wissen tisch: Der Westen hat mehr zu bieten. Göttingen ist unser Oberzentrum, Erfurt ist dafür viel zu weit weg. Simon: Diese Vernetzung mit Göttingen und Nordhessen war nach der Wende sehr deutlich, aber ich habe den Eindruck, dass inzwischen eine größere Normalität eingezogen ist. Die grundsätzliche Orientierung in Richtung Göttingen gibt es weiterhin, doch insgesamt läuft die Kundenakquise auch im Handwerk mehr oder weniger europaweit. Das ist vielleicht eine Besonderheit im Eichsfeld, dass das meiste an Wertschöpfung außerhalb der Kreisgrenzen stattfindet. Haben sich der Wegfall der Zonenrandförderung im Westen und das Lohngefälle dafür als wirtschaftsförderlicher Vorteil erwiesen ? Simon: Gerade das Lohngefälle hat über viele Jahre dazu geführt, dass sich die Standorte hier stabil und gut entwickelt haben. In den letzten etwa fünf Jahren stellen wir aber eine stärkere Angleichung an das Westniveau fest. Daher wird schon vermehrt die Rechnung aufgemacht, ob sich das Pendeln für einen nur geringfügig höheren Stundenlohn noch lohnt. Henning: Dass durch das Gefälle und die stärkere Förderung im Osten Betriebe über die Grenze abwandern, betont man gerade in Duderstadt oft. Da hört dann auch die große eichsfeldische Gemeinsamkeit auf. Aber wenn es Umsiedlungen gegeben hat, dann waren das Einzelfälle. Auch die Neuansiedlungen haben ihre eigene Geschichte. Ein Beispiel ist die Firma Miritz in Kirchgandern. Die kamen aus Northeim und waren dort mit sehr viel Skepsis konfrontiert – wir konnten uns die gar nicht erlauben. Daher gibt es einige Unternehmen, die sich bei uns entwickelt haben, weil der Westen zu starr, zu kompliziert war, während wir freier und wendiger waren. Heute wird das als Abwanderung wahrgenommen. 80 3 |<strong>2019</strong> dass das meiste an Wertschöpfung außerhalb der Kreisgrenzen stattfindet. « Thomas Simon » Das ist vielleicht eine Besonderheit im Eichsfeld, Der Landkreis Eichsfeld hat einen negativen Pendlersaldo, und die Bevölkerung nimmt ab. Welche Perspektiven sehen Sie mittel- bis langfristig? Henning: Das lasse ich nicht ganz gelten, denn der ländliche Raum hat immer eine Zulieferfunktion für die Zentren. Gleichzeitig haben wir eine Arbeitslosenquote von um die 3,6 Prozent, womit wir in Thüringen an dritter Stelle stehen. Ich habe in meiner Zeit als Landrat 38 Schulen schließen müssen – aber jetzt sind wir wieder dabei, die bestehenden Schulen auszubauen, weil sich der Trend umkehrt. In Heiligenstadt haben wir das fünfte Baugebiet erschlossen, bereits abverkauft, und wir kommen mit der Neuerschließung nicht nach, obwohl die Preise mit 120 Euro pro Quadratmeter sehr üppig sind, während die Stadt Eschwege deutlich günstiger anbietet. Ähnliche Bautätigkeit sieht man auch entlang der Autobahn. Von der Abfahrt Arenshausen aus sind es nur 20 Minuten bis nach Göttingen. Simon: Wir profitieren in der Region von der Randlage und der guten Anbindung an die wirtschaftlich stärkeren Zentren. Wenn Göttingen wirtschaftlich prosperiert, ist das gut für uns. Vor allem, wenn es Leuchttürme mit einer guten Dynamik wie Sartorius gibt. Das zieht Absolventen aus der Region an oder ermöglicht eine Rückkehr in die Region und auch das Pendeln von hier aus. Das darf man nicht unterschätzen. Auf der anderen Seite haben wir mit dem Institut für Bioprozess- und Analysenmesstechnik des Landes eine kleine wissenschaftliche Forschungseinrichtung, die durchaus auch Leute aus dem Göttinger Raum anzieht. Sehen Sie denn noch einen Aufhol- oder Nachholbedarf gegenüber dem Westen? Simon: Der Lohnabstand ist geringer geworden, auch wenn er natürlich noch da ist. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Eine viel größere Aufgabe sehe ich statt im Unterschied zwischen Ost und West inzwischen vielmehr bei den unterschiedlichen Lebensverhältnissen zwischen Stadt und Land. Hinter diesem Auseinanderlaufen tritt die Grenze als Unterscheidungskriterium zunehmend zurück. Henning: Es ist die Frage, was man will. Das Wirtschaftsleben im Ländlichen und im Osten ist geruhsamer und nicht so hektisch, während der Westen spannender, dynamischer ist. Das ist eher ein kultureller Unterschied als eine Frage des Aufholens. Wo sehen Sie mittelfristig die Herausforderungen für den Landkreis? Simon: Ein Hauptanliegen ist ganz klar der Ausbau des Breitbandnetzes, um im Ländlichen das ortsungebundene Arbeiten zu ermöglichen. Aber da sehen wir, dass sich etwas tut. Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit der Politik hier ziemlich reibungslos und von einer hohen Verlässlichkeit gekennzeichnet, was eine gute Planung ermöglicht. Henning: Nach einer Studie der IHK Erfurt sind wir die arbeitgeberfreundlichste Kommune Thüringens mit einer sehr hohen Zufriedenheit der Unternehmer. Da sind wir gut aufgestellt. Eine große Baustelle sehe ich hingegen beim sozialen Wohnungsbau. Unsere Gemeinden haben nach der Wende ihren Wohnungsbestand weitgehend abgegeben und so vernachlässigt, dass sich auch der ,letzte arme Hund‘ noch eine Unterkunft leisten können muss. Die Gemeinden sind für diesen sozialen Ausgleich zuständig, und ich möchte, dass sie das wieder stärker tun. Vielen Dank für das Gespräch!
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