Nachbarn 09/2019
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10 NAH & FERN<br />
48 Stunden Akaba<br />
Im Rausch der Farben<br />
Wie viele Varianten von Rot gibt es?<br />
Dunkelrot, Kardinalrot, Blassrot,<br />
Orangerot, Rotblau … Doch all das<br />
reicht nicht aus, um die Palette an Rottönen zu<br />
beschreiben, die sich mir im Wadi Rum bieten.<br />
Eben noch in Berlin war ich Teil der rumorenden,<br />
hektischen Großstadt. Acht Stunden und<br />
einen Flug nach Jordanien später aber stehe<br />
ich hier mitten in der Wüste. Umgeben von<br />
kilometerweiten Sandebenen. Bergen, die sich<br />
in die Höhe schrauben. An denen seit Jahrtausenden<br />
der Wind nagt und sie wie ein fingerfertiger<br />
Steinmetz kunstvoll formt. Zuweilen<br />
sehen die Felsen aus wie von Gottesfürchtigen<br />
geschaffene Tempel, vor Menschengedenken<br />
den Elementen überlassen. Doch es ist Mutter<br />
Natur, die hier ein Wunder fräst und mich<br />
Schweigen macht.<br />
Ich habe mich für eine Tour mit Übernachtung<br />
entschieden und bin überrascht, dass die große<br />
Magie, die ich tagsüber erlebt habe, noch zu<br />
steigern ist. Berlin mit seiner Lichtverschmutzung<br />
verhindert das erhabene Staunen, das<br />
mich umfängt, als ich nach Sonnenuntergang<br />
in den Himmel schaue.<br />
Es blitzt, es funkelt, es strahlt. Ich mache mir<br />
gar nicht die Mühe, die Sternbilder erkennen<br />
zu wollen, sondern sitze im Sand, staune und<br />
wage kaum zu atmen ob der Allmächtigkeit<br />
des Universums. Mein Schlaf ist tief, nur tiefer<br />
noch ist die Stille, die uns umfängt. Als am<br />
nächsten Morgen der Sonnenaufgang die<br />
Wüste wieder in Farbe taucht, möchte ich die<br />
ganze Welt umarmen.<br />
So bestimmend die Natur hier ist, gibt es<br />
dennoch Orte im Wadi, von Menschen geprägt.<br />
Denn seit Jahrtausenden ist er auch ein<br />
Kulturort, Transitstrecke für Karawanen. Mein<br />
Führer zeigt mir den Tempel der Nabatäer, von<br />
dem nur noch wenige Steine vorhanden sind.<br />
Ich weiß nicht, was mich mehr beeindruckt.<br />
Die Tatsache, dass schon Jahrhunderte vor<br />
unserer Zeitrechnung hier Menschen siedelten<br />
oder die 1700 Meter hohen Berge im Hintergrund.<br />
Beides lässt mich klein fühlen, füllt<br />
mein Herz mit Ehrfurcht.<br />
An manchen Orten begegnen wir dem legendären<br />
Lawrence von Arabien. Es sind zum<br />
einen die Geschichten der Beduinen, die stolz<br />
von ihm als einen der ihren erzählen. Es sind<br />
aber auch Orte wie seine Quelle, die heute<br />
noch den Durst von Mensch und Tier stillt.<br />
Im Hintergrund völlig surreal, als wäre es ein<br />
Gemälde von Dalí, grünt ein Baum, der 1000<br />
Jahre alt sein soll. Das Haus von Lawrence von<br />
Arabien ist nur mehr ein Steinhaufen und<br />
vermutlich sind es vor allem die Erinnerungen<br />
der Beduinen, die die Mauern aufrecht halten.<br />
<strong>Nachbarn</strong> <strong>09</strong>/<strong>2019</strong>