PC_09_2019_FINAL_X1
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TOUR DE FRANCE<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
DIE BESTE AUFLAGE SEIT 30 JAHREN<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong><br />
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EGAN<br />
BERNAL<br />
SO WURDE DER KOLUMBIANER<br />
ZUM JÜNGSTEN TOURSIEGER<br />
DER NACHKRIEGSZEIT<br />
DER<br />
GROSSE<br />
RÜCKBLICK<br />
Analysen, Features,<br />
Interviews – das war die<br />
Grande Boucle<br />
<strong>2019</strong><br />
EMANUEL<br />
BUCHMANN<br />
Mit Understatement zum Erfolg<br />
– der Ravensburger über die<br />
Schlüsselmomente seiner Tour<br />
EXKLUSIV-INTERVIEW<br />
GERAINT<br />
THOMAS<br />
Der Sieger des letzten Jahres<br />
sagt uns, was gut lief<br />
– und was nicht<br />
LOULOU-<br />
MANIA!<br />
Frankreich ist<br />
verrückt nach<br />
Julian Alaphilippe<br />
JUMBO–<br />
VISMA<br />
THIBAUT<br />
PINOT<br />
KONRAD &<br />
PÖSTLBERGER<br />
70% K<br />
90% K
YOUTUBE<br />
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LINKEDIN<br />
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INSTAGRAM<br />
PERISCOPE
EDITORIAL<br />
DANKE, EMU!<br />
Was war das für eine Tour de France! Fünf Fahrer, die bis zur letzten Etappe Kopf an Kopf<br />
um das Gelbe Trikot kämpften – so eng wie in diesem Jahr ging es bei der Frankreich-<br />
Rundfahrt schon lange nicht mehr zu. Dazu Dramen um Mitfavoriten. Wetterkapriolen<br />
mit entscheidendem Einfluss auf den Rennverlauf. Ein Überraschungsmann, der bis kurz<br />
vor dem Ende bravourös das Gelbe Trikot verteidigte. Und ein Sieger, der aufgrund seines<br />
jugendlichen Alters vielleicht für eine neue Zeitrechnung im Radsport sorgen könnte. Es ist<br />
definitiv keine Untertreibung, wenn man sagt: Die Tour <strong>2019</strong> geht als Tour der Superlative<br />
in die Geschichte ein.<br />
Einen großen Anteil daran, dass die Tour de France <strong>2019</strong> eine der mitreißendsten der<br />
vergangenen Jahre war, hatte aus deutscher Sicht Emanuel Buchmann. Als Journalist hat<br />
man eigentlich die Aufgabe, neutral zu sein. Doch als „Emu“ am Col du Tourmalet auf den<br />
letzten zwei Kilometern attackierte und sich endgültig in den erweiterten Favoritenkreis<br />
dieser Tour fuhr, gab es auch bei uns in der Redaktion kein Halten mehr. Das galt umso<br />
mehr, als an den folgenden Tagen klar wurde, dass der Bora-Profi realistische Chancen auf<br />
einen Platz auf dem Podium in Paris haben würde. Am Ende sorgte Buchmann mit Rang<br />
vier nicht nur für die beste deutsche Grand-Tour-Platzierung seit Andreas Klöden 20<strong>09</strong>,<br />
sondern mit seiner taktisch klugen Fahrweise für viel Freude beim Zuschauen. Danke, Emu!<br />
Emanuel Buchmann ist aber nur einer von vielen Hauptdarstellern der Tour <strong>2019</strong>, denen<br />
wir uns auf den kommenden Seiten ausführlich widmen. In unserem großen Tour-de-<br />
France-Rückblick erfahren Sie noch einmal alles zur diesjährigen Auflage der Frankreich-<br />
Rundfahrt – angefangen beim Favoritenschreck Julian Alaphilippe und seinem zweiwöchigen<br />
Kampf um das Gelbe Trikot über das Drama um den Topfavoriten Thibaut Pinot bis<br />
hin zum jungen Sieger Egan Bernal. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, liebe Leserinnen<br />
und Leser, viel Spaß beim Schmökern in der neuen Procycling!<br />
Werner Müller-Schell<br />
Redaktion
INHALT<br />
AUSGABE 187 / SEPTEMBER <strong>2019</strong><br />
30<br />
TOUR-DE-FRANCE-RÜCKBLICK<br />
Procycling schaut mit Genuss und Freude auf eine der<br />
besten Auflagen der modernen Zeit.<br />
40<br />
EGAN BERNAL<br />
Der junge Kolumbianer überraschte die Radsportwelt<br />
mit seinem Toursieg im Alter von gerade einmal 22.<br />
RUBRIKEN<br />
© Getty Images<br />
6<br />
SCHNAPP-<br />
SCHUSS<br />
Rennen im Bild<br />
12<br />
PROLOG<br />
Aus dem Herzen<br />
des Pelotons<br />
24<br />
INSIDER<br />
Rick Zabel<br />
& Ralph Denk<br />
28<br />
STRAVA<br />
Die Daten<br />
der Profis<br />
122<br />
WUNSCH-<br />
LISTE<br />
Produkt-Highlights<br />
128<br />
VORSCHAU<br />
Themen der<br />
nächsten Ausgabe<br />
130<br />
JENS VOIGT<br />
Das letzte<br />
Wort<br />
4 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
50<br />
EMANUEL BUCHMANN<br />
Der Ravensburger analysiert die Schlüsselmomente seiner Tour.<br />
58<br />
PATRICK KONRAD & LUKAS PÖSTLBERGER<br />
Bora–hansgrohes starke Österreicher über die Rollen im Team.<br />
62<br />
BELGIEN<br />
So erlebte Procycling einen grandiosen Grand Départ.<br />
70<br />
JUMBO–VISMA<br />
Die niederländische Equipe war das Team der Tour.<br />
76<br />
DIE ERSTE WOCHE<br />
Warum war die Eröffnungswoche so unterhaltsam?<br />
84<br />
MICHAEL MATTHEWS<br />
Der schwere Kampf des Australiers vom Team Sunweb.<br />
90<br />
CALEB EWAN<br />
So kam der beste Sprinter des Rennens auf die Erfolgsstraße.<br />
96<br />
THIBAUT PINOT<br />
Der tragische Held der <strong>2019</strong>er-Tour – nicht nur für die Franzosen.<br />
104<br />
SIMON YATES<br />
Mitcheltons Doppel-Etappensieger nutzte die Gunst der Stunde.<br />
112<br />
JULIAN ALAPHILIPPE<br />
Die größte Persönlichkeit eines überragenden Rennens.<br />
118<br />
GERAINT THOMAS<br />
Warum hatte der Sieger von 2018 dieses Mal das Nachsehen?<br />
© Bora–hansgrohe/Bettini Photo (Buchmann), Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 5
POLEN-<br />
RUNDFAHRT<br />
4. Etappe, 6. August <strong>2019</strong><br />
Sander Armee, Carl Fredrik Hagen,<br />
Tomasz Marczynski, Harm Van -<br />
houcke, Jelle Wallays und Enzo<br />
Wouters trauern um ihren tödlich<br />
verunglückten Lotto-Soudal-Teamkollegen<br />
Bjorg Lambrecht. Der<br />
22 Jahre alte Belgier war am Tag<br />
zuvor schwer gestürzt und erlag<br />
im Krankenhaus seinen inneren<br />
Verletzungen. Fahrer und Orga -<br />
nisatoren entschieden sich dafür,<br />
die Etappe zu neutralisieren, das<br />
Rennen jedoch trotz der Tragödie<br />
fortzusetzen.<br />
© Luc Claessen/Getty Images<br />
6 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SCHNAPPSCHUSS<br />
IMPRESSIONEN DES RADSPORT-MONATS<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 7
SCHNAPPSCHUSS<br />
8 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SCHNAPPSCHUSS<br />
PRUDENTIAL<br />
RIDELONDON<br />
Surrey Classic, 4. August <strong>2019</strong><br />
In der englischen Hauptstadt fügte<br />
Deceuninck–Quick-Step seiner<br />
bislang erneut überragenden<br />
Saison einen weiteren Titel hinzu,<br />
als Elia Viviani zum Abschluss und<br />
Höhepunkt des Radsport-Festivals<br />
Prudential RideLondon das<br />
Herrenrennen auf der Prachtstraße<br />
The Mall für sich entschied. Sein<br />
Anfahrer Michael Mørkøv schaffte<br />
es als Dritter ebenfalls aufs Podium<br />
und rundete den perfekten Tag<br />
für die belgische Equipe ab.<br />
© Alex Livesey/Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 9
SCHNAPPSCHUSS<br />
10 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SCHNAPPSCHUSS<br />
TOUR DE<br />
FRANCE<br />
13. Etappe, 19. Juli <strong>2019</strong><br />
Maximilian Schachmann quält<br />
sich den letzten Anstieg zum Ziel<br />
hinauf. Beim Zeitfahren mit Start<br />
und Ende in Pau hatte der Deutsche<br />
gut im Rennen gelegen, ehe ein<br />
heftiger Sturz sämtliche Ambitionen<br />
zunichte machte. Das<br />
traurige Ergebnis waren eine<br />
gebrochene Hand und der Aus -<br />
stieg aus der Grande Boucle am<br />
folgenden Morgen. Auch Wout<br />
Van Aert (Jumbo–Visma), Sieger<br />
der 10. Etappe, verletzte sich beim<br />
Zeitfahren schwer und konnte<br />
nicht mehr weiterfahren.<br />
© Chris Graythen/Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 11
PROLOG<br />
PROLOG<br />
AUS DEM HERZEN DES PELOTONS<br />
EIN STARKES TEILNEHMERFELD<br />
Es ist eine Rekordzahl: 15 WorldTour-Mannschaften haben ihren<br />
Start für die Deutschland Tour <strong>2019</strong> angekündigt. Und das ist nicht das<br />
einzige Highlight, das die Zuschauer erwarten dürfen. Eine Vorschau.<br />
Text Werner Müller-Schell<br />
© Deutschland Tour/Pixathlon<br />
Die deutschen Radsportfans können sich<br />
auf ein Spitzensportereignis freuen, denn<br />
die Deutschland Tour erwartet bei ihrer<br />
zweiten Auflage eine Topbesetzung – das gaben<br />
die Veranstalter während des ersten Ruhetags der<br />
Tour de France bekannt. Insgesamt 15 Teams aus<br />
der höchsten Radsportliga, der WorldTour, haben<br />
ihren Start angekündigt. Zudem vervollständigen<br />
sieben Teams aus dem ProContinental- und dem<br />
Continental-Bereich die Startliste der 22 Mannschaften.<br />
Damit steht die Weltelite am Start der<br />
viertägigen Rundfahrt, die zwischen dem 29. August<br />
und 1. September von Hannover nach Erfurt<br />
führt. „Bereits in unserem zweiten Jahr haben wir<br />
das Maximum an WorldTour-Teams bei uns am<br />
Start stehen. Das ist Rekord – mehr geht nicht.<br />
Dieses große Interesse der besten Teams der Welt<br />
zeigt, welchen Stellenwert sich die Deutschland<br />
Tour nach der Premiere im letzten Jahr erarbeitet<br />
hat“, freut sich Claude Rach, Geschäftsführer der<br />
organisierenden Gesellschaft zur Förderung des<br />
deutschen Radsports.<br />
Angeführt wird das hochkarätige Peloton von den<br />
beiden deutschen Teams Bora–hansgrohe und<br />
Sunweb. Vor allem die Equipe aus dem bayerischen<br />
Raubling plant mit ihrer Besetzung ein<br />
Highlight für die deutschen Fans: „Die Deutschland<br />
Tour ist einer der Höhepunkte für uns. Mit<br />
jetzigem Stand planen wir mit einem komplett<br />
deutschen Team und unseren deutschen Spitzenfahrern.<br />
Pascal Ackermann, Marcus Burghardt<br />
und Emanuel Buchmann haben den Termin im<br />
Kalender stehen“, bestätigte Teamchef Ralph<br />
12 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Bereits bei ihrer<br />
ersten Wiederauflage<br />
präsentierte<br />
sich die Deutschland<br />
Tour als Publikumsmagnet.<br />
15 WorldTour-<br />
Teams werden bei<br />
der Deutschland<br />
Tour <strong>2019</strong> am Start<br />
stehen.<br />
Denk bereits frühzeitig. Auch bei der Sunweb-<br />
Equipe können die deutschen Fans auf die Local<br />
Heroes Lennard Kämna und Max Kanter hoffen.<br />
BEKANNTE STARS UND<br />
NACHWUCHSTEAMS<br />
Katusha-Alpecin plant ebenfalls mit einem<br />
schlagkräftigen Team rund um die heimischen<br />
Klassiker-Spezialisten Rick Zabel und Nils Politt.<br />
Dazu kommen einige internationale WorldTour-<br />
Teams, die deutsche Fahrer in ihren Reihen haben:<br />
CCC mit Tour-de-France-Ass Simon Geschke<br />
und Jonas Koch, AG2R La Mondiale mit Nico<br />
Denz sowie Bahrain-Merida mit den beiden<br />
sprintstarken Profis Phil Bauhaus und Marcel Sieberg.<br />
Aus dem ProContinental-Bereich darf man<br />
sich aus deutscher Sicht vor allem auf Arkéa-Samsic<br />
mit den Routiniers André Greipel und eventuell<br />
Robert Wagner freuen.<br />
Wie im Vorjahr bleiben die Deutschland-Tour-<br />
Macher auch in dieser Saison ihrem Prinzip treu,<br />
den heimischen Nachwuchs zu fördern. Daher<br />
sind trotz des Aufstieges der Deutschland Tour<br />
in die HC-Kategorie vier deutsche Kontinentalteams<br />
am Start. Die Mannschaften Bike Aid,<br />
Dauner-Akkon, Lotto Kern-Haus und P&S Metalltechnik<br />
haben sich mit ihren Leistungen in der<br />
ersten Saisonhälfte für die Deutschland Tour<br />
qualifiziert. „Diese Teams haben in den letzten<br />
Wochen in der Bundesliga und den internationalen<br />
Rennen um die Deutschland Tour gekämpft.<br />
Für sie und die deutschen Talente ist die Deutschland<br />
Tour die wichtigste Bühne und Sprungbrett<br />
zugleich“, betont Claude Rach.<br />
EINE STRECKE FÜR DIE<br />
KLASSIKER-FAHRER<br />
Spannung verspricht dabei nicht nur das Starterfeld,<br />
sondern auch die Strecke: Deutschlands<br />
größtes und einziges Etappenrennen wird in vier<br />
Etappen durch vier Bundesländer von Hannover<br />
nach Erfurt führen. Die Radprofis erwartet dabei<br />
eine Streckenführung über 700 Kilometer. Der<br />
Auftakt von Hannover in die Region Harz über<br />
167 Kilometer wird aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach ein Aufeinandertreffen der Sprinter, bevor<br />
am zweiten Tag über 202 Kilometer von Marburg<br />
nach Göttingen die Spezialisten für welliges Gelände<br />
gefragt sind. Eine Vorentscheidung im<br />
Kampf um den Gesamtsieg dürfte dann die hügelige<br />
dritte Etappe über 189 Kilometer von Göttingen<br />
nach Eisenach bringen, während der es unter<br />
anderem über den Rennsteig geht. Das<br />
spannende Finale steigt schließlich auf den 159,5<br />
Kilometern von Eisenach nach Erfurt. „Die Fans<br />
in den Etappenorten, an der Strecke und das<br />
TV-Publikum können sich auf Weltklassesport<br />
bei Deutschlands größtem Radsportfestival freuen“,<br />
so Claude Rach. Die Höhenprofile der Etappen<br />
finden Sie auf der kommenden Doppelseite.<br />
Übrigens: Neben den Radprofis bietet die<br />
Deutschland Tour <strong>2019</strong> auch allerlei Nebenevents<br />
für alle Fahrradfans. Zu nennen sind etwa<br />
Laufradrennen für Kinder, Radrennen für Nachwuchsathleten,<br />
Auftritte von Showgruppen und<br />
Eventmessen für Fahrradinteressierte in den jeweiligen<br />
Start- und Zielorten. Im vergangenen<br />
Jahr hatten während der gesamten Deutschland<br />
Tour 125.000 Schaulustige dem Spektakel beigewohnt;<br />
in dieser Saison erwarten die Veranstalter<br />
eine weitere Zuschauersteigerung.<br />
Gestartet wird die Deutschland Tour <strong>2019</strong><br />
am 29. August. In Hannover werden sich am<br />
Abend zuvor vor dem Neuen Rathaus im Rahmen<br />
der Teampräsentation alle 22 Mannschaften und<br />
132 Fahrer den Fans präsentieren. Das Ziel in<br />
Erfurt wird vier Tage später – am 1. September –<br />
erreicht.<br />
Neben den WorldTour-Teams nehmen<br />
drei Professional-Continental-Teams und<br />
vier Continental-Teams an der D-Tour teil.<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 13
PROLOG<br />
„JEDES JAHR EIN<br />
BISSCHEN BESSER“<br />
Interview Chris Hauke<br />
© Lotto Kern-Haus<br />
Lotto Kern-Haus ist eines von vier heimischen<br />
Continental Teams, die sich bei der Deutschland<br />
Tour präsentieren können. Wir sprachen<br />
mit Teamchef Florian Monreal über den Grund für<br />
die Wildcard und die Pläne für das Rennen.<br />
Florian, wie war eure Reaktion, als ihr von<br />
der Einladung erfahren habt?<br />
Wir haben uns natürlich sehr gefreut, dass wir<br />
eine Einladung erhalten haben und bei der<br />
Deutschland Tour am Start stehen werden. Dementsprechend<br />
wollen wir uns dort auch bestmöglich<br />
präsentieren.<br />
Zwei der vier Teams haben sich sportlich<br />
qualifiziert, ihr seid eines der beiden anderen,<br />
die per Wildcard dabei sind. Warum,<br />
glaubst du, haben euch die Organisatoren<br />
ausgewählt?<br />
Mit unseren Fahrern Jonas Rutsch und Joshua<br />
Huppertz haben wir bewiesen, dass wir auch<br />
international bei großen europäischen Rennen<br />
vorne mitfahren können – etwa bei der Tour de<br />
Luxembourg, wo Jonas Achter der Gesamtwertung<br />
geworden ist. Die anderen deutschen Continental<br />
Teams haben ein solches Ergebnis nicht<br />
vorzuweisen.<br />
Die Erfolge und Leistungen von Jonas<br />
Rutsch haben ihn auch für die Eliteklasse<br />
interessant gemacht. Er wechselt zur kommenden<br />
Saison in die WorldTour – mit gerade<br />
mal 21 Jahren.<br />
Jonas hat bereits einen Vertrag bei EF Education<br />
First in der Tasche. Er trifft bei der Deutschland<br />
Tour zum ersten Mal auf seine neue Mannschaft.<br />
Das ist gut für ihn, aber auch für uns. Vielleicht<br />
können wir da noch den einen oder anderen Kontakt<br />
herstellen.<br />
Ihr fahrt bei der Deutschland Tour neben<br />
15 Teams aus der WorldTour. Welche Rolle<br />
kann Lotto Kern-Haus da spielen?<br />
Das Rennen wird wie letztes Jahr sehr hart. Wenn<br />
15 WorldTour-Mannschaften am Start sind, spielt<br />
man als Continental Team nicht direkt die Hauptrolle.<br />
Aber mit Jonas und Joshua haben wir zwei<br />
starke Fahrer, die auf jeden Fall in diesem Konzert<br />
mitspielen können. Joshua ist letztes Jahr in Merzig<br />
knapp an einer Top-Five-Platzierung vorbeigeschrammt.<br />
Durch einen Sturz kurz vor ihm ist er<br />
dann schlussendlich Zwölfter geworden. Wir können<br />
also schon darauf hoffen, dass wir um die eine<br />
oder andere Top-Ten-Platzierung mitfahren.<br />
Die Marschroute dürfte klar sein: in Gruppen<br />
gehen und das Rennen beleben.<br />
Ja, selbstverständlich. Wir wollen uns vorne in<br />
den Ausreißergruppen präsentieren, um auch die<br />
Fernsehzeit in ARD und ZDF mitzunehmen. Aber<br />
des Weiteren zählt am Ende des Tages natürlich<br />
auch das Top-Ten-Ergebnis. Da werden wir uns<br />
schon die eine oder andere Etappe raussuchen.<br />
Sind Jonas Rutsch und Joshua Huppertz die<br />
beiden Fahrer eures Teams, auf die die Zuschauer<br />
besonders achten sollten?<br />
Definitiv. Jonas und Joshua werden dort in Topverfassung<br />
sein. Jonas kommt von der Tour de<br />
l’Avenir, die kurz vorher stattfindet [15. bis<br />
25. August]. Dort fährt er noch für die Nationalmannschaft.<br />
Auch Joshua wird bei der Deutschland<br />
Tour topfit am Start stehen.<br />
Mit der Deutschland Tour wollen die Organisatoren<br />
dem deutschen Radsport zu mehr Aufmerksamkeit<br />
verhelfen. Wie ist denn die Situation<br />
bei einem deutschen Continental Team?<br />
Ich finde, die Situation ist ganz gut. Klar kann sie<br />
immer besser sein, aber immer nur Jammern<br />
bringt auch nichts. Ich mache das jetzt im sechsten<br />
Jahr, und es geht jedes Jahr ein bisschen besser.<br />
Die Deutschland Tour ist für uns natürlich<br />
ein absolutes Highlight. Wir werden unsere Sponsoren<br />
dort mit VIP-Shuttles herumfahren und<br />
abends ein Get Together und Meet & Greet mit<br />
den Fahrern veranstalten. Die Deutschland Tour<br />
ist für uns perfekt, um uns zu präsentieren und<br />
auch für größere Sponsoren attraktiv zu machen.<br />
Aktuell findet im deutschen Radsport ein<br />
Generationenwechsel statt. Welche Rolle<br />
kann Jonas Rutsch in Zukunft spielen? Und<br />
was zeichnet ihn aus?<br />
Jonas ist ein Phänomen. Wie er für ein Eintagesrennen<br />
über den Punkt gehen kann, ist schon<br />
überwältigend. Und auch, wie er sich vorbereiten<br />
kann. Er wollte [die U23-Version von] Gent–Wevelgem<br />
unbedingt gut fahren, und er hat dort gewonnen.<br />
Und dann, zwei Wochen später, in Flandern<br />
Fünfter zu werden – das muss man erst mal<br />
machen als junger Bursche. Jonas wird seinen<br />
Weg gehen, und er hat mit EF Education First ein<br />
sehr gutes Team an der Seite, bei dem er auch früh<br />
Florian Monreal, Teamchef von Lotto<br />
Kern-Haus.<br />
in die Klassiker reinschnuppern kann. Und<br />
dort mit Andreas Klier einen erfahrenen Sportlichen<br />
Leiter, der ihn bei diesen Rennen genau<br />
leiten kann.<br />
Ihr habt mit Max Walscheid schon mal einen<br />
Fahrer in die WorldTour gebracht, er ist bis<br />
Ende 2015 für euch gefahren und heute für<br />
Sunweb aktiv. Was überwiegt bei dir als<br />
Teamchef? Die Trauer, so gute Leute gehen<br />
lassen zu müssen, oder ist da auch einiges<br />
an Stolz dabei, dass ihr Fahrer auf dieses<br />
Top level gebracht habt?<br />
Nein, wird sind alle stolz darauf. Ich betreibe das<br />
Team auch, weil ich dem Radsport weiterhelfen<br />
will. Wenn ein Sportler die Chance bekommt, höherklassig<br />
zu fahren, dann soll er sie auch ergreifen.<br />
Das ist das Wichtigste. Auch unsere Sponsoren<br />
und Partner wissen es zu schätzen, dass sie es<br />
einem solchen Fahrer durch ihre Unterstützung<br />
ermöglichen, in die WorldTour zu wechseln.<br />
Glaubst du, dass die Deutschland Tour eine<br />
Signalwirkung haben kann?<br />
Ja, definitiv. Das hat man letztes Jahr gemerkt.<br />
Es gab viele begeisterte Zuschauer an der Strecke,<br />
auch die Fernsehübertragung ist gut angenommen<br />
worden. Alleine wie viele Leute hier in Koblenz<br />
[das Team hat seinen Sitz in Weitersburg bei<br />
Koblenz] am Start waren und auch bei der Teampräsentation<br />
– das hat schon was bewirkt. Und<br />
ich denke, dass dieses Jahr, wenn das Rennen vier<br />
Tage in ARD und ZDF zu sehen ist, noch eine<br />
Schippe draufgelegt wird.<br />
14 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
Die Deutschland Tour <strong>2019</strong> verspricht zu einem Kampf zwischen Sprintern und Klassiker-<br />
Jägern um den Gesamtsieg zu werden. Dies sind die Profile der vier Etappen.<br />
1. ETAPPE, DONNERSTAG, 29.08.<br />
HANNOVER–HALBERSTADT (167 KM)<br />
2. ETAPPE, FREITAG, 30.08.<br />
MARBURG–GÖTTINGEN (202 KM)<br />
600m<br />
500m<br />
400m<br />
300m<br />
200m<br />
100m<br />
55m HANNOVER<br />
0<br />
|REGION HANNOVER<br />
|LANDKREIS HILDESHEIM<br />
211m SEESEN<br />
498m Sternplatz (2.8km at 6.4%)<br />
285m Innerstestausee<br />
128m OSTERWIECK - BERSSEL<br />
167m Litter collection zone<br />
267m HUY NEINSTEDT<br />
78.5 86 90.5<br />
133 147.5 151.5<br />
|LANDKREIS GOSLAR |GOSLAR<br />
|LANDKREIS HARZ<br />
140m HALBERSTADT<br />
167km<br />
600m<br />
500m<br />
400m<br />
300m<br />
200m<br />
100m<br />
190m MARBURG<br />
402m WALDECK (1.8km at 8.7%)<br />
0<br />
67.5<br />
102.5<br />
172 181 193<br />
178.5 187.5<br />
|LANDKREIS MARBURG-BIEDENKOPF |LANDKREIS KASSEL |LANDKREIS GÖTTINGEN<br />
|LANDKREIS WALDECK-FRANKENBERG<br />
|GÖTTINGEN<br />
327m HABICHTSWALD (EHLEN)<br />
154m ROSDORF<br />
238m GÖTTINGEN (1.1km at 4.6%)<br />
205m Litter collection zone<br />
150m GÖTTINGEN (Crossing finish line #1)<br />
238m GÖTTINGEN<br />
150m GÖTTINGEN<br />
202km<br />
3. ETAPPE, SAMSTAG, 31.08.<br />
GÖTTINGEN–EISENACH (189 KM)<br />
4. ETAPPE, SONNTAG, 01.<strong>09</strong>.<br />
EISENACH–ERFURT (159,5 KM)<br />
600m<br />
500m<br />
400m<br />
300m<br />
200m<br />
100m<br />
230m GÖTTINGEN<br />
0<br />
466m HEILIGENSTADT (3.3km at 5.6%)<br />
30.5<br />
180m TREFFURT<br />
78<br />
216m KRAUTHAUSEN (LENGRÖDEN)<br />
|LANDKREIS GÖTTINGEN |HESSEN-WERRA-MEISSNER-KREIS<br />
|THÜRINGEN-LANDKREIS EICHSFELD |THÜRINGEN-WARTBURGKREIS<br />
95<br />
438m Hohe Sonne (1.8km at 6.5%)<br />
213m EISENACH (RENNBAHN)<br />
2<strong>09</strong>m EISENACH (First crossing finish line)<br />
374m Vachaer Stein (2.4km at 4.2%)<br />
292m Litter collection zone<br />
438m Hohe Sonne<br />
2<strong>09</strong>m EISENACH<br />
151 162 168 178.5<br />
158.5 173.5<br />
|EISENACH<br />
189km<br />
900m<br />
800m<br />
700m<br />
600m<br />
500m<br />
400m<br />
300m<br />
200m<br />
100m<br />
231m EISENACH<br />
711m Neue Ausspanne (4.9km at 4.6%)<br />
754m RUPPBERG (4.6km at 6%)<br />
834m OBERHOF (4.9km at 4.6%)<br />
708m OBERHOF WEGSCHEIDE<br />
276m ARNSTADT<br />
264m ERFURT (Crossing finish line #1)<br />
189m Litter collection zone<br />
Crossing finish line #2<br />
280m ERFURT (Wartburgstrasse)<br />
0<br />
44.5<br />
78.5 93.5 117<br />
143 151.5 159.5km<br />
85.5<br />
141.5 150.5<br />
|EISENACH<br />
|LANDKREIS SCHMALKALDEN-MEININGEN |ERFURT<br />
|WARTBURGKREIS<br />
|LANDKREIS GOTHA<br />
|LANDKREIS GOTHA<br />
|ILM-KREIS<br />
264m ERFURT<br />
HOHER BESUCH<br />
Neben den deutschen Topfahrern nehmen<br />
auch zahlreiche internationale Hochkaräter<br />
am Rennen teil – bei Redaktionsschluss waren<br />
unter anderem die folgenden Stars von ihren<br />
Teams gemeldet: Geraint Thomas (Team Ineos),<br />
Vincenzo Nibali (Bahrain-Merida), Flandern-<br />
Sieger Alberto Bettiol (EF Education First), Caleb<br />
Ewan (Lotto Soudal), Julian Alaphilippe, Enric<br />
Mas (beide Deceuninck–Quick-Step), Richie Porte<br />
(Trek-Segafredo) sowie Alexander Kristoff und<br />
Daniel Martin (beide UAE Team Emirates).<br />
DIE TRIKOTS<br />
Diese Farben werden die Führenden der<br />
einzelnen Wertungen tragen:<br />
Gesamtwertung<br />
Bergwertung<br />
Sprintwertung<br />
Nachwuchswertung<br />
VERLOSUNG<br />
In Zusammenarbeit mit dem Veran -<br />
stalter ASO verlosen wir je ein Trikot<br />
pro Wertung. Zur Teilnahme senden<br />
Sie eine Mail mit Namen, Anschrift<br />
und dem Kennwort „D Tour“ an:<br />
gewinnspiel@wom-medien.de.<br />
Wer möchte, kann auch sein Wunschtrikot<br />
angeben. Die Gewinner werden<br />
schriftlich benachrichtigt.*<br />
* Um zu gewinnen, senden Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Kennwort „D Tour" bis 26.<strong>09</strong>. an folgende Mail-Adresse: gewinnspiel@wom-medien.de. Unter allen E-Mails, die uns bis einschließlich<br />
26.<strong>09</strong>. erreichen, werden die Gewinner bzw. die Gewinnerinnen (mindestens 18 Jahre alt) ermittelt. Teilnahmeberechtigt sind Personen ab Vollendung des 18. Lebensjahres. Pro Person bzw. E-Mail-<br />
Adresse wird nur eine Teilnahme akzeptiert. Die Gewinner werden im Anschluss an das Gewinnspiel bis 01.10. per Zufallsverfahren ermittelt und per E-Mail benachrichtigt. Die bereitgestellten<br />
Informationen werden von der WOM Medien GmbH ausschließlich für das Gewinnspiel verwendet und nach der Verlosung gelöscht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 15
PROLOG<br />
IN ALLER KÜRZE<br />
2021<br />
Das Jahr, bis zu dem der Vertrag<br />
von Giulio Ciccone von Trek-<br />
Segafredo verlängert wurde,<br />
weniger als einen Tag, nachdem er<br />
bei der Tour de France das Gelbe<br />
Trikot geholt hatte. Der Italiener<br />
stieg in dieser Saison in die<br />
WorldTour auf und gewann direkt<br />
eine Etappe und das Berg-Trikot<br />
beim Giro d’Italia.<br />
„DER STURZ<br />
HATTE GRÖSSERE<br />
AUSWIRKUNGEN,<br />
ALS ICH ANFANGS<br />
DACHTE.“<br />
Wout Van Aert steht vor einer<br />
langen Erholungsphase von<br />
dem tiefen Schnitt an seinem<br />
rechten Bein, den er sich bei<br />
einem Sturz im Zeitfahren der<br />
13. Etappe zugezogen hatte.<br />
Health Mate wird<br />
in dieser Saison das<br />
Sponsoring seiner gleichnamigen<br />
Frauenmannschaft<br />
einstellen, nachdem die<br />
Ethik-Kommission der UCI<br />
eine Untersuchung der<br />
Missbrauchsvorwürfe von<br />
Fahrern gegen den Manager<br />
Patrick Van Gansen eingeleitet<br />
hat. Zehn Fahrerinnen gaben<br />
an, dass es in der belgischen<br />
Mannschaft zu Missbrauch<br />
gekommen sei.<br />
„Hoffentlich finde ich<br />
bald wieder die Freude<br />
am Radfahren.“ Obwohl er<br />
der Titelverteidiger war, verzichtete<br />
Michał Kwiatkowski<br />
nach einer enttäuschenden<br />
Tour de France im August<br />
auf sein Heimrennen, die<br />
Polen-Rundfahrt. Der Pole<br />
hatte dort in den Bergen, die<br />
ihm sonst liegen, mit einer<br />
Formschwäche zu kämpfen.<br />
Sein erster<br />
Grand-<br />
Tour-Titel<br />
Chris Froome wurde zum Gewinner<br />
der Vuelta 2011 ernannt. Der<br />
ursprüngliche Sieger, Juan José<br />
Cobo, entschied sich, keine<br />
Berufung gegen ein UCI-Urteil in<br />
Bezug auf seine anomalen Daten<br />
im Biologischen Pass aus dieser<br />
Zeit einzulegen. Froome gewann<br />
somit sieben große Rundfahrten.<br />
20<br />
Jahre alt ist Andrea Bagioli,<br />
Deceuninck–Quick-Steps erste<br />
neue Verpflichtung für 2020,<br />
die ihn zum zweitjüngsten Fahrer<br />
des Teams vor dem 19-jährigen<br />
Remco Evenepoel macht. Der<br />
Italiener zeigte starke Leistungen<br />
auf U23-Niveau mit zwei Etappen<br />
und dem Gesamttitel bei der<br />
Ronde de l’Isard in seinem<br />
Palmarès in diesem Jahr.<br />
„ICH HABE MICH<br />
NOCH NICHT<br />
FÜR EINEN WEG<br />
ENTSCHIEDEN.“<br />
Marcel Kittel sagte, er werde<br />
bis nach der Tour de France<br />
warten, um zu entscheiden,<br />
ob er in den Rennsport zurückkehren<br />
oder sich aus dem Sport<br />
zurückziehen werde.<br />
© Getty Images<br />
Die ASO soll an der Entwicklung eines Damen-Etappenrennens<br />
arbeiten, das einer großen Rundfahrt entspricht. Reuters<br />
berichtete, dass es sich bei dem Rennen zwar nicht unbedingt um<br />
eine Tour de France der Damen handeln wird, die Organisation<br />
aber ein spezielles Team zusammenstelle, das an der „Entwicklung<br />
des Damenradsports“ arbeite. Die ASO startete La Course im Jahr<br />
2015, aber das eintägige Rennen soll auf der Kippe stehen.<br />
Die Zukunft des<br />
niederländischen<br />
ProContinental-Teams<br />
Roompot-Charles steht<br />
infrage. Der Titelsponsor<br />
Roompot bestätigte,<br />
dass er sein Engagement<br />
zum Ende dieser Saison<br />
beenden wird.<br />
52<br />
Tage vor der Weltmeisterschaft<br />
in Yorkshire wurde die Grinto-<br />
Moor-Brücke, die sich auf der<br />
geplanten Herren-Straßenrennstrecke<br />
befindet, von Überschwemmungen<br />
weggespült.<br />
16 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
„ER IST<br />
BEREITS WEITER<br />
GENESEN, ALS<br />
WIR ES GEHOFFT<br />
HATTEN.“<br />
Ineos-Teamchef Dave Brailsford<br />
erzählte der BBC, dass Chris<br />
Froomes Genesung von seinen<br />
schweren multiplen Verletzungen,<br />
die er beim Critérium du Dauphiné<br />
erlitten hat, sehr gut verläuft.<br />
50.000<br />
Euro war die Video- und Kameraaus<br />
rüstung wert, die Lotto Soudal<br />
nach der 11. Etappe der Tour<br />
gestohlen wurde, am gleichen<br />
Tag, an dem Caleb Ewan seinen<br />
ersten Etappensieg für das Team<br />
erzielte. Die Diebe brachen in das<br />
Hotel des Teams in Blagnac ein.<br />
„ICH DENKE, DIE CPA<br />
SOLLTE ETWAS TUN. ICH<br />
WEISS NICHT, WARUM WIR<br />
SIE BEZAHLEN, WENN SIE<br />
UNS NICHT SCHÜTZT.“<br />
Peter Sagan kritisierte die fehlende Intervention des<br />
Fahrerverbandes bei der 16. Etappe der Tour in Nîmes,<br />
wo die Temperaturen bis über 40 Grad stiegen.<br />
Nach dem Gewinn<br />
einer Debüt-Etappe<br />
bei der Tour de France hoch<br />
nach La Planche des Belles<br />
Filles musste Dylan Teuns<br />
nach einem Gartenunfall<br />
sein nächstes Rennen,<br />
die Clásica San Sebastián,<br />
absagen. Der Belgier schlug<br />
bei seinem Unfall mit dem<br />
Kopf auf das Rad seines<br />
Mähtraktors, als die Maschi ne<br />
einen technischen Defekt<br />
hatte. Teuns wurde mit<br />
15 Stichen genäht.<br />
Die<br />
Italiener<br />
machen zu<br />
Der italienische ProConti-Kader<br />
Nippo Vini Fantini-Faizane wird<br />
Ende <strong>2019</strong> aufgelöst. Die World-<br />
Tour soll in der nächsten Saison<br />
auf 20 Teams erweitert werden,<br />
und das Team sagte, dass dieser<br />
Schritt es extrem schwierig<br />
machen werde, eine Wildcard<br />
für den Giro d’Italia zu erhalten.<br />
Boels-Dolmans’ Jolien<br />
D’hoore sagte, dass<br />
sie nach ihrem zweiten Sturz<br />
in fünf Monaten sechs bis<br />
acht Wochen an der Seitenlinie<br />
verbringen werde. Die<br />
Belgierin kam auf der ersten<br />
Etappe der BeNe Ladies Tour<br />
zu Fall und brach sich den<br />
Ellbogen. Sie hatte bereits<br />
die erste Phase der Saison<br />
in diesem Frühjahr verpasst,<br />
nachdem sie sich im März<br />
das Schlüsselbein gebrochen<br />
hatte. „Es ist nicht nur ein<br />
körperlicher Rückschlag …<br />
es betrifft mich … mentaler“,<br />
sagte sie.<br />
17<br />
Sekunden Vorsprung hatte<br />
Diego Ulissi beim Test-Event<br />
der Olympischen Spiele in Tokio.<br />
96 Fahrer traten bei dem Rennen<br />
auf der 234 Kilometer langen<br />
Strecke des Herren-Straßenrennens<br />
für das nächste Jahr<br />
an. Die Niederländerin Annemiek<br />
van Vleuten und die Britin Lizzie<br />
Deignan gehörten zu denjenigen,<br />
die ebenfalls nach Japan geflogen<br />
waren, um einen Eindruck der<br />
Straßenrennstrecke der Frauen<br />
zu erhalten.<br />
Di Data<br />
bekommt<br />
einen neuen<br />
Look<br />
Dimension Data wird ab 2020 als<br />
Team NTT auftreten, da sich die<br />
südafrikanische Mannschaft an<br />
den Namen ihres Hauptsponsors<br />
anpasst. Die japanische Firma<br />
Nippon Telegraph and Telephone<br />
gehört seit 2010 dem IT-Unternehmen<br />
Dimension Data.<br />
„ICH KANN NICHT<br />
WEITERMACHEN,<br />
ALS WÄRE NICHTS<br />
PASSIERT. ICH MUSS<br />
REALISTISCH UND<br />
EINSICHTIG SEIN.“<br />
Nach einem 15. Platz bei der<br />
Tour plant Romain Bardet,<br />
Änderungen an seinem<br />
Rennkalender für das<br />
nächste Jahr vorzunehmen<br />
in der Hoffnung<br />
auf eine bessere Form<br />
und bessere Ergebnisse<br />
zur Tour de France.<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 17
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SCHAUFENSTER<br />
PRODUKTEMPFEHLUNGEN<br />
Santini<br />
EINE HOMMAGE AN DIE VUELTA<br />
Seit drei Jahren ist Santini offizieller Partner der Spanien-Rundfahrt und produziert unter anderem die<br />
Führungstrikots der Vuelta. In diesem Jahr gibt es unter dem Motto Santini La Vuelta nun erstmals auch<br />
fünf Sondereditionen für Fans zu kaufen: KM Cero, Costa Blanca, Los Machucos, Asturias und Toledo<br />
heißen die fünf Jerseys, mit denen auch bei lockeren Trainingsfahrten Vuelta-Feeling aufkommt. Das<br />
KM-Cero-Trikot ist der Puerta del Sol, einem der bekanntesten und meistbesuchten Plätze Madrids,<br />
gewidmet. Das Costa Blanca wiederum widmet sich den ersten fünf Etappen der Vuelta <strong>2019</strong> in der<br />
Region Costa Blanca. Das Los Machucos bezieht sich auf den Alto de Los Machucos, den mit 28 Prozent<br />
steilsten Anstieg der 21 Etappen langen Landesrundfahrt. Asturias wiederum ist Austragungsort der<br />
15. und 16. Etappe. Das fünfte Trikot widmet sich Toledo, dem Zielort der 19. Etappe.<br />
© Hersteller<br />
www.santinicycling.com<br />
18 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
ANZEIGE<br />
Ridley<br />
TEST: NOAH SL – TECHNISCH NICHT ZU TOPPEN<br />
Das Ridley Noah hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Als es 2007<br />
die Nachfolge des Damocles antrat, war es als maximal steifes Sprinterrad<br />
konzipiert – prompt gewann Robbie McEwen damit eine Tour-Etappe und<br />
diverse andere Rennen. Benannt nach dem ältesten Sohn von Ridley-Gründer<br />
Jochim Aerts, wurde das Rad mit dem charakteristischen Sitzdom<br />
immer weiterentwickelt: Ab 20<strong>09</strong> kamen nach und nach Aero-Features wie<br />
die „Split Fork“ und die rauen „F-Surfaces“ hinzu; beim Noah Fast von 2013<br />
waren die Felgenbremsen in Gabel und Hinterbau integriert.<br />
2018 brachte das Noah SL dann eine teilweise Neuausrichtung. Zunächst<br />
einmal verschwand der unpraktische Sitzdom, dann wurde die Aerodynamik<br />
optimiert: Beim aktuellen Modell sollen kleine Rinnen an Gabel, Steuer -<br />
und Unterrohr Mikroturbulenzen beruhigen („F-Surface Plus“); der Gabel -<br />
kopf ist nun integriert und mit der typischen Abrisskante am Unterrohr<br />
kombiniert. Außerdem reduzieren „F-Wings“ neuerdings den Luftwiderstand<br />
an den Gabelenden. Mit Carbon-Cockpit und komplett integrierten<br />
Leitungen wirkt das Rad nun noch aufgeräumter.<br />
Procycling fuhr das Ridley Noah Fast bei widrigsten Witterungsbedingungen<br />
über Teile des Kurses von Lüttich–Bastogne–Lüttich – 135 Kilometer<br />
und 2.300 Höhenmeter mit Dauerregen, Schneeregen und Hagelschauern.<br />
Eigentlich kein Terrain für ein Aero-Rad, doch die Qualitäten des Noah SL<br />
waren vom ersten Kilometer an spürbar: Wer eine konventionelle Rennmaschine<br />
gewohnt ist, wird überrascht sein angesichts der Leichtigkeit,<br />
mit der dieses Rad Fahrt aufnimmt und mit der man ein deutlich schnelle -<br />
res Tempo halten kann. Dabei vereint das Ridley eine hohe Laufruhe mit<br />
angenehmer Handlichkeit – in der Abfahrt liegt es sicher auf der Straße,<br />
und bergauf im Wiegetritt lässt es sich mit leichter Hand bewegen. Mit<br />
einem Gewicht um 7,5 Kilo ist es hier ohnehin sehr gut dabei.<br />
Auf dem regennassen Asphalt der Ardennen bewährt sich auch die<br />
erstklassige Ausstattung: Die Vittoria-Baumwollreifen rollen weich ab und<br />
bieten optimalen Nässegrip; Campagnolos Scheibenbremsen verzögern<br />
extrem stark, lassen sich dabei aber sehr gut dosieren. Ebenfalls auffällig<br />
hoch ist der Komfort – hart muss ein Aero-Renner nicht mehr sein. In der<br />
Spitzenausstattung mit Super Record 12-fach EPS (inklusive 32er-Rettungsring,<br />
der an der Redoute ein Segen war) und Carbonlaufrädern liegt das<br />
Noah bei 10.499 Euro (Rahmenset: 4.499 Euro); dafür erhält man aber auch<br />
eine Rennmaschine, die technisch und funktionell derzeit nicht zu toppen ist.<br />
www.ridley-bikes.com<br />
© Caspar Gebel<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 19
ANZEIGE<br />
Rapha<br />
DAS OUTFIT DER PROFIS<br />
Die Fahrer im EF Education First Pro Cycling Team tragen eine<br />
Auswahl von Produkten aus der Rapha-Kollektion Pro Team<br />
– identisch mit jenen, die auch für Endverbraucher erhältlich<br />
sind. EF-Fans können bei Rapha also nicht nur Trikot und Hose,<br />
sondern auch zahlreiche weitere Artikel wie etwa Kappe, Socken<br />
oder Windweste im typisch pinkfarbenen EF-Design erhalten.<br />
Das EF Education First Pro Team Aero Jersey ist ein leichtes,<br />
windschnittiges Trikot für schnelle Renneinsätze. Das Trikot<br />
besteht aus exakt demselben Material und ist ebenso aufgebaut<br />
wie der Zeitfahranzug des Teams. Die Pro Team Bib Shorts sind<br />
dagegen eine Trägerhose für Renneinsätze, erprobt bei<br />
Kopfsteinpflasterklassikern wie großen Rundfahrten und<br />
Ähnlichem. Auch die EF Education First Pro Team Socks und<br />
die Rennmütze in Team-Optik werden in der erhältlichen<br />
Variante im WorldTour-Peloton getragen. Selbiges gilt für das<br />
EF Education First Pro Team Lightweight Gilet – einen Windschutz<br />
im Taschenformat zum Schutz auf kalten Abfahrten<br />
und für den Transport von Trinkflaschen für den Teamkapitän.<br />
Abgerundet wird das Outfit durch den EF Education First Pro<br />
Team Sleeveless Base Layer, einen ärmellosen Baselayer für<br />
Trainingsfahrten und Renneinsätze bei heißer Witterung.<br />
www.rapha.cc<br />
Assos<br />
TRIKOTS FÜR EINEN<br />
GUTEN ZWECK<br />
Als Partner des Dimension-Data-Teams für Qhubeka hat Assos<br />
zur Unterstützung der Kampagne #BicyclesChangeLives vor<br />
Kurzem eine Trikotkollektion in limitierter Auflage herausgebracht.<br />
Mithilfe der Kampagne #BicyclesChangeLives werden<br />
Fahrräder für Menschen in Afrika finanziert, die dadurch Zugang<br />
zu Bildung, Gesundheitsversorgung sowie wirtschaftlichen<br />
Möglichkeiten erhalten. Das Trikot ist jeweils in Anlehnung an<br />
den Giro d’Italia und die Tour de France in den Farben Pink,<br />
Gelb und Schwarz sowie in neutraleren Farben erhältlich. Zehn<br />
Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf der Moving-Forward-<br />
Trikots gehen direkt an die Qhubeka-Wohltätigkeitsorganisation.<br />
Jedem Trikot wird außerdem eine eigene Musette beigelegt, die<br />
als Teil eines der Handarbeitsprogramme von Qhubeka in Süd -<br />
afrika unter der Verwendung von Materialien aus der Region von<br />
Hand angefertigt wurde.<br />
www.assos.com<br />
© Hersteller<br />
20 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
ANZEIGE<br />
MTS<br />
TRAINIEREN IN ISTRIEN<br />
Selberfahrer aufgepasst: Istrien lockt mit einer großen Streckenauswahl<br />
und tollen Trainingsbedingungen für Rennradfahrer.<br />
Unterkommen kann man in der Gegend rund um die Städte<br />
Porec, Rabac und die Inseln Krk und Rab in den Valamar-Bike-<br />
Hotels, die Ausstattung und Services für jedes Radabenteuer<br />
bieten; unabhängig davon, ob man mit dem eigenen Rennrad<br />
unterwegs ist oder eines mieten möchte: Jedes Valamar-Bike-<br />
Hotel verfügt über einen Radkeller, eine Mietstation, Radreparaturstellen<br />
sowie ein umfangreiches Angebot für Besucher –<br />
inklusive Trainingsprogramm.<br />
Mavic<br />
AUF DEN SPUREN VON<br />
BERNARD HINAULT<br />
www.valamar.com<br />
Mavic feiert mit einer Sonderedition die Karriere des fünffachen<br />
Tour-de-France-Champions Bernard Hinault. Die Bernard Hinault<br />
Limited Edition umfasst ein Jersey aus Merinowolle, Socken<br />
sowie eine Limited Edition Cap in klassischem Style, baut in<br />
Sachen Funktion zugleich aber auf die neuesten Entwicklungen<br />
in Sachen Textiltechnologie. Die Merinowolle hält den Fahrer<br />
so unter anderem trocken und bleibt dennoch geruchsfrei. In<br />
drei Taschen bringt man unterwegs das Notwendigste unter,<br />
reflektierende Highlights an Front- und Rückseite erhöhen<br />
zudem die Sicherheit im Straßenverkehr. Da es sich um eine<br />
limitierte Edition handelt, ist die Seriennummer im Kragen ein -<br />
gearbeitet. Während Trikot und Socken eher schlicht gehalten<br />
sind, ist die Kappe ein absoluter Hingucker: Auf der Unterseite<br />
des Schirms ist nämlich ein Bild von Hinault in Action abgedruckt.<br />
www.mavic.com<br />
© Hersteller<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 21
ANZEIGE<br />
Bigben Interactive / Cyanide<br />
ALS TEAMMANAGER INS GELBE TRIKOT<br />
Der Pro Cycling Manager ist längst eine Konstante für viele Radsportfans.<br />
Seit 19 Jahren gibt es die Computersimulation bereits, und auch<br />
<strong>2019</strong> wurde kurz vor der Tour de France die neueste Version der Serie<br />
veröffentlicht. Im Spiel übernimmt man die Rolle eines Teammanagers<br />
und kann seine eigene Profimannschaft durch die Saison und darüber<br />
hinaus begleiten. Insgesamt können so über 200 Rennen und 600 Etappen<br />
auf der ganzen Welt simuliert werden, wobei der Spieler vom Trai -<br />
ning über die Rennplanung und Rennstrategie bis hin zur Steuerung der<br />
Fahrer im Rennen sämtliche Aufgaben eines Sportlichen Leiters über -<br />
nehmen kann – auch das Aushandeln von Verträgen oder das Gewinnen<br />
neuer Sponsoren.<br />
Bei unserem Procycling-Test hat uns dabei vor allem die 3D-Rennsimulation<br />
gefallen. Die KI der computergesteuerten Fahrer und Teams hat sich<br />
im Vergleich zu den Vorgängerversionen so deutlich verbessert, dass die<br />
Rennverläufe und Ergebnisse oft sehr realistisch ausfallen. Das gilt entspre -<br />
chend auch für die Multiplayer-Variante, die durch die seit Jahren sehr<br />
treue Fan-Community, die ergänzende Datenbanken, Trikots, Teams, Fahrer<br />
usw. erstellt, noch einmal zusätzlich aufgewertet wird. Der Managerteil<br />
könnte dagegen manchmal detaillierter sein – besonders Themen wie das<br />
Training oder das Sponsoring sind noch ausbaufähig.<br />
Neben dem Hauptkarriere-Modus und dem Online-Multiplayer-Modus<br />
für bis zu 16 Spieler gibt es zudem verschiedene weitere Modi – etwa den<br />
Pro-Cyclist-Modus. In diesem kann der Spieler einen einzelnen Fahrer bis<br />
an die Spitze bringen. Im Einzelrenn-Modus kann man als Sportlicher Leiter<br />
einzelne Rennen wie etwa die Tour de France <strong>2019</strong> mit seinem Lieblingsteam<br />
spielen. Und im Track-Cycling-Modus kann man Rennen auf der<br />
Radrennbahn bestreiten. Das Spiel ist als <strong>PC</strong>-Version im Fachhandel oder<br />
auf Online-Plattformen wie Steam erhältlich.<br />
www.bigben-interactive.de / www.cyanide-studio.com<br />
© Hersteller<br />
22 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
ANZEIGE<br />
die Spielgeschwindigkeit aber deutlich langsamer. Zudem haben wir mehr<br />
als 200 3D-Etappen. Die künstliche Intelligenz ist ebenfalls sehr herausfordernd,<br />
weil der Radsport ein taktisch sehr komplexer Sport ist. Individualsport<br />
und Teamsport zugleich, dazu ganz verschiedene Rennen und Rennfahrertypen.<br />
Nehmen wir Peter Sagan und Alejandro Valverde: Sie sind zwei<br />
große Champions, aber mit komplett verschiedenen Fähigkeiten. Das gilt es<br />
zu berücksichtigen.<br />
Wie groß ist Ihr Entwicklungsteam eigentlich?<br />
Jedes Jahr sind wir mehr oder weniger um die 20 Leute, die sich um die Entwicklung,<br />
Programmierung, das Gamedesign, die Grafik etc. kümmern. Neben<br />
dem Pro Cycling Manager entwickeln wir ja auch noch das Konsolenspiel<br />
Tour de France.<br />
„IN UNSEREM TEAM SIND<br />
ALLE GLÜHENDE FANS“<br />
Nur wenige <strong>PC</strong>-Spiele schaffen es, sich über 19 Jahre konstant weiterzuentwickeln.<br />
Im Procycling-Interview sprachen wir mit Clement Pinget,<br />
Game Designer des Pro Cycling Managers, worauf es ihm bei der Ge -<br />
staltung der komplexesten Radsportsimulation auf dem Computerspielemarkt<br />
ankommt.<br />
Pro Cycling Manager <strong>2019</strong> ist bereits das 19. Spiel der Radsportmanager-Serie.<br />
Worin liegt die Herausforderung, den Profiradsport am<br />
Computer so realistisch wie möglich darzustellen?<br />
Da gibt es ganz viele verschiedene Schwierigkeiten. Ich denke, dass das der<br />
Hauptgrund dafür ist, dass es vor unserem Projekt kein richtiges Radsportspiel<br />
auf dem Markt gab. Einen Manager zu programmieren, ist schon sehr<br />
komplex, aber die 3D-Simulationen sind noch einmal eine Herausforderung<br />
für sich. Man muss die verschiedenen Landschaften, Städte etc. darstellen.<br />
In einer Autorennsimulation geht das oft einfacher, da man sich aufgrund der<br />
höheren Geschwindigkeit einiger 3D-Tricks bedienen kann. Im Radsport ist<br />
Und alle sind glühende Radsportfans?<br />
Ein großer Teil definitiv. [lacht] Und damit meine ich wirkliche Fans, die sich<br />
für den Radsport – von der Tour Down Under bis zur Lombardei-Rundfahrt<br />
– durchgehend interessieren. Im Team diskutieren wir oft über die Rennen,<br />
die Transfergerüchte, das Equipment – das gehört einfach dazu. Einige von<br />
uns sind zudem selber Fahrer und nehmen an Amateurrennen teil. Ein Mitglied<br />
unseres Teams, Antoine Dalibard, war sogar selber einmal Profi und<br />
fuhr ein Rennen gegen Froome, Thomas und Dan Martin.<br />
Pro Cycling Manager <strong>2019</strong> ist bereits das 19. Spiel der Serie. Wie hat<br />
sich das Spiel im Laufe der Jahre verändert?<br />
In vielen Dingen. Der größte Unterschied ist sicherlich die 3D-Grafik. Der<br />
allererste Cycling Manager 2001 war sehr einfach gehalten. Die Straße<br />
ging einfach nur geradeaus, Spaß gemacht hat es vielen Fans aber trotzdem.<br />
Zudem gab es nur einen Saison-Modus, der nicht mit dem heutigen Karriere-<br />
Modus zu vergleichen ist. Auch war es damals wesentlich schwieriger, 3D-<br />
Strecken zu bauen, wofür es heute aber gute Tools gibt. Eine große Veränderung<br />
ist zudem die künstliche Intelligenz. Im Prinzip ist heute alles anders –<br />
außer, dass es immer noch ein Radsportmanager-Spiel ist.<br />
Auf welche Features der <strong>2019</strong>er-Variante sind Sie besonders stolz?<br />
Eine große Veränderungen für <strong>2019</strong> ist der Pro Cyclist Mode, bei dem man<br />
einen einzelnen Fahrer Schritt für Schritt weiterentwickeln kann, bis er zum<br />
großen Champion wird. Man kann hier sehr detailliert vorgehen – etwa die<br />
Performance oder die Persönlichkeit eines Fahrers entwickeln. Insgesamt gibt<br />
es zwölf verschiedene Skills mit jeweils drei Leveln. Auch die Benutzersteuerung<br />
im diesjährigen Spiel ist uns sehr gut gelungen, was man beispielsweise<br />
beim Durchführen von Transfers sehen kann.<br />
Herr Pinget, vielen Dank für das Gespräch!<br />
© Hersteller<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 23
PROLOG<br />
INSIDER<br />
RICK ZABEL<br />
EINE GROSSE ENTTÄUSCHUNG<br />
Der Katusha-Alpecin-Profi berichtet über seinen Ausstieg bei der Tour.<br />
Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Jojo Harper/Team Katusha-Alpecin (Porträt), Chris Graythen/Getty Images<br />
Wenn es schlecht läuft,<br />
dann richtig. In den ersten<br />
fünf Jahren meiner<br />
Profikarriere war ich so gut wie nie<br />
krank. In diesem Jahr hat es mich<br />
dafür nun schon mehrfach erwischt.<br />
Nachdem ich nach einem schwierigen<br />
Saisonstart alles auf die Tour<br />
de France ausgerichtet hatte, ereilte<br />
mich im Laufe der zweiten Tour-<br />
Woche ein viraler Infekt. Einige<br />
Etappen kämpfte ich krank weiter,<br />
doch vor der elften Etappe war meine<br />
Frankreich-Rundfahrt endgültig<br />
vorbei. Zum zweiten Mal in Folge<br />
musste ich deshalb die Tour vorzeitig<br />
verlassen. Es ist schwer in Worte<br />
zu fassen, wie enttäuscht ich darüber<br />
bin – auch jetzt, nachdem alles<br />
schon einige Zeit zurückliegt.<br />
Das gilt umso mehr, als dass meine<br />
Form richtig gut war. Schon in<br />
den Tagen vor dem Start merkte ich,<br />
dass sich die vielen Trainings- und<br />
Rennkilometer im Vorfeld bezahlt<br />
gemacht haben. Auch auf den ersten<br />
Etappen bestätigte sich dieser Eindruck:<br />
Im Mannschaftszeitfahren<br />
gehörte ich als Nicht-Zeitfahrer zu<br />
den drei Stärksten im Team. Und<br />
als wir bei den Zwischenzeiten in<br />
Führung lagen, gab es sogar einen<br />
kurzen Moment, an dem ich vom<br />
Gelben Trikot träumen durfte.<br />
So gut der Auftakt auch war – von<br />
da an ging es kontinuierlich bergab.<br />
Immer wieder bekam ich am Abend<br />
nach den Etappen Kopfschmerzen,<br />
nach der ersten Bergankunft am<br />
sechsten Tag gesellte sich auch noch<br />
Fieber dazu. Ich fühlte mich schlapp<br />
und abgekämpft – einfach kaputt.<br />
Auf den folgenden Abschnitten ging<br />
es deshalb nur noch darum, das Ziel<br />
zu erreichen. Irgendwie hatte ich die<br />
Hoffnung, ich könnte mich wieder<br />
erholen. Doch bei der Tour ist das<br />
so gut wie unmöglich. Als das Fieber<br />
nach der zehnten Etappe auf fast<br />
40 Grad stieg, ich den Ruhetag<br />
komplett im Bett verbringen musste<br />
und am Morgen der elften Etappe<br />
einen Ruhepuls von 93 hatte, war<br />
klar: Ich muss aussteigen. Auch<br />
heute, ein paar Wochen später, frage<br />
ich mich immer noch, warum gerade<br />
mir das passieren musste. Schon im<br />
letzten Jahr war ich sehr enttäuscht,<br />
„ALS ICH AM MORGEN DER ELFTEN ETAPPE<br />
EINEN RUHEPULS VON 93 HATTE,<br />
WAR KLAR: ICH MUSS AUSSTEIGEN.“<br />
aber nun? Zwei Jahre in Folge? Normal<br />
kennt man mich als lockeren<br />
Typen im Peloton, der immer gut<br />
drauf ist. Aber dieses vorzeitige<br />
Ende der Tour de France <strong>2019</strong> hat<br />
mich schwer getroffen.<br />
Natürlich habe ich die Tour von zu<br />
Hause aus weiterverfolgt. Es war<br />
eine verrückte Tour, und so, wie die<br />
Frankreich-Rundfahrt in diesem<br />
Jahr verlaufen ist, hat es mich noch<br />
mehr geschmerzt, dass ich sie nicht<br />
zu Ende fahren habe können. Gerade<br />
durch die Etappenverkürzungen<br />
am Ende war es für Sprinter in<br />
diesem Jahr sehr einfach, es nach<br />
Paris zu schaffen – das tat doppelt<br />
weh. Aus deutscher Sicht war die<br />
Leistung von Emanuel Buchmann<br />
sicherlich eine unglaublich tolle<br />
Geschichte – auch wenn ich mir<br />
beim Kampf der Favoriten die<br />
ein oder andere Attacke mehr gewünscht<br />
hätte. Als Zuschauer auf<br />
Da war die Welt noch in Ordnung:<br />
Rick Zabel führt das Team Katusha-<br />
Alpecin beim Mannschaftszeitfahren<br />
als Erster über den Zielstrich.<br />
dem Sofa wird man eben auch als<br />
Profi zum Fan.<br />
Nun hoffe ich, bald wieder selbst<br />
Teil des Pelotons sein zu können. In<br />
den kommenden Wochen arbeite ich<br />
deshalb hart an meinem Comeback.<br />
Wann ich wieder zurückkehre, kann<br />
ich allerdings noch nicht sagen, da<br />
ich die Nachwirkungen meines Infektes<br />
von der Tour auch drei Wochen<br />
nach meinem Ausstieg immer<br />
noch spüre. Ein toller Zeitpunkt<br />
wäre sicherlich das WorldTour-Rennen<br />
in Hamburg oder aber auch die<br />
Deutschland Tour. Ich hoffe deshalb,<br />
dass ich euch beim nächsten<br />
Mal wieder Positives berichten kann.<br />
Dann habe ich vielleicht auch Neuigkeiten,<br />
wie es mit meinem Team<br />
Katusha-Alpecin weitergeht. Es gab<br />
ja in den vergangenen Wochen immer<br />
wieder Gerüchte um die Mannschaft<br />
– das Einzige, was ich sagen<br />
kann: Es wird weitergehen. Ich<br />
selbst mache mir jedenfalls keine<br />
Gedanken – Optionen gibt es immer.<br />
Geboren am 7. Dezember 1993,<br />
zog es den Sohn von Erik Zabel<br />
schon früh zum Radsport. Nach<br />
guten Platzierungen bei den Junioren<br />
wechselte er 2012 zum Rabobank<br />
Development Team. 2014<br />
wurde Rick Zabel Profi bei BMC und<br />
fuhr drei Jahre bei der US-amerikanischen<br />
Equipe. 2017 wechselte er<br />
zu Katusha-Alpecin und bestritt<br />
erstmals die Tour de France und<br />
die Straßen-WM.<br />
24 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
INSIDER<br />
RALPH DENK<br />
EINE TOUR DER REKORDE<br />
Der Teamchef von Bora–hansgrohe blickt auf die Frankreich-Rundfahrt zurück.<br />
Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Bora–hansgrohe/BettiniPhoto (Porträt), Bora–hansgrohe/VeloImages<br />
Das war eine perfekte Tour de<br />
France! Wir haben alle Ziele<br />
erreicht – den anvisierten<br />
Etappensieg, das Grüne Trikot und<br />
die erhoffte Top-Ten-Platzierung in<br />
der Gesamtwertung haben wir mit<br />
dem vierten Rang von Emanuel<br />
Buchmann sogar übertroffen. Es war<br />
definitiv eine Tour der Rekorde für<br />
uns – und eine Tour, an die wir uns<br />
noch lange zurückerinnern werden.<br />
Ich bin aus zweierlei Gründen besonders<br />
stolz auf das gesamte Team<br />
Bora–hansgrohe: Erstens hat Peter<br />
Sagan sein siebtes Grünes Trikot gewonnen<br />
– ein Rekord, für den wir in<br />
den letzten Jahren das richtige Umfeld<br />
für Peter zusammengestellt<br />
haben. Und zweitens hat Emanuel<br />
den vierten Gesamtrang geholt – ein<br />
Fahrer, der bei uns Profi geworden<br />
ist und den wir in den letzten Jahren<br />
behutsam entwickelt haben. Hinzu<br />
kommen die starken Auftritte der<br />
anderen Fahrer, etwa von Gregor<br />
Mühlberger in den Alpen. Im Sprint<br />
und bei den Klassikern waren wir in<br />
den letzten Jahren schon top, in dieser<br />
Saison haben wir aber auch gezeigt,<br />
dass wir uns bei Rundfahrten<br />
enorm weiterentwickelt haben – da<br />
war diese Tour der perfekte Beweis.<br />
Emanuels Leistung ist umso höher<br />
zu bewerten, als dass er in den<br />
drei Wochen keinen einzigen Fehler<br />
gemacht hat. Er war auf jeder Etappe<br />
immer in der richtigen Position, immer<br />
aufmerksam und immer auf<br />
Augenhöhe. Das ist über die enorme<br />
Zeitdauer von 21 Tagen nicht nur<br />
eine unheimliche Stressbelastung<br />
für den Körper, sondern auch für<br />
den Kopf. Auch sein Formaufbau<br />
hat haargenau gestimmt und im<br />
Gegensatz zur letztjährigen Vuelta<br />
konnte er bei dieser Tour seine Leistung<br />
von Anfang bis Ende immer<br />
abrufen. Emanuel hat das wirklich<br />
„BESONDERS FREUT MICH, DASS WIR MIT<br />
DIESER ERFOLGREICHEN TOUR DE FRANCE<br />
ZUM AUFSCHWUNG DES RADSPORTS IN<br />
DEUTSCHLAND BEITRAGEN KONNTEN.“<br />
bravourös gemeistert und gezeigt,<br />
dass er in Zukunft sogar zu noch<br />
mehr in der Lage sein kann.<br />
Was mich besonders freut, ist, dass<br />
wir mit dieser erfolgreichen Tour de<br />
France zum Aufschwung des Radsports<br />
in Deutschland beitragen<br />
konnten. Durch uns hat die ARD im<br />
Juli Topquoten erreicht, auch in den<br />
Online- und Printmedien konnten<br />
wir eine erhebliche Steigerung der<br />
Aufmerksamkeit feststellen. Entsprechend<br />
ist meine Hoffnung groß,<br />
dass dieser Erfolg in Deutschland<br />
den Radsport wieder mehr in den<br />
Fokus der Öffentlichkeit rückt und<br />
Der Auftakt zu einer erfolgreichen<br />
Tour: Maximilian Schachmann, Emanuel<br />
Buchmann, Ralph Denk, Patrick<br />
Konrad und Peter Sagan (von links).<br />
sich beispielsweise auch wieder<br />
mehr junge Menschen für das Radfahren<br />
interessieren. Der Sport hätte<br />
sich das definitiv verdient.<br />
In den kommenden Wochen stehen<br />
für uns nun mit der Deutschland<br />
Tour und der Vuelta direkt zwei<br />
weitere wichtige Highlights auf dem<br />
Programm. Bei beiden Rennen wollen<br />
wir uns von unserer besten Seite<br />
präsentieren und gehen deshalb mit<br />
sehr starken Aufgeboten an den<br />
Start: In Deutschland dürfen sich<br />
die Fans unter anderem über Emanuel<br />
Buchmann und Pascal Ackermann<br />
freuen, bei der Vuelta werden<br />
wir mit Rafał Majka, Davide Formolo,<br />
Felix Großschartner und Sam<br />
Bennett antreten. Nach dem starken<br />
Frühjahr und der überragenden Tour<br />
de France hoffe ich, dass wir unsere<br />
Saison genau so fortsetzen können.<br />
Denn eines steht fest: Wir werden<br />
uns keinesfalls auf unseren bisherigen<br />
Erfolgen ausruhen. Wir haben<br />
noch viel vor und werden weiter alles<br />
tun, um uns zu verbessern.<br />
Ralph Denk ist Teammanager der<br />
deutschen WorldTour-Mannschaft<br />
Bora–hansgrohe. Nach jahrelanger<br />
Aufbauarbeit ist die Equipe mit Sitz<br />
im oberbayerischen Raubling seit<br />
2017 in der höchsten Radsportliga<br />
aktiv. In Procycling berichtet Denk,<br />
in früheren Jahren selbst aktiver<br />
Rennfahrer, jeden Monat über seinen<br />
Alltag als Teamchef.<br />
26 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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PROLOG<br />
DIE TOUR AM<br />
TOURMALET<br />
So schlug sich das Peloton am Schlussanstieg der 14. Etappe.<br />
Text Werner Müller-Schell<br />
© Strava (Screenshots)<br />
Den Tourmalet und die Tour<br />
de France verbindet eine<br />
lange Geschichte. Bereits im<br />
Jahr 1910 wurde der Pass auf Anregung<br />
des Luxemburgers Alphonse<br />
Steinès als erster Hochgebirgspass<br />
überhaupt in das Programm der<br />
Frankreich-Rundfahrt aufgenommen<br />
– und hat sich seitdem als einer<br />
der schwersten und berühmtesten<br />
Anstiege der Tour etabliert. <strong>2019</strong><br />
stand er bereits zum 84. Mal im<br />
Streckenprofil – und markierte als<br />
Schlussanstieg der 14. Etappe direkt<br />
eine der Schlüsselstellen der diesjährigen<br />
Tour. Der 117,5 Kilometer<br />
kurze Tagesabschnitt von Tarbes<br />
auf den Tourmalet war nämlich der<br />
Auftakt einer unglaublich schweren<br />
Schlusswoche durch die Pyrenäen<br />
und die Alpen – und trennte direkt<br />
die Spreu vom Weizen.<br />
Nachdem die spanische Movistar-Equipe<br />
lange Zeit ein sehr<br />
hohes Tempo angeschlagen hatte,<br />
entwickelte sich am 19 Kilometer<br />
langen Schlussanstieg ein extrem<br />
kräftezehrendes Ausscheidungsfahren,<br />
dem nach und nach zahlreiche<br />
Mitfavoriten auf den Toursieg<br />
wie Nairo Quintana (Kolumbien)<br />
oder Richie Porte (Australien)<br />
zum Opfer fielen. Dabei ganz vorne<br />
mit dabei: Emanuel Buchmann:<br />
Der Deutsche aus den Reihen von<br />
Bora–hansgrohe war stets Teil der<br />
Spitzengruppe und sorgte mit einer<br />
Tempoverschärfung zwei Kilometer<br />
vor dem Ziel sogar dafür, dass<br />
Titelverteidiger Geraint Thomas<br />
(Großbritannien) den Anschluss<br />
an die Spitze verlor. Den Tagessieg<br />
sicherte sich letztlich Lokalmatador<br />
Thibaut Pinot vor seinem Landsmann<br />
Julian Alaphilippe, dem Niederländer<br />
Steven Kruijswijk und<br />
Buchmann.<br />
1.649 HÖHENMETER PRO<br />
STUNDE<br />
Genau 18,9 Kilometer und 1.407<br />
Höhenmeter misst der Tourmalet<br />
auf Strava. Durch seine enorme Länge<br />
zeigt der Berg sehr gut, welche<br />
außerordentlichen Leistungen die<br />
Radprofis im Rennen abrufen. Schon<br />
auf den ersten Blick zeigt sich dabei:<br />
<strong>2019</strong> fuhr das Peloton den Anstieg<br />
in einem unglaublichen Tempo hinauf.<br />
Wohl dadurch bedingt, dass<br />
es sich um den Schlussanstieg der<br />
Etappe handelte, unterboten gleich<br />
sechs Fahrer die bisherige Bestzeit<br />
– und das deutlich: Etappensieger<br />
Thibaut Pinot war mit seiner Aufstiegszeit<br />
ganze sechs Minuten<br />
schneller als der bisherige Strava-<br />
Rekordhalter Sébastien Reichenbach<br />
bei der Überfahrt im Jahr 2016.<br />
Pinot bewältigte den im Schnitt sieben<br />
Prozent steilen Anstieg mit einer<br />
Durchschnittsgeschwindigkeit<br />
von 22,2 km/h und einer Aufstiegsrate<br />
von stolzen 1.649 Höhenme-<br />
28 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
Setzte die Strava-Bestzeiten hinauf<br />
auf den Tourmalet: Thibaut Pinot.<br />
Das Strava-Segment am Tourmalet<br />
finden Sie unter www.strava.com/<br />
segments/5170240.<br />
Das Strava-Ranking<br />
Col du Tourmalet (par Luz-St-Sauveur)<br />
(18,9 Kilometer / 1.407 Höhenmeter)<br />
tern pro Stunde – ein in Anbetracht<br />
der Länge sehr guter Wert.<br />
Bei einem Spitzenrennen wie der<br />
Tour de France gibt es trotz des<br />
„Zurschaustellens“ auf Strava ein<br />
hohes Maß an Geheimniskrämerei<br />
unter den Profis. Keiner will sich so<br />
richtig in die Karten schauen lassen.<br />
So genießen die veröffentlichten<br />
Leistungswerte des im Strava-Ranking<br />
Viertplatzierten, des Neuseeländers<br />
George Bennett (Etappen-<br />
11. mit 58 Sekunden Rückstand),<br />
Seltenheitswert. Bei einem Körpergewicht<br />
von 58 Kilogramm trat<br />
dieser über eine Fahrzeit von 52:13<br />
Minuten im Schnitt 312 Watt, das<br />
bedeutet 5,4 Watt pro Kilogramm.<br />
Bei Pinot dürfte dieser Wert also<br />
noch einmal deutlich höher gelegen<br />
haben. Zum Vergleich: Alberto Contador<br />
kam in seinen besten Zeiten<br />
bei ähnlichen Zeiträumen auf über<br />
6,0 Watt pro Kilogramm.<br />
1. Thibaut Pinot Groupama<br />
51:13 Minuten<br />
2. Steven Kruijswijk Jumbo–Visma<br />
51:21<br />
3. Warren Barguil Arkéa-Samsic<br />
51:50<br />
4. George Bennett Jumbo–Visma<br />
52:13<br />
5. Laurens De Plus Jumbo–Visma<br />
52:31<br />
6. Richie Porte Trek-Segafredo<br />
53:20<br />
7. Damiano Caruso Bahrain-Merida<br />
1:02:29<br />
8. Jack Haig Mitchelton-Scott<br />
1:02:56<br />
9. Elie Gesbert Arkéa-Samsic<br />
1:03:15<br />
10. Patrick Konrad Bora–hansgrohe<br />
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L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
ANALYSE<br />
ERDRUTSCH-SIEG<br />
Die Tour de France <strong>2019</strong> war ein spannendes und<br />
unvorhersehbares Rennen, bei dem jeder Tag eine<br />
neue Wendung zu bringen schien. Mit einer französischen<br />
Renaissance, einer offenen Gesamtwertung und<br />
zwangsläufig einem Sieger vom Team Ineos bot sie von<br />
Brüssel bis Paris Action nonstop. Procycling schaut<br />
zurück auf die beste Tour seit 30 Jahren.<br />
Text Edward Pickering Fotografie Gruber Images<br />
30 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
BELGIEN<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 31
L E<br />
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19<br />
ANALYSE<br />
Julian Alaphilippe<br />
kämpfte bis zum<br />
Ende um sein hart<br />
erarbeitetes Gelbes<br />
Trikot.<br />
Unwetter sorgten<br />
in den Alpen dafür,<br />
dass die Strecke<br />
der Tour verändert<br />
werden musste.<br />
m frühen Morgen des 26. Juli setzte sich<br />
Dave Brailsford mit Egan Bernal und Geraint<br />
Thomas zusammen und sagte ihnen:<br />
Ihr habt 37 Minuten Zeit, die Tour de<br />
France zu gewinnen.<br />
Die 19. Etappe sollte das Tour-Peloton<br />
am Nachmittag desselben Tages über eine<br />
Reihe von kleinen Anstiegen auf einer welligen,<br />
aber stetig ansteigenden Straße in<br />
den Ort Bonneval-sur-Arc führen, dann<br />
über den Col de l’Iseran, hinunter ins Isère-Tal<br />
und hoch zum Skigebiet in Tignes.<br />
Der Preis für die Passage des höchstens<br />
Punkts der Tour, das Souvenir Henri Desgrange,<br />
der dieses Jahr am Iseran lag, betrug<br />
5.000 Euro. Aber für Brailsford stand<br />
mehr auf dem Spiel als fünf Riesen in bar.<br />
Laut Brailsfords Plänen sollte die Ziellinie<br />
nicht nur der Etappe, sondern der gesamten<br />
Tour am Gipfel des Iseran liegen.<br />
Nach seiner Berechnung würden an dem<br />
Punkt nur noch drei bis vier Fahrer übrig<br />
sein und logischerweise würden ein oder<br />
zwei von ihnen Ineos-Fahrer sein. Und er<br />
war sich sicher, dass Julian Alaphilippe,<br />
der Spitzenreiter des Rennens, nicht mehr<br />
da sein würde. Natürlich würden noch die<br />
lange Abfahrt und dann der Anstieg nach<br />
Tignes folgen, aber der am Iseran herausgefahrene<br />
Vorsprung würde halten oder<br />
am Ende noch wachsen. Es war eine wilde<br />
und anarchische Tour de France gewesen,<br />
bei der Ineos’ traditioneller Würgegriff auf<br />
das Geschehen durch die Angriffslust von<br />
Alaphilippe und Thibaut Pinot (und durch<br />
die Schwäche der Bergleutnants des britischen<br />
Teams, verglichen mit den letzten<br />
Jahren) deutlich gelockert worden war.<br />
Aber wenn Ineos etwas wusste, dann<br />
sicherlich, wer was an einem einzelnen<br />
Anstieg ausrichten konnte. Der Iseran,<br />
12,9 steile einspurige Kilometer von Bonneval-sur-Arc<br />
mit einem Höhengewinn<br />
von knapp einem Kilometer und einem<br />
Hochgebirgsgipfel – 2.770 Meter – sollte<br />
Ineos’ ausgewähltes Schlachtfeld sein.<br />
Brailsford irrte sich in mehr als einem<br />
Punkt. Egan Bernal, sein kolumbianisches<br />
Wunderkind, brauchte weniger als 37 Minuten,<br />
erreichte den Gipfel in 35:42 (obwohl<br />
Geraint Thomas 1:03 Minuten mehr<br />
brauchte, fast genau nach Plan). Und der<br />
Ineos-Generalmanager hatte unmöglich<br />
wissen können, dass die Ereignisse in der<br />
Abfahrt – ein unvorhersehbarer Hagelsturm<br />
und ein noch unvorhersehbarer<br />
Erdrutsch – das Rennen schließlich ebenso<br />
definieren würden wie der Anstieg. Es<br />
war, als hätte sich die anarchische Tour<br />
<strong>2019</strong> dagegen wehren wollen, von<br />
32 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 33
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19<br />
ANALYSE<br />
Ineos vereinnahmt zu werden. Keine zehn<br />
Minuten, nachdem Bernal den Gipfel erklommen<br />
hatte, wurde das Rennen neutralisiert.<br />
Mutter Natur hatte das Rennen<br />
in die Zange genommen und die Organisatoren<br />
mussten einen Kompromiss eingehen,<br />
der lautete: Etappenziel und Zeitnahme<br />
auf dem Gipfel des Iseran.<br />
Brailsfords mutige Ankündigung,<br />
dass die Ziellinie auf dem Gipfel<br />
des Iseran liegen würde, stellte sich<br />
als hellsichtig heraus. Als er zwei Tage<br />
später auf der Place de la Concorde stand,<br />
ein kolumbianisches Fußballshirt statt<br />
eines Ineos-Trikots tragend, das er mit<br />
einem Fan am Straßenrand getauscht hatte,<br />
und der Sonnenuntergang Paris in ein<br />
warmes Licht tauchte, verglich Brailsford<br />
Bernals Coup am Iseran mit der berühmten<br />
Attacke am Colle delle Finestre, mit<br />
der Chris Froome den Giro d’Italia 2018<br />
gewonnen hatte. „Es war sehr ähnlich“,<br />
sagte er. „Wir wussten, wenn die Klassementfahrer<br />
am Iseran, einem so langen<br />
und schweren Anstieg in großer Höhe,<br />
maximales Tempo machen würden, wären<br />
am Gipfel wahrscheinlich nur noch zwei,<br />
drei, vielleicht vier Fahrer übrig. Und weg<br />
wären sie. Was sie machen mussten, war,<br />
37 Minuten lang alles zu geben, und nur<br />
die Topfahrer würden übrig bleiben“, fuhr<br />
er fort. „Aber du brauchst den Mumm, es<br />
zu machen.“<br />
Mit diesem Anstieg wurde Egan Bernal<br />
der vierte Tour-Champion von Ineos und<br />
Sky nach Bradley Wiggins, Chris Froome<br />
und Geraint Thomas, und das Rennen<br />
<strong>2019</strong> war ihr siebter Sieg in acht Jahren.<br />
Mit drei Etappensiegen<br />
wurde Caleb<br />
Ewan der dominierende<br />
Sprinter<br />
der Tour <strong>2019</strong>.<br />
Das Ziel erwies sich als dasselbe wie bei<br />
all ihren anderen Siegen. Aber der Weg,<br />
dort hinzukommen, war ein ganz anderer.<br />
Bevor Bernals Coup in den Alpen die<br />
Tour-Thronfolge für die Ineos-Dynastie<br />
sicherte, hatten sich die Radsportfans an<br />
einem Rennen erfreut, bei dem alle taktischen<br />
Normen ignoriert zu werden schienen.<br />
Von Brüssel bis Briançon in den Alpen<br />
war das Rennen abwechslungsreich<br />
und chaotisch. Ein unerwarteter Sprinter<br />
gewann die erste Etappe, ein unerwartetes<br />
Team gewann das Mannschaftszeitfahren<br />
auf der zweiten Etappe unerwartet deutlich.<br />
Dann gewann mit Julian Alaphilippe<br />
der erwartete Fahrer die dritte Etappe in<br />
den Hügeln der Champagne, aber auf<br />
ziemlich unerwartete Art und Weise. Erst<br />
auf der vierten Etappe hatten wir einen<br />
richtigen Massensprint, den Elia Viviani<br />
gewann, aber selbst das war ein bisschen<br />
anders, weil sich das Gelbe Trikot Alaphilippe<br />
selbst in den Sprintzug einspannte.<br />
Es lief alles wie gewohnt auf der fünften<br />
Etappe nach Colmar, die in einem reduzierten<br />
Massensprint vom besten „Reduzierten-Massensprint-Sprinter“<br />
der Welt,<br />
Peter Sagan, gewonnen wurde. Aber dann<br />
führte die Tour einen Tag später nach La<br />
Planche des Belles Filles. Wir fragten uns<br />
vor der Etappe, ob Alaphilippe seinen Vorsprung<br />
irgendwie würde verteidigen können,<br />
am Ende sahen wir ihn in der letzten<br />
steilen Rampe vor dem Ziel attackieren<br />
und fast jeden einzelnen Klassementfahrer<br />
abschütteln. Und natürlich verlor<br />
er sein Trikot, aber an Giulio Ciccone von<br />
Trek-Segafredo, der es sich für zwei Tage<br />
lieh, bevor eine weitere furiose Attacke,<br />
dieses Mal von Alaphilippe und Thibaut<br />
Pinot auf dem Weg nach Saint-Étienne, es<br />
dem Franzosen zurückbrachte.<br />
Alaphilippe war bei dieser Tour eine<br />
Naturgewalt, ein Agent der Entropie. Entropie<br />
ist die Eigenschaft, durch die ein<br />
System von Ordnung zu Unordnung übergeht,<br />
und Alaphilippe ließ bei der Tour<br />
eine Reihe von Bomben hochgehen - immer<br />
wenn Ordnung in das Rennen zu<br />
kommen schien, sprengte er das ganze<br />
Ding erneut. Das zweite Gesetz der Thermodynamik<br />
besagt, dass sich die gesamte<br />
Entropie eines isolierten Systems immer<br />
erhöht, und Alaphilippe folgte dem buchstabengetreu:<br />
Jedes Mal, wenn er das isolierte<br />
System der Tour de France erschütterte,<br />
in Épernay, La Planche des Belles<br />
Filles, Saint-Étienne, dem Zeitfahren in<br />
Pau – ganz besonders dem Zeitfahren in<br />
Pau –, dem Col du Tourmalet und bis auf<br />
halber Höhe des Col de l’Iseran, dachten<br />
mehr und mehr Leute an das Unmögliche.<br />
Alaphilippe sagte Journalisten fast<br />
täglich, dass er nicht erwarte, die Tour<br />
zu gewinnen, dass er es einfach von Tag<br />
zu Tag angehe, ohne an den nächsten<br />
zu denken. Selbst als sein Vorsprung im<br />
Zentralmassiv und den Pyrenäen schrittweise<br />
wuchs, versicherte er, dass er einfach<br />
den Tag genutzt habe, wie schon am<br />
Tag zuvor, und es am nächsten Tag genauso<br />
machen wolle.<br />
Am Ende verwirrte Alaphilippe seine<br />
Rivalen und Fans zweieinhalb Wochen<br />
lang mit seiner geschickten Fahrweise,<br />
aber er war wehrlos gegen den Plan, den<br />
Ineos am Iseran ausführte. Die drei Minuten,<br />
die er an einem einzigen Anstieg nach<br />
Val Thorens kassierte, waren wie ein kalter<br />
Eimer Eiswasser ins Gesicht der Fans,<br />
die davon geträumt hatten, dass er gewinnen<br />
könnte. Natürlich wird ein Fahrer von<br />
Alaphilippes physischer und psychologischer<br />
Statur – ein Angreifer mit Punch,<br />
der oft das Beste aus seinen Angriffen<br />
macht, aber viel Energie aufwendet, um<br />
nach diesen Chancen zu suchen, und sogar<br />
seinen Sprinter unterstützt – immer<br />
verletzbar sein in den längeren und höheren<br />
Anstiegen, die in diesem Jahr ein<br />
Merkmal der Alpen waren. Aber er hätte<br />
auch von einer anderen Eigenart der Alpen<br />
profitieren können. Stellen Sie sich nur<br />
einmal vor, der Erdrutsch wäre auf der<br />
Südseite des Anstiegs passiert, bevor das<br />
Rennen ihn erklommen hatte – er wäre<br />
mit 90 Sekunden Vorsprung auf Bernal<br />
ohne den Iseran in den Beinen in die letzte,<br />
verkürzte Etappe gegangen. Eine wilde<br />
kontrafaktische Vorstellung, aber es war<br />
diese Art von Tour.<br />
Thibaut Pinot war die andere prägende<br />
Kraft der Tour <strong>2019</strong>. Er hätte<br />
sie gewinnen können und die<br />
bitteren Tränen, die er in Tignes weinte,<br />
nachdem er wegen einer unerwarteten<br />
Knieverletzung vom Rad steigen musste,<br />
zeigten, dass er das auch wusste. Die Tour<br />
zog den Franzosen zurück in ihre Arme,<br />
und selbst als er in Albi 1:40 Minuten<br />
verlor, träumten die einheimischen Fans<br />
noch – umso mehr, als er mit einigem<br />
Abstand klar der stärkste Fahrer in den<br />
Pyrenäen war.<br />
Pinot fluchte nach der Etappe nach Albi<br />
über die unglücklichen Umstände, unter<br />
denen er und seine Teamkollegen 20 oder<br />
30 Plätze im Feld verloren, weil sie im<br />
Kreisverkehr den längeren Weg genom-<br />
34 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
men hatten. In solchen Momenten können<br />
Rennen verloren oder gewonnen werden.<br />
Der Riss, den Ineos und Deceuninck dann<br />
erzwangen, zerlegte das Feld in mehrere<br />
Stücke – wenn Groupama auf der rechten<br />
Seite der Straße und nicht links in den<br />
Kreisverkehr gegangen wäre, wäre Pinot<br />
in der Spitzengruppe gewesen; aber er landete<br />
in der nächsten Gruppe, und einige<br />
zu starke Ablösungen von seinen eigenen<br />
Teamkollegen und von Astana, dessen<br />
Kapitän Jakob Fuglsang den Zug auch verpasst<br />
hatte, warfen ihn zurück. Die Verfolgungsarbeit<br />
brachte Pinot auf zehn Sekunden<br />
an die Spitzengruppe heran, aber<br />
die Anstrengung, ihn so nahe heranzuführen,<br />
hatte die Feuerkraft von Groupama<br />
und Astana verbraucht, und die Lücke<br />
wuchs bis zum Ziel auf das Zehnfache an.<br />
Im Teambus war er anschließend am Boden<br />
zerstört. „Wo warst du?“, fragte er<br />
mürrisch und wütend einen schweigenden<br />
Anthony Roux, der aus der Gruppe herausgefallen<br />
war. Pinot fiel in Albi vom dritten<br />
auf den elften Platz zurück. Mit einem guten<br />
Zeitfahren in Pau, dem Etappensieg<br />
am Col du Tourmalet und dem zweiten<br />
Platz am Prat d’Albis machte er fast anderthalb<br />
Minuten auf Bernal gut, aber mit<br />
all diesen großen Anstrengungen kam er<br />
nur wieder auf gleiche Höhe, nachdem er<br />
so viel harte Arbeit geleistet hatte, um<br />
THIBAUT PINOTS ZWEIER-FLUCHT ZUSAMMEN<br />
MIT JULIAN ALAPHILIPPE NACH SAINT-ÉTIENNE<br />
WAR EINER DER MOMENTE, AN DEM DIE TOUR DE<br />
FRANCE FÜR DIE FRANZOSEN WIRKLICH<br />
BEGANN, FUNKEN ZU SPRÜHEN.<br />
Thibaut Pinot<br />
fuhr die beste Tour<br />
seines Lebens und<br />
wurde dank seiner<br />
Attacken zum Publikumsliebling.<br />
überhaupt erst Zeit herauszufahren. Er<br />
war in La Planche des Belles Filles mit<br />
Thomas und Alaphilippe ganz vorne gewesen,<br />
und seine Zweier-Flucht mit Alaphilippe<br />
nach Saint-Étienne war der Moment,<br />
an dem die Tour für die Franzosen<br />
wirklich begann, Funken zu sprühen.<br />
So wurde Pinot der jüngste tragische<br />
französische Held der Tour. Seine Vorgänger<br />
sind Laurent Fignon und vielleicht Jean-<br />
François Bernard, die in den 1980ern bei<br />
dem Rennen geglänzt hatten. Beide hatten<br />
dasselbe Talent wie Pinot, beide trugen<br />
das Herz auf der Zunge, und beide hatten<br />
eine ambivalente, mürrische Einstellung<br />
zu der Aufmerksamkeit, die ihnen jeden<br />
Sommer zuteilwurde. Der Druck, ein einheimischer<br />
Favorit zu sein, ließ Bernard<br />
einbrechen – er hatte eine gute Tour 1987,<br />
konnte den Erwartungen aber nie gerecht<br />
werden. Fignons Karriere wurde definiert<br />
durch seine Acht-Sekunden-Niederlage<br />
gegen Greg LeMond 1989, obwohl er da<br />
schon zwei Frankreich-Rrundfahrten gewonnen<br />
hatte. Pinot hat die physische<br />
Kapazität, die Tour zu gewinnen, und hat<br />
mehrmals gesagt, dass er sein Heimatrennen<br />
zu lieben gelernt hat. „Du kannst jedes<br />
Rennen gewinnen, aber nur die<br />
© Kramon<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 35
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
ANALYSE<br />
© Getty Images<br />
Tour macht dich zu einem Fahrer, den<br />
die Leute nicht vergessen“, sagte er der<br />
L’Équipe. Aber Thibaut Pinot ist nicht<br />
Chris Froome oder Bernard Hinault oder<br />
Lance Armstrong – er fährt mit Emotionen,<br />
was seine Stärke ist, aber auch seine<br />
Schwäche. Das ist es auch, was das französische<br />
Publikum in gewissem Maße<br />
von ihm erwartet – und das gibt er ihnen<br />
auch. Aber es ist auch das Problem, ein<br />
französischer Tour-Favorit zu sein. Das<br />
Publikum liebt dich so sehr, dass es dich<br />
erdrücken kann.<br />
Trotz der telegenen Ritte von Pinot<br />
und Alaphilippe hatte man fast das<br />
Gefühl der Unausweichlichkeit, als<br />
sich der Staub über den tektonischen Verschiebungen<br />
in den Alpen legte und Ineos<br />
den ersten und zweiten Gesamtplatz belegte.<br />
So macht es Ineos bei der Tour – es<br />
ist das vierte Mal bei ihren sieben Siegen,<br />
dass das Team das Rennen gewonnen und<br />
einen weiteren Fahrer unter den ersten<br />
Vier hat, und das zweite Mal, dass es die<br />
Plätze eins und zwei belegt nach Wiggins<br />
und Froome 2012.<br />
Ungeachtet des Endergebnisses hatte<br />
das britische Team bei der Tour <strong>2019</strong><br />
nicht wie sonst ausgesehen. Michał Kwiatkowski<br />
war auf den Bergetappen schwächer<br />
als erwartet, Wout Poels weniger<br />
sichtbar als sonst und Luke Rowe wurde<br />
auf der Etappe nach Gap nach einer Rangelei<br />
mit dem Jumbo-Fahrer Tony Martin<br />
aus dem Rennen ausgeschlossen. Dylan<br />
van Baarle übertraf die Erwartungen –<br />
nachdem er einige Kilo (und, wie Kritiker<br />
meinten, alle persönlichen Ambitionen)<br />
verloren hatte, war er der effektivste Berghelfer<br />
von Ineos. Er wurde sehr gut eingesetzt<br />
– auf den entscheidenden Etappen<br />
nach Valloire und Tignes wurde er in die<br />
Ausreißergruppe geschickt und kam aus<br />
Enric Mas tröstet<br />
Julian Alaphilippe,<br />
nachdem dieser<br />
nach der 19. Etappe<br />
das Gelbe Trikot<br />
abgeben musste.<br />
ihr zurück, um die Favoriten an den wichtigen<br />
Anstiegen lange zu unterstützen.<br />
Brailsford hatte die Etappe nach Tignes<br />
mit Froomes Attacke am Finestre beim<br />
letztjährigen Giro verglichen, aber am<br />
Ende sah es so aus, als hätten sie den<br />
Sturm überstanden und das Rennen<br />
schließlich allein durch zahlenmäßige<br />
Überlegenheit zu ihren Gunsten gewendet.<br />
Auf den größten Etappen war Bernal<br />
der stärkste Fahrer und daher gewann er<br />
natürlich. Ineos hatte mitunter angreifbar<br />
gewirkt – Thomas und Bernal verpassten<br />
die Alaphilippe-Pinot-Attacke auf dem<br />
Weg nach Saint-Étienne (obwohl Thomas<br />
entschuldigt war, da er gerade von einem<br />
Sturz zurückgekommen war), Bernal patzte<br />
beim Zeitfahren in Pau und Thomas<br />
zeigte in den Pyrenäen Schwächen. Insgesamt<br />
ging viel schief bei Ineos, aber jedes<br />
Mal hielt man den Schaden in Grenzen.<br />
Die Geschwindigkeit, mit der das Team<br />
36 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Thomas nach seinem Sturz auf dem Weg<br />
nach Saint-Étienne zurück in die Spitzengruppe<br />
brachte, war beeindruckend, und<br />
es ist vorstellbar, dass ein anderer Favorit<br />
mehr Zeit verloren hätte, wäre er in dieser<br />
Situation gewesen. Thomas konnte auch<br />
die Auswirkungen minimieren, als er am<br />
Tourmalet zurückgefallen war.<br />
Aber an anderen wichtigen Tagen – gerade<br />
Albi und der Iseran – schlug Ineos zu,<br />
sauber, chirurgisch und mitleidlos. Auf<br />
den Champs-Élysées bezeichnete Brailsford<br />
Bernals Triumph als Sieg der Logik<br />
über die Emotion. Selbst in Val Thorens,<br />
wo es verlockend gewesen sein muss, Bernal<br />
von der Leine zu lassen und zu versuchen,<br />
mit ihm die Etappe zu gewinnen,<br />
ging man auf Nummer sicher. Die Fahrer<br />
verloren nie die Konzentration, und deswegen<br />
haben sie die Tour gewonnen. Die Tour<br />
de France mag drei Wochen lang sein, aber<br />
sie ist auch ein Event der Momente – Ineos<br />
hat das schon lange verstanden; Pinot hat<br />
es vielleicht endlich gelernt.<br />
Fans und Beobachter waren sich<br />
während des Rennens weitgehend<br />
einig, dass es das beste und offenste<br />
seit Jahren war. Selbst das Gefühl, dass<br />
die beiden letzten Alpenetappen nach den<br />
Erdrutschen, die Tignes und den Cormet<br />
de Roselend abschnitten, eine Enttäuschung<br />
waren, wurden durch das dramatische<br />
Wetter und die schiere Kraft der<br />
Natur gedämpft.<br />
Das Rennen war die ganze Zeit knapp.<br />
Bis in die Alpen schienen sechs Fahrer die<br />
Gesamtwertung gewinnen zu können:<br />
Thomas, Bernal, Pinot, Kruijswijk, Buchmann<br />
und Alaphilippe selbst. Brailsford<br />
bezeichnete Alaphilippe als Überraschungsfahrer,<br />
den sie nicht erwartet hatten.<br />
„Ich wurde zu Beginn der Tour gefragt,<br />
ob ich ihn für gefährlich halte, und<br />
ich antwortete, ohne nachzudenken: keinesfalls“,<br />
sagt Brailsford. „Danach dachte<br />
ich: Oh Shit. Du schaust es dir logisch an<br />
und sagst – außer wenn du nichts von<br />
Radsport verstehst –: Er wird einbrechen.<br />
Steven Kruijswijk<br />
(rechts) wurde bei<br />
dieser Tour zum<br />
größten Rivalen<br />
des Teams Ineos.<br />
Aber jeden Tag, der vorbeigeht, denkt deine<br />
emotionale Seite: Moment mal … wird<br />
er eine Überraschung sein?“<br />
Alaphilippes Vorsprung und seine Zähigkeit,<br />
ihn nicht nur zu verteidigen,<br />
© Chris Auld<br />
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© Getty Images<br />
sondern an verschiedenen Tagen sogar<br />
noch auszubauen, stellte ein Problem für<br />
alle seine Rivalen dar. Sie wussten alle,<br />
dass sie Zeit auf ihn gewinnen mussten,<br />
aber sie mussten sich auch gegenseitig im<br />
Blick behalten, und sie waren kräftemäßig<br />
so nahe beieinander, dass sie sich Blößen<br />
hätten geben können, wenn sie es mit<br />
Alaphilippe aufgenommen hätten. Es ist<br />
ein Faktor einiger Großer Rundfahrten der<br />
jüngeren Zeit, dass die Fahrer ihre Gegner<br />
nicht richtig auswählten – oder auswählen<br />
konnten. Beim Giro d’Italia 2018<br />
kämpfte Tom Dumoulin die meiste Zeit<br />
gegen Simon Yates, der lange führte. Indem<br />
er sich auf Yates konzentrierte, entgingen<br />
ihm die Warnzeichen, als Chris<br />
Froome am Finestre attackierte und dann<br />
Egan Bernal fuhr<br />
sich mit jungen<br />
22 Jahren ins Rampenlicht<br />
dieser<br />
Tour und trug Gelb<br />
nach Paris.<br />
das Rosa Trikot stahl. Und bei der diesjährigen<br />
Italien-Rundfahrt verbrachten<br />
Vincenzo Nibali und Primož Roglic die<br />
ersten zwei Wochen damit, gegeneinander<br />
zu fahren und sich zu beobachten,<br />
während Richard Carapaz attackierte und<br />
ES IST EIN FAKTOR EINIGER GROSSER<br />
RUNDFAHRTEN DER JÜNGEREN ZEIT,<br />
DASS DIE FAHRER IHRE GEGNER<br />
NICHT RICHTIG AUSWÄHLTEN.<br />
das Rosa Trikot am Ende gewann. Dieses<br />
Mal nahmen es die Favoriten, ausgenommen<br />
Pinot, erst miteinander auf, als Alaphilippe<br />
am Iseran endgültig distanziert<br />
war. Danach lief das Rennen auf die einfache<br />
Tatsache hinaus, dass Egan Bernal<br />
nach Pinots Aufgabe der beste Kletterer<br />
des gesamten Rennens war.<br />
Die Tour de France <strong>2019</strong> war anarchisch,<br />
chaotisch und unterhaltsam –<br />
trotz der Vorhersehbarkeit des Endergebnisses.<br />
Ambitionen wurden freigesetzt,<br />
nachdem Julian Alaphilippe als Katalysator<br />
des Rennens fungiert hatte. Wir<br />
werden nächstes Jahr sehen, ob das Team<br />
Ineos in der Lage sein wird, den neu erwachten<br />
Angriffsgeist bei der Frankreich-Rundfahrt<br />
wieder einzufangen.<br />
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40 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
E G A N<br />
BERNAL<br />
NATURGEWALT<br />
Wie Egan Bernal Verletzungen und Mannschaftspolitik überwand,<br />
um als erster Kolumbianer die Tour de France zu gewinnen.<br />
Text Sam Dansie Fotografie Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 41
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
E G A N<br />
BERNAL<br />
escheiden und bodenständig“ nannte der<br />
geschlagene Tour-Champion Geraint Thomas<br />
seinen Nachfolger Egan Bernal. In<br />
Val Thorens – die letzte Bergetappe des<br />
Rennens und der Moment, in dem Bernal<br />
zum designierten Sieger wurde – konnte<br />
man sehen, was der Waliser meinte: Bernal<br />
warf den Blumenstrauß für das Weiße<br />
Trikot in Richtung des feiernden kolumbianischen<br />
Kontingents, aber traf nicht. Der<br />
22-Jährige hielt seine Hand an den Mund<br />
und versteckte ein verschämtes Lächeln.<br />
Später, auf der Pressekonferenz des Gelben<br />
Trikots, als die Medien den Kolumbianer<br />
zum ersten Mal während des turbulenten<br />
Rennens richtig kennenlernten,<br />
entsprach sein Verhalten erneut Thomas’<br />
Beschreibung: Bernal beantwortete Fragen<br />
mit Takt, Bescheidenheit und Humor.<br />
24 Stunden zuvor, als Bernal die Gesamtwertung<br />
auf den letzten vier Kilometern<br />
des Col de l’Iseran auf den Kopf gestellt<br />
hatte, war jedoch nichts von dem<br />
Engelchen zu sehen gewesen. Den Mund<br />
leicht geöffnet. Die Beine wirbelnd. Geduckte<br />
Haltung. Eine Reihe von Kletterern<br />
– darunter die Grand-Tour-Sieger Vincenzo<br />
Nibali und Simon Yates – versuchten,<br />
mit Bernal Schritt zu halten, konnten es<br />
aber nicht. Bernal drehte sich kaum um.<br />
Aber es war auch nicht wichtig, was hinter<br />
ihm passierte. Seine Zukunft lag da oben<br />
– vor ihm.<br />
Auf dem 2.770 Meter hohen Gipfel des<br />
Iseran war er in der Gesamtwertung mit<br />
45 Sekunden Vorsprung an Julian Alaphilippe<br />
vorbeigezogen und dank des<br />
außergewöhnlich nassen Wetters in den<br />
Alpen bald nur noch eine verkürzte Bergetappe<br />
von einem historischen Sieg entfernt.<br />
Dem ersten Toursieg eines Kolumbianers.<br />
Dem jüngsten Tour-Gewinn in der<br />
Nachkriegsära. Und dem siebten Sieg der<br />
Ineos-Sky-Dynastie in acht Jahren.<br />
Bernals früherer<br />
Teammanager<br />
Gi anni Savio gratuliert<br />
seinem ehemaligen<br />
Schützling.<br />
EIN GLÜCKSFALL<br />
Angesichts von Bernals Weg zur Tour<br />
musste man sich fragen, ob das Resultat<br />
vorherbestimmt war. 2018 fühlte er sich<br />
nach Siegen beim Colombia Oro y Paz und<br />
der Kalifornien-Rundfahrt sowie einem<br />
knappen zweiten Platz bei der Tour de<br />
Romandie bei der Tour de France sofort zu<br />
Hause. Es war eine seltene Auszeichnung,<br />
dass er in seinem Debüt-Jahr bei seinem<br />
Team überhaupt bei der Tour starten durfte,<br />
angesichts der Tendenz von Ineos, erst<br />
einmal die „Zahlen“ eines Fahrers zu bewerten,<br />
ehe man ihn auf ein Rennen losließ,<br />
das das wichtigste des Jahres ist.<br />
© Sirotti (Rodríguez), Offside Sports Photography (Parra), Yuzuru Sunada (Bernal, Botero, Quintana)<br />
MARTÍN<br />
RODRÍGUEZ<br />
Martín „Cochise“<br />
Rodríguez fuhr als erster<br />
Kolumbianer die Tour<br />
de France. Der<br />
Bahnspezialist und<br />
Verfolgungs-<br />
Weltmeister der<br />
Amateure von 1971 fuhr<br />
in der Saison 1975 mit<br />
Felice Gimondi im<br />
Bianchi-Team.<br />
KOLUMBIANER BEI DER TOUR<br />
LUIS<br />
HERRERA<br />
„Lucho“ feierte 1984<br />
bei einer legendären<br />
Kletterpartie nach Alpe<br />
d’Huez den ersten<br />
kolumbianischen<br />
Etappensieg in<br />
Frankreich. Ein Jahr<br />
später gewann er das<br />
Gepunktete Trikot – ein<br />
weiteres Debüt für das<br />
südamerikanische Land.<br />
FABIO<br />
PARRA<br />
1988 machte der<br />
kolumbianische<br />
Radsport einen weiteren<br />
Schritt nach vorn, als<br />
Parra als erster Vertreter<br />
des Landes auf dem<br />
Podium der<br />
Gesamtwertung stand.<br />
Parra wurde Dritter<br />
hinter Pedro Delgado<br />
und Steven Rooks.<br />
SANTIAGO<br />
BOTERO<br />
Nach den Höhen<br />
Kolumbiens in den<br />
1980er-Jahren war von<br />
den südamerikanischen<br />
Fahrern weniger zu<br />
sehen. Botero befeuerte<br />
das Interesse wieder,<br />
als er 2000 das<br />
Gepunktete Trikot auf<br />
dem Höhepunkt der<br />
Armstrong-Ära gewann.<br />
NAIRO<br />
QUINTANA<br />
Quintana markierte eine<br />
neue Welle von<br />
Kolumbianern bei der<br />
Tour. Als er bei seinem<br />
Debüt 2013 Zweiter<br />
wurde und das Weiße<br />
plus das Gepunktete<br />
Trikot gewann, rechnete<br />
man damit, dass er<br />
bald das Gelbe<br />
gewinnen würde.<br />
FERNANDO<br />
GAVIRIA<br />
Die Omnipräsenz von<br />
Kolumbien in allen<br />
Bereichen des Pelotons<br />
wurde bestätigt, als der<br />
Sprinter Fernando<br />
Gaviria mit Quick-Step<br />
zwei Sprintetappen bei<br />
der Tour de France 2018<br />
gewann. <strong>2019</strong> nahm er<br />
allerdings nicht an der<br />
Frankreich-Rundfahrt teil.<br />
42 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Bernal trug allerdings maßgeblich zu<br />
Geraint Thomas’ Gesamtsieg und zur<br />
Rettung von Chris Froomes Podiumsplatz<br />
bei. Sein verblüffendster Akt war, die<br />
Gruppe der Favoriten in einer verschärften<br />
Acht-Kilometer-Passage an der Alpe<br />
d’Huez zu sprengen.<br />
In diesem Jahr knüpfte Bernal früh an<br />
diese Leistungen an. Auf der ersten Etappe<br />
von Paris–Nizza erwies er sich als cleverer<br />
Ausnutzer des Seitenwinds. „Pure<br />
Klasse“ lautete Luke Rowes Beurteilung<br />
der Geschicklichkeit und Kraft des Kolumbianers<br />
in einem der schwierigeren<br />
Gefilde des Radsports. Eine Qualität, die<br />
Bernal auch zeigte, als das Tour-Peloton<br />
auf der zehnten Etappe nach Albi von Seitenwind<br />
zerlegt wurde. Am Ende von Paris–Nizza,<br />
am Col du Turini, wurde ihm<br />
schließlich das Gelbe Trikot von Eddy<br />
Merckx persönlich überreicht. Der Belgier<br />
ließ sich, nachdem er die Vorstellung Bernals<br />
gesehen hatte, zu der Bemerkung<br />
hinreißen: „Wenn er bei der Tour die Unterstützung<br />
des Teams hat, sehe ich nicht,<br />
wie man ihn schlagen kann.“<br />
Zu dem Zeitpunkt war vorgesehen,<br />
dass Bernal das Team Ineos beim Giro<br />
anführt, aber knapp eine Woche vor der<br />
Grande Partenza in Bologna stürzte er,<br />
„ZWEI STUNDEN NACH DEM STURZ, ALS ICH NOCH<br />
SCHMERZEN HATTE, FRAGTE ICH MEINEN TRAINER,<br />
WIE VIEL ZEIT WIR BIS ZUR TOUR HABEN. ICH FING<br />
AN, ÜBER DIE TOUR NACHZUDENKEN.“<br />
Ineos leistet auf<br />
der vorletzten<br />
Etappe Führungsarbeit,<br />
um Bernals<br />
Gelbes Trikot zu<br />
beschützen.<br />
12<br />
Kolumbianer<br />
gewannen<br />
bereits<br />
Etappen<br />
bei der Tour<br />
de France<br />
als er zu Hause in Andorra trainierte,<br />
und brach sich das Schlüsselbein. „Zwei<br />
Stunden nach dem Sturz, als ich noch<br />
Schmerzen hatte und fast weinte, fragte<br />
ich meinen Trainer, wie viel Zeit wir bis<br />
zur Tour haben. Ich fing an, über die<br />
Tour nachzudenken“, erinnerte sich Bernal<br />
in Val Thorens.<br />
Für ihn gab es keinen Zweifel an der<br />
Zufälligkeit des gebrochenen Schlüsselbeins.<br />
„Vielleicht gab es dafür einen Grund,<br />
und jetzt bin ich im Begriff, die Tour de<br />
France zu gewinnen. Ich weiß nicht, ob es<br />
Schicksal oder Bestimmung ist, aber wenn<br />
ich vor dem Giro nicht gestürzt wäre, wäre<br />
ich heute nicht in dieser Position. Es ist<br />
wirklich unglaublich“, sagte er, darauf bei<br />
der Tour angesprochen. Dass er nur wenige<br />
Wochen nach seinem Sturz die Tour de<br />
Suisse mit zwei furiosen Vorstellungen bei<br />
den aufeinanderfolgenden Bergankünften<br />
am Flumserberg und am Gotthard Pass<br />
gewann, während Thomas das Rennen<br />
nach einem Sturz auf der vierten Etappe<br />
aufgeben musste, dämpfte die Spekulationen,<br />
dass der Kolumbianer Ineos’ Mann<br />
für die Tour sein würde, nicht.<br />
© Gruber Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 43
© Chris Auld (groß), Offside Sports Photography<br />
DAS PERFEKTE RENNEN<br />
In seinen abschließenden Bemerkungen<br />
nach der 20. Etappe sprach ein enttäuschter<br />
Geraint Thomas darüber, dass der<br />
Zustand des Flows, der seine Tour 2018<br />
charakterisiert hatte, dieses Jahr so<br />
schwer zu erreichen war. „Ich hatte keinen<br />
einzigen Sturz und keinen einzigen Defekt<br />
und fühlte mich jeden Tag gut. Ich hatte<br />
einfach nur eine Glückssträhne – ähnlich<br />
wie Egan in diesem Jahr“, so der Waliser.<br />
Nach dem Mannschaftszeitfahren am<br />
zweiten Tag vor der großartigen Kulisse<br />
der Brüsseler Architektur war Bernal<br />
auf dem siebten Rang der Gesamtwertung.<br />
Er sollte während des restlichen<br />
Rennens nicht mehr dahinter zurückfallen.<br />
Im Schatten des Atomiums in Brüssel<br />
sagte er: „Das Gefühl war besser als<br />
letztes Jahr beim Mannschaftszeitfahren.“<br />
Später nannte Ineos-Teamboss Dave<br />
Brailsford die Vorstellung auf der zweiten<br />
Etappe „eines der besten, wenn nicht das<br />
beste Mannschaftszeitfahren des Teams<br />
bei der Tour“.<br />
Bernal schob sich am nächsten Tag<br />
weiter nach vorn, als er Tiesj Benoots Hinterrad<br />
auf der knackigen Zielrampe in<br />
Épernay halten konnte. Fünf Sekunden<br />
wurden der Distanz zwischen Bernals<br />
Hinterrad und Thomas’ Vorderrad zugeschrieben,<br />
was zu Spekulationen führte,<br />
wer Vorrang im Team und Form auf seiner<br />
Seite hatte. Diese Linien verschoben sich<br />
bei der Schotterankunft an der Super<br />
Planche auf der sechsten Etappe: Thomas<br />
kam neun Sekunden vor dem Kolumbianer<br />
ins Ziel. Brailsford, der Bernal in Schutz<br />
nahm, beeilte sich, die Erwartungen zu<br />
dämpfen, und erinnerte alle daran, dass<br />
die Tour de France etwas ganz anderes sei<br />
als ein einwöchiges WorldTour-Rennen.<br />
„Bei der Tour de Suisse war Bernal fantastisch.<br />
Sehr bedächtig“, sagte Brailsford<br />
einer Gruppe britischer Journalisten am<br />
nächsten Tag in Mâcon, „aber das Feld<br />
war nicht das Tour-de-France-Feld.“<br />
Während Thomas auf den Etappen 1,<br />
8 und 16 stürzte, war Bernal das Glück<br />
drei Wochen lang treu. Insbesondere vermied<br />
er die Beinahe-Katastrophe auf der<br />
8. Etappe, die sechs der acht Mitglieder<br />
der Ineos-Truppe zu Fall brachte oder<br />
aufhielt, als sie in einen allzu selbstbewussten<br />
Michael Woods crashten, der im<br />
Winter bei einem ehemaligen MTB-<br />
Downhiller Abfahrtsunterricht genommen<br />
hatte. Aber Kolumbianer haben auf dem<br />
Weg nach Saint-Étienne, wo die Etappe<br />
zu Ende ging, das Glück auf ihrer Seite.<br />
34 Jahre zuvor war Bernals Landsmann<br />
Lucho Herrera auf dem Weg in die Stadt<br />
im Zentralmassiv auf einem Ölfleck weg-<br />
Geraint Thomas<br />
und Egan Bernal<br />
Schulter an Schulter<br />
auf der Planche<br />
des Belles Filles.<br />
Ein blutüberströmter<br />
Lucho<br />
Herrera nach<br />
seinem Sturz bei<br />
der Tour 1985.<br />
44 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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20<br />
19<br />
E G A N<br />
BERNAL<br />
gerutscht und böse gestürzt. Herrara,<br />
dem das Blut aus einer klaffenden Wunde<br />
über der linken Augenbraue rann, stieg<br />
wieder auf und gewann die Etappe. Die<br />
Siegerfotos von seinem blutüberströmten<br />
Gesicht machten den kolumbianischen<br />
Vorstoß bei der Tour unsterblich; es musste<br />
anscheinend einfach so sein.<br />
Dieses Mal war der beste escarabajo<br />
ebenfalls vom Glück verwöhnt, aber er<br />
fuhr unspektakulärer nach Saint-Étienne<br />
hinein. Er erreichte das Ziel zusammen<br />
mit Thomas. Als sie sich Seite an Seite<br />
ausfuhren, beschrieb Thomas einer der<br />
Kameras seine Enttäuschung, 20 Sekunden<br />
auf Thibaut Pinot und Julian Alaphilippe<br />
verloren zu haben, während Bernal<br />
vor einer anderen Kamera seinem Glücksstern<br />
dankte. „Ich wusste nicht, ob ich<br />
warten musste, aber das Team hat mich<br />
instruiert, in der Spitzengruppe zu bleiben“,<br />
fügte er hinzu.<br />
Als er über die Tour insgesamt nachdachte,<br />
sagte Bernal, sein kritischster Moment<br />
sei das Zeitfahren in Pau gewesen.<br />
Auf dem technisch anspruchsvollen und<br />
hügeligen 27,2-Kilometer-Kurs verlor er<br />
1:36 Minuten auf Alaphilippe, der seinen<br />
Vorsprung ausbaute – auf ganze 1:22 Minuten<br />
gegenüber seinem Teamkollegen<br />
Thomas. Ein viel schwerwiegender Verlust<br />
als an der Super Planche. Nachdem er am<br />
nächsten Tag am Tourmalet gut unterwegs<br />
war, beschrieb er das Zeitfahren als<br />
den schlimmsten Tag seiner Karriere. Obwohl<br />
er erst vier Jahre Profi ist, will das<br />
etwas heißen. Es war die erste Schwäche<br />
in Bernals Arsenal – und auch seine letzte<br />
bei der diesjährigen Tour de France.<br />
Beim Zeitfahren<br />
in Pau verlor Bernal<br />
Zeit – eine Disziplin,<br />
an der er in Zukunft<br />
arbeiten will.<br />
zuerst unmerklich und dann mit zunehmender<br />
Stärke. Als er acht Sekunden nach<br />
dem Etappensieger Thibaut Pinot, aber<br />
28 Sekunden vor Thomas ins Ziel kam,<br />
der in den ersten zwei Wochen zu wenig<br />
gegessen hatte, fuhr Bernal Zeit auf der<br />
Straße heraus, während er sich verbal seinem<br />
Chef Thomas noch unterordnete.<br />
„Ich fahre mit dem amtierenden Tour-<br />
Champion“, sagte er auf dem Gipfel des<br />
Tourmalet, wo der neue Eigentümer von<br />
Ineos, der schlaksige und wettergegerbte<br />
Sir Jim Ratcliffe das Rennen besuchte.<br />
„Ich respektiere, was das Team sagt, und<br />
will nicht dagegen verstoßen. Ich werde<br />
sehen, was das Team entscheidet. Wenn<br />
ich Thomas helfen muss, werde ich ihm<br />
helfen, und wenn ich mein Rennen fahren<br />
muss, werde ich das tun.“<br />
Im vergangenen Jahr stellte sich<br />
beim britischen Team die Frage nach<br />
der Kapitänsrolle. Wer hatte das Sagen:<br />
Froome oder Thomas? In diesem Jahr<br />
wiederholte sich das Spiel: Thomas oder<br />
Bernal? Aber zur Kapitänsfrage kam ein<br />
weiteres Thema – das der Mannschaftsstärke.<br />
Das Team riss das Rennen nicht<br />
so an sich wie in den letzten Jahren.<br />
Hatten andere Teams aufgeholt oder war<br />
Ineos schwächer?<br />
Thomas sagte offen, dass Michał Kwiatkowski<br />
nicht „so gut war, wie er gerne<br />
wäre“, während auch Gianni Moscon und<br />
Jonathan Castroviejo insgesamt unauffälliger<br />
waren. Wout Poels, versicherte<br />
Brailsford, wäre in der dritten Woche gut.<br />
Trotzdem: Während das alte Sky-Team<br />
die Gruppe um das Gelbe Trikot bei der<br />
ersten großen Bergankunft einst mit Fahrern<br />
bestückt hätte, war am Tourmalet<br />
erkennbar, dass Thomas und Bernal in<br />
den entscheidenden Anstiegen alleine<br />
sein würden.<br />
Das war auch weitgehend der Fall am<br />
folgenden Tag nach Prat d’Albis, an dem es<br />
obendrein nach taktischen Fehlern von<br />
BERGFÜHRER AM TOURMALET<br />
Er brachte es auf dem Tourmalet sofort<br />
wieder in Ordnung – an einem Tag, an<br />
dem Thomas schwächelte. Es war viel die<br />
Rede von den sieben Anstiegen der Route,<br />
die die 2.000-Meter-Marke knackten.<br />
Und davon, dass die höchste Tour der Geschichte,<br />
wie es hieß, Bernal lag. Für einen<br />
Fahrer, der auf 2.700 Meter Höhe aufgewachsen<br />
ist und dessen üblicher Trainingsanstieg<br />
zu Hause von dort noch<br />
einmal 1.000 Meter in die Höhe führt,<br />
sollten die Voraussetzungen nicht die<br />
schlechtesten sein.<br />
Die Bergankunft am Tourmalet auf der<br />
14. Etappe war der erste wirkliche Tag<br />
auf Bernals bevorzugtem Terrain, und hier<br />
begann der Kolumbianer vorzurücken –<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 45
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E G A N<br />
BERNAL<br />
© Gruber Images<br />
Ineos roch. Bernal war Pinot gefolgt, der<br />
zu dem Zeitpunkt der stärkste Fahrer<br />
des Rennens war, und Thomas war gezwungen,<br />
länger abzuwarten, als ihm lieb<br />
gewesen wäre, um die Gefahr zu neutralisieren,<br />
die von einem unerwartet hartnäckigen<br />
Julian Alaphilippe ausging. Hätten<br />
die beiden besser zusammenarbeiten können?<br />
„Das Wichtigste ist, auf der Straße<br />
zu kommunizieren und dem anderen zu<br />
sagen, wie man sich fühlt“, sagte Thomas,<br />
während er auf der gedämpften Pressekonferenz<br />
des Teams am zweiten Ruhetag<br />
in Nîmes in die Ferne starrte.<br />
In den Alpen überhäufte Brailsford<br />
Thomas mit Lob für seine Großzügigkeit,<br />
dass er Bernal anleitete und dem Kolumbianer<br />
Spielraum für Angriffe ließ. Ihm<br />
blieb zwar kaum etwas anderes übrig, aber<br />
tatsächlich war Thomas immer noch auf<br />
der Jagd nach seinem zweiten Toursieg<br />
und sollte diese Ambitionen auch noch<br />
bis zur 19. Etappe und dem Abbruch des<br />
Rennens auf dem Gipfel des Iseran hegen.<br />
Die Diskrepanz zwischen seinen Worten<br />
und seinem Agieren war der pragmatische<br />
Kompromiss, der ausreichte, um das<br />
Team zu binden, aber der gleichzeitig locker<br />
genug war, um die Entscheidung auf<br />
D<br />
er unvermeidliche<br />
Konsens, der sich<br />
um Bernal – einen<br />
Toursieger mit<br />
22 – bildete, ist, dass er bei<br />
künftigen Frankreich-Rundfahrten<br />
eine feste Größe sein<br />
wird. Renndirektor Christian<br />
Prudhomme sagte, Bernal sei<br />
ein Federer, der einen Nadal<br />
brauche. Beweise gegen diese<br />
orthodoxe Sichtweise sind dünn<br />
gesät, aber es gibt historische<br />
Beispiele, die zu beachten sind:<br />
Jan Ullrich, Toursieger mit<br />
23 und Zweitplatzierter im<br />
folgenden Jahr; Felice Gimondi<br />
gewann die Tour in seiner ers -<br />
ten Profisaison, und obwohl er<br />
ansonsten viel gewann, konnte<br />
er die Grand Boucle kein zweites<br />
der Straße zu fällen. Aber die Tour ging<br />
dem Ende zu, und irgendjemand oder irgendetwas<br />
musste das Paar trennen. Da<br />
Alaphilippe mittlerweile ausgepowert war,<br />
sahen Pinot oder einer des Ineos-Paares<br />
wie Sieger aus.<br />
In Valloire, das in einer Talsenke zwischen<br />
dem Galibier und dem Col du Télé-<br />
DER MANN<br />
FÜR DIE ZUKUNFT?<br />
Mal für sich entscheiden. In<br />
jüngerer Zeit sah Nairo Quin -<br />
tana wie der kommende Tour -<br />
sieger aus, nachdem er 2013<br />
Zweiter geworden war, aber<br />
er schaffte es nicht auf das<br />
oberste Treppchen.<br />
Doch Bernals spanischer<br />
Trainer Xabier Artetxe sagte:<br />
„Wir wissen, dass er noch jung<br />
ist, und wir müssen auf ihn<br />
aufpassen. Aber er hat eine<br />
brillante Zukunft vor sich. Er<br />
ist immer motiviert, sich zu<br />
verbessern und alles zu ler -<br />
nen. Er versucht so viel über<br />
Physiologie, Ernährung und<br />
alles andere zu lernen. Er treibt<br />
dich an, dich zu verbessern,<br />
aber gleichzeitig vertraut er<br />
dir 100 Prozent.“<br />
Die kolumbi -<br />
a nischen Fans<br />
verwandelten<br />
die Etappen in<br />
Partyzonen.<br />
Aber Artetxe hat auch festgestellt,<br />
dass die Kolumbianer<br />
früher reifen. „Das chronologische<br />
Alter und das biologische<br />
Alter sind nicht dasselbe“, sagte<br />
er. „Für Leute aus einigen<br />
anderen Ländern kann das<br />
chronologische Alter höher als<br />
das biologische Alter sein, und<br />
es ist bekannt, dass Kolumbianer,<br />
wenn sie jünger sind, stärker<br />
sind als Europäer.“<br />
Er fügte hinzu: „Ich glaube,<br />
er kann sich noch in mehreren<br />
Bereichen verbessern. Er<br />
kann sich im Klettern und im<br />
Zeitfahren steigern, und wenn<br />
er mehr Erfahrung hat, wird er<br />
sicher ein besserer Fahrer sein.<br />
Wir hoffen, dass er in Zukunft<br />
noch stärker sein wird.“<br />
graphe liegt, waren die Ineos-Fahrer nahe<br />
dran, gegen ihren delikaten Pakt zu verstoßen.<br />
Tatsache ist, dass Bernal auf der<br />
18. Etappe 3,5 Kilometer vor dem Gipfel<br />
des Galibier angriff und einen Vorsprung<br />
von 45 Sekunden herausfuhr. Einen Kilometer<br />
vor dem Ziel fuhr Thomas eine unorthodoxe<br />
Gegenattacke, die das Ergebnis<br />
hatte, die Distanz zwischen dem Gelben<br />
Trikot und seinem kolumbianischen<br />
Teamkollegen zu reduzieren.<br />
„G instruierte mich, zu attackieren und<br />
den Sprung zu machen, und danach würde<br />
er es versuchen“, sagte Bernal im Ziel.<br />
Er fügte hinzu, dass alles vom Sportlichen<br />
Leiter dahinter, in diesem Fall Nicolas<br />
Portal, abgesegnet gewesen sei. Thomas<br />
sagte zudem, dass die Order aus dem<br />
Mannschaftswagen kam, aber Bernals<br />
Vorstoß der Gruppe um das Gelbe Trikot<br />
nicht genügend zugesetzt hatte, um Alaphilippe<br />
abzuschütteln. Daher musste er<br />
es selbst versuchen. Aber Thomas nahm<br />
die Gruppe um das Gelbe Trikot damit nur<br />
ins Schlepptau. Im Ziel war Bernals Vorsprung<br />
auf 32 Sekunden geschrumpft.<br />
Brailsford wies den Vorwurf barsch zurück,<br />
dass das Teammanagement hätte<br />
einschreiten müssen.<br />
Trotzdem versetzte der Anblick von<br />
Quintanas Etappensieg und Bernals Verbesserung<br />
vom fünften auf den zweiten<br />
Gesamtplatz Kolumbien in einen Freudentaumel.<br />
Eine Tatsache, die Bernal vollkommen<br />
entging: „Ich weiß nicht, was in<br />
Kolumbien los ist. Ich weiß nicht mal, was<br />
außerhalb des Teams los ist“, sagte er, als<br />
er auf den Trubel in seiner Heimat angesprochen<br />
wurde.<br />
Der Iseran ist als höchste asphaltierte<br />
Passstraße in Europa so hoch, dass es<br />
passte, dass Bernal an diesem Ort die<br />
Kontrolle über das Rennen übernahm.<br />
Geebnet wurde sein Weg dadurch, dass<br />
Pinot das Rennen an dem Tag nach<br />
30 Kilometern unter herzzerreißenden<br />
Umständen mit einer Oberschenkelverletzung<br />
aufgeben musste. Das andere Hindernis,<br />
die dringende Notwendigkeit,<br />
Alaphilippe das Gelbe Trikot abzunehmen,<br />
bedeutete, dass der 13 Kilometer<br />
lange Anstieg die felsige Kulisse bildete,<br />
vor der die französischen Herzen weiter<br />
gebrochen wurden. Erst attackierte Thomas,<br />
und dann tat Bernal, was sein<br />
Teamkollege tags zuvor nicht vermocht<br />
hatte, und schüttelte Alaphilippe endgültig<br />
ab. 1.000 Meter vor dem Gipfel und<br />
38 Kilometer vor der Ziellinie trug Bernal<br />
das virtuelle Gelbe Trikot. Dahinter hing<br />
46 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Bernals Attacke<br />
auf der 19. Etappe<br />
bedeutete, dass<br />
er das Weiße mit<br />
dem Gelben Trikot<br />
tauschte.<br />
5Siege bei<br />
Etappenrennen<br />
holte<br />
Bernal bereits<br />
seit der<br />
Saison 2018<br />
Thomas an den Hinterrädern des Jumbo-<br />
Duos Laurens De Plus und Steven Kruijswijk<br />
und plante im Schlussanstieg nach<br />
Tignes einen eigenen Angriff.<br />
Und so endete die Situation, als sintflutartiger<br />
Regen, Hagel und ein Erdrutsch<br />
die Straße nach Tignes blockierten. Die<br />
Uhr wurde auf dem Gipfel des Iseran angehalten,<br />
und mit dieser Entscheidung<br />
war Bernal mit 45 Sekunden Vorsprung<br />
im Gelben Trikot. Auf der verspäteten Siegerehrung<br />
weinte Bernal, als ihm das Trikot<br />
vor den Augen seines Vaters German<br />
und seiner Freundin Xiomy überreicht<br />
wurde. „Sie werden viel leiden müssen,<br />
um mir dieses Gelbe Trikot wegzunehmen“,<br />
sagt er. Im Mannschaftshotel begannen<br />
die Mitarbeiter, den unausweichlichen<br />
siebten Toursieg des Teams zu feiern.<br />
Wer weiß, was passiert wäre, hätte die<br />
Natur nicht interveniert. Vor dem Start in<br />
Brüssel wäre die Idee, dass ein 22-Jähriger<br />
mit einem 43-Kilometer-Solo eine moderne<br />
Tour gewinnt, als Wunschdenken abgetan<br />
worden. Aber bei dieser Tour zählten<br />
Logik und überlieferte Weisheiten<br />
wenig. In Tignes wollten auf jeden Fall nur<br />
wenige bestreiten, dass der stärkste noch<br />
im Rennen befindliche Fahrer in Gelb war.<br />
Und was hieß das für die Beziehung<br />
zwischen Bernal und Thomas? Am Abend<br />
nach der verkürzten Etappe nach Val Thorens<br />
verließ das designierte Gelbe Trikot,<br />
Bernal, den Dinner-Lkw von Ineos vorzei-<br />
tig, um mit seiner Familie zu feiern. Thomas<br />
hing noch länger mit seinen Teamkollegen<br />
herum, bevor er sich zu einem<br />
letzten Medientermin ins Hotel begab.<br />
Bernal unterbrach Thomas’ Interview mittendrin<br />
und hielt ihm ein Exemplar von<br />
Thomas’ Buch The Tour According to G<br />
und einen Kugelschreiber hin. „Kannst du<br />
das signieren?“, fragte Bernal. Thomas’<br />
Antwort: „Klar. Was soll ich reinschreiben?<br />
Für Egan?“<br />
„ICH WEISS NICHT, OB ES SCHICKSAL<br />
ODER BESTIMMUNG IST, ABER WENN ICH<br />
VOR DEM GIRO D’ITALIA NICHT GESTÜRZT WÄRE,<br />
WÄRE ICH HEUTE NICHT IN DIESER POSITION.<br />
ES IST WIRKLICH UNGLAUBLICH. “<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 47
© Chris Auld<br />
48 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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19<br />
JOURNAL<br />
ETAPPE 1<br />
GRAND PLACE, BRUSSELS<br />
06.07.<strong>2019</strong><br />
IM SCHATTEN<br />
VON EDDY<br />
MERCKX<br />
ehen Sie ins Zentrum Londons, irgendwo in<br />
G<br />
einem Umkreis von fünf Kilometern um den<br />
Buckingham Palast, und das Gesicht von<br />
Königin Elisabeth II. ziert alles. Tassen, Geschirrtücher,<br />
Kühlschrankmagnete, Schlüsselanhänger,<br />
Keksdosen … Nur wenige werden die Königin im wirklichen<br />
Leben je sehen, aber sie ist doch überall präsent.<br />
Auf dem Kopfsteinpflaster des Place des Palais, vor dem<br />
Königspalast in Brüssel, würde man dasselbe erwarten.<br />
Der Haken ist jedoch, dass nicht das amtierende Staatsoberhaupt<br />
Belgiens, König Philippe, sondern Eddy Merckx<br />
dort omnipräsent ist. Das Gesicht des fünffachen Tourde-France-Siegers<br />
prangt auf allen Bushaltestellen und<br />
Schaufenstern, während sein Name in Großbuchstaben<br />
auf den Schirmen der frei verteilten gelben Kappen, die die<br />
Köpfe der Fans schmücken, steht.<br />
Der Düsseldorfer Grand Départ 2017 hatte eine gedämpfte<br />
Stimmung. Manchmal, inmitten der Regenfälle, war es<br />
so ruhig, dass schwer zu erkennen war, dass die Tour sogar<br />
in der Stadt war. Im Jahr 2018, in der Vendée, begann<br />
die Tour auf Noirmoutier-en-l’Île, einer Insel, die über eine<br />
lange, verkehrsreiche Straße erreichbar ist. Aber <strong>2019</strong> gehören<br />
Belgien und die Tour zusammen. Unter der heißen<br />
Sommersonne Brüssels sind Tausende gekommen, um die<br />
Tour zu sehen. Es war ein klares Zeichen für die Bedeutung<br />
dieser Veranstaltung, da dies ein Land ist, in dem die<br />
Tour nicht das wichtigste Rennen ist.<br />
Noch bemerkenswerter war vielleicht die Tatsache, dass<br />
die Mehrheit der wartenden Fans mit den Eddy-Kappen<br />
erst geboren wurde, nachdem der berühmteste belgische<br />
Radfahrer vor 50 Jahren seinen ersten Tour-Titel gewann.<br />
„Merckx ist 74; es gibt nicht viele Menschen seines Alters<br />
hier, aber die Jugend zieht Merckx immer noch an. Sie<br />
kennt ihn. Er ist eine Legende, nicht nur in Belgien, sondern<br />
in der ganzen Welt“, sagte der Generaldirektor von<br />
Lotto Soudal, Marc Sergeant, der weniger als zehn Kilometer<br />
von Brüssel entfernt aufgewachsen ist.<br />
Um 11:45 Uhr, kurz vor Beginn des Rennens, brach<br />
Jubel aus, der durch die Menge zog. Eine Gruppe von<br />
Menschen ging vorbei und auf den Start zu. „Es ist<br />
Merckx“, sagte jemand, obwohl er nicht sehen konnte, wer<br />
im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.<br />
Dann war er für einen Moment zu sehen: Eddy Merckx,<br />
sanftmütig lächelnd unter seinen grauen Haaren und den<br />
dunklen Augenbrauen. Ein Gesicht, das sofort erkennbar<br />
war. Der echte Merckx.<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 49
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19<br />
EMANUEL<br />
BUCHMANN<br />
EIN NEUER<br />
TOUR-HELD<br />
Emanuel Buchmann hielt bei der Tour de France im Konzert<br />
der ganz Großen mit. Am Ende erreichte er mit Rang vier<br />
im Gesamtklassement das beste deutsche Tour-Ergebnis seit<br />
zehn Jahren. Die Tour <strong>2019</strong> aus der Perspektive des<br />
Bora–hansgrohe-Kapitäns im Rückblick.<br />
Text Werner Müller-Schell Fotografie Bora–hansgrohe/Bettini Photo<br />
50 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
© Tim de Waele/Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 51
ETAPPE<br />
1<br />
SAMSTAG, 9. JULI<br />
BRÜSSEL › BRÜSSEL<br />
194,5 KM<br />
© Getty Images (Teunissen)<br />
Belgien ist ein Land, das auf Kompromissen<br />
und Harmonie zwischen den beiden<br />
Landesteilen Flandern und Wallonien<br />
basiert – eine Tatsache, die es zum<br />
genauen Gegenteil eines Massensprints<br />
der Tour de France macht. Bei der ersten<br />
Etappe der Tour <strong>2019</strong>, einer Schleife<br />
westlich und südlich von Brüssel bis tief<br />
in die Region der Flandernrundfahrt, gab<br />
es wenig Möglichkeiten der internationalen<br />
Zusammenarbeit. Greg Van<br />
Avermaet hatte bei den Klassikern dem<br />
flämischen Stolz einen Schub gegeben<br />
und vertraute darauf, dass er als Erster<br />
über die Muur van Geraardsbergen und<br />
den Bosberg kommen würde, die sich<br />
das Peloton für einen Tag von der<br />
Flandernrundfahrt lieh. Doch die<br />
flämischen Fans verfolgten ein<br />
unerwartetes Finish: Der Favorit Dylan<br />
Groenewegen stürzte, und die nicht als<br />
allzu schwer eingeschätzten Anstiege<br />
erledigten viele der anderen als<br />
Siegkandidaten eingeschätzten Sprinter.<br />
Man hätte die Zielankunft eigentlich als<br />
ein Peter-Sagan-Finish beschreiben<br />
können. Aber der Slowake stellte in den<br />
letzten acht Jahren bei der Tour immer<br />
wieder unter Beweis, dass er weitaus<br />
häufiger unter den ersten fünf landet als<br />
zu gewinnen. Der ultimative Kompromiss<br />
Belgiens gegenüber den Sprintern<br />
bestand am Ende in Mike Teunissen,<br />
einem Sprintanfahrer, der alle anderen<br />
auf der ansteigenden Zielgeraden<br />
hinter sich ließ.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 4:22:37<br />
2 Peter Sagan Bora–hansgrohe gl. Zeit<br />
3 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 4:22:37<br />
2 Peter Sagan Bora–hansgrohe +0:04<br />
3 Caleb Ewan Lotto Soudal +0:06<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 50<br />
2 Peter Sagan Bora–hansgrohe 50<br />
3 Caleb Ewan Lotto Soudal 33<br />
TEAMPRÄSENTATION<br />
„Ich habe alles dieser Tour untergeordnet,<br />
habe meine Lehren aus der letzt -<br />
jährigen Vuelta gezogen und bin bis<br />
diese Woche im Höhentraining geblieben“,<br />
sagt Emanuel Buchmann zum<br />
Tour-Start. Das ganze Jahr hatte er sich<br />
minutiös auf die diesjährige Tour vor -<br />
bereitet und sogar auf eine Teilnahme<br />
an der kurz vor der Frankreich-Rundfahrt<br />
ausgetragenen deutschen Meisterschaft<br />
verzichtet. Dass seine Form gut ist, hatte<br />
sein letzter Auftritt bei der Dauphiné<br />
gezeigt, als er im Konzert der Tour-Favoriten<br />
Platz vier belegt hatte. Zum Start<br />
stapelt der Bora-Kapitän aber tief und will<br />
„erst einmal ohne Zeitverlust in die Berge<br />
kommen“, wie er erklärt. „Dort hoffe ich,<br />
meine Stärken voll ausspielen zu können.<br />
Das Ziel ist ganz klar: die Top Ten der<br />
Gesamtwertung. Das ist sicher möglich,<br />
aber man braucht natürlich auch das<br />
nötige Glück.“<br />
Im Mannschaftszeitfahren<br />
belegte<br />
Bora–hansgrohe<br />
Rang zwölf.<br />
„ICH HABE ALLES DIESER TOUR<br />
UNTERGEORDNET UND HABE MEINE<br />
LEHREN AUS DER LETZTJÄHRIGEN<br />
VUELTA GEZOGEN.“<br />
2. ETAPPE<br />
BRÜSSEL–BRÜSSEL<br />
(MZF / 27,6 KM)<br />
Zum Start erfolgt beinahe der erste<br />
Rückschlag. Im Finale der ersten Etappe<br />
wird Buchmann in einen Massensturz<br />
verwickelt und verletzt sich leicht am<br />
Knie. Vor dem Start des Mannschaftszeitfahrens<br />
am zweiten Tag gibt er aber<br />
Entwarnung: „Zum Glück war mein Knie<br />
heute Morgen schon viel besser als<br />
gestern Abend. Da hatte ich doch ziem -<br />
liche Schmerzen“, meint er. Bora–hansgrohe<br />
landet mit 46 Sekunden Rückstand<br />
auf Tagessieger Jumbo–Visma auf Rang<br />
zwölf – Schadensbegrenzung. „Unser<br />
Zeitfahren war okay. Nicht unser bestes,<br />
aber eine solide Leistung“, sagt Buchmann<br />
nach dem Rennen. „Mein Ziel<br />
sind weiterhin die Top Ten in der Ge -<br />
samtwertung. Ich denke, da ist immer<br />
noch alles möglich, wenn ich nun ohne<br />
weitere Stürze durchkomme. Die 45 Se -<br />
kunden Rückstand heute sind absolut<br />
im Rahmen.“<br />
12. 63.<br />
+0:46 Min. +0:56 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
52 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
6. ETAPPE<br />
MULHOUSE–LA PLANCHE DES<br />
BELLES FILLES<br />
(160,5 KM)<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
EMANUEL<br />
BUCHMANN<br />
3. ETAPPE<br />
BINCHE–ÉPERNAY<br />
(215 KM)<br />
Das schwierige Finale in den Weinbergen<br />
rund um Épernay ist ein erster kleiner<br />
Test der Favoriten. Während Julian Ala -<br />
philippe mit einem überragenden Tages -<br />
sieg in Gelb schlüpft, bleibt Buchmann in<br />
der zweiten Verfolgergruppe auf Tuch -<br />
fühlung: „Das Rennen war am Ende sehr<br />
hart, aber das wussten wir. Ich habe mich<br />
gut gefühlt und hatte auch keinerlei<br />
Probleme mit meinem Knie. Es läuft also<br />
alles gut. Es war am Ende wichtig, immer<br />
vorne zu bleiben, da das Rennen extrem<br />
hektisch war, aber wir waren in der<br />
Gruppe noch gut vertreten, da hat das<br />
Team einen super Job gemacht.“<br />
28. 32.<br />
+0:31 Min. +1:11 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
ETAPPE<br />
2<br />
SONNTAG, 6. JULI<br />
BRÜSSEL PALAIS ROYAL<br />
› BRÜSSEL ATOMIUM<br />
27,6 KM<br />
Die Weltausstellung ist eine regelmäßige<br />
Veranstaltung, die um die Welt wandert<br />
und das Beste aus Technik und Kultur<br />
verschiedener Nationen präsentiert. Mit<br />
anderen Worten: Sie unterscheidet sich<br />
nicht so sehr von einem Radrennen.<br />
Die zweite Etappe der Tour <strong>2019</strong> führte<br />
die Fahrer auf eine große Runde durch<br />
die schicken und grünen Vororte<br />
Brüssels, bevor sie in den Norden der<br />
Stadt führte und unter dem glänzenden<br />
Edelstahlgebäude des Atomiums<br />
endete. Das Atomium war das Herzstück<br />
der Weltausstellung von 1958, die<br />
damals in Brüssel stattfand. Es wurde in<br />
Form eines Eisenmoleküls aus neun<br />
Atomen gebaut und sollte Modernität,<br />
den Glauben an die Wissenschaft und<br />
den Glauben an die Zukunft symbolisieren.<br />
Im Teamzeitfahren lagen zehn<br />
Teams tatsächlich so dicht wie<br />
Eisenatome beisammen, wobei nur<br />
21 Sekunden zwischen dem zweitplatzierten<br />
Team Ineos und dem elftplatzierten<br />
Team Mitchelton-Scott lagen. Mit<br />
20 Sekunden Vorsprung gewann<br />
Jumbo–Visma bereits die zweite Etappe<br />
des ersten Tourwochenendes und Mike<br />
Teunissen konnte seine Führung in der<br />
Gesamtwertung weiter ausbauen.<br />
Besser hätte die Tour für das Team von<br />
Tony Martin nicht starten können.<br />
Es wird ernst. Die erste Bergankunft<br />
verspricht mit dem steilen Finale auf der<br />
Schotterstraße zur Planche des Belles<br />
Filles Höchstspannung. Und Buchmann<br />
deutet erstmals an, wozu er bei dieser<br />
Tour in der Lage ist: Als Tages-Achter<br />
erreicht er sogar vor dem späteren<br />
Gesamtsieger Egan Bernal das Ziel. „Ich<br />
habe mich den ganzen Tag über sehr gut<br />
gefühlt. Am letzten Berg war ich vorne<br />
dabei und konnte das Tempo ohne<br />
Probleme mitgehen. Auf dem ersten<br />
Steilstück hatte ich das erste Mal etwas<br />
zu kämpfen und habe dann am Beginn<br />
des Schotterabschnitts etwas rausgenommen.<br />
Dafür war mein Finale wieder<br />
richtig stark“, freut er sich im Ziel. Die<br />
Erkenntnis aus dem ersten großen<br />
Schlagabtausch der Topfahrer: „Ich bin<br />
bei den Besten dabei und meine Chancen<br />
auf die Top Ten sind intakt. Ich kann also<br />
mit viel Selbstvertrauen in die nächsten<br />
Bergetappen gehen.“<br />
8. 12.<br />
+1:51 Min. +1:22 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
Hinauf zur<br />
Planche des Belles<br />
Filles ließ Buchmann<br />
erstmals sein<br />
Potenzial bei dieser<br />
Tour aufblitzen.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Jumbo–Visma 28:57<br />
2 Team Ineos +0:20<br />
3 Deceunick–Quick-Step +0:21<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Mike Teunissen Jumbo–Visma 4:51:34<br />
2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:10<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma gl. Zeit<br />
NACHWUCHSWERTUNG<br />
1 Wout Van Aert Jumbo–Visma 4:51:44<br />
2 Gianni Moscon Team Ineos +0:20<br />
3 Egan Bernal Team Ineos gl. Zeit<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 53
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
EMANUEL<br />
BUCHMANN<br />
„ICH HABE MICH HEUTE DEN GANZEN<br />
TAG ÜBER SEHR GUT GEFÜHLT<br />
UND HATTE AUCH NIE PROBLEME<br />
IN DER GRUPPE.“<br />
Auf der zehnten<br />
Etappe machte<br />
starker Seitenwind<br />
das Rennen schwer.<br />
10. ETAPPE<br />
SAINT-FLOUR–ALBI<br />
(217,5 KM)<br />
8. ETAPPE<br />
MÂCON–SAINT-ÉTIENNE<br />
(200 KM)<br />
Ein weiterer schwieriger Tag mit zahl -<br />
reichen giftigen Anstiegen. Während sich<br />
Julian Alaphilippe im Finale das Gelbe<br />
Trikot zurückholt, bleibt Buchmann<br />
kontrolliert im Verfolgerfeld. Der Lohn:<br />
der Sprung auf Platz zehn in der<br />
Gesamtwertung. Sein Fazit: „Ich habe<br />
mich heute den ganzen Tag über sehr<br />
gut gefühlt und hatte nie Probleme in<br />
der Gruppe. Das Team hat sehr gut<br />
gearbeitet, besonders Gregor Mühlberger<br />
war eine wichtige Unterstützung<br />
am letzten Anstieg. Es ist schön, in die<br />
Top Ten vorgefahren zu sein, aber die<br />
Tour wird in der letzten Woche entschieden,<br />
da ist das nicht mehr als eine<br />
Momentaufnahme.“<br />
18. 10.<br />
+0:26 Min. +1:45 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
Buchmann im<br />
Ziel der welligen<br />
achten Etappe.<br />
Die größten Überraschungen gibt es oft<br />
auf den Etappen, auf denen man sie nicht<br />
erwartet. Starker Wind wirbelt im Finale<br />
das Peloton durcheinander, zahlreiche<br />
Mitfavoriten wie Thibaut Pinot geraten<br />
auf der Windkante in Rückstand. Nicht so<br />
Buchmann. Er und Bora–hansgrohe sind<br />
hellwach, als die Jagd beginnt. Buchmann<br />
macht folglich einen Riesensatz<br />
auf Platz fünf in der Gesamtwertung.<br />
„Ein Riesendank gilt heute dem Team.<br />
Die Jungs hatten immer ein Auge auf<br />
Patrick Konrad und mich und haben uns<br />
nach vorne gefahren, bevor kritische<br />
Situationen entstanden sind. Alles hat<br />
perfekt geklappt und wir konnten auf<br />
viele Fahrer Zeit herausfahren“, freut er<br />
sich im Ziel. Ein deutscher Fahrer nach<br />
fast zwei Tour-Wochen in den Top Fünf<br />
– vom ansteigenden Medieninteresse in<br />
der Heimat lässt sich der 26-Jährige nicht<br />
beeindrucken: „Die Tour beginnt erst so<br />
richtig am Ende dieser Woche, es ist noch<br />
nichts gewonnen. Es ist jedoch natürlich<br />
ein Vorteil, mit einem Polster in die ersten<br />
echten Bergetappen zu gehen.“<br />
22.<br />
+0:00 Min.<br />
5.<br />
+1:45 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
54 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
13. ETAPPE<br />
PAU–PAU<br />
(EFZ / 27 KM)<br />
In der letzten<br />
Tour-Woche festigt<br />
Buchmann seinen<br />
Top-Fünf-Platz.<br />
14. ETAPPE<br />
TARBES–COL DU TOURMALET<br />
(117,5 KM)<br />
Lange galt Buchmann nicht als herausragender<br />
Zeitfahrer. Doch spätestens<br />
seit seinem fünften Platz beim Kampf<br />
gegen die Uhr beim Critérium du<br />
Dauphiné im Juni ist klar, dass der<br />
Deutsche hier aufgeholt hat. Auch in<br />
Pau hält er gut mit: Der 15. Platz mit nur<br />
1:19 Minuten Rückstand auf den Tages -<br />
sieger Julian Alaphilippe bedeutet<br />
weiterhin Platz sechs in der Gesamtwertung.<br />
„Ich denke, das war ein sehr gutes<br />
Zeitfahren von mir. Ich habe schnell<br />
einen guten Rhythmus gefunden und<br />
bin gut über den hügeligen Teil der<br />
Strecke gekommen. In den Abfahrten<br />
habe ich kein Risiko genommen, daher<br />
habe ich sicherlich einige Sekunden<br />
liegen gelassen. Aber sicher ins Ziel<br />
kommen war die Priorität. Dass ich im<br />
flachen Teil dann noch Zeit verlieren<br />
würde, war mir klar, aber alles in allem<br />
bin ich mit meiner Zeit sehr zufrieden.“<br />
15.<br />
+1:19 Min.<br />
6.<br />
+3:04 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
Das Zeitfahren in<br />
Pau beendet Buchmann<br />
auf einem<br />
starken 15. Platz.<br />
Die Bergankunft auf dem Col du Tour -<br />
malet läutet das Finale der Tour de<br />
France <strong>2019</strong> ein. Und Buchmann ist<br />
mittendrin: Zwei Kilometer vor dem Ziel<br />
sorgt er mit zwei Antritten dafür, dass<br />
der Titelverteidiger Geraint Thomas ins<br />
Straucheln gerät. Am Ende wird er Vierter<br />
– und fährt sich endgültig in den Kreis<br />
der Top-Fünf-Kandidaten. „Ich bin sehr<br />
zufrieden heute. Meine Beine waren<br />
von Beginn an richtig gut, und ich hatte<br />
eigentlich zu keinem Zeitpunkt der<br />
Etappe Probleme. Bis zwei Kilometer vor<br />
dem Ende war ich nie wirklich am Limit,<br />
darum habe ich dann auch attackiert. Es<br />
hat mich schon etwas überrascht, dass<br />
Thomas zurückgefallen ist, aber ich fahre<br />
mein eigenes Rennen. Am Schluss war<br />
ich einfach nicht explosiv genug, um um<br />
den Sieg zu kämpfen, aber heute Zeit auf<br />
viele Konkurrenten gut zu machen, war<br />
schon wichtig.“<br />
4. 5.<br />
+0:08 Min. +3:12 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
15. ETAPPE<br />
LIMOUX–FOIX<br />
(185 KM)<br />
Die nächste Bergankunft hinauf nach<br />
Prat d’Albis. Buchmann ist erneut ganz<br />
vorne dabei, kontert eine Attacke von<br />
Thibaut Pinot und wird zeitgleich mit<br />
Egan Bernal Vierter. „Ich hatte heute<br />
wieder gute Beine“, sagt er später. „Die<br />
Etappe war sehr schnell, aber ich konnte<br />
bis zum Finale gut Kraft sparen, da meine<br />
Teamkollegen mich auf den engen<br />
Straßen immer gut vorne platziert haben.<br />
Als Pinot dann attackiert hat, war ich das<br />
erste Mal am Limit. Ich konnte zuerst<br />
zwar mitgehen, habe aber schnell ge -<br />
merkt, dass er wohl heute zu stark für<br />
mich ist. Ich habe dann etwas rausgenommen,<br />
um in meinem Rhythmus zu<br />
fahren. Das hat super geklappt und ich<br />
konnte Bernal wieder einholen. Mit dem<br />
vierten Platz bin ich richtig glücklich.“<br />
In der Gesamtwertung liegt der Allgäuer<br />
sechs Tage vor Paris mit gerade einmal<br />
2:14 Minuten Rückstand auf Rang sechs.<br />
„Die Tour ist offen wie nie, das Ziel sind<br />
weiter die Top Ten. Aber wenn man ohne<br />
schlechten Tag durchkommt, ist sicher -<br />
lich einiges noch möglich. Ich denke,<br />
Pinot ist im Moment der Stärkste, er hat<br />
eine gute Mannschaft, wie man die<br />
letzten beiden Tage gesehen hat.“<br />
4. 6.<br />
+0:51 Min. +2:14 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 55
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
EMANUEL<br />
BUCHMANN<br />
18. ETAPPE<br />
EMBRUN–VALLOIRE<br />
(208 KM)<br />
Die Etappe von Embrun nach Valloire<br />
mit dem schweren Galibier am Ende<br />
gilt als eine der anspruchsvollsten der<br />
gesamten Tour. Insbesondere Movistar<br />
sorgt für ein schnelles Tempo. Buchmann<br />
bleibt in der Gruppe der Topfavoriten<br />
– unter anderem mithilfe seines<br />
stark fahrenden Teamkollegen Gregor<br />
Mühlberger. „Movistar hat das Rennen<br />
schon am Izoard schnell gemacht. Da<br />
war es wirklich wichtig, Gregor Mühl -<br />
berger noch dabeizuhaben. Ich möchte<br />
mich bei ihm bedanken, er ist ein starkes<br />
Rennen gefahren und konnte mich auch<br />
noch am Galibier unterstützen“, bedankt<br />
er sich nach dem Rennen. Als Egan<br />
Bernal mit einer Attacke im Finale einen<br />
ersten Grundstein für seinen späteren<br />
Gesamtsieg legt, bleibt Buchmann ruhig.<br />
„Ich habe nicht reagiert, als Bernal<br />
attackiert hat, denn unser Plan war, bei<br />
Thomas und Jumbo–Visma zu bleiben.<br />
Darum bin ich mitgefahren, als auch<br />
noch Thomas versucht hat wegzufah-<br />
Buchmann und<br />
Steven Kruijswijk<br />
kämpften bis zum<br />
Ende um Platz drei.<br />
Am Schluss<br />
durfte sich der<br />
Bora-Profi über<br />
Rang vier freuen.<br />
ren. Mit der Hilfe von Pinot habe ich<br />
die Lücke vor dem Gipfel schließen<br />
können. Am Ende war es kein Tag,<br />
um etwas zu gewinnen, aber man<br />
hätte einiges verlieren können. Meine<br />
Beine sind nach wie vor gut. Ich bin<br />
also zuversichtlich für die nächsten<br />
beiden Tage.“<br />
11. 6.<br />
+5:18 Min. +2:14 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
19. ETAPPE<br />
SAINT-JEAN-DE-MAURIENNE–TIGNES<br />
(89 KM)<br />
Viele erwarten an diesem Tag einen<br />
Generalangriff auf den immer noch<br />
führenden Julian Alaphilippe. Und<br />
tatsächlich: Sowohl Ineos als auch<br />
Jumbo–Visma sorgen bereits zur<br />
Rennmitte am Col de l’Iseran für ein<br />
höllisches Tempo, dem Alaphilippe bald<br />
Tribut zollen muss. „Das Rennen war<br />
heute von Anfang an richtig schnell. Am<br />
l’Iseran hat Team Ineos das Kommando<br />
übernommen, und zuerst hat Thomas,<br />
dann Bernal attackiert. Gregor Mühlberger<br />
ist wieder sehr stark gefahren und war<br />
lange bei mir. Ich war dann in der Gruppe<br />
mit Thomas in einer guten Situation und<br />
hatte alles unter Kontrolle“, erzählt<br />
Buchmann. Während Egan Bernal als<br />
Solist attackiert, bereitet sich die restliche<br />
Favoritengruppe bereits auf das Finale<br />
vor. Doch so weit kommt es nicht: Ein<br />
schweres Unwetter sorgt dafür, dass<br />
die Etappe abgebrochen werden muss.<br />
Die Zeit wird am Iseran genommen. Da<br />
Thibaut Pinot das Rennen bereits früh<br />
aufgeben muss, gewinnt Buchmann<br />
trotzdem eine Position und schiebt sich<br />
auf Rang fünf. „Es war schon eine merk -<br />
würdige Situation, als ich im Radio die<br />
Nachricht bekommen habe, dass abge -<br />
brochen wird. Zuerst haben wir es auch<br />
gar nicht geglaubt, aber wir haben dann<br />
miteinander gesprochen und alle hatten<br />
dieselbe Information. Es wäre auch unmöglich<br />
gewesen weiterzufahren, wie<br />
man gesehen hat. Ich habe noch nie so<br />
viel Eis auf der Straße gesehen“, sagt<br />
Buchmann, dem klar ist: „Jetzt wird<br />
morgen alles entschieden. Sicherlich<br />
werden ein paar Fahrer schon früh<br />
atta ckieren, auch ich kann morgen etwas<br />
versuchen, wenn ich gute Beine habe.<br />
Morgen braucht man nichts mehr zu<br />
sparen, da gilt nur mehr All-in.“<br />
- 5.<br />
+1:03 Min. +1:55 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
56 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
20. ETAPPE<br />
ALBERTVILLE–VAL THORENS<br />
(59 KM)<br />
Wegen der Folgen des Unwetters vom<br />
Vortag wird die Etappe erneut verkürzt.<br />
Das Feld erwartet zum großen Finale<br />
der Tour nun ein reines Uphill-Rennen.<br />
Während der Toursieg von Egan Bernal<br />
nur Formsache ist, kämpfen dahinter<br />
Julian Alaphilippe, Geraint Thomas,<br />
Steven Kruijswijk und Emanuel Buchmann<br />
um die Plätze. Am 33 Kilometer<br />
langen Schlussanstieg schlägt Jumbo–<br />
Visma ein knallhartes Tempodiktat an,<br />
dem Alaphilippe schnell zum Opfer fällt.<br />
„Die Etappe war zwar kurz heute, aber<br />
der Schlussanstieg war extrem lang. Das<br />
Tempo war von Beginn an hoch, auch<br />
wenn es Abschnitte gab, an denen man<br />
sich kurz erholen konnte, war es vor<br />
allem mental sehr anstrengend. Nach<br />
drei Wochen so lange fokussiert zu<br />
bleiben, ist nicht einfach“, sagt Buchmann.<br />
Seine finale Attacke reitet er<br />
schließlich einen Kilometer vor dem Ziel<br />
– doch sowohl Thomas als auch Kruijs -<br />
wijk schließen schnell auf, Buchmann<br />
klettert trotzdem auf Rang vier in der<br />
Gesamtwertung. „Am Ende hatte ich<br />
nichts zu verlieren, denn der Abstand<br />
nach hinten war groß genug, um etwas<br />
zu probieren. Leider hatte ich nicht mehr<br />
die besten Beine, aber ich bin völlig<br />
über wältigt und überglücklich mit mei -<br />
nem vierten Rang. Es war in diesem<br />
Jahr das Optimum, denn Thomas und<br />
Kruijswijk waren einfach besser. Aber<br />
mal sehen, was die nächsten Jahre noch<br />
bringen werden.“<br />
7. 4.<br />
+0:23 Min. +1:56 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
Geschafft: Buchmann<br />
und Teamkollege<br />
Mühlberger<br />
feiern im Ziel<br />
in Val Thorens.<br />
21. ETAPPE<br />
RAMBOUILLET–PARIS<br />
(128 KM)<br />
Die Abschlussetappe wird für Emanuel<br />
Buchmann zur Triumphfahrt. Als erster<br />
Deutscher seit Andreas Klöden 20<strong>09</strong><br />
schafft er eine Top-Ten-Platzierung bei<br />
der Tour de France. Als Vierter hat er<br />
seine eigenen Erwartungen dabei bei<br />
Weitem übertroffen. „Ich brauche sicher<br />
noch ein oder zwei Wochen, um wirklich<br />
zu realisieren, was da in den letzten drei<br />
Wochen passiert ist. Unter den besten<br />
Fünf der Tour de France zu stehen, ist<br />
unglaublich“, freut er sich im Ziel im Paris.<br />
„Ich habe immer daran geglaubt, dass<br />
vieles möglich ist, aber man darf sich bei<br />
der Tour einfach keinen Fehler erlauben.<br />
Das ist mir gelungen, auch wenn ich am<br />
Ende am Limit war. Der vierte Gesamt -<br />
rang ist sicherlich das Optimum in<br />
diesem Jahr gewesen, denn Bernal,<br />
Thomas und Kruijswijk waren einfach<br />
noch ein bisschen stärker. Ich muss jetzt<br />
erst einmal ein wenig abschalten, runter -<br />
kommen, um das alles genießen zu kön -<br />
nen“, so Buchmann weiter. Sein Erfolg,<br />
so hofft er, soll „wieder mehr Kinder und<br />
Jugendliche dazu motivieren, mit dem<br />
Radsport zu beginnen. Außerdem möch -<br />
te ich mich noch bei Ralph Denk und<br />
Bora–hansgrohe bedanken. Zusammen<br />
haben wir in den letzten Jahren sehr hart<br />
für diesen Erfolg gearbeitet. Heute kön -<br />
nen wir gemeinsam darauf anstoßen.“<br />
47. 4.<br />
+0:00 Min. +1:56 Min.<br />
Etappenplatzierung<br />
Gesamtwertung<br />
„ICH HABE IMMER DARAN GEGLAUBT,<br />
DASS VIELES MÖGLICH IST, ABER MAN<br />
DARF SICH BEI DER TOUR EINFACH<br />
KEINEN FEHLER ERLAUBEN. DAS IST<br />
MIR GELUNGEN, AUCH WENN ICH AM<br />
ENDE AM LIMIT WAR.“<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 57
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
ÖSTERREICH<br />
ÖSTERREICH-<br />
CONNECTION<br />
Drei von acht Fahrern im Bora–hansgrohe-Team waren aus Österreich.<br />
Wir haben zwei von ihnen, Patrick Konrad und Lukas Pöstlberger,<br />
am zweiten Ruhetag in Nîmes gefragt, wie es ihnen erging,<br />
Emanuel Buchmann in der Gesamtwertung und<br />
Peter Sagans Grünes Trikot zu unterstützen.<br />
Interview Edward Pickering<br />
Wie läuft die Tour für euch beide?<br />
Lukas Pöstlberger: Es läuft ganz gut.<br />
Ich bin hier, um meine Kapitäne zu unterstützen<br />
– Patrick, Peter und Emanuel.<br />
Ich hatte zwei Tage, wo ich ein bisschen<br />
schwach war – ich hatte Magenprobleme,<br />
aber ich habe durchgehalten und bin jetzt<br />
wieder auf der Höhe.<br />
Ist es eine andere Erfahrung, für<br />
andere zu fahren statt für deine eigenen<br />
Ziele?<br />
LP: Ich kann ziemlich gut klettern, daher<br />
versuche ich, die Kletterer zu unterstützen.<br />
Es unterscheidet sich nicht sehr von<br />
anderen Rennen, aber das Niveau ist höher<br />
und das Rennen ist härter.<br />
Wie ist es bei dir, Patrick?<br />
Patrick Konrad: In den ersten zwei Wochen<br />
hatte ich zwei Stürze. Seitdem habe<br />
ich mit einigen Problemen zu kämpfen.<br />
Auf der Etappe zum Tourmalet habe ich<br />
viel Zeit verloren und gestern [15. Etappe]<br />
habe ich alles versucht, um aus der Ausreißergruppe<br />
heraus zu gewinnen, aber es<br />
hat nicht geklappt. Vielleicht war es nicht<br />
der richtige Tag. Es war ein großer Kampf<br />
und mir fehlt es auch ein bisschen an<br />
4Österreicher<br />
fahren im<br />
28-köpfigen<br />
Aufgebot<br />
von Bora–<br />
hansgrohe<br />
Form. Die letzten Tage waren wirklich<br />
hart für mich.<br />
Was sind das für Probleme?<br />
PK: Mit meinem Rücken. Die Rippen sind<br />
auch nicht in Ordnung, sie tun weh. Auf<br />
diesem Niveau kann das ein großes Problem<br />
sein. Es war nicht wirklich gut, aber<br />
das ist die Tour und Stürze passieren.<br />
Oder du wirst krank oder so. Es gehört<br />
alles zum Radsport.<br />
Du hast hervorragende Resultate bei<br />
Rundfahrten in diesem Jahr eingefahren<br />
und warst in den ersten beiden<br />
Wochen in den Top 15. War der Plan,<br />
aufs Gesamtklassement zu fahren,<br />
oder war deine Rolle immer, Emanuel<br />
zu unterstützen?<br />
PK: Der Plan war, dass ich aufs Gesamtklassement<br />
fahre – insbesondere nach<br />
dem Giro im letzten Jahr, wo ich Siebter<br />
wurde. Ich hatte eine sehr gute Vorbereitung<br />
mit dem dritten Platz bei der Tour de<br />
Suisse und der österreichischen Meisterschaft,<br />
die ich gewonnen habe. Ich war<br />
wirklich in guter Form, aber manchmal<br />
kommt es vor, dass irgendeine Kleinigkeit<br />
nicht funktioniert.<br />
Wann bist du gestürzt?<br />
PK: Auf der dritten Etappe, ich bin mit<br />
den Rippen auf das Hinterrad eines anderen<br />
Fahrers geknallt. Es wurde schon besser,<br />
aber nach dem ersten Ruhetag bin ich<br />
zum zweiten Mal auf die Stelle gestürzt.<br />
Das war viel schlimmer.<br />
Bora hat mit Emanuel Ambitionen in<br />
den Top Ten der Gesamtwertung und<br />
ihr werdet wahrscheinlich das Grüne<br />
Trikot gewinnen, solange Peter von<br />
jetzt bis Paris nichts passiert. Ist das<br />
für die restlichen Fahrer in der Truppe<br />
schwer zu managen?<br />
LP: Ich finde, es ist ziemlich schwer, für<br />
beide Ziele zu fahren. Du musst immer<br />
Energie aufwenden. Die Klassementfahrer-Teams<br />
wie Ineos zum Beispiel können<br />
es auf den Sprintetappen lockerer angehen<br />
lassen, während wir für einen Massensprint<br />
oder sogar die Zwischensprints arbeiten.<br />
Für Peter ist es einfacher, weil er<br />
viel alleine macht, aber wir müssen ihn<br />
trotzdem unterstützen. Wir können ihn<br />
nicht alleine fahren lassen. Das ist kein<br />
Juniorenrennen, wo er tun konnte, was er<br />
wollte, weil er der Stärkste ist. Es ist hart,<br />
denn speziell für Fahrer wie mich gibt es<br />
58 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
immer etwas zu tun, aber es ist auch befriedigend,<br />
denn du weißt, dass es immer<br />
einen Grund hinter allem gibt, was du tust.<br />
Selbst auf einer Bergetappe müsst<br />
ihr an den Bonussprint und an die<br />
Gesamtwertung denken …<br />
LP: Auf einer Bergetappe wie gestern oder<br />
vorgestern, wo Peter in die Ausreißergruppe<br />
ging, um sich die Punkte beim Zwischensprint<br />
zu sichern …<br />
PK: Peter ging in die Ausreißergruppe,<br />
um die Punkte zu holen, aber dann überlebte<br />
er den großen Anstieg und somit waren<br />
wir eine Gruppe von 30 oder 40 Fahrern<br />
mit Emanuel, Gregor [Mühlberger]<br />
und mir, aber wir hatten auch Peter dabei.<br />
Er konnte helfen, indem er Flaschen hochbrachte,<br />
daher war es eine Win-Win-Situation<br />
für das Team. Die Sportlichen Leiter<br />
haben es wirklich gut hinbekommen –<br />
wir können aus der Tatsache, dass wir<br />
das Grüne Trikot anstreben, manchmal<br />
eine gute Situation für unsere Ambitionen<br />
in der Gesamtwertung machen.<br />
War das geplant?<br />
LP: Die Fahrer haben sich einfach engagiert,<br />
aber Peter versucht immer, dem<br />
Team etwas zurückzugeben, und sogar<br />
im Grünen Trikot geht er Flaschen holen.<br />
Er versucht immer, den Klassementfahrern<br />
zu helfen.<br />
Peter ist eine spezielle Persönlichkeit.<br />
Er zieht Stunts für die Fans ab, aber<br />
bei Interviews wirkt er ein wenig lustlos.<br />
Wie ist er aus Sicht der Fahrer?<br />
PK: Er macht sich keine großen Gedanken<br />
– er handelt einfach spontan, etwa als er<br />
dem Fan das Buch unterschrieben hat. Es<br />
gefällt ihm, die Fans glücklich zu machen,<br />
und er hat gerne mehr Spaß. Er ist ein guter<br />
Teamkollege.<br />
LP: Er macht seine Teamkollegen glücklich.<br />
Beim Rest des Pelotons bin ich mir<br />
nicht so sicher. [lacht]<br />
Pöstlberger<br />
fährt seit Sommer<br />
2015 für Bora–<br />
hansgrohe.<br />
Was ist Emanuel für ein Typ?<br />
LP: Er ist sehr ruhig und konzentriert. Er<br />
ist sehr streng zu sich selbst und weiß,<br />
was er will.<br />
Das Team hat klein angefangen, doch<br />
jedes Jahr scheinen seine Ambitionen<br />
zu wachsen. Ihr seid beide seit fünf<br />
Jahren im Team. Wie seht ihr eure<br />
Entwicklung?<br />
PK: Das Team arbeitet hart, um besser<br />
zu werden. Wir wachsen, nicht nur mit<br />
den Fahrern, sondern auch mit den Mitarbeitern,<br />
und denken darüber nach, wie<br />
wir mehr Erfolg haben können.<br />
LP: Wir wachsen zusammen. Wenn ich<br />
für die österreichischen Fahrer spreche,<br />
muss man zurückschauen, wo wir hergekommen<br />
sind. Zuerst war da die Gelegenheit,<br />
für ein kleines ProConti-Team zu<br />
fahren. Dann war es für mich ein ziemlicher<br />
Schock, als wir Peter Sagan unter<br />
Vertrag nahmen, einen damals zweifachen<br />
Weltmeister. Ich hatte gerade meine erste<br />
Saison absolviert und sagte mir: Das wird<br />
ziemlich schwer, vielleicht dauert es drei<br />
oder vier Jahre, auf WorldTour-Niveau zu<br />
kommen. Aber ich hatte dann keine Wahl<br />
– wir stiegen im nächsten Jahr in die<br />
„WIR SIND ALLE WIE EINE FAMILIE. WENN EINER VON<br />
UNS ÖSTERREICHERN GUT FÄHRT, SPORNT ES DICH<br />
NATÜRLICH AUCH SELBST AN. UND NATÜRLICH<br />
UNTERSTÜTZEN WIR UNS GEGENSEITIG.“<br />
Lukas Pöstlberger<br />
WorldTour auf, also wurde mir die Entscheidung<br />
abgenommen.<br />
PK: Ralph [Denk, Teammanager] hat<br />
ein Team mit Fahrern zusammengestellt,<br />
die auch Freunde sind. Wir fahren zusammen,<br />
seit wir Junioren sind, und kennen<br />
uns sehr gut. Das gilt auch für Gregor<br />
[Mühlberger; Anm. d. Red.] und Felix<br />
[Großschartner] – sie sind zusammen zur<br />
Schule gegangen, in dieselbe Klasse. Wir<br />
kennen uns alle, und das hat für Ralph<br />
funktioniert.<br />
LP: Ralph sieht die Stärke in einem Team,<br />
wenn wir auch Freunde sind.<br />
Welchen Weg muss ein österreichischer<br />
Fahrer gehen, der in die World-<br />
Tour will?<br />
PK: Wir haben gute Teams auf Conti-<br />
Niveau wie Tirol oder Felbermayer. Als<br />
ich U23-Fahrer war, haben sie sich alle<br />
neu orientiert, um jungen U23-Fahrern<br />
die Chance zu geben, sich zu entwickeln<br />
und Resultate zu holen. Sie haben auch<br />
angefangen, viele Rennen in Italien und<br />
Deutschland zu bestreiten. Als junger<br />
Österreicher kannst du gegen die besten<br />
U23-Fahrer in Europa antreten, und die<br />
meisten von ihnen sind jetzt hier bei der<br />
Tour. Es ist wichtig für junge U23-Fahrer,<br />
an internationalen Rennen teilzunehmen.<br />
Fahren diese Teams in Österreich und<br />
im Ausland?<br />
PK: Es gibt auch die U23-Nationalmannschaft,<br />
die die Thüringen-Rundfahrt<br />
oder die Tour de l’Avenir fährt. Für<br />
mich war die Tour de l’Avenir ein großer<br />
Schritt, als ich Dritter wurde [2013]. Die<br />
Fahrer, die dort gut abschnitten, sind<br />
auch hier bei der Tour – Adam Yates war<br />
Zweiter und Simon Yates gewann zwei<br />
Etappen. Da habe ich zum ersten Mal erkannt,<br />
dass ich mit den Besten mithalten<br />
kann. Die meisten Fahrer, die da vorne<br />
waren, sind Profis geworden.<br />
LP: Wir waren nie zusammen in einem<br />
ProConti-Team, aber wir sind zusammen<br />
in der Nationalmannschaft gefahren. Wir<br />
waren Rivalen, aber nicht wirklich. Die<br />
L’Avenir ist im August, wenn du da ein<br />
gutes Ergebnis holst, ist die Chance, einen<br />
Profivertrag zu bekommen, viel größer als<br />
zu Beginn des Jahres.<br />
PK: Auch die Österreich-Rundfahrt und<br />
die Tour of the Alps – es ist toll, diese<br />
Rennen in Österreich zu haben, denn sie<br />
sind für die ProConti- und Conti-Teams<br />
eine gute Plattform, um mit den Profis zu<br />
fahren und zu sehen, wie alles läuft.<br />
© BettiniPhoto, Getty Images (unten)<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 59
© Yuzuru Sunada<br />
Erzählt uns von der Österreich-Rundfahrt.<br />
LP: Wir waren in den letzten paar Jahren<br />
nicht dabei. Es ist schwer, sie mit unserem<br />
aktuellen Rennprogramm zu kombinieren,<br />
weil wir zu dieser Zeit normalerweise bei<br />
der Tour de France sind oder uns ausruhen.<br />
Es ist ein superschweres Rennen. Du<br />
musst in Topform sein, um es bei so vielen<br />
Klettermetern zu gewinnen.<br />
PK: Die Österreich-Rundfahrt war für<br />
uns beide ein Sprungbrett zu Bora. Ich<br />
erinnere mich, dass ich bereits ein paar<br />
internationale Rennen gewonnen hatte<br />
und ein Treffen mit Ralph hatte. Er fragte<br />
mich, was mein großes Ziel für die Saison<br />
sei, und ich sagte, die Österreich-Rundfahrt.<br />
Er fragte mich, was ich glaube, bei<br />
dem Rennen ausrichten zu können. Ich<br />
sagte: Top 15. Ich wurde Vierter und bekam<br />
von Ralph die Chance, als Stagiaire<br />
zu fahren – und das war mein Sprungbrett.<br />
Lukas gewann dort eine Etappe und<br />
konnte ein Jahr später bei Ralph als Stagiaire<br />
fahren. Für Österreicher ist die Österreich-Rundfahrt<br />
wirklich wichtig.<br />
LP: Sie ist für die österreichischen Fahrer<br />
wichtig wegen der Performance. Du<br />
merkst schnell, dass du auf einem höheren<br />
Niveau fährst. Wenn du vom Conti-<br />
Niveau kommst und dann .1- oder .HC-<br />
Rennen fährst, spürst du, dass es einfach<br />
andere Rennen sind. Das Niveau ist höher.<br />
Du kannst sehr davon profitieren.<br />
Für das Publikum in Österreich, das von<br />
der Kategorie nichts weiß, ist es einfach<br />
ein Radrennen. Aber für einen Rennfahrer<br />
ist es ein großer Unterschied, denn wenn<br />
du bei einem HC-Etappenrennen gewinnst<br />
oder Top Drei oder Vier bist, bedeutet<br />
es mehr als dasselbe Ergebnis bei<br />
einem .2-Rennen.<br />
PK: Außerdem sehen dich die großen<br />
Teams bei einem solchen Rennen.<br />
LP: Einige große Teams starten dort,<br />
weil es gut für sie ist, Punkte zu holen.<br />
Du trittst gegen sie an und sie lernen dich<br />
kennen. Es ist eine große Chance für österreichische<br />
Fahrer.<br />
Ihr wart beide österreichischer Meister.<br />
Was bedeutet euch das?<br />
PK: Lukas war der jüngste österreichische<br />
Meister [2012 mit 20 Jahren]. Es ist wirklich<br />
schwer, dieses Rennen zu gewinnen,<br />
weil das Peloton nur aus rund 100 Fahrern<br />
besteht, normalerweise sind es 180<br />
oder 200. Außerdem kommst du von den<br />
größten Rennen der Welt und triffst dann<br />
auf die jungen Österreicher, die U23-<br />
Teams. Bei allem, was du tust, beobachten<br />
sie dich. Sie wollen gegen die großen Jungs<br />
bestehen, deswegen ist es nicht so einfach,<br />
ein solches Rennen zu gewinnen.<br />
LP: Und du musst wirklich stark sein. Wir<br />
sind ein kleines Team gegen achtköpfige<br />
Mannschaften. Du musst dir überlegen,<br />
wie du gewinnen willst.<br />
Haben die Leute dein Trikot während<br />
der Rennen bemerkt?<br />
PK: Ich habe mich immer noch nicht<br />
daran gewöhnt, nach drei Jahren im<br />
grünschwarzen Trikot Weiß und Rot zu<br />
tragen. Aber es ist speziell. Die Menge<br />
nimmt dich wahr.<br />
Radsport ist mehr als die Tour. Du<br />
hast gute Resultate bei den Klassikern<br />
und das Rosa Trikot beim Giro<br />
getragen, Lukas. Was sind deine persönlichen<br />
Ambitionen?<br />
LP: Ich habe die Giro-Etappe [1. Etappe<br />
2017] durch Zufall gewonnen, würde<br />
ich sagen! Aber seitdem ist mein persönliches<br />
Ziel, bei jeder großen Rundfahrt<br />
eine Etappe zu gewinnen. Neulich habe<br />
ich es probiert, aber nicht geschafft<br />
[9. Etappe]. Ich war nicht sicher, wie ich<br />
kletterte, daher habe ich versucht, mich<br />
aus der Ausreißergruppe abzusetzen, um<br />
mit etwas Vorsprung in den Anstieg zu<br />
gehen, um es über die Kuppe und ins Ziel<br />
Der österreichische<br />
Meister Patrick<br />
Konrad auf<br />
der Planche des<br />
Belles Filles.<br />
1Österreicher<br />
hat bisher das<br />
Gelbe Trikot<br />
bei der Tour<br />
getragen<br />
zu schaffen, aber ich habe den Gegenwind<br />
unterschätzt.<br />
Du warst auch Fünfter beim E3-Prijs<br />
und Vierter beim Dwars door Vlaanderen<br />
…<br />
LP: Dwars door Vlaanderen ist eines meiner<br />
liebsten Rennen. Die Flandern-Rundfahrt<br />
ist aber eigentlich mein absoluter<br />
Favorit. Doch dort hängt es immer von Peter<br />
ab, weil er der Kapitän ist und über eine<br />
so lange Distanz mit den Besten mithalten<br />
kann. Kleinere Rennen wie E3 und Dwars,<br />
die mag ich wirklich. Ich will eines von ihnen<br />
gewinnen.<br />
Warum bist du gut bei diesen<br />
Rennen?<br />
LP: Du musst ziemlich clever sein und<br />
so viel Energie wie möglich sparen, und<br />
natürlich brauchst du einen großen Motor,<br />
um im richtigen Augenblick zur Stelle zu<br />
sein. Du lernst im Laufe deiner Karriere<br />
viel darüber, wie du dich bei einem Klassiker<br />
im Feld bewegst und reagierst – es ist<br />
ganz anders als hier bei der Tour, und ich<br />
habe die erste Etappe in Belgien wirklich<br />
genossen, weil sie wie eine Klassikeretappe<br />
war. Ich bin an die Straßen in Belgien gewöhnt,<br />
an den Beton, das Kopfsteinpflaster<br />
und die Lücken in der Straße. Du kannst<br />
viel mehr Energie sparen, wenn du weißt,<br />
was auf dich zukommt.<br />
60 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Patrick, deine Klassementergebnisse<br />
sind sehr gut. Du hast unter anderem<br />
Top-Ten-Plätze beim Giro, der Tour<br />
de Suisse und der Baskenland-Rundfahrt.<br />
Welche Ambitionen hast du?<br />
PK: Natürlich eines dieser Rennen eines<br />
Tages zu gewinnen. Vielleicht auf dem<br />
Podium der Tour de France zu stehen. Ich<br />
glaube, ich habe noch ein paar Jahre, um<br />
das zu erreichen und entsprechende Resultate<br />
einzufahren.<br />
Der österreichische Sport stand in<br />
jüngster Vergangenheit im Zentrum<br />
MAX<br />
BULLA<br />
Bulla war der<br />
Pionier der<br />
österreichischen<br />
Radrennfahrer,<br />
gewann in den<br />
1930ern drei Tour-<br />
Etappen und zwei<br />
Vuelta-Etappen.<br />
1931 trug er<br />
als erster und<br />
bisher letzter<br />
Österreicher das<br />
Gelbe Trikot<br />
der Tour.<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
ÖSTERREICH<br />
Pöstlberger gewann<br />
2017 die erste<br />
Etappe des Giro<br />
d’Italia und trug<br />
das Rosa Trikot.<br />
der Blutdoping-Ermittlungen der<br />
„Operation Aderlass“. Was wisst ihr<br />
darüber und inwieweit hatte das eine<br />
Auswirkung auf eure Moral oder eure<br />
Einstellung?<br />
LP: Natürlich hat das Auswirkungen<br />
auf die Moral – es ist wie ein Schlag ins<br />
Gesicht.<br />
PK: Die ganze Geschichte war eine große<br />
Enttäuschung. Du hoffst, die Blödheit<br />
stirbt aus und dass es solche Leute im<br />
Sport nicht mehr gibt. Wir müssen vieles<br />
verändern in der Welt. Ich hoffe, dass wir<br />
die globale Erwärmung, das Plastikproblem,<br />
die Politik und diese Art von Problemen<br />
im Sport abwenden können.<br />
Was hält euch im Radsport?<br />
LP: Das ist eine Leidenschaft. Immer<br />
schon. Jetzt wissen wir, dass wir als saubere<br />
Fahrer gute Resultate holen können.<br />
Es freut mich, Patrick oder Gregor oder<br />
Felix gut fahren zu sehen. Wir sind alle wie<br />
eine Familie. Wenn einer von uns Österreichern<br />
gut fährt, spornt es dich natürlich<br />
auch selbst an. Und natürlich unterstützen<br />
wir uns gegenseitig. Der Radsport ist zu<br />
100 Prozent eine Mannschaftssportart,<br />
und das ist der Schlüssel zum Erfolg.<br />
ÖSTERREICHS HELDEN<br />
Im Laufe der Radsportgeschichte hat Österreich immer wieder erfolgreiche Fahrer<br />
hervorgebracht. Procycling stellt fünf dieser Profis vor.<br />
ADOLF<br />
CHRISTIAN<br />
Christian wurde<br />
1957 Profi in<br />
Fausto Coppis<br />
Carpano-Team. In<br />
jener Saison gab<br />
er im jungen Alter<br />
von 23 Jahren sein<br />
Debüt bei der<br />
Tour und wurde<br />
direkt Gesamt-<br />
Dritter beim<br />
wichtigsten<br />
Radrennen<br />
der Welt.<br />
PETER<br />
LUTTENBERGER<br />
Luttenberger<br />
überraschte mit<br />
einem fünften<br />
Platz bei der Tour<br />
de France 1996<br />
mit jugendlichen<br />
23 Jahren. Er ließ<br />
1997 und 2003<br />
zwei 13. Plätze in<br />
Frankreich folgen,<br />
beendete aber<br />
seine Karriere<br />
letztlich als<br />
Berghelfer.<br />
GEORG<br />
TOTSCHNIG<br />
Totschnig<br />
erreichte drei Top-<br />
Ten-Plätze beim<br />
Giro, einen bei der<br />
Tour und einen<br />
bei der Vuelta,<br />
wobei ein fünfter<br />
Rang beim Giro<br />
2003 sein bestes<br />
Resultat war.<br />
Bei der Tour de<br />
France 2005<br />
gewann er eine<br />
Bergetappe.<br />
BERNHARD<br />
EISEL<br />
Eisel ist in der<br />
zweiten Hälfte<br />
seiner Karriere<br />
Sprintanfahrer<br />
und Road Captain<br />
für Mark<br />
Cavendish. Er<br />
holte aber auch<br />
selbst einige<br />
sehenswerte<br />
Resultate bei den<br />
Klassikern und<br />
gewann Gent–<br />
Wevelgem 2010.<br />
ETAPPE<br />
3<br />
MONTAG, 8. JULI<br />
BINCHE › ÉPERNAY<br />
215 KM<br />
Deutsche Wissenschaftler fanden einmal<br />
heraus, dass ein Champagnerkorken<br />
eine kräftig geschüttelte Flasche mit<br />
etwa 40 Kilometern pro Stunde verlässt;<br />
in etwa so schnell muss Julian Alaphilippe<br />
gefahren sein, als er das Feld an der<br />
Côte de Mutigny 16 Kilometer vor dem<br />
Ende der dritten Etappe, zwischen<br />
Binche und Épernay, stehen ließ.<br />
(Natürlich liegt die Steigung des<br />
Anstiegs bei Mutigny ebenfalls bei<br />
12,2 Prozent, genau wie bei Champagner).<br />
Es wurde viel von diesem edlen<br />
Getränk verzehrt, als die Tour die<br />
Weinberge der Marne überquerte und<br />
über die Avenue de Champagne von<br />
Épernay weiter zum Ziel lief. Der<br />
sprudelnde Angriff von Alaphilippe,<br />
gefolgt von einer 16 Kilometer langen<br />
Aufholjagd, gab den lokalen Fans Grund<br />
zum Feiern: die erste Etappe in<br />
Frankreich im Jahr <strong>2019</strong> und zugleich<br />
ein erster Etappensieg. Sechsundzwanzig<br />
Sekunden später kam der Sprint um<br />
den zweiten Platz, mit einer Auswahl<br />
von klassischen Sprintern und GC-Kandidaten.<br />
Der Titelverteidiger Geraint<br />
Thomas kam nochmals fünf Sekunden<br />
später mit seiner Gruppe ins Ziel.<br />
Die Avenue de Champagne gilt als die<br />
teuerste Straße der Welt. Die Fahrer auf<br />
der falschen Seite dieser fünfsekündigen<br />
Lücke müssen gehofft haben, dass sie<br />
die Zeit nicht zu billig verschenkt haben.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 4:40:29<br />
2 Michael Matthews Team Sunweb +0:26<br />
3 Jasper Stuyven Trek-Segafredo gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 9:32:19<br />
2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:20<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +0:25<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 76<br />
2 Michael Matthews Team Sunweb 59<br />
3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 54<br />
© Getty Images (groß, Bulla, Luttenberger, Totschnig, Alaphilippe), Yuzuru Sunada (Eisel), Offside L’Equipe (Christian)<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 61
62 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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20<br />
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BELGIEN<br />
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19<br />
BELGIEN<br />
D I E T O U R D E<br />
BELGIEN<br />
Die Tour de France <strong>2019</strong> begann anlässlich des<br />
50. Jahrestages des ersten von Eddy Merckx’ fünf Toursiegen<br />
mit drei Etappen in Belgien. Procycling war live vor Ort und hat<br />
herausgefunden, warum sich das Land und die Tour so gut ergänzen.<br />
Hoch oben auf der Muur<br />
van Geraardsbergen<br />
herrscht Radsportfieber.<br />
Die berühmte Rampe ist<br />
von Hunderten von Fans<br />
in viele Farben getaucht<br />
und Technomusik dröhnt<br />
aus riesigen Lautsprechern am t’ Hemelryck,<br />
der Kneipe 50 Meter vor der Kuppe<br />
des Anstiegs. Die Fotografen werden üblicherweise<br />
von dem grasbewachsenen<br />
Hügel und der gedrungenen Kirche, deren<br />
Positionen in dem Rahmen einen perfekten<br />
Goldenen Schnitt bilden, an der Spitze<br />
angezogen. Die Kurve der Straße im Zusammenspiel<br />
mit dem Himmel erschafft<br />
nämlich ein Motiv, das so aussieht, als<br />
wären die letzten Meter der Kapelmuur<br />
ein gepflasterter Weg in die Unendlichkeit.<br />
Das Gedränge der Fans scheint jedoch etwas<br />
weiter unten am t’ Hemelryck tatsächlich<br />
am dichtesten und lautesten zu sein.<br />
Es könnte der Tag der Flandern-Rundfahrt<br />
sein – außer dass niemand sich warm<br />
eingemummt hat, um sich vor der für die<br />
Ronde typischen Aprilkälte zu schützen.<br />
Roy Jenkins, der frühere Präsident der<br />
Europäischen Kommission, nannte den<br />
permanent wolkenverhangenen belgischen<br />
Himmel einst „brabantsche Trübsal“, aber<br />
die Tour de France scheint den blauen<br />
Himmel mit über die Grenze gebracht zu<br />
haben. Die Luft ist voller Sommerwärme<br />
und das Gestrüpp unterhalb des Gipfels<br />
riecht nach Leben und Fruchtbarkeit.<br />
Wenn die Ronde stattfindet, treibt das erste<br />
Grün gerade aus, und anfangs passt das<br />
Sommer-Feeling nicht zu diesem Ort. Statt<br />
mit den KBC- und Het-Nieuwsblad-Fahnen<br />
der Ronde ist die Straße von gepunkteten<br />
Plakaten gesäumt, die für die französische<br />
Supermarket-Kette Leclerc werben.<br />
Die Menge sprudelt aber mindestens genauso<br />
über wie beim berühmten Gegenstück<br />
im April. Es ist dieselbe Mischung<br />
aus einheimischen und internationalen<br />
Fans – es sind sogar dieselben Leute. Kevin<br />
Van Wijnbergen, der sich den besten Platz<br />
an der Mauer gesichert hat – in der Kurve<br />
am letzten steilen Stück –, steht bei der<br />
Ronde am selben Platz. „Ich komme seit<br />
zwölf Jahren jedes Jahr her“, sagt er. „Hier<br />
ist die beste Stelle. Du bist so nah dran,<br />
Text Edward Pickering<br />
Fotografie Gruber Images<br />
dass du die Fahrer riechen kannst.“ Kevin,<br />
der in Geraardsbergen lebt, will aber nicht<br />
überheblich sein. „Ich denke, die Tour ist<br />
größer als die Ronde. Dass die Tour nach<br />
Geraardsbergen kommt, ist spektakulär.“<br />
Einer der Fotografen ist dagegen nicht<br />
zufrieden: „Sie haben die Etappe etwas<br />
zu sehr entschärft“, sagt er. Aber als Greg<br />
Van Avermaet als Erster über die Kuppe<br />
fährt, ist das Getöse mindestens so laut<br />
und herzlich wie bei der Flandern-Rundfahrt.<br />
Van Avermaet und die Muur sind<br />
so flämisch wie es nur geht, aber die Tour<br />
hat sich mit ihnen perfekt verbunden. Ein<br />
anderes Rennen, aber irgendwie gleich.<br />
Das sollte nicht überraschen. Belgien<br />
ist ein historischer Zufall, ein Land, das<br />
auf Kompromissen gründet – geteilt durch<br />
die Sprache und gebildet aus einem Kollektiv<br />
kulturell heterogener Provinzen,<br />
aber geeint durch eine historische Beziehung<br />
zum Katholizismus; und auch durch<br />
einen selbstironischen Sinn für Humor,<br />
den Flamen und Wallonen gemeinsam<br />
haben. Wie der Schriftsteller Daniel De<br />
Bruycker sagte: „Belgien ist das einzige<br />
Land, das sich fragt, ob es existiert.“<br />
Die Tour fühlt sich hier wohl. Die Einheimischen<br />
freuen sich auf die Tour de<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 63
L E<br />
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BELGIEN<br />
France, statt festzustellen, dass es nicht<br />
die Flandern-Rundfahrt ist. Tatsächlich ist<br />
es nicht ungewöhnlich, dass die Tour nach<br />
Belgien kommt. Bei 106 Auflagen war die<br />
Tour 49-mal hier zu Gast, und wenn man<br />
bedenkt, dass das erste Mal 1947 war,<br />
scheint die Tour ihren Nachbarn im Norden<br />
fast jedes Jahr zu besuchen. <strong>2019</strong> war<br />
trotzdem etwas anders: Charleroi und Lüttich<br />
haben drei Grand Départs ausgetragen,<br />
aber dieser war der erste in Brüssel,<br />
der belgischen Hauptstadt, seit 1958. Die<br />
ASO, der Organisator der Tour, hat für den<br />
diesjährigen Grand Départ eine Feier ersonnen,<br />
die das wichtigste Monument der<br />
Weltausstellung 1958 in Brüssel – das<br />
Atomium, ein glänzendes futuristisches<br />
Gebäude in Form eines Eisenatoms und<br />
Ziel des Mannschaftszeitfahrens – mit<br />
dem 50. Jahrestag des ersten Toursieges<br />
von Belgiens Lieblingssohn verband. In<br />
Geraardsbergen reden die Einheimischen<br />
gerne von den drei „Ms“, die die Stadt berühmt<br />
machen: die Mattentaart, die Muur<br />
und das Manneken Pis (das, wie die Geraardsbergener<br />
versichern, älter ist als das<br />
berühmtere in Brüssel, das seinerseits an<br />
dem Wochenende ein Gelbes Trikot trägt).<br />
Aber als sich die erste Etappe der Tour<br />
<strong>2019</strong> auf den Weg durch Flandern zu ihrem<br />
westlichsten Punkt in Geraardsbergen<br />
macht, scheint es ein viertes M zu geben:<br />
Merckx. Die Karawane hat Zigtausende<br />
von Kappen an die Fans am Straßenrand<br />
verteilt, auf denen „Eddy“ steht, sodass<br />
jedes Foto von der gewaltigen Menge, vor<br />
allem von der in Brüssel, ein Meer aus gelben<br />
Köpfen ist. Es ist ein kleiner genialer<br />
Marketing-Einfall, der dazu führt, dass der<br />
Grand Départ seine charakteristische Farbe<br />
hat, und es scheint, dass sein Name auf<br />
den Lippen aller Radsportfans liegt.<br />
DUALE ERGEBNISSE<br />
Wir wissen, dass das Eröffnungswochenende<br />
der Tour selten spannenden Radsport<br />
bietet. Prologe sind Prologe – der<br />
stärkste Fahrer gewinnt, der zweitstärkste<br />
Fahrer wird Zweiter und so weiter. Und<br />
auch wenn die gewonnenen und verlorenen<br />
Sekunden für Gemunkel und Formanalysen<br />
gut sind, so hat nie jemand hier<br />
die Tour gewonnen oder verloren. Wenn<br />
die erste Etappe ein Sprint ist, sei es flach<br />
oder bergauf, folgt sie einem Muster – eine<br />
Ausreißergruppe geht, ihr werden ein paar<br />
Minuten Vorsprung zugestanden, sie wird<br />
gestellt, und dann wird das erste Gelbe<br />
Trikot unter den Spezialisten ausgemacht.<br />
Selbst Mannschaftszeitfahren hatten zuletzt<br />
kaum Auswirkungen auf das Rennen,<br />
da die Teams nur Sekunden trennten.<br />
<strong>2019</strong> war weitestgehend wie erwartet.<br />
Aber es gab Wendungen – die erste vierköpfige<br />
Ausreißergruppe auf der ersten<br />
Etappe, der Van Avermaet so lange angehörte,<br />
wie er brauchte, um genügend<br />
Bergpunkte zu sammeln, um ein paar<br />
Tage im Gepunkteten Trikot zu fahren,<br />
wurde früh zurückgeholt. Daher war Zeit<br />
für einen ungewöhnlichen zweiten Kamikaze-Angriff,<br />
den Stéphane Rossetto als<br />
Solist startete. Und das Ergebnis des<br />
Sprints, der leicht bergan führte und von<br />
einem Sturz auf der Zielgeraden über<br />
Der fünffache<br />
Toursieger Eddy<br />
Merckx war einer<br />
der Gäste beim<br />
Grand Départ.<br />
INTERNATIONALE GRAND DÉ PARTS<br />
© Getty Images (Merckx)<br />
4<br />
5 6<br />
2 1<br />
1 2 1 1<br />
LUXEMBURG<br />
Luxemburg<br />
1989, 2002<br />
DEUTSCHLAND<br />
Köln 1965<br />
Frankfurt 1980<br />
West-Berlin 1987<br />
Düsseldorf 2017<br />
IRLAND<br />
Dublin 1998<br />
BELGIEN<br />
Brüssel 1958, <strong>2019</strong><br />
Charleroi 1975<br />
Lüttich 2004, 2012<br />
SCHWEIZ<br />
Basel 1982<br />
NIEDERLANDE<br />
Amsterdam 1954<br />
Scheveningen 1973<br />
Leiden 1978 s’-Hertogenbosch<br />
1996 Rotterdam<br />
2010 Utrecht 2015<br />
UK<br />
London 2007<br />
Yorkshire 2014<br />
SPANIEN<br />
San Sebastián 1992<br />
MONACO<br />
Monaco 20<strong>09</strong><br />
64 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Van Avermaet an<br />
der Mauer von Geraardsbergen,<br />
dem<br />
bekanntesten Anstieg<br />
in Flandern.<br />
„DER TOUR-AUFTAKT FAND KOMPLETT<br />
IM ZEICHEN VON EDDY MERCKX STATT,<br />
DER EIN AUSSERGEWÖHNLICHER,<br />
BESCHEIDENER UND GROSSARTIGER<br />
MANN IST.“<br />
Christian Prudhomme, Tour-Direktor<br />
schattet wurde, war kein vorhersehbares,<br />
fing doch der bislang kaum in Erscheinung<br />
getretene Mike Teunissen<br />
Peter Sagan auf der Linie ab. Am nächsten<br />
Tag bestätigte Teunissens Jumbo–<br />
Visma-Team, dass es Form, Vertrauen<br />
und Schwung auf seiner Seite hatte, als<br />
es das Mannschaftszeitfahren gewann.<br />
Am letzten Tag des Rennens in Belgien,<br />
einem Etappenstart in Binche, sah eine<br />
riesige Menge das Peloton nach Süden<br />
über die Grenze fahren. Um den Geist der<br />
grenz überschreitenden Harmonie zu zementieren,<br />
umfasste die Ausreißergruppe<br />
Tim Wellens, einen Belgier von der Sprach <br />
grenze mit einem flämischen Vater und<br />
einer wallonischen Mutter, sowie Yoann<br />
Offredo, einen Franzosen, der für ein belgisches<br />
Teams fährt und dessen Lieblingsrennen<br />
die Kopfsteinpflasterklassiker des<br />
Frühjahrs sind. Dann legte Julian Alaphilippe,<br />
ein Franzose in den Diensten eines<br />
belgischen Rennstalls, im Ardennenvorgebirge<br />
der Champagne los und holte den<br />
Etappensieg und das Gelbe Trikot. Für<br />
eine Etappe, die halb belgisch, halb französisch<br />
war, schien alles zu passen. Aber<br />
der wahre Star des Eröffnungswochenendes<br />
war Brüssel – und natürlich Merckx.<br />
„Es war der bewegendste aller Grand<br />
Départs, die ich erlebt habe“, sagte Christian<br />
Prudhomme, der Boss der Tour, zu<br />
Procycling. „Natürlich waren in Yorkshire<br />
und London die Zuschauermengen ebenso<br />
groß wie in Brüssel. Aber der Tour-Auftakt<br />
fand komplett im Zeichen von Eddy<br />
Merckx statt, der ein außergewöhnlicher,<br />
bescheidener und großartiger Mann ist.<br />
Es war majestätisch, so viele Leute ‚Merci,<br />
Eddy‘ sagen zu hören.“ Prudhommes früheste<br />
Erinnerung an den Radsport war die<br />
letzte Etappe des Rennens 1968, daher<br />
umspannt sein eigenes Leben als Radsportfan,<br />
Journalist und dann Organisator<br />
des größten Rennens der Welt fast genau<br />
das von Eddy Merckx als größtem Champion,<br />
den der Sport je gesehen hat. „Ich<br />
bin die 100 Meter vom Village Départ zur<br />
Startlinie mit Eddy gelaufen, bevor die<br />
Etappe begann – und es war unvergesslich.<br />
Die Leute klatschten, riefen seinen<br />
Namen und hatten Tränen in den Augen.“<br />
DAS PUBLIKUM ALS MOTOR<br />
Offredo, der auf der dritten Etappe in der<br />
Ausreißergruppe fuhr, fand die belgischen<br />
Etappen inspirierend. „Wir trafen<br />
Christian Prudhomme am Vorabend der<br />
Tour, und er erinnerte uns daran, dass<br />
das Wichtigste im Radsport die Emotionen<br />
sind – noch vor jedem Sieg“, erzählte<br />
er. „Ich bin ein Fahrer, der mit Emotionen<br />
fährt und in der Ausreißergruppe habe<br />
ich den ganzen Tag gelächelt. Das Publikum<br />
ist unser Motor. Die Flandern-<br />
Rundfahrt ist ähnlich, aber es gibt eine<br />
spezielle Atmosphäre bei der Tour, und<br />
wir als Fahrer wollen den Fans ein bisschen<br />
von dem zurückgeben, was sie uns<br />
geben. In einer Ausreißergruppe zu sein,<br />
heißt für mich, dem Publikum und der<br />
Menge Ehre zu erweisen.“<br />
Aber der Radsport besteht nicht nur aus<br />
Menschenmengen und Lärm, und Emotionen<br />
können ebenso ruhig und nachdenklich<br />
wie warm und energetisch sein.<br />
ETAPPE<br />
4<br />
DIENSTAG, 9. JULI<br />
REIMS › NANCY<br />
213,5 KM<br />
Das Gelbe Trikot ist auf einer flachen<br />
Etappe mit einer Sprintankunft<br />
normalerweise ganz vorne dabei. Meist<br />
liegt das daran, dass der Führende auf<br />
Nummer sicher gehen will, um den<br />
Gefahren bei einer solchen Ankunft zu<br />
entgehen. Tatsächlich neigen die<br />
Gesamtführenden dazu, sich von<br />
hektischen Massensprints und all den<br />
möglichen Unfällen, die passieren<br />
können, fernzuhalten. Das letzte Mal,<br />
dass wir ein Gelbes Trikot sahen, das für<br />
einen Teamkollegen den letzten<br />
Kilometer eines Massensprints anfuhr,<br />
war 2012, als Bradley Wiggins auf den<br />
Champs-Élysées an die Spitze stürmte,<br />
um für Mark Cavendish den Sieg<br />
vorzubereiten. Paris war jedoch bei den<br />
Fahrern in Gedanken viel zu weit weg,<br />
als sie zu Beginn der ersten Woche in<br />
Nancy ankamen, aber das hinderte<br />
Julian Alaphilippe nicht daran, seine<br />
Rolle in der Mannschaft von Deceuninck–Quick-Step<br />
zu erfüllen, als sie den<br />
Sieg für Elia Viviani vorbereitete. Der<br />
Franzose wurde von Road Captain<br />
Michael Mørkov zwei Kilometer vor dem<br />
Ziel an die Spitze befohlen, krempelte<br />
seine metaphorischen Ärmel hoch und<br />
übernahm die Kontrolle. Auf der<br />
Zielgeraden musste der Italiener nicht<br />
mehr tun, als seine Nase 200 Meter vor<br />
dem Ziel in den Wind zu halten, um so<br />
schnell wie möglich bis zur Ziellinie zu<br />
sprinten. Fünf Jahre nach seinem<br />
Tour-Debüt holte Viviani seinen Sieg.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Elia Viviani Deceuninck–QS 5:<strong>09</strong>:20<br />
2 Alexander Kristoff UAE Emirates gl. Zeit<br />
3 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 14:41:39<br />
2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:20<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–-Visma +0:25<br />
BERGWERTUNG<br />
1 Tim Wellens Lotto Soudal 7<br />
2 Xandro Meurisse Wanty-Gobert 3<br />
3 Greg Van Avermaet CCC Team 2<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 65
ETAPPE<br />
5<br />
MITTWOCH, 10. JULI<br />
SAINT-DIÉ-DES-VOSGES ›<br />
COLMAR<br />
175,5 KM<br />
Zu flach für eine Bergetappe, zu bergig<br />
für eine Flachetappe. Der fünfte Tag der<br />
Tour <strong>2019</strong> hätte nicht besser für die<br />
neue Generation von Allround-Sprintern<br />
konzipiert werden können, die in den<br />
letzten Jahren die Klassiker und diese<br />
Art von Etappen bei den großen<br />
Rundfahrten dominiert haben.<br />
Natürlich ist der König der Allrounder<br />
Peter Sagan, und er hat die Etappe<br />
ordnungsgemäß gewonnen, nachdem<br />
das Feld durch die beiden Steigungen<br />
der zweiten Kategorie auf etwa die<br />
Hälfte seiner ursprünglichen Größe<br />
reduziert wurde. Eine gute Auswahl<br />
weiterer Allround-Sprinter – Wout Van<br />
Aert, Matteo Trentin, Sonny Colbrelli und<br />
Michael Matthews (plus dem Führenden,<br />
Julian Alaphilippe) – füllte die Top Ten<br />
hinter Sagan. Es war eine typische Tour<br />
für Sagan: Ein Etappensieg liegt im<br />
Schnitt seiner üblichen Trefferquote,<br />
aber neben dem Sieg in Colmar<br />
erreichte er bei der Tour <strong>2019</strong> auf<br />
weiteren acht Etappen die Top fünf. Das<br />
bedeutet, dass er im Rennen um das<br />
Grüne Trikot fast unschlagbar ist – er ist<br />
der einzige Fahrer, der Massensprints,<br />
hügelige Sprints und alle Bonussprints<br />
dazwischen holen kann. Der Zweite in<br />
Colmar, Wout Van Aert, zeigt jedoch<br />
Anzeichen dafür, dass er sich zu einem<br />
starken Rivalen für Sagan entwickelt hat.<br />
Er kann sprinten und klettern – und<br />
könnte Sagan 2020 schlagen.<br />
Am Square Eddy Merckx, einem kleinen<br />
Monument auf dem Place des Bouvreuils<br />
im Brüsseler Vorort Woluwé-Saint-Pierre,<br />
ist es am Sonntagmorgen fast still – obwohl<br />
die Teams nur ein paar Blocks weiter<br />
ihre Übungsrunden auf dem Kurs des<br />
Mannschaftszeitfahrens drehen. Am Place<br />
des Bouvreuils ist Eddy Merckx aufgewachsen,<br />
und hier hatte seine Familie ein<br />
Geschäft. Es ist daher überraschend, dass<br />
außer einem Einheimischen niemand hier<br />
ist, als das größte Rennen der Welt dem<br />
größten Radsportler der Welt seine Ehre<br />
erweist.<br />
Einzig ein Mann schlendert umher. Es<br />
stellt sich heraus, dass Carl, so sein Na <br />
me, auf dieselbe Schule gegangen ist wie<br />
Merckx, und er erklärt, dass die Belgier<br />
Merckx zwar verehren, aber nicht so viel<br />
Aufhebens davon machen wollen. „Er war,<br />
glaube ich, in der Klasse von 1957, und<br />
ich war Ende der 1960er-Jahre dort. Aber<br />
als er die Tour gewann, hat uns die Schule<br />
nie richtig gesagt, dass er einst ebenfalls<br />
hier war. Das mag überraschend sein,<br />
aber so sind wir Belgier – wir sind nie auf<br />
etwas stolz.“<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
BELGIEN<br />
Der Belgier<br />
Firmin Lambot<br />
gewann die Tour<br />
1919 – die erste<br />
Auflage mit dem<br />
Gelben Trikot.<br />
Das Team Jumbo–Visma<br />
im Ziel<br />
des Mannschaftszeitfahrens.<br />
2005 wurden zwei Umfragen in Belgien<br />
durchgeführt: eine namens „De grootste<br />
Belg“ in Flandern und eine weitere namens<br />
„Le plus grand Belge“ in der Wallonie.<br />
Das Land wählte in seinen linguistischen<br />
Blöcken den größten Belgier der<br />
Geschichte, wobei Jacques Brel die französischsprachige<br />
Umfrage gewann und der<br />
wohltätige Pater Damian die flämische.<br />
Merckx war neben dem Geistlichen der<br />
Einzige, der es in die Top Vier beider Erhebungen<br />
geschafft hatte.<br />
Merckx hat sich immer als Belgier<br />
bezeichnet, und die Tour de France hat<br />
bei ihrem Besuch <strong>2019</strong> sorgfältig darauf<br />
geachtet, beiden Seiten der sprachlichen<br />
Trennlinie ihre Aufwartung zu machen,<br />
Flandern und die Wallonie zu besuchen<br />
und beide Schreibweisen von Brüssel zu<br />
verwenden.<br />
Die Tour de France hält sich aus der<br />
Politik möglichst raus. Aber die Tour ist<br />
von Natur aus geografisch, und das Geografische<br />
ist das Politische. Das Rennen<br />
findet in der echten Welt statt, nicht in<br />
dem künstlichen und abgeschirmten<br />
Raum eines Sportstadions, und die echte<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 4:02:33<br />
2 Wout Van Aert Jumbo–Visma gl. Zeit<br />
3 Matteo Trentin Mitchelton-Scott gl. Zeit<br />
© Getty Images (groß, Sagan), Offside L’Equipe<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 18:44:12<br />
2 Wout Van Aert Jumbo–Visma +0:14<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +0:25<br />
NACHWUCHSWERTUNG<br />
1 Wout Van Aert Jumbo–Visma 18:44:26<br />
2 Egan Bernal Team Ineos +0:26<br />
3 Enric Mas Deceuninck–QS +0:32<br />
66 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
BELGIEN<br />
Welt ist nicht so keimfrei wie die Welt des<br />
Sports. Dies ist das Zeitalter des Brexit,<br />
der Gelbwesten-Demos in Frankreich und<br />
eines wieder erstarkenden flämischen Nationalismus<br />
in Belgien. Die rechtsextreme<br />
Vlaams Belang hat bei belgischen Kommunalwahlen<br />
13 Prozent der Stimmen<br />
geholt, während es der französische Front<br />
National bei den letzten Präsidentschaftswahlen<br />
in Frankreich unter die letzten<br />
zwei geschafft hat. Kann sich die Tour von<br />
diesen Spannungen abkoppeln?<br />
Prudhomme sieht die Tour lieber als<br />
einende Kraft. „Alle Rennorganisatoren<br />
der Welt wissen, dass wir der Lebensrealität<br />
nicht entgehen können“, sagt er. „Wir<br />
DIE TOUR DE FRANCE HAT BEI IHREM BESUCH <strong>2019</strong><br />
SORGFÄLTIG DARAUF GEACHTET, BEIDEN SEITEN<br />
DER SPRACHLICHEN TRENNLINIE IN BELGIEN IHRE<br />
AUFWARTUNG ZU MACHEN UND FLANDERN<br />
UND DIE WALLONIE ZU BESUCHEN.<br />
Das Tour-Fieber<br />
erfasst Brüssel:<br />
Zahlreiche Fans<br />
kamen, um das<br />
Rennen zu sehen.<br />
96<br />
Die Anzahl<br />
der Tage von<br />
Eddy Merckx<br />
im Gelben<br />
Trikot<br />
sind nicht in einem geschlossenen Stadion.<br />
Was der Tour ihre Kraft gibt, ist, dass<br />
sie draußen bei den Menschen ist. Aber<br />
genau deswegen können wir nicht den<br />
Schwierigkeiten entkommen, mit denen<br />
die Leute zu tun haben – soziale Probleme<br />
und Konflikte.“ Und er fährt fort: „Aber<br />
die Tour eint die Menschen. Schauen Sie<br />
sich Merckx an. Er ist Belgier, er bringt die<br />
Leute zusammen – genau wie große Ereignisse<br />
wie die Tour, genau wie die französische<br />
Fußballnationalmannschaft die<br />
Franzosen letztes Jahr vereint hat.“<br />
Der Grand Départ <strong>2019</strong> wurde von den<br />
Radsportfans jedenfalls universell gut aufgenommen.<br />
Die Jugendstil-Architektur<br />
Brüssels bildete eine beeindruckende Kulisse<br />
für das Rennen, und die drei Etappen in<br />
Belgien waren ein „Best of“ des belgischen<br />
und französischen Radsports. Ein bisschen,<br />
das muss man sagen, wie Eddy Merckx.<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 67
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20<br />
19<br />
JOURNAL<br />
© Gruber Images<br />
ETAPPE 6<br />
LA PLANCHE DES BELLES FILLES<br />
11.07.<strong>2019</strong><br />
DAS ERSTE<br />
KRÄFTEMESSEN<br />
IN DEN BERGEN<br />
J<br />
ede Erwähnung von Thibaut Pinot während<br />
des Kommentars auf La Planche des Belles<br />
Filles führt zu Jubel. Fahnen wehen, ein Horn<br />
wird geblasen, Glocken läuten. Es gibt keine<br />
Ruhe vor dem Sturm bei der Bergankuft, besonders wenn<br />
es die erste bei der diesjährigen Tour de France ist. Hier<br />
ist Pinots Heimat, und sein Name steht in Großbuchstaben<br />
in der letzten Kurve 100 Meter vor dem Ziel. Die vielen<br />
Schriftzüge zieren die 24 Prozent steile Steigung. Man<br />
kann den Zielbogen sehen, zu dem sich die Straße dann in<br />
einer Geraden nach oben erstreckt, wo die Logos von Tissot<br />
und Continental leuchten. Aber es ist viel zu steil, um<br />
die Ziellinie selbst zu sehen.<br />
Die Zuschauer feuern Dylan Teuns und Giulio Ciccone,<br />
die zuerst zum Ziel kommen, an. Teuns’ goldener<br />
Helm wackelt von links nach rechts, als er aus dem Sattel<br />
geht und an der steilsten Stelle der Kurve um die Innenseite<br />
zieht. Ciconne rollt nach rechts, als sich zwischen<br />
dem flüchtigen Duo zum ersten Mal des Tages eine Lücke<br />
öffnet.<br />
Nach einigen Sekunden Ruhe wird es dann richtig laut.<br />
Allez, allez, allez, allez! Das Gelbe Trikot von Julian Alaphilippe<br />
ist sichtbar. Sein Kopf ist gesenkt, während er von<br />
einer Seite zur anderen schaukelt; eins, zwei – eins, zwei<br />
– eins, zwei – eins, zwei – eins, zwei stampft er auf seine<br />
Pedale ein. Er blickt über seine linke Schulter, um Geraint<br />
Thomas direkt hinter ihm zu sehen. Der Waliser bleibt<br />
sitzen, lehnt sich aber auch nach vorne, sein Kopf senkt<br />
sich für eine Sekunde und nimmt den Blick vom Hinterrad<br />
des Franzosen. Nach einer kurzen Pause nimmt die Lautstärke<br />
wieder zu, als Pinot die 75-Meter-Marke passiert.<br />
Ein Tropfen Schweiß hängt an seiner Nase. Er beschleunigt,<br />
den Mund weit geöffnet, als ihn der Anblick des Gipfels<br />
noch mal motiviert. Nairo Quintana ist nicht weit dahinter,<br />
dann eine weitere Gruppe.<br />
Dan Martin zeigt dem Anstieg wortwörtlich die Zähne.<br />
Enric Mas kämpft sich langsam im Zickzack von links<br />
nach rechts über die schmerzhafte Steigung. Dann eine<br />
weitere Pause. Romain Bardet erscheint fast eine Minute<br />
später und wirkt müde und ausgelaugt. Der Lärm um ihn<br />
herum nimmt zu. Wenn nur die Lautstärke in der Lage<br />
wäre, sein Fahrrad voranzutreiben.<br />
Die weiteren Fahrer blättern vorbei, als ob sie in der<br />
Linse einer Spielzeugkamera zu sehen sind, in der sich<br />
die Figuren bei jedem Klick weiterbewegen. Die erste<br />
Bergankunft der Tour wurde lange erwartet, war aber im<br />
Handumdrehen vorbei.<br />
68 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 69
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19<br />
JUMBO–VISMA<br />
Jumbo–Visma war in der ersten Tour-Woche<br />
flott unterwegs und gewann vier Etappen.<br />
Procycling analysiert, wie das holländische<br />
Team so erfolgreich wurde.<br />
© Jumbo–Visma<br />
70 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
ETAPPE 1<br />
NICHT<br />
ZU<br />
STOPPEN<br />
MIKE TEUNISSEN<br />
Mike Teunissen hielt sich mit dem linken<br />
Zeigefinger das Ohr zu, während er das<br />
Telefon fester an sein rechtes drückte. Die<br />
Mikrofone und Kameras schoben sich näher<br />
an ihn heran. Er trug ein Gelbes Trikot,<br />
aber eben nicht das normale seines<br />
Jumbo–Visma-Teams. Seine Augen hatten<br />
Fältchen an der Seite, verursacht durch<br />
das Lächeln, das über sein Gesicht huschte,<br />
als er seinem Gesprächspartner lauschte.<br />
Vor Mai <strong>2019</strong> hatte der Holländer nur<br />
ein einziges Profirennen für sich entschieden<br />
– den Prolog der Tour de l’Ain 2015.<br />
Jetzt stand er in der Mixed Zone der Tour<br />
de France und hatte gerade die Eröffnungsetappe<br />
des diesjährigen Rennens für sich<br />
entschieden und war damit ins Maillot<br />
Jaune geschlüpft. Ungläubigkeit traf seinen<br />
Gesichtsausdruck wohl am besten.<br />
Kein Wunder, dass das Lächeln nicht<br />
mehr aus Teunissens Gesicht gewichen<br />
war, seit er die Ziellinie überquert hatte.<br />
„Es war mein Vater“, sagte Teunissen,<br />
nachdem er das Telefongespräch beendet<br />
hatte und seine Aufmerksamkeit wieder<br />
der Wand aus Reportern widmete. „Er<br />
wollte mir sagen, dass er stolz auf mich ist.“<br />
Viele hatten in Brüssel mit einem niederländischen<br />
Sieger gerechnet – aber<br />
eben nicht mit Teunissen. Die gesamte<br />
Aufmerksamkeit lag auf seinem Teamkollegen<br />
Dylan Groenewegen, aber als er zwei<br />
Kilometer vor der Linie in einen Sturz verwickelt<br />
wurde, war der Sprintanfahrer<br />
Teunissen in einer kleinen Gruppe von<br />
In einem engen<br />
Sprint schlägt Teunissen<br />
Topfavorit<br />
Peter Sagan auf<br />
der Linie.<br />
Fahrern weiter vorn. Noch bevor klar war,<br />
dass Groenewegen in einem Pulk auf dem<br />
Boden saß, befand sich Teunissen in einem<br />
Kopf-an-Kopf-Sprint mit Peter Sagan.<br />
„War das Van Aert?“ „Mike wer?“,<br />
fragte man sich im Medienzelt.<br />
In neun von zehn Fällen hätte Teunissen<br />
gegen Sagan die schlechteren Chancen.<br />
Aber dieses Mal war alles anders. Im<br />
Sport reicht es eben manchmal auch, dass<br />
man nur einmal die besseren Chancen<br />
hat, um zu gewinnen.<br />
Nachdem er 2015 bei LottoNL–Jumbo<br />
Profi geworden war, wechselte Teunissen<br />
zwei Jahre später zu Sunweb. Er wollte<br />
mehr Verantwortung tragen, aber er kam<br />
in dem deutschen Team nicht zurecht und<br />
ging vor dieser Saison zu Jumbo zurück.<br />
Das holländische Team hat den Ruf, Talente<br />
zu fördern und aus Fahrern mit ordentlichem<br />
Potenzial A-Promis zu machen;<br />
Groenewegen und Primož Roglic<br />
sind die einschlägigen Beispiele. Und mit<br />
Teunissen haben sie <strong>2019</strong> begonnen,<br />
dasselbe zu machen. Zwei Etappensie-<br />
© Gruber Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 71
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20<br />
19<br />
JUMBO–VISMA<br />
© Getty Images (Teunissen), Kramon (klein), Gruber Images<br />
ge und die Gesamtwertung der Vier Tage<br />
von Dünkirchen im Mai brachten den Ball<br />
ins Rollen, bevor Teunissen fünf Wochen<br />
später die ZLM Tour gewann.<br />
„Bei den Vier Tagen von Dünkirchen<br />
haben wir ihm die Gelegenheit gegeben,<br />
Verantwortung zu übernehmen. Dann<br />
holte er bei der ZLM Tour die Führung –<br />
das war geplant. Für sein Selbstbewusstsein<br />
war das sehr wichtig“, sagte Merijn<br />
Zeeman, der Jumbo-Coach, zu Procycling,<br />
als er mit einer Flasche Champagner<br />
in der Hand vor dem Mannschaftsbus<br />
stand. „Er arbeitet mit einem unserer<br />
Trainer, Tim Heemskerk, der einen super<br />
Job mit ihm gemacht hat. Er hat sich vom<br />
Training, aber auch vom Selbstbewusstsein<br />
her sehr verbessert.“<br />
Zum ersten Mal in Teunissens Karriere<br />
ging er auf Erfolgskurs in die Tour. Sein<br />
neues Selbstbewusstsein zeigte sich darin,<br />
dass er auf der ersten Etappe in einer<br />
Position war, den Sprint zu bestreiten,<br />
und Sagan auf der Linie abfangen konnte.<br />
„Ich dachte, ich bin noch da, ich bin<br />
noch frisch, wir können es versuchen“,<br />
sagte ein immer noch strahlender Teunissen,<br />
als er sich im Pressekonferenz-Lkw<br />
hinsetzte und nicht langweilte, obwohl<br />
ihm 45 Minuten lang dieselben Fragen<br />
gestellt wurden. Diese Geschichte wurde<br />
er nicht müde zu erzählen.<br />
„Ich fühlte mich gut, und ich dachte,<br />
nach all der Vorarbeit von den Jungs ist<br />
das Mindeste, was ich tun kann, es selbst<br />
zu versuchen. Ich hätte mir nur nie vorstellen<br />
können, dass ich das Rennen gewinne.<br />
Es ist verrückt: Du gewinnst eine<br />
Etappe der Tour de France, du holst das<br />
Gelbe Trikot. Es ist sehr lange her, dass<br />
ein Niederländer Gelb getragen hat, und<br />
es passiert für mich alles gleichzeitig. Ja,<br />
es ist unglaublich.“<br />
Teunissen<br />
war der erste<br />
Niederländer seit<br />
30 Jahren im<br />
Gelben Trikot.<br />
ETAPPE 2<br />
ENDLICH<br />
DAS<br />
RICHTIGE<br />
TEAM<br />
TONY MARTIN<br />
Die Rohre aus rostfreiem Stahl, die die<br />
neun Silberkugeln verbinden, die das<br />
Brüsseler Atomium bilden, spendeten<br />
fast keinen Schatten an der Ziellinie des<br />
Mannschaftszeitfahrens. Unterhalb davon<br />
begannen die acht Fahrer des Teams<br />
Ineos, ihre roten Plastikstühle zu verlassen<br />
– heiße Stühle im wörtlichen wie im<br />
bildlichen Sinn in Anbetracht der Nachmittagssonne.<br />
Sie hatten die Stellung fast<br />
zwei Stunden lang gehalten, nachdem sie<br />
als erstes Team auf den 27,6 Kilometer<br />
langen Kurs gegangen waren und die<br />
schnellste Zeit hingelegt hatten. Aber ein<br />
Jubelschrei vom Jumbo–Visma-Masseur,<br />
als das niederländische Team über die Linie<br />
rollte und inmitten eines Schwarms<br />
von Journalisten zum Stehen kam, bestätige,<br />
dass das lange Warten von Ineos umsonst<br />
gewesen war.<br />
Nachdem die beiden Teams als Erstes<br />
und als Letztes ins Mannschaftszeitfahren<br />
gestartet waren, rechnete man damit,<br />
als Jumbo schließlich um 17:00 Uhr an<br />
den Start ging, dass die Mannschaft Ineos<br />
den Sieg noch streitig machen könnte.<br />
Aber wenige hätten gedacht, dass sie die<br />
Zeit der Tour-Titelverteidiger um ganze<br />
20 Sekunden unterbieten würde.<br />
Vor einem Jahr war, wie Jumbo–Visma<br />
selbst sagt, das schlechte Abschneiden<br />
beim Mannschaftszeitfahren bei der Tour<br />
2018 mit ein Grund, dass Primož Roglic<br />
das Podium verpasste – er verlor an dem<br />
Tag 1:11 Minuten auf Sky und ihm fehlten<br />
59 Sekunden zu einem Podestplatz in<br />
Paris. Die Qualitäten im Mannschaftszeitfahren<br />
zu verbessern, war<br />
wichtig, wenn das Team<br />
Toursieger sein wollte. Mehr<br />
Motoren würden sicher<br />
helfen – die <strong>2019</strong>er-Neuzugänge<br />
Tony Martin und<br />
Wout Van Aert brachten<br />
sie mit – aber es fehlte nicht nur eine Steigerung<br />
der Feuerkraft. Das Team brauchte<br />
einen Talisman, der einen kühlen Kopf<br />
bewahren, das richtige Tempo vorgeben<br />
und jeden Fahrer anleiten konnte in einem<br />
Szenario, in dem jede Sekunde zählt.<br />
„Bei der Analyse nach der Tour 2018<br />
kam heraus, dass wir keinen wirklichen<br />
Tony Martin war<br />
maßgeblich am<br />
Erfolg von Jumbo–<br />
Visma im Mannschaftszeitfahren<br />
beteiligt.<br />
72 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Das niederländische Team hatte am Ende<br />
mehr als 20 Sekunden Vorsprung vor den<br />
Topfavoriten um Ineos.<br />
ETAPPE<br />
6<br />
DONNERSTAG, 11. JULI<br />
MULHOUSE › LA PLANCHE<br />
DES BELLES FILLES<br />
160,5 KM<br />
„ES WAR BEMERKENSWERT, WIE VIEL<br />
KRAFT MIKE IN SEINEN BEINEN HATTE.<br />
ER TRAT FLÜSSIG IN DIE PEDALE. DAS<br />
GELBE TRIKOT HAT AUF JEDEN FALL<br />
ETWAS MIT IHM GEMACHT.“<br />
Laurens De Plus, Jumbo–Visma<br />
3Die Anzahl<br />
der MZF-Siege<br />
von Jumbo–<br />
Visma seit der<br />
Saison 2015<br />
Anführer hatten. Wir hatten keinen<br />
Fahrer, der reif genug war, die Führung<br />
zu übernehmen und bei Situationen im<br />
Rennen kreativ zu sein“, sagte Matthieu<br />
Heijboer, der das Mannschaftszeitfahren<br />
plante, zu Procycling. „Der Schlüssel dazu<br />
war Tony Martin. Er hängt die Latte sofort<br />
sehr hoch, wenn er die erste Ablösung<br />
fährt. Er gibt das Tempo vor.“<br />
Das Mannschaftszeitfahren bei der<br />
UAE Tour im Februar war als frühes Versuchsgelände<br />
ausgegeben und beim Trainingslager<br />
in Alicante bewirkte Martin<br />
sofort etwas. „Er brachte eine ruhige Einstellung<br />
mit“, sagte Heijboer. „Er sagte:<br />
Vertraut mir, ich gebe das Tempo vor. Folgt<br />
mir einfach, und wir werden es schaffen.“<br />
Tatsächlich gewann Jumbo das Mannschaftszeitfahren<br />
der UAE Tour – erst das<br />
zweite seit Tirreno–Adriatico 2011.<br />
Einen Monat später fehlten dem Team<br />
auf der ersten Etappe von Tirreno–Adriatico<br />
nur sieben Sekunden, um Mitchelton-<br />
Scott zu schlagen – die Kurve zeigte nach<br />
oben. Aber Heijboer betonte, der Erfolg bei<br />
der Tour <strong>2019</strong> habe sich nicht über Nacht<br />
eingestellt, sondern 2015 begonnen. Auch<br />
eine Zusammenarbeit mit Professor Bert<br />
Blocken, Experte für Windkraft und Aerodynamik<br />
an der TU Eindhoven, habe sich<br />
ausgezahlt.<br />
„Wir hatten schon gute Grundlagen<br />
und gute Ergebnisse im Einzelzeitfahren“,<br />
sagte Heijboer weiter. „Wenn wir nicht<br />
diese ganze Arbeit investiert hätten, wären<br />
wir nicht so erfolgreich. Tony und<br />
Wout kamen zu uns und konnten sofort<br />
Leistung bringen.“<br />
Expertise und die Kombination der<br />
richtigen Fahrer waren nicht die einzigen<br />
Waffen, die das Team in Brüssel in seinem<br />
Arsenal hatte. Das Gelbe Trikot auf Teunissens<br />
Schultern gab dem Team auch einen<br />
nicht quantifizierbaren X-Faktor auf<br />
dem Kurs in Brüssel. Es flog förmlich.<br />
„Es war bemerkenswert, wie viel Kraft<br />
Mike in seinen Beinen hatte“, sagte Laurens<br />
De Plus nach der Etappe über die<br />
Leistung seines Teamkollegen. „Er trat<br />
flüssig in die Pedale. Das Gelbe Trikot hat<br />
auf jeden Fall etwas mit ihm gemacht.“<br />
Auch Nico Verhoeven, Sportlicher Leiter<br />
des Teams, glaubt, dass das Leibchen<br />
geholfen habe. „Vorher sagten wir, dass<br />
wir zu den Favoriten gehören und unter<br />
die ersten fünf Teams kommen, aber wenn<br />
du am Samstag gewinnst und mit Mike in<br />
Gelb fährst, spürst du einen Auftrieb. Daher<br />
scheuen wir uns jetzt nicht mehr zu<br />
sagen, dass wir gewinnen wollen.“<br />
Zum ersten Mal seit 1978, als Jan Raas<br />
das Double für TI Raleigh holte und den<br />
Prolog plus die Etappe 1A in Leiden gewann,<br />
sicherte sich Jumbo–Visma beide<br />
Siege beim Grand Départ in Brüssel.<br />
Ein extra Kilometer mit steilstem Gravel.<br />
Die neue „Super Planche“-Bergankunft<br />
auf der Planche des Belles Filles<br />
schwebte wie ein Schatten über der<br />
ersten Tour-Woche. Die Strecke ist ein<br />
klassisches Beispiel dafür, wie die Tour<br />
vermehrt steile und schwierige<br />
Passagen in ihr Profil einbaut, um die<br />
Fahrer an ihr Limit zu bringen. Zum<br />
Leidwesen von Romain Bardet: Der<br />
Franzose erlitt einen weiteren Rückschlag<br />
in seiner Tour-Karriere, als er am<br />
ersten richtigen Berg der Tour <strong>2019</strong><br />
abgehängt wurde. Als Journalist hätte<br />
man sich keine bessere Metapher<br />
ausdenken können als das, was im Ziel<br />
passierte: Gerade als Bardets Vorderrad<br />
die Ziellinie überquerte, verklemmte<br />
sich seine Kette. Das Rennen um den<br />
Sieg hatte sich da bereits ein paar<br />
Minuten früher abgespielt: Dylan Teuns<br />
und Giulio Ciccone waren die letzten<br />
Überlebenden einer Fluchtgruppe und<br />
teilten sich die Etappe nach alter<br />
Tradition auf: Etappensieg für den einen<br />
(Teuns), Gelb für den anderen (Ciccone).<br />
Für die Gesamtwertung entscheidend<br />
war jedoch, was dahinter passierte:<br />
Geraint Thomas attackierte und erwies<br />
sich als der stärkste der Klassementfahrer.<br />
Julian Alaphilippe griff ebenfalls<br />
an und bewies seine gute Form. Auch<br />
Thibaut Pinot und Emanuel Buchmann<br />
zeigten, dass mit ihnen im weiteren<br />
Tour-Verlauf zu rechnen sein würde.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Dylan Teuns Bahrain-Merida 4:29:03<br />
2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo +0:11<br />
3 Xandro Meurisse Wanty-Gobert +1:05<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 23:14:55<br />
2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:06<br />
3 Dylan Teuns Bahrain-Merida +0:32<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 144<br />
2 Michael Matthews Team Sunweb 98<br />
3 Elia Viviani Deceuninck–QS 92<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 73
ETAPPE<br />
7<br />
FREITAG, 12. JULI<br />
BELFORT ›<br />
CHALON-SUR-SAÔNE<br />
230 KM<br />
© Getty Images<br />
Eine Bummelfahrt hat in der ersten<br />
Tour-Woche Tradition. Ein Tag, an dem<br />
die Teams sich einig sind, es locker<br />
angehen zu lassen und langsam zu<br />
fahren. In diesem Jahr fiel diese Etappe<br />
auf den mit 230 Kilometern längsten<br />
Abschnitt der gesamten Tour von<br />
Belfort nach Chalon-sur-Saône. Doch<br />
was sind die Zutaten für einen solchen<br />
Tag? Eine harte Etappe am Vortag? In<br />
der Tat hatte das Peloton fünf Anstiege<br />
bis zum Ziel in Planche des Belles Filles<br />
zurückzulegen. Vielleicht ist es auch die<br />
Aussicht auf einen Massensprint? Auch<br />
hier stimmten dank der letzten 90,<br />
weitestgehend flachen, Kilometer die<br />
Vorzeichen. Und eine ungefährliche<br />
Fluchtgruppe? Yoann Offredos und<br />
Stéphane Rosettos Attacke von<br />
Kilometer null weg ist wohl perfekt<br />
dafür. Trotzdem sind solche Etappen<br />
nicht ohne Gefahren: Schmerzhaft<br />
erfahren musste das Tejay van<br />
Garderen. Als er bei voller Fahrt etwas<br />
an seinem Rad checken wollte, knallte<br />
er gegen einen Metallpfosten.<br />
Am nächsten Tag ging er nicht mehr<br />
an den Start. Action in das Feld kam<br />
erst im Finale, als die Sprintzüge<br />
aufwachten und Dylan Groenewegen<br />
nach 6:02:44 Stunden die Ziellinie<br />
überquerte. Ein typisch langer Tag eben,<br />
wie er in der ersten Woche der Tour de<br />
France mittlerweile Tradition hat.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Dylan Groenewegen Jumbo–Visma 6:02:44<br />
2 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />
3 Peter Sagan Bora–hansgrohe gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 29:17:39<br />
2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:06<br />
3 Dylan Teuns Bahrain Merida +0:32<br />
BERGWERTUNG<br />
1 Tim Wellens Lotto Soudal 43<br />
2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 30<br />
3 Xandro Meurisse Wanty-Gobert 27<br />
ETAPPE 7<br />
DIE BESTEN<br />
LIEFERN<br />
IMMER<br />
DYLAN GROENEWEGEN<br />
Es war Samstagabend am 6. Juli,und<br />
nichts war gelaufen, wie Dylan Groenewegen<br />
es sich vorgestellt hatte. Der<br />
erste Tag der Tour war vorbei und sein<br />
Jumbo–Visma-Team hatte gewonnen.<br />
Nur, dass sein Zimmergenosse Mike<br />
Teunissen im Bett neben ihm das Gelbe<br />
Trikot trug, das Trikot, von dem alle<br />
dachten, es wäre seins. Groenewegen trug<br />
an dem Abend nur schmerzhafte Hautabschürfungen,<br />
nachdem er in Brüssel gestürzt<br />
und aus dem Rennen war.<br />
Während der ganzen Vorbereitung auf<br />
die Tour hatte es danach ausgesehen, dass<br />
Groenewegen die Eröffnungsetappe gewinnen<br />
und sich damit das erste Gelbe<br />
SIEGE<br />
<strong>2019</strong><br />
Mit den vier Erfolgen<br />
bei der Tour<br />
wuchs das Siegeskonto<br />
von Jumbo–<br />
Visma <strong>2019</strong> auf<br />
39 Erfolge. Der<br />
erfolgreichste<br />
Fahrer des Teams<br />
ist bis dato Dylan<br />
Groenewegen.<br />
39<br />
SIEGE<br />
<strong>2019</strong><br />
5<br />
Groenewegen<br />
Van Aert<br />
Teunissen<br />
Trikot überstreifen würde. Er war der<br />
formstärkste Sprinter der Saison, hatte<br />
bis Juli zehn Siege geholt – fünf davon in<br />
den letzten zwei Wochen vor der Tour. Zu<br />
sagen, das Pendel habe in seine Richtung<br />
ausgeschlagen, wäre eine Untertreibung<br />
– selbst das Team erwartete fast von ihm,<br />
dass er gewinnt. Aber die Dinge können<br />
sich bei der Tour in einem Sekundenbruchteil<br />
ändern.<br />
Das Rennen lässt den Fahrern keine<br />
Zeit, ihre Wunden zu lecken, besonders<br />
wenn man Sprinter ist. Drei Tage später,<br />
auf der vierten Etappe nach Nancy, musste<br />
sich Groenewegen wieder aufrappeln<br />
und es erneut versuchen. Aber es lief<br />
immer noch nicht richtig, und die<br />
Schmerzen vom Samstag wirkten<br />
nach. Er war im Finale ungewöhnlich<br />
weit hinten positioniert und kam nur<br />
4 auf den fünften Platz. Die Kameras<br />
schwenkten auf den Jumbo-Mannschaftsbus.<br />
Ein niedergeschlagener Groenewegen,<br />
mit hängendem Kopf, als er sich<br />
auf der Rolle abwärmte, musste eine Frage<br />
nach der anderen beantworten, warum er<br />
nicht gewonnen habe – wieder einmal.<br />
Trotzdem verstehen es Topathleten,<br />
das Blatt zu wenden, insbesondere wenn<br />
sie mit Widrigkeiten konfrontiert sind.<br />
11<br />
74 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
JUMBO–VISMA<br />
Groenewegen holte sich seinen ersehnten<br />
Etappensieg im Massensprint auf der<br />
siebten Etappe.<br />
Groenewegen war vor einem Jahr in derselben<br />
Position, als die erste Tour-Woche zu<br />
Ende ging und sein eingeplanter Sieg sich<br />
nicht eingestellt hatte. Dann landete er, als<br />
niemand mit ihm rechnete, auf den Etappen<br />
sieben und acht zwei Siege hintereinander.<br />
Zwölf Monate später riss Groenewegen<br />
auf derselben siebten Etappe, dieses<br />
Mal in Chalon-Sur-Saône, das Ruder wieder<br />
herum.<br />
Die Fahrer mussten einen Extrakilometer<br />
am Ufer der Saône radeln, um nach<br />
dem Sieg des Holländers zu ihren Mannschaftsbussen<br />
zurückzukommen. Als<br />
sich Reporter und Fans vor dem Jumbo–<br />
Visma-Bus versammelten, stand Generalmanager<br />
Richard Plugge ein paar Meter<br />
weiter am Mannschaftswagen, sodass die<br />
erste Person, die die Fahrer sahen, wenn<br />
sie auf den Rempart Saint Marie einbogen,<br />
er war. Er verteilte Umarmungen,<br />
Handschläge und Glückwünsche an alle,<br />
als sie eintrafen.<br />
In Interviews wollte Groenewegen nicht<br />
viel dazu sagen, ob es mental schwer für<br />
ihn gewesen sei, seinen Teamkollegen die<br />
Etappe gewinnen zu sehen, die seine hätte<br />
sein sollen, und wie er darüber hinwegkommen<br />
sei und wenige Tage später gewonnen<br />
habe. Aber Plugge sagte, das<br />
Team habe das Thema nicht gescheut.<br />
„Unsere Sportdirektoren haben Wert darauf<br />
gelegt, darüber zu sprechen, denn es<br />
muss auch Raum für seine Enttäuschung<br />
sein. Sie haben viel mit ihm darüber gesprochen,<br />
auch mit Mike. Sie teilen sich<br />
ein Zimmer, daher gab es ein gutes Gespräch.<br />
Er ist jemand, der durch ‚eine<br />
Wand‘ gehen kann, und er kommt zurück,<br />
wenn er eine Enttäuschung wie auf der<br />
ersten Etappe erlebt. Er ist jemand, der<br />
sagt: Morgen schlage ich zurück.“<br />
Das überwältigende Gefühl am Jumbo-<br />
Bus nach Groenewegens Sieg war Freude,<br />
aber für Groenewegens Sprintanfahrer Armund<br />
Grøndhal Jansen war das erste Gefühl<br />
nach der siebten Etappe reine Erleichterung.<br />
„Ich arbeite seit zwei Jahren bei<br />
der Tour für ihn, für mich ist das fast der<br />
Grund, warum ich hier bin“, sagte der<br />
Norweger, der nur einmal kurz aufhörte<br />
zu lächeln, um etwas zu trinken.<br />
„Ich bin hier, um Dylan zu helfen, Etappen<br />
zu gewinnen, und ich hätte nicht nach<br />
Hause fahren können, ohne dass er gewonnen<br />
hätte.“<br />
ETAPPE 10<br />
DER JEDI<br />
WIRD<br />
MEISTER<br />
WOUT VAN AERT<br />
Wout Van Aert stieg vom Rad, als er die<br />
Ziellinie in Albi auf der zehnten Etappe<br />
überquert hatte, und ließ sich auf den<br />
Lenker sinken, die Hände vors Gesicht<br />
geschlagen und nach Atem ringend. Sein<br />
Betreuer reichte ihm ein Getränk, das er<br />
schnell weggluckerte, bevor die Bestätigung<br />
kam, dass er die Etappe gewonnen<br />
hatte. Van Aert war mit einem Tigersprung<br />
einige Zentimeter vor Elia Viviani<br />
über die Linie gehechtet, bevor er die<br />
Arme jubelnd hochriss und einen lauten<br />
Jubelschrei ausstieß.<br />
Der Belgier war schon vor der Tour der<br />
Goldjunge seines Heimatlandes gewesen<br />
– drei Cross-Weltmeistertitel bis zum<br />
23. Lebensjahr erheben jeden Fahrer in<br />
den Superstar-Status. Als feststand, dass<br />
Van Aert <strong>2019</strong> zu Jumbo–Visma wechselte<br />
und in Vollzeit auf WorldTour-Niveau<br />
auf der Straße fahren würde, waren die<br />
Erwartungen himmelhoch, was er auch<br />
dort würde erreichen können. Noch höher<br />
wurden die Erwartungen dann nach seinem<br />
hervorragenden Frühjahr: Dritter<br />
beim Strade Bianche, Sechster bei Mailand–San<br />
Remo, Zweiter bei E3 Binck-<br />
Bank. Beim Critérium du Dauphiné gewann<br />
er zwei Etappen in Folge. Der<br />
schnelle Weg zum Tour-Debüt folgte.<br />
Man vergisst angesichts seines Palmarès<br />
leicht, dass Van Aert erst 24 und<br />
bei Straßenrennen auf höchstem Niveau<br />
ziemlich unerfahren ist. Es ist bemerkenswert,<br />
dass die Tour erst das dritte World-<br />
Tour-Etappenrennen ist, an dem er je teilgenommen<br />
hat. Angesichts des Hypes und<br />
Getöses könnte es leicht passieren, dass<br />
er unter diesem Druck einbricht oder die<br />
Schlagzeilen echten Resultaten im Weg<br />
stehen. Sein Intermezzo im Weißen Trikot<br />
zu Beginn der Tour brachte ihm noch<br />
mehr Aufmerksamkeit, bevor ein zweiter<br />
Platz hinter Sagan auf der fünften Etappe<br />
die Dinge weiter intensivierte.<br />
Das Jumbo-Management versichert,<br />
dass das Team keinen Platz für Egos habe,<br />
4Die Zahl der<br />
Siege von<br />
Wout Van<br />
Aert in <strong>2019</strong><br />
dass Fahrer gleich behandelt würden –<br />
ungeachtet ihres Status’. „Er ist bereits<br />
Weltmeister im Cyclocross, er versteht es,<br />
mit Druck umzugehen. Aber auf der anderen<br />
Seite mussten wir uns auf seine Entwicklung<br />
auf der Straße konzentrieren und<br />
haben versucht, ihm dabei zu helfen“, erklärte<br />
Plugge. „Und das hat funktioniert,<br />
denn bei der Tour de France ist alles ganz<br />
anders als im Cyclocross, da sind viel mehr<br />
Fahrer, daher muss der Prozess gut sein.“<br />
Die Tour ging gerade erst in ihren ersten<br />
Ruhetag, aber das Rennen war mehr als<br />
ein Erfolg für Jumbo. Vier Etappensiege<br />
entsprachen der besten Ausbeute seit<br />
Langem – so viele Erfolge hatte das Team<br />
zuletzt 20<strong>09</strong> gefeiert.<br />
„Das ist viel mehr, als wir gehofft hatten“,<br />
sagte auch ein strahlender Wout Van<br />
Aert über die herausragende erste Woche<br />
des niederländischen Teams.<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 75
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
WOCHE 1<br />
D I E<br />
SCHWERSTE WOCHE<br />
Die erste Woche der Tour war eine der besten seit Jahren.<br />
Procycling analysiert, was das Rennen so spannend gemacht hat.<br />
Text Sam Dansie<br />
Fotografie Getty Images<br />
© Gruber Images<br />
76 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 77
ETAPPE<br />
8<br />
SAMSTAG, 13. JULI<br />
MÂCON › SAINT-ÉTIENNE<br />
200 KM<br />
Abgesehen davon, dass er beim Giro<br />
2012 Dritter wurde, trat Thomas De<br />
Gendt im Klassement bei großen<br />
Rundfahrten nie in Erscheinung. Er war<br />
schon immer eher ein Baroudeur. Als<br />
junger Fahrer für Topsport Vlaanderen<br />
und Vacansoleil unterwegs, brachte ihm<br />
seine unbeherrschte Art nur wenig<br />
Freunde ein. Jetzt ist er selbst ein<br />
Veteran. Er hat zahlreiche Erfolge zu<br />
verzeichnen, und die Angriffe von De<br />
Gendt werden nun von seinen Kollegen<br />
mit Ehrfurcht und Respekt aufgenommen.<br />
André Greipel, ehemaliger<br />
Teamkollege, beglückwünschte den<br />
Belgier zu seinem Sieg in Saint-Étienne<br />
– nicht überraschend, denn es war<br />
wahrscheinlich einer der besten Tage<br />
in De Gendts Karriere überhaupt.<br />
Er hatte mit Alessandro De Marchi, Ben<br />
King und Niki Terpstra angegriffen und<br />
einen Abstand von bis zu fünf Minuten<br />
herausgefahren. Aber da das Gelbe<br />
Trikot durch Bonussekunden in Gefahr<br />
war, wurde der Vorsprung am Ende<br />
des letzten Anstiegs schnell auf<br />
90 Sekunden reduziert. De Gendts<br />
Führung im Klassement erledigte sich<br />
durch den Angriff von Pinot und<br />
Alaphilippe, aber der Belgier fand neue<br />
Reserven, um seinen Etappensieg zu<br />
sichern. Es ist selten, dass ein Ausreißversuch<br />
überlebt, wenn es ums<br />
Klassement geht, aber wenn diese<br />
Flucht De Gendt beinhaltet, lohnt es sich,<br />
genauer hinzusehen.<br />
D<br />
ie schwerste erste Tour-Woche<br />
überhaupt – das war Daryl Impeys<br />
Bewertung der ersten<br />
Woche nach seinem Erfolg in<br />
Brioude. Eine kleine Übertreibung sei ihm<br />
zugestanden: Nachdem er eine Karriere<br />
lang auf der Jagd nach einem Tour-Etappensieg<br />
gewesen war, hatte ihm ein Tag in<br />
der Ausreißergruppe in Gesellschaft von<br />
14 starken Fahrern den Erfolg gebracht,<br />
aber es war ein Gefühl, das vom Peloton<br />
geteilt wurde.<br />
Am zweiten Morgen eines Trios von<br />
Etappen im Zentralmassiv sagte Thibaut<br />
Pinots Groupama-FDJ-Bodyguard Stefan<br />
Küng: „Wir reden immer von den Hochgebirgsetappen<br />
und wie schwer sie sind, aber<br />
diese Art von Etappen ist schwerer, weil<br />
man die Anstiege schneller fährt, weil sie<br />
kürzer sind. Und wenn eine starke Ausreißergruppe<br />
vorn ist und einige Teams hinten<br />
Interesse an einem Sprint haben, wird<br />
Vollgas gefahren.“ Am Tag zuvor war das<br />
Peloton mehr als 3.700 Meter geklettert,<br />
die auf sieben kategorisierte und zahlreiche<br />
nicht kategorisierte Anstiege verteilt waren.<br />
Aber während er in Saint-Flour lässig<br />
an der Motorhaube eines Bora–hansgrohe-<br />
Wagens lehnte, blies Enrico Poitschke, der<br />
Leitende Sportdirektor des Teams, die<br />
Wangen auf und verwies auf das kurze<br />
Gedächtnis der Fahrer. „Jedes Jahr ist<br />
hart!“, attestierte er ihnen die Neigung,<br />
vergangene Strapazen zu vergessen. „Vielleicht<br />
vergessen die Jungs die Anstrengungen<br />
sehr schnell. Sie müssen sich voll<br />
konzentrieren und in der besten Form<br />
sein, damit sie um den Sieg kämpfen können“,<br />
sagte er.<br />
Alaphilippe genießt<br />
sein Gelbes<br />
Trikot, das er nach<br />
der dritten Etappe<br />
zum ersten Mal<br />
überstreifen durfte.<br />
Es bestand Einigkeit, dass die Eröffnungswoche<br />
der Tour <strong>2019</strong> eine Achterbahnfahrt<br />
war. Als der erste Akt nach zehn<br />
Tagen abgeschlossen war, hatten neun<br />
verschiedene Fahrer eine Etappe gewonnen<br />
und das Gelbe Trikot hatte viermal<br />
den Besitzer gewechselt. Und trotz eines<br />
von Deceuninck–Quick-Step und Ineos<br />
initiierten Überfalls bei Seitenwind auf<br />
den letzten 30 Kilometern der Etappe<br />
nach Albi lagen die Top Ten nur gut zwei<br />
Minuten auseinander. So passte es, dass<br />
die Eröffnungswoche damit endete, dass<br />
der Weltranglistenerste Julian Alaphilippe<br />
in der Champagne gewann.<br />
Im Folgenden haben wir die Gründe für<br />
diesen schwierigen Tour-Auftakt zusammengefasst.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Thomas De Gendt Lotto Soudal 5:00:17<br />
2 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:06<br />
3 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS gl. Zeit<br />
ATTACKE! WICHTIGE ANGRIFFE<br />
IN DEN ERSTEN ZEHN TAGEN<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 34:17:59<br />
2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo +0:23<br />
3 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:53<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 204<br />
2 Michael Matthews Team Sunweb 144<br />
3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 129<br />
3. ETAPPE JULIAN<br />
ALAPHILIPPE, ÉPERNAY<br />
DISTANZ ZUM ZIEL:<br />
16 KM<br />
Alaphilippe nutzte die 12,2 Prozent<br />
steile Côte de Mutigny, um in dem<br />
Moment zu entwischen, in dem die<br />
frühe Ausreißergruppe neutralisiert<br />
wurde. Er fuhr 26 Sekunden<br />
heraus und erobert auf diesem<br />
Weg das Gelbe Trikot.<br />
6. ETAPPE DYLAN<br />
TEUNS, SUPER<br />
PLANCHE DISTANZ<br />
ZUM ZIEL: 160 KM<br />
Eine elfköpfige Ausreißergruppe<br />
setzte sich kurz nach dem Start in<br />
Mülhausen ab. Dylan Teuns und<br />
Giulio Ciccone waren die letzten<br />
Überlebenden und behielten eine<br />
Minute Vorsprung. Teuns gewann<br />
die Etappe.<br />
8. ETAPPE THOMAS DE<br />
GENDT, SAINT-ÉTIENNE<br />
DISTANZ ZUM ZIEL:<br />
200 KM<br />
Der Belgier setzte sich nach dem<br />
Start in Mâcon mit einem starken<br />
Quartett ab. De Gendt setzte am<br />
Schlussanstieg zwölf Kilometer<br />
vor dem Ende mit 1:30 Minuten<br />
Vorsprung zu einem Solo an und<br />
rettete sich hauchdünn ins Ziel.<br />
78 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
WOCHE 1<br />
FROOME<br />
FEHLTE<br />
K<br />
önnte man argumentieren,<br />
dass das Team Ineos nicht so<br />
stark war wie in früheren Jahren<br />
und dass das zu einem<br />
besseren Rennen beitrug? Möglicherweise.<br />
Im Anstieg nach Planche des Belles<br />
Filles schrumpfte ihr burgunderroter<br />
Bergzug früh auf drei Fahrer zusammen<br />
– und zwei davon waren mutmaßliche<br />
Co-Kapitäne. Wie Astana-Fahrer Pello<br />
Bilbao sagte, konnte Ineos das Rennen<br />
nicht so kontrollieren wie in früheren Jahren.<br />
Er konkretisierte: „Wir haben in der<br />
Mannschaft darüber gesprochen, und<br />
Ineos kann das Rennen offensichtlich<br />
nicht so leicht dominieren. Vielleicht ist<br />
der Unterschied zwischen Ineos und anderen<br />
Teams nicht mehr so groß.“<br />
Das Team Astana bekam dann bei Seitenwind<br />
auf dem Weg nach Albi eine bö -<br />
se Abreibung verpasst. Eine ungünstig<br />
platzierte Verpflegungszone ließ sie im<br />
Windkantenrennen den Anschluss verpassen<br />
– eine Situation, die Jakob Fuglsang<br />
1:40 Minuten kostete. Eine hitzige<br />
Auseinandersetzung zwischen Fuglsangs<br />
Masseur Christian Valente und dem<br />
Sportlichen Leiter im Auto kochte in Al -<br />
bi über. „Es war bitter, 1:40 Minuten zu<br />
verlieren, wenn du jeden Tag um fünf Sekunden<br />
kämpfst“, sagte Bilbao. „Ineos<br />
hat nicht die Power gezeigt, die das Team<br />
in den vergangenen Jahren hatte, aber<br />
dann hat es im richtigen Moment, wie<br />
gestern, beide Kapitäne vorn, und fuhr<br />
sehr, sehr stark.“<br />
Aber Bilbao versicherte, dass etwas<br />
anders war. Vielleicht war es das Fehlen<br />
von Chris Froome, der verletzungsbedingt<br />
nicht teilnehmen konnte. „Wenn Froome<br />
bei einem Rennen ist, scheinen alle auf<br />
ihn zu warten und darauf, wann er sei -<br />
nen Angriff setzt“, sagte Bilbao. „Er ist<br />
der Fahrer, der den größten Ausschlag<br />
geben kann, wie er letztes Jahr am Finestre<br />
beim Giro d’Italia gezeigt hat. In gewisser<br />
Weise blockiert er vielleicht das Rennen,<br />
besonders, wenn er ein starkes Team<br />
hat, das den Verlauf des Rennens kontrollieren<br />
kann.“<br />
DAS ZENTRALMASSIV<br />
D<br />
ie diesjährige Route führte<br />
durch das wellige Terrain der<br />
Champagne mit ihren Weinbergen,<br />
die Vogesen, dann<br />
weiter südlich durch das Beaujolais, die<br />
Monts du Lyon, das Zentralmassiv und<br />
seine südlichen Ausläufer in Aveyron und<br />
Tarn. Der aus der Gegend – genauer gesagt<br />
aus Rodez – stammende AG2R-La-Mondiale-Fahrer<br />
Alexandre Geniez, der das<br />
Rennen von einem Trainingslager in den<br />
Alpen aus verfolgte, sagte: „Ich glaube,<br />
die wenigsten Teams haben mit einem<br />
so schweren Rennen gerechnet.“<br />
Er fügte hinzu: „Ich glaube, es ist eine<br />
gute Idee, früh ins Zentralmassiv zu gehen,<br />
denn normalerweise, wenn das Rennen<br />
später dorthin kommt, sind Berge wie<br />
die Pyrenäen und Alpen schon vorbei und<br />
die Gesamtwertung ist schon etabliert.“<br />
Bei den letzten drei Besuchen wurde<br />
das Zentralmassiv auf der 14. Etappe<br />
(2018), der achten Etappe (2017) und<br />
der fünften Etappe (2016) befahren. Ein<br />
Unterschied: das Fehlen einer Hügelankunft.<br />
Stattdessen entwarf Streckenchef<br />
Thierry Gouvenou hügelige Etappen mit<br />
flachen Finalen.<br />
Welliges Terrain zu finden in der Hoffnung,<br />
die Klassementfahrer aus der Reserve<br />
zu locken, ist nicht neu, aber in<br />
diesem Jahr war auf dem Plateau des Zentralmassivs<br />
ein Großteil der Route zwischen<br />
400 und 850 Meter hoch, was<br />
viel hügeliger ist als das Terrain, das man<br />
antrifft, wenn die Tour de France in den<br />
Westen führt. „Die meiste Zeit geht es<br />
über schmale Straßen und es ist nie flach“,<br />
sagte Geniez weiter. „Die Straßen führen<br />
immer im Zickzack und es kann heiß und<br />
windig sein.“<br />
Hat die Tour vielleicht ein Rezept gefunden,<br />
um ein hypertrainiertes Peloton<br />
aufzubrechen, in dem, wie Lotto-Fahrer<br />
Jens Keukeleire sagte, „alle bei 100 Prozent“<br />
sind? Im letzten Jahr hatten am<br />
ersten Ruhetag nach der neunten Etappe<br />
nur zwei Fahrer mehr als eine Stunde<br />
Rückstand auf das Gelbe Trikot. In diesem<br />
Jahr kam der Ruhetag einen Tag später,<br />
aber stolze 86 Fahrer wiesen mehr als<br />
60 Minuten Rückstand auf Gelb auf.<br />
Das Zentralmassiv hielt zahlreiche giftige<br />
Anstiege für das Peloton bereit.<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 79
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
WOCHE 1<br />
FRANZÖSISCHE ALLIANZ<br />
Julian Alaphilippe<br />
und Thibaut Pinot<br />
attackierten auf<br />
der achten Etappe<br />
gemeinsam.<br />
B<br />
ora–hansgrohe-Sportdirektor<br />
Enrico Poitschke wollte die<br />
Behauptung, die Eröffnungswoche<br />
der Tour <strong>2019</strong> sei die<br />
schwerste aller Zeiten gewesen,<br />
so nicht stehen lassen. Er räumte<br />
jedoch ein: „Viele Teams haben verschiedene<br />
Optionen und verschiedene Ziele –<br />
und das ist uns sehr wichtig.“<br />
Als er das sagte – an dem Vormittag, an<br />
dem die Tour Saint-Flour verließ und sich<br />
auf ihren windigen Weg nach Albi machte –,<br />
war er ein ziemlich zufriedener Mann. Im<br />
Laufe der ersten Tour-Woche war für das<br />
deutsche Team ein Etappensieg herausgesprungen<br />
und es hatte das Grüne Trikot mit<br />
Minctis esequi<br />
sus aliquCearum<br />
fugit, optaturem<br />
quis etur? Lit veliqui<br />
occae pra<br />
ATTACKE! WICHTIGE ANGRIFFE<br />
IN DEN ERSTEN ZEHN TAGEN<br />
8. ETAPPE<br />
ALAPHILIPPE, SAINT-<br />
ETIENNE DISTANZ ZUM<br />
ZIEL: 12 KM<br />
Julian Alaphilippe attackierte mit<br />
Thibaut Pinot am Hinterrad an<br />
der Côte de Jaillère. Die beiden<br />
Franzosen arbeiteten gut<br />
zusammen und setzten sich vom<br />
Peloton ab. Die Lücke zu De Gendt<br />
konnten sie am Ende aber nicht<br />
mehr schließen.<br />
9. ETAPPE DARYL<br />
IMPEY, BRIOUDE<br />
DISTANZ ZUM ZIEL:<br />
150 KM<br />
Die 14-köpfige Ausreißergruppe<br />
mit Daryl Impey fuhr einen entscheidenden<br />
Vorsprung heraus.<br />
An der Côte de Saint-Just 13 Kilometer<br />
vor dem Ziel attackierte<br />
Benoot mit Jasper Stuyven. Impey<br />
schloss zu ihnen auf und gewann<br />
den Sprint.<br />
Peter Sagan immer fester im Griff. „Ich<br />
glaube, wir haben es sehr gut gemacht.“<br />
Er fügte hinzu: „Bei vielen Etappen ging<br />
es darum, um Positionen zu kämpfen. Ich<br />
habe keine Fehler gesehen.“ Und am Ende<br />
des Tages war er noch glücklicher: Sein<br />
Hoffnungsträger für die Gesamtwertung,<br />
Emanuel Buchmann, war heil aus dem Seitenwind<br />
hervorgegangen, nachdem er auf<br />
den von Deceuninck–Quick-Step und Ineos<br />
angetriebenen D-Zug aufgesprungen war,<br />
der das Peloton zerriss und Thibaut Pinot,<br />
Jakob Fuglsang, Rigoberto Urán und Richie<br />
Porte 1:40 Minuten kostete. Im Ziel lag<br />
Buchmann nur 33 Sekunden hinter Geraint<br />
Thomas in der Gesamtwertung.<br />
Es war eine gute Woche für spannende<br />
Taktiken. Bis zum Seitenwind auf der<br />
zehnten Etappe war die achte Etappe nach<br />
Saint-Etienne die beste gewesen: Eine<br />
ausreißerfreundliche Etappe, die vier starke<br />
Fahrer nutzten – einige ausgewiesene<br />
Fluchtspezialisten des Pelotons: Thomas<br />
De Gendt, sein Double Alessandro De<br />
Marchi, Ben King und Niki Terpstra. Dahinter<br />
hatte Überraschungsspitzenreiter<br />
Giulio Ciccone sechs Sekunden Vorsprung<br />
auf Julian Alaphilippe. Es gab einen Bonussprint<br />
12,5 Kilometer vor dem Ziel<br />
auf der Kuppe der Côte de la Jaillère, die<br />
1,9 Kilometer lang und 7,6 Prozent steil<br />
war. Ein solches Szenario war perfekt für<br />
das Rennen. „Das ganze Peloton wusste,<br />
dass Alaphilippe attackieren würde“, sagte<br />
Michał Kwiatkowski am nächsten Tag.<br />
10. ETAPPE WOUT<br />
VAN AERT, ALBI<br />
DISTANZ ZUM ZIEL:<br />
30 KM<br />
Ineos und Deceuninck schwärmten<br />
bei Seitenwind nach vorn und<br />
rissen das Feld mit den Favoriten<br />
in zwei Teile. Mehrere Klassementfahrer<br />
landeten auf der falschen<br />
Seite – unter anderem Thibaut<br />
Pinot und Jakob Fuglsang. Wout<br />
Van Aert gewann den Sprint.<br />
Dann stürzte der Ineos-Zug in einer<br />
schnellen Rechtskurve vor dem Anstieg.<br />
Geraint Thomas schloss zwar rasch wieder<br />
auf, aber da war Pinot schon mit<br />
Alaphilippe entwischt, um die Zeitgutschriften<br />
einzuheimsen, und De Gendt<br />
war immer noch vorn. De Gendt gewann<br />
und Pinot und Alaphilippe fuhren 20 Sekunden<br />
vor dem Feld ins Ziel. Vorteil<br />
Frankreich: Alaphilippe machte die nötige<br />
Zeit gut, um Giulio Ciccone das Gelbe<br />
Trikot wieder abzunehmen, und Pinot<br />
war auf den dritten Platz der Gesamtwertung<br />
geklettert.<br />
Küng fasste es gut zusammen, als er<br />
sagte: „Es gab mehrere Rennen im Rennen,<br />
und am Ende kam Thomas De Gendt<br />
mit einem superben Ritt durch. Und es<br />
gab auch das Interesse, dass Alaphilippe<br />
das Gelbe Trikot zurückholte – es war<br />
sicher, dass er attackieren würde, und<br />
glücklicherweise konnte Thibaut darauf<br />
reagieren“, sagte der Schweizer.<br />
„Wenn du die Teams siehst, die Tempo<br />
machten: Es waren Trek für das Gelbe Trikot,<br />
dann Sunweb und Bora für den Etappensieg<br />
und dann Astana und EF, um das<br />
Rennen schwer zu machen für Fuglsang<br />
und Woods – das hat die Etappe wirklich<br />
schwer gemacht.“<br />
80 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
ETAPPE<br />
9<br />
SONNTAG, 14. JULI<br />
SAINT-ÉTIENNE › BRIOUDE<br />
170,5 KM<br />
Lotto Soudal<br />
schickte seine<br />
Fahrer in der<br />
ersten Tour-Woche<br />
ständig in die<br />
Spitzengruppen.<br />
4Etappensiege<br />
aus Fluchtgruppen<br />
während der<br />
ersten zehn<br />
Tage<br />
AUF SIEG<br />
SPIELEN<br />
F<br />
ür den Juli schmückte sich die<br />
staatliche belgische Lotterie<br />
mit einem Logo mit gelbem<br />
Laufrad und dem Slogan „Tour<br />
de Chance“. Es war das Motto, nach dem<br />
das Team, das man sponsert, Lotto Soudal,<br />
lebte. Wenn es ein Sprint war, arbeitete<br />
das Team für Caleb Ewan, aber an allen<br />
anderen Tagen brachte es einen Fahrer in<br />
der Ausreißergruppe unter. Bis zur zehnten<br />
Etappe hatten drei Fahrer – De Gendt,<br />
Tim Wellens und Tiesj Benoot – insgesamt<br />
fast 950 Kilometer in Ausreißergruppen<br />
verbracht. Das Team hatte eine<br />
Etappe gewonnen, acht Tage lang das<br />
Bergtrikot getragen, viermal den Prix de<br />
la Combativité verliehen bekommen und<br />
Ewan war bei jedem Sprint in die Top Drei<br />
gefahren. Sein Durchbruch kam, als er die<br />
elfte Etappe in Toulouse gewann.<br />
Nach De Gendts Etappensieg, den er<br />
als schönsten seiner Karriere bezeichnete,<br />
sagte Lotto-Manager Marc Sergeant: „Jamais<br />
vu!“ – Beispiellos! Das Team konnte<br />
seine Tour bereits als Erfolg betrachten.<br />
Sergeant sagte zu Procycling: „Andere<br />
Sportliche Leiter haben mir gesagt, sie<br />
wollten bis zur letzten Woche warten,<br />
aber warum warten? In der letzten Woche<br />
wollen alle in der Ausreißergruppe sein<br />
und dann hast du Gruppen mit 30 Fahrern.<br />
In der letzten Woche hat die Gesamtwertung<br />
schon Gestalt angenommen,<br />
und dann lassen sie 30 Jungs, die<br />
15, 20 oder mehr Minuten Rückstand<br />
haben, fahren. Aber du weißt nie, was<br />
passiert. Wir warten nicht darauf.“<br />
Am nächsten Tag ging Benoot in eine<br />
starke Ausreißergruppe und hätte den<br />
Sieger Impey auf dem letzten Kilometer<br />
fast noch abgeschüttelt. Dann gewann<br />
Impey als vierter Fahrer aus einer Ausreißergruppe<br />
vor dem ersten Ruhetag in<br />
diesem Jahr – eine Zahl, die seit der<br />
20<strong>09</strong>er-Auflage des Rennens nicht mehr<br />
erreicht wurde.<br />
Sergeant fügte hinzu: „Ich verstehe die<br />
Teams mit einem Klassementfahrer, aber<br />
wenn man keinen hat, muss man in die<br />
Ausreißergruppen gehen, attackieren und<br />
sich blicken lassen. Als De Gendt gewann,<br />
hat es in Belgien niemanden mehr auf seinem<br />
Sitz gehalten. Und das sind die Emotionen,<br />
die wir für den Sponsor brauchen.“<br />
Das Profil der neunten Etappe zwischen<br />
Saint-Étienne und Brioude deutete<br />
bereits die Möglichkeiten für eine<br />
Ausreißergruppe an. So bildete sich<br />
auch nur wenige Kilometer nach dem<br />
Start eine 14-köpfige Gruppe, die Fahrer<br />
fast aller Teams beinhaltete – etwa<br />
Oliver Naesen, Marc Soler und den<br />
späteren Gewinner, Daryl Impey. Das<br />
Team von Impey, Mitchelton-Scott, hatte<br />
diese Etappe für Impey oder seinen<br />
Teamkollegen Matteo Trentin vorgesehen.<br />
Julian Dean, der Sportdirektor des<br />
Teams, erklärte, dass neben der<br />
Konzentration auf Adam Yates’<br />
Gesamtplatzierung so etwas der Druck<br />
vom Team genommen wurde. Nach und<br />
nach reduzierte sich die Gruppe auf die<br />
stärksten Fahrer des Tages. An der Côte<br />
de Saint-Juste, 13 Kilometer vor dem Ziel,<br />
gingen Tiesj Benoot und Nicolas Roche<br />
in die Offensive. Roche musste jedoch<br />
Tempo herausnehmen und Impey, der<br />
seine Karriere als Sprinter begonnen<br />
hatte, konnte auf die beiden aufschließen.<br />
Als er sie eingeholt hatte, war<br />
Roche erschöpft, also war er mit Benoot<br />
alleine vorn. Besser hätte es Impey nicht<br />
treffen können, da er der deutlich stärkere<br />
Sprinter für dieses Finale war. So war<br />
sein Sieg auf der Ziellinie gegen<br />
Benoot nur die Kür einer sonst<br />
anstrengenden Etappe.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Daryl Impey Mitchelton-Scott 4:03:12<br />
2 Tiesj Benoot Lotto Soudal gl. Zeit<br />
3 Jan Tratnik Bahrain Merida +0:10<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 38:37:36<br />
2 Giulio Ciccone Trek-Segafredo +0:23<br />
3 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:53<br />
BERGWERTUNG<br />
1 Tim Wellens Lotto Soudal 43<br />
2 Thomas De Gendt Lotto Soudal 37<br />
3 Guilio Ciccone Trek-Segafredo 30<br />
© Kramon (groß)<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 81
ETAPPE<br />
10<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
WOCHE 1<br />
MONTAG, 15. JULI<br />
SAINT-FLOUR › ALBI<br />
217,5 KM<br />
Frankreich liebt seine Kreisverkehre.<br />
Mehr als 30.000 gibt es im ganzen Land.<br />
Man sollte also denken, dass französische<br />
Fahrer ein gewachsenes Gespür<br />
dafür besitzen, den schnellsten Weg<br />
durch sie zu finden. Doch Thibaut Pinot<br />
von Groupama-FDJ war einer der<br />
Verlierer, als die Spitze des Pelotons mit<br />
Seitenwind einen großen Kreisverkehr<br />
rund 30 Kilometer nördlich von Albi<br />
erreichte. Als Ineos den langen – also<br />
falschen – Weg um den Kreisel fuhr und<br />
einige der Klassementfahrer folgten,<br />
hatte das britische Team ausreichend<br />
Kraft, diesen Fehler sofort zu korrigieren.<br />
Als es zurück an die Spitze kam,<br />
schloss es sich direkt mit Deceuninck-<br />
Quick-Step zusammen, und während<br />
einer französischen TV-Werbepause<br />
hatte sich das Peloton in zwei Teile<br />
geteilt. Geraint Thomas, Egan Bernal und<br />
Julian Alaphilippe hielten das Tempo<br />
bewusst hoch, während Richie Porte,<br />
Pinot, Jakob Fuglsang und Rigoberto<br />
Urán Zeit auf ihre Konkurrenten<br />
verloren. Fuglsangs Teamkollege Luis<br />
León Sánchez versuchte zwar, die erste<br />
Gruppe einzuholen, doch die Lücke<br />
wurde nicht geschlossen und wuchs<br />
auf 1:40 Minuten an. Wout Van Aert<br />
gewann den Sprint dieses Tages, der<br />
die Gesamtwertung deutlich veränderte.<br />
So torpedierte ein einziger französischer<br />
Kreisverkehr die Gewinnchancen des<br />
französischen Favoriten Pinot.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Wout Van Aert Jumbo–Visma 4:49:39<br />
2 Elia Viviani Deceuninck–QS gl. Zeit<br />
3 Caleb Ewan Lotto Soudal gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 43:27:15<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />
3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />
BERGWERTUNG<br />
1 Tim Wellens Lotto Soudal 43<br />
2 Thomas De Gendt Lotto Soudal 37<br />
3 Giulio Ciccone Trek-Segafredo 30<br />
82 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Michael Schär<br />
führt die Spitzengruppe<br />
auf der<br />
zehnten Etappe an.<br />
DER<br />
PARCOURS<br />
W<br />
ie Lotto Soudals Belgier Jens<br />
Keukeleire sagte, trug die Streckengestaltung<br />
zur Qualität<br />
des Rennens in diesem Jahr<br />
bei. „Nicht so langweilig, oder?“, sagte er<br />
lächelnd. „Ich glaube wirklich, das liegt<br />
an der Strecke. Wenn du dir die Etappenprofile<br />
anschaust, sind da viele Teams und<br />
Fahrer, wo du sagst, sie werden heute<br />
wahrscheinlich den Etappensieg anpeilen“,<br />
sagte er zu Procycling am ersten Ruhetag<br />
im Mannschaftshotel in Castres.<br />
"Das war wirklich aufregend. Es war<br />
meine erfreulichste erste Woche bei der<br />
Tour.“ Er verglich es mit früheren Jahren:<br />
„Ich erinnere mich, dass man früher zwei<br />
oder drei von diesen langen und langweiligen<br />
Flach etappen hatte, und in diesem<br />
Jahr hatten wir davon nur eine. Außerdem<br />
dauerte es im letzten Jahr neun Tage, bis<br />
eine echte Bergetappe kam.“<br />
„WENN DU DIR DIE PROFILE<br />
ANSCHAUST, SIND DA VIELE TEAMS<br />
UND FAHRER, WO DU SAGST, SIE<br />
WERDEN HEUTE WAHRSCHEINLICH<br />
DEN ETAPPENSIEG ANPEILEN.“<br />
Jens Keukeleire, Lotto Soudal<br />
In diesem Jahr kam auf der sechsten<br />
Etappe der erste Berg und der sogenannte<br />
„Super Planche“-Anstieg, der mit einem<br />
Kilometer Schotterpiste oberhalb des Skigebiets<br />
von Planche des Belles Filles in<br />
den Vogesen endete. Aus verschiedenen<br />
Gründen hatte die Etappe keine Auswirkungen<br />
auf die Gesamtwertung – anders<br />
als in vergangenen Jahren, als ein Fahrer<br />
hier das Gelbe Trikot holte und bis nach<br />
Paris trug. Eine Ausreißergruppe, die<br />
zweite des Rennens, machte den Etappensieg<br />
unter sich aus, und ein dritter neuer<br />
Fahrer, Giulio Ciccone von Trek-Segafredo,<br />
holte das Gelbe Trikot. Als sich der Staub<br />
gelegt hatte, hatten 14 Fahrer nicht mehr<br />
als 2:02 Minuten Abstand auf ihn. „Wir<br />
haben die 15 besten Klassementfahrer<br />
gesehen, aber wir haben keinen großen<br />
Kampf gesehen“, sagte Keukeleire.<br />
„Bevor das Rennen das Zentralmassiv<br />
erreichte, hatte das Peloton zwei Tage, wo<br />
wir dachten, das könnte ein Sprint sein<br />
oder etwas für Alaphilippe. Es ist mir wirk -<br />
lich aufgefallen, als wir einen ersten Blick<br />
auf den diesjährigen Parcours geworfen<br />
hatten, dass es eine schöne erste Woche<br />
der Tour würde“, fügte der Belgier hinzu.<br />
Arkea-Samsics Tour-Veteran Amaël<br />
Moinard sagte, die Fahrer hätten härter<br />
arbeiten müssen und seien erschöpfter.<br />
„Die Müdigkeit, die sich zu Beginn der<br />
Tour ansammelt, bedeutet, dass es am<br />
Ende sehr weh tun wird“, warnte der<br />
Franzose bei seiner elften Tour. „Es werden<br />
Fahrer einbrechen.“<br />
Vielleicht hatte Daryl Impey mit seiner<br />
Aussage ja doch recht.<br />
© Chris Auld<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 83
DER<br />
VERZWEIFELTE<br />
KAMPF<br />
Interview Sophie Hurcom Fotografie Chris Auld<br />
84 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
Nach der 10. Etappe der Tour<br />
war es nachts um halb eins, als<br />
Michael Matthews einschlafen<br />
konnte. Er ließ die letzten 200 Meter des<br />
Sprints in Albi am Nachmittag immer<br />
wieder in seinem Kopf ablaufen. Zum achten<br />
Mal war er in die Top Ten gefahren.<br />
Heute war er Vierter geworden.<br />
Wenn er den Sprint nur früher angezogen<br />
hätte, dachte er immer wieder, wäre<br />
niemand an ihm vorbeigekommen und er<br />
hätte gewonnen. 400 Meter vor der Linie<br />
war Matthews gut positioniert am dritten<br />
Hinterrad. 350 Meter vor der Linie zog<br />
Cees Bol, sein Teamkollege und Tour-<br />
Debütant, für ihn den Sprint an. Das Ziel<br />
war direkt vor ihnen. 200 Meter vor der<br />
Linie machte Bol noch immer Tempo, aber<br />
ihm ging die Puste aus und die Meute um<br />
sie herum schwoll an. Als sein Teamkollege<br />
ausgeschert war, war Matthews eingeklemmt<br />
und hatte seinen Schwung<br />
verloren. Er versuchte, noch einmal zu<br />
beschleunigen, aber Wout Van Aert und<br />
Elia Viviani waren bereits an ihm vorbeigezogen.<br />
Es war zu spät.<br />
Am nächsten Morgen, am ersten Ruhetag<br />
der Tour, lässt Matthews den Moment<br />
noch immer Revue passieren, wieder und<br />
wieder. „Es ist frustrierend, wenn du<br />
weißt, dass es der Sieg hätte sein müssen,<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
MICHAEL<br />
MATTHEWS<br />
Michael Matthews’ Tour-Planung wurde auf<br />
den Kopf gestellt, als sein Teamkollege Tom<br />
Dumoulin seinen Start zwei Wochen vor dem<br />
Grand Départ absagte und er der einzige<br />
Kapitän von Sunweb wurde. Der Australier<br />
erzählt Procycling, wie er das Beste aus einer<br />
schwierigen Situation machte.<br />
aber du zu lange gewartet hast. Wenn du<br />
nicht die Beine hattest oder du gestürzt<br />
bist, kannst du es nehmen, wie es ist, aber<br />
wenn du weißt, dass du die Beine hattest,<br />
um es zu Ende zu bringen, ist es wahrscheinlich<br />
am schwersten zu akzeptieren“,<br />
sagt er zu Procycling mit einem fast mutlosen<br />
Seufzer.<br />
Auf der 1. Etappe unterlag er Mike Teunissen<br />
im Massensprint. Auf der 3. Etappe<br />
bei der steilen Hügelankunft in Épernay<br />
musste er sich Julian Alaphilippe geschlagen<br />
geben. Auf der 4. Etappe wurde er<br />
Neunter hinter Viviani. Auf der 5. Etappe<br />
nach Colmar und einem weiteren Top-<br />
Ten-Platz schien er überfordert zu sein.<br />
Die wellige Etappe hatte drei kategorisierte<br />
Anstiege aufgewiesen, was perfekt für einen<br />
Sprinter-Puncheur wie Matthews war.<br />
Sein Team hatte die Route ausgekundschaftet<br />
und auf der Straße Tempo gemacht,<br />
aber all das reichte immer noch<br />
nicht und Matthews wurde von seinem<br />
Angstgegner Peter Sagan geschlagen.<br />
Während die Fahrer nach einer Etappe<br />
normalerweise sofort im Bus verschwinden,<br />
schien Matthews überall hingehen zu<br />
wollen, nur nicht dorthin. Er rollte so langsam<br />
durch den geparkten Konvoi, dass<br />
sich seine Beine kaum drehten. Sein Kopf<br />
hing, der Blick war auf den Boden ge-<br />
ETAPPE<br />
11<br />
MITTWOCH, 17. JULI<br />
ALBI › TOULOUSE<br />
167 KM<br />
„Der sichere Weg zum Erfolg ist immer,<br />
es doch noch einmal zu versuchen.“<br />
(Thomas Edison) Caleb Ewan scheint<br />
dieses Motto verinnerlicht zu haben. In<br />
den letzten Jahren musste der australische<br />
Sprinter neben seinen Siegen auch<br />
mehrere Niederschläge verkraften.<br />
Vielleicht war die Tatsache, dass keiner<br />
seiner Konkurrenten bei der Tour<br />
dominieren konnte, ein kleiner Trost.<br />
In Toulouse hatte Ewan auf einen<br />
klassischen Sprintzug verzichtet – ein<br />
Schachzug, bei dem sich ein paar seiner<br />
Teamkollegen fragten, inwieweit sie<br />
eine nützliche Rolle im Tour-Aufgebot<br />
spielen konnten – stattdessen hatte er<br />
sich dafür entschieden, sich an ein<br />
geeignetes Vorderrad zu heften. Das<br />
hatte schon einige Male fast funktioniert,<br />
weshalb er bei dieser Strategie blieb.<br />
So folgte Ewan dem Hinterrad des<br />
Jumbo–Visma-Sprinters Dylan Groenewegen.<br />
Nachdem Groenewegen seinen<br />
Sprint angezogen und etwa eine<br />
Radlänge herausgefahren hatte, kam die<br />
Attacke von Ewan. Er beschleunigte,<br />
fuhr in den Windschatten des Holländers<br />
und zog vor der Ziellinie an ihm vorbei.<br />
Auch Viviani, der als Dritter finishte,<br />
hatte keine Chance.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Caleb Ewan Lotto Soudal 3:51:26<br />
2 Dylan Groenewegen Jumbo–Visma gl. Zeit<br />
3 Elia Viviani Deceuninck–QS gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
„ABENDS IST ES ZIEMLICH SCHWER,<br />
INS BETT ZU GEHEN. ES GEHEN DIR IMMER<br />
NOCH 1.000 SACHEN DURCH DEN KOPF.“<br />
Michael Matthews, Sunweb<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 47:18:41<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />
3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 257<br />
2 Elia Viviani Deceuninck–QS 184<br />
3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 174<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 85
ETAPPE<br />
12<br />
DONNERSTAG, 18. JULI<br />
TOULOUSE ›<br />
BAGNÈRES-DE-BIGORRE<br />
2<strong>09</strong>,5 KM<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
MICHAEL<br />
MATTHEWS<br />
© Yuzuru Sunada (Yates)<br />
Über solche Etappen wird oft gesagt,<br />
dass es eigentlich zwei Rennen in einem<br />
gibt – eines um den Etappensieg, das<br />
andere um die Platzierung im Gesamtklassement.<br />
So mussten die Fernsehkommentatoren<br />
die fast zehnminütige<br />
Lücke schließen, die zwischen Simon<br />
Yates, der im Sprint vor Pello Bilbao und<br />
Gregor Mühlberger gewann, und den<br />
Favoriten entstanden war, die scheinbar<br />
entspannt und ohne größere Ambitionen<br />
für diesen Tag gemeinsam ins Ziel<br />
fuhren. Diese erste Etappe in den<br />
Pyrenäen war schwer zu beurteilen.<br />
Verglichen mit den folgenden Alpenabschnitten<br />
oder den beiden schweren<br />
Pyrenäenetappen nach dem Zeitfahren<br />
des nächsten Tages war es für Yates ein<br />
leichtes Spiel. Der Col de Peyresourde<br />
und Hourquette d’Ancizan, beides<br />
Anstiege der ersten Kategorie, versetzten<br />
das Peloton nicht wirklich in Unruhe;<br />
stattdessen zog Luke Rowe von Ineos<br />
– eigentlich ein Fahrer für flachere<br />
Etappen – das Feld über die Gipfel und<br />
bis zur Ziellinie. So lag die gesamte Spannung<br />
an der Spitze des Rennens. Yates’<br />
Teamkollege Matteo Trentin holte an<br />
der letzten Bergwertung, dem Hourquette<br />
d’Ancizan, den bis dahin Führenden<br />
Simon Clarke ein, konnte jedoch dem<br />
Tempo von Yates und Mühlberger nicht<br />
folgen. In der Abfahrt gelang es Pello<br />
Bilbao, zum Spitzenduo aufzuschließen,<br />
jedoch holte sich Yates den Tagessieg.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Simon Yates Mitchelton-Scott 4:57:53<br />
2 Pello Bilbao Astana gl. Zeit<br />
3 Gregor Mühlberger Bora–hansgrohe gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 52:26:<strong>09</strong><br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />
3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />
NACHWUCHSWERTUNG<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 52:27:25<br />
2 Enric Mas Deceuninck–QS +0:30<br />
3 David Gaudu Groupma-FDJ +3:16<br />
richtet. Jede Menge Gedanken müssen<br />
ihm durch den Kopf gegangen sein. Was<br />
konnte er sonst noch tun?<br />
Matthews trug sein Herz immer auf der<br />
Zunge, ob er gewonnen oder verloren hatte.<br />
Er beantwortete Fragen vor und nach<br />
jeder Etappe, und er antwortete umfassend,<br />
auch wenn er sichtbar frustriert oder<br />
ratlos war. Am Ruhetag lächelt er, als er<br />
uns begrüßt, und setzt sich hin, aber er<br />
spricht langsam und macht sehr lange<br />
Pausen, während er einatmet und nachdenkt.<br />
Eine Blase, die so intensiv und<br />
druckvoll ist wie die Tour, kann das Rennen<br />
zu einem einsamen Ort macht. Es gibt<br />
wenige Orte, wo man sich die Wunden<br />
lecken und regenerieren kann. Fahrer, zumindest<br />
die erfolgreichsten, sind in der<br />
Lage, sich aufzurappeln und es am nächsten<br />
Tag wieder zu probieren, selbst wenn<br />
sie nicht wollen.<br />
„Bei der Tour de France, wo so viele<br />
Journalisten sind, wo du ständig darüber<br />
sprichst, sieht es jeder, wenn du einen<br />
Fehler machst. Die ganze Welt sieht es,<br />
und dann bekommst du immer dieselben<br />
Fragen gestellt“, erklärt uns Matthews.<br />
„Ich habe eine wirklich gute Gruppe um<br />
mich, die an mich glaubt. Ich glaube, das<br />
hilft mir definitiv, am nächsten Morgen<br />
aufzustehen und weiterzumachen.<br />
Abends ist es ziemlich schwer, ins Bett<br />
zu gehen. Es gehen dir immer noch 1.000<br />
Sachen durch den Kopf – wo du einen<br />
Fehler gemacht hast oder was passiert ist<br />
oder sonst etwas“, sagt der Australier.<br />
35<br />
Karrierensiege<br />
für Matthews<br />
– doch nur<br />
zwei davon<br />
fuhr er bis<br />
Ende Juli im<br />
Jahr <strong>2019</strong> ein<br />
Für Matthews<br />
war der Wechsel<br />
seines Tourplans<br />
in letzter Minute<br />
eine große mentale<br />
Herausforderung.<br />
Vor zwei Jahren lief bei der Tour für Matthews<br />
alles wie am Schnürchen. Er gewann<br />
zwei Etappen und sein erstes Grü -<br />
nes Trikot, während sein Teamkollege<br />
Warren Barguil ebenfalls zwei Tageserfolge<br />
und das Gepunktete Trikot holte. Sechs<br />
Wochen zuvor hatte Tom Dumoulin mit<br />
dem Giro d’Italia die erste große Rundfahrt<br />
für das deutsche Team gewonnen.<br />
Sie ritten auf einer Welle.<br />
Aber nichts ist sicher im Radsport. In<br />
diesem Jahr ging alles schief, was schiefgehen<br />
konnte. Bis Juli hatte Sunweb nur sechs<br />
Siege zu Buche stehen, mit die wenigsten in<br />
der WorldTour. Ihr Talisman Dumoulin<br />
musste den Giro nach einem Sturz aufgeben.<br />
Er war für die Tour vorgesehen, doch<br />
zwei Wochen vor dem Grand Départ sagte<br />
er den Start wegen Knieproblemen ab. In<br />
Frankreich kursierten Gerüchte, der Holländer<br />
sei kurz davor, das Team zu verlassen.<br />
Matthews hatte sich das ganze Frühjahr<br />
darauf vorbereitet, bei der Tour als<br />
Helfer für Dumoulin zu fahren, was bedeutete,<br />
dass er seine eigenen Ambitionen<br />
weitgehend hintanstellte. Dann fand er<br />
sich plötzlich im Niemandsland wieder.<br />
Der langlebige Sprinter war jetzt der<br />
De-facto-Teamkapitän, hatte sich aber<br />
nicht darauf vorbereitet.<br />
„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass<br />
ich jeden Tag diese Etappensiege anpeile.<br />
Ich war mental nicht darauf vorbereitet.<br />
2017 hatte ich mich geistig darauf eingestellt,<br />
dass ich jeden Tag um den Etappensieg<br />
kämpfe und um die Zwischensprints.<br />
Ich habe viel Planung dort reingesteckt,<br />
daher war ich mental und physisch bereit.<br />
Jetzt glaube ich, dass ich physisch bereit<br />
bin, aber mental wahrscheinlich nicht da,<br />
wo ich sein sollte, um auf jeder Etappe mit<br />
den besten Sprintern zu kämpfen.“<br />
Sein Chefanfahrer Bol, ein Neuprofi,<br />
war nach Dumoulins Ausfall kurzfristig<br />
ins Aufgebot genommen worden. Das Paar<br />
war zuvor nur einmal, bei der Flandern-<br />
Rundfahrt, zusammen gefahren. Verständlicherweise<br />
dauerte es ein bisschen,<br />
bis sie aufeinander eingespielt waren, und<br />
jede Etappe war für sie sowohl eine steile<br />
Lernkurve als auch ein großes Ziel. Als<br />
Matthews mit jedem Tag verzweifelter<br />
um den Sieg kämpfte, war es auch wahrscheinlicher,<br />
dass er Fehler machte. Je<br />
mehr er es wollte, umso mehr liefen er<br />
und sein Team Gefahr, sich zu sehr den<br />
Kopf zu zerbrechen. „Das hat mich wahrscheinlich<br />
mental ein bisschen blockiert,<br />
wenn ich in die Sprints ging, zu denken:<br />
Oh, ich sollte da sein, ich sollte dort sein,<br />
86 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
ich sollte dies und jenes tun, statt einfach<br />
meinem Renninstinkt zu folgen, denn darin<br />
bin ich am besten.“<br />
Auch körperlich war Matthews anders.<br />
Er hatte ein mehrwöchiges Höhentraining<br />
vor dem Rennen gemacht, an seinem Klettern<br />
gearbeitet, um Dumoulin besser zu<br />
unterstützen. Er hatte Zeitfahren trainiert,<br />
da die Teamprüfung auf der 2. Etappe für<br />
einen Klassementfahrer wichtig war. Seine<br />
Ausdauer war gut, und Matthews fühlte<br />
sich fitter als vorher, aber die Veränderungen<br />
beeinträchtigten seine Explosivität.<br />
Der Stachel war ihm gezogen worden:<br />
„Nicht so bissig, so feurig, so explosiv zu<br />
sein wie in früheren Jahren, beeinträchtigt<br />
mich wahrscheinlich ein bisschen.“<br />
Sunwebs Teamchef Iwan Spekenbrink<br />
träumte davon, seine Equipe nach dem<br />
Mannschaftszeitfahren in Brüssel auf<br />
dem Podium zu sehen. Der Tag hätte ein<br />
Signal der Stärke sein sollen bei Dumoulins<br />
Versuch, das Gelbe Trikot zu erobern<br />
– und ein passendes Symbol für die Einheit<br />
des Teams.<br />
Selbst ohne Dumoulin war Matthews<br />
entschlossen, alles zu geben. Da kein<br />
Mannschaftsbus im Zielbereich stand,<br />
kollabierte er im Mannschaftswagen und<br />
ließ sich dort auf die Vordersitze fallen.<br />
Als er sich schließlich aufrichtete, wischte<br />
ein Masseur sein nasses Gesicht ab, während<br />
er seinen Kopf in seinen Händen<br />
hielt. Als er aufstand, musste er gestützt<br />
werden, bevor er vorsichtige Schritte in<br />
Richtung Rollentrainer machte.<br />
„Ich habe einfach alles gegeben, was ich<br />
hatte, und noch mehr, und als ich die Linie<br />
überquerte, kann ich ehrlich sagen, hätte<br />
ich nicht eine Pedalumdrehung mehr hingekriegt“,<br />
sagt er. „Dem Team und Iwan zu<br />
zeigen, dass es mir auch so viel bedeutete,<br />
war für sie schön zu sehen.“<br />
2017 war Matthews in derselben Position.<br />
Er fuhr regelmäßig in die Top Ten,<br />
konnte zunächst aber nicht gewinnen. Er<br />
gab nicht auf, und auf der 14. Etappe nach<br />
Rodez hatte er Erfolg. Zwei Tage später ein<br />
weiterer Sieg. Nichts konnte ihn aufhalten,<br />
und in Paris trug er das Grüne Trikot. Ob<br />
Matthews senkt<br />
den Kopf, als er<br />
auch in Saint-Étienne<br />
den Etappensieg<br />
verpasst hat.<br />
8<br />
GRAND-TOUR-<br />
ETAPPENSIEGE<br />
TDF Vuelta Giro<br />
<strong>2019</strong> eine weitere Wende bringen würde,<br />
war fraglich. Während einst alles zu Gold<br />
wurde, was das Team anfasste, zerfiel<br />
<strong>2019</strong> stattdessen alles zu Staub. Aber es<br />
zeugte von Matthews’ Entschlossenheit,<br />
dass er nicht aufhörte, es zu versuchen.<br />
GRAND-TOUR-TRIO<br />
Auch wenn er <strong>2019</strong> keine Etappe<br />
gewinnen konnte, bleibt Michael<br />
Matthews einer von nur 19<br />
aktiven Fahrern, die bei jeder<br />
Grand Tour mindestens einmal<br />
siegreich waren. Er gewann zwei<br />
Etappen beim Giro, drei bei der<br />
Tour und drei bei der Vuelta. Sein<br />
letzter Erfolg stammt allerdings<br />
aus dem Jahr 2017.<br />
© Yuzuru Sunada<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 87
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
JOURNAL<br />
ETAPPE 13<br />
PAU<br />
19.07.<strong>2019</strong><br />
DIE STADT DER<br />
ÜBERRASCHUNGEN<br />
© Gruber Images<br />
er am zweithäufigsten besuchte Ort der Tour,<br />
D<br />
Pau und seine idyllische Umgebung, waren<br />
Schauplatz für viele Momente der Renngeschichte.<br />
Einige davon sind berüchtigt. An<br />
einem Ruhetag, an dem David Millar im Jahr 2007 im<br />
Mittelpunkt der Saunier-Duval-Pressekonferenz im Palais<br />
Beaumont stand, lief ein Raunen durch den Raum: Alexander<br />
Winokurow war aus dem Rennen wegen Blutdopings<br />
ausgeschlossen worden. Der Raum begann sich daraufhin<br />
zu leeren.<br />
Seitdem hat Pau ein paar ruhige Jahre hinter sich. Eine<br />
Reihe von Etappenstarts, ein paar Sprints, zwei Ausreißer-Siege<br />
für Pierrick Fédrigo – solche Sachen eben. In<br />
diesem Jahr, gegen Ende eines heißen Freitags auf dem<br />
Place de Verdun, brummte es wieder in Pau.<br />
„Das war eine heiße Angelegenheit“,sagte Richie Porte.<br />
Er war mit seinen Bemühungen zufrieden, stellte aber fest,<br />
dass noch größere Namen folgen würden. „Nach der Streckenbesichtigung<br />
heute Morgen ist die Temperatur extrem<br />
gestiegen“, fügte Dan Martin hinzu. Der Schweiß lief ihm<br />
in Strömen herab. „Ich habe mein Bestes gegeben, und<br />
mehr ist einfach nicht möglich.“<br />
Der vorletzte Fahrer war Geraint Thomas. Als er einen<br />
sicheren Ort gefunden hatte, um sich vom Verkehr fernzuhalten,<br />
und die Medien sich beruhigt hatten, sagte er:<br />
„Ich war ein wenig überhitzt, aber ich habe versucht, damit<br />
klarzukommen. Als ich wirklich Gas geben wollte,<br />
hatte ich das Gefühl, dass ich diese fünf Prozent nicht<br />
hatte.“ Die Ankunft von Julian Alaphilippe im Ziel war<br />
wahrzunehmen, bevor er zu sehen war. Während Thomas<br />
sprach, wurde von den Zuschauern an der Rue Mulot, der<br />
steilen kleinen Straße, die zum Platz führte, gegen die<br />
Plakate gehämmert, während sie nicht mehr als einen<br />
gelben Blitz sahen. Er kam nach 35 Minuten ins Ziel und<br />
lag 14 Sekunden vor Thomas.<br />
Thomas bekam die Nachricht und schüttelte sich. „Das<br />
habe ich wirklich nicht erwartet“, sagte er. „So wie er<br />
fährt, wenn er das durchhält, wird er gewinnen.“<br />
Eine solche Steigerung ist im modernen Rennsport ungewöhnlich,<br />
und in der Folgezeit bekam Alaphilippe den<br />
ersten Vorgeschmack auf Fragen, die seine Glaubwürdigkeit<br />
anzweifelten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Zeitfahren<br />
mit dem Gelben Trikot beenden würde und dass<br />
ich in die Berge dieser Tour mit dem Gelben Trikot starten<br />
würde. Ich bin nicht hier, um auf Verdachtsmomente zu<br />
antworten, ich weiß, welche Arbeit ich geleistet habe, um<br />
hier zu sein“, antwortete er.<br />
Von der Balustrade des Palais aus ragten die hellblauen<br />
Pyrenäen am Horizont hervor und versprachen eine weitere<br />
Herausforderung für Alaphilippes neu entdeckte Fähigkeiten.<br />
Was konnte er nach diesem Zeitfahren nun am<br />
Tourmalet erreichen?<br />
88 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 89
Text Sam Dansie Fotografie Chris Auld<br />
DEN<br />
GEKNACKT<br />
Procycling analysiert die Entwicklung von Caleb Ewans Sprintzug,<br />
um herauszufinden, wie der Australier die Erfolgsformel gefunden hat.<br />
Caleb Ewan, der 25 Jahre alte<br />
Tour-Debütant von Lotto Soudal,<br />
wurde bei der ersten Welle von<br />
Sprints bei der Tour Dritter, Dritter, Zweiter<br />
und Dritter. Bei einer Tour, wo kein<br />
einzelner Sprinter dominieren konnte und<br />
Siege durch die Tiefe der Hochprofil-Laufräder<br />
bestimmt wurden, wuchs der Druck<br />
auf den Youngster von Tag zu Tag.<br />
„Morgen versuchen wir es wieder“, sagte<br />
Roger Kluge, einer von Ewans Sprintanfahrern<br />
bei Lotto, nach vier knappen<br />
Niederlagen. Der Satz hörte sich abgedroschen<br />
an. Er klang nach Frustration –<br />
nicht über Ewan, sondern darüber, dass<br />
das kleine Quäntchen Glück immer fehlte.<br />
„Niemand hätte es mehr verdient als Caleb“,<br />
fügte er hinzu.<br />
Der nächste Tag war ein Sprint in Toulouse.<br />
Danach kamen die Pyrenäen und<br />
zwei weitere Sprintetappen. Zeit und<br />
Möglichkeiten wurden knapper.<br />
Ewans Sprintzug war seit Langem in<br />
Arbeit. Kluge kam 2017 zu Orica-Greenedge,<br />
um mit „dem neuen jungen Sprintstar“<br />
zu arbeiten und weil er einer be-<br />
stimmten „Spezifikation“ entsprach. Diese<br />
Spezifikation war die eines Rammbocks<br />
von einem Sprintanfahrer – jemand, der<br />
für den kleinen Sprinter ein großes Loch in<br />
die Luft boxen kann. Kluge, 80 Kilogramm<br />
schwer und 193 Zentimeter groß<br />
und mit einem reichen und erfolgreichen<br />
Hintergrund auf der Bahn und einem großen<br />
Motor, entsprach den Anforderungen.<br />
Von Anfang an, auf der Straße und abseits<br />
davon, harmonierten kleiner Sprinter<br />
und großer Anfahrer. Bei ihrem ersten gemeinsamen<br />
Rennen, der Tour Down Under<br />
90 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
CALEB EWAN<br />
2017, gewann Ewan vier Etappen. Aber<br />
das Orica-Team nahm Veränderungen am<br />
Sprintzug vor, um ihn noch schneller zu<br />
machen. Beim nächsten WorldTour-Rennen<br />
in Abu Dhabi wurde Luka Mezgec<br />
als letzter Mann eingearbeitet. „Luka hat<br />
mehr Punch, ist mehr Sprinter als ich, ich<br />
kann das Tempo länger halten, also bin ich<br />
eine Position nach hinten gerutscht“, sagte<br />
Kluge. Aber wer welchen Job machte, hing<br />
vom Kurs ab. Wenn der Sprint leicht bergauf<br />
führte, war Mezgec der letzte Mann;<br />
bergab wurden Kluges Geschwindigkeit,<br />
Gewicht und Kraft priorisiert.<br />
Von 2017 bis zum Ende dieser Tour<br />
hat Ewan in Partnerschaft mit Kluge<br />
31 zweite und dritte Plätze geholt, darunter<br />
einen zweiten Platz bei Mailand–San<br />
Remo 2018. Im selben Zeitraum gewann<br />
er 19-mal. So viele knappe Niederlagen<br />
könnten am Selbstwertgefühl eines Sprinters<br />
nagen, doch Kluge versichert, dass<br />
Ewan mental stark genug war, um mit diesen<br />
Podiumsplätzen umzugehen. „Wir teilen<br />
uns bei den meisten Rennen ein Zimmer<br />
und ich habe ihn ein paarmal beim<br />
Trainingslager in Monaco besucht. Er hatte<br />
viele Podiumsplätze in den letzten anderthalb<br />
Jahren, wahrscheinlich mehr als jeder<br />
andere Sprinter, aber ich glaube, ich unter-<br />
stütze ihn ein bisschen und sage ihm, dass<br />
er es weiter versuchen muss.“<br />
SEIN GLÜCK BEI(M) LOTTO SUCHEN<br />
Ewan sagt, er wäre als Neuprofi in die<br />
Tour gegangen, wenn es bei der Auswahl<br />
des Teams nach ihm gegangen wäre.<br />
„Vielleicht war es am Ende gut, dass es<br />
nicht so kam“, ergänzt der Australier.<br />
„Aber ich denke nicht, dass dies meine<br />
erste Tour de France hätte sein sollen. Ich<br />
hatte schon vor drei oder vier Jahren das<br />
Gefühl, bereit zu sein.“ An wen die spitze<br />
Bemerkung gerichtet ist, ist klar.<br />
Ewan war letztes Jahr für einen Tour-<br />
Start am Ende eines Mitchelton-Scott-<br />
Sprintzugs vorgesehen. „Im letzten Jahr<br />
haben wir die ganze Saison mit Luka und<br />
Mat Hayman und anderen, die in die<br />
Tour-Vorbereitung involviert waren, trainiert“,<br />
sagte Kluge. „Wir waren bei der Kalifornien-Rundfahrt,<br />
dann haben wir ein<br />
wirklich gutes Team aufgebaut und plötzlich<br />
wurde entschieden, nur Kletterer mitzunehmen.“<br />
Dass er übergangen wurde,<br />
lag teils daran, dass Ewan seinen Wechsel<br />
zu Lotto Soudal bereits perfekt gemacht<br />
hatte, und teils daran, dass Mitchelton-<br />
Ewan bezwingt<br />
Groenewegen in<br />
Toulouse und holt<br />
sich seinen ersten<br />
Tour-Etappensieg.<br />
3Etappen<br />
gewann Ewan<br />
bei dieser Tour<br />
– mehr als<br />
jeder andere<br />
Sprinter<br />
Scott sich mit Adam Yates auf die Gesamtwertung<br />
konzentrieren wollte.<br />
Obwohl Kluge zu Beginn der Saison<br />
als Teil des Ewan-Pakets zu Lotto kam<br />
– was für ihre enge Verbindung spricht –,<br />
brachte der Wechsel noch mehr Umbauten<br />
im Sprintzug mit sich. Die Frage war<br />
insbesondere, wie man mit Jasper De<br />
Buyst umgeht, der wie Kluge einen starken<br />
Bahnhintergrund hatte. Er wurde als<br />
Ersatz für Mezgec eingesetzt. „Wir haben<br />
nicht bei null angefangen, aber einen<br />
neuen Anfahrer wie Jasper zu bekommen<br />
und sich an unterschiedliches Material<br />
zu gewöhnen, braucht Zeit“, sagte Kluge.<br />
„Wir sind noch in einem neuen Team und<br />
finden noch heraus, was das Beste für<br />
Caleb ist.“<br />
Beim Giro, wo die drei zusammen gefahren<br />
sind, wurde Ewan bei den Sprints<br />
Dritter, Zweiter und Vierter. Dann gewann<br />
er die Etappen 8 und 11. Der Code,<br />
einmal geknackt, war, aus dem Windschatten<br />
seines Rivalen Pascal Ackermann<br />
herauszusprinten. Ackermann, in<br />
der Maglia Ciclamino, war der beste<br />
Sprin ter des Rennens.<br />
Aber irgendwie vergaß Lotto Soudal die<br />
Formel. Laut Kluge ging das Team in diesem<br />
Sommer mit der Absicht in die Tour,<br />
Ewan einen formaleren Sprintzug zu geben.<br />
„Wenn man zurückschaut, hat er<br />
meistens, wenn man ihn auf den letzten<br />
Kilometern eskortiert hat, gewonnen, aber<br />
das ist nicht, was er will“, erklärte der<br />
Deutsche. „Zu Beginn der Tour haben wir<br />
das vergessen und waren ganz aufgeregt<br />
und motiviert, einen perfekten und großen<br />
Sprintzug aufzubauen. Vielleicht war<br />
GLÜCKSBRINGER<br />
C<br />
aleb Ewans Etappensieg war die Wohlfühlgeschichte<br />
des Rennens. Sechs Wochen vor Beginn der Tour kam<br />
seine Tochter Lily zu Hause in Monaco zu früh zur<br />
Welt. Er musste zum Rennen reisen, bevor Lily das Krankenhaus<br />
verlassen durfte. „Es war wohl das Schwerste, was ich je machen<br />
musste: zu einem Rennen zu fahren und meine Tochter im<br />
Krankenhaus zurückzulassen. Ich bin so froh, dass ich meiner<br />
neuen Familie das mit so einer großen Sache zurückzahlen konnte“,<br />
sagte er nach seinem Sieg in Toulouse. Seine Frau Ryann flog<br />
mit Lily zum Ruhetag in Nîmes ein und konnte Ewan begrüßen,<br />
als er seinen Etappensieg holte. „Wenn meine Tochter alt genug<br />
ist, wird es ziemlich cool, ihr zu erzählen, dass das allererste<br />
Rennen, bei dem sie mich gesehen hat, die Tour de France war<br />
und ich auch noch eine Etappe gewonnen habe.“<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 91
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20<br />
19<br />
CALEB EWAN<br />
Ein glücklicher<br />
Caleb Ewan<br />
umarmt seine<br />
Teamkollegen<br />
nach dem Erfolg<br />
bei Etappe 11.<br />
das falsch. Das haben wir an dem Tag,<br />
als er in Chalon Zweiter wurde, besser gemacht.<br />
Ich habe ihn bis auf die letzten drei<br />
bis vier Kilometer in einer guten Position<br />
gehalten, auf der Höhe von Jumbo oder<br />
Quick-Step. Fast 1,5 Kilometer vor der<br />
letzten Kurve war ich fertig, aber ich war<br />
eigentlich nicht am Limit, ich musste ein -<br />
fach nicht mehr tun.“ Auf der Linie war<br />
Groenewegen einen Bruchteil schnel ler<br />
und Ewans Streben nach einem ersten<br />
Tour-Etappensieg ging einen vierten, dann<br />
einen fünften Tag weiter. Es wurde ernst.<br />
MR. MOTIVATOR<br />
Am Ruhetag in Albi am Vorabend des<br />
Sprints in Toulouse nahm Lotto-Soudal-Teammanager<br />
Marc Sergeant Ewan<br />
beiseite und hielt ihm eine Aufmunterungsrede.<br />
Ewan wollte sich über den Inhalt<br />
des Gesprächs nicht äußern, sondern<br />
sagte nur: „Marc hat so eine beruhigende<br />
Art. Ich habe mich anschließend gefühlt,<br />
als stünde ich überhaupt nicht unter<br />
Druck. Er hat mit vielen Sprintern gearbeitet<br />
und weiß, dass wir uns selbst unter<br />
Druck setzen. Er weiß, wie er uns diesen<br />
Druck nimmt“, fügte der Australier hinzu.<br />
Auf einem nicht kategorisierten Hügel<br />
kurz vor dem Ziel und der Ringstraße auf<br />
dem Weg in die platanengesäumte Altstadt<br />
von Toulouse ließ sich der Fahrer aus<br />
Sydney nicht aufhalten. Selbst als Viviani<br />
ihn vom besten Hinterrad des Rennens<br />
– dem von Groenewegen – verdrängen<br />
wollte, ließ Ewan den Italiener nicht rein<br />
und auch keinen anderen gewinnen. Er<br />
bezwang den Holländer mit derselben<br />
hauchdünnen Differenz, mit der er in<br />
Chalon verloren hatte. Und was auch immer<br />
Wirkung zeigte – Sergeants weiser<br />
Rat, die Ankunft von Ewans Frau und der<br />
neugeborenen Tochter bei dem Rennen<br />
oder die schiere Entschlossenheit, sich zu<br />
holen, wovon er geträumt hatte –, der Sieg<br />
fühlte sich unausweichlich an. Gegen<br />
Ende der Tour sollte er diese Siegesausbeute<br />
verdreifacht und den prestigeträchtigen<br />
Sprint auf den Champs-Elysées gewonnen<br />
haben.<br />
„ZU BEGINN DER TOUR WAREN WIR AUFGEREGT<br />
UND MOTIVIERT, EINEN PERFEKTEN SPRINTZUG<br />
AUFZUBAUEN. VIELLEICHT WAR DAS FALSCH.“<br />
Roger Kluge, Lotto Soudal<br />
1. ETAPPE<br />
4. ETAPPE 7. ETAPPE 10. ETAPPE 11. ETAPPE 16. ETAPPE 21. ETAPPE<br />
© Getty Images (Leiste)<br />
Ewan vermeidet<br />
einen Sturz in der<br />
Schlussphase,<br />
bei dem Groenewegen<br />
zu Fall<br />
kommt. Doch auf<br />
den letzten Metern<br />
ist der Weg vor ihm<br />
versperrt. „Ich war<br />
eingeklemmt. Ich<br />
kam am Ende nicht<br />
raus und musste<br />
aufhören, in die<br />
Pedale zu treten.<br />
Aber so geht das im<br />
Sprint. Das kommt<br />
vor“, sagte er.<br />
Rund 500 Meter<br />
vor dem Ziel es -<br />
kor tiert De Buyst<br />
Ewan zur Gruppe<br />
der Sprinter. Ewan<br />
hängt sich an<br />
Vivianis Hinterrad,<br />
kommt aber nicht<br />
klar und wird Dritter.<br />
„Wenn du einen<br />
Kilometer vor der<br />
Linie von so weit<br />
hinten kommst,<br />
verbrauchst du zu<br />
viel Energie, um<br />
nach vorn zu kommen“,<br />
sagte er.<br />
Ewan hängt sich an<br />
Peter Sagans Hinterrad<br />
hinter dem De -<br />
ceuninck-Team. Im<br />
leicht ansteigenden<br />
Finale schert er<br />
rechts aus, um sich<br />
in Vivianis Windschatten<br />
zu saugen,<br />
wird aber um Millimeter<br />
von Groenewegen<br />
abgefangen.<br />
„Ich glaube, ich bin<br />
einen fast perfekten<br />
Sprint gefahren, aber<br />
Dylan war einfach ein<br />
bisschen schneller.“<br />
Ewan wählt den<br />
Sunweb-Zug als zu<br />
verfolgende Hinterräder<br />
aus, aber<br />
Sunweb-Anfahrer<br />
Cees Bol gerät ins<br />
Stottern und sein<br />
Kapitän Michael<br />
Matthews geht un -<br />
ter. Ewan rettet sich<br />
auf den dritten Platz.<br />
„Er [Bol] hätte gehen<br />
sollen, als die Straße<br />
steiler wurde, aber<br />
er zögerte und wir<br />
alle verloren Ge -<br />
schwindigkeit.“<br />
Drei Kilometer lang<br />
bleibt Ewan an Groenewegens<br />
Hinterrad.<br />
Nach einer gewaltigen<br />
Ablösung von<br />
Teunissen eröffnet<br />
Groenewegen seinen<br />
Sprint 250 Meter vor<br />
der Linie. Ewan wartet,<br />
bevor er beschleunigt<br />
und sich in den<br />
Windschatten des<br />
Holländers saugt.<br />
„Ich bin an sein Hin -<br />
terrad gesprintet,<br />
um in seinen Windschatten<br />
zu gehen.“<br />
De Buyst hält das<br />
Tempo hoch, bis De -<br />
ceuninck beschleunigt<br />
und Ewan ans<br />
siebte Hinterrad zu -<br />
rückfällt. Rund 230<br />
Meter vor der Linie<br />
eröffnet Ewan seinen<br />
Sprint und setzt sich<br />
gegen Vi viani und<br />
Groenewegen durch.<br />
„Ich ging vom Hinterrad<br />
weg, nahm einen<br />
echten Anlauf und<br />
eröffnete meinen<br />
Sprint vor den anderen<br />
Jungs“, sagte er.<br />
Die formellen Sprintzüge<br />
kehren zurück.<br />
Irgendwie. Auf dem<br />
letzten Kilometer ist<br />
Ewan an den Hinterrädern<br />
von Kluge<br />
und De Buyst, löst<br />
sich aber von ihnen,<br />
um sich an den<br />
Quick-Step-Zug zu<br />
hängen. Vom siebten<br />
Hinterrad in einer<br />
Kurve schießt er von<br />
links nach rechts und<br />
fängt Groenewegen<br />
und Niccolò Bonifazio<br />
auf der Linie ab.<br />
92 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
Auf den Champs-<br />
Élysées holte sich<br />
Ewan den dritten<br />
Sieg einer für ihn<br />
superben Tour <strong>2019</strong>.<br />
© Anadolu/Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 93
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
JOURNAL<br />
ETAPPEN 1–21<br />
BELGIEN & FRANKREICH<br />
6.–28.07.<strong>2019</strong><br />
SURFEN AUF<br />
DER GRÜNEN<br />
WELLE<br />
© Kramon<br />
ora–hansgrohes Peter Sagan gewann sein<br />
B<br />
siebtes grünes Trikot innerhalb von acht Jahren.<br />
Nach dem Etappenziel in Paris hatte der<br />
Slowake einen Vorsprung von 68 Punkten<br />
auf den nächstbesten Fahrer, Caleb Ewan von Lotto Soudal.<br />
Der australische Tour-Debütant gewann drei Etappen<br />
und war in vier weiteren Sprints unter den ersten drei.<br />
Sagan gewann eine Etappe in Colmar und kam achtmal<br />
unter die ersten fünf. Das bedeutete, dass Ewan in gewissem<br />
Maße der bessere Punktesammler auf der Ziellinie<br />
war. Aber der Unterschied, wie immer, wurde durch Sagans<br />
Erfahrung beim Sammeln von Punkten in den Zwischensprints<br />
gemacht, und er erreichte die Ziele, die andere<br />
Sprinter nicht erreichten. Das ist die Dominanz von ihm<br />
und seinem Team – die Rivalen haben es aufgegeben. Sagan<br />
gehört praktisch das Grüne Trikot.<br />
Aber während es Routine war, sein rekordverdächtiges<br />
siebtes Grünes Trikot zu holen – er übertraf damit Erik<br />
Zabels frühere Bestmarke –, war Sagans On-the-Bike-<br />
Persönlichkeit so extravagant und erfreuend wie nie zuvor.<br />
Signiert er seine Autobiografie für einen Fan am<br />
Straßenrand, während er den Tourmalet hinauffährt?<br />
Klar. Einhändige Wheelies im Anstieg für die Fans?<br />
Sowieso. Wheelie auf seiner Zeitfahrmaschine? Sicher.<br />
Sogar sein eher exzentrischer, aber äußerst hilfsbereiter<br />
Vater L’ubomír war beim Rennen dabei, um die Reise<br />
seines Sohnes durch Frankreich um ein gewisses Etwas<br />
zu bereichern.<br />
Aber Fragen darüber, ob Sagan tatsächlich Freude am<br />
Radfahren hat, sind ein Streitpunkt: Häufig wirkt er gelangweilt,<br />
teilnahmslos oder geht lieber mountanbiken.<br />
Und diese Seite von Sagan war öfters im weitläufigen Zielbereich<br />
nach den Etappen zu sehen, wo Trikots und Etappensieger<br />
verpflichtet sind, Fragen zu beantworten, wie<br />
ihr Tag war. In diesem Bereich unternahm Sagan wenige<br />
Anstrengungen und versuchte, sie schnell zu durchqueren.<br />
Und auch originelle Fragen konnten ihn nicht aus der<br />
Reserve locken. Manchmal war es bedrückend, ihm zuzusehen.<br />
„Was soll ich sagen?“, schmollte er in der Pressekonferenz,<br />
nachdem er die 5. Etappe gewonnen hatte.<br />
Sagan ist am besten, wenn es keinen Vermittler oder<br />
Filter zwischen ihm und denen gibt, die ihm bewundernd<br />
folgen. Die Kamera liebt ihn. Soziale Medien verbreiten<br />
Sagans Späße unter seinen zahlreichen Fans. Er ist am<br />
anstrengendsten, wenn man ihn bittet, Erklärungen über<br />
sich selbst abzugeben. Er ist ein Mann, der lieber Taten<br />
sprechen lässt, als selbst zu sprechen.<br />
94 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 95
EINSAM<br />
AN DER<br />
SPITZE<br />
96 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
THIBAUT<br />
PINOT<br />
Thibaut Pinots Tour endete<br />
herzzerreißend, als er am<br />
drittletzten Tag mit dem Sieg<br />
vor Augen aussteigen musste.<br />
Procycling untersucht, wie der<br />
stille, schüchterne Franzose sein<br />
Potenzial beim größten Rennen<br />
der Welt entdeckt hat.<br />
Text Edward Pickering Fotografie Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 97
An der Planche des<br />
Belles Filles fuhren<br />
Alaphilippe und<br />
Pinot wertvolle<br />
Sekunden auf die<br />
Konkurrenz heraus.<br />
Die Fahrt über die Südseite<br />
des Col de l’Iseran hoch<br />
nach Tignes ist eine lange<br />
und langsame. Sie lässt<br />
einem Mann Zeit zum<br />
Nachdenken, vielleicht zu<br />
viel. Während Thibaut<br />
Pinot am frühen Nachmittag des 26. Juli<br />
fassungslos im Wagen des Sportlichen Leiters<br />
Thierry Bricaud saß, war vor ihm Egan<br />
Bernal im Begriff, Pinots Tour de France<br />
zu gewinnen, und ein unerwarteter Erdrutsch<br />
begrub die Aussicht auf den Alpen-<br />
Showdown, den die Organisatoren für das<br />
Ende des Rennens geplant hatten.<br />
Ebenso schnell waren auch Pinots Ambitionen<br />
beerdigt. Ein vages Empfinden<br />
auf der 17. Etappe nach Gap, dass etwas<br />
mit seinem linken Oberschenkel nicht<br />
stimmte, wurde am nächsten Tag zu dem<br />
Gefühl, dass er nur mit einem Bein über<br />
den Galibier nach Valloire fuhr, und morgens<br />
in Tignes zur qualvollen Unfähigkeit,<br />
das Knie zu beugen. Die Verletzung, ein<br />
Muskelfaserriss im linken Oberschenkel,<br />
kommt bei einem Rennfahrer ebenso selten<br />
vor wie ein Erdrutsch bei der Tour. Wie<br />
der Mannschaftsarzt Jacky Maillot sagte,<br />
Im Alter von 22<br />
fuhr Pinot bei der<br />
Tour 2012 mit einem<br />
Etappensieg<br />
und Platz 10 im GC<br />
ins Rampenlicht.<br />
ist es eine typische Verletzung für einen<br />
Fußballspieler oder Leichtathleten, nicht<br />
für einen Radsportler.<br />
Pinot war um drei Uhr nachmittags,<br />
35 Kilometer nach dem Start in Saint-<br />
Jean-de-Maurienne, unter Tränen vom<br />
Rad gestiegen. Es dauerte mehr als drei<br />
Stunden, bis er der klaustrophobischen<br />
Stille des Groupama-FDJ-Mannschaftswagens<br />
entkam, als er schließlich das<br />
Hotel L’Ecrin du Val Claret erreichte,<br />
200 Meter von der Ziellinie in Tignes entfernt,<br />
wo er in einem anderen Universum<br />
die Etappe gewonnen und sich das Gelbe<br />
Trikot übergezogen hätte. Sein Generalmanager<br />
Marc Madiot war den ganzen<br />
Nachmittag oben im Zielbereich gewesen<br />
und hatte so viel Gleichmut bewahrt, wie<br />
er unter diesen Umständen nur konnte.<br />
„C’est le sport. C’est la vie“, sagte er wartenden<br />
Journalisten. Pinot war der vierte<br />
Groupama-Fahrer, der ins Hotel kam, ein<br />
fassungsloser und zutiefst erschütterter<br />
Ausdruck auf seinem Gesicht, seine Augen<br />
geschwollen und rot. Er lief klackernd<br />
zum Eingang, noch in seinen Radschuhen.<br />
Warum auch nicht? Seine Turnschuhe<br />
waren wahrscheinlich noch im Bus wie<br />
sonst auch – schließlich plant niemand,<br />
eine Tour-Etappe im Mannschaftswagen<br />
„THIBAUT HAT HART GEARBEITET, UM DIESE<br />
TOUR IN GUTER FORM IN ANGRIFF ZU NEHMEN.<br />
ES WAR SCHICKSAL, DASS ER NICHT GEWINNEN<br />
KONNTE, ABER WIR KOMMEN ZURÜCK.“<br />
Marc Madiot, Groupama-FDJ-Teammanager<br />
98 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
ETAPPE<br />
13<br />
FREITAG, 19. JULI<br />
PAU › PAU<br />
27,2 KM EZF<br />
THIBAUT<br />
PINOT<br />
zu beenden. Aber man hätte trotzdem<br />
denken können: Er ist nicht bereit, sich<br />
einzugestehen, dass seine Tour vorbei ist,<br />
deswegen trägt er noch seine Radschuhe.<br />
Pinot stellte sich wenig später in einer<br />
gemütlichen, mit abgenutztem rotem Teppich<br />
ausgelegten Lounge im ersten Stock<br />
seines Hotels den Medien, was man ihm<br />
hoch anrechnen muss.<br />
„Ich habe es satt“, sagte er ruhig, und<br />
es sah aus, als hätte das letzte bisschen<br />
Energie seinen Körper verlassen.<br />
„Ich habe weitergekämpft und es gab<br />
immer die kleine Chance, dass mein<br />
Bein heilt, aber es kam nicht so.“<br />
Draußen fand durch unglückliche Umstände<br />
die hastig improvisierte Siegerehrung<br />
für die Trikots statt, und der Lärm<br />
der Musik und Hochrufe für Egan Bernal,<br />
als er das Gelbe Trikot überreicht bekam,<br />
drangen durch die Fenster herein, eine<br />
unpassende Party-Kulisse für die Totenwache,<br />
die innen gehalten wurde.<br />
Pinots Daumen tippten einander an,<br />
als er weitersprach.<br />
„Ich hätte gewinnen können. Davon<br />
bin ich überzeugt“, sagt er. Dann weinte<br />
er wieder, und niemandem fiel etwas ein,<br />
was er noch hätte fragen können.<br />
Madiot sagte: „Wir müssen uns auskurieren,<br />
und dann kommen wir wieder<br />
auf die Beine. Thibaut hat hart gearbeitet,<br />
um diese Tour in guter Form in Angriff<br />
zu nehmen. Es war Schicksal, dass<br />
er nicht gewinnen konnte, aber wir kommen<br />
zurück.“<br />
Pinot, der bei dieser Tour große Erwartungen<br />
hatte, hatte unter einer Uhr gesessen,<br />
die um 8:40 Uhr stehen geblieben<br />
war. Madiot sagte auch, dass Pinot jetzt<br />
Zeit brauche, aber die stehengebliebene<br />
PINOTS<br />
GRAND-<br />
TOUR-<br />
MÜHEN<br />
12<br />
GRAND-TOUR-<br />
STARTS<br />
6 x DNF<br />
4 x Tour de<br />
France<br />
1 x Giro d’Italia<br />
1 x Vuelta a<br />
Espana<br />
2012 10. der Tour<br />
2013 DNF, Tour,<br />
7. der Vuelta<br />
2014 DNF, 3. der Tour<br />
Tour, Vuelta<br />
2015 16. der Tour<br />
2016 DNF, Tour<br />
2017 DNF, Tour,<br />
4. des Giro<br />
2018 DNF, Giro,<br />
6. der Vuelta<br />
<strong>2019</strong> DNF, Tour<br />
Mit einem starken<br />
Mannschaftszeifahren<br />
auf der<br />
2. Etappe eröff ne -<br />
te Groupama-FDJ<br />
das Rennen.<br />
Uhr war ein Symbol der Tatsache, dass<br />
seine Zeit – zumindest bei der Tour <strong>2019</strong><br />
– abgelaufen war.<br />
GEWINNE UND VERLUSTE<br />
Weniger als eine Woche vor Tignes hatte<br />
sich Pinot im Glutofen eines Hotel-Innenhofs<br />
in Nîmes hingesetzt, um eine<br />
Pressekonferenz zu geben, nachdem er<br />
einen Etappensieg am Col du Tourmalet<br />
und einen zweiten Platz am Prat<br />
d’Albis geholt hatte – an einem Tag, an<br />
dem er sämtliche Tour-Favoriten abgeschüttelt<br />
hatte.<br />
Dass Pinot noch nicht im Gelben Trikot<br />
war, lag an zwei Dingen: erstens an den<br />
100 Sekunden, die er bei Seitenwind in<br />
Albi verloren hatte – auf einer Etappe, auf<br />
die er vielleicht eines Tages zurückblickt<br />
und sie als den maßgeblichen Faktor betrachtet,<br />
dass er die Tour nicht gewonnen<br />
hat; und zweitens an der dynamischen<br />
und störenden Aggression von Julian Alaphilippe,<br />
dessen Spritzigkeit in den kürzeren<br />
Anstiegen keine Überraschung war,<br />
aber dessen Langlebigkeit im Hochgebirge<br />
der Pyrenäen und Alpen sehr gefährlich<br />
auszusehen begann.<br />
Bis Albi war für Pinot alles gut gelaufen.<br />
Groupama-FDJ hatte das Mannschaftszeitfahren<br />
in Brüssel im Griff gehabt,<br />
nicht zuletzt dank des Neuzugangs Stefan<br />
Küng, der half, das Team auf den 8. Platz<br />
zu befördern, aber vor allem nur zwölf Sekunden<br />
hinter dem zweitplatzierten Ineos.<br />
Bei der Hügelankunft in Épernay wurde<br />
Pinot wie alle anderen von Alaphilippes<br />
Soloangriff und Etappensieg überrascht,<br />
aber er war auf der richtigen Seite eines<br />
Risses im Peloton, das die nächsten elf<br />
Fahrer vom Rest des Feldes, darunter Titelverteidiger<br />
Geraint Thomas, um fünf<br />
Sekunden trennte. Er war Fünfter in La<br />
Planche des Belles Filles, seinem „Heim“-<br />
Anstieg – Thomas, Alaphilippe und Pinot<br />
nahmen hier allen anderen Favoriten Zeit<br />
ab. Und er ging bei einer weiteren spektakulären<br />
Schlussattacke von Alaphilippe<br />
auf der Etappe nach Saint-Étienne mit<br />
und holte 20 Sekunden plus einen Sechs-<br />
Sekunden-Bonus auf den Rest seiner<br />
Rivalen heraus. Er war Gesamt-Dritter,<br />
53 Sekunden hinter Alaphilippe, aber<br />
19 vor Thomas, 23 vor Bernal und 34 vor<br />
Steven Kruijswijk, seinen schärfsten Rivalen<br />
in der Gesamtwertung.<br />
Albi hatte Sand ins Getriebe gestreut,<br />
aber er hatte die Pyrenäen-Etappen<br />
Trotz der hohen Decke und der<br />
Tatsache, dass der Konferenzraum groß<br />
genug war, um endlose Tischreihen<br />
aufzunehmen, konnte man das Echo des<br />
Erstaunens im Palais Beaumont von Pau<br />
deutlich hören, als Julian Alaphilippe<br />
nach dem Zeitfahren die Ziellinie mit<br />
einer neuen Bestzeit überquerte. Zur<br />
Überraschung aller Experten hatte der<br />
Franzose diese Etappe vor allen anderen<br />
Zeitfahrspezialisten gewonnen.<br />
Alaphilippe selbst hüpfte – komplett in<br />
Gelb gekleidet, samt gelbem Aerohelm<br />
– im Ziel von seinem Fahrrad, beugte die<br />
Knie und streckte die Arme so weit aus<br />
wie das Grinsen in seinem Gesicht, bevor<br />
er seine Teamkollegen umarmte, die im<br />
Zielbereich auf ihn warteten. Eigentlich<br />
war erwartet worden, dass er an diesem<br />
Tag sein Gelbes Trikot würde abgeben<br />
müssen. Doch stattdessen begann nun,<br />
nach 13 Tagen, der wahre Kampf um den<br />
Gesamtsieg. Niemand hatte mit<br />
Alaphilippe gerechnet, der förmlich<br />
über den Stadtkurs flog und sein Rad<br />
perfekt durch alle Kurven manövrierte.<br />
Ebenso rechnete niemand damit, dass er<br />
den letzten, 100 Meter langen Anstieg<br />
derart schnell fahren würde, dass er<br />
Geraint Thomas weitere acht Sekunden<br />
abnahm. Ein großer Tag für Alaphilippe,<br />
ein großer Tag für Frankreich.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 35:00<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +0:14<br />
3 Thomas De Gendt Lotto Soudal +0:36<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 53:01:<strong>09</strong><br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:26<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +2:12<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora-Hansgrohe 277<br />
2 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 191<br />
3 Elia Viviani Deceuninck-QS 184<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 99
ETAPPE<br />
14<br />
THIBAUT<br />
SAMSTAG, 20. JULI<br />
TARBES ›<br />
TOURMALET BARÈGES<br />
117,5 KM<br />
Wie viel Spannung kann ein Radrennen<br />
auf 117 Kilometern bieten? Wenn es der<br />
Col du Soulor ist, gefolgt vom Tourmalet<br />
– 19 Kilometer mit 7,4 Prozent – dann<br />
wird es tatsächlich richtig spannend.<br />
Bereits bei der Auffahrt zum Soulor<br />
brach Romain Bardet komplett ein und<br />
verlor dort über 20 Minuten. Auch Adam<br />
Yates musste hier abreißen lassen,<br />
schaffte es in der Abfahrt zurück in die<br />
Gruppe des Gelben Trikots, verlor aber<br />
letztendlich doch sieben Minuten zur<br />
Spitze. An den unteren Hängen des<br />
Tourmalets wurde Dan Martin abgehängt,<br />
als Movistar ein hartes Tempo in<br />
der Gruppe um Alaphilippe anschlug.<br />
Das ging spektakulär nach hinten los, als<br />
Nairo Quintana etwa zehn Kilometer vor<br />
dem Ziel nicht mehr mithalten konnte.<br />
Dann beschleunigten David Gaudu und<br />
sein Teamkollege Thibaut Pinot, wobei<br />
Steven Kruijswijk mit seinen Leutnants<br />
Laurens De Plus und George Bennett,<br />
sowie Egan Bernal, Geraint Thomas,<br />
Emanuel Buchmann und das Gelbe<br />
Trikot Julian Alaphilippe mitzogen. Ein<br />
Angriff kurz nach der Flamme Rouge<br />
schüttelte Thomas ab, der 30 Sekunden<br />
später durch das Ziel rollte. Im finalen<br />
Sprint kam keiner der letzten Fahrer an<br />
Pinot vorbei. Wenn dieser Sieger eine<br />
Überraschung war, war dies nichts im<br />
Vergleich dazu, dass Alaphilippe seine<br />
Führung im Gelben Trikot weiter<br />
ausbauen konnte.<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
PINOT<br />
Groupama-FDJ-<br />
Boss Marc Madiot<br />
betonte, dass<br />
Pinot die Tour<br />
erneut in Angriff<br />
nehmen werde.<br />
Pinot und Ala -<br />
phi lippe geben sich<br />
die Hand, nachdem<br />
sie die 8. Etappe<br />
mit einer gemeinsamen<br />
Attacke befeuert<br />
haben.<br />
und das Zeitfahren in Pau genutzt, um<br />
dieses Defizit wettzumachen, angetrieben<br />
von Wut und der besten Form seines Lebens.<br />
In den Pyrenäen konnte ihm niemand<br />
Paroli bieten und Cyrille Guimard,<br />
der in seiner Blütezeit als Manager in den<br />
1980ern mit Bernard Hinault, Laurent<br />
Fignon und Greg LeMond gearbeitet hatte,<br />
sagte: „Ich habe einen Tiger auf seinem<br />
Rad gesehen. Der Ausdruck in seinen Augen<br />
sagte, dass er alle fressen will.“<br />
In Nîmes sah Pinot wie ein kommender<br />
Sieger aus. Er benahm sich auch so. „Ich<br />
bin nicht, wie ich vorher war“, sagte er.<br />
Pinot hat den Großteil seines Erwachsenenlebens<br />
mit der Verfolgung des Ziels<br />
verbracht, Radrennen zu gewinnen und zu<br />
versuchen, dem Ruhm, der Aufmerksamkeit<br />
und dem Bullshit zu entkommen, die<br />
zwangsläufig damit einhergehen. Die nebligen,<br />
kühlen und feuchten Berge in der<br />
Umgebung von Mélisey, seiner Heimatstadt<br />
in den Vogesen, haben ihn geprägt<br />
– er ist ein grüblerischer, introvertierter<br />
Mensch, dessen tägliche Routine sich ums<br />
Tierehüten, Gemüseanbauen und Radfahren<br />
dreht, eine Existenz, die der Komplexität<br />
des Mannes selbst diametral entgegengesetzt<br />
ist.<br />
Die allgemeine Auffassung war, dass<br />
Pinot den Druck nicht vertrug und eine<br />
Reihe von aufgegebenen Rennen ihm einen<br />
Verfolgungswahn eingebracht hatte.<br />
Überhaupt standen frühen Erfolgen – Gesamt-Zehnter<br />
plus ein Etappensieg bei<br />
seinem Tour-Debüt 2012 mit 22; dritter<br />
Platz zwei Jahre später – diverse Desaster<br />
im Laufe der Jahre gegenüber. Er bekam es<br />
2013 mit der Abfahrtsangst zu tun, und<br />
seine Tour 2015 rettete er nur mit einem<br />
Etappensieg in Alpe d’Huez, als er in der<br />
Gesamtwertung keine Rolle mehr spielte.<br />
Er wandte sich von der Tour ab und zeigte<br />
sein Talent beim Giro und der Vuelta sowie<br />
einem Sieg bei der Lombardei-Rundfahrt<br />
vor seinem Helden Vincenzo Nibali<br />
im vergangenen Jahr.<br />
Doch das Gefühl von Zerbrechlichkeit<br />
hielt an – er ging als Gesamt-Dritter in die<br />
vorletzte Etappe des Giro 2018 und beendete<br />
den Tag in einem Krankenhausbett,<br />
mit Lungenentzündung.<br />
In Nîmes jedoch machte Pinot einen<br />
zuversichtlichen Eindruck. Seine Ant-<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Thibaut Pinot Groupama-FDJ 3:10:20<br />
2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:06<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 56:11:29<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +2:02<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +2:14<br />
BERGWERTUNG<br />
1 Tim Wellens Lotto Soudal 64<br />
2 Thibaut Pinot Groupama-FDJ 42<br />
3 Thomas De Gendt Lotto Soudal 37<br />
100 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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20<br />
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THIBAUT<br />
PINOT<br />
© Gruber Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 101
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THIBAUT<br />
PINOT<br />
Unter Tränen<br />
steigt Pinot ins<br />
Teamauto, nachdem<br />
er realisieren<br />
muss, dass seine<br />
Tour vorbei ist.<br />
worten und seine Körpersprache auf der<br />
Pressekonferenz suggerierten, dass er keinerlei<br />
Zweifel an seiner Fähigkeit hatte, die<br />
Tour zu gewinnen – er war sehr sachlich<br />
in seinem Selbstvertrauen, nicht defensiv.<br />
Madiot, der neben ihm saß, sagte: „Wir<br />
sind Zen.“ ‚Zen‘ wäre das letzte Adjektiv,<br />
das man benutzen würde, um Madiot –<br />
der gefilmt worden war, wie er sich bei<br />
Pinots Sieg am Tourmalet die Seele aus<br />
dem Leib schrie – zu charakterisieren,<br />
aber bei der diesjährigen Tour strahlte<br />
Groupama eine ruhige Zuversicht aus.<br />
Pinot hat sich wirklich verändert. Man<br />
könnte sagen, dass sein Kopf seine Beine<br />
eingeholt hat – der Mann, der mit 22 Jahren<br />
eine Tour-Etappe gewann, war abseits<br />
der Straße immer noch ein Junge. Aber<br />
jetzt, nicht mehr still und feindselig, fuhr<br />
er wie ein Toursieger und benahm sich<br />
auch wie einer.<br />
„Das Erste, was Sie über Thibaut wissen<br />
müssen, ist, dass er ein sehr spontaner<br />
Junge ist“, sagte Elisa Madiot, die Pressesprecherin<br />
des Teams, zu Procycling. „Als<br />
Person und Athlet würde er nie etwas tun,<br />
was er nicht will. Er tut, wonach er sich<br />
fühlt, und als Athlet hat er ein sehr gutes<br />
Gespür für ein Rennen. Er spürt die Situation<br />
– er ist der Beste, den ich je gesehen<br />
habe. Andererseits, wenn er etwas nicht<br />
will, kannst du alles versuchen, aber er<br />
wird es nie tun.“<br />
Sie sagt weiter: „Als er jünger war,<br />
konnte er nicht verstehen, warum die Leute<br />
so interessiert an ihm waren, er hatte<br />
Angst vor den Erwartungen an ihn, und er<br />
wollte nicht, dass sich sein Leben verändert.<br />
Er ist gerne mitten in der Natur mit<br />
seinen Tieren und niemandem um ihn<br />
herum. Aber er beginnt zu verstehen, dass<br />
es seine Nachteile hat, ein erfolgreicher<br />
Sportler zu sein, und es ist Teil des Lebens,<br />
das er sich ausgesucht hat.“<br />
Sein Bruder Julien, der zum Trainerstab<br />
von Groupama gehört, bestätigt, was<br />
Elisa Madiot sagte. „Als er jung war, behielt<br />
Thibaut seine Meinung immer für<br />
sich. Er mochte es nie, eingeschränkt zu<br />
werden; er lässt sich nicht gerne managen.<br />
Er will seine Entscheidungen immer selbst<br />
treffen und nicht auf Leute hören, die ihn<br />
in eine Schublade stecken wollen, sei es in<br />
der Schule oder in seinem Radsportteam“,<br />
sagte er. „Aber andererseits hat er eine<br />
Reflexionsfähigkeit, dank derer er einen<br />
Fehler sehr selten zweimal macht.“<br />
AUS DEM RAMPENLICHT<br />
Pinot stand <strong>2019</strong> nie mitten im Fokus der<br />
französischen Erwartungen. Alaphilippe,<br />
ein viel gewinnenderer und extrovertierterer<br />
Charakter, der sich in seiner Haut vollkommen<br />
wohlzufühlen schien, trug fast<br />
zwei Wochen lang das Gelbe Trikot und<br />
absorbierte viel von der Aufmerksamkeit,<br />
die Pinot zuteilgeworden wäre, wenn er<br />
als einziger Franzose nahe der Spitze der<br />
Gesamtwertung gewesen wäre. Angesichts<br />
seiner spritzigen Angriffe, seines<br />
Siegs im Zeitfahren und starker Vorstellungen<br />
in den Pyrenäen war die größte<br />
Frage, die das französische Publikum sich<br />
stellte: Kann Alaphilippe die Tour gewinnen?<br />
Aufgrund der in Albi verlorenen Zeit<br />
kam Pinot nie näher als eine Minute an<br />
das Gelbe Trikot heran.<br />
Es war fast, als wüssten das französische<br />
Publikum und die Presse, dass sie<br />
ihn, wenn sie zu sehr darauf hofften, dass<br />
Pinot gewinnt, mit Druck überladen würden;<br />
und es gab die nagende Furcht, dass<br />
irgendetwas irgendwie bei ihm schiefgehen<br />
würde … wie immer.<br />
Die Aussicht auf einen ersten französischen<br />
Sieger seit 34 Jahren hätte die Nation<br />
in Ekstase versetzen sollen – unter den<br />
gegebenen Umständen war sich das Publikum<br />
zwar bewusst, dass etwas Besonderes<br />
passierte, folgte aber Alaphilippes Beispiel<br />
und nahm die Tour Tag für Tag. (Pinots<br />
Bruder Julien behauptete, der erste französische<br />
Sieger seit Jahren zu sein, sei nicht<br />
ausschlaggebend; sie wollten nur die Tour<br />
gewinnen. „Der erste französische Sieger<br />
seit Hinault zu sein, belastet uns nicht. Es<br />
ist uns egal“, sagt er zu Procycling. „Die<br />
Journalisten interessiert es. Uns? Pah.“)<br />
Doch Pinot versteckte sich nicht. „Bei<br />
Thibaut geht es mehr um Emotionen als<br />
um Action“, sagte Madiot dem Daily Telegraph<br />
während der Tour. Seine Angriffe<br />
in Saint-Étienne, am Tourmalet und Prat<br />
d’Albis erinnerten an die Frankreich-<br />
Rundfahrten in den Zeiten vor Ineos/Sky,<br />
vor Armstrong und vor Indurain und ver-<br />
102 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
THIBAUT<br />
PINOT<br />
ETAPPE<br />
15<br />
SONNTAG, 21. JULI<br />
LIMOUX ›<br />
FOIX PRAT D’ALBIS<br />
185,5 KM<br />
William Bonnet<br />
tröstet Pinot, als<br />
der Schmerz seiner<br />
Verletzung<br />
zu stark ist, um<br />
weiterzufahren.<br />
zauberten die einheimischen Fans ebenso<br />
sehr wie die neutralen Zuschauer. Er<br />
nahm uns alle mit in schwindelerregende<br />
Höhen, daher war es nur natürlich, dass<br />
wir seinen Schmerz mitfühlten, als er hart<br />
auf der Erde aufprallte.<br />
Viele Jahre bewahrte Pinot eine gewisse<br />
Distanz zum französischen Publikum,<br />
erst durch öffentliche Bekundungen von<br />
mangelndem Selbstvertrauen, dann dadurch,<br />
dass er dem größten Rennen seines<br />
Heimatlands die kalte Schulter zeigte und<br />
es vorzog, sich auf neutralem Terrain in<br />
Italien oder Spanien zum Ausdruck zu<br />
bringen. <strong>2019</strong> gestattete er den französischen<br />
Fans zumindest, sich von ihnen<br />
in guten wie in schlechten Zeiten in die<br />
Arme nehmen zu lassen. Ob Pinot davon<br />
profitiert oder nicht, ist fraglich – die französische<br />
Presse schlachtete seine Qualen<br />
in Tignes weidlich aus, und die Erwartung<br />
schien zu sein, dass sein Martyrium öffentlich<br />
und schmerzvoll sein sollte.<br />
Aber die breitere Geschichte war eine<br />
positivere. Pinot hatte endlich die Tour<br />
wiederentdeckt – er versprach, sich von<br />
nun an darauf zu konzentrieren, das Gelbe<br />
Trikot zu gewinnen. Die Tour hat Thibaut<br />
Pinot immer geliebt, aber er hat lange gebraucht,<br />
diese Liebe zu erwidern.<br />
Als sich die Tour dem Fuße des Prat<br />
d’Albis näherte, öffnete der Himmel<br />
seine Schleusen. Zwei Wochen lang war<br />
das Peleton weitgehend von Regen<br />
verschont worden, aber jetzt, als sich<br />
der letzte Anstieg der Pyrenäen näherte,<br />
kam es zu einem heftigen Regenguss.<br />
Die Stadt Foix im Tal war durchnässt,<br />
während niedrig stehende Wolken<br />
und Nebel die Gipfel geheimnisvoll ver -<br />
deckten. Jeder machte sich Gedanken,<br />
was wohl oben zu erwarten sei.<br />
Da die GC-Fahrer am Tourmalet die<br />
Kontrolle behalten hatten, wurde eine<br />
große Ausreißergruppe mit 36 Fahrern<br />
ziehen gelassen, um um den Tagessieg<br />
zu fahren. Simon Yates hatte bei den<br />
ersten drei Anstiegen des Tages<br />
abgewartet, bis die Gruppe allmählich<br />
kleiner wurde. Als Simon Geschke an der<br />
Mur de Péguère vorausging, fuhr Yates<br />
die Lücke zu und zog schließlich von<br />
dannen. Er jagte solo den letzten Anstieg<br />
hinauf und holte seinen zweiten Sieg. Als<br />
die GC-Fahrer am Prat d’Albis eintrafen,<br />
erwies sich Thibaut Pinot zum zweiten<br />
Mal in Folge als der beste Kletterer des<br />
Rennens. Er ging an der steilen, neunprozentigen<br />
Steigung sechs Kilometer<br />
vor dem Ziel aus dem Sattel und keiner<br />
seiner Konkurrenten konnte folgen. An<br />
der Linie hatte er weitere 1:16 auf das<br />
Gelbe Trikot gutgemacht. Nur 2:14 lagen<br />
jetzt zwischen den ersten sechs Plätzen<br />
und der Sieger stand noch in den Sternen.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Simon Yates Mitchelton-Scott 4:47:04<br />
2 Thibaut Pinot Groupama-FDJ +0:33<br />
3 Mikel Landa Movistar gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
7Anzahl der<br />
Grand-Tour-<br />
Etappensiege<br />
von Pinot<br />
SEINE ANGRIFFE IN SAINT-ÉTIENNE, AM TOURMALET<br />
UND PRAT D’ALBIS ERINNERTEN AN DIE ZEITEN VOR<br />
INEOS/SKY, VOR ARMSTRONG UND VOR INDURAIN<br />
UND VERZAUBERTEN DIE EINHEIMISCHEN FANS<br />
EBENSO SEHR WIE DIE NEUTRALEN ZUSCHAUER.<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 61:00:22<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:47<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 284<br />
2 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 191<br />
3 Michael Matthews Team Sunweb 187<br />
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104 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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T O U R<br />
20<br />
19<br />
SIMON<br />
YATES<br />
W I E D E R G U T M A C H U N G<br />
Nach einem unbefriedigenden Giro d’Italia meldete sich Simon<br />
Yates zurück und gewann zwei Etappen der Tour. Es verkörperte<br />
die Fähigkeit seines Mitchelton-Scott-Teams, das Ruder in schwierigen<br />
Situationen herumzureißen.<br />
Text Sophie Hurcom<br />
© Chris Auld<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 105
L E<br />
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19<br />
SIMON<br />
YATES<br />
S<br />
imon Yates steht auf und schüttelt sein<br />
Trikot von der Brust weg, um etwas kühle<br />
Luft zirkulieren zu lassen. Es steht ein<br />
Klimagerät auf dem Boden des Konferenzraums<br />
im dritten Stock des Logis Nîmotel<br />
in Nîmes, wo Mitchelton-Scott am zweiten<br />
Ruhetag der Tour de France untergebracht<br />
ist. Draußen ist das Thermometer<br />
auf 37 Grad geklettert. Yates ist zwar in<br />
einem australischen Team, aber in diesem<br />
sengenden, nicht heimischen Klima ist er<br />
immer noch der Junge aus dem englischen<br />
Bury. Er lacht, als er dem Team-Pressesprecher<br />
sagt, dass er sitzen bleibe, wo er<br />
während unseres Interviews saß – nur vor<br />
einer Klimaanlage halte man es heute aus.<br />
Yates ist guter Dinge, und das ist kein<br />
Wunder. Am Tag zuvor hat er seine zweite<br />
Etappe bei der Tour gewonnen. Er lächelt,<br />
als er sich wieder auf seinen Platz setzt;<br />
aufeinanderfolgende Interviews sind nicht<br />
anstrengend, wenn man gute Resultate<br />
auf seiner Seite hat.<br />
Vor sechs Wochen war das noch ganz<br />
anders. Yates hatte gerade den Giro d’Italia<br />
beendet und war Gesamt-Achter geworden<br />
– mit 7:49 Minuten Rückstand<br />
auf den Sieger Richard Carapaz. Für andere<br />
wäre ein Top-Ten-Platz bei einer großen<br />
Rundfahrt ein mehr als respektables Ergebnis,<br />
doch nicht für Yates. Er war in Italien<br />
angetreten, um den Titel zu holen und<br />
die Erinnerungen an zwölf Monate zuvor<br />
auszulöschen, als er auf der 19. Etappe,<br />
das Rosa Trikot auf den Schultern, entkräftet<br />
einbrach. Moralisch gestärkt durch<br />
seine erste gewonnene Landesrundfahrt,<br />
die Vuelta a España im September, erklärte<br />
er mutig, den Giro im Mai gewinnen zu<br />
wollen. Auf der Pressekonferenz vor dem<br />
Rennen zeigte er selbstsicher und ungeniert<br />
auf sich selbst und sagte „ich“, als er<br />
gefragt wurde, wer der Favorit sei.<br />
Achter zu werden, war nicht sein Plan.<br />
Tatsächlich nannte Yates das Resultat<br />
„herzzerreißend“.<br />
Yates kam dann kurzfristig ins Tour-<br />
Aufgebot, um seinen Bruder Adam in der<br />
Gesamtwertung zu unterstützen. Simon<br />
hatte die Freiheit, auf Etappenjagd zu gehen,<br />
insbesondere als Adam die Gesamtwertung<br />
abschreiben konnte. Er ergriff die<br />
Chance mit beiden Händen und gewann<br />
seine ersten beiden Tour-Etappen sicher<br />
und souverän, erst auf der 12. Etappe in<br />
Bagnères-de-Bigorre aus der Ausreißergruppe<br />
heraus, bevor er die Galavorstellung<br />
drei Tage später auf der 15. Etappe<br />
am Prat d’Albis wiederholte. Wenn Yates’<br />
Glücksbringer beim Giro verloren gegangen<br />
war, hatte er ihn wiedergefunden.<br />
„Körperlich bin ich sehr gut daraus<br />
[dem Giro] hervorgegangen, so gut habe<br />
ich mich noch nie von einer großen Rundfahrt<br />
erholt“, sagt er zu Procycling, während<br />
er mit seinem Silberarmband am linken<br />
Handgelenk spielt.<br />
„Ich war nie fest für die Tour eingeplant,<br />
aber ich habe mich sehr gut regeneriert<br />
und bin dann ohne Druck ins Rennen gegangen,<br />
es ist eine Kombination, um hier<br />
wirklich in guter Form zu starten.“<br />
Yates spielt seine Gefühle nach dem<br />
Giro nicht herunter: „Ich bin dort angetreten,<br />
um zu gewinnen, daraus mache ich<br />
keinen Hehl, und das nicht zu schaffen,<br />
war sehr enttäuschend“, sagt er. Aber er<br />
will das Resultat abhaken. Er habe danach<br />
sofort Urlaub gemacht, wie nach jeder<br />
Landesrundfahrt, und nicht viel Zeit zum<br />
Grübeln gehabt, wie er sagt.<br />
Die Tour lieferte eine willkommene Ablenkung,<br />
zumal er mehr Freiheiten hatte<br />
und weniger unter Druck stand, als wenn<br />
er die Gesamtwertung angepeilt hätte.<br />
Stattdessen konnte er an den Tagen, die<br />
ihm am meisten lagen, angriffslustig und<br />
nach seinem Instinkt fahren, wie er es<br />
mag. Die Etappensiege waren eine natürliche<br />
Folge.<br />
„Ich hatte wirklich Spaß“, sagt Yates.<br />
„Wenn es auf das Ende eines Rennens zugeht,<br />
spürst du den Druck und willst etwas<br />
gewinnen, aber wenn ich etwas versuche<br />
und es nicht funktioniert, ist es<br />
nicht schlimm, denn mein Ziel war, meinen<br />
Bruder Adam zu unterstützen. Ich<br />
habe hier nicht wirklich etwas zu verlieren,<br />
was mir hilft, glaube ich.“<br />
Am Hourquette<br />
d’Ancizan startet<br />
Yates die Attacke,<br />
die ihm den Sieg<br />
auf der 12. Etappe<br />
bringen wird.<br />
DAS POSITIVE SEHEN<br />
Man verliert im Radsport häufiger als man<br />
gewinnt. Dass man sich wieder aufrappelt<br />
und es erneut versucht, ist also ganz<br />
normal. Der Sport ist voller Höhen und<br />
Tiefen, doch Yates und sein Mitchelton-<br />
Scott-Team scheinen es besser zu verstehen<br />
als andere, Enttäuschung schnell in<br />
Freude umzumünzen. Beim Giro 2018<br />
ging Mikel Nieve 24 Stunden nach Yates‘<br />
Einbruch am Colle delle Finestre in die<br />
Ausreißergruppe und gewann die Etappe.<br />
Yates meldete sich nach dem Giro zurück<br />
und entschied die Vuelta für sich. Und als<br />
er beim diesjährigen Giro keine Chancen<br />
mehr auf den Sieg hatte, gewann sein<br />
Teamkollege Esteban Chaves die vorletzte<br />
Bergetappe (19.).<br />
Und jetzt die Tour. Yates’ zwei Siege<br />
waren nicht das Einzige, was Mitchelton<br />
zu feiern hatte; auch Daryl Impey und<br />
Matteo Trentin mischten mit und gewannen<br />
die Etappen 8 und 17, ebenfalls aus<br />
Ausreißergruppen heraus. Obwohl Adam<br />
Yates das Podium weit verfehlte, machten<br />
Mitcheltons vier Etappensiege die Tour<br />
<strong>2019</strong> zu ihrer erfolgreichsten Auflage<br />
überhaupt.<br />
Die Reaktion von Sportdirektor Matt<br />
White, als Yates seine zweite Etappe<br />
gewann, sagte alles. Am Tag vor der<br />
15. Etappe verlor Adam am Tourmalet<br />
6:42 Minuten und rutschte vom 10. auf<br />
den 18. Platz ab. Jeder Hauch von Hoffnung<br />
auf einen Podiumsplatz war verflogen.<br />
Als Simons zweiter Etappensieg<br />
MITCHELTON-<br />
SCOTTS<br />
TOUR-ATTACKEN<br />
Alle vier Etappensiege von Mitchelton-Scott bei der Tour<br />
entstanden aus Ausreißergruppen. Doch diese Tage waren nicht<br />
die einzigen, an denen das Team zum Angriff blies.<br />
ETAPPE FAHRER DISTANZ ERGEBNIS<br />
9 Daryl Impey 156 km 1.<br />
12 Simon Yates & Daryl Impey 167 km 1., 6.<br />
15 Simon Yates 147 km 1.<br />
17 Matteo Trentin 194 km 1.<br />
18 Adam Yates 128 km 31.<br />
19 Simon Yates 101 km (2.)<br />
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SIMON<br />
YATES<br />
ETAPPE<br />
16<br />
DIENSTAG, 23. JULI<br />
NÎMES › NÎMES<br />
177 KM<br />
Die französische Mittagshitze der<br />
unbarmherzig brennenden Sonne, die<br />
die Kehlen der wartenden Tour-Fans<br />
austrocknete und ihnen das Gefühl gab,<br />
langsam gebacken zu werden, legte sich<br />
über Nîmes. Lethargie machte sich im<br />
Peloton breit. Ein nur leichter Wind aus<br />
dem Süden brachte nicht die benötigte<br />
Abkühlung, und das Feld blieb – von der<br />
Hitze wie gelähmt – zusammen.<br />
Vielleicht war es aber auch das<br />
ungewohnte Format dieser Etappe –<br />
sowohl Start als auch Ziel lagen in Nîmes,<br />
es war nicht das normale A nach B, das<br />
von den Organisatoren geplant wurde.<br />
Einer der besten psychologischen Tricks<br />
im Umgang mit der gewaltigen Distanz<br />
der Tour de France ist, sie in Etappen zu<br />
unterteilen, aber im Ziel waren die<br />
Fahrer nicht näher an Paris als beim<br />
Start. Nach zwei Dritteln des Rennens<br />
brach ein Gewitter über das Peloton<br />
herein und senkte die hohe Temperatur.<br />
In den Tagen zuvor hatte die Hitze die<br />
Spritzigkeit der Fahrer gehemmt. Auf<br />
dieser flachen Etappe sahen wir nun den<br />
zweiten Sprintsieg von Caleb Ewan.<br />
Deceuninck führte vorne ab einem<br />
Kilometer vor dem Ziel, doch Ewan eröffnete<br />
seinen Sprint bei 250 Metern und<br />
kämpfte sich vom siebten Platz zu<br />
seinem Etappensieg. Die Hitze kehrte<br />
schnell zurück, aber die kurze Abkühlung<br />
hatte Positives bewirkt.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Caleb Ewan Lotto Soudal 3:57:08<br />
2 Elia Viviani Deceuninck–QS gl. Zeit<br />
3 Dylan Groenewegen Jumbo–Visma gl. Zeit<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 64:57:30<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:47<br />
NACHWUCHSWERTUNG<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 64:59:32<br />
2 David Gaudu Groupama-FDJ +13:31<br />
3 Enric Mas Deceuninck–QS +42:00<br />
© Gruber Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 107
ETAPPE<br />
17<br />
MITTWOCH, 24. JULI<br />
PONT DU GARD › GAP<br />
200 KM<br />
© Getty Images, Yuzuru Sunada (Trentin)<br />
Eine Flucht in der letzten Woche der<br />
Tour erfolgreich zu Ende zu bringen, ist<br />
mehr eine Kunst als eine Wissenschaft,<br />
und das machte Matteo Trentins Sieg in<br />
Gap zu einem capolavoro, einem<br />
Meisterwerk. Bereits zu Beginn der<br />
Etappe entkamen 33 Mann, darunter<br />
Fahrer wie Kasper Asgreen, Magnus<br />
Cort, Michael Schär und Schärs Teamkollege<br />
Greg Van Avermaet. Total Direct<br />
Energie und Arkéa Samsic verpassten<br />
die Absplittung und waren so genötigt,<br />
die Verfolgungsjagd an der Spitze des<br />
Pelotons anzuführen. Als sie die Arbeit<br />
abgaben, wuchs der Abstand auf<br />
20 Minuten. Trentin, der auf eine Attacke<br />
von Nils Politt reagierte, zog eine<br />
Gruppe von zehn starken Fahrern mit<br />
sich. Am Fuße des Col de la Sentinelle<br />
griff der Italiener dann an und ging zu<br />
Recht davon aus, dass die Gruppe<br />
auseinanderbrechen würde. „Ich dachte,<br />
mit vielleicht einem Abstand von zehn<br />
Sekunden würden sie anfangen, sich<br />
gegenseitig zu belauern, und dann<br />
könnte ich es wahrscheinlich schaffen“,<br />
sagte er. Trentin brauchte seine Kraft,<br />
um kurz vor dem Ziel dem Angriff von<br />
Asgreen zu widerstehen. Der Europameister<br />
sagte, er habe sich am meisten<br />
Sorgen um den Deceuninck-Fahrer<br />
gemacht, weil er für die Etappe vom<br />
Team freie Hand bekommen hatte. Doch<br />
die Sorge war unbegründet; der Italiener<br />
erwies sich im Finale als der klügste und<br />
stärkste Athlet auf der Etappe nach Gap.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Matteo Trentin Mitchelton-Scott 4:21:36<br />
2 Kasper Asgreen Deceuninck–QS +0:37<br />
3 Greg Van Avermaet CCC Team +0:41<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 69:39:16<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:47<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 3<strong>09</strong><br />
2 Elia Viviani Deceuninck–QS 224<br />
3 Sonny Colbrelli Bahrain-Merida 203<br />
feststand, gratulierte White Yates über<br />
Funk, fasste sich dann mit der rechten<br />
Hand an die Augen, kniff sich in den Nasenrücken,<br />
und dann liefen die Tränen.<br />
Das bedeutete mehr für Yates und das<br />
Team, als nur eine Etappe zu gewinnen.<br />
„Sehen Sie, das gehört zu meinem Job.<br />
Um das Beste aus den Jungs herauszuholen,<br />
musst du eine Beziehung zu ihnen<br />
haben, und ich glaube, das Geheimnis<br />
dieses Teams ist die Art, wie wir auf<br />
Widrigkeiten reagieren“, sagte White zu<br />
Procycling.<br />
„Es kann so oder so laufen, du kannst<br />
dich runterziehen lassen und jammern<br />
oder eine neue Rechnung aufmachen und<br />
dich auf neue Ziele konzentrieren, und ich<br />
glaube, die Jungs haben wieder einmal<br />
gezeigt, dass sie das können. Es macht<br />
mich sehr stolz, wie diese Jungs reagieren<br />
und füreinander einstehen und den Plan<br />
dann umsetzen.“<br />
Tatsächlich war die souveräne Art, wie<br />
Yates seine beiden Etappen gewonnen hat,<br />
umso beeindruckender. Auf der 12. Etappe<br />
startete er, nachdem er in eine 42 Mann<br />
starke Ausreißergruppe gegangen war, auf<br />
der Kuppe des Hourquette d’Ancizan die<br />
entscheidende Attacke, bei der er Gregor<br />
Mühlberger und Pello Bilbao mitnahm.<br />
Nach einer langen Abfahrt ins Ziel schlug<br />
er die beiden im Sprint – er fuhr das Finale<br />
von vorn und hielt das Paar im Endspurt<br />
auf Distanz.<br />
Drei Tage später nahm er wieder eine<br />
große Ausreißergruppe auseinander. Dieses<br />
Mal setzte sich Yates am zweiten Anstieg<br />
des Tages mit einer 36 Fahrer umfassenden<br />
Gruppe ab. Als einer von nur<br />
wenigen Fahrern ohne Teamkollegen<br />
musste er seine Rivalen einen nach dem<br />
anderen loswerden. Die Gruppe schrumpf -<br />
te am Port de Lers auf 16, und nachdem<br />
Simon Geschke an der Mur de Péguère<br />
attackiert hatte, schloss Yates zu ihm auf.<br />
Das Duo arbeitete zusammen, bevor Yates<br />
8,5 Kilometer vor der Linie angriff und als<br />
Solist ins Ziel fuhr.<br />
„Ich war allein, daher war es sehr<br />
schwer, insbesondere auf diesen Talstraßen.<br />
Teams mit mehreren Fahrern können<br />
etwas versuchen und die Jungs, die keine<br />
Teamkollegen haben, unter Druck setzen.<br />
Aber ich habe die richtigen Hinterräder<br />
gewählt“, sagt er.<br />
Die Fans feuern<br />
Yates auf dem Weg<br />
zu seinem zweiten<br />
Etappensieg in den<br />
Pyrenäen an.<br />
„MEIN ZIEL WAR, MEINEN BRUDER<br />
ADAM ZU UNTERSTÜTZEN. ICH<br />
HABE HIER NICHT WIRKLICH ETWAS<br />
ZU VERLIEREN, WAS MIR HILFT,<br />
GLAUBE ICH.“<br />
Simon Yates, Mitchelton-Scott<br />
108 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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19<br />
SIMON<br />
YATES<br />
„Ich habe einfach die richtigen Karten<br />
ausgespielt und mir die richtigen Hinterräder<br />
ausgesucht und war mir bewusst,<br />
was bei dem Rennen passierte. Keine große<br />
Sache eigentlich, ich versuche einfach,<br />
es mir unterwegs auszurechnen.“ Yates<br />
spielt seine Taktik auf der Etappe vielleicht<br />
herunter, aber White zweifelte nicht daran,<br />
welch starke Leistung sein Fahrer abgeliefert<br />
hatte. „Wenn du in einer 36 Mann<br />
starken Ausreißergruppe bist, kann es<br />
schwer sein, und wie er dieses Finale sezierte<br />
und sich seine Kraft im Anstieg<br />
sehr, sehr gut einteilte … er ist ein klasse<br />
Fahrer und ein verdienter Sieger.“<br />
INS UNBEKANNTE<br />
Zu Yates’ Leistung in Frankreich trug bei,<br />
dass er an den ersten zehn Tagen des<br />
Rennens viel Energie sparte. Trotzdem<br />
kann er sich nicht erklären, warum der<br />
Giro nicht lief wie geplant. „Ich weiß<br />
nicht“, sagt er nach einer Pause. „Meine<br />
Zahlen waren gut, ich war so leicht wie<br />
noch nie im Training und alles lief wirklich<br />
gut und nach Plan. So ist es eben<br />
manchmal. Das ist Sport. Du kannst<br />
nicht alles kontrollieren.“<br />
Er fügt hinzu: „Während des Rennens<br />
waren meine Zahlen nicht so gut wie in<br />
den Wochen davor. Normalerweise hätte<br />
ich erwartet, auf dem Niveau dieser Topfahrer<br />
zu sein; sie waren nicht Meilen<br />
besser als alle anderen. Wir wissen es<br />
immer noch nicht, ich hatte noch keine<br />
Zeit, mich hinzusetzen und alles durchzugehen.“<br />
Nach dem Giro 2018 konnte das Team<br />
genau sagen, was bei seinem Anlauf auf<br />
das Rosa Trikot schiefgegangen war; Yates<br />
war bei jeder Gelegenheit aggressiv gefahren.<br />
Er war erschöpft. Dieses Mal gerät er<br />
durch den Mangel an Antworten wahrscheinlich<br />
mehr in die Defensive als im<br />
7Die Anzahl<br />
von Yates’<br />
Etappensiegen<br />
bei den<br />
drei großen<br />
Rundfahrten<br />
Yates griff auf der<br />
19. Etappe nach<br />
einem dritten Sieg,<br />
ehe sie wegen<br />
schlechtem Wetter<br />
neutralisiert wurde.<br />
letzten Jahr. Aber er versichert, dass die<br />
unerwartete Formdelle kein Grund zur<br />
Besorgnis ist.<br />
„Ich habe es schon einmal geschafft,<br />
ich weiß, dass ich es wieder schaffe“, sagt<br />
er. „Ich denke, ich muss nur darauf achten,<br />
dass wir uns wirklich auf alles konzentrieren<br />
und es nirgendwo schleifen<br />
lassen, und dann können wir es noch einmal<br />
probieren.“<br />
Yates hat jetzt Etappensiege bei den<br />
drei großen Landesrundfahrten zu Buche<br />
stehen: drei beim Giro, zwei bei der<br />
Tour, zwei bei der Vuelta plus einen<br />
Vuelta-Titel. Es ist ein Palmarès, den<br />
keiner seiner britischen Landsleute mit<br />
26 vorweisen konnte.<br />
„Ich bin sehr stolz darauf, was ich<br />
unlängst erreicht habe. Ich bin hierhergekommen,<br />
um Adam zu helfen. Selbst<br />
die Etappen zu gewinnen, war eine<br />
kleine Überraschung“, sagt er mit einem<br />
Lächeln.<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 1<strong>09</strong>
© Gruber Images<br />
110 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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19<br />
JOURNAL<br />
ETAPPE 18<br />
VALLOIRE<br />
25.07.<strong>2019</strong><br />
KOLUMBIEN<br />
TOTAL<br />
GESPANNT<br />
eden Tag nimmt eine lautstarke Gruppe von<br />
J<br />
Ein-Mann-Bands aus lateinamerikanischen<br />
Radiosendern ihre Position vor einem Fernseher<br />
in einem kleinen weißen Pavillon direkt<br />
hinter der Ziellinie ein. Jeder Journalist ist mit kaum mehr<br />
als einem Mikrofon und einer starken, unverwechselbaren<br />
Stimme ausgestattet. Wenn einer ihrer Landsmänner im<br />
Peloton angreift, ist es, als hätte eine Gänseschar einen<br />
Fuchs erblickt: Alle sprechen auf einmal los, um die Fans<br />
zu Hause live auf dem Laufenden zu halten.<br />
Am Ende der 18. Etappe, als der Teer fast schmolz und<br />
die Ohren in der Sonne kribbelten, die auf die Avenue de<br />
la Vallée d’Or in Valloire brannte, nahm die Lautstärke zu,<br />
als Nairo Quintana die Überlebenden der Ausreißergruppe<br />
an den Oberhängen des Galibier, weit oberhalb des<br />
Col du Lauteret, angriff. Kurz darauf wurde das Dach des<br />
Pavillons praktisch heruntergerissen, als der Golden Boy<br />
des Landes, Egan Bernal, die Gruppe um das Gelbe Trikot<br />
angriff und niemand, nicht Thibaut Pinot, nicht Steven<br />
Kruijswijk, nicht Emanuel Buchmann und nicht sein<br />
Teamkollege Geraint Thomas, folgen konnte – auch wenn<br />
der Waliser es versuchte. Ein Kolumbianer für den Etappensieg<br />
und ein anderer, der in der Gesamtwertung vom<br />
fünften auf den zweiten Platz marschiert … für die Radioreporter<br />
gab es viel zu berichten.<br />
Quintana kam mit einem purpurroten Fleck auf seinem<br />
Trikot über die Linie. Blut, flüsterten alle. Woher sollte es<br />
kommen? Ein verschüttetes Energiegel erwies sich als<br />
wahrscheinlicher. Thomas zog die Medien so stark an,<br />
wie ein schwarzes Loch Materie anzieht. Seine Betreuer<br />
drängten und kämpften, um die Reporter und Fernsehkameras<br />
davon abzuhalten, ihren Fahrer zu zermalmen. Es<br />
gab vor allem nur eine Frage: Warum hatte er angegriffen?<br />
George Bennett, der zweimal auf der Etappe gestürzt<br />
war, wehrte Interviews mit einem wackelnden Finger und<br />
einem sauren Gesichtsausdruck ab. Er wurde zur Dopingkontrolle<br />
geführt, wo er seinen Kopf unter Schmerzen<br />
und Müdigkeit gegen die Kabinenwand lehnte, das gelbschwarze<br />
Jumbo–Visma-Trikot über seine Schultern gehängt,<br />
seine Beine blutverschmiert und von Schweiß und<br />
Öl benetzt.<br />
Und dann, einfach so, gingen heftige Regenfälle nieder<br />
und die Hitze in Valloire verflüchtigte sich. Nicht so unsere<br />
kolumbianischen Freunde vom Radio. Mit Bernal als<br />
stärkstem Fahrer in den Alpen würden ihre nächsten Tage<br />
noch aufregender werden.<br />
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112 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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20<br />
19<br />
JULIAN<br />
ALAPHILIPPE<br />
UNIVERSALGENIE<br />
Julian Alaphilippe war der Shootingstar der diesjährigen Tour,<br />
trug 14 Tage lang das Gelbe Trikot und gewann zwei Etappen.<br />
Seine große Persönlichkeit und unwiderstehliche Fahrweise<br />
brachten eine neue Seite des Rennens hervor,<br />
wie Procycling herausfand.<br />
Text Edward Pickering<br />
Fotografie Chris Auld<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 113
Auf dem Schotter<br />
im Finale von La<br />
Planche des Belles<br />
Filles startete<br />
Alaphilippe eine<br />
Attacke.<br />
© Getty Images (klein), Yuzuru Sunada<br />
Der Zeitfahrkurs<br />
in Pau lag Alaphilippe,<br />
dennoch war<br />
sein Sieg eine große<br />
Überraschung.<br />
Zu Beginn der Tour <strong>2019</strong> sagte uns<br />
der Groupama-FDJ-Performance-<br />
Direktor, was wir bereits über Julian<br />
Alaphilippe wussten. „Er ist ein Fahrer,<br />
der eine Laktattoleranz mit einem sehr<br />
hohen VO 2 max kombiniert“, teilte Fred<br />
Grappe der L’Équipe am Vorabend von<br />
Alaphilippes erstem Etappensieg der diesjährigen<br />
Tour in Épernay mit.<br />
„Der Puncheur ist am besten bei stärks -<br />
ten Belastungen von unter einer Minute.<br />
Er ist vergleichbar mit einem 400-Meter-<br />
Läufer – diese Art von Belastungen fürchten<br />
die Athleten am meisten, weil sie am<br />
heftigsten sind. Sie verursachen akute<br />
Schmerzen, und das muss man aushalten<br />
können.“<br />
Natürlich gewinnt ein Fahrer nicht<br />
Flèche Wallonne, Strade Bianche, Mailand–San<br />
Remo und die Clásica San Sebastián,<br />
ohne an seinen Stärken zu arbeiten.<br />
Alaphilippe ist wahrscheinlich der<br />
führende Puncheur der Welt. Zudem ist er<br />
wahrscheinlich der beste Radrennfahrer<br />
der Welt, zumindest bei den Männern.<br />
Kein anderer Fahrer gewinnt eine solche<br />
Bandbreite an Rennen wie Alaphilippe im<br />
Moment, und auch wenn derartige Systeme<br />
die Brillanz manchmal glätten, führt<br />
er alle wichtigen Ranglisten an – Procyclingstats,<br />
CQ Ranking und das World-<br />
Ranking der UCI. Es ist also nicht so, dass<br />
das nicht offensichtlich wäre.<br />
Doch obwohl wir wussten, dass er bei<br />
den hügeligen Klassikern gut war, hatten<br />
wir keine Ahnung, dass in Alaphilippe<br />
trotz seiner Proteste ein potenzieller Toursieger<br />
steckt – wenn auch nicht in diesem<br />
Jahr. Trotz seiner unwiderstehlicher Fahrweise<br />
über zweieinhalb Wochen war klar,<br />
dass es in den Alpen um ihn geschehen<br />
sein würde. Aber stellen Sie sich eine weniger<br />
gebirgige Tour vor, ein Rennen, das<br />
die Hochgebirgsgiganten von <strong>2019</strong> umgeht<br />
und sein Gefechtsfeld ins Mittelgebirge<br />
und auf schweres, welliges Terrain<br />
verlegt. Man kann davon ausgehen, dass<br />
ASO-Streckenplaner Thierry Gouvenou<br />
mit diesen Gedanken spielt.<br />
Alaphilippes Tour hätte nach dem energiegeladenen<br />
Angriff auf der 3. Etappe<br />
nach Épernay als Erfolg gelten können. Ein<br />
Etappensieg und ein paar Tage in Gelb,<br />
und er hätte es locker angehen lassen, Zeit<br />
verlieren, auf das Zentralmassiv und die<br />
Pyrenäen warten und ein zweites Gepunktetes<br />
Trikot und vielleicht noch eine<br />
Etappe gewinnen können. Stattdessen<br />
„DER PUNCHEUR IST AM BESTEN BEI STÄRKSTEN<br />
BELASTUNGEN VON UNTER EINER MINUTE. DIESE<br />
ART VON BELASTUNGEN FÜRCHTEN DIE ATHLETEN<br />
AM MEISTEN, WEIL SIE AM HEFTIGSTEN SIND.<br />
SIE VERURSACHEN AKUTE SCHMERZEN.“<br />
114 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
JULIAN<br />
ALAPHILIPPE<br />
ETAPPE<br />
18<br />
verteidigte er das Gelbe Trikot von vorn<br />
– attackierte in La Planche des Belles<br />
Filles, wo man damit rechnete, dass er<br />
eine Minute oder mehr verlieren würde;<br />
attackierte erneut mit Thibaut Pinot auf<br />
der Etappe nach Saint-Étienne. Er war<br />
genau an der richtigen Stelle, als der Seitenwind<br />
das Peloton auf dem Weg nach<br />
Albi zerriss. Und obwohl die Beobachter<br />
sich fragten, um wie viele verzweifelte<br />
Sekunden er sein Gelbes Trikot beim Zeitfahren<br />
in Pau verteidigen würde, wenn<br />
überhaupt, tat Julian Alaphilippe das Undenkbare<br />
und gewann es.<br />
Die Experten revidierten ihre Prognose<br />
und berücksichtigen die Tatsache, dass<br />
dies keine Strecke für einen Rouleur war<br />
– die flachen, breiten Straßen des traditionellen<br />
Zeitfahrens der Tour wurden ersetzt<br />
durch Kurven und knackige Hügel;<br />
kein Wunder also, dass Alaphilippe gewann.<br />
Aber zu diesem Zeitpunkt des Rennens,<br />
nach gut der Hälfte, hatte es der<br />
Franzose geschafft, einen Vorsprung von<br />
1:26 Minuten auf Geraint Thomas aufzubauen.<br />
Nur drei weitere Fahrer hatten weniger<br />
als drei Minuten Rückstand.<br />
Die Berge würden es zeigen, hieß es am<br />
Vorabend der ersten großen Pyrenäen-<br />
Etappe. Doch auch das blieb Spekulation,<br />
nichts und niemand zeigte es Alaphilippe.<br />
Er war Zweiter am Col du Tourmalet hinter<br />
Pinot, womit er in der Gesamtwertung<br />
zwei Minuten Vorsprung auf den zweitplatzierten<br />
Thomas hatte, und jetzt hatten<br />
nur noch Thomas und Steven Kruijswijk<br />
weniger als drei Minuten Rückstand. Erst<br />
KARRIERE-<br />
HIGHLIGHTS<br />
GROSSE SIEGE<br />
Tour of California<br />
2016<br />
Flèche Wallonne<br />
2018, <strong>2019</strong><br />
Tour de France<br />
Bergwertung 2018<br />
4 x Tour de France<br />
Etappen<br />
1 x Vuelta a<br />
España Etappe<br />
Clásica San<br />
Sebastián 2018<br />
Tour of Britain<br />
2018<br />
Strade Bianche<br />
<strong>2019</strong><br />
Mailand–San<br />
Remo <strong>2019</strong><br />
PLATZIERUNGEN<br />
Lüttich–Bastogne–<br />
Lüttich, 2., 2015<br />
Critérium du<br />
Dauphiné, 6., 2016<br />
Paris–Nizza,<br />
5., 2017<br />
Lombardei-<br />
Rundfahrt, 2., 2017<br />
Tirreno–Adriatico,<br />
6., <strong>2019</strong><br />
Amstel Gold Race,<br />
4., <strong>2019</strong><br />
am nächsten Tag am Prat d’Albis begann<br />
Alaphilippes Gesamtführung, die ein Nebenerzeugnis<br />
seines ursprünglichen Plans<br />
war, jeden Tag so gut wie möglich zu fahren,<br />
zu bröckeln.<br />
Und selbst danach überlebte er die<br />
Etappe nach Valloire über drei mächtige<br />
Cols dank einer superben Abfahrt vom<br />
Galibier. „Noch am Leben“, lautete die<br />
Überschrift der L’Équipe am folgenden<br />
Tag. Alaphilippe erwischte es schließlich<br />
am Col de l’Iseran und im Anstieg nach<br />
Val Thorens, er verlor einen Platz auf der<br />
19. Etappe und rutschte, als das Rennen<br />
die Alpen verließ, um weitere drei Ränge<br />
auf den fünften Platz ab. Wie sein Manager<br />
Patrick Lefevere sagte: „Selbst Duracell-Batterien<br />
sind irgendwann mal leer.“<br />
Ein Toursieger? Nur unter sehr speziellen<br />
Umständen und in einem Maße, dass<br />
es nicht wirklich wichtig ist, wenn es ihm<br />
so viel Spaß macht, das Rennen aufzumischen.<br />
Julian Alaphilippe hat die taktischen<br />
Regeln des größten Rennens der<br />
Welt <strong>2019</strong> neu geschrieben. Selbst wenn<br />
er nicht gewonnen hat, hat er vielleicht<br />
Möglichkeiten eröffnet, damit andere Fahrer<br />
etwas Ähnliches versuchen können.<br />
DER GRÖSSTE ENTERTAINER<br />
Es gibt Videos von Alaphilippe im Internet,<br />
wie er nach dem einen oder anderen<br />
Rennen im Mannschaftswagen tanzt und<br />
singt. Die Kamera liebt ihn und er liebt sie<br />
zurück. Er unterlegt sein Talent als Rennfahrer<br />
mit einem unglaublichen Charisma<br />
und war ohne Zweifel die dominante Persönlichkeit<br />
der diesjährigen Tour. Alaphilippe<br />
ist ein positives, medienfreundliches<br />
Yin zum distanzierten und düsteren Yang<br />
seines Landsmanns Thibaut Pinot.<br />
Man kann einen interessanten Vergleich<br />
ziehen nicht nur mit Pinot, sondern auch<br />
mit Peter Sagan. Sagan war bei der Tour in<br />
den letzten Jahren ebenso dynamisch und<br />
präsent – er hat viele Etappen und sieben<br />
Grüne Trikots gewonnen, und das mit<br />
ebenso viel Stil und Klasse wie Alaphilippe.<br />
Aber Sagan wirkte in der Mixed Zone<br />
der Tour erschöpft, tat sich sichtbar schwer,<br />
auf Fragen zu reagieren, und murmelte seine<br />
Antworten, während Alaphilippe auf<br />
Alaphilippes Abfahrtsstärke<br />
rettete ihm Zeit am Galibier auf<br />
der 18. Etappe.<br />
DONNERSTAG, 25. JULI<br />
EMBRUN › VALLOIRE<br />
208 KM<br />
Das war sie: die Königsetappe. Von<br />
Embrun nach Valloire, über den Col de<br />
Vars, Izoard und Galibier. Dieses Trio mit<br />
jeweils über 2.000 Meter Höhe formte<br />
die schwerste Bergetappe dieser Tour.<br />
Nach dem Feuerwerk in den Pyrenäen<br />
waren die Hoffnungen groß, dass die<br />
Fahrer so weitermachen würden. Doch<br />
das taten sie nicht. Zumindest nicht<br />
sofort. Mehr als 30 Fahrer taten sich an<br />
der Côte des Demoiselles Coiffées<br />
zusammen, darunter große Namen wie<br />
Nairo Quintana, Adam Yates und Romain<br />
Bardet, deren GC-Hoffnungen sich in<br />
den Pyrenäen erledigt hatten. Am<br />
Galibier erwachte die Etappe dann zum<br />
Leben: Bardet griff die Spitzengruppe<br />
an, was Quintana provozierte. Und nun<br />
kam auch Action in die Gruppe um das<br />
Gelbe Trikot. Egan Bernal griff drei<br />
Kilometer vom Galibier entfernt an. Etwa<br />
zwei Kilometer später attackierte sein<br />
Teamkollege Geraint Thomas, was eine<br />
Verfolgungsjagd auslöste, die Bernal zur<br />
Führung verhalf. Thomas sagte später,<br />
dass er versucht habe, Alaphilippe<br />
abzuschütteln. Diese Ausrede hätte<br />
vielleicht geklappt, wenn er von jemand<br />
anderem als dem besten Abfahrer des<br />
Pelotons gesprochen hätte. Tatsächlich<br />
fuhr Loulou auf halbem Weg nach unten<br />
wieder in die Gruppe und ging nach<br />
vorne. Ineos’ Teamzusammenhalt ist<br />
eine unbestreitbare Stärke, aber auf dem<br />
Galibier sah es so aus, als würden zwei<br />
seiner Fahrer die Tour gewinnen wollen.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Nairo Quintana Movistar Team 5:34:15<br />
2 Romain Bardet AG2R La Mondiale +1:35<br />
3 Alexey Lutsenko Astana Pro Team +2:28<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 75:18:49<br />
2 Egan Bernal Team Ineos +1:30<br />
3 Geraint Thomas Team Ineos +1:35<br />
BERGWERTUNG<br />
1 Romain Bardet AG2R La Mondiale 86<br />
2 Tim Wellens Lotto Soudal 74<br />
3 Damiano Caruso Bahrain Merida 60<br />
© Getty Images, Yuzuru Sunada (Quintana)<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 115
ETAPPE<br />
19<br />
JULIAN<br />
FREITAG, 26. JULI<br />
SAINT-JEAN-DE-MAURIENNE ›<br />
TIGNES<br />
89 KM<br />
„Und so endete die Verteidigung des<br />
Gelben Trikots. Nicht mit einem Knall,<br />
sondern ganz in Ruhe.“ So hätte das Fazit<br />
dieser Etappe aus der Feder eines<br />
Schriftstellers lauten können.<br />
Es war nicht Julian Alaphilippes Schuld,<br />
dass sein Versuch, das Gelbe Trikot zu<br />
verteidigen, durch die schweren<br />
Unwetter und die von den Wassermassen<br />
verursachten Erdrutsche im wahrsten<br />
Sinne des Wortes den Bach herunterging.<br />
Der Franzose war im Anstieg von Geraint<br />
Thomas, Steven Kruijswijk und Emanuel<br />
Buchmann abgehängt worden, die<br />
wiederum Zeit auf Egan Bernal verloren<br />
hatten. Während er auf den Kolumbianer<br />
an der Spitze zwei Minuten verloren<br />
hatte, hätte er zumindest auf die anderen<br />
in der Abfahrt wieder Zeit gutmachen<br />
können. Doch die Tour <strong>2019</strong> wurde an<br />
diesem Tag vom Wetter bestimmt. Hätte<br />
Alaphilippe sie eingeholt? Hätte es Bernal<br />
beim letzten Anstieg nach Tignes ruhiger<br />
angehen lassen? Wäre etwas noch<br />
weniger Vorhersehbares passiert?<br />
Während die verbliebenen Fahrer mit<br />
den Schultern zuckten und die Radsportwelt<br />
in ein schwarzes Loch von Fragen<br />
und Spekula tionen fiel, war an diesem<br />
Tag eines gewiss: Die Tour des französischen<br />
Helden Thibaut Pinot war vorbei,<br />
nach dem ein Muskelfaserriss ihn im<br />
Vorfeld des vorzeitigen Etappenendes<br />
zur schmerzhaften und tränenreichen<br />
Aufgabe gezwungen hatte.<br />
seinen täglichen Pressekonferenzen mitteilsam<br />
und offen war, wenn er Hof hielt<br />
und Witze machte mit den Journalisten<br />
und der Dolmetscherin.<br />
Ihm wurde eine Frage auf Französisch<br />
gestellt und er antwortete auf Englisch, bevor<br />
er in Gelächter ausbrach angesichts der<br />
Absurdität, seine Sprachen als Franzose<br />
beim größten sportlichen und kulturellen<br />
Ereignis Frankreichs durcheinanderzuwerfen.<br />
„See you tomorrow“, sagte er neckisch,<br />
als ein Journalist ihn fragte, ob er das Trikot<br />
am nächsten Tag halten könne.<br />
Natürlich war dies Sagans achte Tour<br />
und die siebte, bei der er als Träger des<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
ALAPHILIPPE<br />
Selbst als Etappe<br />
19 neutralisiert<br />
wurde und er Gelb<br />
verlor, konnte<br />
Alaphilippe noch<br />
immer lächeln.<br />
Grünen Trikots tägliche Interviewrunden<br />
ertragen musste. Es ist Alaphilippes dritte<br />
und erst die zweite, bei der er wirklich im<br />
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.<br />
Das Neue hat sich noch nicht abgenutzt.<br />
Aber er war freundlich und positiv in<br />
seinem Umgang mit den Journalisten. Die<br />
französischen Medien hätten gerne eine<br />
Rivalität mit Pinot hochgespielt, aber als<br />
Alaphilippe gegen Ende des Rennens nach<br />
dem Groupama-Fahrer gefragt wurde, sagte<br />
er: „Wenn ich die Tour nicht selbst gewinnen<br />
kann, will ich, dass Pinot sie gewinnt.“<br />
Es gab während Alaphilippes gesamter<br />
Tour nicht das geringste Anzeichen, dass<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 2:40:31<br />
2 Simon Yates Mitchelton-Scott +0:13<br />
3 Warren Barguil Arkéa Samsic +0:40<br />
GESAMTWERTUNG<br />
© Getty Images, Yuzuru Sunada (Bernal)<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 78:00:42<br />
2 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS +0:45<br />
3 Geraint Thomas Team Ineos +1:11<br />
NACHWUCHSWERTUNG<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 78:00:42<br />
2 David Gaudu Groupama-FDJ +20:45<br />
3 Enric Mas Deceuninck–QS +52:53<br />
116 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
er unter Druck steht. Von Brüssel bis zum<br />
Prat d’Albis ging für ihn nichts schief, und<br />
auch als er schließlich Zeit zu verlieren<br />
begann, griff er das Rennen mit Verve an.<br />
Selbst als er das Gelbe Trikot im Chaos der<br />
Neutralisierung des Rennens am Iseran<br />
verlor, unterhielt er das Publikum, lehnte<br />
sich aus dem Fenster des Mannschaftswagens<br />
und dirigierte Fans, die seinen<br />
Namen sangen.<br />
14 Tage von seinen 14 Tagen als Spitzenreiter<br />
hatte er alle Fragen, ob er das<br />
Rennen gewinnen könne, bescheiden abgewehrt.<br />
„Es war eine unvergessliche Tour<br />
mit 14 Tagen in Gelb und meinen zwei<br />
Etappensiegen“, sagte er, als ihm das Leadertrikot<br />
schließlich abgenommen wurde.<br />
„Aber das ändert nicht meine Zukunft. Es<br />
ist mir klar: Der Parcours der ersten Woche<br />
hat mir perfekt gelegen; das Zeitfahren<br />
in Pau war wie geschaffen für mich.<br />
Vielleicht muss ich ein paar Jahre warten,<br />
bis die Umstände wieder so günstig für<br />
mich sind.“<br />
Lefevere hat ihm geraten, die Gesamtwertung<br />
weitere zwei Jahre nicht als offizielles<br />
Projekt zu betrachten, was heißt,<br />
dass die Fans vielleicht eine Weile auf eine<br />
Wiederholung von <strong>2019</strong> warten müssen.<br />
„Das passt mir gut“, sagte Alaphilippe.<br />
„Es würde genau zum Nachteil dessen<br />
gereichen, was es mir erlaubt, Rennen zu<br />
gewinnen. Wenn ich mich ganz auf die<br />
Gesamtwertung konzentrieren würde,<br />
würde es auf Kosten dessen gehen, und<br />
das will ich im Moment nicht. Um eine<br />
„DER PARCOURS DER ERSTEN WOCHE HAT MIR<br />
PERFEKT GELEGEN; DAS ZEITFAHREN IN PAU WAR<br />
WIE GESCHAFFEN FÜR MICH. VIELLEICHT MUSS ICH<br />
EIN PAAR JAHRE WARTEN, BIS DIE UMSTÄNDE<br />
WIEDER SO GÜNSTIG FÜR MICH SIND.“<br />
Auch wenn er<br />
am Prat d’Albis<br />
von der GC-Gruppe<br />
abgehängt wurde,<br />
gab Alaphilippe<br />
nicht auf.<br />
4Anzahl der<br />
Etappensiege<br />
für Alaphilippe<br />
bei der Tour<br />
de France<br />
große Rundfahrt zu gewinnen, musst du<br />
dich drei Wochen lang konzentrieren und<br />
sogar schon monatelang vorher. Für mich<br />
ist das schwer – ich muss mich ein bisschen<br />
entspannen können, bevor ich mich<br />
auf ein anderes Ziel konzentriere.“<br />
Alaphilippes größter Einfluss auf die<br />
Tour <strong>2019</strong> könnte jedoch seine Wirkung<br />
als Katalysator sein. Obwohl er nicht die<br />
Gesamtwertung anstrebte, erinnerte es an<br />
Simon Yates’ Methode beim Giro d’Italia<br />
2018. Wie Alaphilippe hatte Yates in den<br />
ersten zwei Wochen seinen Rivalen hier<br />
und da ein bisschen Zeit abgenommen,<br />
und obwohl er auf der 19. Etappe schließlich<br />
einbrach, nutzte er eine andere Technik<br />
als die von Sky in den letzten Jahren<br />
eingesetzte Methode, einmal zuzuschlagen<br />
und alles klarzumachen.<br />
Wenn die richtige Tour-Route abgesteckt<br />
wird und Alaphilippe eine ähnliche<br />
oder sogar noch bessere Form hat als<br />
<strong>2019</strong>, könnten sich seine Rivalen an ihm<br />
die Zähne ausbeißen. Alle Zeitgewinne hat<br />
er dieses Jahr à la pédale herausgefahren<br />
– mit seinen Beinen statt mit Taktik oder<br />
Glück. Wenn er diese Gelegenheit noch<br />
einmal bekommt, aber ohne die großen<br />
Berge, hat Alaphilippe uns vielleicht eine<br />
Vorschau auf seine Zukunft gegeben.<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 117
© Chris Auld<br />
118 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
War dein zweiter Platz in diesem<br />
Jahr angesichts deiner Rückschläge<br />
schwerer als dein Sieg im letzten Jahr?<br />
Dieses Jahr war es eher eine mentale als<br />
eine physische Herausforderung. Im letzten<br />
Jahr hatte ich einen Lauf, es gab keine<br />
wirklichen Rückschläge im Rennen oder<br />
davor. In diesem Jahr war es ein echter<br />
Kampf, aber ich bin stolz, dass ich es geschafft<br />
habe, in der Spur zu bleiben. Es<br />
hätte nicht so sein sollen, aber ich bin<br />
trotzdem zufrieden. Ich wollte gewinnen,<br />
aber dass Egan gewann und ich immerhin<br />
Zweiter wurde, ist auch gut.<br />
Wie hast du die Störgeräusche ausgeblendet,<br />
als du in die Tour gingst?<br />
Ich halte mich aus dem Gerede heraus,<br />
ich nutze kein Social Media und bleibe in<br />
meiner eigenen kleinen Welt. Meine Frau<br />
ist gut darin, mich aufzurichten und bei<br />
Laune zu halten. Das Beste ist, sich nicht<br />
in die ganze Tour-Blase einwickeln zu<br />
lassen, weil es so intensiv ist. Wenn ich<br />
mich für jedes Selfie, um das ich gebeten<br />
werde, hinstellen würde, wäre ich noch auf<br />
der 3. Etappe. Das ist manchmal wirklich<br />
schwer, weil dir alle vorwerfen, wie ein<br />
Roboter zu sein.<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
G E R A I N T<br />
THOMAS<br />
DIE SCHWERE ZWEITE<br />
TOUR<br />
Der Sieger von 2018, Geraint Thomas, musste<br />
vor und während der diesjährigen Tour<br />
mehrere Rückschläge überwinden, wurde aber<br />
trotzdem Zweiter hinter seinem Teamkollegen<br />
Egan Bernal. Er erzählt Procycling, warum er<br />
sehr stolz auf das Resultat ist.<br />
Interview Sam Dansie<br />
Hat es Spaß gemacht, anders fahren<br />
zu können und die Tour auf andere<br />
Weise zu gewinnen?<br />
Ja. Es ist leicht, ein Team zu kritisieren,<br />
das gut fährt und mit einer bestimmten<br />
Formel gewinnt, aber es ist wie bei allem<br />
anderen: Wenn du Tomatenketchup<br />
machst und ein tolles Rezept hast, warum<br />
solltest du es ändern? Wir hatten eine bestimmte<br />
Formel, und in diesem Jahr<br />
mussten wir sie ändern, daher war es<br />
schön, auf diese Weise Erfolg zu haben.<br />
Vor der Tour haben wir dich gefragt,<br />
ob andere Teams einen Minderwertigkeitskomplex<br />
hätten. Du sagtest:<br />
„Vielleicht.“ Was würdest du jetzt<br />
antworten?<br />
Ich glaube, andere Teams sind ermutigt<br />
worden. Wir waren in den Bergen nicht<br />
ganz so stark wie früher, aber ich glaube,<br />
unsere größte Stärke – ich weiß, dass wir<br />
uns ständig darüber auslassen – ist die<br />
Kommunikation und Solidarität der Gruppe.<br />
Selbst wenn du nicht so gute Beine<br />
hast wie früher, ist es der Zusammenhalt,<br />
der uns stark macht, nicht die Einzelperson.<br />
Alle reden die ganze Zeit vom Geld,<br />
und das spielt eine Rolle, aber wenn du<br />
ETAPPE<br />
20<br />
SAMSTAG, 27. JULI<br />
ALBERTVILLE ›<br />
VAL THORENS<br />
59,5 KM<br />
Frühe Forscher, die die Alpen erkundeten,<br />
erwähnten den Mont Iseran, einen<br />
scheinbar 4.000 Meter hohen Gipfel<br />
in der Vanoise. Erst im 19. Jahrhundert,<br />
als die Region richtig kartiert wurde,<br />
erkannten die Menschen, dass es keinen<br />
solchen Gipfel gab. Es ist nicht einfach,<br />
einen Berg zu verlieren, doch die Tour<br />
de France hat auf der 20. Etappe des<br />
Rennens <strong>2019</strong> nach Val Thorens die<br />
gleiche Leistung vollbracht. Erdrutsche<br />
auf dem Cormet de Roselend zwangen<br />
die Organisatoren, diesen und einen<br />
weiteren Anstieg aus der Etappe zu<br />
streichen, und machten aus einer schweren<br />
letzten alpinen Herausforderung<br />
eine reine und beanspruchende<br />
Kletterpartie hoch nach Val Thorens.<br />
Jeder, der geplant hatte, den neuen<br />
Führenden Egan Bernal zu attackieren,<br />
hatte plötzlich den Großteil der<br />
Möglichkeiten verloren, auf dem er dies<br />
hätte tun können. Bernal und sein Team<br />
Ineos gingen auf der gekürzten Etappe<br />
auf Nummer sicher. Sie setzten sich<br />
hinter Jumbo, dessen Interesse darin<br />
lag, das Tempo hoch zu halten, Julian<br />
Alaphilippe vom Podium zu verdrängen<br />
und ihn durch ihren Kapitän Steven<br />
Kruijswijk zu ersetzen. Vincenzo Nibali<br />
dagegen zog die anderen 30 Fahrer ab,<br />
die als Gruppe vor dem Peloton fuhren,<br />
und ging mit Bärenkräften in den letzten<br />
Anstieg, um sich die Etappe zu<br />
holen, während Bernal seinen<br />
Gesamtsieg sicherte.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Vincenzo Nibali Bahrain-Merida 1:51:53<br />
2 Alejandro Valverde Movistar Team +0:10<br />
3 Mikel Landa Movistar Team +0:14<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 79:52:52<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:11<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:31<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 3<strong>09</strong><br />
2 Elia Viviani Deceuninck–QS 224<br />
3 Sonny Colbrelli Bahrain Merida 203<br />
© Getty Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 119
ETAPPE<br />
21<br />
G<br />
SONNTAG, 28. JULI<br />
RAMBOUILLET ›<br />
PARIS CHAMPS-ÉLYSÉES<br />
128 KM<br />
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
E R A I N T<br />
THOMAS<br />
Honoré de Balzac schrieb einmal: „Wer<br />
Paris nicht regelmäßig besucht, wird nie<br />
wirklich elegant sein.“ Diesen Ratschlag<br />
hat die Tour in ihr Herz geschlossen. Seit<br />
der ersten Ausgabe im Jahr 1903 ist das<br />
Rennen jedes Jahr in der französischen<br />
Hauptstadt zu Ende gegangen, und nur<br />
für den Fall, dass die Fernsehbilder noch<br />
nicht elegant genug waren, schickte die<br />
ASO die Fahrer in diesem Jahr durch das<br />
Musée du Louvre. Caleb Ewan zeigte,<br />
dass er bei dieser Tour der König der<br />
Sprinter war, indem er an Dylan<br />
Groenewegen vorbeizog, um die letzte<br />
und prestigeträchtigste Etappe zu<br />
gewinnen, während Egan Bernal mit<br />
seinem Gesamtsieg nicht nur sein Team<br />
Ineos überragend vertrat, sondern vor<br />
allem sein Heimatland Kolumbien in eine<br />
neue Radsportära führte. Es war der<br />
erste Toursieg des 22-Jährigen, von dem<br />
wir in den nächsten Jahren sicher noch<br />
mehr sehen werden.<br />
ETAPPENERGEBNIS<br />
1 Caleb Ewan Lotto Soudal 3:04:08<br />
2 D. Groenewegen Jumbo–Visma gl. Zeit<br />
3 N. Bonifazio Total Direct Energie gl. Zeit<br />
dir Fußballteams wie Paris Saint-Germain<br />
anschaust, die alle guten Spieler kaufen,<br />
heißt das nicht, dass sie die Champions<br />
League gewinnen. Du brauchst die richtige<br />
Philosophie und Einstellung. Aber andere<br />
Teams haben sich gesteigert, und das<br />
ist gut für den Sport. Ich glaube, Sunweb<br />
hätte mit Dumoulin, wenn er fit gewesen<br />
wäre, vorne mitgemischt. Jumbo und Movistar<br />
waren stark. Die Teams holen auf.<br />
Warum, glaubst du, ist das so?<br />
Ich glaube, es sind nicht nur die Kapitäne<br />
und einzelne Fahrer in den Teams gut,<br />
sondern die ganzen Teams trainieren auf<br />
ähnliche Art zusammen. Es sind keine<br />
guten Nachrichten für uns, weil es für<br />
uns schwerer wird, aber es macht die Sache<br />
spannender.<br />
Holen die anderen Teams auf oder<br />
lässt Ineos nach?<br />
Wenn du jede Tour vergleichst, vergleichst<br />
du sie mit den Besten, die wir hatten, und<br />
es ist klar, dass wir in den Bergen nicht so<br />
stark waren wie sonst. Ich will damit nicht<br />
sagen, dass wir schwach waren, ich glaube<br />
nicht, dass wir schwächer als die meisten<br />
anderen Teams waren. Das Rennen war<br />
auch anders. Wir sind nicht gefahren, wie<br />
wir normalerweise fahren würden, weil<br />
wir das Gelbe Trikot nicht in unseren Reihen<br />
hatten. Das lässt es schwächer aussehen,<br />
als es eigentlich war.<br />
den 69, während ich vor dem Zeitfahren<br />
und selbst noch vor der Etappe zum Tourmalet<br />
67,5 wog, also ein gutes Kilo weniger.<br />
Das war nicht genug.<br />
Ein Kilo leichter scheint viel zu sein.<br />
War das eine Reaktion auf die Route?<br />
Eigentlich nicht. Ich habe versucht, so<br />
schlank und leicht wie möglich zu sein,<br />
und dann ging ich in die Tour und dachte:<br />
„Gut, ich bin leicht.“ Es scheint zwei<br />
Wochen vorher runterzugehen. Ich war<br />
konstant im oberen 67er-Bereich statt<br />
im mittleren 68er, also ein halbes Kilo<br />
und ein Kilo leichter.<br />
Wann war klar, dass du Bernal helfen<br />
musstest?<br />
Nach der Etappe über den Iseran.<br />
EIN JAHR VOLLER<br />
RÜCKSCHLÄGE<br />
© Getty Images, BettiniPhoto (Baskenland-Rundfahrt, Schweiz)<br />
GESAMTWERTUNG<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 82:57:00<br />
2 Geraint Thomas Team Ineos +1:11<br />
3 Steven Kruijswijk Jumbo–Visma +1:31<br />
PUNKTEWERTUNG<br />
1 Peter Sagan Bora–hansgrohe 316<br />
2 Caleb Ewan Lotto Soudal 248<br />
2 Elia Viviani Deceuninck–QS 224<br />
BERGWERTUNG<br />
1 Romain Bardet AG2R La Mondiale 86<br />
2 Egan Bernal Team Ineos 78<br />
2 Tim Wellens Lotto Soudal 75<br />
NACHWUCHSWERTUNG<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 82:57:00<br />
2 David Gaudu Groupama-FDJ +23:58<br />
3 Enric Mas Deceuninck–QS +58:20<br />
Beim Zeitfahren in Pau fehlten dir<br />
ein paar Prozent, sagtest du. Worauf<br />
führst du das im Nachhinein zurück?<br />
Und hat es sich nicht ausgewirkt,<br />
dass du die Tour de Suisse hinter dir<br />
hattest?<br />
Ich glaube nicht, dass die Tour de Suisse<br />
viel ausgemacht hat. Ich glaube, es hatte<br />
mehr mit meinen mangelnden Energiereserven<br />
zu tun. Ich war am Limit. Wir<br />
haben die Kohlehydrate, die ich nach jeder<br />
Etappe brauchte, abgewogen, und bis zu<br />
dem Punkt war ich direkt am Limit und<br />
hätte etwas mehr zu mir nehmen sollen.<br />
Ich glaube, das war es, was mir beim Zeitfahren<br />
und am Tourmalet zu schaffen gemacht<br />
hat. Nach dem Tourmalet dachte<br />
ich: „Mist, ich muss noch ein bisschen<br />
mehr in mich reinkriegen.“ Ich bin in Foix<br />
zurechtgekommen und fühlte mich den<br />
Rest des Rennens besser.<br />
War das anders als im letzten Jahr?<br />
Im letzten Jahr wog ich um die 68 Kilo<br />
und näherte mich in der letzten Woche<br />
TIRRENO–<br />
ADRIATICO<br />
Das Frühjahr des<br />
Walisers wird<br />
zerrissen, als er<br />
beim Rennen<br />
zwischen den<br />
Meeren auf der<br />
vierten Etappe mit<br />
Magenproblemen<br />
aussteigen muss.<br />
TOUR DE FRANCE<br />
ETAPPE 1<br />
Innerhalb der Drei-<br />
Kilometer-Marke<br />
stürzt er während der<br />
Sprintvorbereitungen<br />
der anderen Teams:<br />
„Zum Glück war ich<br />
ziemlich langsam.“<br />
BASKENLAND-<br />
RUNDFAHRT<br />
Die Teamkollegen<br />
von<br />
Thomas, Michał<br />
Kwiatkowski und<br />
Jonathan Castroviejo,<br />
kommen<br />
bei einem späten<br />
Sturz auf Etappe<br />
3 zu Fall.<br />
TOUR DE FRANCE<br />
ETAPPE 8<br />
Drei Kilometer vor<br />
dem letzten Anstieg<br />
kann Thomas nicht<br />
mehr ausweichen,<br />
als EF Drapacs<br />
Michael Woods vor<br />
ihm zu Fall kommt.<br />
TOUR DE<br />
SUISSE<br />
Der schwerste Rückschlag<br />
ist der Sturz auf<br />
der vierten Etappe, bei<br />
dem er sich einen Cut<br />
über dem rechten Auge<br />
zuzieht. Thomas muss<br />
das Rennen beenden,<br />
trainiert aber daheim in<br />
Monaco weiter.<br />
TOUR DE FRANCE<br />
ETAPPE 16<br />
Auf dem Weg nach<br />
Nîmes rutscht er in<br />
einer harmlosen<br />
Kurve ohne ersichtlichen<br />
Grund weg<br />
und fällt dabei auf<br />
die Schulter.<br />
120 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
L E<br />
T O U R<br />
20<br />
19<br />
G E R A I N T<br />
THOMAS<br />
Als Bernal sich am Iseran absetzte,<br />
warst du in einer guten Position<br />
hinter Jumbo, und dann wurde das<br />
Rennen abgebrochen. Hattest du<br />
geplant, im Schlussanstieg nach<br />
Tignes anzugreifen?<br />
Ja. Ich wollte natürlich sehen, wie sich das<br />
Rennen entwickelt, aber ich hätte etwas<br />
versucht, wenn ich mich noch gut gefühlt<br />
hätte. Wir waren dabei, Zeit auf Alaphilippe<br />
und die anderen Klassementfahrer<br />
zu gewinnen.<br />
Wuchsen deine Hoffnungen?<br />
Es war eine gute Situation für das Team,<br />
und dafür sind wir das Rennen gefahren.<br />
Was passierte, ist passiert, und ebenso<br />
wie die Stürze und diese fehlenden Energiereserven<br />
– es ist so und du kannst<br />
nichts daran ändern. Du musst einfach<br />
weitermachen. Manchmal soll es einfach<br />
nicht sein.<br />
Was hast du gefühlt, als das Rennen<br />
abgebrochen wurde?<br />
Überraschung, dann Enttäuschung. Aber<br />
was willst du machen? Niemand konnte<br />
es vorhersehen, niemand konnte es beeinflussen.<br />
Trotzdem aufs Podium zu kommen,<br />
als Zweiter hinter einem tollen<br />
Fahrer, fühlt sich daher wie eine ordent -<br />
liche Leistung an.<br />
Hat es irgendeine andere Zeit in deiner<br />
Karriere gegeben, wo du ähnliche Rückschläge<br />
hattest wie in diesem Jahr?<br />
Eigentlich nicht. Jedes Mal, wenn ich einen<br />
großen Erfolg hatte, hatte ich mich<br />
gut vorbereitet, und ich hatte meistens<br />
Glück, dass aus den großen Erfolgen, die<br />
ich angepeilt habe, schließlich etwas geworden<br />
ist. Aber in dieser Saison … ich<br />
kann Rad fahren und hart trainieren, denn<br />
Thomas war<br />
nicht weit von der<br />
Siegesform der<br />
letzten Tour entfernt,<br />
musste sich<br />
aber dennoch geschlagen<br />
geben.<br />
„ALLE REDEN DIE GANZE ZEIT VOM<br />
GELD, ABER WENN DU DIR FUSSBALL-<br />
TEAMS WIE PARIS SAINT-GERMAIN<br />
ANSCHAUST, DIE ALLE GUTEN SPIELER<br />
KAUFEN, HEISST DAS NICHT, DASS SIE<br />
DIE CHAMPIONS LEAGUE GEWINNEN.“<br />
Geraint Thomas, Team Ineos<br />
das ist es, was ich liebe und seit meiner<br />
Kindheit mache, aber die ganze mentale<br />
Seite in diesem Jahr … die Aufmerksamkeit<br />
und der Druck … obwohl ich es nicht<br />
lese und es zu umgehen versuche, erreicht<br />
es mich trotzdem, und dadurch blieb es<br />
einfach stark.<br />
Schweres zweites Album?<br />
Auf jeden Fall. Du wechselst das Studio,<br />
du wechselst die Wohnung, und es ist einfach<br />
anders.<br />
Welche Schlüsse ziehst du daraus?<br />
Das Team ist voller Kapitäne. Kann<br />
das ein Hindernis werden?<br />
Es wird schwer, wenn wir alle drei [Thomas,<br />
Froome und Bernal] hier antreten<br />
und gewinnen wollen, dann haben wir nur<br />
fünf Helfer. Das wird eine große Herausforderung.<br />
Darüber werde ich am Ende der<br />
Saison nachdenken. Erst einmal will ich<br />
abschalten und aus dieser Blase herauskommen,<br />
denn es ist so intensiv. Es wird<br />
schön, einmal ganz entspannen und abschalten<br />
zu können und vielleicht über das<br />
WM-Zeitfahren nachzudenken. Ich denke,<br />
das wäre ein schönes kleines Ziel, um<br />
das Jahr stark zu beenden.<br />
© Gruber Images<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 121
WUNSCHLISTE<br />
DIE PRODUKT-HIGHLIGHTS DES MONATS<br />
122 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
SPECIALIZED<br />
S-WORKS<br />
ROUBAIX<br />
SRAM RED<br />
ETAP AXS<br />
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Leicht, steif und komfortabel:<br />
Das neue S-Works Roubaix von<br />
Specialized mutet einem wie das<br />
perfekte Bike für jeden Fahrer an.<br />
Mal wieder haben die Ingenieure<br />
der Kalifornier alle Register<br />
gezogen, um ein Rad zu entwickeln,<br />
das optisch und technisch ganz<br />
oben steht. So wartet der aerooptimierte<br />
Rahmen nicht nur mit<br />
der Future-Shock-2.0-Federung<br />
und einem Rahmengewicht von<br />
unter 900 Gramm auf, sondern<br />
auch das Komplettrad mit<br />
drahtloser ETAP-AXS-Schaltung<br />
lässt keine Wünsche bei der<br />
Ausstattung offen. Dank<br />
des hohen Fahrkomforts<br />
und der ausgewogenen<br />
Geometrie macht das<br />
7,35 Kilogramm (Gr. 56)<br />
leichte Rad auch<br />
bergauf richtig Spaß.<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong> | PROCYCLING 123
WUNSCHLISTE<br />
ASSOS<br />
ERLKOENIG<br />
TRIKOT<br />
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Ein feines Textil, das seinem Träger<br />
einen mystischen Hauch verleiht.<br />
Das Design der Erlkoenig Trikots<br />
orientiert sich an der als Dazzle-<br />
Camouflage bekannten Tarnung<br />
für Prototypen, die eben auch als<br />
„Erlkönige“ bezeichnet werden.<br />
Entgegen seinen Vorbildern sind<br />
jedoch die Details bekannt: das im<br />
regular fit geschnittene Trikot liegt<br />
dank der verwendeten, atmungsaktiven<br />
Dual-Tex- und Push-Pull-<br />
Materialien auch bei schweißtreibenden<br />
Fahrten angenehm auf<br />
der Haut und bietet mit seinen<br />
drei Taschen Platz für die<br />
wichtigsten Utensilien.<br />
Zukünftige Erlkönige können<br />
aus vier Farben auswählen.<br />
124 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
WUNSCHLISTE<br />
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Optisch perfekt zum Erlkoenig<br />
Trikot passt der Jingo-RS-Helm, den<br />
Assos in Kooperation mit dem<br />
italienischen Helmspezialisten<br />
KASK auf Basis des Vorgängermodells<br />
weiterentwickelte. Der im<br />
In-Mold-Verfahren hergestellte<br />
Helm mit Polycarbonat-Außenhaut<br />
und EPS-Innenschale bietet trotz<br />
des niedrigen Gewichts (Herstellerangabe:<br />
215 Gramm in Gr. M) einen<br />
hohen Schutzfaktor bei gleichzeitig<br />
angenehmem Tragekomfort durch<br />
optimale Belüftung und Einstellbarkeit<br />
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27.<strong>09</strong>.19<br />
Procycling erscheint monatlich bei<br />
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94469 Deggendorf<br />
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128 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
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DAS LETZTE WORT<br />
JENS VOIGT<br />
Jens teilt mit uns seine Gedanken zur diesjährigen Ausgabe der Tour.<br />
© Getty Images<br />
D<br />
ie Tour de France endete<br />
gerade mit dem historischen<br />
Sieg von Egan Bernal, dem<br />
ersten Sieg des Gelben Trikots für<br />
Kolumbien, und nun ist das Trio<br />
komplett. Kolumbianische Radfahrer<br />
gewannen den Giro d’Italia<br />
(Nairo Quintana 2014), die Vuelta<br />
a España (Luis Herrera 1987) und<br />
nun endlich die Tour de France. Für<br />
mich ist das eine ziemlich coole<br />
Leistung, wenn man die Größe und<br />
Bevölkerung Kolumbiens betrachtet.<br />
Der Radsport ist in diesem Land ein<br />
beliebter Sport, und dieser Sieg wird<br />
bei der jungen Generation ein wachsendes<br />
Interesse wecken. Wir sollten<br />
uns besser auf eine weitere Welle<br />
junger kolumbianischer Radprofis<br />
gefasst machen, die in einigen Jahren<br />
nach Europa kommt.<br />
Es gab ein paar Dinge, die ich bei<br />
der diesjährigen Tour wirklich bemerkenswert<br />
fand. Erstens, wie beeindruckend<br />
es ist, dass das Team<br />
Sky/Ineos sieben der letzten acht<br />
Auflagen der Tour mit vier verschiedenen<br />
Fahrern gewonnen hat. Es<br />
verpasste den Sieg nur, als Chris<br />
Froome 2014 aussteigen musste.<br />
Es scheint, als könnte Ineos sagen:<br />
„Nun, einer unserer Kapitäne ist<br />
nicht zu 100 Prozent fit, aber es<br />
spielt keine Rolle – wir befördern einfach<br />
unseren nächsten Leutnant in<br />
die Rolle des Führenden.“ Und keine<br />
andere Mannschaft kann sagen, dass<br />
sie überrascht gewesen wäre. Jeder<br />
kann die Zeichen deuten. Ineos verwendet<br />
immer das gleiche System<br />
und die gleiche Taktik und niemand<br />
kann sie aufhalten. Das ist so beeindruckend.<br />
Vielleicht gefällt es euch<br />
nicht, aber man muss zugeben, dass<br />
es beeindruckend ist, oder?!<br />
Das andere, was mir klar wurde,<br />
ist der vollzogene Generationenwechsel.<br />
Darauf habe ich in einer<br />
früheren Kolumne hingewiesen.<br />
Schaut euch nur die Situation der<br />
Sprinter an. Mark Cavendish – nicht<br />
von seinem eigenen Team ausgewählt;<br />
Marcel Kittel – in einer Art<br />
Altersteilzeit; André Greipel und<br />
Alexander Kristoff – sie konnten<br />
keine Etappe gewinnen. All die Entscheidungen<br />
wurden von den Debütanten-Toursiegern<br />
Caleb Ewan<br />
und Elia Viviani sowie Dylan Groenewegen<br />
geholt.<br />
Gleiches galt für die GC-Fahrer.<br />
Thibaut Pinot sah toll aus, aber am<br />
Ende hatte er ein DNF. Dennoch<br />
hat sein Groupama-Team mit David<br />
Gaudu ein absolutes Supertalent,<br />
das in ein oder zwei Jahren wahrscheinlich<br />
der neue Teamkapitän<br />
sein wird. Nicht zu vergessen Bernal.<br />
Ihm war es egal, dass er der<br />
jüngste Fahrer im Feld war – er hat<br />
einfach gekämpft und die gesamte<br />
Tour gewonnen. Steven Kruijswijk<br />
auf Platz drei und Emanuel Buchmann<br />
auf Platz vier sind nicht die<br />
INEOS SAGT EINFACH: „NUN, EINER UNSERER<br />
KAPITÄNE IST NICHT ZU 100 PROZENT FIT,<br />
ABER ES SPIELT KEINE ROLLE – WIR<br />
BEFÖRDERN EINFACH UNSEREN NÄCHSTEN<br />
LEUTNANT IN DIE ROLLE DES FÜHRENDEN.“<br />
Jüngsten, aber Buchmann ist vor allem<br />
ein frisches Ge -sicht an der<br />
Spitze. Umgekehrt scheint Quintana<br />
im Moment weit davon entfernt, aufs<br />
Podium zu fahren.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen,<br />
dass Ineos in Zukunft weitere<br />
Gelbe Trikots gewinnen wird und<br />
es viele junge und hungrige Fahrer<br />
gibt, die bereit sind, die Führung zu<br />
übernehmen.<br />
Aber hey, es gibt noch Hoffnung<br />
für uns ältere Jungs. Schaut euch<br />
Vincenzo Nibali an, der sich von<br />
mittelmäßiger Form oder Krankheit<br />
nicht entmutigen lässt und schließlich<br />
mit all seiner Hartnäckigkeit,<br />
Erfahrung, Klugheit und reiner<br />
Jens schätzt David Gaudu als<br />
einen der neuen Sterne am Radsporthimmel<br />
ein.<br />
Klasse einen tollen Etappensieg am<br />
vorletzten Tag einfahren konnte. Ich<br />
freue mich für ihn, und ich war froh<br />
zu sehen, dass es noch einige Fahrer<br />
gibt, die die Flagge für uns, die älteren<br />
Jungs, hochhalten.<br />
Jens Voigt beendete seine Profi -<br />
karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />
Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />
und beliebtesten Fahrer<br />
im Peloton. Unter anderem hielt er<br />
für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />
130 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>
LEICHTIGKEIT MACHT SCHNELL.<br />
TILL SCHRAMM,<br />
Triathlon-Profi,<br />
schwört auf LAURETANA –<br />
„Das leichteste Wasser Europas“.<br />
Mit einem Gehalt von nur 14 Milligramm Mineralsalzen pro Liter gilt<br />
LAURETANA als weichstes und leichtestes Wasser unseres Kontinents.<br />
Die artesische Quelle wird im nördlichen Piemont frei-fließend und gänzlich unbehandelt abgefüllt.<br />
Gesundheitsexperten und Spitzensportler schätzen die hohe Bekömmlichkeiten, den<br />
leichten Geschmack und die einzigartige<br />
Wirkung des „Leichtesten Wasser Europas“.<br />
LAURETANA: „Als Triathlon-Profi trinkst du täglich mehrere Liter Wasser.<br />
Warum hast du dich für LAURETANA entschieden?“<br />
Till Schramm: „LAURETANA ist aufgrund seiner extrem geringen Mineralsierung in der Lage, die<br />
hochwertigen Nährstoffe, die ich mir als Profisportler zuführe, bestmöglich in alle Körperzellen zu<br />
transportieren. Diese optimale Nährstoffverwertung entfesselt in meinem Körper reine Energie!“<br />
www.lauretana.de
canyon.com<br />
PURE CYCLING<br />
Richard Carapaz schreibt Geschichte und holt das Maglia Rosa beim Giro d’Italia.<br />
Als exzellenter Kletterer und Allrounder fährt er das Ultimate CF SLX, ein Rad<br />
wie gemacht für Grand-Tour-Siege – genau wie er selbst. Der Startschuss einer<br />
außergewöhnlichen Karriere. Bravo, Richard!