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Storybooklet Sigmaringen

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26<br />

Kilometer<br />

Laufarbeit<br />

Über die ersten Monate der ORS<br />

in der LEA <strong>Sigmaringen</strong><br />

Text Zoe Arnold<br />

Bilder Thomas Eugster


«Jede Einrichtung<br />

hat ihr eigenes Herz<br />

und funktioniert<br />

anders.»<br />

Jörg Zaglmayr<br />

Betriebsleiter der Alltagsbetreuung in der LEA <strong>Sigmaringen</strong> während der Aufbauphase


Eine Publikation der<br />

ORS Deutschland GmbH<br />

Güterhallenstraße 4<br />

D-79106 Freiburg im Breisgau<br />

Tel.: +49 (0)761 76 99 31 20<br />

www.orsdeutschland.com<br />

info@orsdeutschland.de<br />

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit haben wir teilweise auf geschlechtsspezifische<br />

Endungen verzichtet. Selbstverständlich wollen wir Frauen und<br />

Männer gleichermaßen ansprechen.


26<br />

Kilometer<br />

Laufarbeit<br />

Über die ersten Monate der ORS<br />

in der LEA <strong>Sigmaringen</strong><br />

Text Zoe Arnold<br />

Bilder Thomas Eugster


Jörg Zaglmayr (52)<br />

Betriebsleiter der Alltagsbetreuung in der LEA <strong>Sigmaringen</strong> während der Aufbauphase<br />

4


«Ich war immer unterwegs,<br />

viele Kilometer pro Tag,<br />

einmal über 26 Kilometer.<br />

Nur so lässt sich sicherstellen,<br />

dass die Werte der ORS von<br />

allen gelebt werden.»<br />

5


6


LEA <strong>Sigmaringen</strong><br />

Seit Anfang 2017 ist die ORS für die Alltagsbetreuung in<br />

der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) <strong>Sigmaringen</strong>, in<br />

Baden-Württemberg, verantwortlich. Auf dem 41 Hektar<br />

großen Gelände der Graf-Stauffenberg-Kaserne leben<br />

gegenwärtig rund 500 Menschen aus 21 Nationen und<br />

warten während durchschnittlich vier bis fünf Monaten auf<br />

ihren Asylentscheid. Die ORS sorgt gemeinsam mit anderen<br />

Organi sationen in der Einrichtung für ihre sichere Unterbringung<br />

und Versorgung und stellt eine Tagesstruktur mit<br />

Kinderbetreuung, Deutschkursen sowie Spiel- und Sportangeboten<br />

zur Verfügung.<br />

7


Der<br />

Auf b<br />

8


auder gesamten Alltagsbetreuung,<br />

das klingt zunächst wie die Bändigung eines Papiertigers: Leistungsvorgaben,<br />

Prozesse, Qualitätsmanagement. Dabei geht es<br />

doch darum, geflüchtete Menschen möglichst gut zu betreuen. Das<br />

stimmt, und genau deshalb braucht es neben Sozialkompetenz<br />

auch Effizienz – und viel Laufarbeit wie das Beispiel von <strong>Sigmaringen</strong><br />

zeigt.<br />

Sein liebster Kaffeestopp auf der Strecke Zürich–<strong>Sigmaringen</strong><br />

ist geschlossen. Umbauarbeiten. Dafür weckt das<br />

neblig-kühle Wetter Erinnerungen. Fast auf den Tag zwei<br />

Jahre ist es her, seit Sandro Vescovi, Mandatsleiter bei der<br />

ORS Schweiz, zum ersten Mal in der Landeserstaufnahmeeinrichtung<br />

<strong>Sigmaringen</strong> war. Die Unterkunft für Asylsuchende<br />

in der Graf-Stauffenberg-Kaserne wird von allen<br />

9


kurz «die LEA» genannt, das ist einfacher – und es macht<br />

den Großbetrieb etwas menschlicher, in dem die geflüchteten<br />

Menschen ankommen und erfasst werden, um dann auf<br />

ihren Asylentscheid zu warten. Im Moment wohnen hier<br />

rund 500 Menschen aus 21 Nationen. Vier bis fünf Monate<br />

bleiben sie ungefähr in der LEA, bis sie erfahren, ob sie eine<br />

Zukunft in Deutschland haben oder wieder zurückmüssen.<br />

Gemeinsam stark<br />

Im Haus 82, dem Verwaltungsgebäude der ORS in der LEA,<br />

wartet bereits Jörg Zaglmayr. Er ist aus dem knapp 400 Kilometer<br />

entfernten Salzburg in Österreich angereist, wo er als<br />

Regionalleiter für die ORS arbeitet und unter anderem<br />

die Verantwortung für sechs Asyleinrichtungen trägt. Die<br />

Männer begrüßen sich herzlich. Vor zwei Jahren haben<br />

sie eine intensive Zeit zusammen erlebt, Tag und Nacht<br />

Hand in Hand gearbeitet, sich gar eine Wohnung geteilt.<br />

Damals erhielt die ORS den Auftrag, in <strong>Sigmaringen</strong> die<br />

Alltagsbetreuung – die Unterbringung, Versorgung und Beschäftigung<br />

der geflüchteten Menschen – zu übernehmen.<br />

Ohne Jörg Zaglmayr und Sandro Vescovi wäre die LEA<br />

nicht, was sie heute ist. Als Betriebsleiter und Projektleiter<br />

waren sie für die Aufbauarbeit verantwortlich. Wobei Aufbau<br />

in diesem Fall nicht heißt, dass das Zentrum von null<br />

aufgebaut werden musste. Es war noch viel vertrackter: Der<br />

Betrieb lief und musste am Laufen gehalten werden, während<br />

der Betreiber wechselte und damit auch viele Prozesse<br />

10


Anfang November 2016<br />

Zuschlag<br />

Die ORS erhält den Auftrag, sich<br />

ab 2017 für zwei bis drei Jahre um<br />

die Betreuung der Asylsuchenden in<br />

der LEA <strong>Sigmaringen</strong> zu kümmern.<br />

Spätestens 2019 wird das Mandat<br />

dann neu ausgeschrieben.<br />

Mitte November 2016<br />

Erstbesichtigung<br />

Während am Hauptsitz die Projektplanung<br />

in vollem Gang ist, erhält<br />

eine Delegation der ORS zum ersten<br />

Mal Einblick in den laufenden Betrieb<br />

der LEA <strong>Sigmaringen</strong>.<br />

Schnell wird klar: Da gibt es viel<br />

zu tun.<br />

11


und Mitarbeitende.<br />

Eigentlich verbreitet das Kasernenareal eine unerwartet<br />

freundliche Stimmung trotz grauem Himmel und gelegentlichen<br />

Schüssen auf der vom Militär genutzten Seite des<br />

Geländes. Auf den großen Wiesen wachsen stattliche Bäume,<br />

jetzt im Herbst leuchtet ein gelb-oranger Laubteppich<br />

zwischen roten Gebäuden, es ist weiträumig mit viel Luft<br />

zum Durchatmen. Doch bei der Ankunft vor zwei Jahren<br />

wurde dieser Eindruck getrübt, erinnert sich Jörg Zaglmayr<br />

und zeigt Fotos von unordentlichen Zimmern und vernachlässigten<br />

Gemeinschaftsräumen.<br />

Wer eine Asylunterkunft leitet, muss viel Know-how mitbringen.<br />

Da ist einerseits die ganze Betreuung der Flüchtlinge:<br />

soziale Kompetenzen im direkten Kontakt, aber auch<br />

effiziente Prozesse für die Eintritts- und Austrittsprozedere<br />

oder die Ausgabe von Taschengeld und Kleidern. Da sind<br />

andererseits die administrativen Aspekte vom Personalwesen<br />

über die finanziellen Faktoren bis zu den gesetzlichen<br />

Grundlagen. Die ORS kümmert sich seit 1992 um die Unterbringung<br />

und Betreuung von geflüchteten Menschen in<br />

der Schweiz, in Österreich und Deutschland, eine Einrichtung<br />

von der Größe wie in <strong>Sigmaringen</strong> hatte sie zuvor<br />

jedoch noch nie geleitet. «In <strong>Sigmaringen</strong> haben wir erstmals<br />

ausnahmslos alle Geschäftsabteilungen eingebunden»,<br />

erklärt der ehemalige Projektleiter.<br />

12


«Auf Papier ist alles schnell definiert,<br />

aber es muss auch einheitlich umgesetzt werden,<br />

damit wir gegenüber den Bewohnern<br />

geschlossen und glaubwürdig auftreten können.»<br />

Sandro Vescovi (43)<br />

Projektleiter Aufbau LEA <strong>Sigmaringen</strong><br />

13


Fingerspitzengefühl und Durchsetzungskraft<br />

In der Planungszeit ging es zuerst einmal darum, die einzelnen<br />

Leistungen des Auftrags genau zu analysieren, damit<br />

man wusste, was man aufgleisen musste und welche Leute es<br />

im Team braucht. Oder wie es Jörg Zaglmayr so schön sagt:<br />

«Jede Einrichtung hat ihr eigenes Herz und funktioniert<br />

anders.» Deshalb müssen auch bewährte Abläufe überprüft<br />

und angepasst werden. Denn je besser die Prozesse, desto<br />

effizienter können später beispielsweise Reportings für den<br />

Auftraggeber oder Checklisten für die Mitarbeitenden erstellt<br />

werden – und desto mehr Zeit bleibt im Alltag für die<br />

Bewohnerinnen und Bewohner. Doch bei aller Vorbereitung:<br />

«Was es wirklich braucht, zeigt sich erst im laufenden Betrieb»,<br />

betont Martin Furrer, der in der Aufbauzeit Bereichsleiter<br />

Administration und stellvertretender Betriebsleiter<br />

war, «dann müssen wir in jeder Situation schnell und flexibel<br />

handeln können.»<br />

14


12. Dezember 2016<br />

Bezug der Planungsbüros in der LEA<br />

Auch der Auftraggeber, das Regierungspräsidium<br />

Tübingen, ist als<br />

Betreiber der Einrichtung auf<br />

dem Gelände präsent. In seinem<br />

Gebäude bekommt das Aufbauteam<br />

der ORS zwei Büros, um die Planung<br />

vor Ort voranzutreiben. Die Zeit<br />

drängt, bis zur Übernahme dauert es<br />

nur noch zwei Wochen.<br />

15


Während Jörg Zaglmayr jedes der über dreißig Gebäude<br />

einzeln abnahm, um persönlich über den Zustand der Infrastruktur<br />

im Bild zu sein, führte Sandro Vescovi ein Bewerbungsgespräch<br />

nach dem andern. Zusätzlich zu den zwanzig<br />

erfahrenen ORS-Mitarbeitenden im Aufbauteam gab es<br />

dreißig Stellen zu besetzen. «Es war eine heikle Situation»,<br />

erzählt Vescovi, «die Mitarbeitenden unseres Vorgängers<br />

wussten noch nicht, wer den Job behalten kann, und wie<br />

es weitergeht.» Trotzdem waren sie nach wie vor für den täglichen<br />

Betrieb der LEA zuständig. Dass sie in dieser unsicheren<br />

Situation zuverlässig und engagiert gearbeitet haben,<br />

war für die Übergabe und den Umbau der Alltagsbetreuung<br />

von großem Wert.<br />

Hier lag eine weitere Herausforderung: Gerade in der<br />

Anfangszeit braucht es eine konstruktive Zusammenarbeit<br />

zwischen allen involvierten Partnern. In <strong>Sigmaringen</strong> waren<br />

dies unter anderem das Regierungspräsidium Tübingen<br />

als Auftraggeber, die Mitarbeitenden der alten und der neuen<br />

Alltagsbetreuung, das Security-Unternehmen und der<br />

Catering-Service, die für die medizinische Versorgung zuständigen<br />

Samariter sowie das Deutsche Rote Kreuz. «Dabei<br />

muss man auch Grenzen setzen, Nein sagen können!», weiß<br />

der ehemalige Betriebsleiter. «Erst wenn ich die gesetzlichen<br />

Bedingungen und die vertraglichen Zuständigkeiten<br />

verinnerlicht habe, kann ich Kompromisse eingehen.» Und<br />

Kompromisse braucht es immer wieder, denn letztendlich<br />

arbeiten alle zusammen für das Wohl der Asylsuchenden.<br />

16


«Wir müssen in jeder Situation schnell und<br />

flexibel handeln können.»<br />

Martin Furrer (34)<br />

Bereichsleiter Administration und stellvertretender Betriebsleiter in der Aufbauzeit<br />

17


Heißer Kaltstart<br />

An Silvester war es dann so weit: Während des Abendessens<br />

in der Kantine wurden die 837 Bewohnerausweise ausgewechselt.<br />

«Das hört sich nach einer logistischen Übung<br />

an, in Realität war es aber ein hochemotionaler Moment»,<br />

erinnert sich Sandro Vescovi. Die Menschen waren angespannt,<br />

verunsichert – «Was passiert mit mir? Bekomme ich<br />

vielleicht eine Aufenthaltsbewilligung?» –, Mütter warteten,<br />

Kinder schrien. In diesem Riesengetöse schafften es die<br />

ORS-Leute, Ruhe zu bewahren. Ein zufriedenes Lächeln<br />

huscht über die Gesichter der damaligen Verantwortlichen,<br />

wenn sie von jener Silvesternacht erzählen.<br />

1. Januar 2017<br />

Übernahme der Einrichtung<br />

Nach dem Austausch der Bewohnerausweise<br />

liegt die Verantwortung<br />

für die Unterbringung und<br />

Betreuung der Asylsuchenden in<br />

der LEA <strong>Sigmaringen</strong> nun bei der<br />

ORS. Die Vorbereitungszeit ist<br />

zu Ende, doch die Aufbauphase<br />

hat eben erst begonnen.<br />

18


Es folgte eine kurze Nacht. Als sie im Bett lagen, todmüde<br />

und gleichzeitig aufgekratzt, krachte draußen noch<br />

das Feuerwerk. Als der Wecker wenige Stunden später wieder<br />

klingelte, waren viele der feiernden Sigmaringer wohl<br />

erst gerade in die Federn gekrochen. Doch für das Aufbauteam<br />

galt es nun zu beweisen, dass sie ihr Handwerk auch<br />

wirklich beherrschten.<br />

4. Januar 2017<br />

Erste Taschengeldauszahlung<br />

Einmal im Monat wird den<br />

Bewohnern ihr Taschengeld ausbezahlt.<br />

135 Euro pro Erwachsenen.<br />

Schon frühmorgens stehen<br />

die Menschen Schlange. Damit<br />

alles zügig und geregelt abläuft,<br />

ist eine gute Zusammenarbeit<br />

zwischen der Betreuungsorganisation<br />

und der Security wichtig.<br />

19


Die Asylsuchenden in der LEA <strong>Sigmaringen</strong> stammen<br />

aus rund 21 Nationen, die meisten kommen aktuell aus<br />

Nigeria, Guinea, Kamerun, dem Irak und der Türkei.<br />

20


21


Essen gibt es in der Kantine, denn auf dem Zimmer darf<br />

nicht gekocht werden. Doch viele Bewohner lagern ein paar<br />

Nahrungsmittel auf dem Fenstersims für den Fall, dass die<br />

Kinder zwischendurch Hunger haben.<br />

22


23


Im eigenen Zimmer sind die Asylsuchenden selbst für<br />

Ordnung und Hygiene zuständig, während sie sich mit<br />

dem Putzen der Gemeinschaftsräume einen kleinen<br />

finanziellen Zuschuss verdienen können.<br />

24


25


Weil nach landesweiten Vorgaben der Platzanspruch<br />

pro Flüchtling von 3,5 auf 7 Quadratmeter erhöht wurde,<br />

mussten alle Zimmer neu eingerichtet und die Bewohner<br />

umgesiedelt werden. «Die Umstrukturierung der Wohnhäuser<br />

war eine riesige Sisyphusarbeit!», lacht Jörg Zaglmayr.<br />

Denn zuerst musste die ORS herausfinden, wer überhaupt<br />

wo wohnte, weil die Asylsuchenden bis dahin keine festen<br />

Zimmer hatten. Genau das ist ein Grund, weshalb es oft<br />

schwieriger ist, die Alltagsbetreuung in einer bestehenden<br />

Einrichtung zu übernehmen als eine neue zu gründen:<br />

Gewohnheiten lassen sich nur mühsam verändern, einfacher<br />

ist es, Regeln von Beginn weg richtig zu gestalten und<br />

durchzusetzen.<br />

26


10. Januar 2017<br />

Regelmäßige Kontrollen der Unterkünfte werden eingeführt<br />

Mehrmals täglich sind die Betreuungspersonen<br />

in den Wohngebäuden<br />

unterwegs, pflegen<br />

den Kontakt zu den Bewohnern,<br />

sind bei Problemen und Fragen<br />

schnell und einfach ansprechbar.<br />

Ein positiver Nebeneffekt: Sie<br />

wissen, wer sich wo bewegt und<br />

haben ein Auge darauf, dass<br />

die Hausordnung eingehalten<br />

wird.<br />

27


Alle auf eine Linie bringen<br />

Erschwerend kam hinzu, dass sich in der Anfangszeit<br />

ständig etwas ändert und die Abläufe noch nicht eingespielt<br />

sind. Zwar war das Team unterdessen komplett, aber die<br />

Mitarbeitenden waren sich ganz unterschiedliche Vorgehensweisen<br />

gewohnt und mussten die Arbeitsweise der<br />

ORS zuerst kennenlernen. «Dabei hilft ein gutes Qualitätsmanagement»,<br />

so Martin Furrer, «da es Orientierung gibt.»<br />

Doch Sandro Vescovi weiß auch: «Auf Papier ist alles schnell<br />

definiert, aber es muss von den Kolleginnen und Kollegen<br />

einheitlich umgesetzt werden, damit wir gegenüber den<br />

Bewohnern geschlossen und glaubwürdig auftreten können.»<br />

Und wie geht das? Indem man die Mitarbeitenden am Anfang<br />

bei jedem Schritt unterstützt und begleitet. Das<br />

Wichtigste ist laut Jörg Zaglmayr Präsenz: «Ich war immer<br />

unterwegs, viele Kilometer pro Tag, einmal über 26 Kilometer.»<br />

Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Werte der<br />

ORS von allen gelebt werden. Zum Beispiel, wie macht<br />

man das konkret, den Asylsuchenden auf Augenhöhe zu<br />

begegnen – vor allem, wenn man als Frau einen Patriarchen<br />

auffordern soll, das Kochen im Zimmer zu unterlassen?<br />

Respektvoll und mit einem Lachen, gleichzeitig aber selbstsicher<br />

und konsequent. Oder wie wahrt man die persönliche<br />

Distanz, wenn einem das menschliche Schicksal nahegeht?<br />

28


2. Februar 2017<br />

Brand in Gebäude 2<br />

Die große Mehrheit der Asylsuchenden<br />

ist dankbar für die<br />

Chance und motiviert, das<br />

Beste daraus zu machen. Aber<br />

wie überall halten sich nicht<br />

alle an die Regeln. Meistens<br />

können die Konflikte von den<br />

Betreuerinnen und Betreuern<br />

entschärft werden, manchmal<br />

wird aus lauter Frust ob der<br />

eigenen Machtlosigkeit der Notrufknopf<br />

betätigt – Fehlalarm.<br />

Und einmal brennt tatsächlich<br />

eine Matratze ...<br />

29


In so einer Unterkunft kann alles passieren, ist sich<br />

Sandro Vescovi bewusst. Hier leben traumatisierte, manchmal<br />

auch gebrochene Menschen. Sie wissen nicht, was<br />

mit ihnen geschieht und können sich selbst kaum helfen.<br />

Der 43-Jährige mit Wurzeln im Tessin weiß, wovon er<br />

spricht. Seit bald siebzehn Jahren arbeitet er bereits im<br />

Asylbereich. Nicht weniger Erfahrung bringt Jörg Zaglmayr<br />

mit – Lebenserfahrung. Der Österreicher hat in seinen<br />

52 Lebensjahren schon so einiges gemacht: Er ist gelernter<br />

Kaufmann, hat unter anderem Skihütten geführt und für<br />

die Uno in Syrien gearbeitet. Die Kinderbetreuung ist dem<br />

zweifachen Vater und zehnfachen Patenonkel der liebste<br />

Ort in der LEA. Der Dritte im Bunde, der 34-jährige Martin<br />

Furrer, arbeitete schon als Betreuer bei der ORS, als er<br />

noch Politikwissenschaft, Ethnologie und Arabisch studierte.<br />

Später war er in leitenden Funktionen beim Aufbau verschiedener<br />

Zentren in der Schweiz und in Österreich dabei.<br />

Alle drei zusammen brachten vielfältige Kompetenzen und<br />

unterschiedliche Charaktere ins Aufbauteam ein und hatten<br />

doch eine gemeinsame Basis: Sie wissen ganz genau, wie<br />

die Betreuung in einer Asyleinrichtung funktioniert. Diese<br />

Professionalität war entscheidend, denn nur so konnten<br />

sie sich in der intensiven Anfangszeit auch die nötige Flexibilität<br />

bewahren, um von unvorhergesehenen Ereignissen<br />

nicht überrollt zu werden.<br />

30


März 2017<br />

Abschluss Umstrukturierung Häuser und neue<br />

Bewohnerausweise<br />

Nach zweieinhalb Monaten sind<br />

endlich alle Bewohner in den großzügiger<br />

eingerichteten Unterkünften<br />

verteilt – eine Arbeit, die deutlich<br />

länger gedauert hat, als vom<br />

Auftraggeber geplant. Die neuen<br />

Bewohnerausweise in Kreditkartenform<br />

bringen nochmals eine Verbesserung<br />

der Organisation,<br />

da neben den Personalien auch die<br />

Zimmernummern vermerkt sind.<br />

31


Januar bis Juli 2017<br />

Inbetriebnahme neuer Gebäude<br />

Laufend wird das Gelände umstrukturiert:<br />

Aus Sicherheitsgründen<br />

wird die zweite Pforte geschlossen,<br />

das Materiallager wird von<br />

außerhalb ins Zentrum verlegt und<br />

dadurch die Effizienz gesteigert,<br />

das neu eingerichtete Frauenhaus<br />

bietet Erholung nach der Niederkunft<br />

und mit dem Community<br />

Center erhalten die Bewohner ein<br />

Gebäude für Sport- und Freizeitaktivitäten<br />

mit einem Kraftraum,<br />

Billard, Tischtennis und Kicker<br />

für die Kinder.<br />

32


Viele Hände werden gebraucht<br />

In der Aufbauzeit müssen immer wieder alle mitanpacken,<br />

unabhängig von Funktion und Hierarchiestufe – vom Sozialbetreuer<br />

über die Angestellten in der Administration bis hin<br />

zum Chef. Etwa als der Projektleiter und der Betriebsleiter<br />

in den ersten Stunden in <strong>Sigmaringen</strong> kein Internet und<br />

damit auch keinen Zugriff auf die Schweizer Server hatten<br />

und sich kurzerhand eine kleine Mobilfunkantenne ins Büro<br />

stellten, von der sie jedoch derart Kopfweh bekamen, dass<br />

sie diese auf einer Leiter balancierend mit Klebeband an<br />

der Außenwand des Gebäudes fixieren mussten. Was heute<br />

nach einer amüsanten Anekdote klingt, brachte die beiden<br />

Macher damals gehörig ins Schwitzen: «Schon wieder waren<br />

zwei wertvolle Arbeitsstunden ungenutzt verstrichen.»<br />

Auch den viele Meter langen Tresen für den Infopoint,<br />

wo die Bewohner jederzeit Unterstützung bekommen,<br />

zimmerten sie selbst. Sie organisierten das Materiallager auf<br />

kleinem Raum und bauten eigenhändig ein Halterungssystem<br />

für Besen und Schneeschaufeln. Und sie waren sich<br />

nicht zu schade, bei der Taschengeldausgabe Absperrungen<br />

zu schleppen. Am offensichtlichsten wurde ihr Einsatz<br />

allerdings bei der Hygiene.<br />

33


34


Im Alltag sind die Bewohner für ihr eigenes Zimmer<br />

zuständig und die Gemeinschaftsräume werden im Rahmen<br />

der gemeinnützigen Arbeitsprogramme geputzt – eine<br />

gefragte Beschäftigung bei den Flüchtlingen, für die sie auch<br />

einen finanziellen Zuschuss erhalten. Weil der ORS die<br />

Sauberkeit ihrer Einrichtungen jedoch ein zentrales Anliegen<br />

ist, sind das Team von Jörg Zaglmayr und eine Gruppe<br />

von helfenden Asylsuchenden während vierzehn Tagen mit<br />

Gummistiefeln durch die Treppenhäuser gestapft, haben<br />

Böden geschrubbt und Wände mit dem Dampfstrahler<br />

heruntergewaschen. Danach erstrahlte die LEA in neuem<br />

Glanz.<br />

Genau das macht für Zaglmayr den Reiz der Aufbauarbeit<br />

aus: «Du musst mit gutem Beispiel vorangehen, dafür siehst<br />

du auch, wie etwas Neues entsteht.»<br />

3. Mai 2017<br />

Hygienebegehung<br />

Bei der offiziellen Hygienekontrolle<br />

durch das Gesundheitsamt<br />

bekommt die LEA Bestnoten.<br />

Ein Triumph für das Aufbauteam.<br />

35


Irgendwann ist es dann so weit und die Turbulenzen<br />

der Anfangszeit haben sich gelegt, alles läuft weitgehend<br />

in geregelten Bahnen. Dann ist es für das Aufbauteam Zeit,<br />

nach Hause zu fahren. Der Normalbetrieb hat seine eigenen<br />

Wesenszüge und braucht Leute mit anderen Zielsetzungen<br />

und Kompetenzen.<br />

Es sei gut zu sehen, wie sich alles weiterentwickelt habe,<br />

wiederholt Jörg Zaglmayr immer wieder, während er durch<br />

die LEA geht, neue Räumlichkeiten begutachtet, Bewohner<br />

grüßt und mit Mitarbeitenden von damals einen kurzen<br />

Schwatz hält. Das Baby <strong>Sigmaringen</strong> hat Laufen gelernt, ist<br />

selbstständig geworden. Doch sein Wohlergehen liegt den<br />

Geburtshelfern von damals noch immer am Herzen.<br />

36


In der Asyleinrichtung arbeiten zahlreiche Partnerorganisationen<br />

von der Alltagsbetreuung über die Security und<br />

den Catering-Service sowie die Caritas, Diakonie und dem<br />

Deutschen Roten Kreuz gemeinsam für das Wohl der Asylsuchenden.<br />

37


Vielen der liebste Ort in der LEA: der Kindergarten. Hierher<br />

kam der Betriebsleiter in der turbulenten Aufbauzeit, um<br />

Energie zu tanken. Doch mit ihrer Geschichte brauchen die<br />

Kinder besonders viel Aufmerksamkeit.<br />

38


39


40


In der Kleiderausgabe finden die geflüchteten Menschen<br />

einen warmen Winterpulli oder auch ein Plüschtier für die<br />

Kinder. Wer was bekommt, ist klar geregelt.<br />

41


Je besser die Prozesse, desto mehr Zeit bleibt im Alltag für<br />

die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner: Frauen<br />

mit ihren Kindern bei einem Deutschkurs.<br />

42


43


Am schlimmsten ist das Nichtstun. Ein wenig Ablenkung<br />

bietet das neu gegründete Community Center mit Billard,<br />

Tischtennis, Kicker und Kraftraum.<br />

44


45


Daten und<br />

Fakten zu<br />

ORS<br />

(Stand 13.12.2018)<br />

46


Betreuung CH AT DE Gesamt<br />

Anzahl<br />

Betreuungseinrichtungen/<br />

Mandate<br />

Bund: 12<br />

Kanton: 22<br />

Gemeinde: 74<br />

Bund: 25<br />

Länder: 8<br />

Gesamt 108 33 4 145<br />

Anzahl angemieteter Wohnungen 476 81 … 557<br />

Anzahl<br />

Plätze/Bettenkapazitäten<br />

Bund: 2 150<br />

Kanton: 21 528<br />

Gemeinde: 43 146<br />

Gesamt 89 570 3 496 2 085 95 151<br />

Anzahl Übernachtungen<br />

1.1. – 31. 12. 2018<br />

Bund: 332 795<br />

Kanton: 387 458<br />

Gemeinde: 1 194 353<br />

Gesamt 1 914 606 550 332 263 971 2 728 909<br />

Personalentwicklung<br />

Anzahl Mitarbeiter 790 447 84 1 321<br />

Anzahl Nationen der Mitarbeiter 42 52 20<br />

Durchschnittsalter 42 42 43<br />

Aufteilung in %<br />

Männer<br />

Frauen<br />

Durchgeführte Weiterbildungskurse<br />

für interne und<br />

externe Teilnehmer 78 38 6 122<br />

55<br />

45<br />

48<br />

52<br />

50<br />

50<br />

51<br />

49<br />

Integration<br />

(Zahlen der Praxisbetriebe basieren auf Stand 31.3.2019)<br />

Anzahl Teilnehmer<br />

(Asylsuchende & Sozialhilfebezüger) 513 im Aufbau<br />

Anzahl eigene Praxisbetriebe/<br />

(Restaurants) 3 … 1 4<br />

Vermittlung von Personen in<br />

Arbeit oder Ausbildung 311<br />

Quote % 71,9<br />

47


Impressum<br />

Herausgeber<br />

ORS Management AG, Zürich<br />

Dezember 2018<br />

© ORS Management AG, Zürich<br />

Konzept und Gestaltung<br />

m-und AG<br />

Kraftstraße 24<br />

8044 Zürich<br />

www.m-und.ch<br />

info@m-und.ch<br />

Redaktionelle Leitung<br />

Zoe Arnold, Zürich<br />

Druck<br />

Copy Quick Digital AG, Zürich<br />

48


ORS Deutschland GmbH<br />

Güterhallenstraße 4<br />

D-79106 Freiburg im Breisgau<br />

Tel.: +49 (0) 761 76 99 31 20<br />

www.orsdeutschland.com<br />

info@orsdeutschland.de

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