RA 09/2019 - Entscheidung des Monats

Der BGH befasst sich im vorliegenden Urteil mit den Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke. Bzgl. der insofern erforderlichen feindseligen Willensrichtung führt der BGH aus, dass grds. jede Tötung, die das Opfer nicht wünscht, Ausdruck einer solchen Willensrichtung des Täters ist und die Tatsache, dass der Täter glaubt, zum Besten des Opfers zu handeln, somit nicht auf Tatbestandsebene, sondern allenfalls in der Strafzumessung Berücksichtigung finden kann. Der BGH befasst sich im vorliegenden Urteil mit den Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke. Bzgl. der insofern erforderlichen feindseligen Willensrichtung führt der BGH aus, dass grds. jede Tötung, die das Opfer nicht wünscht, Ausdruck einer solchen Willensrichtung des Täters ist und die Tatsache, dass der Täter glaubt, zum Besten des Opfers zu handeln, somit nicht auf Tatbestandsebene, sondern allenfalls in der Strafzumessung Berücksichtigung finden kann.

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<strong>RA</strong> <strong>09</strong>/<strong>2019</strong><br />

ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />

Strafrecht<br />

493<br />

Problem: Feindselige Willensrichtung beim<br />

Heimtückemord<br />

Einordnung: Strafrecht BT III/Tötungsdelikte<br />

BGH, Urteil vom 19.06.<strong>2019</strong><br />

5 StR 128/19<br />

EINLEITUNG<br />

Der BGH befasst sich im vorliegenden Urteil mit den Voraussetzungen <strong>des</strong><br />

Mordmerkmals der Heimtücke. Bzgl. der insofern erforderlichen feindseligen<br />

Willensrichtung führt der BGH aus, dass grds. jede Tötung, die das Opfer nicht<br />

wünscht, Ausdruck einer solchen Willensrichtung <strong>des</strong> Täters ist und die Tatsache,<br />

dass der Täter glaubt, zum Besten <strong>des</strong> Opfers zu handeln, somit nicht<br />

auf Tatbestandsebene, sondern allenfalls in der Strafzumessung Berücksichtigung<br />

finden kann.<br />

SACHVERHALT<br />

Der Angeklagte A lebte seit 1991 mit der E zusammen, beide heirateten 2015.<br />

Ab März 2017 war A bei einem Taxiunternehmen beschäftigt. Seit seinem<br />

15. Lebensjahr spielte A an Automaten, wodurch er teilweise viel Geld<br />

verlor. Weil auch E die letzten zwei bis drei Jahre gemeinsam mit ihm spielte,<br />

verschlechterten sich die finanziellen Verhältnisse der beiden.<br />

Die finanzielle Situation spitzte sich im Frühjahr 2018 zu. Seit April 2018<br />

erfolgten keine Mietzahlungen mehr. Bis März 2018 wurden die Stromkosten<br />

nur sporadisch, seitdem nicht mehr bezahlt. Weitere Mahnungen gingen von<br />

verschiedenen Unternehmen ein.<br />

A behielt wiederholt seine Bareinnahmen als Taxifahrer ein, anstatt sie ordnungsgemäß<br />

an seinen Arbeitgeber abzuführen. Als dieser Hinweise darauf<br />

bekam, forderte er A auf, seine Einnahmen abzurechnen. A reagierte darauf<br />

nicht und erschien auch nicht zu einem am 15.06.2018 anberaumten Mitarbeitergespräch.<br />

An diesem Tag wurde ihm das Taxi weggenommen, ihm wurde<br />

fristlos gekündigt. Er wurde aufgefordert, den Fehlbetrag binnen dreier Tage<br />

zu erstatten; zudem wurde eine Anzeige angekündigt. Er fürchtete, keine<br />

Anstellung als Taxifahrer mehr finden zu können.<br />

E wusste zwar um die allgemeine und sich auch in den letzten Monaten verschlechternde<br />

finanzielle Situation der Eheleute, hatte aber keine genauen<br />

Kenntnisse von der finanziellen Lage. Von den Unterschlagungen zum<br />

Nachteil seines Arbeitgebers und der <strong>des</strong>halb erfolgten Kündigung hatte ihr<br />

A nichts erzählt.<br />

A glaubte, E von allen diesen existenzbedrohenden Tatsachen verschonen zu<br />

müssen. Er nahm an, sie würde es nicht verkraften, insoweit mit der „harten<br />

Realität“ konfrontiert zu werden.<br />

Nachdem A am 16.06.2018 keine Anstalten gemacht hatte, E in die von ihm<br />

als hoffnungslos empfundene Situation einzuweihen, begann er darüber<br />

nachzudenken, zunächst sie und dann sich selbst zu töten. Zu keinem Zeitpunkt<br />

hatte er mit ihr darüber gesprochen, ob man gemeinsam aus dem<br />

Leben scheiden wolle. Schließlich nahm er einen Hammer, ging zu der im<br />

Ehebett schlafenden E und versetzte ihr neun wuchtige und schließlich<br />

tödliche Schläge gegen den Kopf. Hierbei war ihm klar, dass sie sich in<br />

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LEITSATZ<br />

Einer heimtückischen Tötung kann<br />

die feindselige Willensrichtung<br />

grundsätzlich nur dann fehlen,<br />

wenn sie dem ausdrücklichen Willen<br />

<strong>des</strong> Getöteten entspricht oder<br />

– aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren<br />

und anzuerkennenden<br />

Wertung – mit dem mutmaßlichen<br />

Willen <strong>des</strong> zu einer autonomen<br />

<strong>Entscheidung</strong> nicht fähigen Opfers<br />

geschieht. Ansonsten hat ein<br />

Schuldspruch wegen Mor<strong>des</strong> zu<br />

erfolgen. Anschließend ist zu prüfen,<br />

ob aufgrund ganz besonderer<br />

schuldmindernder Ge sichtspunkte<br />

in Anwendung der Grundsätze der<br />

<strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> Großen Senats<br />

für Strafsachen (BGHSt 30, 105) ausnahmsweise<br />

eine Berücksichtigung<br />

<strong>des</strong> besonderen Tatmotivs auf der<br />

Rechtsfolgenseite geboten ist.<br />

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494 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>09</strong>/<strong>2019</strong><br />

dem Bewusstsein schlafen gelegt hatte, dass ihr keinerlei Gefahr drohe. Bei<br />

seiner Tat nutzte er bewusst den Umstand aus, dass sich die schlafende<br />

E weder eines Angriffs versah noch aufgrund <strong>des</strong> Schlafes zu irgendeiner<br />

Gegenwehr fähig gewesen wäre. Einziges Tatmotiv <strong>des</strong> A war, E durch die<br />

Tötung ein Leben im finanziellen Ruin zu ersparen.<br />

Hat A sich wegen Mor<strong>des</strong>, § 211 StGB, strafbar gemacht?<br />

PRÜFUNGSSCHEMA: MORD, § 211 StGB<br />

Zur heimtückischen Tötung<br />

Schlafender vgl. Zimmermann/<br />

Schweinberger, JU<strong>RA</strong> INTENSIV,<br />

Strafrecht BT II, Rn 40 ff.<br />

A. Tatbestand<br />

I. Tötung <strong>des</strong> Opfers<br />

II. Objektive Mordmerkmale der 2. Gruppe <strong>des</strong> § 211 II StGB<br />

III. Vorsatz bzgl. I. und II.<br />

IV. Subjektive Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe <strong>des</strong> § 211 II StGB<br />

B. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

LÖSUNG<br />

Durch die Schläge mit dem Hammer könnte A sich wegen Mor<strong>des</strong> gem.<br />

§ 211 StGB zum Nachteil der E strafbar gemacht haben.<br />

A. Tatbestand<br />

I. Tötung der E<br />

Durch die Schläge mit dem Hammer hat A die E getötet.<br />

II. Objektive Mordmerkmale der 2. Gruppe <strong>des</strong> § 211 II StGB: Heimtücke<br />

A könnte E heimtückisch getötet haben.<br />

Heimtückisch handelt der Täter, wenn er die Arg- und Wehrlosigkeit <strong>des</strong><br />

Opfers in feindseliger Willensrichtung zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das<br />

Opfer, wenn es sich keines Angriffs auf sein Leben oder eines erheblichen<br />

Angriffs auf die körperliche Integrität versieht. Wehrlos ist das Opfer, wenn<br />

es aufgrund der Arglosigkeit nicht in der Lage ist sich zu verteidigen oder in<br />

seinen Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist.<br />

E hatte sich in dem Bewusstsein, dass ihr keine Gefahr drohe, also arglos,<br />

schlafen gelegt und diese Arglosigkeit mit in den Schlaf genommen. Sie<br />

war im Tatzeitpunkt auch wehrlos. Fraglich ist jedoch, ob A in feindseliger<br />

Willensrichtung handelte, da er E lediglich ein Leben im finanziellen Ruin<br />

ersparen wollte.<br />

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„[14] 1. Die Motive für eine ansonsten heimtückische Tötung können,<br />

von Ausnahmefällen abgesehen, regelmäßig nicht auf der Tatbestandsseite,<br />

sondern lediglich bei der Prüfung der sogenannten Rechtsfolgenlösung<br />

berücksichtigt werden.<br />

BGH, Beschluss vom 19.05.1981,<br />

GSSt 1/81, NJW 1981, 1965<br />

Dies ist die sog. Rechtsfolgenlösung<br />

der Rechtsprechung; zu anderen<br />

Ansätzen zur restriktiven Auslegung<br />

<strong>des</strong> Mordmerkmals der Heimtücke s.<br />

Zimmermann/Schweinberger, JU<strong>RA</strong><br />

INTENSIV, Strafrecht BT II, Rn 38 ff.,<br />

66 ff.<br />

[15] a) Der Große Senat für Strafsachen hat […] entschieden, dass bei<br />

einer Tötung in heimtückischer Begehungsweise auch beim Vorliegen<br />

außergewöhnlicher mildernder Umstände stets ein Schuldspruch<br />

wegen Mor<strong>des</strong> zu erfolgen hat und allenfalls eine Strafrahmenverschiebung<br />

in entsprechender Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB in<br />

Betracht kommt. Das Mordmerkmal der Heimtücke erschöpfe sich in<br />

einer besonders gefährlichen Begehungsweise, nämlich der vorsätzlichen<br />

Lebensvernichtung auf heimtückische Weise. Während dies auf der Ebene<br />

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<strong>RA</strong> <strong>09</strong>/<strong>2019</strong><br />

Strafrecht<br />

495<br />

<strong>des</strong> Tatbestan<strong>des</strong> keine Differenzierungen zulasse, könnten sich erhebliche<br />

Unterschiede bei der Schuld ergeben wie etwa bei affektiver Antriebslage,<br />

besonderen Beweggründen oder der Belastung <strong>des</strong> Täters durch Provokation<br />

und Konflikt. Aus dem Vorliegen und der konkreten Beschaffenheit<br />

solcher Schuldmomente könnten […] ‚Grenzfälle‘ […] erwachsen, in<br />

denen die Frage der Verhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitstrafe<br />

Berechtigung gewänne.<br />

[16] b) Zu dem Merkmal der ‚feindseligen Willensrichtung‘ hat der Große<br />

Senat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die bis dahin geltende<br />

Rechtsprechung unter diesem Gesichtspunkt zwar gelegentlich Beweggründe<br />

<strong>des</strong> Täters berücksichtigt und eine heimtückische Begehungsweise<br />

verneint habe, wenn er ‚zum Besten‘ <strong>des</strong> Opfers zu handeln glaubte.<br />

Diesen Ansatz hat der Große Senat für Strafsachen aber ausdrücklich<br />

nicht weitergeführt, sondern sich anstelle einer Restriktion auf der Tatbestandsebene<br />

für eine Ergänzung auf der Rechtsfolgenseite entschieden.<br />

Danach ist bei ‚außergewöhnlichen Umständen, auf Grund welcher die Verhängung<br />

lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint‘, im<br />

Wege richterlicher Rechtsfortbildung § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechend<br />

anzuwenden. […]<br />

[17] c) Die frühere <strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> Großen Senats für Strafsachen zur<br />

tatbestandlichen Einschränkung <strong>des</strong> Merkmals der Heimtücke in Fällen, in<br />

denen der Täter glaubt, zum Besten seines Opfers zu handeln, sieht der entscheidende<br />

Senat damit als weitgehend überholt an. Denn außergewöhnliche<br />

Umstände im oben genannten Sinne hat der Große Senat in seiner<br />

späteren <strong>Entscheidung</strong> gerade in besonderen Motiven für die Tötung<br />

erblickt, namentlich bei durch notstandsähnliche, ausweglos erscheinende<br />

Situationen motivierte, in großer Verzweiflung, aus tiefem Mitleid oder<br />

aus ‚gerechtem Zorn‘ aufgrund einer schweren Provokation begangenen<br />

Taten. Auch eine Tötung zum vermeintlich ‚Besten‘ <strong>des</strong> Opfers zeichnet<br />

sich allein durch ein solches besonderes Motiv aus und kann auf der<br />

Grundlage der <strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> Großen Senats auf der Tatbestandsebene<br />

grundsätzlich nicht zur Einschränkung <strong>des</strong> Mordmerkmals der<br />

Heimtücke führen.<br />

[18] 2. Der Bun<strong>des</strong>gerichtshof hat <strong>des</strong>halb in der Folgezeit – ohne die<br />

Voraussetzung eines Handelns in feindseliger Willensrichtung allerdings<br />

ausdrücklich aufzugeben oder einzuschränken – einen schon<br />

tatbestandlichen Ausschluss der Heimtücke aufgrund einer besonderen<br />

Motivation <strong>des</strong> Täters nur in Ausnahmefällen bejaht.<br />

[19] a) Ein solcher Ausnahmefall kann vorliegen, wenn die Tötung<br />

in einer Situation geschieht, in der das Opfer zu einer autonomen<br />

Willensbildung selbst nicht in der Lage ist und der Täter zu seinem<br />

vermeintlich Besten zu handeln glaubt.<br />

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[20] b) Ferner kann ein Ausnahmefall beim sogenannten erweiterten<br />

Suizid gegeben sein. Von einem solchen ist allerdings nur auszugehen,<br />

wenn der Täter – anders als hier – in Willensübereinstimmung mit dem<br />

Opfer aus dem Leben scheiden will und es entsprechend dem gemeinsamen<br />

Tatplan übernimmt, dieses und sich selbst zu töten. An einer feindlichen<br />

Willensrichtung fehlt es in diesen Fällen gerade wegen <strong>des</strong> autonomen<br />

Wunsches <strong>des</strong> Opfers, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden.<br />

BGH, Beschluss vom 02.12.1957,<br />

GSSt 3/57, NJW 1958, 3<strong>09</strong>; Beschluss<br />

vom 22.<strong>09</strong>.1956, GSSt 1/56, NJW<br />

1957, 70<br />

BGH, Beschluss vom 19.05.1981,<br />

GSSt 1/81, NJW 1981, 1965<br />

BGH, Beschluss vom 03.04.2008,<br />

5 StR 525/07, StV 20<strong>09</strong>, 524; Urteil<br />

vom 10.03.2006, 2 StR 561/05, NStZ<br />

2006, 338<br />

BGH, Beschluss vom <strong>09</strong>.05.2001,<br />

2 StR 123/01, StV 2001, 666; Witteck,<br />

JA 20<strong>09</strong>, 292<br />

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496 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>09</strong>/<strong>2019</strong><br />

BGH, Beschluss vom 07.12.1999,<br />

1 StR 574/99, NStZ-RR 2000, 327<br />

Schönke/Schröder, StGB, § 211 Rn 25b<br />

BGH, Urteil vom 02.04.<strong>2019</strong>,<br />

VI ZR 13/18<br />

BGH, Beschluss vom <strong>09</strong>.05.2001,<br />

2 StR 123/01, StV 2001, 666<br />

BGH, Urteil vom 30.<strong>09</strong>.1952,<br />

1 StR 296/52, NJW 1952, 1385<br />

BGH, Urteil vom 08.05.1991,<br />

3 StR 467/90, NJW 1991, 2357<br />

BGH, Beschluss vom 03.04.2008,<br />

5 StR 525/07, StV 20<strong>09</strong>, 524; Urteil<br />

vom 18.10.2007, 3 StR 226/07,<br />

NStZ 2008, 93<br />

[21] c) Hingegen hat der Bun<strong>des</strong>gerichtshof eine ‚feindselige Willensrichtung‘<br />

dann angenommen, wenn der Täter zwar zum vermeintlich<br />

Besten seines Opfers zu handeln glaubt, dieses aber zuvor seinen<br />

gegenteiligen Willen bekundet hat.<br />

[22] 3. Nichts anderes als im letztgenannten Fall gilt, wenn der Täter<br />

annimmt, zum Besten seines Opfers zu handeln, aber bewusst davon<br />

absieht, sein Opfer zu fragen, obwohl dieses zu einer autonomen Willensentscheidung<br />

in der Lage war und leicht hätte sagen können, ob es auch<br />

wirklich aus dem Leben scheiden möchte.<br />

[23] a) Eine ungewollte Tötung stellt grundsätzlich einen feindseligen<br />

Angriff auf das Lebensrecht <strong>des</strong> Opfers dar.<br />

[24] Das menschliche Leben – auch ein leidensbehaftetes – ist ein<br />

höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig; das Urteil<br />

über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Weil jeder Mensch, insbesondere<br />

aus religiösen und weltanschaulichen Gründen, höchst unterschiedliche<br />

Vorstellungen vom Wert <strong>des</strong> Weiterlebens in schwierigen<br />

oder möglicherweise ausweglosen Situationen hat, darf sich kein Dritter<br />

anmaßen, hierüber bestimmen zu wollen, ohne den Betreffenden – soweit<br />

möglich – zuvor gefragt zu haben. Wird dies bewusst unterlassen, ist es<br />

unangebracht, das Motiv einer ungewollten Tötung zum vermeintlich<br />

Besten <strong>des</strong> Opfers besonders zu privilegieren und ein solches ‚einseitiges<br />

Absprechen <strong>des</strong> Lebensrechts‘ von vorneherein aus dem Anwendungsbereich<br />

der Heimtücke auszuschließen, ohne dass dies durch die Formulierung<br />

<strong>des</strong> gesetzlichen Tatbestandsmerkmals erfordert wäre. Maßt sich<br />

der Täter an, selbst darüber zu bestimmen, was für sein Opfer das<br />

Beste ist, obwohl sich dieses unschwer selbst einen – gegebenenfalls<br />

entgegenstehenden – Willen bilden und diesen äußern könnte, ist ein<br />

solches Motiv regelmäßig nicht geeignet, einer unter bewusster Ausnutzung<br />

der Arg- und Wehrlosigkeit begangenen Tötungshandlung<br />

das ‚Tückische‘ zu nehmen.<br />

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[25] Ersichtlich <strong>des</strong>halb wird eine heimtückische Ausführung der Tötung<br />

auch in anderen Zusammenhängen nicht dadurch ausgeschlossen,<br />

dass der Täter aus menschlich begreiflichen Beweggründen handelt; die<br />

Verwirklichung eines derartigen objektiven Tatbestandsmerkmals wird<br />

auch sonst nicht davon abhängig gemacht, ob der Täter zum vermeintlich<br />

Besten <strong>des</strong> zu autonomer <strong>Entscheidung</strong> fähigen Rechtsgutsträgers<br />

oder aus anderen Motiven handelt.<br />

[26] b) Hierfür spricht auch, dass es nach der neueren Rechtsprechung <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gerichtshofs für eine mögliche Einschränkung <strong>des</strong> Merkmals der<br />

Heimtücke mangels feindseliger Willensrichtung nicht lediglich auf<br />

das tatsächliche Vorhandensein eines altruistischen Motivs ankommt,<br />

sondern auch normative Erwägungen eine Rolle spielen. Gerade bei<br />

Tötungshandlungen aus vermeintlichem Mitleid hat der Bun<strong>des</strong>gerichtshof<br />

wiederholt darauf hingewiesen, dass sich darin auch Feindseligkeit<br />

gegenüber dem Lebensrecht offenbaren kann, etwa weil es<br />

darum geht, die eigenen Vorstellungen über Würde und Wert <strong>des</strong> Lebens<br />

eines anderen Menschen durchzusetzen.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>09</strong>/<strong>2019</strong><br />

Strafrecht<br />

497<br />

[27] […] Ist das Opfer zu einer autonomen <strong>Entscheidung</strong> auf absehbare<br />

Zeit nicht in der Lage, ist neben der subjektiven Zielsetzung <strong>des</strong> Täters für<br />

einen Ausschluss der feindlichen Willensrichtung <strong>des</strong>halb objektiv erforderlich,<br />

dass die Tat nach einer anerkennenswerten und nachvollziehbaren<br />

Wertung im ‚wohlverstandenen Interesse‘ <strong>des</strong> Opfers lag. […]<br />

[28] c) Einer heimtückischen Tötung kann die feindselige Willensrichtung<br />

<strong>des</strong>halb grundsätzlich nur dann fehlen, wenn sie dem ausdrücklichen<br />

Willen <strong>des</strong> Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren<br />

und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen<br />

Willen <strong>des</strong> zu einer autonomen <strong>Entscheidung</strong> nicht fähigen Opfers<br />

geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch wegen Mor<strong>des</strong> zu erfolgen.<br />

Anschließend ist zu prüfen, ob aufgrund ganz besonderer schuldmindernder<br />

Gesichtspunkte in Anwendung der Grund sätze der <strong>Entscheidung</strong><br />

<strong>des</strong> Großen Senats ausnahmsweise eine Berücksichtigung<br />

<strong>des</strong> besonderen Tatmotivs auf der Rechtsfolgenseite geboten ist.<br />

[29] 4. Nach diesen Maßstäben und den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen<br />

<strong>des</strong> Schwurgerichts liegt nahe, dass der Angeklagte seine<br />

Ehefrau in feindseliger Willensrichtung und damit heimtückisch getötet<br />

hat. [Die] Getötete [war] nach den Feststellungen <strong>des</strong> Landgerichts nicht<br />

derart beeinträchtigt, dass sie zu einer autonomen Willensbildung und<br />

-äußerung nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Dass die Tötung – auch in<br />

dieser besonders brutalen Form – mit ihrer Einwilligung geschehen wäre,<br />

ist ebenfalls nicht festgestellt.“<br />

A hat E also heimtückisch getötet.<br />

III. Vorsatz bzgl. I. und II.<br />

A hatte Vorsatz bzgl. der heimtückischen Tötung der E.<br />

IV. Subjektive Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe <strong>des</strong> § 211 II StGB:<br />

Niedrige Beweggründe<br />

A könnte F aus niedrigen Beweggründen getötet haben.<br />

Niedrige Beweggründe sind alle sittlich auf tiefster Stufe stehende und daher<br />

besonders verachtenswerte Tatantriebe. A wollte E töten, um ihr ein Leben im<br />

finanziellen Ruin zu ersparen, sie also eigentlich vor einer für sie – aus seiner Sicht –<br />

unerträglichen Lebenssituation zu beschützen. Ein solches Motiv steht jedoch<br />

nicht sittlich auf tiefster Stufe. A hat nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt.<br />

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BGH, Urteil vom 08.05.1991,<br />

3 StR 467/90, NJW 1991, 2357<br />

B. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.<br />

C. Ergebnis<br />

A ist strafbar gem. § 211 StGB.<br />

FAZIT<br />

Die vorliegende <strong>Entscheidung</strong> macht deutlich, dass der BGH gewillt ist, die<br />

von ihm entwickelte „Rechtsfolgenlösung“ zum Heimtückemord konsequent<br />

durchzuhalten: Abgesehen von Fällen, in denen der Täter zum Besten eines zur<br />

autonomen Willensbildung unfähigen Opfers handeln will, und vom erweiterten<br />

Suizid, schließt ein Handeln zum (vermeintlichen) Besten <strong>des</strong> Opfers<br />

die Heimtücke auf Tatbestandsebene nicht aus, sondern findet allenfalls auf<br />

Rechtsfolgenseite Berücksichtigung.<br />

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