMES<br />

177 KM<br />

Die französische Mittagshitze der<br />

unbarmherzig brennenden Sonne, die<br />

die Kehlen der wartenden Tour-Fans<br />

austrocknete und ihnen das Gefühl gab,<br />

langsam gebacken zu werden, legte sich<br />

über Nîmes. Lethargie machte sich im<br />

Peloton breit. Ein nur leichter Wind aus<br />

dem Süden brachte nicht die benötigte<br />

Abkühlung, und das Feld blieb – von der<br />

Hitze wie gelähmt – zusammen.<br />

Vielleicht war es aber auch das<br />

ungewohnte Format dieser Etappe –<br />

sowohl Start als auch Ziel lagen in Nîmes,<br />

es war nicht das normale A nach B, das<br />

von den Organisatoren geplant wurde.<br />

Einer der besten psychologischen Tricks<br />

im Umgang mit der gewaltigen Distanz<br />

der Tour de France ist, sie in Etappen zu<br />

unterteilen, aber im Ziel waren die<br />

Fahrer nicht näher an Paris als beim<br />

Start. Nach zwei Dritteln des Rennens<br />

brach ein Gewitter über das Peloton<br />

herein und senkte die hohe Temperatur.<br />

In den Tagen zuvor hatte die Hitze die<br />

Spritzigkeit der Fahrer gehemmt. Auf<br />

dieser flachen Etappe sahen wir nun den<br />

zweiten Sprintsieg von Caleb Ewan.<br />

Deceuninck führte vorne ab einem<br />

Kilometer vor dem Ziel, doch Ewan eröffnete<br />

seinen Sprint bei 250 Metern und<br />

kämpfte sich vom siebten Platz zu<br />

seinem Etappensieg. Die Hitze kehrte<br />

schnell zurück, aber die kurze Abkühlung<br />

hatte Positives bewirkt.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Caleb Ewan Lotto Soudal 3:57:08<br />

2 Elia Viviani Deceuninck–QS gl. Zeit<br />

3 Dylan Groenewegen Jumbo–Visma gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 64:57:30<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:47<br />

NACHWUCHSWERTUNG<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 64:59:32<br />

2 David Gaudu Groupama-FDJ +13:31<br />

3 Enric Mas Deceuninck–QS +42:00<br />

© Gruber Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 107


ETAPPE<br />

17<br />

MITTWOCH, 24. JULI<br />

PONT DU GARD › GAP<br />

200 KM<br />

© Getty Images, Yuzuru Sunada (Trentin)<br />

Eine Flucht in der letzten Woche der<br />

Tour erfolgreich zu Ende zu bringen, ist<br />

mehr eine Kunst als eine Wissenschaft,<br />

und das machte Matteo Trentins Sieg in<br />

Gap zu einem capolavoro, einem<br />

Meisterwerk. Bereits zu Beginn der<br />

Etappe entkamen 33 Mann, darunter<br />

Fahrer wie Kasper Asgreen, Magnus<br />

Cort, Michael Schär und Schärs Teamkollege<br />

Greg Van Avermaet. Total Direct<br />

Energie und Arkéa Samsic verpassten<br />

die Absplittung und waren so genötigt,<br />

die Verfolgungsjagd an der Spitze des<br />

Pelotons anzuführen. Als sie die Arbeit<br />

abgaben, wuchs der Abstand auf<br />

20 Minuten. Trentin, der auf eine Attacke<br />

von Nils Politt reagierte, zog eine<br />

Gruppe von zehn starken Fahrern mit<br />

sich. Am Fuße des Col de la Sentinelle<br />

griff der Italiener dann an und ging zu<br />

Recht davon aus, dass die Gruppe<br />

auseinanderbrechen würde. „Ich dachte,<br />

mit vielleicht einem Abstand von zehn<br />

Sekunden würden sie anfangen, sich<br />

gegenseitig zu belauern, und dann<br />

könnte ich es wahrscheinlich schaffen“,<br />

sagte er. Trentin brauchte seine Kraft,<br />

um kurz vor dem Ziel dem Angriff von<br />

Asgreen zu widerstehen. Der Europameister<br />

sagte, er habe sich am meisten<br />

Sorgen um den Deceuninck-Fahrer<br />

gemacht, weil er für die Etappe vom<br />

Team freie Hand bekommen hatte. Doch<br />

die Sorge war unbegründet; der Italiener<br />

erwies sich im Finale als der klügste und<br />

stärkste Athlet auf der Etappe nach Gap.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Matteo Trentin Mitchelton-Scott 4:21:36<br />

2 Kasper Asgreen Deceuninck–QS +0:37<br />

3 Greg Van Avermaet CCC Team +0:41<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 69:39:16<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:47<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 3<strong>09</strong><br />

2 Elia Viviani Deceuninck–QS 224<br />

3 Sonny Colbrelli Bahrain-Merida 203<br />

feststand, gratulierte White Yates über<br />

Funk, fasste sich dann mit der rechten<br />

Hand an die Augen, kniff sich in den Nasenrücken,<br />

und dann liefen die Tränen.<br />

Das bedeutete mehr für Yates und das<br />

Team, als nur eine Etappe zu gewinnen.<br />

„Sehen Sie, das gehört zu meinem Job.<br />

Um das Beste aus den Jungs herauszuholen,<br />

musst du eine Beziehung zu ihnen<br />

haben, und ich glaube, das Geheimnis<br />

dieses Teams ist die Art, wie wir auf<br />

Widrigkeiten reagieren“, sagte White zu<br />

Procycling.<br />

„Es kann so oder so laufen, du kannst<br />

dich runterziehen lassen und jammern<br />

oder eine neue Rechnung aufmachen und<br />

dich auf neue Ziele konzentrieren, und ich<br />

glaube, die Jungs haben wieder einmal<br />

gezeigt, dass sie das können. Es macht<br />

mich sehr stolz, wie diese Jungs reagieren<br />

und füreinander einstehen und den Plan<br />

dann umsetzen.“<br />

Tatsächlich war die souveräne Art, wie<br />

Yates seine beiden Etappen gewonnen hat,<br />

umso beeindruckender. Auf der 12. Etappe<br />

startete er, nachdem er in eine 42 Mann<br />

starke Ausreißergruppe gegangen war, auf<br />

der Kuppe des Hourquette d’Ancizan die<br />

entscheidende Attacke, bei der er Gregor<br />

Mühlberger und Pello Bilbao mitnahm.<br />

Nach einer langen Abfahrt ins Ziel schlug<br />

er die beiden im Sprint – er fuhr das Finale<br />

von vorn und hielt das Paar im Endspurt<br />

auf Distanz.<br />

Drei Tage später nahm er wieder eine<br />

große Ausreißergruppe auseinander. Dieses<br />

Mal setzte sich Yates am zweiten Anstieg<br />

des Tages mit einer 36 Fahrer umfassenden<br />

Gruppe ab. Als einer von nur<br />

wenigen Fahrern ohne Teamkollegen<br />

musste er seine Rivalen einen nach dem<br />

anderen loswerden. Die Gruppe schrumpf -<br />

te am Port de Lers auf 16, und nachdem<br />

Simon Geschke an der Mur de Péguère<br />

attackiert hatte, schloss Yates zu ihm auf.<br />

Das Duo arbeitete zusammen, bevor Yates<br />

8,5 Kilometer vor der Linie angriff und als<br />

Solist ins Ziel fuhr.<br />

„Ich war allein, daher war es sehr<br />

schwer, insbesondere auf diesen Talstraßen.<br />

Teams mit mehreren Fahrern können<br />

etwas versuchen und die Jungs, die keine<br />

Teamkollegen haben, unter Druck setzen.<br />

Aber ich habe die richtigen Hinterräder<br />

gewählt“, sagt er.<br />

Die Fans feuern<br />

Yates auf dem Weg<br />

zu seinem zweiten<br />

Etappensieg in den<br />

Pyrenäen an.<br />

„MEIN ZIEL WAR, MEINEN BRUDER<br />

ADAM ZU UNTERSTÜTZEN. ICH<br />

HABE HIER NICHT WIRKLICH ETWAS<br />

ZU VERLIEREN, WAS MIR HILFT,<br />

GLAUBE ICH.“<br />

Simon Yates, Mitchelton-Scott<br />

108 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

SIMON<br />

YATES<br />

„Ich habe einfach die richtigen Karten<br />

ausgespielt und mir die richtigen Hinterräder<br />

ausgesucht und war mir bewusst,<br />

was bei dem Rennen passierte. Keine große<br />

Sache eigentlich, ich versuche einfach,<br />

es mir unterwegs auszurechnen.“ Yates<br />

spielt seine Taktik auf der Etappe vielleicht<br />

herunter, aber White zweifelte nicht daran,<br />

welch starke Leistung sein Fahrer abgeliefert<br />

hatte. „Wenn du in einer 36 Mann<br />

starken Ausreißergruppe bist, kann es<br />

schwer sein, und wie er dieses Finale sezierte<br />

und sich seine Kraft im Anstieg<br />

sehr, sehr gut einteilte … er ist ein klasse<br />

Fahrer und ein verdienter Sieger.“<br />

INS UNBEKANNTE<br />

Zu Yates’ Leistung in Frankreich trug bei,<br />

dass er an den ersten zehn Tagen des<br />

Rennens viel Energie sparte. Trotzdem<br />

kann er sich nicht erklären, warum der<br />

Giro nicht lief wie geplant. „Ich weiß<br />

nicht“, sagt er nach einer Pause. „Meine<br />

Zahlen waren gut, ich war so leicht wie<br />

noch nie im Training und alles lief wirklich<br />

gut und nach Plan. So ist es eben<br />

manchmal. Das ist Sport. Du kannst<br />

nicht alles kontrollieren.“<br />

Er fügt hinzu: „Während des Rennens<br />

waren meine Zahlen nicht so gut wie in<br />

den Wochen davor. Normalerweise hätte<br />

ich erwartet, auf dem Niveau dieser Topfahrer<br />

zu sein; sie waren nicht Meilen<br />

besser als alle anderen. Wir wissen es<br />

immer noch nicht, ich hatte noch keine<br />

Zeit, mich hinzusetzen und alles durchzugehen.“<br />

Nach dem Giro 2018 konnte das Team<br />

genau sagen, was bei seinem Anlauf auf<br />

das Rosa Trikot schiefgegangen war; Yates<br />

war bei jeder Gelegenheit aggressiv gefahren.<br />

Er war erschöpft. Dieses Mal gerät er<br />

durch den Mangel an Antworten wahrscheinlich<br />

mehr in die Defensive als im<br />

7Die Anzahl<br />

von Yates’<br />

Etappensiegen<br />

bei den<br />

drei großen<br />

Rundfahrten<br />

Yates griff auf der<br />

19. Etappe nach<br />

einem dritten Sieg,<br />

ehe sie wegen<br />

schlechtem Wetter<br />

neutralisiert wurde.<br />

letzten Jahr. Aber er versichert, dass die<br />

unerwartete Formdelle kein Grund zur<br />

Besorgnis ist.<br />

„Ich habe es schon einmal geschafft,<br />

ich weiß, dass ich es wieder schaffe“, sagt<br />

er. „Ich denke, ich muss nur darauf achten,<br />

dass wir uns wirklich auf alles konzentrieren<br />

und es nirgendwo schleifen<br />

lassen, und dann können wir es noch einmal<br />

probieren.“<br />

Yates hat jetzt Etappensiege bei den<br />

drei großen Landesrundfahrten zu Buche<br />

stehen: drei beim Giro, zwei bei der<br />

Tour, zwei bei der Vuelta plus einen<br />

Vuelta-Titel. Es ist ein Palmarès, den<br />

keiner seiner britischen Landsleute mit<br />

26 vorweisen konnte.<br />

„Ich bin sehr stolz darauf, was ich<br />

unlängst erreicht habe. Ich bin hierhergekommen,<br />

um Adam zu helfen. Selbst<br />

die Etappen zu gewinnen, war eine<br />

kleine Überraschung“, sagt er mit einem<br />

Lächeln.<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 1<strong>09</strong>


© Gruber Images<br />

110 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JOURNAL<br />

ETAPPE 18<br />

VALLOIRE<br />

25.07.<strong>2019</strong><br />

KOLUMBIEN<br />

TOTAL<br />

GESPANNT<br />

eden Tag nimmt eine lautstarke Gruppe von<br />

J<br />

Ein-Mann-Bands aus lateinamerikanischen<br />

Radiosendern ihre Position vor einem Fernseher<br />

in einem kleinen weißen Pavillon direkt<br />

hinter der Ziellinie ein. Jeder Journalist ist mit kaum mehr<br />

als einem Mikrofon und einer starken, unverwechselbaren<br />

Stimme ausgestattet. Wenn einer ihrer Landsmänner im<br />

Peloton angreift, ist es, als hätte eine Gänseschar einen<br />

Fuchs erblickt: Alle sprechen auf einmal los, um die Fans<br />

zu Hause live auf dem Laufenden zu halten.<br />

Am Ende der 18. Etappe, als der Teer fast schmolz und<br />

die Ohren in der Sonne kribbelten, die auf die Avenue de<br />

la Vallée d’Or in Valloire brannte, nahm die Lautstärke zu,<br />

als Nairo Quintana die Überlebenden der Ausreißergruppe<br />

an den Oberhängen des Galibier, weit oberhalb des<br />

Col du Lauteret, angriff. Kurz darauf wurde das Dach des<br />

Pavillons praktisch heruntergerissen, als der Golden Boy<br />

des Landes, Egan Bernal, die Gruppe um das Gelbe Trikot<br />

angriff und niemand, nicht Thibaut Pinot, nicht Steven<br />

Kruijswijk, nicht Emanuel Buchmann und nicht sein<br />

Teamkollege Geraint Thomas, folgen konnte – auch wenn<br />

der Waliser es versuchte. Ein Kolumbianer für den Etappensieg<br />

und ein anderer, der in der Gesamtwertung vom<br />

fünften auf den zweiten Platz marschiert … für die Radioreporter<br />

gab es viel zu berichten.<br />

Quintana kam mit einem purpurroten Fleck auf seinem<br />

Trikot über die Linie. Blut, flüsterten alle. Woher sollte es<br />

kommen? Ein verschüttetes Energiegel erwies sich als<br />

wahrscheinlicher. Thomas zog die Medien so stark an,<br />

wie ein schwarzes Loch Materie anzieht. Seine Betreuer<br />

drängten und kämpften, um die Reporter und Fernsehkameras<br />

davon abzuhalten, ihren Fahrer zu zermalmen. Es<br />

gab vor allem nur eine Frage: Warum hatte er angegriffen?<br />

George Bennett, der zweimal auf der Etappe gestürzt<br />

war, wehrte Interviews mit einem wackelnden Finger und<br />

einem sauren Gesichtsausdruck ab. Er wurde zur Dopingkontrolle<br />

geführt, wo er seinen Kopf unter Schmerzen<br />

und Müdigkeit gegen die Kabinenwand lehnte, das gelbschwarze<br />

Jumbo–Visma-Trikot über seine Schultern gehängt,<br />

seine Beine blutverschmiert und von Schweiß und<br />

Öl benetzt.<br />

Und dann, einfach so, gingen heftige Regenfälle nieder<br />

und die Hitze in Valloire verflüchtigte sich. Nicht so unsere<br />

kolumbianischen Freunde vom Radio. Mit Bernal als<br />

stärkstem Fahrer in den Alpen würden ihre nächsten Tage<br />

noch aufregender werden.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 111


112 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JULIAN<br />

ALAPHILIPPE<br />

UNIVERSALGENIE<br />

Julian Alaphilippe war der Shootingstar der diesjährigen Tour,<br />

trug 14 Tage lang das Gelbe Trikot und gewann zwei Etappen.<br />

Seine große Persönlichkeit und unwiderstehliche Fahrweise<br />

brachten eine neue Seite des Rennens hervor,<br />

wie Procycling herausfand.<br />

Text Edward Pickering<br />

Fotografie Chris Auld<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 113


Auf dem Schotter<br />

im Finale von La<br />

Planche des Belles<br />

Filles startete<br />

Alaphilippe eine<br />

Attacke.<br />

© Getty Images (klein), Yuzuru Sunada<br />

Der Zeitfahrkurs<br />

in Pau lag Alaphilippe,<br />

dennoch war<br />

sein Sieg eine große<br />

Überraschung.<br />

Zu Beginn der Tour <strong>2019</strong> sagte uns<br />

der Groupama-FDJ-Performance-<br />

Direktor, was wir bereits über Julian<br />

Alaphilippe wussten. „Er ist ein Fahrer,<br />

der eine Laktattoleranz mit einem sehr<br />

hohen VO 2 max kombiniert“, teilte Fred<br />

Grappe der L’Équipe am Vorabend von<br />

Alaphilippes erstem Etappensieg der diesjährigen<br />

Tour in Épernay mit.<br />

„Der Puncheur ist am besten bei stärks -<br />

ten Belastungen von unter einer Minute.<br />

Er ist vergleichbar mit einem 400-Meter-<br />

Läufer – diese Art von Belastungen fürchten<br />

die Athleten am meisten, weil sie am<br />

heftigsten sind. Sie verursachen akute<br />

Schmerzen, und das muss man aushalten<br />

können.“<br />

Natürlich gewinnt ein Fahrer nicht<br />

Flèche Wallonne, Strade Bianche, Mailand–San<br />

Remo und die Clásica San Sebastián,<br />

ohne an seinen Stärken zu arbeiten.<br />

Alaphilippe ist wahrscheinlich der<br />

führende Puncheur der Welt. Zudem ist er<br />

wahrscheinlich der beste Radrennfahrer<br />

der Welt, zumindest bei den Männern.<br />

Kein anderer Fahrer gewinnt eine solche<br />

Bandbreite an Rennen wie Alaphilippe im<br />

Moment, und auch wenn derartige Systeme<br />

die Brillanz manchmal glätten, führt<br />

er alle wichtigen Ranglisten an – Procyclingstats,<br />

CQ Ranking und das World-<br />

Ranking der UCI. Es ist also nicht so, dass<br />

das nicht offensichtlich wäre.<br />

Doch obwohl wir wussten, dass er bei<br />

den hügeligen Klassikern gut war, hatten<br />

wir keine Ahnung, dass in Alaphilippe<br />

trotz seiner Proteste ein potenzieller Toursieger<br />

steckt – wenn auch nicht in diesem<br />

Jahr. Trotz seiner unwiderstehlicher Fahrweise<br />

über zweieinhalb Wochen war klar,<br />

dass es in den Alpen um ihn geschehen<br />

sein würde. Aber stellen Sie sich eine weniger<br />

gebirgige Tour vor, ein Rennen, das<br />

die Hochgebirgsgiganten von <strong>2019</strong> umgeht<br />

und sein Gefechtsfeld ins Mittelgebirge<br />

und auf schweres, welliges Terrain<br />

verlegt. Man kann davon ausgehen, dass<br />

ASO-Streckenplaner Thierry Gouvenou<br />

mit diesen Gedanken spielt.<br />

Alaphilippes Tour hätte nach dem energiegeladenen<br />

Angriff auf der 3. Etappe<br />

nach Épernay als Erfolg gelten können. Ein<br />

Etappensieg und ein paar Tage in Gelb,<br />

und er hätte es locker angehen lassen, Zeit<br />

verlieren, auf das Zentralmassiv und die<br />

Pyrenäen warten und ein zweites Gepunktetes<br />

Trikot und vielleicht noch eine<br />

Etappe gewinnen können. Stattdessen<br />

„DER PUNCHEUR IST AM BESTEN BEI STÄRKSTEN<br />

BELASTUNGEN VON UNTER EINER MINUTE. DIESE<br />

ART VON BELASTUNGEN FÜRCHTEN DIE ATHLETEN<br />

AM MEISTEN, WEIL SIE AM HEFTIGSTEN SIND.<br />

SIE VERURSACHEN AKUTE SCHMERZEN.“<br />

114 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

JULIAN<br />

ALAPHILIPPE<br />

ETAPPE<br />

18<br />

verteidigte er das Gelbe Trikot von vorn<br />

– attackierte in La Planche des Belles<br />

Filles, wo man damit rechnete, dass er<br />

eine Minute oder mehr verlieren würde;<br />

attackierte erneut mit Thibaut Pinot auf<br />

der Etappe nach Saint-Étienne. Er war<br />

genau an der richtigen Stelle, als der Seitenwind<br />

das Peloton auf dem Weg nach<br />

Albi zerriss. Und obwohl die Beobachter<br />

sich fragten, um wie viele verzweifelte<br />

Sekunden er sein Gelbes Trikot beim Zeitfahren<br />

in Pau verteidigen würde, wenn<br />

überhaupt, tat Julian Alaphilippe das Undenkbare<br />

und gewann es.<br />

Die Experten revidierten ihre Prognose<br />

und berücksichtigen die Tatsache, dass<br />

dies keine Strecke für einen Rouleur war<br />

– die flachen, breiten Straßen des traditionellen<br />

Zeitfahrens der Tour wurden ersetzt<br />

durch Kurven und knackige Hügel;<br />

kein Wunder also, dass Alaphilippe gewann.<br />

Aber zu diesem Zeitpunkt des Rennens,<br />

nach gut der Hälfte, hatte es der<br />

Franzose geschafft, einen Vorsprung von<br />

1:26 Minuten auf Geraint Thomas aufzubauen.<br />

Nur drei weitere Fahrer hatten weniger<br />

als drei Minuten Rückstand.<br />

Die Berge würden es zeigen, hieß es am<br />

Vorabend der ersten großen Pyrenäen-<br />

Etappe. Doch auch das blieb Spekulation,<br />

nichts und niemand zeigte es Alaphilippe.<br />

Er war Zweiter am Col du Tourmalet hinter<br />

Pinot, womit er in der Gesamtwertung<br />

zwei Minuten Vorsprung auf den zweitplatzierten<br />

Thomas hatte, und jetzt hatten<br />

nur noch Thomas und Steven Kruijswijk<br />

weniger als drei Minuten Rückstand. Erst<br />

KARRIERE-<br />

HIGHLIGHTS<br />

GROSSE SIEGE<br />

Tour of California<br />

2016<br />

Flèche Wallonne<br />

2018, <strong>2019</strong><br />

Tour de France<br />

Bergwertung 2018<br />

4 x Tour de France<br />

Etappen<br />

1 x Vuelta a<br />

España Etappe<br />

Clásica San<br />

Sebastián 2018<br />

Tour of Britain<br />

2018<br />

Strade Bianche<br />

<strong>2019</strong><br />

Mailand–San<br />

Remo <strong>2019</strong><br />

PLATZIERUNGEN<br />

Lüttich–Bastogne–<br />

Lüttich, 2., 2015<br />

Critérium du<br />

Dauphiné, 6., 2016<br />

Paris–Nizza,<br />

5., 2017<br />

Lombardei-<br />

Rundfahrt, 2., 2017<br />

Tirreno–Adriatico,<br />

6., <strong>2019</strong><br />

Amstel Gold Race,<br />

4., <strong>2019</strong><br />

am nächsten Tag am Prat d’Albis begann<br />

Alaphilippes Gesamtführung, die ein Nebenerzeugnis<br />

seines ursprünglichen Plans<br />

war, jeden Tag so gut wie möglich zu fahren,<br />

zu bröckeln.<br />

Und selbst danach überlebte er die<br />

Etappe nach Valloire über drei mächtige<br />

Cols dank einer superben Abfahrt vom<br />

Galibier. „Noch am Leben“, lautete die<br />

Überschrift der L’Équipe am folgenden<br />

Tag. Alaphilippe erwischte es schließlich<br />

am Col de l’Iseran und im Anstieg nach<br />

Val Thorens, er verlor einen Platz auf der<br />

19. Etappe und rutschte, als das Rennen<br />

die Alpen verließ, um weitere drei Ränge<br />

auf den fünften Platz ab. Wie sein Manager<br />

Patrick Lefevere sagte: „Selbst Duracell-Batterien<br />

sind irgendwann mal leer.“<br />

Ein Toursieger? Nur unter sehr speziellen<br />

Umständen und in einem Maße, dass<br />

es nicht wirklich wichtig ist, wenn es ihm<br />

so viel Spaß macht, das Rennen aufzumischen.<br />

Julian Alaphilippe hat die taktischen<br />

Regeln des größten Rennens der<br />

Welt <strong>2019</strong> neu geschrieben. Selbst wenn<br />

er nicht gewonnen hat, hat er vielleicht<br />

Möglichkeiten eröffnet, damit andere Fahrer<br />

etwas Ähnliches versuchen können.<br />

DER GRÖSSTE ENTERTAINER<br />

Es gibt Videos von Alaphilippe im Internet,<br />

wie er nach dem einen oder anderen<br />

Rennen im Mannschaftswagen tanzt und<br />

singt. Die Kamera liebt ihn und er liebt sie<br />

zurück. Er unterlegt sein Talent als Rennfahrer<br />

mit einem unglaublichen Charisma<br />

und war ohne Zweifel die dominante Persönlichkeit<br />

der diesjährigen Tour. Alaphilippe<br />

ist ein positives, medienfreundliches<br />

Yin zum distanzierten und düsteren Yang<br />

seines Landsmanns Thibaut Pinot.<br />

Man kann einen interessanten Vergleich<br />

ziehen nicht nur mit Pinot, sondern auch<br />

mit Peter Sagan. Sagan war bei der Tour in<br />

den letzten Jahren ebenso dynamisch und<br />

präsent – er hat viele Etappen und sieben<br />

Grüne Trikots gewonnen, und das mit<br />

ebenso viel Stil und Klasse wie Alaphilippe.<br />

Aber Sagan wirkte in der Mixed Zone<br />

der Tour erschöpft, tat sich sichtbar schwer,<br />

auf Fragen zu reagieren, und murmelte seine<br />

Antworten, während Alaphilippe auf<br />

Alaphilippes Abfahrtsstärke<br />

rettete ihm Zeit am Galibier auf<br />

der 18. Etappe.<br />

DONNERSTAG, 25. JULI<br />

EMBRUN › VALLOIRE<br />

208 KM<br />

Das war sie: die Königsetappe. Von<br />

Embrun nach Valloire, über den Col de<br />

Vars, Izoard und Galibier. Dieses Trio mit<br />

jeweils über 2.000 Meter Höhe formte<br />

die schwerste Bergetappe dieser Tour.<br />

Nach dem Feuerwerk in den Pyrenäen<br />

waren die Hoffnungen groß, dass die<br />

Fahrer so weitermachen würden. Doch<br />

das taten sie nicht. Zumindest nicht<br />

sofort. Mehr als 30 Fahrer taten sich an<br />

der Côte des Demoiselles Coiffées<br />

zusammen, darunter große Namen wie<br />

Nairo Quintana, Adam Yates und Romain<br />

Bardet, deren GC-Hoffnungen sich in<br />

den Pyrenäen erledigt hatten. Am<br />

Galibier erwachte die Etappe dann zum<br />

Leben: Bardet griff die Spitzengruppe<br />

an, was Quintana provozierte. Und nun<br />

kam auch Action in die Gruppe um das<br />

Gelbe Trikot. Egan Bernal griff drei<br />

Kilometer vom Galibier entfernt an. Etwa<br />

zwei Kilometer später attackierte sein<br />

Teamkollege Geraint Thomas, was eine<br />

Verfolgungsjagd auslöste, die Bernal zur<br />

Führung verhalf. Thomas sagte später,<br />

dass er versucht habe, Alaphilippe<br />

abzuschütteln. Diese Ausrede hätte<br />

vielleicht geklappt, wenn er von jemand<br />

anderem als dem besten Abfahrer des<br />

Pelotons gesprochen hätte. Tatsächlich<br />

fuhr Loulou auf halbem Weg nach unten<br />

wieder in die Gruppe und ging nach<br />

vorne. Ineos’ Teamzusammenhalt ist<br />

eine unbestreitbare Stärke, aber auf dem<br />

Galibier sah es so aus, als würden zwei<br />

seiner Fahrer die Tour gewinnen wollen.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Nairo Quintana Movistar Team 5:34:15<br />

2 Romain Bardet AG2R La Mondiale +1:35<br />

3 Alexey Lutsenko Astana Pro Team +2:28<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 75:18:49<br />

2 Egan Bernal Team Ineos +1:30<br />

3 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />

BERGWERTUNG<br />

1 Romain Bardet AG2R La Mondiale 86<br />

2 Tim Wellens Lotto Soudal 74<br />

3 Damiano Caruso Bahrain Merida 60<br />

© Getty Images, Yuzuru Sunada (Quintana)<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 115


ETAPPE<br />

19<br />

JULIAN<br />

FREITAG, 26. JULI<br />

SAINT-JEAN-DE-MAURIENNE ›<br />

TIGNES<br />

89 KM<br />

„Und so endete die Verteidigung des<br />

Gelben Trikots. Nicht mit einem Knall,<br />

sondern ganz in Ruhe.“ So hätte das Fazit<br />

dieser Etappe aus der Feder eines<br />

Schriftstellers lauten können.<br />

Es war nicht Julian Alaphilippes Schuld,<br />

dass sein Versuch, das Gelbe Trikot zu<br />

verteidigen, durch die schweren<br />

Unwetter und die von den Wassermassen<br />

verursachten Erdrutsche im wahrsten<br />

Sinne des Wortes den Bach herunterging.<br />

Der Franzose war im Anstieg von Geraint<br />

Thomas, Steven Kruijswijk und Emanuel<br />

Buchmann abgehängt worden, die<br />

wiederum Zeit auf Egan Bernal verloren<br />

hatten. Während er auf den Kolumbianer<br />

an der Spitze zwei Minuten verloren<br />

hatte, hätte er zumindest auf die anderen<br />

in der Abfahrt wieder Zeit gutmachen<br />

können. Doch die Tour <strong>2019</strong> wurde an<br />

diesem Tag vom Wetter bestimmt. Hätte<br />

Alaphilippe sie eingeholt? Hätte es Bernal<br />

beim letzten Anstieg nach Tignes ruhiger<br />

angehen lassen? Wäre etwas noch<br />

weniger Vorhersehbares passiert?<br />

Während die verbliebenen Fahrer mit<br />

den Schultern zuckten und die Radsportwelt<br />

in ein schwarzes Loch von Fragen<br />

und Spekula tionen fiel, war an diesem<br />

Tag eines gewiss: Die Tour des französischen<br />

Helden Thibaut Pinot war vorbei,<br />

nach dem ein Muskelfaserriss ihn im<br />

Vorfeld des vorzeitigen Etappenendes<br />

zur schmerzhaften und tränenreichen<br />

Aufgabe gezwungen hatte.<br />

seinen täglichen Pressekonferenzen mitteilsam<br />

und offen war, wenn er Hof hielt<br />

und Witze machte mit den Journalisten<br />

und der Dolmetscherin.<br />

Ihm wurde eine Frage auf Französisch<br />

gestellt und er antwortete auf Englisch, bevor<br />

er in Gelächter ausbrach angesichts der<br />

Absurdität, seine Sprachen als Franzose<br />

beim größten sportlichen und kulturellen<br />

Ereignis Frankreichs durcheinanderzuwerfen.<br />

„See you tomorrow“, sagte er neckisch,<br />

als ein Journalist ihn fragte, ob er das Trikot<br />

am nächsten Tag halten könne.<br />

Natürlich war dies Sagans achte Tour<br />

und die siebte, bei der er als Träger des<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

ALAPHILIPPE<br />

Selbst als Etappe<br />

19 neutralisiert<br />

wurde und er Gelb<br />

verlor, konnte<br />

Alaphilippe noch<br />

immer lächeln.<br />

Grünen Trikots tägliche Interviewrunden<br />

ertragen musste. Es ist Alaphilippes dritte<br />

und erst die zweite, bei der er wirklich im<br />

Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.<br />

Das Neue hat sich noch nicht abgenutzt.<br />

Aber er war freundlich und positiv in<br />

seinem Umgang mit den Journalisten. Die<br />

französischen Medien hätten gerne eine<br />

Rivalität mit Pinot hochgespielt, aber als<br />

Alaphilippe gegen Ende des Rennens nach<br />

dem Groupama-Fahrer gefragt wurde, sagte<br />

er: „Wenn ich die Tour nicht selbst gewinnen<br />

kann, will ich, dass Pinot sie gewinnt.“<br />

Es gab während Alaphilippes gesamter<br />

Tour nicht das geringste Anzeichen, dass<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 2:40:31<br />

2 Simon Yates Mitchelton-Scott +0:13<br />

3 Warren Barguil Arkéa Samsic +0:40<br />

GESAMTWERTUNG<br />

© Getty Images, Yuzuru Sunada (Bernal)<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 78:00:42<br />

2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:45<br />

3 Geraint Thomas Team Ineos +1:11<br />

NACHWUCHSWERTUNG<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 78:00:42<br />

2 David Gaudu Groupama-FDJ +20:45<br />

3 Enric Mas Deceuninck–QS +52:53<br />

116 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


er unter Druck steht. Von Brüssel bis zum<br />

Prat d’Albis ging für ihn nichts schief, und<br />

auch als er schließlich Zeit zu verlieren<br />

begann, griff er das Rennen mit Verve an.<br />

Selbst als er das Gelbe Trikot im Chaos der<br />

Neutralisierung des Rennens am Iseran<br />

verlor, unterhielt er das Publikum, lehnte<br />

sich aus dem Fenster des Mannschaftswagens<br />

und dirigierte Fans, die seinen<br />

Namen sangen.<br />

14 Tage von seinen 14 Tagen als Spitzenreiter<br />

hatte er alle Fragen, ob er das<br />

Rennen gewinnen könne, bescheiden abgewehrt.<br />

„Es war eine unvergessliche Tour<br />

mit 14 Tagen in Gelb und meinen zwei<br />

Etappensiegen“, sagte er, als ihm das Leadertrikot<br />

schließlich abgenommen wurde.<br />

„Aber das ändert nicht meine Zukunft. Es<br />

ist mir klar: Der Parcours der ersten Woche<br />

hat mir perfekt gelegen; das Zeitfahren<br />

in Pau war wie geschaffen für mich.<br />

Vielleicht muss ich ein paar Jahre warten,<br />

bis die Umstände wieder so günstig für<br />

mich sind.“<br />

Lefevere hat ihm geraten, die Gesamtwertung<br />

weitere zwei Jahre nicht als offizielles<br />

Projekt zu betrachten, was heißt,<br />

dass die Fans vielleicht eine Weile auf eine<br />

Wiederholung von <strong>2019</strong> warten müssen.<br />

„Das passt mir gut“, sagte Alaphilippe.<br />

„Es würde genau zum Nachteil dessen<br />

gereichen, was es mir erlaubt, Rennen zu<br />

gewinnen. Wenn ich mich ganz auf die<br />

Gesamtwertung konzentrieren würde,<br />

würde es auf Kosten dessen gehen, und<br />

das will ich im Moment nicht. Um eine<br />

„DER PARCOURS DER ERSTEN WOCHE HAT MIR<br />

PERFEKT GELEGEN; DAS ZEITFAHREN IN PAU WAR<br />

WIE GESCHAFFEN FÜR MICH. VIELLEICHT MUSS ICH<br />

EIN PAAR JAHRE WARTEN, BIS DIE UMSTÄNDE<br />

WIEDER SO GÜNSTIG FÜR MICH SIND.“<br />

Auch wenn er<br />

am Prat d’Albis<br />

von der GC-Gruppe<br />

abgehängt wurde,<br />

gab Alaphilippe<br />

nicht auf.<br />

4Anzahl der<br />

Etappensiege<br />

für Alaphilippe<br />

bei der Tour<br />

de France<br />

große Rundfahrt zu gewinnen, musst du<br />

dich drei Wochen lang konzentrieren und<br />

sogar schon monatelang vorher. Für mich<br />

ist das schwer – ich muss mich ein bisschen<br />

entspannen können, bevor ich mich<br />

auf ein anderes Ziel konzentriere.“<br />

Alaphilippes größter Einfluss auf die<br />

Tour <strong>2019</strong> könnte jedoch seine Wirkung<br />

als Katalysator sein. Obwohl er nicht die<br />

Gesamtwertung anstrebte, erinnerte es an<br />

Simon Yates’ Methode beim Giro d’Italia<br />

2018. Wie Alaphilippe hatte Yates in den<br />

ersten zwei Wochen seinen Rivalen hier<br />

und da ein bisschen Zeit abgenommen,<br />

und obwohl er auf der 19. Etappe schließlich<br />

einbrach, nutzte er eine andere Technik<br />

als die von Sky in den letzten Jahren<br />

eingesetzte Methode, einmal zuzuschlagen<br />

und alles klarzumachen.<br />

Wenn die richtige Tour-Route abgesteckt<br />

wird und Alaphilippe eine ähnliche<br />

oder sogar noch bessere Form hat als<br />

<strong>2019</strong>, könnten sich seine Rivalen an ihm<br />

die Zähne ausbeißen. Alle Zeitgewinne hat<br />

er dieses Jahr à la pédale herausgefahren<br />

– mit seinen Beinen statt mit Taktik oder<br />

Glück. Wenn er diese Gelegenheit noch<br />

einmal bekommt, aber ohne die großen<br />

Berge, hat Alaphilippe uns vielleicht eine<br />

Vorschau auf seine Zukunft gegeben.<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 117


© Chris Auld<br />

118 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

War dein zweiter Platz in diesem<br />

Jahr angesichts deiner Rückschläge<br />

schwerer als dein Sieg im letzten Jahr?<br />

Dieses Jahr war es eher eine mentale als<br />

eine physische Herausforderung. Im letzten<br />

Jahr hatte ich einen Lauf, es gab keine<br />

wirklichen Rückschläge im Rennen oder<br />

davor. In diesem Jahr war es ein echter<br />

Kampf, aber ich bin stolz, dass ich es geschafft<br />

habe, in der Spur zu bleiben. Es<br />

hätte nicht so sein sollen, aber ich bin<br />

trotzdem zufrieden. Ich wollte gewinnen,<br />

aber dass Egan gewann und ich immerhin<br />

Zweiter wurde, ist auch gut.<br />

Wie hast du die Störgeräusche ausgeblendet,<br />

als du in die Tour gingst?<br />

Ich halte mich aus dem Gerede heraus,<br />

ich nutze kein Social Media und bleibe in<br />

meiner eigenen kleinen Welt. Meine Frau<br />

ist gut darin, mich aufzurichten und bei<br />

Laune zu halten. Das Beste ist, sich nicht<br />

in die ganze Tour-Blase einwickeln zu<br />

lassen, weil es so intensiv ist. Wenn ich<br />

mich für jedes Selfie, um das ich gebeten<br />

werde, hinstellen würde, wäre ich noch auf<br />

der 3. Etappe. Das ist manchmal wirklich<br />

schwer, weil dir alle vorwerfen, wie ein<br />

Roboter zu sein.<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

G E R A I N T<br />

THOMAS<br />

DIE SCHWERE ZWEITE<br />

TOUR<br />

Der Sieger von 2018, Geraint Thomas, musste<br />

vor und während der diesjährigen Tour<br />

mehrere Rückschläge überwinden, wurde aber<br />

trotzdem Zweiter hinter seinem Teamkollegen<br />

Egan Bernal. Er erzählt Procycling, warum er<br />

sehr stolz auf das Resultat ist.<br />

Interview Sam Dansie<br />

Hat es Spaß gemacht, anders fahren<br />

zu können und die Tour auf andere<br />

Weise zu gewinnen?<br />

Ja. Es ist leicht, ein Team zu kritisieren,<br />

das gut fährt und mit einer bestimmten<br />

Formel gewinnt, aber es ist wie bei allem<br />

anderen: Wenn du Tomatenketchup<br />

machst und ein tolles Rezept hast, warum<br />

solltest du es ändern? Wir hatten eine bestimmte<br />

Formel, und in diesem Jahr<br />

mussten wir sie ändern, daher war es<br />

schön, auf diese Weise Erfolg zu haben.<br />

Vor der Tour haben wir dich gefragt,<br />

ob andere Teams einen Minderwertigkeitskomplex<br />

hätten. Du sagtest:<br />

„Vielleicht.“ Was würdest du jetzt<br />

antworten?<br />

Ich glaube, andere Teams sind ermutigt<br />

worden. Wir waren in den Bergen nicht<br />

ganz so stark wie früher, aber ich glaube,<br />

unsere größte Stärke – ich weiß, dass wir<br />

uns ständig darüber auslassen – ist die<br />

Kommunikation und Solidarität der Gruppe.<br />

Selbst wenn du nicht so gute Beine<br />

hast wie früher, ist es der Zusammenhalt,<br />

der uns stark macht, nicht die Einzelperson.<br />

Alle reden die ganze Zeit vom Geld,<br />

und das spielt eine Rolle, aber wenn du<br />

ETAPPE<br />

20<br />

SAMSTAG, 27. JULI<br />

ALBERTVILLE ›<br />

VAL THORENS<br />

59,5 KM<br />

Frühe Forscher, die die Alpen erkundeten,<br />

erwähnten den Mont Iseran, einen<br />

scheinbar 4.000 Meter hohen Gipfel<br />

in der Vanoise. Erst im 19. Jahrhundert,<br />

als die Region richtig kartiert wurde,<br />

erkannten die Menschen, dass es keinen<br />

solchen Gipfel gab. Es ist nicht einfach,<br />

einen Berg zu verlieren, doch die Tour<br />

de France hat auf der 20. Etappe des<br />

Rennens <strong>2019</strong> nach Val Thorens die<br />

gleiche Leistung vollbracht. Erdrutsche<br />

auf dem Cormet de Roselend zwangen<br />

die Organisatoren, diesen und einen<br />

weiteren Anstieg aus der Etappe zu<br />

streichen, und machten aus einer schweren<br />

letzten alpinen Herausforderung<br />

eine reine und beanspruchende<br />

Kletterpartie hoch nach Val Thorens.<br />

Jeder, der geplant hatte, den neuen<br />

Führenden Egan Bernal zu attackieren,<br />

hatte plötzlich den Großteil der<br />

Möglichkeiten verloren, auf dem er dies<br />

hätte tun können. Bernal und sein Team<br />

Ineos gingen auf der gekürzten Etappe<br />

auf Nummer sicher. Sie setzten sich<br />

hinter Jumbo, dessen Interesse darin<br />

lag, das Tempo hoch zu halten, Julian<br />

Alaphilippe vom Podium zu verdrängen<br />

und ihn durch ihren Kapitän Steven<br />

Kruijswijk zu ersetzen. Vincenzo Nibali<br />

dagegen zog die anderen 30 Fahrer ab,<br />

die als Gruppe vor dem Peloton fuhren,<br />

und ging mit Bärenkräften in den letzten<br />

Anstieg, um sich die Etappe zu<br />

holen, während Bernal seinen<br />

Gesamtsieg sicherte.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Vincenzo Nibali Bahrain-Merida 1:51:53<br />

2 Alejandro Valverde Movistar Team +0:10<br />

3 Mikel Landa Movistar Team +0:14<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 79:52:52<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:11<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:31<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 3<strong>09</strong><br />

2 Elia Viviani Deceuninck–QS 224<br />

3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 203<br />

© Getty Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 119


ETAPPE<br />

21<br />

G<br />

SONNTAG, 28. JULI<br />

RAMBOUILLET ›<br />

PARIS CHAMPS-ÉLYSÉES<br />

128 KM<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

E R A I N T<br />

THOMAS<br />

Honoré de Balzac schrieb einmal: „Wer<br />

Paris nicht regelmäßig besucht, wird nie<br />

wirklich elegant sein.“ Diesen Ratschlag<br />

hat die Tour in ihr Herz geschlossen. Seit<br />

der ersten Ausgabe im Jahr 1903 ist das<br />

Rennen jedes Jahr in der französischen<br />

Hauptstadt zu Ende gegangen, und nur<br />

für den Fall, dass die Fernsehbilder noch<br />

nicht elegant genug waren, schickte die<br />

ASO die Fahrer in diesem Jahr durch das<br />

Musée du Louvre. Caleb Ewan zeigte,<br />

dass er bei dieser Tour der König der<br />

Sprinter war, indem er an Dylan<br />

Groenewegen vorbeizog, um die letzte<br />

und prestigeträchtigste Etappe zu<br />

gewinnen, während Egan Bernal mit<br />

seinem Gesamtsieg nicht nur sein Team<br />

Ineos überragend vertrat, sondern vor<br />

allem sein Heimatland Kolumbien in eine<br />

neue Radsportära führte. Es war der<br />

erste Toursieg des 22-Jährigen, von dem<br />

wir in den nächsten Jahren sicher noch<br />

mehr sehen werden.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Caleb Ewan Lotto Soudal 3:04:08<br />

2 D. Groenewegen Jumbo–Visma gl. Zeit<br />

3 N. Bonifazio Total Direct Energie gl. Zeit<br />

dir Fußballteams wie Paris Saint-Germain<br />

anschaust, die alle guten Spieler kaufen,<br />

heißt das nicht, dass sie die Champions<br />

League gewinnen. Du brauchst die richtige<br />

Philosophie und Einstellung. Aber andere<br />

Teams haben sich gesteigert, und das<br />

ist gut für den Sport. Ich glaube, Sunweb<br />

hätte mit Dumoulin, wenn er fit gewesen<br />

wäre, vorne mitgemischt. Jumbo und Movistar<br />

waren stark. Die Teams holen auf.<br />

Warum, glaubst du, ist das so?<br />

Ich glaube, es sind nicht nur die Kapitäne<br />

und einzelne Fahrer in den Teams gut,<br />

sondern die ganzen Teams trainieren auf<br />

ähnliche Art zusammen. Es sind keine<br />

guten Nachrichten für uns, weil es für<br />

uns schwerer wird, aber es macht die Sache<br />

spannender.<br />

Holen die anderen Teams auf oder<br />

lässt Ineos nach?<br />

Wenn du jede Tour vergleichst, vergleichst<br />

du sie mit den Besten, die wir hatten, und<br />

es ist klar, dass wir in den Bergen nicht so<br />

stark waren wie sonst. Ich will damit nicht<br />

sagen, dass wir schwach waren, ich glaube<br />

nicht, dass wir schwächer als die meisten<br />

anderen Teams waren. Das Rennen war<br />

auch anders. Wir sind nicht gefahren, wie<br />

wir normalerweise fahren würden, weil<br />

wir das Gelbe Trikot nicht in unseren Reihen<br />

hatten. Das lässt es schwächer aussehen,<br />

als es eigentlich war.<br />

den 69, während ich vor dem Zeitfahren<br />

und selbst noch vor der Etappe zum Tourmalet<br />

67,5 wog, also ein gutes Kilo weniger.<br />

Das war nicht genug.<br />

Ein Kilo leichter scheint viel zu sein.<br />

War das eine Reaktion auf die Route?<br />

Eigentlich nicht. Ich habe versucht, so<br />

schlank und leicht wie möglich zu sein,<br />

und dann ging ich in die Tour und dachte:<br />

„Gut, ich bin leicht.“ Es scheint zwei<br />

Wochen vorher runterzugehen. Ich war<br />

konstant im oberen 67er-Bereich statt<br />

im mittleren 68er, also ein halbes Kilo<br />

und ein Kilo leichter.<br />

Wann war klar, dass du Bernal helfen<br />

musstest?<br />

Nach der Etappe über den Iseran.<br />

EIN JAHR VOLLER<br />

RÜCKSCHLÄGE<br />

© Getty Images, BettiniPhoto (Baskenland-Rundfahrt, Schweiz)<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 82:57:00<br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:11<br />

3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:31<br />

PUNKTEWERTUNG<br />

1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 316<br />

2 Caleb Ewan Lotto Soudal 248<br />

2 Elia Viviani Deceuninck–QS 224<br />

BERGWERTUNG<br />

1 Romain Bardet AG2R La Mondiale 86<br />

2 Egan Bernal Team Ineos 78<br />

2 Tim Wellens Lotto Soudal 75<br />

NACHWUCHSWERTUNG<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 82:57:00<br />

2 David Gaudu Groupama-FDJ +23:58<br />

3 Enric Mas Deceuninck–QS +58:20<br />

Beim Zeitfahren in Pau fehlten dir<br />

ein paar Prozent, sagtest du. Worauf<br />

führst du das im Nachhinein zurück?<br />

Und hat es sich nicht ausgewirkt,<br />

dass du die Tour de Suisse hinter dir<br />

hattest?<br />

Ich glaube nicht, dass die Tour de Suisse<br />

viel ausgemacht hat. Ich glaube, es hatte<br />

mehr mit meinen mangelnden Energiereserven<br />

zu tun. Ich war am Limit. Wir<br />

haben die Kohlehydrate, die ich nach jeder<br />

Etappe brauchte, abgewogen, und bis zu<br />

dem Punkt war ich direkt am Limit und<br />

hätte etwas mehr zu mir nehmen sollen.<br />

Ich glaube, das war es, was mir beim Zeitfahren<br />

und am Tourmalet zu schaffen gemacht<br />

hat. Nach dem Tourmalet dachte<br />

ich: „Mist, ich muss noch ein bisschen<br />

mehr in mich reinkriegen.“ Ich bin in Foix<br />

zurechtgekommen und fühlte mich den<br />

Rest des Rennens besser.<br />

War das anders als im letzten Jahr?<br />

Im letzten Jahr wog ich um die 68 Kilo<br />

und näherte mich in der letzten Woche<br />

TIRRENO–<br />

ADRIATICO<br />

Das Frühjahr des<br />

Walisers wird<br />

zerrissen, als er<br />

beim Rennen<br />

zwischen den<br />

Meeren auf der<br />

vierten Etappe mit<br />

Magenproblemen<br />

aussteigen muss.<br />

TOUR DE FRANCE<br />

ETAPPE 1<br />

Innerhalb der Drei-<br />

Kilometer-Marke<br />

stürzt er während der<br />

Sprintvorbereitungen<br />

der anderen Teams:<br />

„Zum Glück war ich<br />

ziemlich langsam.“<br />

BASKENLAND-<br />

RUNDFAHRT<br />

Die Teamkollegen<br />

von<br />

Thomas, Michał<br />

Kwiatkowski und<br />

Jonathan Castroviejo,<br />

kommen<br />

bei einem späten<br />

Sturz auf Etappe<br />

3 zu Fall.<br />

TOUR DE FRANCE<br />

ETAPPE 8<br />

Drei Kilometer vor<br />

dem letzten Anstieg<br />

kann Thomas nicht<br />

mehr ausweichen,<br />

als EF Drapacs<br />

Michael Woods vor<br />

ihm zu Fall kommt.<br />

TOUR DE<br />

SUISSE<br />

Der schwerste Rückschlag<br />

ist der Sturz auf<br />

der vierten Etappe, bei<br />

dem er sich einen Cut<br />

über dem rechten Auge<br />

zuzieht. Thomas muss<br />

das Rennen beenden,<br />

trainiert aber daheim in<br />

Monaco weiter.<br />

TOUR DE FRANCE<br />

ETAPPE 16<br />

Auf dem Weg nach<br />

Nîmes rutscht er in<br />

einer harmlosen<br />

Kurve ohne ersichtlichen<br />

Grund weg<br />

und fällt dabei auf<br />

die Schulter.<br />

120 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

G E R A I N T<br />

THOMAS<br />

Als Bernal sich am Iseran absetzte,<br />

warst du in einer guten Position<br />

hinter Jumbo, und dann wurde das<br />

Rennen abgebrochen. Hattest du<br />

geplant, im Schlussanstieg nach<br />

Tignes anzugreifen?<br />

Ja. Ich wollte natürlich sehen, wie sich das<br />

Rennen entwickelt, aber ich hätte etwas<br />

versucht, wenn ich mich noch gut gefühlt<br />

hätte. Wir waren dabei, Zeit auf Alaphilippe<br />

und die anderen Klassementfahrer<br />

zu gewinnen.<br />

Wuchsen deine Hoffnungen?<br />

Es war eine gute Situation für das Team,<br />

und dafür sind wir das Rennen gefahren.<br />

Was passierte, ist passiert, und ebenso<br />

wie die Stürze und diese fehlenden Energiereserven<br />

– es ist so und du kannst<br />

nichts daran ändern. Du musst einfach<br />

weitermachen. Manchmal soll es einfach<br />

nicht sein.<br />

Was hast du gefühlt, als das Rennen<br />

abgebrochen wurde?<br />

Überraschung, dann Enttäuschung. Aber<br />

was willst du machen? Niemand konnte<br />

es vorhersehen, niemand konnte es beeinflussen.<br />

Trotzdem aufs Podium zu kommen,<br />

als Zweiter hinter einem tollen<br />

Fahrer, fühlt sich daher wie eine ordent -<br />

liche Leistung an.<br />

Hat es irgendeine andere Zeit in deiner<br />

Karriere gegeben, wo du ähnliche Rückschläge<br />

hattest wie in diesem Jahr?<br />

Eigentlich nicht. Jedes Mal, wenn ich einen<br />

großen Erfolg hatte, hatte ich mich<br />

gut vorbereitet, und ich hatte meistens<br />

Glück, dass aus den großen Erfolgen, die<br />

ich angepeilt habe, schließlich etwas geworden<br />

ist. Aber in dieser Saison … ich<br />

kann Rad fahren und hart trainieren, denn<br />

Thomas war<br />

nicht weit von der<br />

Siegesform der<br />

letzten Tour entfernt,<br />

musste sich<br />

aber dennoch geschlagen<br />

geben.<br />

„ALLE REDEN DIE GANZE ZEIT VOM<br />

GELD, ABER WENN DU DIR FUSSBALL-<br />

TEAMS WIE PARIS SAINT-GERMAIN<br />

ANSCHAUST, DIE ALLE GUTEN SPIELER<br />

KAUFEN, HEISST DAS NICHT, DASS SIE<br />

DIE CHAMPIONS LEAGUE GEWINNEN.“<br />

Geraint Thomas, Team Ineos<br />

das ist es, was ich liebe und seit meiner<br />

Kindheit mache, aber die ganze mentale<br />

Seite in diesem Jahr … die Aufmerksamkeit<br />

und der Druck … obwohl ich es nicht<br />

lese und es zu umgehen versuche, erreicht<br />

es mich trotzdem, und dadurch blieb es<br />

einfach stark.<br />

Schweres zweites Album?<br />

Auf jeden Fall. Du wechselst das Studio,<br />

du wechselst die Wohnung, und es ist einfach<br />

anders.<br />

Welche Schlüsse ziehst du daraus?<br />

Das Team ist voller Kapitäne. Kann<br />

das ein Hindernis werden?<br />

Es wird schwer, wenn wir alle drei [Thomas,<br />

Froome und Bernal] hier antreten<br />

und gewinnen wollen, dann haben wir nur<br />

fünf Helfer. Das wird eine große Herausforderung.<br />

Darüber werde ich am Ende der<br />

Saison nachdenken. Erst einmal will ich<br />

abschalten und aus dieser Blase herauskommen,<br />

denn es ist so intensiv. Es wird<br />

schön, einmal ganz entspannen und abschalten<br />

zu können und vielleicht über das<br />

WM-Zeitfahren nachzudenken. Ich denke,<br />

das wäre ein schönes kleines Ziel, um<br />

das Jahr stark zu beenden.<br />

© Gruber Images<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 121


WUNSCHLISTE<br />

DIE PRODUKT-HIGHLIGHTS DES MONATS<br />

122 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SPECIALIZED<br />

S-WORKS<br />

ROUBAIX<br />

SRAM RED<br />

ETAP AXS<br />

11.199 €<br />

www.specialized.com<br />

Leicht, steif und komfortabel:<br />

Das neue S-Works Roubaix von<br />

Specialized mutet einem wie das<br />

perfekte Bike für jeden Fahrer an.<br />

Mal wieder haben die Ingenieure<br />

der Kalifornier alle Register<br />

gezogen, um ein Rad zu entwickeln,<br />

das optisch und technisch ganz<br />

oben steht. So wartet der aerooptimierte<br />

Rahmen nicht nur mit<br />

der Future-Shock-2.0-Federung<br />

und einem Rahmengewicht von<br />

unter 900 Gramm auf, sondern<br />

auch das Komplettrad mit<br />

drahtloser ETAP-AXS-Schaltung<br />

lässt keine Wünsche bei der<br />

Ausstattung offen. Dank<br />

des hohen Fahrkomforts<br />

und der ausgewogenen<br />

Geometrie macht das<br />

7,35 Kilogramm (Gr. 56)<br />

leichte Rad auch<br />

bergauf richtig Spaß.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 123


WUNSCHLISTE<br />

ASSOS<br />

ERLKOENIG<br />

TRIKOT<br />

115 €<br />

www.assos.com<br />

Ein feines Textil, das seinem Träger<br />

einen mystischen Hauch verleiht.<br />

Das Design der Erlkoenig Trikots<br />

orientiert sich an der als Dazzle-<br />

Camouflage bekannten Tarnung<br />

für Prototypen, die eben auch als<br />

„Erlkönige“ bezeichnet werden.<br />

Entgegen seinen Vorbildern sind<br />

jedoch die Details bekannt: das im<br />

regular fit geschnittene Trikot liegt<br />

dank der verwendeten, atmungsaktiven<br />

Dual-Tex- und Push-Pull-<br />

Materialien auch bei schweißtreibenden<br />

Fahrten angenehm auf<br />

der Haut und bietet mit seinen<br />

drei Taschen Platz für die<br />

wichtigsten Utensilien.<br />

Zukünftige Erlkönige können<br />

aus vier Farben auswählen.<br />

124 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


WUNSCHLISTE<br />

ASSOS<br />

JINGO RS<br />

270 €<br />

www.assos.com<br />

Optisch perfekt zum Erlkoenig<br />

Trikot passt der Jingo-RS-Helm, den<br />

Assos in Kooperation mit dem<br />

italienischen Helmspezialisten<br />

KASK auf Basis des Vorgängermodells<br />

weiterentwickelte. Der im<br />

In-Mold-Verfahren hergestellte<br />

Helm mit Polycarbonat-Außenhaut<br />

und EPS-Innenschale bietet trotz<br />

des niedrigen Gewichts (Herstellerangabe:<br />

215 Gramm in Gr. M) einen<br />

hohen Schutzfaktor bei gleichzeitig<br />

angenehmem Tragekomfort durch<br />

optimale Belüftung und Einstellbarkeit<br />

dank Octo-Fit-System.<br />

PAUL UND OPA<br />

FAHREN RAD<br />

13,95 €<br />

www.gerstenberg-verlag.de<br />

Den Nachwuchs langsam an das<br />

Radfahren heranführen ist der erste<br />

Schritt, weit bevor an eine Karriere als<br />

Radrennfahrer zu denken ist. Autor<br />

Karsten Teich vermittelt in seinem witzig<br />

geschriebenen Buch Kindern die ersten<br />

Kenntnisse zum Radfahren und gibt<br />

neben der eigentlichen Geschichte<br />

Papas und Mamas genauso wie Opas<br />

und Omas die Chance, Kindern die<br />

ganz eigenen, persönlichen<br />

Radsportgeschichten zu erzählen.<br />

SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 125


-AUSLAGE<br />

PLZ 20000 PLZ 10000<br />

PLZ 00000<br />

Max-Brauer-Allee 36<br />

22765 Hamburg<br />

Tel.: 040/380 865 33<br />

Fax: 040/38907743<br />

info@cyclefactory.de<br />

www.cyclefactory.dee<br />

PLZ 20000<br />

PLZ 30000<br />

PLZ 40000<br />

Händlerverzeichnis Procycling:Layout 1<br />

DIANA<br />

S P O R T R E I S E N<br />

Rose biketown<br />

Werther Straße 44, 46395 Bocholt<br />

Tel.: 0 28 71/27 55-55<br />

Fax: 0 28 71/27 55-50<br />

Email: rosemail@rose.de, Internet: www.rose.de<br />

1984<br />

2014<br />

DIANA<br />

S P O JAHRE R T R E I S E N<br />

PLZ 50000<br />

PLZ 70000 PLZ 60000<br />

1984<br />

2014<br />

DIANA<br />

S P OJAHRE<br />

R T R E I S E N<br />

1984<br />

2014<br />

JAHRE<br />

TOP-Preise<br />

TOP-Service<br />

www.hwg-radsport.de<br />

www.<br />

dianasport.<br />

de<br />

www.dianasport.de<br />

www.dianasport.de<br />

www.dianasport.de<br />

Die perfekte Fahrradpflege<br />

für Profis!<br />

● Korrosionsschutz ● Schmiermittel ● Kontaktspray<br />

● Reinigungsspray ● Kriechöl für höchste Ansprüche<br />

Erhältlich im guten Fachhandel<br />

Händlernachweiss: BRUNOX Korrosionsschutz GmbH, DE-85001 Ingolstadt, Tel. 0841 961 2904, Fax -13


Bei diesen Fachhändlern erhalten Sie neben<br />

gutem Service immer pünktlich Ihre Procycling.<br />

PLZ 70000<br />

PLZ 80000<br />

Dein Radsportpartner<br />

in Oberschwaben!<br />

www.goelz-raeder.de<br />

PLZ 90000<br />

933<strong>09</strong>KELHEIM<br />

KELHEIMWINZERSTR.101<br />

BIKESTATIONKELHEIM.DE<br />

EinEs dEr GrösstEn AnGEbotE An<br />

rEnnrädErn in süddEutsCHLAnd<br />

Zweirad Lämmle GmbH & Co.KG<br />

Ittelsburger Straße 11 · 87730 Bad Grönenbach, Allgäu<br />

Tel. 08334-72 17 · www.zweirad-laemmle.de<br />

Free Wheels<br />

Pfalzstraße 35<br />

94356 Pillnach/Kirchroth<br />

Tel. <strong>09</strong>428-948990<br />

info@free-wheels.de<br />

www.free-wheels.de<br />

Ihre Spezialisten für<br />

Rennrad / MTB / Trekking<br />

81543 München<br />

<strong>PC</strong> Händlereintrag 60x15 www.feine.de<br />

29.11.2007 10:59 U<br />

PLZ 80000<br />

Thomas Binder<br />

Starnberger Straße 21<br />

82131 Gauting<br />

Tel. 089/89 32 87 07<br />

www.bici-sport-binder.de<br />

Bianchi Colnago Corratec Campagnolo Pro Shop - www.serviziocorsa.com<br />

c/o Fitness Zone - Olchinger Str. 86 - 82194 Gröbenzell - Telefon 08142 / 446 66 67<br />

Radmanufaktur seit 2006–www.pasculli.de<br />

Maßrahmen | Handgefertigt | Wunschlackierung


NÄCHSTE<br />

AUSGABE<br />

-Impressum<br />

27.<strong>09</strong>.19<br />

Procycling erscheint monatlich bei<br />

WOM Medien GmbH<br />

Auwiesenstraße 1<br />

94469 Deggendorf<br />

info@wom-medien.de<br />

Ihr Procycling-Team<br />

Redaktionsleitung Dieter Steiner<br />

Textchef Caspar Gebel<br />

E-Mail info@procycling.de<br />

Ständige redaktionelle Mitarbeiter<br />

Chris Hauke, Dominik Ruiz Morales,<br />

Peter Cossins, Sam Dansie, Alasdair<br />

Fotheringham, Daniel Friebe, Werner<br />

Müller-Schell, Sadhbh O’Shea, Herbie<br />

Sykes, John Whitney, Jamie Wilkins,<br />

Cam Winstanley<br />

Layout Saskia Funke<br />

Übersetzungen Esther Kriegel<br />

Lektorat Helga Peterz<br />

Fotos Andreas Meyer, Getty Images,<br />

Cor Vos (Cover)<br />

Objekt- und Anzeigenleitung<br />

Maximilian Seidl<br />

m.seidl@wom-medien.de<br />

Druck Mayr Miesbach GmbH<br />

Pressevertrieb<br />

stella distribution GmbH<br />

20<strong>09</strong>7 Hamburg<br />

Abonnement<br />

Hotline Michaela von Sturm,<br />

0 99 1-99 13 80 19<br />

Abonnieren Sie online unter<br />

www.procycling.de<br />

Der Preis für ein Einzelheft beträgt<br />

5,90 Euro (D). Nachbestellungen<br />

älterer Ausgaben sind zzgl. Versandkosten<br />

möglich. Der Preis für ein<br />

Jahresabo beträgt 59,90 Euro (D)<br />

bzw. 79,90 Euro (Ausland).<br />

© Getty Images<br />

EF<br />

EDUCATION<br />

FIRST<br />

+ RIGOBERTO URAN<br />

+ MAMMA DI PASTA<br />

+ JONATHAN VAUGHTERS<br />

70% K<br />

90% K<br />

© <strong>2019</strong> WOM Medien GmbH<br />

16. Jahrgang<br />

Geschäftsführer Dieter Steiner<br />

Das Magazin Procycling und die<br />

Internetseite procycling.de sowie<br />

deren Inhalte sind urheberrechtlich<br />

geschützt.<br />

Die Inhalte dürfen weder in Teilen<br />

noch im Ganzen ohne schriftliche<br />

Genehmigung durch den Verlag<br />

reproduziert oder anderweitig<br />

au ßer halb der Grenzen des Ur he ber -<br />

rechts verwendet werden.<br />

Für unverlangt eingesandte Fotos<br />

und Manuskripte kann keine Haftung<br />

übernommen werden.<br />

Gerichtsstand ist Deggendorf.<br />

Procycling erscheint in Lizenz der<br />

englischen Originalausgabe von<br />

Immediate Media Co., London, UK.<br />

128 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


SPEZIAL-<br />

ANGEBOT<br />

21<br />

20<br />

Die SKS AIRBOY-<br />

Minipumpe passt in jede<br />

Trikottasche.<br />

17<br />

18<br />

19<br />

Ab jetzt im Procycling-<br />

Shop als Prämie<br />

erhältlich.<br />

14<br />

15<br />

16<br />

13<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

3<br />

4<br />

5<br />

Procycling Jahresabo<br />

inklusive Pumpe<br />

1<br />

2<br />

für nur 59,90 €<br />

cm<br />

Zu bestellen unter<br />

0049 991 991 380 19 abo@wom-medien.de www.procycling.de/de/abo<br />

* inkl. Mwst / zzgl. Versandkosten


DAS LETZTE WORT<br />

JENS VOIGT<br />

Jens teilt mit uns seine Gedanken zur diesjährigen Ausgabe der Tour.<br />

© Getty Images<br />

D<br />

ie Tour de France endete<br />

gerade mit dem historischen<br />

Sieg von Egan Bernal, dem<br />

ersten Sieg des Gelben Trikots für<br />

Kolumbien, und nun ist das Trio<br />

komplett. Kolumbianische Radfahrer<br />

gewannen den Giro d’Italia<br />

(Nairo Quintana 2014), die Vuelta<br />

a España (Luis Herrera 1987) und<br />

nun endlich die Tour de France. Für<br />

mich ist das eine ziemlich coole<br />

Leistung, wenn man die Größe und<br />

Bevölkerung Kolumbiens betrachtet.<br />

Der Radsport ist in diesem Land ein<br />

beliebter Sport, und dieser Sieg wird<br />

bei der jungen Generation ein wachsendes<br />

Interesse wecken. Wir sollten<br />

uns besser auf eine weitere Welle<br />

junger kolumbianischer Radprofis<br />

gefasst machen, die in einigen Jahren<br />

nach Europa kommt.<br />

Es gab ein paar Dinge, die ich bei<br />

der diesjährigen Tour wirklich bemerkenswert<br />

fand. Erstens, wie beeindruckend<br />

es ist, dass das Team<br />

Sky/Ineos sieben der letzten acht<br />

Auflagen der Tour mit vier verschiedenen<br />

Fahrern gewonnen hat. Es<br />

verpasste den Sieg nur, als Chris<br />

Froome 2014 aussteigen musste.<br />

Es scheint, als könnte Ineos sagen:<br />

„Nun, einer unserer Kapitäne ist<br />

nicht zu 100 Prozent fit, aber es<br />

spielt keine Rolle – wir befördern einfach<br />

unseren nächsten Leutnant in<br />

die Rolle des Führenden.“ Und keine<br />

andere Mannschaft kann sagen, dass<br />

sie überrascht gewesen wäre. Jeder<br />

kann die Zeichen deuten. Ineos verwendet<br />

immer das gleiche System<br />

und die gleiche Taktik und niemand<br />

kann sie aufhalten. Das ist so beeindruckend.<br />

Vielleicht gefällt es euch<br />

nicht, aber man muss zugeben, dass<br />

es beeindruckend ist, oder?!<br />

Das andere, was mir klar wurde,<br />

ist der vollzogene Generationenwechsel.<br />

Darauf habe ich in einer<br />

früheren Kolumne hingewiesen.<br />

Schaut euch nur die Situation der<br />

Sprinter an. Mark Cavendish – nicht<br />

von seinem eigenen Team ausgewählt;<br />

Marcel Kittel – in einer Art<br />

Altersteilzeit; André Greipel und<br />

Alexander Kristoff – sie konnten<br />

keine Etappe gewinnen. All die Entscheidungen<br />

wurden von den Debütanten-Toursiegern<br />

Caleb Ewan<br />

und Elia Viviani sowie Dylan Groenewegen<br />

geholt.<br />

Gleiches galt für die GC-Fahrer.<br />

Thibaut Pinot sah toll aus, aber am<br />

Ende hatte er ein DNF. Dennoch<br />

hat sein Groupama-Team mit David<br />

Gaudu ein absolutes Supertalent,<br />

das in ein oder zwei Jahren wahrscheinlich<br />

der neue Teamkapitän<br />

sein wird. Nicht zu vergessen Bernal.<br />

Ihm war es egal, dass er der<br />

jüngste Fahrer im Feld war – er hat<br />

einfach gekämpft und die gesamte<br />

Tour gewonnen. Steven Kruijswijk<br />

auf Platz drei und Emanuel Buchmann<br />

auf Platz vier sind nicht die<br />

INEOS SAGT EINFACH: „NUN, EINER UNSERER<br />

KAPITÄNE IST NICHT ZU 100 PROZENT FIT,<br />

ABER ES SPIELT KEINE ROLLE – WIR<br />

BEFÖRDERN EINFACH UNSEREN NÄCHSTEN<br />

LEUTNANT IN DIE ROLLE DES FÜHRENDEN.“<br />

Jüngsten, aber Buchmann ist vor allem<br />

ein frisches Ge -sicht an der<br />

Spitze. Umgekehrt scheint Quintana<br />

im Moment weit davon entfernt, aufs<br />

Podium zu fahren.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen,<br />

dass Ineos in Zukunft weitere<br />

Gelbe Trikots gewinnen wird und<br />

es viele junge und hungrige Fahrer<br />

gibt, die bereit sind, die Führung zu<br />

übernehmen.<br />

Aber hey, es gibt noch Hoffnung<br />

für uns ältere Jungs. Schaut euch<br />

Vincenzo Nibali an, der sich von<br />

mittelmäßiger Form oder Krankheit<br />

nicht entmutigen lässt und schließlich<br />

mit all seiner Hartnäckigkeit,<br />

Erfahrung, Klugheit und reiner<br />

Jens schätzt David Gaudu als<br />

einen der neuen Sterne am Radsporthimmel<br />

ein.<br />

Klasse einen tollen Etappensieg am<br />

vorletzten Tag einfahren konnte. Ich<br />

freue mich für ihn, und ich war froh<br />

zu sehen, dass es noch einige Fahrer<br />

gibt, die die Flagge für uns, die älteren<br />

Jungs, hochhalten.<br />

Jens Voigt beendete seine Profi -<br />

karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />

Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />

und beliebtesten Fahrer<br />

im Peloton. Unter anderem hielt er<br />

für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />

130 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>


LEICHTIGKEIT MACHT SCHNELL.<br />

TILL SCHRAMM,<br />

Triathlon-Profi,<br />

schwört auf LAURETANA –<br />

„Das leichteste Wasser Europas“.<br />

Mit einem Gehalt von nur 14 Milligramm Mineralsalzen pro Liter gilt<br />

LAURETANA als weichstes und leichtestes Wasser unseres Kontinents.<br />

Die artesische Quelle wird im nördlichen Piemont frei-fließend und gänzlich unbehandelt abgefüllt.<br />

Gesundheitsexperten und Spitzensportler schätzen die hohe Bekömmlichkeiten, den<br />

leichten Geschmack und die einzigartige<br />

Wirkung des „Leichtesten Wasser Europas“.<br />

LAURETANA: „Als Triathlon-Profi trinkst du täglich mehrere Liter Wasser.<br />

Warum hast du dich für LAURETANA entschieden?“<br />

Till Schramm: „LAURETANA ist aufgrund seiner extrem geringen Mineralsierung in der Lage, die<br />

hochwertigen Nährstoffe, die ich mir als Profisportler zuführe, bestmöglich in alle Körperzellen zu<br />

transportieren. Diese optimale Nährstoffverwertung entfesselt in meinem Körper reine Energie!“<br />

www.lauretana.de


canyon.com<br />

PURE CYCLING<br />

Richard Carapaz schreibt Geschichte und holt das Maglia Rosa beim Giro d’Italia.<br />

Als exzellenter Kletterer und Allrounder fährt er das Ultimate CF SLX, ein Rad<br />

wie gemacht für Grand-Tour-Siege – genau wie er selbst. Der Startschuss einer<br />

außergewöhnlichen Karriere. Bravo, Richard!

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!