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Leseprobe CONNEXI AIDS Hepatitis Ausgabe 6-2019

medizinisches Magazin über AIDS und Hepatitis für Fachärzte, Retrospektive vom Deutsch-Österreichischen AIDS Kongress DOEAK 2019 und der Münchner AIDS und Hepatitis Werkstatt 2019

medizinisches Magazin über AIDS und Hepatitis für Fachärzte, Retrospektive vom Deutsch-Österreichischen AIDS Kongress DOEAK 2019 und der Münchner AIDS und Hepatitis Werkstatt 2019

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<strong>AIDS</strong> und <strong>Hepatitis</strong><br />

6-<strong>2019</strong>


EIN GRUND MEHR<br />

• bewährte<br />

WIRKSAMKEIT<br />

• bewährte<br />

VERTRÄGLICHKEIT<br />

• EINMAL TÄGLICH<br />

1200 mg, 2 Tabletten á 600 mg<br />

Zugelassene Indikation: Behandlung einer HIV-1-Infektion in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln.<br />

ISENTRESS ®<br />

SENTRESS ® 100 mg Kautabletten/ISENTRESS ® 25 mg Kautabletten<br />

ISENTRESS ® 400 mg Filmtabletten<br />

ISENTRESS ® 600 mg Filmtabletten<br />

ISENTRESS ® 100 mg Granulat zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen<br />

Wirkstoff: Raltegravir Zus.: Arzneil. wirks. Bestandt.: Jede Filmtbl. enth. 400 mg bzw. 600 mg, jede Kautbl. enth. 100 mg<br />

bzw. 25 mg, jeder Beutel Granulat enth. 100 mg (nach Zubereitung 10 mg/ml Suspension) Raltegravir (als Raltegravir-Kalium).<br />

Sonst. Bestandt.: 400-mg-Filmtbl.: Mikrokrist. Cellulose, Lactose-Monohydrat, Calciumhydrogen phosphat,<br />

Hypromellose 2208, Poloxamer 407, Natriumstearylfumarat, Magnesiumstearat, Poly(vinylalkohol), Titandioxid, Macrogol<br />

3350, Talkum, Eisen(III)-oxid, Eisen(II,III)-oxid. 600-mg-Filmtbl.: Mikrokristalline Cellulose, Hypromellose 2910, Magnesiumstearat,<br />

Croscarmellose- Natrium, Lactose-Monohydrat, Titandioxid, Triacetin, Eisen(III)-hydroxid-oxid (E 172), Eisen(II,III)-oxid<br />

(E 172). Kann Spuren v. Carnauba-Wachs enth. Kautbl.: Hyprolose, Sucralose, Saccharin-Natrium, Natriumcitrat<br />

(Ph.Eur.), Mannitol (Ph.Eur.), Ammoniumglycyrrhizat (Ph.Eur.), Sorbitol (Ph.Eur.) (E 420), Fructose (Ph.Eur.),<br />

Bananen-/Orangenaroma, Aroma zur Maskierung, Aspartam (E 951), Crospovidon Typ A, Natriumstearyl fumarat (Ph.<br />

Eur.), Magnesiumstearat (Ph.Eur.) [pflanzlich], Hypromellose 2910/6cP, Macro gol/PEG 400, Ethylcellulose 20 cP, Ammoniumhydroxid,<br />

mittelkettige Triglyceride, Ölsäure, Eisen(III)-hydroxid-oxid (E 172). 100-mg-Kautbl. zusätzl.: Eisen(III)-oxid<br />

(E 172). Granulat: Hyprolose, Sucralose, Mannitol, Ammonium glycyrrhizat, Sorbitol (Ph.Eur.) (E 420), Fructose (Ph.Eur.),<br />

Bananen-Aroma, Sucrose, Crospovidon Typ A, Magnesiumstearat, Hypromellose 2910/6cP, Macrogol/PEG 400, Ethylcellulose<br />

20 cP, Ammonium hydroxid, mittelkettige Triglyzeride, Ölsäure, mikrokristalline Cellulose, Carmellose-Natrium<br />

(Ph.Eur.). Anw.: In Komb. mit and. antiretroviralen AM zur Behandl. einer Infekt. mit dem Humanen Immun defizienzvirus<br />

(HIV-1): 600-mg-Filmtbl.: Erw. u. Kdr./Jugendl. ≥ 40 kg KG; 400-mg-Filmtbl.: Erw. u. Kdr./ Jugendl. ≥ 25 kg KG; Kautbl.:<br />

Kdr. ≥ 11 kg KG; Granulat: Neugeb./Säugl./Kleinkdr.: ≥ 2 kg KG/reifgeboren, < 20 kg KG. Gegenanz.: Überempf.-keit<br />

gg. d. Wirkstoff od. e. d. sonst. Bestandt. Vorsicht bei: Älteren Pat. Schw. Leberfunkt.-stör. u. vorbesteh. Leberfunkt.-stör.<br />

einschl. chron. <strong>Hepatitis</strong>, Pat. mit chron. <strong>Hepatitis</strong> B od. C. Schw. Immundefekt. Komb. mit starken UGT1A1-Induktoren (z.<br />

B. Rifampicin). Anamn. bek. Myopathie/Rhabdomyolyse bzw. prädisp. Faktoren einschl. AM, d. derartige Erkrank. hervorrufen.<br />

Anamn. bek. Depression od. psychiatr. Erkrank. Pat. mit Risikofakt. f. Osteonekrose, fortgeschr. HIV-Erkrank. u./od.<br />

ART-Langzeitbehandl. Nicht empf.: Komb. mit aluminium- u. magnesiumhaltigen Antazida. 600-mg-Filmtbl. zusätzl.:<br />

Komb. m. Atazanavir, Komb. m. Tipranavir/Ritonavir, Komb. m. calciumcarbonathaltig. Antazida, Komb. m. starken Induktoren<br />

AM-metabol. Enzyme. Nebenw.: Häufig: Appetitmind. Veränd. Träumen; Insomnie; Alpträume; Verhaltensstör.;<br />

Depression. Schwindel; Kopfschm.; psychomotor. Hyperaktivität. Vertigo. Aufgetriebenes Abdomen; Bauchschm.; Diarrhö;<br />

Flatulenz; Übelk.; Erbrechen; Dyspepsie. Hautausschl. Schwäche gef.; Müdigk.; Fieber. Erhöh. v. ALT/AST; atyp.<br />

Lymphozyten; Hypertri glyzerid ämie; Erhöh. d. Lipase; Erhöh. d. Pankreas-Amylase im Blut. Gelegentl.: Herpes genitalis;<br />

Folliculitis; Gastroenteritis; Herpes simplex; Herpes-Virus-Infekt.; Herpes zoster; Influenza; Lymphknoten abszess; Molluscum<br />

contagiosum; Nasopharyngitis; Infekt. d. oberen Atemwege. Papillom d. Haut. Anämie; Eisenmangelanämie; Lymphknotenschm.;<br />

Lymphaden opathie; Neutropenie; Thrombozytopenie. Immunrekonsti tutionssyndr.; AM-über empf.-keit;<br />

Überempf.-keit. Kachexie; Diabetes mellitus; Dyslipid ämie; Hypercholesterin ämie; Hyper glyk ämie; Hyperlipidämie; Hyperphagie;<br />

gesteig. Appetit; Polydipsie; Stör. d. Körper fettverteilung. Psych. Stör.; Suizidversuch; Angst; Verwirrtheit;<br />

Niedergeschlagenh.; schw. Depression; Durchschlafstör.; Stimmungsveränd.; Panikattacken; Schlafstör.; Suizidgedanken;<br />

suizi dales Verhalten (insb. bei Pat. mit e. psychiatr. Erkr. in d. Vorgesch.). Amnesie; Karpaltunnelsyndr.; kognitive Stör.;<br />

Aufmerksamkeitsstör.; Lagerungsschwindel; Dysgeusie; Hypersomnie; Hypästhesie; Lethargie; Gedächtnisstör.; Migräne;<br />

periph. Neuropathie; Parästhesie; Somnolenz; Spannungskopfschm.; Tremor; schlechter Schlaf. Beeinträcht. d.<br />

Sehvermögens. Tinnitus. Palpitationen; Sinusbradykardie; ventrikul. Extrasystolen. Hitzewallungen; Hyper tonie.<br />

Dysphonie; Nasenbluten; verstopfte Nase. Gastritis; Bauch beschw.; Bauchschm.; Druck empf.-keit im Abdomen;<br />

Beschw. im Anorektalbereich; Obstipation; Mundtrockenh.; Beschw. im Oberbauch; erosive Entzünd. d. Zwölffingerdarms;<br />

Aufstoßen; gastroösophageale Refluxkrankh.; Zahnfleischentzündung; Glossitis; Schluckbeschw.; akute Pankreatitis;<br />

Magengeschwür; rektale Hämorrhagie. <strong>Hepatitis</strong>; Ver fettung d. Leber; Alkohol-<strong>Hepatitis</strong>; Leberversagen. Akne;<br />

Alopezie; akneiforme Dermatitis; Haut trockenh.; Erythem; Schwund d. Fettgewebes im Gesichtsbereich; Hyperhidrose;<br />

Lipoatrophie; erworb. Lipodys trophie; Lipo hypertrophie; Nachtschweiß; Prurigo; Pruritus; general. Juckreiz; makulärer<br />

Hautausschl.; makulopapu löser Hautausschl.; juckender Hautausschl.; Hautläsionen; Urtikaria; Xerodermie; SJS;<br />

AM-exanthem mit Eosinophilie u. system. Sympt. (DRESS-Syndrom). Arthralgie; Arthritis; Rückenschm.; Flankenschm.;<br />

muskulo skelet. Schm.; Myalgie; Nacken schm.; Osteopenie; Schm. in d. Extre mitäten; Sehnenentzündung; Rhabdo myolyse.<br />

Nieren versagen; Nephritis; Nephrolithiasis; Nykturie; Nierenzysten; Nierenfunkt.-stör.; tubulo interstit. Nephritis.<br />

Erekt. Dysfunkt.; Gynäkomastie; menopausale Sympt. Beschw. im Brustkorb; Schüttelfrost; Gesichtsödem; Zunahme d.<br />

Körperfetts; Nervosität; Unwohlsein; submandib. Raumforderung; periph. Ödem; Schm. Neutropenie (Erniedrigung d.<br />

absoluten Zellzahl); Erhöh. d. alka lischen Phosphatase; Ernied. d. Serum-Albumins; Erhöh. d. Serum-Amylase, d.<br />

Serum- Bilirubins, d. Serum- Cholesterins, d. Serum-Kreatinins, d. Blutglucosespiegels, d. Blutharnstoffstickstoffs, d.<br />

Kreatin-Phosphokinase, d. Nüchtern blutglucosespiegels; Glucose im Urin; HDL, INR, LDL erhöht; Thrombo penie; Blut im<br />

Urin; Zunahme d. Bauchumfangs; Gewichtszunahme; Leukopenie. Versehentl. Überdosis. Warnhinw.: Filmtbl.: Enth.<br />

Lactose. Kautbl.: Enth. Fructose, Sorbitol u. Aspartam. Granulat: Enth. Fructose, Sorbitol u. Sucrose. Hinw.: Vor Wechsel<br />

zw. Darreichungsformen u. Stärken Fachinformationen beachten. Die 400-mg-Filmtbl. ist nicht für das Therapieschema<br />

von 1 x tgl. 1.200 mg geeignet. Hinw. zu Schwangerschaft u. Stillzeit für jeweilige Darreichungsform beachten.<br />

Ver schreibungspflichtig. Stand: 01/<strong>2019</strong><br />

Bitte lesen Sie vor Verordnung von ISENTRESS ® die Fachinformation!<br />

Pharmazeutischer Unternehmer:<br />

Merck Sharp & Dohme B.V.<br />

Waarderweg 39<br />

2031 BN Haarlem<br />

Niederlande<br />

Lokaler Ansprechpartner:<br />

MSD SHARP & DOHME GMBH, Lindenplatz 1, 85540 Haar<br />

DE-MFA-00005


EDITORIAL<br />

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,<br />

würden Sie gebeten, einen Fragebogen auszufüllen,<br />

in dem ganz allgemein nach Ihrer Lebensqualität<br />

gefragt wird, über welche Faktoren würden<br />

Sie nachdenken? Partnerschaft/Familie, Beruf,<br />

Geld, Wohnsituation? Bei den meisten gäbe es<br />

sicher hier und da Abstriche und letztendlich<br />

stünde am Ende eine eher verbale Einschätzung<br />

wie „ganz gut“ oder „eigentlich gut, aber…“ oder<br />

„könnte besser sein“.<br />

In der Medizin spielen solche Art Fragebögen nach<br />

der Lebensqualität von Patienten eine zunehmende<br />

Rolle, um Therapieerfolg zu beurteilen.<br />

Weil ein Medikament durchaus wirken kann, aber<br />

der Patient sich trotzdem schlecht fühlt und der<br />

Behandler dann ggf. neu über die Therapie nachdenken<br />

muss.<br />

Aber ist Lebensqualität überhaupt messbar? Was<br />

gehört dazu? Vermutlich ist die Antwort auf diese<br />

Frage so unterschiedlich wie verschieden die<br />

Lebenslagen und Ansprüche der Menschen sind.<br />

Und sie relativieren sich sehr schnell, wenn sich<br />

die Prioritäten ändern – erhält ein Mensch die<br />

Diagnose einer schweren Erkrankung, dann zählen<br />

plötzlich ganz andere Faktoren als vorher. Es<br />

geht dann bei der Lebensqualität möglicherweise<br />

um das Befinden noch verbleibender Überlebenszeit,<br />

Schmerzfreiheit, weniger Belastungen und<br />

Nebenwirkungen unter Therapie. Und wenn sich<br />

die Therapieoptionen, wie bei HIV in den letzten<br />

Jahren, verbessern, ändern sich die Ansprüche<br />

wieder: möglichst wenige Tabletten, seltenere<br />

Einnahme, ein normales Alltagsleben. Bei stigmatisierenden<br />

Erkrankungen wie Behinderungen,<br />

Drogenabhängigkeit oder HIV kommt als eine weitere<br />

wesentliche Komponente der Lebensqualität<br />

das soziale Wohlbefinden hinzu.<br />

Wenn es also darum geht, wie das Credo „im Mittelpunkt<br />

steht der Patient“ gelebt wird, geht es,<br />

das wird mehr und mehr erkannt, um viel mehr<br />

als einen Laborwert und wirksames Medikament.<br />

Es geht um seine Lebensqualität. Um diese zu eruieren<br />

und zu verbessern braucht es soziale Kompetenz,<br />

Empathie, die Fähigkeit zu kommunizieren,<br />

den Patienten als ganzen Mensch zu sehen, zu<br />

beraten und zu behandeln. In diesem Heft werden<br />

Sie viel darüber lesen und neue Denkanstöße zu<br />

dieser Thematik erhalten. Der Trend, sog. Patient<br />

Reported Outcomes (PROs) mehr zu berücksichtigen,<br />

ob als Studienendpunkt oder beim Ausstellen<br />

des Rezepts, ist unübersehbar und, nicht nur in der<br />

HIV-Medizin, für Ärztinnen und Ärzte wie auch<br />

andere an der Betreuung von chronisch Kranken<br />

Beteiligte mit neuen Herausforderungen und<br />

wahrscheinlich mit noch etwas mehr Zeitaufwand<br />

verbunden.<br />

Ich wünsche Ihnen eine gute Lebensqualität bei<br />

bester Gesundheit und eine interessante Lektüre<br />

der aus den Programmen der Münchner <strong>AIDS</strong>- und<br />

<strong>Hepatitis</strong>-Werkstatt <strong>2019</strong> und des DÖAK <strong>2019</strong><br />

ausgewählten Beiträge.<br />

Berlin, August <strong>2019</strong><br />

Anja Lamprecht<br />

anja.lamprecht@thepaideiagroup.com<br />

Herzlichst Anja Lamprecht<br />

Verlegerin<br />

3


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Editorial 3<br />

Anja Lamprecht<br />

HIV-Infektion in Deutschland <strong>2019</strong> 6<br />

90-90-90 reicht nicht – das Ziel reflektiert<br />

nicht alle Probleme<br />

Interview mit Prof. Dr. Andreas Plettenberg<br />

Interview dagnä aktuell 24<br />

Bericht aus Berlin − zwischen DÖAK und<br />

dagnä-Workshop<br />

mit Robin Rüsenberg<br />

HIV-Selbsttests in Deutschland 27<br />

Vorbehalte ausgeräumt<br />

Michael Tappe<br />

Post Conference Webinar Seattle 11<br />

Die Highlights von der CROI <strong>2019</strong><br />

Komplikationen unter ART 17<br />

Gewichtsveränderungen<br />

Georg Härter<br />

S.A.M Mein Heimtest 29<br />

Einsendetest für HIV, Syphilis, Gonokokken und<br />

Chlamydien<br />

Christopher Knoll, Kathrin Maria Dymek<br />

ChemSex 32<br />

Ein Blick hinter die Kulissen<br />

Matthias Kuske, Daniel Deimel, Hannes Ulrich,<br />

Martin Viehweger<br />

Präexpositionsprophylaxe (PrEP) 20<br />

DAIG-Leitlinie steht zur Nutzung bereit<br />

Christoph D. Spinner<br />

Studien und Real life 21<br />

Präexpositionsprophylaxe (PrEP)<br />

Heiko Jessen<br />

ChemSex <strong>2019</strong> 35<br />

ChemSexNetzwerk Berlin – ein Qualitätszirkel<br />

Martin Viehweger<br />

4


Therapiemanagement bei HIV-Patienten 38<br />

Bewährtes, Empfohlenes und Neues<br />

Symposiumsbericht<br />

STI in Zeiten von PrEP 54<br />

Aktuelle Daten aus der MSM-Screening-Studie<br />

Klaus Jansen, Gyde Steffen<br />

SHE – Strong, HIV positive, Empowered Women 42<br />

Ergebnisse des Selbsthilfe-Projekts für<br />

Frauen mit HIV<br />

Jelena Gillich, Ulla Clement-Wachter, Harriet Langanke,<br />

Annette Piecha, Ulrike Sonnenberg-Schwan<br />

Solide Tumoren bei HIV-Infizierten 61<br />

Gleiche Therapie-Standards wie bei<br />

HIV-Negativen gefordert<br />

Mark Oette<br />

„Unter der Nachweisgrenze“ ist zu wenig 44<br />

HIV-Therapieziele werden höher gesteckt<br />

Interview mit Prof. Dr. Jürgen Rockstroh<br />

HIV-infizierte Kinder in Deutschland 64<br />

Die GEPIC-Kohorte der Pädiatrischen AG<br />

<strong>AIDS</strong> e.V.<br />

Marla Braun und Christoph Königs<br />

<strong>Hepatitis</strong> C-Therapie für Einsteiger und Fortgeschrittene 46<br />

Erklärtes Ziel ist die Heilung<br />

Silke Heldwein, Eva Wolf<br />

<strong>Hepatitis</strong> B und D 50<br />

Was gibt es Neues?<br />

Jörg Petersen<br />

THC und CBD 71<br />

Neue Gesetze und Optionen –<br />

Neue und alte Probleme?<br />

Stephan Walcher<br />

Impressum/Pro domo 74<br />

5


HIV-INFEKTION IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

90-90-90 reicht nicht – das Ziel<br />

reflektiert nicht alle Probleme<br />

Mit hochwirksamen, gut verträglichen antiretroviralen Therapien, Single-Tablet-Regimen und Präexpositionsprophylaxe<br />

konnte in den vergangenen Jahren die Behandlungsqualität der HIV-Infektion weiter<br />

verbessert werden. Doch trotz der Erfolge sind längst nicht alle Ziele erreicht – nicht im medizinischen<br />

Bereich und schon gar nicht im Sinne gesellschaftlicher Akzeptanz und Integration betroffener Patienten.<br />

CONFERENCES<br />

Im Rahmen internationaler, nationaler und regionaler<br />

Veranstaltungen werden die intensiven<br />

Bemühungen um die Lösung der weltweit noch<br />

zahlreichen ungelösten Probleme regelmäßig<br />

reflektiert und diskutiert, um gesetzte Ziele und<br />

Realität im Kampf gegen die Infektion einander<br />

immer wieder ein Stück näher zu bringen. Auch<br />

wenn das UN<strong>AIDS</strong>-Ziel 90-90-90 medizinisch<br />

schon vielfach erreicht wird und Patienten, die in<br />

Behandlung sind, mit den verfügbaren Medikamenten<br />

sicher unter die Nachweisgrenze kommen,<br />

bleiben noch viele Herausforderungen in der Heilungs-,<br />

Impf-, Resistenz- und Toxizitätsforschung,<br />

bei Allokationsproblemen in Entwicklungsländern<br />

bis hin zu strukturellen und Fragen der Versorgung,<br />

wie sie auch in Deutschland noch bestehen, sowie<br />

bei den vielen Facetten der Stigmatisierung und<br />

Diskriminierung weltweit.<br />

Unverzichtbar für die Praxis:<br />

Wissenstransfer<br />

Während große internationale Kongresse wie<br />

die Conference on Retroviruses and Opportunistic<br />

Infections (CROI) oder die IAS Conference on HIV<br />

Science allerneueste wissenschaftliche Studiendaten<br />

und Ergebnisse aus der Grundlagenforschung<br />

präsentieren, bieten im Jahresverlauf in<br />

Deutschland kompaktere kleinere Veranstaltungen<br />

wie die Münchner <strong>AIDS</strong>- und <strong>Hepatitis</strong>-Werkstatt<br />

im jährlichen Wechsel mit den Münchner <strong>AIDS</strong>und<br />

<strong>Hepatitis</strong>-Tagen, der alle zwei Jahre ausgerichtete<br />

Deutsch-Österreichische <strong>AIDS</strong>-Kongress,<br />

der dagnä-Workshop und zahlreiche weitere Fachtagungen<br />

vielfältige Gelegenheiten, den aktuellen<br />

Stand der sich rasant entwickelnden wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse auszuwerten, zu interpretieren<br />

und zu diskutieren. So sind die großen aktuellen<br />

Themen derzeit, nach wie vor die Heilungschancen<br />

von HIV, die Präexpositionsprophylaxe (PrEP), das<br />

bessere Verständnis der Immunologie, (Langzeit)-<br />

Nebenwirkungen der ART, Therapievereinfachung<br />

und viele weitere in Studien untersuchte Detailfragen<br />

zu bestimmten Substanzen, Therapiestrategien<br />

und Patientensubgruppen.<br />

München – die „Familientreffen“<br />

Die seit knapp 20 Jahren jeweils an zwei Tagen<br />

im März stattfindende Münchner <strong>AIDS</strong>- und<br />

<strong>Hepatitis</strong>-Werkstatt – von vielen Teilnehmern<br />

mittlerweile als Familientreffen empfunden, wie<br />

die Organisatoren gern feststellen − fokussierte<br />

in diesem Jahr am 29. und 30. März neben den<br />

somatischen und psychosozialen Aspekten von<br />

HIV und <strong>Hepatitis</strong>, Fortschritte in der Infektiologie,<br />

Onkologie, Flüchtlingsmedizin, Epidemiologie<br />

und damit verbundene Fragestellungen. Die<br />

Werkstatt mit kleineren Workshops und anderen<br />

interaktiven Formaten wie Corner Stone Labs,<br />

fand <strong>2019</strong> zum achten Mal unter der wissenschaftlichen<br />

Leitung wie bisher von PD Dr. Christian<br />

Hoffmann und Dr. Hans Jäger statt. Neu zur<br />

Verstärkung hinzugekommen sind im vergangenen<br />

Jahr Dr. Eva Wolf und als Tagungssekretär<br />

Dr. Georg Härter.<br />

Im nächsten Jahr finden wieder die Münchner<br />

<strong>AIDS</strong>- und <strong>Hepatitis</strong>-Tage, dann bereits zum<br />

18. Mal, vom 27. bis 29. März, traditionell im Westin<br />

Grand Hotel München statt.<br />

6


HIV-INFEKTION IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

Hamburger Hafen – Schuppen 52<br />

Der Deutsch-Österreichische <strong>AIDS</strong>-Kongress<br />

fand in diesem Jahr unter dem Motto „Visionen<br />

& Wirklichkeit“ in Hamburg statt. Als Veranstaltungsort<br />

wurde der „Schuppen 52“ gewählt, ein,<br />

wie auf der Homepage nachzulesen und anzuschauen<br />

ist, „klassischer Kaischuppen aus der<br />

Kaiserzeit mit unvergleichlicher Atmosphäre, die<br />

ein Jahrhundert Hafen- und Seefahrtsgeschichte<br />

reflektiert, direkt am Wasser, mit einem Traumblick<br />

über die Elbe auf Hamburgs Stadtpanorama“ (alles<br />

100%ig zutreffend).<br />

In bewährter Zusammenarbeit der deutschen und<br />

der österreichischen <strong>AIDS</strong>-Gesellschaften brachte<br />

der Kongress auch <strong>2019</strong> Akteure aus Grundlagenwissenschaft,<br />

Behandlung, Sozialwissenschaften,<br />

öffentlicher Gesundheitsvorsorge und <strong>AIDS</strong>-Hilfen<br />

zu einem anregenden Austausch zusammen. Knapp<br />

1.000 Teilnehmer aus verschiedenen Berufsgruppen<br />

waren in die Hansestadt gekommen, um sich<br />

auf den aktuellsten Wissensstand zu bringen und<br />

länderübergreifend in interessanten z. T. neuen<br />

interaktiven Formaten wie Campfire-Sessions die<br />

brennenden Fragen der Zeit mit Bezug auf die<br />

HIV-Medizin zu diskutieren und ihre Mitgliederversammlungen<br />

abzuhalten.<br />

Die Mitgliederversammlung der Deutschen<br />

<strong>AIDS</strong>-Gesellschaft verabschiedete u. a. eine neue<br />

Leitlinie zur Therapie der HIV-Infektion im Erwachsenenalter<br />

und wählte einen neuen Vorstand für die<br />

kommenden zwei Jahre. Diesem gehören an: Prof.<br />

Dr. Hans-Jürgen Stellbrink aus Hamburg (Präsident<br />

der DAIG), PD Dr. Christoph Boesecke aus Bonn<br />

(Wissenschaftlicher Sekretär), PD Dr. Stephan Esser<br />

aus Essen (Schatzmeister), PD Dr. Christoph Spinner<br />

aus München (Schriftführer) und Dr. Annette<br />

Haberl aus Frankfurt (Sekretärin für Öffentlichkeitsarbeit).<br />

Aus dem Vorstand ausgeschieden sind<br />

Prof. Dr. Georg Behrens, der seit 2011 Präsident der<br />

Fachgesellschaft war und PD Dr. Christoph Wyen,<br />

der in den letzten zwei Jahren das Amt des Schriftführers<br />

innehatte.<br />

Die Kongresspräsidentschaft des DÖAK<br />

<strong>2019</strong> hatten Prof. Dr. Andreas Plettenberg und<br />

Prof. Dr. Hans-Jürgen Stellbrink übernommen. Wissenschaftliche<br />

Koordinatorin war Prof. Dr. Marylyn<br />

Addo, alle drei aus Hamburg.<br />

Am Nachmittag des zweiten Kongresstages hatte connexi die Gelegenheit zu einem Interview mit Professor<br />

Andreas Plettenberg vom Ifi-Institut für interdisziplinäre Medizin, Zentrum für Infektiologie an der<br />

Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg.<br />

Herr Professor Plettenberg, was zeichnet diesen<br />

Deutsch-Österreichischen <strong>AIDS</strong>-Kongress aus?<br />

Was wird Ihnen von diesem Kongress <strong>2019</strong> am<br />

nachhaltigsten in Erinnerung bleiben?<br />

Prof. Plettenberg: Ich glaube, es ist uns gut<br />

gelungen, die wichtigsten Aspekte für die behandelnden<br />

Ärzte, für die Community und die der Forschung<br />

zu verbinden. Es hat sehr viele angeregte<br />

Diskussionen zwischen allen Beteiligten gegeben.<br />

Dazu beigetragen hat sicher auch die Location, der<br />

Schuppen 52 mitten im Hamburger Hafen! Alle<br />

Elemente des Kongresses sind hier kompakt beieinander,<br />

man kann sich nicht verlaufen und jeder<br />

findet jeden. Ich habe von nahezu allen Teilnehmern<br />

positives Feedback bekommen, auch wenn<br />

die Anreise hierher für manche nicht ganz einfach<br />

war.<br />

Beeindruckt hat mich, welche Relevanz die Community<br />

bei diesem Kongress hat und wie aktiv diese<br />

sich einbringt. Das spezielle Konzept dieses Kon-<br />

CONFERENCES<br />

7


HIV-INFEKTION IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

gresses beinhaltet ja neben der engen Verknüpfung<br />

von Wissenschaft und klinischem Management<br />

den Austausch zwischen den Betroffenen und den<br />

Behandlern/Therapeuten und weiteren beteiligten<br />

Berufsgruppen. Dieser Dialog ist ein Charakteristikum<br />

dieses Kongresses, mit dem er sich von anderen<br />

Kongressen unterscheidet, also beinahe ein<br />

Alleinstellungsmerkmal.<br />

Die Community hatte eigene Sessions mit hervorragenden<br />

Referenten – „N=N – Das müssen alle<br />

wissen!“, „GIPA reloaded – Was bedeutet ‚Nothing<br />

about us without us‘ heute?“, „Chems, Sex, Drugs<br />

and Rock‘n‘Roll“, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />

Auch ich als erfahrener Behandler habe hier<br />

vieles gelernt.<br />

CONFERENCES<br />

Wie reflektierte sich für Sie während des Kongresses<br />

das Motto „Visionen und Wirklichkeit“?<br />

Prof. Plettenberg: Bei diesem Kongress geht es<br />

eigentlich um drei Themenfelder mit unterschiedlichen<br />

Visionen und Wirklichkeiten. Eines der drei<br />

betrifft die Behandlung von Patienten mit HIV-<br />

Infektion. Was ist heute möglich und was wird in<br />

der nächsten Zeit kommen? In den zurückliegenden<br />

Jahren hat sich sehr viel getan. Trotzdem sind weitere<br />

Fortschritte wichtig, und es stehen spannende<br />

Verbesserungen konkret vor der Tür, z. B. die Injectables<br />

oder die duale Therapie. Es bleibt abzuwarten,<br />

wie sehr sich diese durchsetzen werden. Ein<br />

für alle Beteiligten wichtiges Thema ist die PrEP,<br />

um die es in vielen Sitzungen ging. Im Symposium<br />

„Wo stehen wir bei der PrEP?“ wurden die Herausforderungen<br />

der PrEP aus sehr unterschiedlichen<br />

Perspektiven diskutiert. Von der Beschaffung und<br />

Einnahme der Medikamente bis hin zum diagnostischen<br />

Procedere und zu berufspolitischen Fragen,<br />

die sich aus den neuen Erstattungsregelungen zur<br />

PrEP ergeben.<br />

Das zweite Themenfeld unter dem Motto Vision<br />

und Wirklichkeit betrifft die Forschung. Hier gibt<br />

Prof. Dr. med. Andreas Plettenberg<br />

Plettenberg@ifi-medizin.de<br />

es eine ganze Reihe von hochinteressanten Vorträgen<br />

zur Grundlagenforschung, für die wir exzellente<br />

Referenten gewinnen konnten. Hier nenne<br />

ich nur beispielhaft die Themen „Genscheren – Der<br />

Weg zur Heilung?“, „Wege zur funktionellen Heilung“,<br />

„Stammzelltransplantation oder „Natürliche<br />

8


BIKTARVY®<br />

Schön, wenn sich solche Möglichkeiten<br />

für HIV-Patienten eröffnen.<br />

Der Integrase-Inhibitor Bictegravir kombiniert mit dem<br />

Backbone TAF/FTC in einem Single-Tablet-Regime<br />

Biktarvy® 50 mg/200 mg/25 mg Filmtabletten<br />

Wirkstoffe: Bictegravir, Emtricitabin, Tenofoviralafenamid. Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 50 mg Bictegravir-Natrium, entsprechend 50 mg Bictegravir,<br />

200 mg Emtricitabin und Tenofoviralafenamidfumarat, entsprechend 25 mg Tenofoviralafenamid. Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: Mikrokristalline Cellulose,<br />

Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat. Filmüberzug: Poly(vinylalkohol), Titandioxid (E171), Macrogol, Talkum, Eisen(III)-oxid (E172), Eisen(II,III)-oxid (E172).<br />

Anwendungsgebiet: Biktarvy wird zur Behandlung von Erwachsenen angewendet, die mit dem humanen Immundefizienzvirus 1 (HIV-1) infiziert sind. Bei dem HI-Virus<br />

dürfen weder aktuell noch in der Vergangenheit Resistenzen gegen die Klasse der Integrase-Inhibitoren, Emtricitabin oder Tenofovir nachgewiesen worden sein (siehe<br />

Abschnitt 5.1 der Fachinformation). Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen die Wirkstoffe oder einen der sonstigen Bestandteile. Gleichzeitige Anwendung<br />

mit Rifampicin und Johanniskraut (Hypericum perforatum). Nebenwirkungen: H ä u fi g : Depression, anormale Träume, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Diarrhoe,<br />

Übelkeit, Müdigkeit. Gelegentlich: Anämie, Suizidales Verhalten, Angst, Schlafstörungen, Erbrechen, Bauchschmerzen, Dyspepsie, Flatulenz, Hyperbilirubinämie,<br />

Angioödem, Ausschlag, Pruritus, Urtikaria, Arthralgie. Andere mögliche Nebenwirkungen: Gewichtszunahme und Anstieg der Blutlipid- und Blutglukosewerte,<br />

Immun-Reaktivierungs-Syndrom einschließlich Berichte über Autoimmunerkrankungen (wie z. B. Morbus Basedow und Autoimmunhepatitis), Osteonekrose,<br />

Veränderung der Serumkreatininkonzentration. Darreichungsform und Packungsgrößen: Packungen mit 30 und 3x30 Filmtabletten. Verschreibungspflichtig.<br />

Stand: Juni <strong>2019</strong>. Pharmazeutischer Unternehmer: GILEAD Sciences Ireland UC, Carrigtohill, County Cork, T45 DP77, Irland. Repräsentant in Deutschland:<br />

GILEAD Sciences GmbH, D-82152 Martinsried b. München.<br />

▼Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Jeder Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu Biktarvy ist zu melden an die Gilead Sciences<br />

GmbH, Abteilung Arzneimittelsicherheit, Fax-Nr.: 089/899890-96, E-Mail: drugsafetygermany@gilead.com, und/oder an das Bundesinstitut für Arzneimittel und<br />

Medizinprodukte, Abt. Pharmakovigilanz, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, D-53175 Bonn, Webseite: www.bfarm.de.<br />

BIK/DE/18-05/PM/1016(1)


HIV-INFEKTION IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

CONFERENCES<br />

Abwehr gegen HIV: Einblicke in das menschliche<br />

Repertoire“, „Neutralisierende Antikörper“ oder<br />

„HIV-Vakzine – wann ist sie da?“. Es gibt viele neue<br />

Entwicklungen, über die man sich hier einen hervorragenden<br />

Überblick verschaffen kann. Neben<br />

der Grundlagenforschung kommt auch der Versorgungsforschung<br />

große Bedeutung zu. Das sehr<br />

gelungene Symposium „Versorgungsforschung und<br />

Gesundheitspolitik“ wurde in Zusammenarbeit mit<br />

der dagnä veranstaltet.<br />

Stichwort Vision. Sehen Sie eine Lücke zwischen<br />

Vision und Wirklichkeit, und wenn ja, wie kann<br />

diese geschlossen werden?<br />

Prof. Plettenberg: Da stellt sich zunächst die<br />

Frage, welche Vision meinen wir? Unsere größte<br />

Vision ist sicherlich, die HIV-Infektion irgendwann<br />

zu heilen, also die vollständige Virus-Eradikation.<br />

Dies ist heute noch nicht möglich. Wenn wir das<br />

irgendwann hinbekämen, wäre dies phantastisch.<br />

Dahin ist es noch ein weiter Weg. Dennoch, wir<br />

haben in den vergangenen 30 Jahren immer wieder<br />

Überraschungen erlebt, was alles möglich ist.<br />

Ich persönlich beschäftige mich seit über 30 Jahren<br />

mit der HIV-Infektion und habe immer wieder<br />

Überraschungen erlebt. Früher konnte ich mir nicht<br />

vorstellen, dass die HIV-Infektion irgendwann so<br />

einfach und effizient behandelt werden kann,<br />

wie dies heute der Fall ist. Es sind uns früher die<br />

Patienten unter den Händen weggestorben und<br />

wir waren der Meinung, dass dieser heimtückische<br />

und trickreiche Retrovirus niemals wirklich erfolgreich<br />

kontrolliert werden kann. Heute nehmen<br />

viele Patienten nur eine Tablette pro Tag ein und es<br />

geht ihnen darunter gut, sie sind damit nicht mehr<br />

infektiös und erreichen ein normales Lebensalter.<br />

Noch eindrucksvoller ist die Entwicklung bei der<br />

<strong>Hepatitis</strong> C. Noch bis vor wenigen Jahren war dies<br />

eine unheilbare und lebensbedrohliche Erkrankung.<br />

Dann hat die Forschung in kurzer Zeit viele<br />

neue Substanzen entwickelt, die dann in Studien<br />

getestet wurden. Und heute, nur wenige Jahre später?<br />

Die Patienten müssen wenige Wochen Tabletten<br />

einnehmen und sind dann geheilt. Wer hätte<br />

das vor zehn Jahren geglaubt? Dies unterstreicht<br />

nachhaltig, welch große Bedeutung der Forschung<br />

zukommt.<br />

Eine weitere positive Entwicklung in Richtung<br />

einer Vision, die wir hatten, betrifft die PrEP, mit<br />

der die Zahl der HIV-Neuinfektionen abnehmen<br />

wird. Die PrEP wird in Kürze eine Kassenleistung<br />

und damit deutlich häufiger eingesetzt werden.<br />

Was dies für das tägliche Handling bedeutet, ist<br />

noch nicht ganz klar. Vermutlich wird es erforderlich<br />

sein, dafür neue Strukturen zu schaffen .<br />

Das dritte Themenfeld Vision und Wirklichkeit<br />

betrifft das alltägliche Leben unserer Patienten.<br />

Beeindruckt hat mich der Vortrag von Franziska<br />

Borkel zum Thema „Gesundheit unter ART“, die als<br />

Betroffene über ihre persönlichen Erlebnisse und<br />

ihre Sichtweise berichtet hat. Um sie anzumoderieren<br />

hatte ich zuvor ein wenig recherchiert und in<br />

den Medien gelesen, dass sie trotz der Infektion ein<br />

ganz normales Leben führen würde. Ihr Vortrag hat<br />

uns allen dann deutlich gemacht, dass dies nicht<br />

der Fall ist, dass Stigmatisierung und viele andere<br />

Probleme immer noch gegenwärtig sind. Und: Dies<br />

betrifft nicht nur die HIV-Infektion, sondern auch<br />

die verschiedenen anderen sexuell übertragbaren<br />

Erkrankungen.<br />

Die Vision ist somit, dass unsere Gesellschaft<br />

lernt und verinnerlicht, dass Leben, Sex und sexuelle<br />

Erkrankungen zusammengehören ebenso wie<br />

auch Leben und Tod. Dass darüber ohne Tabus oder<br />

Vorbehalte gesprochen wird und damit der Stigmatisierung<br />

der Boden entzogen wird.<br />

Vielen Dank für dieses Gespräch.<br />

Mit Prof. Plettenberg sprach Elke Klug<br />

10


POST CONFERENCE WEBINAR SEATTLE<br />

Die Highlights von der CROI <strong>2019</strong><br />

Seit 2013 veranstalten die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-<br />

Infizierter (dagnä) gemeinsam mit der Deutschen <strong>AIDS</strong>-Gesellschaft (DAIG) regelmäßig eine webbasierte<br />

Kongressberichterstattung, die Post Conference Webinare.<br />

v.l.n.r. Jan Thoden, Georg Behrens, Christoph Spinner, Eva Wolf, Stefan Mauss, Pavel Khaykin, Christoph Boesecke, Knud Schewe<br />

Unter der Leitung von Prof. Dr. Georg Behrens<br />

und Dr. Knud Schewe haben Dr. Jan Thoden, PD Dr.<br />

Christoph Spinner, Dr. Eva Wolf M.P.H., Dipl. Phys., Dr.<br />

Stefan Mauss, Dr. Christoph Boesecke und Dr. Pavel<br />

Khaykin die diesjährige CROI in Seattle besucht und<br />

die wichtigsten Neuigkeiten der Konferenz im Rahmen<br />

von zwei Life-Webinaren zusammengefasst. Im<br />

Rahmen des Roundtable „Die Highlights von der<br />

CROI <strong>2019</strong>“ im Ballsaal des Westin Grand Hotel<br />

hatte die Webinargruppe ihren „Old School“-Life-<br />

Auftritt im Rahmen der Münchner <strong>AIDS</strong>- und <strong>Hepatitis</strong>-Werkstatt<br />

<strong>2019</strong>. Die Referenten des Post CROI<br />

<strong>2019</strong> Webinars berichteten über die Neuigkeiten des<br />

wohl wichtigsten Kongresses der HIV-Medizin.<br />

CONFERENCES<br />

11


POST CONFERENCE WEBINAR SEATTLE<br />

Snapshots<br />

The annual Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI <strong>2019</strong>)<br />

04.03.−07.03.<strong>2019</strong>, Seattle, Washington<br />

100 %<br />

80 %<br />

60 %<br />

40 %<br />

20 %<br />

0 %<br />

100 %<br />

80 %<br />

60 %<br />

40 %<br />

20 %<br />

0 %<br />

1,6 %<br />

1,0 %<br />

Virologisches<br />

Versagen<br />

(≥50 Kp/ml)<br />

92,5 % 95,5 % CAB LA + RPV<br />

LA (n=308)<br />

CAR (n=308)<br />

5,8 % 3,6 %<br />

Virologischer<br />

Erfolg<br />

(


POST CONFERENCE WEBINAR SEATTLE<br />

ten entweder mit einer Monatsinjektion von LA<br />

CAB+RPV therapiert oder mit ihrer bisherigen<br />

ART weiterbehandelt. In der FLAIR-Studie wurden<br />

naive Patienten nach einer oralen Initialtherapie<br />

mit LA CAB+RPV als Monatsinjektion vs. DTG/<br />

ABC/3TC p.o. behandelt. In beiden Studien konnte<br />

eine Nichtunterlegenheit von LA CAB+RPV gezeigt<br />

werden. Diese neue Therapie wurde gut vertragen<br />

und zeigte eine hohe Patientenzufriedenheit<br />

(Swindells S et al. #139, Orkin C et al. #140LB).<br />

(Abbildungen 1 und 2)<br />

Eine neue Substanz Ibalizumab aus der Klasse<br />

der CD4-post-attachment-Inhibitoren hat eine<br />

FDA Zulassung (USA und Kanada) für die Behandlung<br />

von Patienten mit einem multiresistenten<br />

Virus (alle verfügbaren Substanzen sind unwirksam).<br />

Die 96-Wochen-Ergebnisse von 27 Patienten<br />

unter Ibalizumab+OBT (Optimized Background<br />

Therapy) wurden präsentiert. 15 von 27 Patienten<br />

waren unter dieser Therapie virologisch supprimiert,<br />

und die Behandlung wurde insgesamt gut<br />

vertragen (Emu B et al. #485).<br />

Dr. med. Pavel Khaykin, Frankfurt/M.<br />

khaykin@mainfacharzt.de<br />

Präklinische Studien<br />

Christoph D. Spinner, München<br />

Entgegen der vorherigen Erwartungen zeichnete<br />

sich die CROI <strong>2019</strong> durch zahlreiche Publikationen<br />

rund um das Thema präklinische Studien aus. Trotz<br />

oder gerade wegen der verfügbaren guten neuen<br />

antiviralen Therapieoptionen scheint die Pipeline<br />

neuer Substanzen nicht leer zu sein. Nachfolgend<br />

die wichtigsten Substanzen im Überblick (hierbei<br />

handelt es sich selbstverständlich um eine subjektive<br />

Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit):<br />

Zwei Studien beschäftigten sich mit dem HIV-<br />

Capsidinhibitor GS-6207 (Yant SR et al. CROI <strong>2019</strong><br />

#480, Sager JE et al. CROI <strong>2019</strong> #141) dessen antivirale<br />

Potenz durch die simultane Inhibition an frühen<br />

und späten Stellen des HIV-Lebenszyklus ein<br />

attraktives Wirkprinzip ermöglicht. Es handelt sich<br />

hierbei um einen langwirksamen „first in class“ Capsidinhibitor<br />

mit einer hohen antiviralen Potenz, die<br />

deutlich über der verfügbarer anderer antiviraler<br />

Substanzen, einschließlich neueren Integrasehemmern,<br />

liegt. Neben einer im Zellkulturmodell synergistischen<br />

Wirksamkeit mit anderen antiviralen<br />

Substanzen bietet die günstige Pharmakokinetik<br />

auch die Möglichkeit der subkutanen Applikation<br />

alle drei Monate (Abbildung 3).<br />

Zum HIV-Attachmentinhibitor Fostemsavir wurden<br />

aktuelle Daten einer Phase-II-Studie (Thompson<br />

M et al. CROI <strong>2019</strong> #483) in vortherapierten<br />

Patienten mit versagender HIV-Therapie in Kombination<br />

mit Tenofovir-DF (TDF) und geboostertem<br />

Atazanavir (ATV) gezeigt. Prinzipiell konnte<br />

eine gute Wirksamkeit für FTR nach 192 Wochen<br />

mit einem Ansprechen im experimentellen Arm<br />

um bis zu 90 % (HIV RNA


POST CONFERENCE WEBINAR SEATTLE<br />

Mittlere Plasma-GS-6207-<br />

Konzentration (ng/ml)<br />

100<br />

10<br />

1<br />

paEC 95<br />

Dosis<br />

Inhibitorischer<br />

Quotient zu<br />

Woche 12<br />

450 mg 4,7<br />

300 mg 4,1<br />

100 mg 1,3<br />

30 mg 0,4<br />

0<br />

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28<br />

Wochen<br />

IQ=C w12<br />

/paEC 95<br />

Abbildung 3: GS-6207: Lange Halbwertszeit und dosisabhängige Wirkbeziehung.<br />

CONFERENCES<br />

einem von anderen NRTI differenten Resistenzprofil.<br />

Aktuelle Phase-II-Studien untersuchen 0,25 mg<br />

und 0,75 mg MK-8591 im Rahmen einer täglichen<br />

Dosierung sowie 2,25 mg einmal wöchentlich, je in<br />

Kombination mit Doravirin.<br />

PD Dr. med. Christoph D. Spinner, München<br />

Christoph.Spinner@mri.tum.de<br />

Prävention/PrEP<br />

Jan Thoden, Freiburg<br />

Das Thema Prävention und Präexpositionsprophylaxe<br />

(PrEP) wurde auf der diesjährigen CROI<br />

bereits in der Opening Session prominent platziert<br />

und präsentiert. Anthony S. Fauci erläuterte dabei<br />

den amerikanischen Plan, „die HIV-Epidemie zu<br />

beenden“. Dieser ehrgeizige Plan beruht auf den<br />

beiden wichtigen Säulen Treatment as Prevention<br />

(TasP) einerseits und PrEP andererseits. Wenn<br />

also theoretisch alle HIV-positiven Menschen eine<br />

Therapie erhalten und alle Menschen mit einem<br />

Infektionsrisiko eine PrEP durchführen, sollten<br />

Neuinfektionen verhindert werden. Fauci machte<br />

aber deutlich, dass ein landesweiter Roll-out von<br />

Medikation initial nicht zielführend ist, man sich<br />

deswegen auf definierte „Hotspots“ konzentrieren<br />

werde. Damit seien sowohl regionale Hotspots<br />

mit hohen Infektionsraten gemeint, als auch<br />

Patientengruppen, die einer Therapie oder PrEP<br />

nur unzureichend zugänglich sind bzw. diese nicht<br />

konsequent durchführen (Fauci AS Opening Session<br />

CROI <strong>2019</strong>).<br />

In den USA stellen junge schwarze Männer eine<br />

solche Gruppe dar, die auch nach Schulungsmaßnahmen<br />

eine oft nur unzureichende Therapietreue<br />

bei der PrEP einhalten. Die Infektionsrate<br />

liegt für diese Gruppe mit 6 % deutlich höher als<br />

im Landesdurchschnitt. Eine Studie aus Atlanta<br />

zeigte, dass von den in Frage kommenden Probanden<br />

trotz Schulung und Aufklärung nur 42 %<br />

(125/298) überhaupt die angebotene PrEP nutzten.<br />

Die Anwender nehmen die PrEP im Beobachtungszeitraum<br />

von 24 Monaten aber oft nur unregelmäßig<br />

ein, 63 % unterbrechen sie mehrfach, 31 %<br />

setzen sie ab. Prädiktoren für ein Absetzen waren<br />

Alter


POST CONFERENCE WEBINAR SEATTLE<br />

22 HIV-Infektionen bei 8.756 PY Follow-up<br />

HIV-Inzidenz<br />

0,6<br />

0,34<br />

0,5<br />

0,4<br />

0,16 15 Infektionen<br />

0,3<br />

4.386 PY<br />

0,2 7 Infektionen<br />

4.370 PY<br />

Inzidenzrate/100 PY<br />

0,1<br />

Inzidenzrate (95 % CI)<br />

0,19<br />

0,47<br />

F/TAF<br />

1,15<br />

F/TDF<br />

HIV-Infektionen unter PREP?<br />

Mehrere Präsentationen beschäftigten sich mit<br />

der Frage, wie oft unter PrEP mit F/TDF Infektionen<br />

auftreten.<br />

In einer gepoolten Analyse aus insgesamt acht<br />

Studien der Firma Gilead kam es zu 41 Infektionen<br />

bei 3.058 PrEP-Anwendern. Dabei bestand eine<br />

klare Inzidenz in Abhängigkeit der Tabletteneinnahme/Woche:<br />

Bei Einnahme von ≥4 Tabletten<br />

pro Woche traten 0,14 Infektionen/100 Patien-<br />

Nichtunterlegenheit<br />

0<br />

F/TAF<br />

n=2.694<br />

F/TDF<br />

n=2.693<br />

0 1 1,62 2<br />

RR = 1, kein Unterschied NI margin<br />

Abbildung 4: Discover-Studie: F/TAF ist F/TDF nicht unterlegen bei der HIV-Prävention.<br />

ten oder


POST CONFERENCE WEBINAR SEATTLE<br />

CONFERENCES<br />

tenjahren (PY) auf, bei 2–3 Tabletten pro Woche<br />

1,59/100 PY und bei


KOMPLIKATIONEN UNTER ART<br />

Gewichtsveränderungen<br />

Georg Härter, Ulm<br />

Seit Beginn der antiretroviralen Kombinationstherapie wird das Phänomen einer Gewichtszunahme im Verlauf<br />

der Behandlung beobachtet. Es tritt nicht bei allen Patienten auf, jedoch in den letzten Jahren verstärkt<br />

unter Integrasehemmern, z. T. aber auch unter anderen antiretroviralen Substanzen. Die Pathophysiologie<br />

ist noch weitestgehend unklar. Gibt es Risikofaktoren für eine überproportionale Gewichtszunahme? Handelt<br />

es sich um eine „neue Lipodystrophie“? Die Klärung offener Fragen als Ergebnis weiterer Studien zu<br />

Gewichtsveränderungen unter Therapie wäre wünschenswert.<br />

Die antiretrovirale Therapie (ART) besteht derzeit<br />

üblicherweise noch aus drei verschiedenen Kombinationspartnern.<br />

Üblicherweise werden dabei zwei<br />

Nukleosidische-/Nukleotidische Reverse Transkriptasehemmer<br />

(NRTI) mit einem weiteren Kombinationspartner<br />

aus den Klassen der Proteasehemmer<br />

(PI) oder der Integrasehemmer (INI) oder Nicht-<br />

Nukleosidischen Reverse Transkritpasehemmer<br />

(NNRTI) kombiniert.<br />

Nach Einleitung der antiretroviralen Therapie<br />

kommt es bei einem Großteil der Patienten zu<br />

einer raschen Absenkung der HI-Virusvermehrung<br />

und damit auch zu einer rückläufigen Immunaktivierung.<br />

Häufig ist damit auch eine Gewichtszunahme<br />

verbunden, v.a. im ersten Jahr nach Beginn<br />

der ART („return to health“). Dieses Phänomen wird<br />

seit Beginn der kombinierten antiretroviralen Therapie<br />

in verschiedenen großen Kohorten beobachtet<br />

[1, 2]. Dabei nehmen v. a. Patienten erheblich<br />

an Gewicht zu, die vor Beginn der ART untergewichtig<br />

waren (BMI 18 kg/m 2 ).<br />

Zusätzlich sind bei Gewichtszunahmen auch allgemeine<br />

demografische Entwicklungen zu berücksichtigen.<br />

So ist die Prävalenz an Adipositas in<br />

Deutschland in den letzten Jahren v. a. bei jungen<br />

Erwachsenen angestiegen [3].<br />

CONFERENCES<br />

17


KOMPLIKATIONEN UNTER ART<br />

Neue Kohortendaten<br />

Unter den in den internationalen Leitlinien<br />

präferierten dritten Kombinationspartnern, den<br />

Integrasehemmern, mehrten sich in den letzten<br />

Jahren Berichte über Gewichtszunahmen [4, 5].<br />

Neue Daten von der großen NA-ACCORD-Kohorte<br />

(n=24.001), die auf der CROI <strong>2019</strong> präsentiert<br />

wurden, zeigten eine Gewichtszunahme fünf Jahre<br />

nach ART-Initiierung vom im Mittel 6,0 kg für die<br />

Integrasehemmer, 5,1 kg für die Proteasehemmer<br />

und 4,3 kg für die NNRTI. Für die Subgruppe der<br />

Patienten, die mit Integrasehemmer behandelt<br />

wurden, ergab sich dabei zwei Jahre nach ART-<br />

Beginn der größte Gewichtszuwachs für Dolutegravir<br />

(6,0 kg), gefolgt von Raltegravir (4,9 kg) und<br />

Elvitegravir (3,8 kg) [6]. Auch bei Patienten, die auf<br />

ein Integrasehemmer-Regime umgestellt wurden<br />

(switch), zeigte sich eine deutliche Gewichtszunahme,<br />

erneut v. a. für Dolutegravir [7].<br />

Unter einer ART ist die Minimierung<br />

potenzieller Risikofaktoren für weitere<br />

Erkrankungen essenziell.<br />

In eigenen Beobachtungen konnte aber auch<br />

unter der neuen Tenofovir-Formulierung Tenofoviralafenamide<br />

(TAF) eine Gewichtszunahme beobachtet<br />

werden. Dabei nahmen einige Patienten nach<br />

Switch von Tenofovirdisoproxil (TDF)-haltigen Therapieregimen<br />

auf TAF-haltige Kombinationen zum<br />

Teil erheblich an Gewicht zu (>10 kg) [11]. In einer<br />

erweiterten Analyse an einem großen universitären<br />

Zentrum in Deutschland konnte diese Beobachtung<br />

bestätigt werden. Dabei kam es zu einer mittleren<br />

Gewichtszunahme zwölf Monate nach Switch von<br />

3,17 % des Ausgangsgewichts. Die Gewichtsveränderung<br />

bei Patienten, die auf TDF verblieben,<br />

war im gleichen Zeitraum bei 0,55 %. Die absolute<br />

Gewichtzunahme betrug dabei im Mittelwert<br />

2,3 kg [12].<br />

Leider sind Daten zu Gewichtsveränderungen aus<br />

den Zulassungsstudien zu TAF bislang nicht veröffentlicht.<br />

Allerdings zeigte sich in den TAF-basierten<br />

Kombinationen mit Bictegravir/TAF/FTC versus<br />

Komparator Dolutegravir/TAF/FTC eine ähnliche<br />

Gewichtszunahme 3,5 kg versus 3,9 kg [13]. Interessanterweise<br />

war die Gewichtszunahme in der Studie<br />

zu der Kombination von Bictegravir/TAF/FTC versus<br />

Komparator Dolutegravir/ABC/3TC unterschiedlich,<br />

hier zeigte sich im Median ein Plus an 3,6 kg (BIC/<br />

TAF/FTC) gegenüber 2,4 kg (DTG/ABC/3TC) [14].<br />

Fazit<br />

CONFERENCES<br />

Einige Studien legen nahe, dass es insbesondere<br />

bei Frauen zu einer deutlicheren Gewichtszunahme<br />

nach Einleitung der antiretroviralen Therapie<br />

kommt [8, 9]. Eine Übersicht über die Gewichtszunahme<br />

unter den neueren antiretroviralen Substanzen,<br />

insbesondere auch den Integrasehemmern<br />

wurde kürzlich veröffentlicht [10].<br />

Gewichtszunahme auch unter TAF<br />

Eine Gewichtszunahme nach Einleitung oder Veränderung<br />

(switch) einer antiretroviralen Therapie<br />

ist unterschiedlich ausgeprägt. Nicht alle Patienten<br />

nehmen unter den neuen Substanzen signifikant<br />

an Gewicht zu. Offensichtlich scheinen jedoch<br />

bestimmte Substanzen wie z. B. die Integrasehemmer<br />

und möglicherweise auch TAF-basierte Regime<br />

zu einer deutlicheren Gewichtszunahme zu führen.<br />

Die Pathophysiologie der Gewichtszunahme unter<br />

der antiretroviralen Therapie bleibt zumindest vorläufig<br />

noch unklar. Es wäre wünschenswert, wenn<br />

zukünftige Studien mögliche Risikofaktoren für<br />

eine überproportionale Gewichtszunahme aufzei-<br />

18


KOMPLIKATIONEN UNTER ART<br />

Dr. med. Georg Härter<br />

georg.haerter@medicover.de<br />

gen, damit die antiretrovirale Therapie in Zukunft<br />

noch personalisierter erfolgen kann.<br />

Zu diskutieren ist, ob es sich nicht doch um eine<br />

neue Form der in den frühen Jahren beobachteten<br />

Fettumverteilungen im Sinne einer „neuen Lipodystrophie“<br />

handelt.<br />

Eine Gewichtszunahme und möglicherweise Entwicklung<br />

einer Adipositas (BMI>30 kg/m 2 ) geht mit<br />

einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher.<br />

Da die antiretrovirale Therapie eine lebenslange<br />

Medikamenteneinnahme bedeutet, ist die Minimierung<br />

potenzieller Risikofaktoren für weitere<br />

Erkrankungen essenziell.<br />

Referenzen:<br />

1. Koethe JR et al.; North American <strong>AIDS</strong> Cohort Collaboration<br />

on Research and Design (NA-ACCORD). Rising Obesity<br />

Prevalence and Weight Gain Among Adults Starting Antiretroviral<br />

Therapy in the United States and Canada. <strong>AIDS</strong><br />

Res Hum Retroviruses. 2016 Jan; 32(1): 50−8.<br />

2. Achhra AC et al. D:A:D Study Group. Short-term weight<br />

gain after antiretroviral therapy initiation and subsequent<br />

risk of cardiovascular disease and diabetes: the D:A:D<br />

study. HIV Med. 2016 Apr; 17(4) :255−68.<br />

3. Mensink GBM et al. Übergewicht und Adipositas in<br />

Deutschland. Bundesgesundheitsblatt 2013; 56: 786−794.<br />

4. Norwood J et al. Brief Report: Weight Gain in Persons With<br />

HIV Switched From Efavirenz-Based to Integrase Strand<br />

Transfer Inhibitor-Based Regimens. J Acquir Immune Defic<br />

Syndr. 2017 Dec 15; 76(5): 527−531.<br />

5. Menard A et al. Dolutegravir and weight gain: an unexpected<br />

bothering side effect? <strong>AIDS</strong>. 2017 Jun 19; 31(10):<br />

1499−1500.<br />

6. Bourgi K et al. Greater weight gain among treatment-naïve<br />

persons startin Integrase-Inhibitors. Conference on Retroviruses<br />

and opportunistic infections (CROI) <strong>2019</strong>, Seattle,<br />

USA. Abstract #670.<br />

7. Palella FJ et al. Weight gain among virally suppressed persons<br />

who switched to INSTI-based ART. Conference on Retroviruses<br />

and opportunistic infections (CROI) <strong>2019</strong>, Seattle,<br />

USA. Abstract #674.<br />

8. Bedimo R et al. Differential BMI Changes following PI- and<br />

INSTI-Based ART initiation by sex and race. Conference<br />

on Retroviruses and opportunistic infections (CROI) <strong>2019</strong>,<br />

Seattle, USA. Abstract #675.<br />

9. Lake JE et al. Risk factors for excess weight gain following<br />

switch to Integrase Inhibitor-based Art. Conference on Retroviruses<br />

and opportunistic infections (CROI) <strong>2019</strong>, Seattle,<br />

USA. Abstract #669.<br />

10. Hill A, Waters L, Pozniak A. Are new antiretroviral treatments<br />

increasing the risks of clinical obesity? J Virus Erad.<br />

<strong>2019</strong> Jan 1; 5(1): 41−43.<br />

11. Härter G. Gewichtszunahme unter ART – welche Substanzen<br />

sind verantwortlich? 17. Münchner <strong>AIDS</strong>- und <strong>Hepatitis</strong>-<br />

Tage 2018. Berlin. 23.03.-25.03.2018.<br />

12. Gomez M et al. A retrospective analysis of weight changes in<br />

HIV-positive patients switching from a tenofovir disoproxil<br />

fumarate (TDF) to a tenofovir alafenamide fumarate (TAF)-<br />

containing treatment regimen in one German university<br />

hospital in 2015-2017. Infection. <strong>2019</strong> Feb;47 (1): 95−102.<br />

And Correction: Infection. <strong>2019</strong> Feb;47(1): 103−104.<br />

13. Stellbrink HJ et al. Co-formulated bictegravir, emtricitabine,<br />

and tenofovir alafenamide versus dolutegravir with emtricitabine<br />

and tenofovir alafenamide for initial treatment of<br />

HIV-1 infection: week 96 results from a randomised, doubleblind,<br />

multicentre, phase 3, non-inferiority trial. Lancet HIV.<br />

<strong>2019</strong> Jun; 6(6): e364−e372.<br />

14. Wohl DA et al. Bictegravir combined with emtricitabine and<br />

tenofovir alafenamide versus dolutegravir, abacavir, and<br />

lamivudine for initial treatment of HIV-1 infection: week<br />

96 results from a randomised, double-blind, multicentre,<br />

phase 3, non-inferiority trial. Lancet HIV. <strong>2019</strong> Jun; 6(6):<br />

e355−e363.<br />

Dr. med. Georg Härter<br />

MVZ Medicover Ulm<br />

Münsterplatz 6, 89073 Ulm<br />

CONFERENCES<br />

19


PRÄEXPOSITIONSPROPHYLAXE (PREP)<br />

DAIG-Leitlinie steht zur Nutzung bereit<br />

Christoph D. Spinner, München<br />

Die HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) ist spätestens<br />

seit der letzten Diskussion im Bundestag<br />

im April <strong>2019</strong> im Praxisalltag angekommen. Mit<br />

der Verabschiedung der entsprechenden gesetzlichen<br />

Grundlagen wird die HIV PrEP einschließlich<br />

der zugehörigen ärztlichen Begleitmaßnahmen in<br />

den Erstattungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

aufgenommen werden. Jetzt<br />

gibt es eine neue nationale Leitlinie.<br />

CONFERENCES<br />

Nicht zuletzt aufgrund dieser Diskussion, aber<br />

auch wegen der bereits im Vorfeld anstehenden<br />

Notwendigkeit für praxistaugliche Empfehlungen,<br />

hat die Deutsche <strong>AIDS</strong>-Gesellschaft (DAIG) bereits<br />

2018 mit beteiligten Fachgesellschaften beschlossen<br />

eine nationale Leitlinie in Kooperation mit den<br />

Kollegen in Österreich zu verfassen. Hierzu wurde<br />

nach entsprechender Vorbereitung im Mai <strong>2019</strong><br />

eine entsprechende Konsensuskonferenz in Hannover<br />

als Grundlage der S2k-Leitline „HIV-Präexpositionsprophylaxe“<br />

abgehalten.<br />

Ziel der Leitlinie waren praxistaugliche, praxisnahe<br />

Empfehlungen zur Beratung, Indikationsstellung,<br />

Durchführung und Begleituntersuchungen<br />

im Rahmen der PrEP sowie speziellen Situationen.<br />

Die durchaus diskursive Konsensuskonferenz bot<br />

hierbei den Rahmen, zwischen wissenschaftlicher<br />

Evidenz und praxisnahen Problemen konkrete Handlungsempfehlungen<br />

im Frage-Antwort-Mo dus zu<br />

diskutieren und zu konsentieren. Das Ergebnis steht<br />

zur öffentlichen Nutzung auf den Internetseiten<br />

der DIAG oder AWMF bereit: https://www.awmf.<br />

org/uploads/tx_szleitlinien/055-008l_S2k_HIV-<br />

Praeexpositionsprophylaxe_<strong>2019</strong>-01_01.pdf<br />

PD Dr. med. Christoph D. Spinner<br />

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II,<br />

Klinikum rechts der Isar<br />

Ismaninger Str. 22, 81675 München<br />

PD Dr. med. Christoph D. Spinner<br />

christoph.spinner@mri.tum.de<br />

20


STUDIEN UND REAL LIFE<br />

Präexpositionsprophylaxe (PrEP)<br />

Heiko Jessen, Berlin<br />

Die PrEP ist im „real life“ angekommen. Es sind jedoch längst nicht alle Fragen zu diesem neuen Kapitel<br />

der HIV-Medizin beantwortet, und es wird weiter geforscht: In modifizierten Studiendesigns, auf der Suche<br />

nach neuen Kandidaten für die HIV-Prävention sowie zu PrEP-Versagensgründen.<br />

Neues Studiendesign<br />

In der Vergangenheit wurden Personen, die an<br />

placebokontrollierten Präventionsstudien teilnahmen,<br />

entweder der Gruppe mit einem experimentellen<br />

Wirkstoff oder der Placebogruppe<br />

zugeordnet. Dieses Studiendesign hat sich mit der<br />

Entwicklung einer wirksamen Intervention grundlegend<br />

verändert [1]. Oral verabreichtes Tenofovirdisoproxilfumarat<br />

(TDF)/Emtricitabin (FTC) ist für<br />

die Verhinderung von HIV-Infektionen bei vorschriftsmäßiger<br />

Einnahme hochwirksam. Daher ist<br />

es nicht mehr ethisch vertretbar, eine Studie mit<br />

einem Placebo-Arm durchzuführen. Stattdessen<br />

ersetzen Forscher jetzt den Placebo-Arm durch<br />

einen aktiven Kontrollmittel-Arm.<br />

Die Kenntnis der hypothetischen Placebo-HIV-<br />

Inzidenz für die Interpretation der Ergebnisse ist<br />

darum von entscheidender Bedeutung. Zwei der<br />

beliebtesten Möglichkeiten die hypothetische Placebo-Inzidenz<br />

zu schätzen sind:<br />

••<br />

Schätzung der „Infektionskraft“ anhand von<br />

Tests an Baseline-Proben und<br />

••<br />

Bewertung des ökologischen Zusammenhangs<br />

zwischen HIV und der Inzidenz von sexuell<br />

übertragbaren Infektionen (STIs). STIs spielen in<br />

PrEP-Studien eine wichtige Rolle, da sie starke<br />

Marker für das HIV-Risikoverhalten sind.<br />

Allerdings spielt Placebo immer noch eine Rolle<br />

in Studien, in denen die Wirksamkeit des Impfstoffs<br />

abgeschätzt wird, da kein eindeutig wirksamer<br />

HIV-Impfstoff verfügbar ist.<br />

CONFERENCES<br />

21


STUDIEN UND REAL LIFE<br />

CONFERENCES<br />

Ein gutes Beispiel für die Studie mit aktivem<br />

Kontrollmittel-Arm bietet auch die aktuell laufende<br />

DISCOVER-Studie. Die DISCOVER-Studie ist<br />

eine zweijährige randomisierte, kontrollierte, doppelblinde<br />

Phase-3-Studie, in der die Sicherheit und<br />

Wirksamkeit von Descovy® (FTC/Tenofoviralafenamid<br />

(TAF)) im Vergleich zu Truvada® (FTC/TDF) zur HIV-<br />

Präexpositionsprophylaxe (PrEP) untersucht wird [2].<br />

Eingeschlossen wurden Männer, die Sex mit Männern<br />

haben und Transgender-Frauen, bei denen das Risiko<br />

einer sexuell erworbenen HIV-Infektion besteht.<br />

5.387 Studienteilnehmer wurden im Verhältnis 1:1<br />

randomisiert. Im FTC/TAF-Arm wurden sieben HIV-<br />

Infektionen und im FTC/TDF-Arm 15 HIV-Infektionen<br />

gemeldet. Von den 22 HIV-Infektionen wurden wahrscheinlich<br />

fünf schon vor Studienbeginn erworben,<br />

15 traten bei niedrigen oder nicht nachweisbaren<br />

intrazellulären und zwei bei mittleren oder erwarteten<br />

intrazellulären Wirkstoffspiegeln auf.<br />

Beide Medikamente wurden gut vertragen und<br />

wiesen aufgrund unerwünschter Ereignisse niedrige<br />

Abbruchraten auf. Die häufigsten unerwünschten<br />

Ereignisse (>15 % in beiden Gruppen) waren anale<br />

Infektionen mit Chlamydien und Gonorrhö. Das Screening<br />

auf STIs zeigte, dass die Teilnehmer ihr sexuelles<br />

Risikoverhalten während der Studie beibehal ten ha ben.<br />

Insgesamt wurden während der Studie bei 57 % der<br />

Probanden Gonorrhö oder Chlamydien, unabhängig<br />

von der anatomischen Lokalisation diagnos tiziert. Bei<br />

10 % wurde Syphilis festgestellt. Die Studienteilnehmer<br />

aus dem FTC/TAF-Arm hatten bessere Sicherheitsergebnisse<br />

in Bezug auf Knochen und Nieren. FTC/TAF<br />

erfüllte damit die zuvor festgelegten Kriterien für die<br />

Nichtunterlegenheit im Vergleich zu FTC/TDF®.<br />

Schutz durch bnAb beobachtet<br />

Dr. med. Heiko Jessen<br />

mail@praxis-jessen.de<br />

Breit neutralisierende Antikörper (bnAb) gehören<br />

zu neuen Kandidaten für die HIV-Prävention und<br />

-Behandlung. In Makakenmodellen schützten passiv<br />

verabreichte bnAbs 10-1074 oder 3BNC117 vor<br />

wiederholten rektalen oder vaginalen SHIV-Expositionen.<br />

Ihre Wirksamkeit gegenüber penilen oder<br />

intravenösen (i.v.) HIV-Übertragungswegen wurde<br />

jedoch nicht untersucht. Man erforschte deshalb<br />

die protektive Wirksamkeit einer einzelnen subkutanen<br />

(SC) Injektion von bnAb 10-1074 allein oder<br />

in Kombination mit bnAb 3BNC117 gegen wiederholte<br />

penile- bzw. i.v.-SHIV-Expositionen [3].<br />

Es wurde festgestellt, dass die Makaken, denen<br />

bnAb 10-1074 verabreicht wurde und die wiederholten<br />

wöchentlichen penilen SHIV-Exposition<br />

ausgesetzt wurden, im Vergleich zu Kontrollen<br />

über einen Median von 15,5 Wochen gegen SHIV<br />

geschützt wurden.<br />

Ein signifikanter Schutz wurde auch nach der<br />

Verabreichung von bnAbs 10-074 und 3BNC117<br />

gegen wiederholten i.v.-SHIV Expositionen beobachtet.<br />

Im Median dauerte der Schutz über fünf<br />

Wochen und ist hauptsächlich auf bnAb 10-1074<br />

zurückzuführen, der eine längere Persistenz zeigte.<br />

Diese Daten stützen die weitere Entwicklung von<br />

bnAb 10-1074 als einen langanhaltenden PrEP-<br />

22


STUDIEN UND REAL LIFE<br />

Kandidaten für Männer oder Personen, die möglichwerweise<br />

nicht in der Lage sind, ein tägliches<br />

PrEP-Regime einzuhalten und deshalb die Medikamente<br />

injizieren müssen.<br />

Gründe für PrEP-Versagen<br />

Trotz einer hohen Wirksamkeit wurde eine Reihe<br />

von PrEP-Versagen gemeldet [4], die sich in eine<br />

der folgenden Kategorien zuordnen lassen:<br />

1. Fehler im System entstehen durch das Fehlen<br />

oder einen eingeschränkten Zugang zu PrEP<br />

(Nichtverfügbarkeit, mangelndes Bewusstsein<br />

bei Risikopersonen und Leistungserbringern,<br />

Kosten von PrEP). Die Regierungen sollten die<br />

WHO-Richtlinien unterstützen und denjenigen,<br />

die PrEP benötigen, sie auch anbieten.<br />

2. Fehler seitens der Ärzte entstehen durch nicht<br />

ausreichendes Wissen, wie eine HIV-Infektion<br />

beim Starten oder Erneuern von PrEP auszuschließen<br />

ist oder durch das Zögern bei der Verschreibung<br />

von PrEP.<br />

3. Fehler seitens der Patienten sind hauptsächlich<br />

auf die verspätete oder unsachgemäße Anwendung<br />

von PrEP zurückzuführen.<br />

4. Mit den aktuellen HIV-Tests lässt sich eine HIV-<br />

Infektion nicht vor dem 8.–12. Tag nach der Infektion<br />

nachweisen. Aber auch der Einsatz von TDF/<br />

FTC hat eine supprimierende Auswirkung auf die<br />

Tests. Zusätzlich können die serologischen Tests<br />

bei den Personen auf PrEP falsch positiv ausfallen.<br />

Alle diese Versagen lassen sich der Kategorie<br />

als Test-Versagen zuordnen.<br />

5. Medikamentenfehler sind die am meisten<br />

gefürchtete Ursache für ein PrEP-Versagen. Bis<br />

heute sind allerdings nur einzelne HIV-Infektionen<br />

bekannt, die bei Menschen mit einer guten<br />

PrEP-Adhärenz zustande gekommen sind. Diese<br />

Fälle sind möglicherweise auf den Erwerb eines<br />

Virus mit TDF- und/oder FTC-Resistenz, die<br />

Exposition gegenüber einem sehr hohen HIV-<br />

Inokulum, die pharmakokinetische Variabilität<br />

im Blut und/oder Gewebe, Arzneimittelwechselwirkungen,<br />

begleitende STIs oder veränderte<br />

Mikrobiota zurückzuführen.<br />

Referenzen<br />

1. Dunn D. Designing and interpreting HIV prevention trials<br />

in the era of effective interventions. CROI <strong>2019</strong>; Abstract<br />

#8.<br />

2. Hare CB et al. The phase 3 DISCOVER study: daily F/TAF or<br />

F/TDF for HIV preexposure prophylaxis. CROI <strong>2019</strong>; Abstract<br />

#104LB.<br />

3. Garber DA et al. Protection against penile or intravenous<br />

SHIV challenges by bNAb 10-1074 or 3BNC117. CROI <strong>2019</strong>;<br />

Abstract #100.<br />

4. Molina JM. PrEP failures: diagnosis, resistance, and treatment.<br />

CROI <strong>2019</strong>; Abstract #160.<br />

Dr. med. Heiko Jessen<br />

Praxis Jessen + Kollegen<br />

Motzstr. 19, 10777 Berlin<br />

Oral verabreichtes Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF)/Emtricitabin (FTC) ist für die Verhinderung von HIV-Infektionen,<br />

bei vorschriftsmäßiger Einnahme, hochwirksam. Welche Aussage trifft zu?<br />

a) Deshalb ersetzen jetzt Forscher den Placebo-Arm durch einen nicht aktiven Kontrollmittel-Arm.<br />

b) Es ist nicht mehr ethisch vertretbar, eine Präventionsstudie mit einem Placebo-Arm durchzuführen.<br />

c) Impfstudien sind durch diese Tatsache nicht betroffen.<br />

d) Diese Tatsache hat keinen Einfluss auf das Design der Präventionsstudien.<br />

Die Lösung finden Sie auf Seite 74.<br />

CONFERENCES<br />

23


INTERVIEW DAGNÄ AKTUELL<br />

Bericht aus Berlin − zwischen DÖAK und<br />

dagnä-Workshop<br />

mit Robin Rüsenberg<br />

Das Jahr <strong>2019</strong> wird für die HIV-Medizin ein Meilenstein! Nach Inkrafttreten des sogenannten Terminservice-<br />

und Versorgungsgesetzes (TVSG) im Mai, in dem auch die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) als<br />

Kassenleistung verankert ist, sind zahlreiche Details zu regeln und zu vereinbaren, um die PrEP in die Praxis<br />

zu implementieren. Der Prozess ist in vollem Gange, am 1. September <strong>2019</strong> sollte alles unter Dach und<br />

Fach sein. connexi sprach während des 9. Deutsch-Österreichischen <strong>AIDS</strong>-Kongresses im Juni in Hamburg<br />

über anstehende Entscheidungen zur Umsetzung des TVSG, zu lösende Probleme und Fortschritte bei der<br />

Verbesserung der Versorgungsqualität mit dem Geschäftsführer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener<br />

Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e. V. (dagnä) Robin Rüsenberg.<br />

Hohe Aufmerksamkeit in Ihrer gegenwärtigen<br />

Arbeit kommt nach Inkrafttreten des TVSG am<br />

11. Mai der Umsetzung der gesetzlich verankerten<br />

PrEP als Kassenleistung zu. Jetzt stehen die<br />

Verhandlungen für Regelungen im Bundesmantelvertrag<br />

an. Sind Sie zuversichtlich, dass es zu<br />

für Patienten und Ärzte praxistauglichen Vereinbarungen<br />

kommen wird?<br />

Nach welchen Kriterien werden die noch offenen<br />

Fragen entschieden, z. B. wer künftig anspruchsberechtigt<br />

ist? Werden bei den Verhandlungen<br />

die Interessen aller Beteiligten ausreichend<br />

berücksicht?<br />

R. Rüsenberg: Das Gesetz bringt klar zum Ausdruck,<br />

dass bei den Verhandlungen die Deutsch-<br />

Österreichische Leitlinie für die PrEP als Vorbild<br />

dienen soll. Darin ist genau definiert, wer von<br />

der PrEP profitiert und wer sie bekommen sollte.<br />

Die flächendeckende PrEP-Versorgung steht und fällt mit der sinnvollen<br />

Umsetzung im Bundesmantelvertrag.<br />

CONFERENCES<br />

R. Rüsenberg: Mit dem TVSG ist der gesetzliche<br />

Anspruch auf die PrEP geschaffen worden, ein großer<br />

Fortschritt! Jetzt geht es um die Umsetzung. Aktuell<br />

laufen die Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband<br />

und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KBV) zu den konkreten Details: Wer hat Anspruch<br />

auf die PrEP, wer wird behandeln und, nicht ganz<br />

unwichtig für einen Schwerpunktbehandler, wie wird<br />

der Extraaufwand honoriert? Die Bundesmantelvertragspartner<br />

müssen jetzt zu praxistauglichen Regeln<br />

kommen. Eine passende Blaupause: Der Selektivvertrag<br />

der dagnä mit der AOK Nordost zur HIV/STI-<br />

Prävention, der am 1. Mai <strong>2019</strong> in Kraft getreten ist.<br />

Jetzt gilt es abzuwarten, was die Verhandlungen<br />

bringen, es ist ja im deutschen Gesundheitswesen<br />

klassischerweise so, dass die Vertragspartner die<br />

Regeln festlegen. Auf einen sinnvollen Rahmen<br />

kommt es jetzt aber an, damit die PrEP ein Erfolg<br />

wird. Daran wird die Selbstverwaltung gemessen.<br />

Dr. Baumgarten von der dagnä sagte, „auf den<br />

nächsten Schritt kommt es jetzt besonders an,<br />

damit die PrEP ein Erfolg wird“. Wie kann sich<br />

die dagnä in diesen Prozess des Gesetzgebungsverfahrens<br />

hinsichtlich noch anstehender Detailentscheidungen<br />

einbringen?<br />

R. Rüsenberg: Die PrEP ist für die dagnä schon<br />

seit langem Thema, ich nenne nur die gemeinsame<br />

Forderung mit der Deutschen <strong>AIDS</strong>-Gesellschaft<br />

24


INTERVIEW DAGNÄ AKTUELL<br />

Sie sprechen es an: Schon vor der bundesweiten<br />

GKV-PrEP gehen dagnä und AOK Nordost neue<br />

Wege. Damit stärkt erstmalig eine Krankenkasse<br />

die STI-Prävention. Wie kam es zu dieser Kooperation<br />

zwischen der dagnä und der AOK Nordost?<br />

R. Rüsenberg: Leider war in der Vergangenheit<br />

das Interesse von GKV und PKV an der PrEP, sagen<br />

wir mal, überschaubar. Umso mehr begrüßen wir,<br />

dass mit der AOK Nordost – mit der wir schon<br />

früher zur <strong>Hepatitis</strong> C gut zusammengearbeitet<br />

haben – eine große Krankenkasse bereit war, in<br />

einem Selektivvertrag ein sehr gutes Versorgungsprogramm<br />

zu vereinbaren. Es geht aber nicht nur<br />

um die HIV-PrEP, sondern das Programm nimmt<br />

auch andere STIs in den Blick. Wenn wir damit den<br />

Bundesmantelvertragspartnern ein Beispiel geben<br />

können – sehr gerne. Aber der Vertrag soll auch für<br />

sich selbst stehen. Und natürlich freuen wir uns,<br />

wenn einzelne Krankenkassen bereit sind, mit konkreten<br />

Maßnahmen zu handeln.<br />

Robin Rüsenberg<br />

ruesenberg@dagnae.de<br />

(DAIG) und der Deutschen Aidshilfe (DAH) aus dem<br />

Jahr 2016 oder der von uns mit initiierte Checkpoint<br />

BLN. Wir standen während des TSVG-Gesetzgebungsprozesses<br />

mit unserer Expertise beratend<br />

zur Seite, selbstverständlich gilt das auch für die<br />

Detailverhandlungen des Bundesmantelvertrages.<br />

Und nicht zuletzt der bereits erwähnte Selektivvertrag<br />

der dagnä mit der AOK Nordost zur HIV/STI-<br />

Prävention: Dieser gibt auch für die PrEP sinnvolle<br />

Impulse. Für den Bundesmantelvertrag ist er geradezu<br />

eine Fundgrube, „copy & paste“ ausdrücklich<br />

erwünscht!<br />

Was erwarten Sie hinsichtlich der Anpassung<br />

des EBM? Wird der Bewertungsausschuss das<br />

„Gesamtpaket PrEP“ inklusive Beratungsleistungen<br />

bezüglich der Vergütung angemessen<br />

berücksich tigen?<br />

R. Rüsenberg: Prognosen sind immer schwierig<br />

– das gilt für die Zukunft, aber auch für den EBM.<br />

Klar ist: Die PrEP bringt erheblichen Mehraufwand<br />

in der Praxis, dieser muss dann auch adäquat<br />

finanziert werden. Das liegt auf der Hand. Im HIV-<br />

Bereich gibt es ja bereits gute und sinnvolle Lösungen,<br />

die Pate stehen könnten. Wichtig wird auch<br />

sein: Wer sind die spezialisierten Ärzte, die die<br />

„GKV-PrEP“ anbieten können? Denn: Es braucht<br />

eine bedarfgerechte, flächendeckende PrEP-Versorgung.<br />

Und die steht und fällt mit der sinnvollen<br />

Umsetzung im Bundesmantelvertrag, die<br />

Vergütung ist ein Teil davon. Grundsätzlich ist die<br />

zu erwartende Inanspruchnahme schwer zu prog-<br />

CONFERENCES<br />

25


INTERVIEW DAGNÄ AKTUELL<br />

CONFERENCES<br />

nostizieren. Wir brauchen also eine Art „atmendes<br />

System“, um den regional unterschiedlichen Gegebenheiten<br />

vor Ort gerecht zu werden. Das TSVG<br />

sieht eine Evaluation der PrEP-Einführung vor. Das<br />

ist absolut positiv.<br />

Wird die dagnä in diesen Evaluationsprozess<br />

eingebunden sein? Wie können Sie sich da einbringen?<br />

R. Rüsenberg: Das Bundesgesundheitsministerium<br />

hat die gesetzlich vorgeschriebene PrEP-<br />

Evaluation im Mai öffentlich ausgeschrieben. Ziel<br />

ist, die Einführung der PrEP zu begleiten und die<br />

Wirkungen auf das Infektionsgeschehen wissenschaftlich<br />

zu erheben. Wir begrüßen diese Evaluation<br />

– und ja, wir haben, zusammen mit Partnern<br />

wie dem Robert Koch-Institut, unseren Hut in den<br />

Ring geworfen. Wir verfügen ja über einige Erfahrung<br />

in der HIV-Versorgungsforschung. Noch ist<br />

aber keine finale Entscheidung des Ministeriums<br />

erfolgt.<br />

Thema des Symposiums, das die dagnä beim<br />

DÖAK in Hamburg unterstützte, war „Versorgungsforschung<br />

und Gesundheitspolitik“. Welche<br />

Daten sind aktuell nutzbar, um politische Signale<br />

an Entscheidungsträger zu senden?<br />

R. Rüsenberg: Versorgungsforschung bringt<br />

optimalerweise nicht nur wissenschaftliche, sondern<br />

auch politikberatende Erkenntnisse: Auf<br />

dem DÖAK haben wir zu zwei dagnä-Forschungsprojekten<br />

berichtet: Zum einen zur kürzlich abgeschlossenen<br />

PROPHET-Studie, die repräsentativ<br />

für Deutschland Therapieerfolg und Krankheitskosten<br />

verschiedener Primärtherapiestrategien<br />

abbildet. Sie zeigt den Erfolg der ambulanten HIV-<br />

Schwerpunkt versorgung: Verbessertes medizinisches<br />

Outcome und gleichzeitig wirtschaftlicher<br />

Mitteleinsatz. Zum anderen läuft gegenwärtig die<br />

FindHIV-Studie, die bis 2021 das Phänomen Late<br />

Presenter eingehend untersuchen und Lösungsoptionen<br />

erarbeiten wird. Aber wir sind noch ganz<br />

am Anfang, die strategische Phase, in der es auch<br />

um Handlungsempfehlungen geht, kommt erst zu<br />

einem späteren Zeitpunkt. Das Forschungsprojekt<br />

wird durch den GKV-Innovationsfonds gefördert.<br />

Es handelt sich dabei um eine erneute Kooperation<br />

unter anderem mit dem Lehrstuhl für Medizinmanagement<br />

an der Universität Duisburg-Essen.<br />

Was gab und gibt es sonst noch Neues von der<br />

dagnä in Berlin zu berichten?<br />

R. Rüsenberg: Aktuell haben wir natürlich<br />

zunächst den traditionellen dagnä-Workshop<br />

„vor der Brust“ – zum mittlerweile 29. Mal, wie<br />

immer in Köln. Auch dort wird die PrEP eine Rolle<br />

spielen, aber nicht nur: Wie gewohnt, greift der<br />

dagnä-Workshop aktuelle Entwicklungen auf – an<br />

dieser Stelle seien nur einige Themen genannt: Was<br />

gibt es Neues bei HIV in Verbindung mit onkologischen<br />

Erkrankungen? Welche HIV-Strategien sind<br />

zukunftsträchtig? Was brachte die IAS <strong>2019</strong> in<br />

Mexiko? Was muss zum weiteren Abbau von Stigmatisierung<br />

und Diskriminierung geleistet werden?<br />

Die Arbeit der dagnä für eine Versorgung auf Höhe<br />

der Zeit ist facettenreich. Es gibt medizinische wie<br />

versorgungspolitische Herausforderungen, die uns<br />

beschäftigen: Wichtig wird sein, die qualitativ sehr<br />

gute Versorgung für HIV-Patienten in Deutschland<br />

zu sichern und weiterzuentwickeln.<br />

Vielen Dank für dieses Gespräch.<br />

Die Fragen stellte Elke Klug<br />

26


HIV-SELBSTTESTS IN DEUTSCHLAND<br />

Vorbehalte ausgeräumt<br />

Michael Tappe, Berlin<br />

Seit fast einem Jahr sind HIV-Selbsttests nun auch in Deutschland legal erhältlich. Die Bedenken gegen<br />

die Freigabe waren vorher in Deutschland größer als in anderen Ländern. Deshalb gehörte Deutschland im<br />

Oktober 2018 zu den „Nachzüglern“, obwohl seit Jahren wissenschaftliche Belege für den Nutzen und auch<br />

für das Ausbleiben negativer Effekte vorlagen.<br />

Bereits 2012 wurde ein erster HIV-Selbsttest in<br />

den USA zugelassen, der noch mit Mundschleimhaut-Flüssigkeit<br />

(kein Speichel!) durchgeführt<br />

wurde. Obwohl dieser Test etwas kompliziert in der<br />

Anwendung und die Sensitivität nicht optimal ist,<br />

fand er schnell große Verbreitung z. B. in afrikanischen<br />

Ländern. Dort wurden auch einige Studien<br />

durchgeführt zur Anwendungssicherheit, Zuverlässigkeit<br />

und auch zu möglichen negativen sozialen<br />

oder psychischen Folgen. (siehe dazu http://www.<br />

hivst.org/)<br />

Allgemeines Fazit:<br />

Der HIV-Selbsttest motiviert Menschen, sich zu testen,<br />

er funktioniert, führt zu einem früheren Beginn<br />

der HIV-Therapie und es kommt kaum zu Krisen,<br />

Partnerkonflikten oder ähnlichem.<br />

„Lange Leitung“<br />

In Europa fand dieser Selbsttest keine Verbreitung.<br />

Hier begann erst 2015 ein Umdenken, seit<br />

sehr gute HIV-Selbsttests auf Blutbasis (Kapillarblut<br />

aus der Fingerbeere) zur Verfügung stehen.<br />

Großbritannien und Frankreich waren die ersten,<br />

die HIV-Selbsttests nicht nur legalisierten, sondern<br />

auch massiv dafür warben.<br />

2016 veröffentlichte die WHO „Guidelines on<br />

HIV self-testing and partner notification“ und<br />

bezeichnete HIV-Selbsttest als wichtiges Tool, um<br />

die globalen 90-90-90-Ziele zu erreichen.<br />

Im Oktober 2018 war es dann nach vielen<br />

Debatten auch in Deutschland endlich soweit. Das<br />

Gesundheitsministerium ging dann sogar einen<br />

konsequenten Schritt weiter als andere europäische<br />

Länder, gab den Verkauf von HIV-Selbsttests allgemein<br />

frei und beschränkte ihn nicht auf Apotheken.<br />

Es hat sich gelohnt<br />

Nun, fast ein Jahr danach kann eine erfreuliche<br />

Bilanz gezogen werden.<br />

• Der HIV-Selbsttest wird genutzt!<br />

In Deutschland sind drei HIV Selbsttests zugelassen.<br />

Mindestens 30.000 verkaufte HIV-Selbsttests<br />

CONFERENCES<br />

27


HIV-SELBSTTESTS IN DEUTSCHLAND<br />

CONFERENCES<br />

im ersten Quartal <strong>2019</strong> sind nicht schlecht. Vor<br />

allem, wenn man sich klarmacht, dass dies weitgehend<br />

zusätzliche HIV-Tests sind. In Gesundheitsämtern<br />

und Aidshilfen konnte jedenfalls kein Rückgang<br />

der Nachfrage nach HIV-Tests festgestellt werden.<br />

• Der HIV-Selbsttest ist sicher!<br />

Dem Paul-Ehrlich-Institut wurden seit Oktober<br />

2018 lediglich drei Anwendungsprobleme gemeldet,<br />

bei der Hotline des Exacto HIV-Selbsttests<br />

gingen zehn Anrufe ein. Von den anderen beiden<br />

HIV-Selbsttests liegen keine Informationen dazu<br />

vor. Bei der Telefon- und Onlineberatung der Deutschen<br />

Aidshilfe, die bei allen drei HIV-Selbsttests<br />

als Beratungs-Hotline angegeben ist, gab es insgesamt<br />

424 Anfragen, die sich allerdings selten um<br />

Anwendungsprobleme drehten. Hier standen Fragen<br />

nach Bezugsquellen, der Zuverlässigkeit und<br />

dem diagnostischen Fenster (wie lange nach einem<br />

Risiko ist das Testergebnis sicher?) im Vordergrund.<br />

• Der HIV-Selbsttest führt nicht zu psychischen<br />

Krisen!<br />

Jedenfalls wurden weder in der Telefon- und<br />

Onlineberatung der Deutschen Aidshilfe, noch<br />

in lokalen Aidshilfen solche Krisen bekannt. Das<br />

bedeutet natürlich nicht, dass niemand nach einem<br />

reaktiven HIV-Selbsttest damit Probleme hatte.<br />

Aber offenbar waren diese Probleme lösbar ohne<br />

die Hilfe von Aidshilfen.<br />

• Der HIV Selbsttest erweitert HIV-Testangebot in<br />

Deutschland!<br />

Schon immer war es in Deutschland leicht, bei<br />

Gesundheitsämtern oder Aidshilfen anonyme HIV-<br />

Tests zu machen, oft sogar kostenlos. Auch viele<br />

Arztpraxen bieten HIV-Tests an. Trotzdem werden<br />

immer noch viele HIV-Infektionen spät diagnostiziert.<br />

Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Grund<br />

ist sicher auch, dass die bisherigen Testangebote<br />

immer mit einem persönlichen Kontakt bzw. einer<br />

persönlichen Beratung verbunden waren. Mit dem<br />

HIV-Selbsttest steht nun eine sehr diskrete HIV-<br />

Michael Tappe<br />

Michael.tappe@dah.aidshilfe.de<br />

Testmöglichkeit zur Verfügung, die quasi ganz<br />

ohne persönlichen Kontakt auskommt. Das scheint<br />

für viele Menschen ein wichtiges Kriterium zu sein.<br />

Vielen Aidshilfen, die bislang aufgrund der hohen<br />

Anforderungen an HIV-Schnelltestangebote (alles<br />

unter ärztlicher Aufsicht) kein eigenes Testangebot<br />

vorhalten können, bietet der HIV-Selbsttest nun<br />

diese Möglichkeit. Viele Menschen, die in Aidshilfen<br />

einen HIV-Selbsttest kaufen, wollen ihn auch<br />

gleich dort durchführen. Sie fühlen sich sicherer,<br />

wenn jemand dabei ist. Assistierte Selbsttests werden<br />

nun von vielen Aidshilfen angeboten. Wobei<br />

„Assistieren“ bedeutet, dabei sein, begleiten, aber<br />

nicht „Hand anlegen“.<br />

Viele Aidshilfen, die in ihren Checkpoints schon<br />

länger HIV- und STI-Tests anbieten, können dies<br />

nun auch, wenn keine ärztliche Aufsicht da ist. Und<br />

alle, die noch nie HIV-Tests anbieten konnten, können<br />

dies nun tun.<br />

Michael Tappe<br />

Projektkoordinator Checkpoints, Deutsche Aidshilfe<br />

Wilhelmstraße 138, 10963 Berlin<br />

28


S.A.M MEIN HEIMTEST<br />

Einsendetest für HIV, Syphilis, Gonokokken<br />

und Chlamydien<br />

Christopher Knoll, Kathrin Maria Dymek, München<br />

Sexuell übertragbare Erkrankungen werden häufig nicht oder erst spät erkannt und sind dann umso schwieriger<br />

zu behandeln oder auszuheilen mit einem hohen Risiko für Langzeit-Folgeschäden. S.A.M Mein Heimtest<br />

greift die berechtigte politische Forderung auf, niederschwellige Testangebote für Hauptbedarfsgruppen<br />

und junge Menschen zu entwickeln (Strategiepapier des Bundesministeriums für Gesundheit) und geht auf<br />

die Bedürfnisse von Menschen ein, die von regelmäßigen STI-Tests profitieren würden.<br />

S.A.M soll es Menschen erleichtern, sich regelmäßig<br />

auf vier der wichtigsten sexuell übertragbaren Infektionen<br />

zu testen. S.A.M bietet Testkits für 32 Euro an,<br />

die den Klientinnen und Klienten alle drei, sechs oder<br />

zwölf Monate zugeschickt werden. Die Proben werden<br />

selbstständig entnommen und in einem vorfrankierten<br />

Umschlag an unser Partnerlabor gesendet.<br />

S.A.M wurde nach den Bedürfnissen der Hauptbedarfsgruppen<br />

konzipiert: einfach, diskret und<br />

absolut vertraulich. Im Rahmen eines Vorprojekts<br />

wurde das Konzept gemeinsam mit zukünftigen<br />

Nutzerinnen und Nutzern (MSM, Menschen aus<br />

ländlichen Gebieten, jungen Menschen) und Ärzten<br />

getestet, optimiert und weiterentwickelt.<br />

CONFERENCES<br />

29


S.A.M MEIN HEIMTEST<br />

Wie funktioniert S.A.M<br />

EDUCATION<br />

Der/die Nutzer*in kann sich auf www.samtest.<br />

de für den Service registrieren. Benötigt wird eine<br />

Postadresse in Deutschland (das kann auch ein<br />

Alias-Namen und eine Packstation sein) und eine<br />

Mobilfunknummer, über die die Kommunikation<br />

zwischen S.A.M und dem/der Nutzer*in läuft. Voraussetzung<br />

für die Aktivierung des Abonnements<br />

ist ein einmaliger persönlicher Beratungskontakt<br />

in einer S.A.M-Partnerteststelle. So hat der/die<br />

Nutzer*in zukünftig auch eine Anlaufstelle, die<br />

bei Bedarf jederzeit aufgesucht werden kann. Im<br />

derzeit laufenden einjährigen Pilotprojekt in Bayern<br />

wird der Service von vier Partnerteststellen<br />

angeboten: Münchner Aids-Hilfe, Schwules Kommunikations-<br />

und Kulturzentrum München (Sub),<br />

<strong>AIDS</strong>-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth und Aids-<br />

Beratungsstelle Oberpfalz in Regensburg.<br />

Zuhause entnimmt sich der/die Nutzer*in die Proben:<br />

Orale und rektale Abstriche, bei Frauen zusätzlich<br />

ein Vaginalabstrich, bei Männern eine Urinprobe,<br />

und für alle Zielgruppen eine Blutentnahme aus der<br />

Fingerkuppe (Video zur Blutentnahme und viele weitere<br />

Informationen auf www.samtest.de). Die Proben<br />

werden in den vorfrankierten Versandbeutel gegeben<br />

und abgeschickt. S.A.M testet auf HIV, Syphilis, Chlamydien<br />

und Gonokokken.<br />

Nach zwei bis maximal sieben Tagen erhält die<br />

Person die Ergebnisse: Sollten alle Tests negativ<br />

sein, wird diese Nachricht per SMS übermittelt. Im<br />

Falle eines oder mehrerer positiven oder reaktiven<br />

Testergebnisse wird die Person per SMS informiert,<br />

dass sie bei ihrem Testzentrum anrufen soll, um die<br />

Ergebnisse zu besprechen.<br />

Erfolgreicher Start<br />

Christopher Knoll<br />

christopher.knoll@muenchner-aidshilfe.de<br />

Kathrin Maria Dymek<br />

kathrin.m.dymek@viivhealthcare.com<br />

Die Interimsdaten des Pilotprojekts zeigen, dass<br />

S.A.M die gesetzten Ziele erreicht: einen erweiterten<br />

Zugang für Hauptbedarfsgruppen und eine<br />

Erhöhung der Diagnoserate.<br />

Bis heute haben sich bei dem Pilotprojekt bereits<br />

über 350 Nutzer*innen angemeldet. Die Diagnoseraten<br />

sind hoch: Chlamydien 6,8 %, Gonorrhoe<br />

(Tripper) 4,3 %, Syphilis 1,8 % und HIV 2,2 %. Der<br />

Test erreicht außerdem neue Zielgruppen: 51 %<br />

30


S.A.M MEIN HEIMTEST<br />

der S.A.M-Nutzer gaben an, zuvor gar keine beziehungsweise<br />

nur sehr unregelmäßig Tests gemacht<br />

zu haben.<br />

Junge Menschen unter 35 Jahren machen bei<br />

den Nutzer*innen einen Anteil von 55 % aus,<br />

Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) 56 %.<br />

Bei 34 % handelt es sich um Personen aus strukturschwachen<br />

Gebieten und kleineren Städten.<br />

Insbesondere dort bietet der Heimtest praktische<br />

Vorteile, da Testangebote dort limitiert sind und<br />

Vertraulichkeit nicht immer gewährleistet ist<br />

beziehungsweise Ängste vor einem Bekanntwerden<br />

der Ergebnisse bestehen.<br />

Zeitproblemen. Mit S.A.M habe ich keine<br />

Ausrede mehr, die Tests nicht zu machen. Ich<br />

bekomme sie ja bequem nach Hause geliefert.“<br />

„Einfache, unkomplizierte Methode um<br />

regelmäßig Auskunft über sich zu erhalten.<br />

Zugleich professioneller Aufbau der Website,<br />

Beratungsgespräch und des Test Kits.“<br />

„Ich wohne eher ländlich und die Testangebote<br />

in der näheren Umgebung sind sehr<br />

begrenzt. Daher ist der S.A.M-Heimtest eine<br />

super Gelegenheit, mich regelmäßig unkompliziert<br />

testen zu lassen.“<br />

Besonders in strukturschwachen<br />

Gebieten und<br />

kleineren Städten bietet<br />

der Heimtest praktische<br />

Vorteile .<br />

Diese Zahlen zeigen, dass das Angebot die Richtigen<br />

erreicht. S.A.M leistet damit einen wichtigen<br />

Beitrag, um die zu hohe Zahl nicht entdeckter<br />

Infektionen zu reduzieren.<br />

Die Nutzer*innen zeigen sich von dem neuen<br />

Testangebot begeistert: Stolze 98 % würden den<br />

Service einem Freund empfehlen und 80 % der<br />

Nutzer bleiben dem Angebot treu und beziehen<br />

den Test im Abonnement.<br />

Das begeisterte Feedback der Nutzer*innen<br />

macht deutlich, dass wir einen Service entwickelt<br />

haben, der die Menschen begeistert:<br />

„Ich möchte die Tests in Zukunft regelmäßig<br />

machen. Wenn ich dafür immer irgendwo<br />

hingehen muss, schiebe ich das nur auf.<br />

Sowohl wegen Schamgefühls als auch<br />

Wie geht es mit S.A.M weiter?<br />

Es steht bereits fest: In Bayern wird „S.A.M Mein<br />

Heimtest“ nach dem Ende der Pilotphase im August<br />

<strong>2019</strong> fortgesetzt. Darüber hinaus prüfen die S.A.M-<br />

Partner eine Ausweitung des Testangebots auf<br />

andere Regionen in Deutschland.<br />

Das Projekt S.A.M ist eine partnerschaftliche Innovation von<br />

ViiV Healthcare, Münchner Aids-Hilfe, Labor Lademannbogen<br />

und der Deutschen Aidshilfe.<br />

Dipl.-Psych. Christopher Knoll<br />

Psychosoziale Beratungsstelle der Münchner<br />

Aids-Hilfe e.V.,<br />

Lindwurmstraße 71, 80337 München<br />

Kathrin Maria Dymek<br />

Head of Medical Advisor, ViiV Healthcare<br />

Prinzregentenplatz 9, 81675 München<br />

CONFERENCES<br />

31


CHEMSEX<br />

Ein Blick hinter die Kulissen<br />

Matthias Kuske 1 , Daniel Deimel 2 , Hannes Ulrich 3 , Martin Viehweger 4<br />

Unter dem Titel: „Chems, Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ fand während des DOEAK <strong>2019</strong> in Hamburg ein Communityboard-Workshop<br />

zu „ChemSex“ statt. ChemSex galt lange als Thema der Großstädte und war sehr<br />

beschränkt auf eine überschaubare Community in den schwulen Hotspots. Inzwischen wird auch außerhalb<br />

der Großstädte verstärkt registriert, dass ChemSex auch hier ein Thema ist.<br />

CONFERENCES<br />

Genannte Gründe für ChemSex sind insbesondere:<br />

„Um das sexuelle Erleben zu steigern und zu<br />

intensivieren“. Neben dem Substanzkonsum spielen<br />

Dating-Apps mit ihrer Systematik und ihren<br />

Normen eine große Rolle. Gleichzeitig ist das<br />

Phänomen eng mit Diskriminierungserfahrungen<br />

und psychischen Stressoren verbunden, die viele<br />

schwule Männer in ihrem Leben erfahren. Dating-<br />

Apps verstärken durch ihre Funktionsweise den<br />

(sub-)kulturellen Druck, immer gut auszusehen,<br />

sich selber im besten Licht zu präsentieren, immer<br />

sexuell zu funktionieren und eine sexuelle Variabilität<br />

an den Tag zu legen, die einen Pornostar<br />

erblassen lässt. Dabei wird Sexualität häufig auf<br />

sexuelle Praktiken reduziert. Intimität, Nähe oder<br />

der Wunsch nach einer erfüllenden Beziehung bleiben<br />

aber in der Regel wichtige Grundbedürfnisse,<br />

die bei ChemSex suggeriert, aber nicht erfüllt werden.<br />

Das Prinzip „Höher, Schneller, Weiter“ steht<br />

1<br />

Matthias Kuske, Trainer, Referent und Aktivist, Berlin, 2 Prof.<br />

Dr. Daniel Deimel, KatHO Aachen, 3 Hannes Ulrich, Sexualpsychologe,<br />

Berlin, 4 Dr. Martin Viehweger, Aktivist für sexuelle<br />

Gesundheit und Arzt, Berlin<br />

32


CHEMSEX<br />

Einsamkeit<br />

2,50<br />

p= .000; d= .037 p= .000; d= .018 p= .000; d= .031<br />

2,17<br />

2,00<br />

1,50<br />

1,00<br />

0,99<br />

1,18<br />

0,95<br />

1,52<br />

0,50<br />

0,57<br />

0.00<br />

Emotional Loneliness Score Social Loneliness Score<br />

MSM (n=714) Normstichprobe (n=6.970)<br />

Total Loneliness Score<br />

Abbildung 1: Die Betroffenen sind dauereinsam im Sinne einer mangelnden Erfüllung psychosozialer Grundbedürfnisse.<br />

diametral zum Bedarf nach Ruhe, Nähe und einem<br />

intimen Beisammensein mit einem oder mehreren<br />

anderen Männern.<br />

Prof. Dr. Daniel Deimel berichtete im Rahmen des<br />

Workshops erste Ergebnisse des „German Chem-<br />

Sex Survey 2018“. Auf die Frage nach den Motiven<br />

für den Substanzkonsum im sexuellen Setting<br />

berichten die meisten der Befragten Motive, die<br />

den Zielen des Konsums entsprechen: Spaß haben,<br />

Entspannung, Ausleben von sexuellen Phantasien/<br />

Praktiken, Intensiveres sexuelles Erleben, sexuelle<br />

Leistungssteigerung etc. Knapp 20 % berichten<br />

aber ebenfalls, dass ‚Vergessen von Problemen‘ ein<br />

Motiv ihres Konsums ist.<br />

Nicht jede Form des Substanzkonsums ist problematisch<br />

oder wird von den Befragten als problematisch<br />

empfunden. Die meisten Teilnehmer<br />

der Studie berichteten überhaupt keine oder eher<br />

keine Probleme mit ihrem Konsum zu haben. Dennoch<br />

stellt die Studie bei ca. 9 % der Befragten<br />

einen Unterstützungsbedarf in Bezug auf den Substanzkonsum<br />

fest. Hierbei spielt neben depressiver<br />

Symptomatik und Diskriminierungserfahrung das<br />

Erleben von Einsamkeit eine wichtige Rolle. Tatsächlich<br />

hat ein nicht geringer Teil der Befragten<br />

wenig soziale Unterstützungsressourcen (Abbildung<br />

1).<br />

Der Mensch ist auf Bindung<br />

programmiert<br />

Auf die hohe Bedeutung des Grundbedürfnisses<br />

von menschlicher Nähe und Intimität ging Sexualpsychologe<br />

Hannes Ulrich in seinem Input ein. Dass<br />

Sexualität nicht nur der Fortpflanzung dient, dürfte<br />

inzwischen weitgehend akzeptiert sein. Hannes<br />

CONFERENCES<br />

33


CHEMSEX<br />

CONFERENCES<br />

Matthias Kuske<br />

Matthias.kuske@dah.aidshilfe.de<br />

Ulrich führt aus, dass auf Nachfrage viele Leute<br />

dann auch bestätigen, dass sie oft einfach „Lust“<br />

haben und einem „Trieb folgen“. Sie müssen mal<br />

„Druck ablassen“. Die Lustkomponente spielt eine<br />

ebenso wichtige Rolle beim Sex. Doch wenn sich<br />

Sexualität hierauf reduzieren würde, bräuchten wir<br />

gar keine anderen Menschen dazu. Wir könnten<br />

einfach unter Zuhilfenahme von Fantasien oder<br />

pornografischen Medien masturbieren und so den<br />

„Druck abbauen“.<br />

Warum haben wir aber das Bedürfnis Sex mit<br />

anderen Menschen zu haben? Auf diese Frage<br />

finden schon weniger Menschen adäquate Antworten.<br />

„Sexualität und Intimität zur Erfüllung<br />

von psychosozialen Grundbedürfnissen“ lautet die<br />

sexualwissenschaftliche Erklärung. Wir Menschen<br />

sind als soziale Wesen auf Bindung programmiert.<br />

Wir sind förmlich auf andere angewiesen und von<br />

ihnen abhängig. Uns allen gemein sind die Bedürfnisse<br />

nach Anerkennung, Nähe, Geborgenheit,<br />

Sicherheit, Bestätigung und noch viele mehr. Sexualität<br />

stellt kein Grundbedürfnis per se dar, jedoch<br />

ist Sexualität eine gute Art der Kommunikation,<br />

diese zu befriedigen. Die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse<br />

ist bei den oftmals leistungsgetriebenen<br />

Sexdatings und bei ChemSex selten gegeben. Und<br />

das ist auch o.k. so, solange es allen bewusst und<br />

die Absichten reflektiert sind. Nach dem Hochgefühl<br />

des Orgasmus folgt in diesen Konstellationen<br />

jedoch häufig wieder das Gefühl der Leere – was<br />

zur Folge hat, dass sich erneut auf die Suche begeben<br />

wird. Um den Kick zu steigern, wird die Anzahl<br />

der Sexualpartner*innen erhöht, extremere Praktiken<br />

werden ausprobiert und/oder psychotrope<br />

Substanzen dazu konsumiert. Im Grunde sind die<br />

Betroffenen nicht dauergeil, sondern eher dauereinsam,<br />

im Sinne einer mangelnden Erfüllung der<br />

aufgeführten psychosozialen Grundbedürfnisse, so<br />

Ulrich. Psychologen nennen diesen Zustand Deprivation.<br />

Der Versuch dieser Leere mit Random Sex<br />

– ich als austauschbares Objekt – zu begegnen,<br />

ist vor diesem Hintergrund oft eine dysfunktionale<br />

Coping-Strategie.<br />

Der Aktivist für sexuelle Gesundheit und Arzt<br />

Dr. Martin Viehweger bringt die derzeit wichtigen<br />

und notwendigen Maßnahmen auf den Punkt. Er<br />

verwies darauf, dass es für die Bedürfnisse von<br />

ChemSex Usern neuer integrativer, therapeutischer<br />

Konzepte bedarf (s. auch Beitrag Viehweger<br />

S. 35).<br />

Matthias Kuske,<br />

Deutsche Aidshilfe e.V.<br />

Wilhelmstr. 138, 10963 Berlin<br />

34


CHEMSEX <strong>2019</strong><br />

ChemSexNetzwerk Berlin –<br />

ein Qualitätszirkel<br />

Martin Viehweger, Berlin<br />

Das Phänomen ChemSex ist aufgrund der psychischen Konstellation der betroffenen Klientel, aber auch wegen<br />

der Risiken beim Substanzkonsum mit neuen Herausforderungen für HIV-Behandler*innen verbunden. Die<br />

Sexualkultur von ChemSex bedarf eines besseren Verständnisses sowie neuer Therapiekonzepte. Um diesen<br />

Bedarfen gerecht zu werden, etabliert das ChemSexNetzwerk Berlin ein Kompetenzforum zur Koordinierung<br />

verschiedener Angebote wie Aufklärung, einer Online-Plattform, Workshops, Fachtagungen, Schulungen,<br />

Erarbeitung von Behandlungsleitlinien usw. zur Verbesserung gemeinsamer Kompetenzen für Substanzkonsum<br />

und schwule Sexualität. Worum es dabei inhaltlich gehen muss, verdeutlicht die folgende SMS.<br />

„Hallo Martin − Seit meinen letzten besuchen<br />

und heute bin ich wie besprochen daran meine<br />

Gewohnheiten bewusster wahrzunehmen und versuche<br />

meinen Konsum für mich einzudämmen. Nur<br />

plagt mich trotz morgendlichem Motivationsschub<br />

der Gang zur Arbeit. Ich hatte das schon mal vor<br />

etwa zwei Jahren und folglich der ,Krankheit‘ kündigte<br />

ich meinerseits weil ein weiterarbeiten mit<br />

Tyrann als Vorgesetzten nicht möglich war. Heute<br />

ist es sehr ähnlich aber diesmal kein Chef der das<br />

extreme auslöst. Ich fühle mich schlecht und sehr<br />

unbeholfen ausgelaugt. Kommende Arbeitspläne<br />

jenseits des rechtlichen plagen mich hier zu sein.<br />

Ich empfinde wieder nach Hause zu gehen und mich<br />

erholen zu müssen. Was kann ich machen? Lg C.<br />

Von meinem iPhone gesendet“<br />

Eine von vielen Nachrichten, Mitteilungen, Konsultationsgründen<br />

in der Sprechstunde von MSM<br />

mit ChemSex-Problematik. Nach mehreren Jahren<br />

der Öffentlichkeitsarbeit zur Information bzgl. des<br />

Phänomens „ChemSex“ haben viele vielleicht mehr<br />

Verständnis, allerdings keine adäquaten Antworten.<br />

Defizite beim Umgang mit der<br />

Problematik ChemSex<br />

Aktuelle Therapiekonzepte fußen zumeist auf<br />

Erfahrungen und Wissen aus dem schädlichen<br />

Umgang mit Alkohol und Heroin. Konzepte zur<br />

Annäherung an dieses Thema sind spärlich, denn<br />

die Intension von ChemSex und sexualisiertem<br />

Substanzkonsum ist anders begründet:<br />

CONFERENCES<br />

35


CHEMSEX <strong>2019</strong><br />

CONFERENCES<br />

••<br />

Scham<br />

••<br />

Intimität<br />

••<br />

Sexualität<br />

••<br />

Fetisch, Kink, andere sexuelle Bedürfnisse<br />

••<br />

Rausch<br />

••<br />

Leistungsdruck<br />

••<br />

Lebens-Optimierungsdruck<br />

••<br />

Identitätsfragen/Zugehörigkeit<br />

••<br />

Eskapismus<br />

Der ambulante und/oder stationäre somatische<br />

Entzug gestaltet sich daher als sehr komplex. Vor<br />

allem beim Entzug von GBL (stationär z. B. mit<br />

Xyrem® möglich) besteht nur wenig Erfahrung:<br />

Internistische Kliniken sind mit dem alternierenden<br />

Wechsel zwischen hyper- und hypokinetischem<br />

Delir während der Entzugsphase von GBL überfordert,<br />

psychiatrische Kliniken dagegen haben keine<br />

ICU (intermediate care unite) zur somatischen<br />

Überwachung von Kreislauffunktionen, was beim<br />

Entzug von GBL zunehmend notwendiger wird.<br />

Medizinisches und psychotherapeutisches Fachpersonal<br />

ist nur selten sensibilisiert noch ausreichend<br />

geschult dafür. Es bestehen, mit wenigen<br />

Ausnahmen, keine gut etablierten, adaptierten<br />

Nachsorgekonzepte.<br />

Daher sind auch die Rückfallquoten hoch.<br />

Hier bedarf es neuer Versorgungskonzepte mit<br />

Körperarbeit: Menschen Nähe und Intimität neu<br />

erfahren lassen, sexuelle Fantasien neu belegen,<br />

anstelle von Penetration Berührung, Empfindung,<br />

gegenseitiges sich Spüren, metaphorische Verschmelzung,<br />

Riechen, Schmecken als sexueller Akt<br />

für sich neu finden und definieren. Nähe ohne Substanzen<br />

aushalten, aber auch respektvolles Nein-<br />

Sagen lernen, sich abgrenzen ohne zu verletzen,<br />

abzuwerten. Ein „Nein“ nicht als Abwertung zu<br />

empfinden, sich zuhören und verstehen im Zeitalter<br />

anonymer Dating-Applikationen, wo wir uns zu<br />

schnell hinter „wegwischen“ und „blocken“/„ghosting“<br />

verstecken.<br />

Dr. Martin Viehweger<br />

mail@martinviehweger.com<br />

Aufklärung und Edukation im Bereich Sex, Intimität,<br />

Schulung für medizinisches Personal, Schulungen<br />

für Psychotherapeut*innen, um Klient*innen<br />

beim Entzug adäquate Gesprächs- und Therapieoptionen<br />

geben zu können.<br />

Workshops für Saunen/Bars/Clubs zum Safer<br />

Clubbing und Partying – das Fachpersonal am<br />

Empfang, an der Tür, an der Theke benötigt Weiterbildung<br />

für den Fall, dass Kund*innen bewusstlos<br />

sind, in eine Psychose fallen, sich verletzen. Offene<br />

Abende in Bars können einfache Alternativen zum<br />

oft erlittenen, frustrierenden und vor allem abhängigkeitsbedingten<br />

Zeitverlust auf DatingApps darstellen<br />

und z. B. zu Spieleabenden, Lesungen zu<br />

Themen wie Männlichkeit, Drag-Workshops oder<br />

offenen Mikrofonen einladen.<br />

Leitlinien zur Identifizierung, wann ein Konsum<br />

zu einem Überkonsum wird, wie eine Art<br />

Ampelschema, könnten zusammen mit einem<br />

Behandlungsleitfaden Algorithmen und Adressen<br />

empfehlen, wo man selbst in der Sprechstunde<br />

bei Klient*innen einen Überkonsum identifizieren<br />

konnte, nun aber nicht weiß, wie weiter verfahren.<br />

36


CHEMSEX <strong>2019</strong><br />

Dafür benötigt es auch Forschung/Datenerhebung<br />

zur Visualisierung der aktuellen Situation<br />

des problematischen Konsums und Evaluation von<br />

sich etablierenden Konzepten, zur allfälligen Re-<br />

Finanzierung.<br />

Ein interaktives, integratives Netzwerk (am besten<br />

unabhängig oder checkpointassoziiert) könnte<br />

mit einer Koordinierungsstelle (z. B. vom Senat)<br />

Anlaufstelle, Informationspunkt, Organisation dieser<br />

Bedürfnisse Potenzial bündeln und Synergien<br />

herstellen.<br />

Fachtagungen würden darüber hinaus (inter-)<br />

national informieren und kollaborieren. Um Daten<br />

und Netzwerkstrukturen breit zugängig zu machen,<br />

wäre die Etablierung einer Onlineplattform mit<br />

online blackboard für Zugriff auf Infos und Daten<br />

für alle sinnvoll.<br />

Ziele des ChemSexNetzwerks Berlin<br />

Um diese Bedürfnisse zu realisieren hat sich das<br />

ChemSexNetzwerk Berlin zu einer Bestandsaufnahme<br />

in einer ersten Sitzung im Januar 2018 mit<br />

relevanten und interessierten Diensten und Personen,<br />

die im Bereich tätig sind, getroffen. Wichtige<br />

Punkte für die Primärprävention bis hin zu Therapieleitlinien<br />

sind die Förderung der Vernetzung für<br />

Synergien, um ein gemeinsames Verständnis der<br />

Sexualkultur von ChemSex und ihren Herausforderungen<br />

zu entwickeln. Es geht um die Förderung<br />

der beruflichen Entwicklung innerhalb und außerhalb<br />

des Netzwerks, zur Verbesserung gemeinsamer<br />

Kompetenzen für Substanzkonsum und<br />

schwule Sexualität. Wir wollen Behandlungspfade<br />

entwickeln und Ressourcen visualisieren und verknüpfen.<br />

In gemeinsamer Politik als gemeinsame<br />

Interessenvertretung kann somit ein Kompetenzforum<br />

entstehen, um ein kompetenter Gesprächspartner<br />

für Regierung, Gesundheitsplaner*innen<br />

und anderen Institutionen zu sein. Ein Forum, in<br />

dem Mitglieder Bedenken oder Konflikte ansprechen<br />

und lösen können.<br />

Aktivitäten des ChemSexNetzwerks<br />

Zwischen vierteljährigen großen Netzwerktreffen<br />

treffen sich Arbeitsgruppen in kleineren<br />

Arbeitsgemeinschaften: AG Leitlinien, AG Fortbildung<br />

und Außendarstellung, AG Forschung,<br />

AG Behandlungspfade/Therapie, AG Finanzen. Bei<br />

jedem Netzwerktreffen berichten diese Arbeitsgruppen<br />

über ihre Fortschritte. Im Februar <strong>2019</strong><br />

erfolgte die Vorstellung beim Senat: Frau Köhler-<br />

Azara, Herr Backes sowie Heike Drees vom Deutschen<br />

Paritätischen Wohlfahrtsverband waren<br />

anwesend und haben uns zu Anträgen für Workshops<br />

zu Körperarbeit (auch zur rehabilitativen<br />

Nachsorge), zur Etablierung einer Onlineplattform<br />

mit Blackboard für Daten, zu Fachtagungen<br />

und für eine Koordinierungsstelle motiviert. Eine<br />

Anerkennung der bisherigen Leistungen und dessen<br />

Notwendigkeit erhielt das Netzwerk aktuell<br />

im Zuspruch finanzieller Unterstützung durch den<br />

Senat zur Ausstattung des ersten deutschen Fachtages<br />

zum Thema ChemSex. Dieser wird zurzeit für<br />

Freitag, den 25. Oktober <strong>2019</strong> in Berlin erstmalig<br />

konzipiert und soll Gesundheitssystem, Suchthilfesystem,<br />

Suchtberatung, Suchtbehandlung, Selbsthilfe<br />

und Drogenberatung mit schwulem Leben und<br />

sexueller Gesundheit zusammenzubringen.<br />

Nächste öffentliche Präsenz ist für den IAPAC-<br />

(International Association of Providers of <strong>AIDS</strong><br />

Care) Fast-Track-City in London geplant, wo wir<br />

unser Netzwerk im September international vorstellen<br />

werden.<br />

Dr. med. Martin Viehweger<br />

Aktivist für sexuelle Gesundheit<br />

Grünberger Str. 16, 10243 Berlin<br />

CONFERENCES<br />

37


THERAPIEMANAGEMENT BEI HIV-PATIENTEN<br />

Bewährtes, Empfohlenes und Neues<br />

Symposiumsbericht<br />

Diagnose HIV-positiv – Menschen in verschiedenen Lebenslagen und mit unterschiedlichsten Lebensentwürfen<br />

können betroffen sein. So individuell wie diese Klientel zusammengesetzt ist, so differenziert sollte die<br />

antiretrovirale Therapiestrategie ausgewählt werden und so dem Patienten zu ganz persönlicher, besserer<br />

gesundheitsbezogener Lebensqualität verhelfen. In den von MSD unterstützten Satelliten-Symposien im<br />

Rahmen der Münchner <strong>AIDS</strong>- und <strong>Hepatitis</strong>-Werkstatt und des DÖAK <strong>2019</strong> wurde ein breites Spektrum<br />

bewährter und neuer therapeutischer Optionen vorgestellt.<br />

EDUCATION<br />

Geschlechtsunterschiede beachten<br />

Im Symposium „Ein Grund mehr…für eine<br />

in dividuelle Therapie“ wies Priv.-Doz. Dr. Clara<br />

Lehmann, Köln, darauf hin, dass ein Drittel der<br />

HIV-positiven Patienten in Europa Frauen sind<br />

und dass pathophysiologische und sexuelle Unterschiede<br />

von Frauen und Männern im Verlauf der<br />

HIV-Erkrankung berücksichtigt werden sollten.<br />

„Wir haben jetzt mit einem breiten Spektrum an<br />

Medikamenten das Glück individualisiert therapieren<br />

zu können.<br />

Mit Fokus auf Frauen und Kinder beklagte Frau<br />

Dr. Lehmann, dass insbesondere bei neu entwickelten<br />

Substanzen Frauen (wie auch Kinder) in<br />

klinischen Studien meist unterrepräsentiert sind.<br />

Insofern sei es wünschenswert, dass wie in Studien<br />

eine gleichgeschlechtliche Verteilung vorgenommen<br />

werde, um in Bezug auf Frauen zu aussagekräftigeren<br />

Ergebnissen zu gelangen.<br />

Für die ART seien bei Frauen speziell in der Zeit<br />

des gebärfähigen Alters mit Kinderwunsch und in<br />

der Schwangerschaft besondere Bedingungen zu<br />

beachten, erklärte Frau Dr. Lehmann. In den empfohlenen<br />

Regimen kommen neben gängigen Nukleotid-<br />

und Nukleosidkombinationen PI, NNRTI und<br />

der Integrasehemmer Raltegravir (Isentress®) als<br />

Kombipartner infrage. In einem raltegravirhaltigen<br />

Regime kann problemlos mit Kontrazeptiva kombiniert<br />

werden [1], es ist gut genitaltraktgängig<br />

[2], hat geringen Einfluss auf die Fettumverteilung<br />

[3] sowie auf die Knochendichte im Vergleich zu<br />

den geboosterten Proteaseinhibitoren Darunavir<br />

und Atazanavir [4]. Raltegravir wurde 2007 zur<br />

Behandlung der HIV-Infektion zugelassen und verfügt<br />

jetzt über Erfahrungen aus mehr als 1,2 Millionen<br />

Patientenjahren.<br />

Angesichts jüngster Diskussionen zu Fehlbildungsraten<br />

unter Dolutegravir verwies Dr. Lehmann<br />

darauf, dass gezeigt werden konnte, dass es<br />

während einer Schwangerschaft unter Raltegravir<br />

zu keinen Störungen gekommen ist, wie auch in<br />

weiteren auf der CROI <strong>2019</strong> vorgestellten Studien<br />

keine neuen Signale zum vermehrten Auftreten<br />

von Neuralrohdefekten unter Integrasehemmern<br />

beobachtet werden konnten [5].<br />

Nicht empfohlen wird nach der IMPAACT P1026s-<br />

Studie in der Schwangerschaft wegen erhöhten<br />

Risikos für Therapieversagen und Mutter-Kind-<br />

Übertragung der HIV-Infektion die Kombination<br />

Elvitegravir/Cobicistat [6].<br />

Mit den bisherigen Erfahrungen, so betonte auch<br />

Dr. Katja Römer, Köln, im Hamburger Symposium,<br />

sei Raltegravir wegen der guten Datenlage beim<br />

Einsatz in unterschiedlichen Lebenssituationen<br />

und in der gesamten Lebenszeit eine der zunehmend<br />

eingesetzten Substanzen.<br />

Dem trägt die gerade verabschiedete Deutsch-<br />

Österreichischen Leitlinie, in der die verfügbaren<br />

Medikamente und insbesondere der Stellenwert<br />

der Integrasehemmer gerade noch einmal aktuell<br />

bewertet wurden, Rechnung. So heißt es u.a.:<br />

„Der Einschluss von Raltegravir als Teil einer cART<br />

oder in Ergänzung kann in Fällen einer späten<br />

HIV-Erstdiagnose in der Schwangerschaft oder bei<br />

später Erstvorstellung einer Schwangeren mit HIV-<br />

38


THERAPIEMANAGEMENT BEI HIV-PATIENTEN<br />

Infektion zur rascheren Absenkung der HIV-RNA<br />

bis zum Geburtstermin sinnvoll sein.“<br />

Die besondere Patientengruppe<br />

Kinder<br />

Mit Neuzulassungen in den letzten Jahren haben<br />

sich die Möglichkeiten zur Therapie HIV-Infektion<br />

bei Kindern und Jugendlichen erweitert. Seit 2018<br />

steht Raltegravir auch für reife HIV-infizierte Neugeborene<br />

zur Verfügung. Die Zulassungserweiterung<br />

basiert auf der Phase-I-Studie IMPAACT<br />

P1110, in der die Sicherheit und Pharmakokinetik<br />

des Raltegravir-Granulats zur Herstellung einer<br />

Suspension zum Einnehmen untersucht wurden.<br />

Alle Kinder waren am Ende der Studie HIV-negativ.<br />

Es traten keine Nebenwirkungen auf. Raltegravir<br />

gibt es als Kautablette und als Granulat, jeweils in<br />

Kombination mit weiteren antiretroviralen Medikamenten<br />

einzunehmen [7].<br />

One size doesn‘t fit all<br />

Die Auswahl unter den aktuell verfügbaren Integrasehemmern<br />

falle nicht leicht, konstatierte Prof.<br />

Dr. Johannes Bogner, München. Bei allen seien<br />

zwar die Anforderungen an die Wirksamkeit gegeben;<br />

allerdings gäbe es bei einigen Eigenschaften<br />

Unterschiede. Nicht immer sei die Größe einer<br />

Tablette entscheidend und nicht alle INSTI seien<br />

auch für alle gut verträglich. Anhand von Fallbeispielen<br />

verdeutlichte er: „One size doesn‘t fit all,<br />

man kann für jeden das Beste finden“. Das setze<br />

jedoch eine intensive Kommunikation mit dem<br />

Patienten voraus: Was will sie/er, was will sie/er<br />

nicht, bestehe z. B. Kinderwunsch. Lege ein Patient<br />

besonders großen Wert darauf, unabhängig von der<br />

Anzahl und Größe einzunehmender Pillen keinerlei<br />

Nebenwirkungen zu haben oder ist mit vielen<br />

Komedikationen umzugehen, dann sei Raltegravir<br />

ein idealer Kombinationspartner, so Bogners Erfahrung.<br />

Bereits in den Zulassungsstudien wurde dem<br />

Präparat ein sehr gutes Nebenwirkungs-/Interaktionsprofil<br />

attestiert, was sich auch später beim<br />

Vergleich mit anderen Substanzen dieser Klasse<br />

bestätigte, (s. a. HIV and more 1/<strong>2019</strong> Tabelle<br />

S. 16/17).<br />

„Es muss nicht immer die Integrase<br />

sein“…<br />

stellte PD Dr. Christian Hoffmann, Hamburg,<br />

angesichts eines „in letzter Zeit gewissen Hypes“<br />

um die INSTI klar und plädierte dafür, auch andere<br />

gute (alte) Substanzgruppen nicht aus den Augen<br />

zu verlieren, wofür es gute Argumente gäbe. So<br />

brachen in einer Kohortenbeobachtung 3 bis 4 %<br />

der Patienten ihre dolutegravirhaltige Therapie<br />

wegen ZNS-Nebenwirkungen ab. Hinzu komme<br />

seit der CROI <strong>2019</strong> die verstärkte Diskussion um<br />

die Gewichtszunahme unter Integrasehemmern.<br />

„Wir wissen nicht viel über die dahinter stehenden<br />

Mechanismen, aber die Gewichtszunahme unter<br />

ART bleibt ein wichtiges Thema und sollte zu einer<br />

Rückbesinnung auf andere Substanzklassen wie<br />

die NNRTI führen, so Hoffmanns Schlussfolgerung.<br />

Zwar seien die älteren NNRTI nicht perfekt, aber<br />

dennoch eine gut verträgliche Therapie gewesen.<br />

Seit 2018 gibt es mit Doravirin ein neues Präparat,<br />

bei dem es sich aufgrund der Ergebnisse in<br />

den Phase-III-Zulassungsstudien [DRIVE-AHEAD<br />

(therapienaiv DOR/TDF/3TC vs. EFV/TDF/FTC),<br />

DRIVE-FORWARD (therapienaiv DOR + 2 NRTIs<br />

vs. DRV/r+2 NRTIs und DRIVE-SHIFT (vorbehandelt<br />

DOR/TDF/3TC vs. ART kontinuierlich)] lohne,<br />

genauer hinzuschauen. Die europäische Zulassung<br />

erhielt Doravirin als Einzeltablette (Pifeltro®) und<br />

in Kombination mit den beiden NRTIs Lamivudin<br />

und Teno fovirdisoproxilfumarat als Fixdosiskombination<br />

(Delstrigo®).<br />

EDUCATION<br />

39


THERAPIEMANAGEMENT BEI HIV-PATIENTEN<br />

Percentage of participants<br />

40<br />

38,2<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10,2<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Dizziness<br />

EDUCATION<br />

14<br />

In der DRIVE-FORWARD-Studie (doppelblind,<br />

randomisiert, mehr als 700 Patienten weltweit)<br />

so berichtete Hoffmann, war DOR im primären<br />

Endpunkt DRV/r nicht unterlegen [8]. Auch bei<br />

der Subgruppe der sehr schwierig zu behandelnden<br />

Patientenpopulation habe das Regime, zwar<br />

mit einer kleineren Patientenzahl, aber signifikant,<br />

erstaunlich gut funktioniert [9]. Des Weiteren<br />

konnte in dieser Studie ein besseres Lipidprofil<br />

unter Doravirin im Vergleich zu DRV nachgewiesen<br />

werden. Die Nebenwirkungen, die zum Abbruch<br />

führten, waren unter Doravirin etwas geringer (1,6<br />

vs. 3,4 %). Ebenso gleich selten war ein virologisches<br />

Versagen. Resistenzen traten bei zwei von<br />

383 Patienten unter Doravirin vs. einem Patienten<br />

unter DRV auf.<br />

27,5<br />

Sleep disorders and<br />

disturbances<br />

8,5<br />

DOR/3TC/TDF<br />

EFV/FTC/TDF<br />

4,9 5,2<br />

Altered<br />

sensorium<br />

Die DRIVE-SHIFT-Studie (offen 2:1 rx, n=670)<br />

zeigte nach 24 Wochen sehr positive Ergebnisse<br />

mit hoher Virussuppression unter DOR/3TC/TDF.<br />

Auch wurde hier ein besseres Lipidprofil unter<br />

Doravirin als unter den geboosterten PI, seltenes<br />

Therapieversagen und keine einzige Resistenz<br />

unter Fixkombination DOR/TDF/3TC festgestellt.<br />

7,4<br />

Depression and<br />

suicide/selfinjury<br />

0,5<br />

1,4<br />

Psychosis and<br />

psychotic disorders<br />

Abbildung 1: Neuropsychiatric adverse events (predefined) at week 96<br />

Steckbrief Doravirin<br />

• anhaltende Wirksamkeit unabhängig von der<br />

Ausgangsviruslast<br />

• weniger Interaktionen (z. B. PPI) vs. andere<br />

NNRTI<br />

• Einnahme unabhängig von Nahrungsaufnahme<br />

• besseres Lipidprofil vs. EFV und DRV/r<br />

• weniger Haut-Ausschlag vs. andere NNRTI*<br />

• weniger ZNS-Toxizität vs. EFV<br />

• In vitro-Aktivität gegenüber K103N und<br />

Y181C Mutationen<br />

Auch in der DRIVE-AHEAD-Studie (n=680 Behandlungsnaive,<br />

multizentrisch, doppelblind, randomisiert,<br />

DOR/3TC/TDF + PBO vs. EFV/FTC/TDF + PBO)<br />

[11] war DOR/3TC/TDF beim primären Endpunkt der<br />

NNRTI-basierten Fixdosiskombination EFV/FTC/TDF<br />

nicht unterlegen. Bei der heute zur Beurteilung<br />

der Potenz einer Substanz besonders wichtigen<br />

Betrachtung der Subgruppe kritischer Patienten,<br />

d. h. mit weit fortgeschrittenem Immundefekt und<br />

besonders hoher Viruslast, zeigte der Vergleich, dass<br />

zwischen den beiden Gruppen keinerlei Unterschied<br />

in der Effektivität besteht. Die Rate der Studienabbrüche<br />

aufgrund von unerwünschten Ereignissen<br />

war unter DOR/3TC/TDF geringer als unter EFV/FTC/<br />

TDF (3,0 vs. 7,0) (Abbildung 1).<br />

Dr. Stefan Esser, Essen, der die Daten von DRIVE-<br />

FORWARD, DRIVE-SHIFT und DRIVE-AHEAD im<br />

Rahmen des DÖAK vorgestellt hatte, hob hervor,<br />

dass sich nach den Ergebnissen der drei Studien die<br />

Fachgesellschaft in den neuen Leitlinien <strong>2019</strong> zu<br />

einer ergänzenden Empfehlung für DOR (Doravirin)<br />

Pifeltro® oder TDF/3TC/DOR Delstrigo® entschlossen<br />

habe.<br />

HPV-Schutz durch Impfung<br />

Auf eine besondere Klientel, mit der HIV-<br />

Behandler häufig konfrontiert sind, wies<br />

40


THERAPIEMANAGEMENT BEI HIV-PATIENTEN<br />

Univ.‐Prof. Dr. med. Andreas Salat, Wien, in seinem<br />

Vortrag „Zum Stellenwert der HPV-Impfung<br />

bei HIV-positiven Menschen“ hin. Fast jeder sexuell<br />

aktive Mensch infiziert sich im Laufe seines Lebens<br />

mit Humanen Papillomviren. Wenn die Infektion<br />

mit HPV nicht von allein ausheilt und es zu einer<br />

persistierenden Infektion kommt, können Gewebeveränderungen<br />

bis hin zu bestimmten HPV-assoziierten<br />

Tumoren die Folge sein, wie zum Beispiel<br />

anogenitalen Plattenepithelkarzinomen oder Zervixkarzinomen.<br />

Menschen mit umfangreicher sexueller<br />

Aktivität haben ein besonders hohes Risiko für<br />

eine HPV-Infektion mit der Folge einer Krebsentstehung.<br />

Prof. Salat berichtete von 46 gesunden<br />

MSM, die gescreent wurden und von denen 60 %<br />

eine HPV-Infektion und 50 % ein Hochrisikovirus<br />

hatten. Es sei ein relevantes Problem und eine Impfung<br />

könne zu dessen Lösung beitragen, obwohl<br />

auch eine Reihe von Problemen, nicht zuletzt auch<br />

die Kostenfrage, damit verbunden seien.<br />

Für die nona-valente HPV-Impfung HIV-positiver<br />

Menschen gäbe es nur wenige randomisierte Studien.<br />

Gleichwohl ließen einige Daten die Impfung<br />

empfehlenswert erscheinen. „Für mich“, so führte<br />

Prof. Salat aus, „ist die Empfehlung der American<br />

Cancer Society das beste Argument pro Impfung:<br />

Sie ist sicher, hat keine Nebeneffekte, auch<br />

nicht für die Fruchtbarkeit, sie ist für Männer und<br />

Frauen geeignet, kann helfen, ein Analkarzinom,<br />

die für HIV-positive Menschen häufigste nicht-<br />

<strong>AIDS</strong>-definierende maligne Erkrankung, sowie ein<br />

Zervix karzinom zu verhindern, und sie hat eine sehr<br />

lange Wirkung. Bei Menschen vor dem sexuellen<br />

Debüt biete die Impfung einen sehr hohen, bis zu<br />

100%igen Schutz und sei auch adäquat immunogen<br />

in HIV-Positiven [12–15]. Bei Personen mit<br />

hohem Risiko, auch nach dem sexuellen Debüt, sei<br />

vor allem die Aufklärung zum potenziellen, wenn<br />

auch nicht mehr 100%igen Schutz wichtig, damit<br />

sie sich impfen lassen, betonte Prof. Salat.<br />

In Deutschland ist mit GARDASIL® 9 seit 2015<br />

ein nonavalenter HPV-Impfstoff zugelassen. Er ist<br />

zur aktiven Immunisierung von Personen ab einem<br />

Alter von neun Jahren gegen Vorstufen maligner<br />

Läsionen und Karzinomen der Zervix, Vulva, Vagina<br />

und des Anus, die mit den HPV-Typen 16, 18, 31,<br />

33, 45, 52 und 58 assoziiert sind, und gegen Genitalwarzen<br />

(Condylomata acuminata), die durch die<br />

HPV-Typen 6 und 11 verursacht werden, indiziert.<br />

Präventiv seien Kinder auf jeden Fall zu impfen,<br />

betonte Salat – Mädchen und Jungen, typischerweise<br />

im neunten bis zwölften Lebensjahr, wobei<br />

das eigentliche Kriterium das sexuelle Debüt sein<br />

sollte.<br />

Bericht: Elke Klug, Redaktion<br />

Referenzen<br />

1. Fachinformation Isentress 400 mg Filmtabletten, Stand<br />

November 2018<br />

2. Clavel C et al. Antimicrobiol Agents and Chemother 2011:<br />

3018–3021.<br />

3. Curran A et al. <strong>AIDS</strong> 2102; 26: 475–481.<br />

4. Brown TT et al. JD 2015; 212: 1241–1249.<br />

5. Albano J D et al. #747 CROI <strong>2019</strong>.<br />

6. Momper J D et al. <strong>AIDS</strong> 2018 Nov.<br />

7. Presseinformation MSD zur Zulassungserweiterung von<br />

Insentress® November 2018<br />

8. Molina JM et al. Abstract#LBPEB017, IAS Amsterdam<br />

2018.<br />

9. Molina JM et al. Lancet HIV 2018.<br />

10. Kumar P et al. ID-Week 2018.<br />

11. Squires KE et al. Abstract TUABO104LB, IAS 2017<br />

12. Faust H, Toft L, Sehr P, et al. Vaccine 2016 Mar 18;<br />

34(13):1559–1565. doi: 10.1016/j.vaccine.2016.02.019.<br />

13. Giacomet V, Penagini F, Trabattoni D, et al. Vaccine 2014 Sep<br />

29; 32 (43): 5657-61. doi: 10.1016/j.vaccine.2014.08.011.<br />

14. Kojic EM, Kang M, Cespedes MS, et al. Clin Infect Dis 2014<br />

Jul 1; 59(1): 127–35. doi: 10.1093/cid/ciu238.<br />

15. Wilkin T, Lee JY, Lensing SY, et al. J Infect Dis 2010 Oct15;<br />

202(8): 1246–53. doi: 10.1086/656320HIV+/MSM<br />

Quellen: Symposium „Ein Grund mehr…für eine individuelle<br />

Therapie” im Rahmen der 8. Münchner <strong>AIDS</strong>- und <strong>Hepatitis</strong>-<br />

Werkstatt am 29.03.<strong>2019</strong> in München; Symposium „Ein<br />

Grund mehr…Visionen für das Hier und Jetzt“ im Rahmen des<br />

9. Deutsch-Österreichischen <strong>AIDS</strong>-Kongresses am 15.06.<strong>2019</strong><br />

in Hamburg, beide unterstützt von MSD<br />

EDUCATION<br />

41


SHE – STRONG, HIV POSITIVE, EMPOWERED WOMEN<br />

Ergebnisse des Selbsthilfe-Projekts für<br />

Frauen mit HIV<br />

Jelena Gillich, Ulla Clement-Wachter, Harriet Langanke, Annette Piecha, Ulrike Sonnenberg-Schwan, Köln<br />

Von den rund 86.000 Menschen mit HIV/<strong>AIDS</strong> in Deutschland waren nach Angaben des Robert Koch-<br />

Instituts Ende 2017 etwa 17.000 Frauen, was einen Anteil von 19,7 % ausmacht [1]. Ihnen bietet das<br />

SHE-Programm Möglichkeiten zur Vernetzung, Stärkung und Zusammenarbeit.<br />

CONFERENCES<br />

Frauen mit HIV leben oftmals isoliert, haben nicht<br />

immer Kontakt zu anderen Betroffenen und tragen<br />

dazu noch oft die Verantwortung für Kinder und die<br />

Familie. Nicht für alle sind die Angebote der meist<br />

vorrangig an Männern ausgerichteten Aidshilfen<br />

nutzbar. Dabei haben Frauen, die mit HIV leben, einen<br />

besonderen Bedarf an Vernetzung und Stärkung.<br />

SHE ist ein europaweites Programm für Frauen<br />

mit HIV. Der Name ist ein Akronym und steht für<br />

„Strong, HIV positive, Empowered Women“. 2012<br />

startete das Programm in Deutschland und wird<br />

seit 2016 von der GSSG – Gemeinnützige Stiftung<br />

Sexualität und Gesundheit getragen.<br />

Das SHE-Konzept<br />

Das Programm nutzt hierzulande den in der<br />

Selbsthilfe bewährten Peer-to-Peer-Ansatz: Frauen<br />

mit HIV vermitteln anderen Frauen mit HIV ihr Wissen<br />

und bieten gegenseitige Unterstützung an −<br />

in kostenlosen und niedrigschwelligen Workshops,<br />

die in geschützten Räumen stattfinden, in denen<br />

die Frauen unter sich bleiben. Die Workshops werden<br />

bundesweit und stets in Kooperation mit HIV-<br />

Schwerpunktpraxen und -ambulanzen, Aidshilfen,<br />

Beratungsstellen oder Netzwerken für betroffene<br />

Frauen angeboten. Die Themen der Workshops orientieren<br />

sich am Bedarf der Teilnehmerinnen und<br />

betreffen Fragen, die die Frauen beschäftigen. Das<br />

reicht von der Therapie-Treue im Alltag über den<br />

Umgang mit Stigmatisierung im Gesundheitswesen<br />

bis zur Frage „Wie sag ich’s meinen Kindern?“.<br />

Zwölf Frauen, die offen mit HIV leben, wurden als<br />

SHE-Trainerinnen ausgebildet; aktive Trainerinnen<br />

werden fortlaufend qualifiziert und begleitet. Dazu<br />

nehmen sie mindestens einmal im Jahr an einer<br />

Train-the-Trainer-Fortbildung mit qualifizierten Referentinnen,<br />

unter ihnen auch HIV-Spezialistinnen, teil.<br />

Fachlich und beratend begleitet wird das Programm<br />

von der SHE-Faculty, die aus vier Frauen besteht.<br />

42


Die Workshops werden mit Flyern, durch persönliche<br />

Ansprache und in den sozialen Medien<br />

beworben. Deutschlands einziges Fachmagazin für<br />

Frauen und Sexualität, die DHIVA, berichtet regelmäßig<br />

über die Entwicklung von SHE. Das Projekt<br />

selbst wie auch seine wissenschaftliche Begleitung<br />

präsentieren sich bei (inter-)nationalen Fach-Veranstaltungen<br />

und -Kongressen.<br />

Mithilfe eines Fragebogens, den die Teilnehmerinnen<br />

am Ende des Workshops ausfüllen, werden<br />

die Workshops evaluiert. Für 2016, 2017 und<br />

das erste Halbjahr 2018 hat eine Sozialwissenschaftlerin<br />

das Programm ausgewertet:<br />

Zwölf SHE-Trainerinnen haben seit 2016 bundesweit<br />

insgesamt 63 SHE-Workshops geleitet<br />

und so über 300 Teilnehmerinnen (Stand: Januar<br />

<strong>2019</strong>) erreicht. Damit nahmen durchschnittlich<br />

fünf Frauen pro Workshop teil, mal zwei, mal zehn.<br />

Positives Feedback<br />

Der Evaluationsbericht 2017 bestätigt den positiven<br />

Einfluss von SHE auf die Teilnehmerinnen: Die<br />

große Mehrheit der Frauen gab an, sich durch die<br />

Teilnahme am Workshop in ihrem Umgang mit HIV<br />

gestärkt zu fühlen (97 % „ja“ und „eher ja“). Fast<br />

alle Teilnehmerinnen (94 %) sind zu den Workshops<br />

gekommen, weil sie sich dort mit anderen Frauen,<br />

die auch mit HIV leben, unter sich fühlen, sich in der<br />

vertrauensvollen Atmosphäre leichter öffnen können<br />

und über Themen sprechen konnten, über die sie<br />

sonst in ihrem Umfeld nicht sprechen können (90 %).<br />

Die SHE-Trainerinnen wirkten für die Teilnehmerinnen,<br />

in Bezug auf Themen zu HIV, erfahren<br />

und kompetent (97 % „ja“ und „eher ja“) und sorgten<br />

dafür, dass sich die Teilnehmerinnen während<br />

des SHE-Workshops wohl gefühlt haben (94 % „ja“<br />

und „eher ja“).<br />

Die Ergebnisse zeigen, dass sich sowohl die Teilnehmerinnen<br />

als auch die Trainerinnen „em powert“,<br />

Für den guten Zweck<br />

Nach einer Initialförderung des pharmazeutischen Unternehmens<br />

Bristol-Myers Squibb von 2013 bis 2017 erhält das Projekt inzwischen<br />

Unterstützung von ViiV, Gilead und anderen Förderern.<br />

Spenden sind erwünscht und notwendig.<br />

also gestärkt und selbstsicherer im Umgang mit<br />

HIV fühlten.<br />

SHE-Workshops sind eine Besonderheit unter<br />

den derzeitigen Angeboten für Frauen mit HIV<br />

in Deutschland. Drei Faktoren zeigen, was das<br />

SHE-Programm besonders und unterstützenswert<br />

macht:<br />

1. Peer-to-Peer: Hilfe zur Selbsthilfe für Frauen<br />

wirkt.<br />

2. Lokale KooperationspartnerInnen: Frauen werden<br />

auch außerhalb traditioneller Settings<br />

erreicht.<br />

3. Laufende Begleitung und Train-the-Trainer-<br />

Schulungen: Die Kompetenz des SHE-Teams ist<br />

gesichert.<br />

Quelle:<br />

1. Robert Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin 47/2018<br />

SHE-Programm c/o GSSG – Gemeinnützige Stiftung<br />

Sexualität und Gesundheit<br />

Jelena Gillich, Odenwaldstr. 72, 51105 Köln<br />

www.stiftung-gssg.org<br />

E-Mail: jelena.gillich@stiftung-gssg.org<br />

CONFERENCES<br />

43


„UNTER DER NACHWEISGRENZE“ IST ZU WENIG<br />

HIV-Therapieziele werden höher gesteckt<br />

Interview mit Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Bonn<br />

Bei der Definition von Therapiezielen ist sowohl in Studien als auch in der klinischen Praxis ein zunehmender<br />

Trend zu beobachten, neben der Wirksamkeit einer Behandlung die Pa tientenperspektive mehr zu<br />

berücksichtigen. Um individuelles Wohlbefinden und Ansprüche an die Lebensqualität besser zu erfassen,<br />

gewinnen Patient Reported Outcomes, sogenannte PROs in allen Bereich der Medizin an Bedeutung. Mit<br />

welchen Intentionen PROs bei HIV-Patienten verbunden sind, erläutert Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Leiter der<br />

Ambulanz für Infektiologie und Immunologie des Universitätsklinikums Bonn, im Interview.<br />

EDUCATION<br />

Die 90-90-90-Ziele sind in Deutschland zwar<br />

noch nicht gänzlich erreicht. Doch mittlerweile<br />

wird bereits verstärkt über 90-90-90-90 diskutiert.<br />

Worum geht es bei der vierten 90?<br />

Prof. Rockstroh: Die 90-90-90-Formel des UN<strong>AIDS</strong>-<br />

Projekts ist ja ein hehres Ziel, um die HIV-/<strong>AIDS</strong>-Epidemie<br />

zu begrenzen oder zu stoppen − immer unter<br />

der Vorstellung, dass alle Betroffenen ihre Diagnose<br />

kennen und behandelt werden und dass dann keine<br />

weitere Ansteckung mehr möglich ist. Aber es gibt<br />

auch kritische Stimmen, die sagen, die Laborwerte<br />

und alles objektiv Messbare, das sind sehr technische<br />

Begriffe und geben zu bedenken: Das Wohlbefinden<br />

lässt sich nicht nur an einem Laborwert beurteilen.<br />

Das hat dann einzelne Autoren dazu veranlasst zu<br />

sagen, wir brauchen eine vierte 90. Diese symbolisiert<br />

im Wesentlichen die Lebensqualität der HIV-Patienten,<br />

die dieser Therapie lebenslang ausgesetzt sind.<br />

Das macht natürlich Sinn, weil mittlerweile mehr als<br />

50 % der HIV-Patienten in Deutschland schon über<br />

50 Jahre alt sind und mit steigender Lebenserwartung<br />

und zunehmenden Komorbidi täten jetzt ganz andere<br />

Herausforderungen auf uns zukommen. Die (älteren)<br />

Menschen sind von anderen Begleiterkrankungen, die<br />

ein besonderes Management erfordern, betroffen. Das<br />

heißt, dass wir bei der Beschreibung des Therapieerfolges<br />

von den reinen Zahlen „unter der Nachweisgrenze“<br />

wegkommen und mehr danach schauen, ob<br />

die Therapie auch mit einer guten Lebensqualität einhergeht<br />

und wenn nicht, dann gegensteuern.<br />

Welche Aspekte der Lebensqualität sind für<br />

Pa tienten besonders wichtig?<br />

Prof. Rockstroh: Ganz wichtig für die Patienten ist<br />

das Altern mit HIV, nicht nur was die Jahre betrifft,<br />

sondern auch die Biologie und vor allem im sozialen<br />

Kontext. Da gibt es schon im Bereich des natürlichen<br />

Umgangs mit HIV Schwierigkeiten. Wenn man<br />

heute z. B. Patienten zu einem Zahnarzt schickt,<br />

kann es immer noch sein, dass der sich weigert,<br />

sie zu behandeln. Es gibt Vorbehalte und Unklarheiten<br />

bei HIV-Pa tienten in Bezug auf Infektiosität,<br />

Übertragungs wege etc., viel mehr als bei anderen<br />

Erkrankungen. Entstigmatisierung der HIV-Diagnose<br />

ist eine der ganz großen Herausforderungen.<br />

Und es bleiben die Herausforderungen bei der<br />

Behandlung älterer Patienten mit HIV. Durch die chronische<br />

Virusinfektion gibt es einen stärkeren Entzündungsprozess,<br />

so dass ein höheres Risiko für bestimmte<br />

Komorbiditäten besteht. Dann geht es darum, welche<br />

Untersuchungen muss man machen, wie verändere ich<br />

ggf. die Therapie. Wenn im Wartezim mer 50 Leute sitzen,<br />

ist man ja immer geneigt zu sagen, „Ihre Viruslast<br />

ist unter der Nachweisgrenze, alles gut, auf Wiedersehen.<br />

Und gehen Sie mit Ihren Herzbeschwerden zum<br />

Kardiologen.“ Aber weil der Patient die HIV-Infektion<br />

ja nicht jedem mitteilen will, ist das Aufsuchen eines<br />

anderen Facharztes oft nicht so einfach. Da wird der<br />

HIV-Behandler zunehmend in die Rolle gedrängt,<br />

eine Rundumbehandlung zu machen, d. h. er muss<br />

sich auch mit der Behandlung anderer Erkrankungen<br />

vertraut machen. Es ist allgemein bekannt, dass HIV-<br />

Infizierte ein höheres kardiovaskuläres Risiko haben<br />

als andere Pa tientenkol lektive. Prüft man dann, wie<br />

sind Choles terin oder LDL-Cholesterin eingestellt,<br />

dann ist fast die Hälfte der Patienten nicht gemäß<br />

44


den Vorgaben der kardiologischen Fachgesellschaft<br />

eingestellt. Da bestehen einfach noch große Lücken<br />

bei der Versorgung von Ko erkrankungen.<br />

Welche Rolle könnten sogenannte Patient Reported<br />

Outcomes (PROs) in diesem Kontext spielen?<br />

Prof. Rockstroh: Diese PROs sind Versuche ein<br />

neues Werkzeug einzuführen zur Erfassung von<br />

Lebensqualität im weitesten Sinne. Es sind validierte<br />

Fragebögen zu Schlafqualität, Stimmungen,<br />

Arbeitskraft usw. Denn es ist zwar super, wenn die<br />

Viruslast schnell optimal gesenkt wird, aber wenn<br />

jemand unter der Therapie jeden Tag müde und<br />

erschöpft ist und sich nur noch hinlegen möchte,<br />

dann ist das auf 30 oder 40 Jahre nicht machbar.<br />

Auch wenn das große Therapieziel „nicht nachweisbar“<br />

erreicht ist, muss es unser Ziel sein, dass<br />

der Patient sich frisch, munter und lebenslustig fühlt.<br />

Deswegen spielen solche Fragebögen eine wichtige<br />

Rolle. PROs werden vorrangig in Studien integriert,<br />

und weil heute fast alle Therapien unter die Nachweisgrenze<br />

führen, erlaubt das Pa tientenfeedback<br />

dann vielleicht anhand von Fragen nach der Lebensqualität<br />

noch einmal Unterschiede festzustellen<br />

zwischen verschiedenen Substanzen im Real Life Setting.<br />

Die Frage nach dem Wohlbefinden des Patienten<br />

findet in den Studien innerhalb des Studien zeitraums<br />

oft zu wenig Berücksichtigung.<br />

Prof. Dr. med. Jürgen Rockstroh<br />

juergen.rockstroh@ukbonn.de<br />

Was heißt „Der Patient im Fokus“ im Jahr <strong>2019</strong>?<br />

Prof. Rockstroh: Früher waren wir froh, wenn ein<br />

Medikament überhaupt wirkte, und mussten uns eher<br />

Sor gen machen, „unter der Nachweisgrenze sein“ zu<br />

er halten und möglichst Resistenzen zu verhindern. Um<br />

dieses Ziel zu erreichen, haben wir auch Nebenwirkungen<br />

eher in Kauf genommen. Jetzt haben wir den Luxus<br />

aus sehr vielen guten Optionen auswäh len zu können.<br />

Daher müssen wir uns nun darauf kon zentrieren, dem<br />

individuellen Patienten und sei nen Charakteristika<br />

gerecht zu werden und ihm eine dauerhafte erfolgreiche<br />

Therapie über 40 oder 50 Jahre zu ermöglichen. Es<br />

geht jetzt darum, die richtige Therapie für den einzelnen<br />

zu finden, also die Komorbiditäten, Medikamenteninteraktionen,<br />

He patitis-Koinfektion, Lebensstil und<br />

-gewohnheiten, Kinderwunsch, Schwangerschaft, all<br />

das mit zu berücksichtigen.<br />

… und was bedeutet das für die HIV-Medikation?<br />

Prof. Rockstroh: Es gibt aktuell noch enorm viele<br />

neue Entwicklungen. Was ich sehr anerkennenswert<br />

finde, dass sich Firmen bemühen, auch weiter neue<br />

Substanzen zu entwickeln, die entweder noch besser<br />

verträglich sind oder einen anderen Wirkmechanismus<br />

haben, sodass Patienten, die im Laufe der Therapien<br />

viele Resistenzen entwickelt haben, neue Therapieoptionen<br />

bekommen. Ob das monoklonale Antikörper<br />

sind, Attachment-Inhibitoren oder Capsid-Inhibitoren,<br />

das sind alles ganz neue therapeutische Ansätze. Das<br />

zweite ist, dass man versucht, im Sinne der Lebensqualität<br />

Patienten, die mit der täglichen Tablettenein<br />

nahme über Jahrzehnte Schwierigkeiten haben,<br />

Alternativen zu bieten. Zum Beispiel mit injizierbaren<br />

Therapien. Und es gibt jetzt ganz neu, momentan<br />

noch in Erprobung, eine Art Implantate. Der Patient<br />

bekommt unter die Haut ein kleines Device eingesetzt,<br />

das setzt regelmäßig Medikamente frei und man muss<br />

es nur noch alle sechs Monate nachladen.<br />

Herr Professor Rockstroh, connexi dankt Ihnen für<br />

dieses Gespräch.<br />

Die Fragen stellte Elke Klug.<br />

Mit freundlicher Unterstützung der Gilead Sciences GmbH.<br />

EDUCATION<br />

45


HEPATITIS C-THERAPIE FÜR EINSTEIGER UND FORTGESCHRITTENE<br />

Erklärtes Ziel ist die Heilung<br />

Silke Heldwein, Eva Wolf, München<br />

Die Therapie der <strong>Hepatitis</strong> C (HCV) ist in den letzten Jahren vergleichsweise einfach geworden, hat jedoch<br />

nichts an Aktualität und Relevanz verloren. Die HCV-Infektion ist eine globale Herausforderung und betrifft<br />

weltweit laut Schätzungen der WHO etwa 71 Millionen Menschen – ca. doppelt so viele Menschen wie<br />

mit HIV-Infektion [1, 2]. Eine Modellierung von Morbiditäts- und Mortalitätsdaten aus dem Jahr 2013<br />

unterstreicht die klinische Relevanz der viralen Hepatitiden mit einer hohen Krankheitsbelastung und ca.<br />

1,45 Mio. Todesfällen weltweit (meist aufgrund einer Zirrhose oder eines Leberkarzinoms) [3].<br />

CONFERENCES<br />

<strong>Hepatitis</strong> C in Deutschland<br />

Man schätzt, dass in Deutschland etwa 250.000<br />

Menschen mit einer chronischen HCV-Infektion<br />

leben, jedoch sind nur etwas mehr als die Hälfte<br />

der Betroffenen mit der Erkrankung diagnostiziert.<br />

Das bedeutet, dass viele Menschen, die mit einer<br />

HCV-Infektion leben, bislang nichts davon wissen,<br />

die sogenannte „Dunkelziffer“ [4, 5, 6].<br />

Das Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht jährlich<br />

für Deutschland weitgehend unveränderte Zahlen<br />

für erstdiagnostizierte HCV-Infektionen. Im Jahr<br />

2017 wurde mit 4.798 übermittelten Erstdiagnosen<br />

sogar ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr<br />

verzeichnet. Bemerkenswert ist, dass bei über 75 %<br />

der Betroffenen die Zuordnung zu klassischen Risikogruppen<br />

fehlt. Unter den etwa 25 % der Patienten mit<br />

Angaben zum wahrscheinlichen Übertragungsweg<br />

ist intravenöser Drogengebrauch mit 78 % führend,<br />

gefolgt von Erhalt kontaminierter Blutprodukte vor<br />

Einführung der HCV-Testung 1991 (9,3 %), homosexuellen<br />

Kontakten mit Männern (MSM) (7,1 %) und<br />

heterosexuellen Kontakten (4,6 %) [7].<br />

Die WHO hat sich seit 2016 offiziell zum Ziel<br />

gesetzt, die <strong>Hepatitis</strong> B- und C-Infektionen im Laufe<br />

des nächsten Jahrzehntes zu eliminieren. Zwingende<br />

Voraussetzung hierfür ist, die Diagnostik zu<br />

stärken und identifizierte Patienten konsequent zu<br />

behandeln. Auch in Deutschland wurde durch das<br />

Bundesministerium für Gesundheit im April 2016 ein<br />

nationales Konzept formuliert, die „BIS 2030“-Strategie<br />

zur Eindämmung von HIV, <strong>Hepatitis</strong> B und C<br />

46


HEPATITIS C-THERAPIE FÜR EINSTEIGER UND FORTGESCHRITTENE<br />

Tabelle 1: Derzeit in Deutschland verfügbare DAA-Kombinationstherapien [13]<br />

Kombinationspräparate<br />

Handelsname<br />

Hersteller<br />

GLE/PIB<br />

Maviret<br />

AbbVie<br />

Zulassung<br />

Genotypen<br />

1–6<br />

Tagesdosierung<br />

1x3 Tabl.<br />

à 100/40 mg<br />

mit einer<br />

Mahlzeit<br />

Wirkstoff<br />

Glecaprevir (GLE)<br />

NS3/4A-Proteasehemmer<br />

Pibrentasvir (PIB)<br />

NS5A-Hemmer<br />

und anderen sexuell übertragbaren Infektionen [8,<br />

9]. Die größte Hürde, die gesteckten Ziele zu erreichen,<br />

ist weiterhin die Identifikation Betroffener.<br />

LDV/SOF<br />

Harvoni<br />

Gilead Sciences<br />

1, 3*,<br />

4, 5, 6<br />

*in spez.<br />

Situationen<br />

1x1 Tabl.<br />

à 90/400 mg<br />

Ledipasvir (LDV)<br />

NS5A-Hemmer<br />

Sofosbuvir (SOF)<br />

NS5B-Polymerasehemmer<br />

Therapie der <strong>Hepatitis</strong> C<br />

Seit dem Jahr 2014 sind die modernen, direkt<br />

antiviral wirksamen Substanzen (DAA=direct acting<br />

antivirals) der zweiten Generation mit Heilungsraten<br />

von ≥95 % auf dem deutschen Markt verfügbar<br />

[10]. Diese Substanzen können alle oral und<br />

in der Regel ohne nennenswerte Nebenwirkungen<br />

eingesetzt werden. Einzige Voraussetzung ist eine<br />

chronische HCV-Infektion. Definitionsgemäß muss<br />

die Erkrankung mindestens sechs Monate bestehen.<br />

Hintergrund ist, dass – im Gegensatz zur chronischen<br />

HCV-Infektion – während der akuten Phase der Infektion<br />

mit einer spontanen Ausheilung in etwa 25 %,<br />

mit begleitender HIV-Infektion in etwa 20 % der Fälle<br />

zu rechnen ist. Erhöhte Leberwerte, Inflammation<br />

oder fortgeschrittene Fibrose sind keine notwendige<br />

Voraussetzung für die Therapie der HCV-Infektion.<br />

Erklärtes Ziel ist die Heilung, also eine „sustained<br />

virologic response“ (SVR), die zwölf Wochen nach<br />

Therapieende durch die Bestätigung eines negativen<br />

HCV-Virusnachweises festgestellt werden kann.<br />

Die DAA richten sich gegen drei bestimmte<br />

Zielbereiche im nicht strukturellen Anteil des<br />

viralen HCV-Genoms und greifen direkt in den<br />

Replikationszyklus des Virus ein: Inhibitoren der<br />

NS3/4A-Protease, des NS5A-Proteins und der<br />

NS5B-Polymerase. Die derzeit bei uns üblicherweise<br />

eingesetzten Medikamente sind Kombinationstherapeutika,<br />

die mindestens zwei oder sogar<br />

alle drei Zielstrukturen inhibieren (Tabelle 1).<br />

Die Therapiedauer beträgt in der Regel acht oder<br />

zwölf Wochen, selten kommen auch 16 oder sogar<br />

24 Wochen in Frage. Ribavirin findet nur noch in<br />

Ausnahmefällen Verwendung und wird routinemäßig<br />

kaum mehr eingesetzt.<br />

EBR/GZR<br />

Zepatier<br />

MSD Sharp &<br />

Dohme<br />

SOF/VEL<br />

Epclusa<br />

Gilead Sciences<br />

SOF/VEL/VOX<br />

Vosevi<br />

Gilead Sciences<br />

1, 4<br />

1–6<br />

1–6<br />

1x1 Tabl.<br />

à 50/100 mg<br />

1x1 Tabl.<br />

à 400/100 mg<br />

1x1 Tabl.<br />

à 400/100/100<br />

mg<br />

mit einer<br />

Mahlzeit<br />

Kriterien für die Therapieauswahl<br />

Die Auswahl der Kombinationspräparate richtet<br />

sich nach vorliegendem Genotyp (GT), etwaiger<br />

Vortherapie und Fibrosestadium. Im Fall einer Zirrhose<br />

muss zwischen einer kompensierten (Child A)<br />

bzw. einer dekompensierten Zirrhose (Child B<br />

und C) unterschieden werden. Präparate, die einen<br />

NS3/4A-Protease-Inhibitor beinhalten, sind in der<br />

dekompensierten Situation kontraindiziert. Auch<br />

die Nierenfunktion muss bei der Therapieauswahl<br />

berücksichtigt werden. Hierbei ist eine glomeruläre<br />

Filtrationsrate (GFR) von 30 ml/min der entscheidende<br />

Cut-off. Eine sofosbuvirbasierte Therapie<br />

(Bestandteil von Harvoni®, Epclusa®, Vosevi®) sollte<br />

gemäß Zulassung bei einer GFR


HEPATITIS C-THERAPIE FÜR EINSTEIGER UND FORTGESCHRITTENE<br />

Übersicht der DAA-Therapiemöglichkeiten bei Erst- oder Folgetherapie ohne und mit Zirrhose<br />

Tabelle 2: Therapienaive Patienten ohne Zirrhose [13]<br />

Regime<br />

Genotyp (GT)<br />

1 2 3 4 5/6<br />

Maviret 8 Wo 8 Wo 8 Wo 8 Wo 8 Wo<br />

Harvoni 12 (8) Wo – – 12 Wo 12 Wo<br />

Zepatier 12 Wo (16 Wo + RBV) – – 12 Wo (16 Wo + RBV) –<br />

Epclusa 12 Wo 12 Wo 12 Wo 12 Wo 12 Wo<br />

Vosevi 8 Wo 8 Wo 8 Wo 8 Wo 8 Wo<br />

Besonderheiten der Regime: Harvoni kann bei Genotyp (GT) 1 insbesondere bei Frauen und/oder einer HCV-Viruslast 800.000 IU/ml und/oder Vorliegen NS5A-Resistenz-assoziierter Varianten auf 16 Wochen<br />

mit Ribavirin verlängert werden, ebenso bei GT 4 ab einer HCV-Viruslast >800.000 IU/ml. Vosevi sollte gemäß bng-Empfehlung bei therapienaiven Patienten nicht<br />

eingesetzt werden.<br />

Bitte beachten Sie bei Benutzung der Übersicht immer auch die Fachinformation.<br />

Tabelle 3: Therapieerfahrene* Patienten ohne Zirrhose [13]<br />

Regime<br />

Genotyp (GT)<br />

1 2 3 4 5/6<br />

Maviret 8 Wo 8 Wo 16 Wo 8 Wo 8 Wo<br />

Harvoni 12 Wo – (24 Wo + RBV) 12 Wo –<br />

Zepatier 12 Wo (16 Wo + RBV) – – 12 Wo (16 Wo + RBV) –<br />

Epclusa 12 Wo 12 Wo 12 Wo 12 Wo 12 Wo<br />

Vosevi 8 (12) Wo 8 (12) Wo 8 (12) Wo 8 (12) Wo 8 (12) Wo<br />

*Therapieerfahren: Wichtige Unterscheidung zwischen einer Interferon- oder einer DAA-basierten Vortherapie +/- Ribavirin.<br />

Besonderheiten der Regime: Maviret ist für die Re-Therapie nach Interferon +/- Ribavirin +/- Sofosbuvir zugelassen, bei GT 3 muss auf 16 Wochen verlängert werden.<br />

Harvoni ist nur für die Re-Therapie nach interferonbasierter Vortherapie zugelassen. Zepatier ist für die Re-Therapie nach Interferon +/- Ribavirin +/- Boceprevir/<br />

Telaprevir/Simeprevir zugelassen. Gemäß DGVS-Leitlinie kann die Therapie mit Ribavirin kombiniert werden, die Therapiedauer ist ansonsten analog zur Situation bei<br />

therapienaiven Patienten. Epclusa kann nach Versagen eines NS5A-Inhibitor-haltigen Regimes eingesetzt werden, eine Therapieverlängerung auf 24 Wochen mit Ribavirin<br />

kann in Einzelfällen erwogen werden. Bei GT 3 kann die Therapie mit Ribavirin kombiniert werden (DGVS-Leitlinie/bng-Empfehlung). Die empfohlene Therapie nach<br />

DAA-basiertem Therapieversagen ist Vosevi für zwölf Wochen (bng-Empfehlung), bei interferonbasierter Vortherapie acht Wochen.<br />

Bitte beachten Sie bei Benutzung der Übersicht immer auch die Fachinformation.<br />

CONFERENCES<br />

Tabelle 4: Therapienaive und -erfahrene* Patienten mit Zirrhose [13]<br />

Regime<br />

Genotyp (GT)<br />

1 2 3 4 5/6<br />

Maviret 12 Wo # 12 Wo # 12/16 Wo 12 Wo # 12 Wo #<br />

Harvoni 12 (24) Wo (+ RBV) – (24 Wo + RBV) 12 (24) Wo (+ RBV) 12 (24) Wo (+ RBV)<br />

Zepatier 12 Wo (16 Wo + RBV) – – 12 Wo (16 Wo + RBV) –<br />

Epclusa 12 (24) Wo (+ RBV) 12 (24) Wo (+ RBV) 12 (24) Wo (+ RBV) 12 (24) Wo (+ RBV) 12 (24) Wo (+ RBV)<br />

Vosevi 12 Wo 12 Wo 12 (8) Wo 12 Wo 12 Wo<br />

*Therapieerfahren: Wichtige Unterscheidung zwischen einer Interferon- oder einer DAA-basierten Vortherapie +/- Ribavirin.<br />

Besonderheiten der Regime: Maviret ist zugelassen für die Re-Therapie nach Interferon +/- Ribavirin +/- Sofosbuvir. Beim therapieerfahrenen Patienten mit GT 3 muss<br />

auf 16 Wochen verlängert werden. Nicht empfohlen bei Leberzirrhose Child B, Kontraindikation bei Child C. Harvoni kann mit Ribavirin kombiniert werden, alternativ<br />

ist eine Verlängerung auf 24 Wochen möglich, insbesondere bei dekompensierter Zirrhose. Zepatier kann gemäß DGVS-Leitlinie auf 16 Wochen mit Ribavirin verlängert<br />

werden. Es besteht eine Kontraindikation bei Leberzirrhose Child B/C. Epclusa kann bei dekompensierter Zirrhose und/oder GT 3 mit Ribavirin kombiniert werden, gemäß<br />

DGVS-Leitlinie in Einzelfällen auch Gabe über 24 Wochen möglich. Vosevi sollte gemäß bng-Empfehlung nur zur Re-Therapie nach DAA-Versagen eingesetzt werden.<br />

Bei DAA-naiven Patienten mit GT 3 können gemäß Fachinformation acht Wochen erwogen werden. Es besteht eine Kontraindikation bei Leberzirrhose Child B/C.<br />

# <br />

Gemäß neuer Fachinformation Maviret, Stand Juli <strong>2019</strong>, ist eine Behandlungsdauer von acht Wochen möglich bei therapienaiven Patienten mit kompensierter Zirrhose<br />

mit GT 1, 2, 4, 5, 6<br />

Bitte beachten Sie bei Benutzung der Übersicht immer auch die Fachinformation.<br />

48


HEPATITIS C-THERAPIE FÜR EINSTEIGER UND FORTGESCHRITTENE<br />

Die verschiedenen Therapieszenarien (bei<br />

therapienaiven/-erfahrenen, ohne und mit<br />

Zirrhose ) sind in den Tabellen 2–4 jeweils als Übersicht<br />

unter Berücksichtigung der verschiedenen<br />

Genotypen analog dem KIS-HCV Drug Finder 2018<br />

dargestellt [13].<br />

Bei Erstellung der Therapieübersichten wurden<br />

die Fachinformationen sowie die Leitlinie der Deutschen<br />

Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs-<br />

und Stoffwechselkrankheiten (DGVS, Stand<br />

2018) und die Empfehlungen des Berufsverbandes<br />

Niedergelassener Gastroenterologen (bng, Stand<br />

09/2018) berücksichtigt [11, 12]. Vor Umsetzung<br />

einer HCV-Therapie sollte der behandelnde Arzt<br />

auf jeden Fall die Fachinformation der gewählten<br />

Therapie prüfen.<br />

Dr. med. Silke Heldwein<br />

she@jajaprax.de<br />

Literatur:<br />

1. World Health Organization (WHO). Global <strong>Hepatitis</strong><br />

Report 2017. Geneva: WHO; 2017.<br />

2. UN<strong>AIDS</strong>. Press Release July 2018. https://www.unaids.<br />

org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2018/july/miles-to-go.<br />

3. Stanaway JD et al. The global burden of viral hepatitis from<br />

1990 to 2013: findings from the Global Burden of Disease<br />

Study 2013. Lancet 2016; 388 (10049): 1081−1088.<br />

4. Poethko-Muller C et al. Die Seroepidemiologie der <strong>Hepatitis</strong><br />

A, B und C in Deutschland: Ergebnisse der Studie zur<br />

Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt,<br />

Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz.<br />

2013; 56 (5-6): 707−715.<br />

5. Bruggmann P et al. Historical epidemiology of hepatitis C<br />

virus (HCV) in selected countries. J Viral Hepat., 2014; 21<br />

Suppl 1: 5−33.<br />

6. Dore GJ et al. <strong>Hepatitis</strong> C disease burden and strategies to<br />

manage the burden (Guest Editors Mark Thursz, Gregory<br />

Dore and John Ward). J Viral Hepat., 2014; 21 Suppl 1: 1−4.<br />

7. RKI, Epidemiologisches Bulletin, 19. Juli 2018/Nr. 29.<br />

8. BMG. Strategie zur Eindämmung von HIV, <strong>Hepatitis</strong> B und C<br />

und anderen sexuell übertragbaren Infektionen. BIS 2030<br />

– Bedarfsorientiert Integriert Sektorübergreifend, 2016.<br />

9. RKI, Epidemiologisches Bulletin, 25. Juli 2016/Nr. 29.<br />

10. Pawlotsky JM et al. From non-A, non-B hepatitis to hepatitis<br />

C virus cure. J Hepatol. 2015; 62 (1 Suppl): S87−99.<br />

11. Sarrazin C et al. S3-Leitlinie Prophylaxe, Diagnostik und<br />

Therapie der <strong>Hepatitis</strong>-C-Virus (HCV)-Infektion. Z Gastroenterol<br />

2018; 56: 756–838.<br />

12. Buggisch P et al. Empfehlungen des bng zur Therapie der<br />

chronischen <strong>Hepatitis</strong> C, Update September 2018.<br />

13. Heldwein S, Berg T, Jäger H und Wolf E. KIS-HCV Drug<br />

Finder 2018. In Kooperation mit KIS (Kuratorium für<br />

Immunschwäche) e. V. und MUC Research GmbH, mit<br />

Unterstützung durch AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG.<br />

Dr. med. Silke Heldwein<br />

MVZ Karlsplatz<br />

Karlsplatz 8, 80335 München<br />

Dr. phil. (HTA) Eva Wolf, MPH, Dipl.-Phys.<br />

ewo@jajaprax.de<br />

CONFERENCES<br />

49


HEPATITIS B UND D<br />

Was gibt es Neues?<br />

Jörg Petersen, Hamburg<br />

<strong>Hepatitis</strong> B und mögliche neue – zeitlich begrenzte – Therapien dieser Virusinfektion mit dem Ziel einer<br />

funktionellen Heilung (HBsAg-Verlust) stellen derzeit einen wichtigen Teil der wissenschaftlichen Kommunikation<br />

auf den internationalen Leberkongressen dar. Nach wie vor bleibt die spannende Frage, ob aus<br />

einer bislang gut kontrollierbaren Erkrankung mittels Nukleosid(t)analoga (NUC) zukünftig eine heilbare<br />

Erkrankung durch zeitlich limitierte Verwendung neuer antiviraler oder immunmodulatorischer Substanzen<br />

werden könnte.<br />

CONFERENCES<br />

Erste Kombinationstherapien als Phase-II-Daten<br />

bei chronisch infizierten HBV-Patienten wurden<br />

auf dem Internationalen Leberkongress (ILC) im<br />

April <strong>2019</strong> präsentiert.<br />

Insgesamt gibt es ein großes Interesse der forschenden<br />

Unternehmen an der Entwicklung neuer<br />

Substanzen in der Indikation <strong>Hepatitis</strong> B, was auch<br />

an der Breite der dargestellten Studien abzulesen<br />

ist. Im Fall der <strong>Hepatitis</strong>-D-Koinfektion wurden auf<br />

dem ILC <strong>2019</strong> aussagefähige Kombinationsstudien<br />

teilweise erstmalig final präsentiert.<br />

<strong>Hepatitis</strong> B<br />

Mit den sehr sicheren NUCs gelingt es derzeit<br />

in den weitaus meisten Fällen, die Erkrankung im<br />

klinischen Alltag dauerhaft zu kontrollieren und<br />

dies mit einer einmaligen Tabletteneinnahme auch<br />

50


HEPATITIS B UND D<br />

weitgehend ohne Nebenwirkungen. Allerdings wissen<br />

wir inzwischen auch, dass eine sterilisierende<br />

Heilung, wie für die DAA-Therapie bei der <strong>Hepatitis</strong><br />

C derzeit postuliert, für <strong>Hepatitis</strong> B vermutlich<br />

nicht erreichbar sein wird.<br />

Andererseits wissen wir seit langem, dass eine antivirale<br />

Therapie mit PEG-IFN oder NUC sicher beendet<br />

werden kann, kommt es erst einmal zu einem Verlust<br />

des HBs-Antigens (mit oder ohne Serokonversion<br />

zu Anti-HBs-Antikörpern). Der HBsAg-Verlust unter<br />

NUC-Therapie ist insbesondere bei der Mehrheit der<br />

in Deutschland betreuten HBeAg-negativen Patienten<br />

aber nur sehr selten zu beobachten.<br />

Derzeit scheinen neue direkt antivirale Substanzen<br />

mehr im Trend der klinischen Entwicklung<br />

zu liegen als immunmodulatorische Substanzen.<br />

assembly modulators) ABI-H0731, in Phase IIa, auf<br />

dem ILC <strong>2019</strong> vorgestellt worden.<br />

CpAMs inhibieren verschiedene Aspekte der Nukleokapsidsynthese,<br />

indem defiziente Core-Aggregate<br />

(Typ 1) oder leere Kapside (Typ 2) gebildet<br />

werden. Von primärer Relevanz ist dabei die Interferenz<br />

mit der Kinetik zur Viruskapsidbildung bzw.<br />

die Inhibition der Enkapsidierung prägenomischer<br />

RNA sowie die Blockierung der viralen Replikation<br />

zu einem späten Zeitpunkt des viralen Lebenszyklus.<br />

An zweiter Stelle könnte für diese Substanzklasse<br />

aber auch die Hemmung der De-novo-Synthese von<br />

cccDNA stehen, vermutlich durch eine Interaktion<br />

der CpAM mit dem Capsid-disassembly-Prozess.<br />

Dies muss allerdings in Studien erst noch klar<br />

gezeigt werden. Zudem ist dazu vermutlich eine<br />

Neue DAA scheinen zurzeit mehr im Trend der klinischen<br />

Entwicklung zu liegen als immunmodulatorische Substanzen.<br />

Dies ist vermutlich den noch höheren Sicherheitsanforderungen<br />

immunmodulatorisch wirkender<br />

Agenzien im Sinne von „off-target-sites“ sowie<br />

komplexerer Wirkmechanismen geschuldet. Unterschiedliche<br />

Ansprechraten in verschiedenen Testsystemen<br />

in vitro und in Tiermodellen im Vergleich<br />

schließlich zur direkten Wirkung am Patienten<br />

komplizieren dieses Feld zusätzlich.<br />

Eine vielversprechende Option stellt die klinische<br />

Anwendung von Kombinationen verschiedener,<br />

bislang noch nicht gemeinsam erprobter Wirkstoffklassen<br />

zur langfristigen Kontrolle der chronischen<br />

<strong>Hepatitis</strong> B mit HBsAg-Verlust dar. Erstmals<br />

sind Interimsdaten von oral verabreichten NUCs<br />

in Kombination mit einem CpAM (capsid protein<br />

höhere Konzentration an Wirksubstanz notwendig.<br />

Lalezari J et al. (Abstract LBO-06, ILC <strong>2019</strong>)<br />

demonstrierten eine deutlich stärkere Suppression<br />

der Virusreplikation durch die Kombination im Vergleich<br />

zur NUC-Monotherapie. Inwieweit dieser<br />

Effekt zu einer Unterdrückung der cccDNA-Synthese<br />

führen bzw. eine immunologische Reaktion<br />

mit stärkerer Erkennung von Restvirusbestandteilen<br />

evozieren kann, bleibt abzuwarten. Bislang<br />

konnte kein HBsAg Verlust gezeigt werden.<br />

Eine zweite interessante Substanzklasse bilden<br />

die Interferenz-RNA-Moleküle der zweiten Generation<br />

(siRNA). Mit diesen Substanzen werden die<br />

viralen Antigene in der Produktion gehemmt und<br />

die virale DNA und RNA inhibiert. siRNA haben<br />

CONFERENCES<br />

51


HEPATITIS B UND D<br />

HBs-Ag<br />

Prä-S-Trunkierung<br />

NTCP-R<br />

Entry-Inhibitoren<br />

ENTRY<br />

Sphärisches und<br />

filamentäres<br />

HBs-Ag<br />

Inhibition<br />

der HBsA-<br />

Freisetzung<br />

Zytoplasma<br />

Uncoating<br />

Reifes<br />

<strong>Hepatitis</strong>-<br />

B-Virion<br />

Zellkern<br />

Virale<br />

Integration<br />

Angriffspunkt: cccDNA<br />

– präklinisches Stadium<br />

cccDNA<br />

Nukleärer<br />

Transport<br />

RNA-Interferenz<br />

(siRNA)<br />

Pre-S1 mRNA<br />

Pre-S2/S mRNA<br />

Precore-mRNA<br />

Prä-genomische mRNA<br />

Mini-Chromosom<br />

Golgi-Apparat<br />

Endoplasmatisches Retikulum<br />

Core-Enzyme +<br />

Polymerase<br />

Intrazellulärer<br />

Recycling-Pfad<br />

X<br />

c-IAPs<br />

X<br />

HBs-AG-<br />

Proteine<br />

L, M, S<br />

Reverse<br />

Transkription<br />

Immatures<br />

Nucleokapsid<br />

Modulatoren des<br />

Kapsid-Assembly<br />

relaxierte<br />

zirkuläre<br />

DNA<br />

Abbildung 1: Ziele aktueller und zukünftiger direkt antiviraler HBV-Therapien (modifiziert nach [1, 2]).<br />

CONFERENCES<br />

in letzter Zeit eine Weiterentwicklung von einer<br />

anfänglichen i. v. Applikation mit höherem Toxizitätspotenzial<br />

zu einer subkutanen Applikation mit<br />

verbesserter Wirkspezifität für Hepatozyten (mittels<br />

GalNac-Technologie und Interaktion mit dem<br />

Asiakoglykoproteinrezeptor) erfahren (Yuen MF et<br />

al. Abstract PS-080, ILC <strong>2019</strong>).<br />

<strong>Hepatitis</strong>-D-Koinfektion<br />

Für die Koinfektion mit <strong>Hepatitis</strong> D schließlich<br />

wurden in Wien die finalen Daten der Phase-II-<br />

Studie zum Entry-Inhibitor Myrcludex B in Kombination<br />

mit PEG-IFN vorgestellt (Wedemeyer H<br />

et al. Abstract GS-13, ILC<strong>2019</strong>). In Ermangelung<br />

52


HEPATITIS B UND D<br />

einer Alternative für koinfizierte HBV-HDV-Patienten<br />

mit häufig bereits fortgeschrittener Lebererkrankung<br />

und hohem Karzinomrisiko sollten diese<br />

Studien mit einer vermutlich langfristig subkutan<br />

applizierbaren Substanz unbedingt weiterverfolgt<br />

werden. Für Myrcludex wurde aufgrund der guten<br />

Verträglichkeit jetzt erstmals eine Dauertherapie<br />

bei Leberzirrhosepatienten diskutiert, um das Progressionsrisiko<br />

zur klinischen Dekompensation und<br />

zum hepatozellulären Karzinom zu reduzieren. In<br />

der Kombination mit PEG-IFN könnte es bei einzelnen<br />

Patienten zur Heilung von der HDV-Infektion<br />

kommen. Ergänzend hierzu wurden End-of-treatment-Daten<br />

zu Interferon Lambda gezeigt, einem<br />

gegenüber Interferon alpha möglicherweise besser<br />

verträglichen Interferon (Etzion O et al. Abstract<br />

PS-052). Leider fehlte in der präsentierten Studie<br />

ein direkter IFN-alpha-Vergleichsarm für ein aussagekräftiges<br />

Ergebnis.<br />

Ausblick<br />

Interessant wird in den nächsten Jahren sein,<br />

ob ein additiver oder synergistischer Erfolg dieser<br />

neuen Substanzen in der Kombinationstherapie<br />

erreicht werden kann. Hier erscheint die Etablierung<br />

neuer, nicht invasiver Biomarker im Serum<br />

als Marker für die transkriptionelle Aktivität der<br />

cccDNA notwendig; mit Serum-RNA/pgRNA und<br />

dem HBcrAg sind zwei nicht invasive Marker in<br />

den Fokus gerückt, die zuvor nicht viel Beachtung<br />

fanden, mit derzeitigen Vorteilen für die RNA-Messung<br />

(oder pgRNA).<br />

Die langfristige Sicherheit in der Anwendung<br />

neuer Substanzen am Patienten wird vermutlich<br />

noch vor der Wirksamkeit in den nächsten Jahren<br />

die entscheidende Rolle spielen, bevor einige<br />

dieser Substanzen für den Einsatz bei chronischer<br />

<strong>Hepatitis</strong> B in Betracht gezogen werden können.<br />

Dies ist der hohen bisherigen Langzeitsicherheit<br />

Prof. Dr. med. Jörg Petersen<br />

petersen@ifi-medizin.de<br />

der NUC-Therapie geschuldet. Weiterhin zielen die<br />

allermeisten direkt antiviralen Substanzen auf ein<br />

konsekutives „Anspringen“ immunologischer Reaktionen<br />

nach Reduktion viraler Partikel (DNA und<br />

virale Antigene), die im Einzelnen aber noch viel<br />

genauer charakterisiert und auch gesteuert werden<br />

muss.<br />

Referenz<br />

1. Chan HL, Thompson A et al. J Hepatol 2011;55:1121−1131.<br />

2. Petersen J et al. J Hepatol 2016;65:835–848.<br />

Prof. Dr. Jörg Petersen<br />

IFI Institut für Interdisziplinäre Medizin an der Asklepios<br />

Klinik St. Georg Haus L<br />

Lohmühlenstr. 5, 20099 Hamburg<br />

CONFERENCES<br />

53


STI IN ZEITEN VON PrEP<br />

Aktuelle Daten aus der<br />

MSM-Screening-Studie<br />

Klaus Jansen, Gyde Steffen, Berlin<br />

Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), sind häufiger mit der Diagnose einer sexuell übertragbaren<br />

Erkrankung (STI) konfrontiert als andere Populationen. Zur Verhinderung einer Verbreitung sind eine frühe<br />

Diagnose und adäquate Therapie erforderlich. Um für die Ausgestaltung von Angeboten in der STI-Versorgung<br />

von MSM eine gute Evidenzlage zu schaffen, führte das RKI im Jahr 2018 die MSM-Screening-Studie<br />

durch. Wir stellen aktuelle Daten vor.<br />

CONFERENCES<br />

Hintergrund und Ziele der<br />

MSM-Screening-Studie<br />

Männer, die Sex mit Männern haben (MSM),<br />

sind oftmals überproportional von sexuell übertragbaren<br />

Infektionen (STI) wie z. B. Chlamydien,<br />

Gonokokken, Syphilis oder HIV betroffen [1−3]. STI<br />

können chronifizieren und zu zum Teil schwerwiegenden<br />

Folgeerkrankungen führen. Asymptomatische<br />

STI können zu einer verzögerten Diagnose und<br />

Behandlung führen und damit zu einer Erhöhung<br />

der Krankheitslast. Extragenitale STI bei MSM sind<br />

häufig [2] und tragen zu einer weiteren Verbreitung<br />

bei, wenn sie nicht diagnostiziert und behandelt<br />

werden. Bei HIV-positiven MSM wurden bisher<br />

oftmals höhere STI-Prävalenzen festgestellt als bei<br />

HIV-negativen MSM [4].<br />

Leitlinien sehen eine regelmäßige, risikoadaptierte<br />

STI-Testung auch für MSM vor [5]. Die Kosten<br />

hierfür werden aber nicht von den Krankenkassen<br />

übernommen, soweit keine Symptome oder ein sehr<br />

konkreter Verdacht auf eine STI vorliegen, und stellen<br />

Behandlerinnen und Behandler damit vor große<br />

Herausforderungen in Bezug auf deren Budget.<br />

54


STI IN ZEITEN VON PrEP<br />

Passgenaue Angebote senken die<br />

Krankheitslast<br />

Gründe für bei MSM häufiger gestellte STI-<br />

Diagnosen sind auf epidemiologischer Ebene eine<br />

erhöhte Prävalenz von STI in dieser Gruppe und<br />

damit auch ein höheres Risiko, bei Sexualkontakten<br />

mit einer STI infiziert zu werden. Auf individueller<br />

Ebene werden bei Untergruppen von MSM höhere<br />

Partnerzahlen und ein risikoreicheres Sexualverhalten<br />

berichtet − beides ebenfalls bekannte<br />

Faktoren, die das Risiko für den Erwerb einer STI<br />

erhöhen. Ein auf möglichst hohe Effektivität seiner<br />

Maßnahmen ausgerichteter Public Health-Ansatz<br />

sollte für die Ausgestaltung guter Angebote zur<br />

Prävention, Diagnostik und Behandlung von STI<br />

bei MSM (und generell) lebensstilakzeptierend sein<br />

und Angebote auf Grundlage einer risikoadaptierten<br />

Sexualanamnese machen. Durch ein solches<br />

Vorgehen können passgenaue und möglichst niedrigschwellige<br />

Angebote gemacht werden, die in<br />

der Folge zu einer möglichst starken Reduzierung<br />

der Krankheitslast auf individueller wie kollektiver<br />

Ebene führen.<br />

Engmaschiger testen?<br />

Im Jahr 2016 wurde auch in Deutschland die<br />

Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gegen HIV zugelassen,<br />

die ein zusätzliches und nach Studienlage<br />

effektives weiteres Präventionsinstrument gegen<br />

HIV darstellt. Obwohl in der Zulassung der regelmäßige<br />

Gebrauch von Kondomen bei Anwendung<br />

der PrEP empfohlen wird, ist davon auszugehen,<br />

dass ein häufiger Grund zur Anwendung der PrEP<br />

unter anderen auch der Verzicht auf Kondome bei<br />

gleichzeitigem Schutz gegen eine HIV-Infektion ist.<br />

Seit Einführung der PrEP wird diskutiert, ob deren<br />

Anwendung durch häufigeren Kondomverzicht und<br />

einer Steigerung risikoreicheren sexuellen Verhaltens<br />

zu einem Anstieg anderer STI wie Chlamydien,<br />

Gonokokken, Syphilis u.a. führt. Als Argument<br />

Dr. phil. Klaus Jansen<br />

JansenK@rki.de<br />

gegen einen dauerhaften Anstieg solcher STI bei<br />

PrEP-Anwendern wird die dann empfohlene regelmäßige<br />

und recht engmaschige Testung auf das<br />

Vorliegen zumindest einiger STI diskutiert, die zu<br />

einer rascheren Diagnose und Behandlung von STI<br />

und damit mittel- und langfristig zu einer Verminderung<br />

der Prävalenz führen können. Die Deutsch-<br />

Österreichischen Leitlinien sehen augenblicklich<br />

eine Untersuchung auf Syphilis alle drei Monate,<br />

auf Chlamydien und Gonokokken an drei Lokalisationen<br />

alle 3−6 Monate vor [6].<br />

Ziele der Screening-Studie<br />

Um für die Ausgestaltung von Angeboten in der<br />

STI-Versorgung von MSM eine gute Evidenzlage zu<br />

schaffen, führte das RKI im Jahr 2018 die MSM-<br />

Screening-Studie durch, um die aktuelle Prävalenz<br />

von Chlamydia trachomatis, Mycoplasma genitalium,<br />

Neisseria gonorrhoeae und Trichomonas<br />

vaginalis bei MSM in Deutschland sowie damit<br />

zusammenhängende Risikofaktoren zu bestimmen<br />

und damit geeignete Interventionen planen<br />

zu können. Hierbei standen die PrEP und die sys-<br />

CONFERENCES<br />

55


STI IN ZEITEN VON PrEP<br />

CONFERENCES<br />

tematische getrennte Analyse der verschiedenen<br />

STI-relevanten Lokalisationen (Genital, Pharynx,<br />

Rektum) besonders im Fokus.<br />

Methodisches Vorgehen<br />

Die MSM-Screening-Studie ist eine deutschlandweite,<br />

multizentrische Querschnittstudie,<br />

die in Zusammenarbeit mit 13 infektiologischen<br />

Schwerpunktpraxen mit MSM-freundlichem<br />

Angebot durchgeführt wurde (Abbildung 1). Eingeschlossen<br />

wurden HIV-positive und HIV-negative<br />

Männer, die sich als MSM definierten, mindestens<br />

18 Jahre alt waren, deren HIV-Status bekannt<br />

war und die in den zurückliegenden zwei Wochen<br />

keine Antibiose erhalten hatten. Die Zentren wurden<br />

gebeten, jeden in der Sprechstunde vorstellig<br />

Abbildung 1: Studienzentren der MSM-Screening-Studie.<br />

werdenden MSM unabhängig von dessen Risikoprofil<br />

um eine Studienteilnahme zu bitten. HIVpositive<br />

MSM wurden überrekrutiert, damit eine<br />

ausreichende statistische Power zur Berechnung<br />

der STI-Prävalenz getrennt für HIV-positive wie<br />

HIV-negative MSM gewährleistet wurde.<br />

Die beteiligten Zentren führten ein Screening auf<br />

Chlamydia trachomatis, Mycoplasma genitalium,<br />

Neisseria gonorrhoeae und Trichomonas vaginalis<br />

durch. Die Auswahl der vier Erreger erfolgte vor<br />

dem Hintergrund deren vermuteter epidemiologischer<br />

Relevanz sowie einer möglichst gut in den<br />

Zentren umzusetzenden Logistik auf Basis von<br />

selbstentnommenen Abstrichen (Pharynx und<br />

Rektum) und Urin 1 . Für die Studie wurden eigens<br />

laiengerechte, bildbasierte Selbstentnahmeanleitungen<br />

entwickelt. Die Studienteilnehmer entnahmen<br />

sich Abstriche aus Pharynx und Rektum und<br />

gaben Urin ab, die Proben wurden nicht gepoolt.<br />

Zur Diagnostik wurden PCR-basierte APTIMA® STI-<br />

Assays verwendet. Die Diagnostik wurde im Konsiliarlabor<br />

für Syphilis, Labor Krone, Bad Salzuflen,<br />

durchgeführt. Mit einem Fragebogen wurden von<br />

den Studienteilnehmern Informationen zu Soziodemografie,<br />

zu einer evtl. HIV-Infektion, zu klinischen<br />

Symptomen, zu sexuellem Verhalten der<br />

letzten sechs Monate, zu Substanzgebrauch und<br />

zum PrEP-Gebrauch erhoben.<br />

Für die Analyse bildeten wir drei Personengruppen<br />

auf Grundlage des HIV-Status und des PrEP-<br />

Gebrauchs der Studienteilnehmer (HIV-positive<br />

MSM, HIV-negative MSM mit PrEP-Gebrauch und<br />

HIV-negative MSM ohne PrEP-Gebrauch). Zur Ana-<br />

1<br />

Da Trichomonas vaginalis zeitgleich aus dem gleichen Probenmaterial<br />

auf der gleichen Plattform mitbestimmt werden<br />

konnte, wurde dieser Erreger in die Analysen mit aufgenommen,<br />

obwohl nur eine geringe Prävalenz bei MSM angenommen<br />

wurde. Auf die Abnahme von Blut wurde aus logistischen<br />

Gründen verzichtet, daher konnte der serologische Status zu<br />

Syphilis, <strong>Hepatitis</strong> B und C nicht bestimmt werden.<br />

56


STI IN ZEITEN VON PrEP<br />

lyse von Risikofaktoren für den Erwerb einer STI<br />

berechneten wir multivariate logistische Regressionsmodelle<br />

(mit Odds Ratios (OR) und 95 %-Konfidenzintervallen<br />

(95 %-KI)).<br />

Studienpopulation<br />

Zwischen dem 20.2.2018 und dem 2.7.2018 wurden<br />

2.303 MSM eingeschlossen. Hiervon waren<br />

50,5 % HIV-positiv, das mediane Alter lag bei<br />

39 Jahren (Spanne: 18−71). Die mediane Anzahl<br />

von Sexpartnern in den letzten sechs Monaten<br />

betrug fünf (Spanne 0−820). 71,7 % der Studienteilnehmer<br />

berichteten von kondomlosem Analverkehr<br />

(aktiv und/oder passiv) in den letzten sechs<br />

Monaten, 43,0 % gaben an, vor und/oder während<br />

des letzten Sexkontakts sogenannte Partydrogen<br />

(Chrystal, Speed, Kokain, Ecstasy, Badesalze/Spice,<br />

GBL/GHB) genutzt zu haben. 27,6 % der HIV-negativen<br />

MSM nutzten eine HIV-PrEP.<br />

78,9 % der Studienteilnehmer gaben an, bereits<br />

früher eine STI gehabt zu haben, 32,1 % der in der<br />

Studie STI-positiv getesteten Teilnehmer berichteten<br />

von STI-spezifischen Symptomen im Vorfeld<br />

der in der Studie diagnostizierten STI.<br />

Ergebnisse<br />

Mindestens eine der gemessenen STI wurde<br />

bei 30,1 % der Studienpopulation diagnostiziert.<br />

Mycoplasmen wurden bei 17,0 % aller Teilnehmer<br />

diagnostiziert, gefolgt von Chlamydien mit 9,9 %<br />

und Gonokokken mit 8,9 % (Abbildung 2). Trichomonaden<br />

wurden insgesamt nur bei zwei Teilnehmern<br />

diagnostiziert. Infektionen mit Chlamydien,<br />

Gonokokken und Mycoplasmen wurden am häufigsten<br />

rektal diagnostiziert, bei Chlamydien und<br />

Mycoplasmen gefolgt von urogenitalen Infektionen,<br />

bei Gonokokken gab es auch einen höheren<br />

Anteil pharyngealer Infektionen (Abbildung 2).<br />

Bei 16,7 % der STI-positiv getesteten Studienteilnehmer<br />

wurde eine Koinfektion mit mehreren<br />

Erregern diagnostiziert. Im Einzelnen waren dies<br />

4,6 % mit einer Koinfektion mit Chlamydien und<br />

Gonokokken, 6,1 % mit Chlamydien und Mykoplasmen,<br />

4,0 % mit Gonokokken und Mykoplasmen und<br />

weitere 2,0 % mit allen drei Erregern.<br />

20 %<br />

15 %<br />

10 %<br />

5 %<br />

0 %<br />

10<br />

1<br />

8<br />

2<br />

Bei 11,1 % der STI-positiv getesteten Studienteilnehmer<br />

wurde ausschließlich pharyngeal eine<br />

STI diagnostiziert, bei 13,7 % ausschließlich urogenital,<br />

bei 50,7 % ausschließlich rektal sowie bei<br />

24,5 % an mehreren Lokalisationen.<br />

Bei insgesamt 32,1 % aller Diagnosen berichteten<br />

die positiv getesteten Teilnehmer von STI-bezogenen<br />

Symptomen, 33,5 % bei pharyngealer Lokalisation,<br />

31,8 % bei einer rektaler Lokalisation und<br />

44,6 % bei einer urogenitaler Lokalisation der STI.<br />

Die Gesamt-STI-Prävalenz unterschied sich so<br />

gut wie nicht zwischen HIV-negativen und HIVpositiven<br />

MSM (30,7 % vs. 29,4 %). Dies galt auch<br />

bei einzelner Betrachtung von Chlamydien (10,1 %<br />

vs. 9,6 %) und Gonokokken (8,6 % vs. 9,2 %), bei<br />

Mycoplasmen wiesen HIV-negative MSM eine<br />

etwas erhöhte Prävalenz auf (18,4 % vs. 15,5 %).<br />

9<br />

5<br />

Chlamydien Gonokokken Mykoplasmen<br />

gesamt pharyngeal rektal urogenital<br />

6<br />

1<br />

Abbildung 2: STI-Prävalenz, nach Erreger und Lokalisation.<br />

17<br />

3<br />

12<br />

5<br />

CONFERENCES<br />

57


STI IN ZEITEN VON PrEP<br />

50 %<br />

40 %<br />

30 %<br />

20 %<br />

10 %<br />

0 %<br />

40 %<br />

30 %<br />

20 %<br />

10 %<br />

0 %<br />

40<br />

29<br />

25<br />

19<br />

16<br />

15<br />

14<br />

14<br />

10<br />

9<br />

7 7<br />

gesamt Chlamydien Gonokokken Mykoplasmen<br />

HIV + HIV-/Prep- HIV-/Prep+<br />

Abbildung 3: STI-Prävalenz, nach HIV/PrEP-Status und Erreger.<br />

30<br />

21<br />

16<br />

13<br />

10<br />

8 8<br />

8 7<br />

pharyngeal rektal urogenital<br />

HIV + HIV-/Prep- HIV-/Prep+<br />

Abbildung 4: STI-Prävalenz, nach HIV/PrEP-Status und Lokalisation.<br />

Bedeutung der Ergebnisse der MSM-<br />

Screening-Studie<br />

Im Rahmen der MSM-Screening-Studie wurden<br />

insgesamt hohe STI-Prävalenzen bei MSM gefunden.<br />

Mit ca. zwei Dritteln war ein hoher Anteil der<br />

STI-positiven MSM symptomlos. Für die Studie<br />

wurden infektiologische Zentren mit MSM-freundlichem<br />

Angebot ausgewählt, die für MSM in diesen<br />

Städten oftmals auch eine Art Hausarzt-Funktion<br />

übernehmen. MSM suchen diese Praxen daher<br />

nicht nur wegen HIV/STI-bezogener Anliegen auf.<br />

Durch die Rekrutierung möglichst aller MSM, die<br />

im Studienzeitraum die Praxen aufsuchten, wurde<br />

versucht, nicht nur MSM mit einem hohen Risikoprofil<br />

für STI in die Studie einzuschließen und<br />

damit durch die MSM-Screening-Studie ein möglichst<br />

breites epidemiologisches Bild für MSM in<br />

Deutschland abzubilden.<br />

Die Praxen berichteten nach Durchführung der<br />

Studien, nicht verstärkt MSM mit einem erhöhten<br />

STI-Risiko eingeschlossen zu haben, um für diese<br />

eine kostenlose Diagnostik im Rahmen der Studie<br />

abdecken zu können. Auch wenn solche Rekrutierungseffekte<br />

hin zu Personen mit einem erhöhten<br />

Risikoprofil nicht gänzlich ausgeschlossen werden<br />

können, zeigte die MSM-Screening-Studie für<br />

MSM in deutschen Großstädten generell hohe STI-<br />

Prävalenzen, insbesondere für Mycoplasmen.<br />

CONFERENCES<br />

Stratifizierte man die HIV-negativen MSM nach<br />

PrEP-Gebrauch, traten deutliche Unterschiede zwischen<br />

den drei Gruppen zutage. Die HIV-negativen<br />

MSM mit PrEP-Gebrauch wiesen nun mit 40,2 %<br />

die mit Abstand höchste Gesamt-STI-Prävalenz auf,<br />

gefolgt von HIV-positiven MSM mit 29,4 % und HIVnegativen<br />

MSM ohne PrEP-Gebrauch mit 25,0 %<br />

(Abbildung 3). Diese Verteilung ergab sich auch bei<br />

Analyse der einzelnen STI (Abbildung 3) sowie der<br />

verschiedenen Lokalisationen (Abbildung 4).<br />

Kombination des HIV-Status mit dem<br />

PrEP-Gebrauch relevant<br />

Die STI-Prävalenzen unterschieden sich, anders als<br />

in früheren Studien, nicht zwischen HIV-positiven<br />

und HIV-negativen MSM, relevant war hier vielmehr<br />

die Kombination des HIV-Status mit dem PrEP-<br />

Gebrauch. HIV-negative MSM mit PrEP-Gebrauch<br />

wiesen die mit Abstand höchsten STI-Prävalenzen<br />

für alle gemessenen STI auf. Die Studie zeigte, dass<br />

die höheren Prävalenzen in dieser Gruppe gegen-<br />

58


STI IN ZEITEN VON PrEP<br />

über HIV-positiven MSM zumindest zum Teil durch<br />

Unterschiede in STI-relevantem sexuellen Risikoverhalten<br />

begründet waren. Von HIV-negativen<br />

MSM mit PrEP-Gebrauch wurden am häufigsten<br />

verschiedene Sexualpraktiken berichtet, die in der<br />

multivariaten Analyse unabhängig voneinander mit<br />

einem erhöhten STI-Risiko einhergingen.<br />

HIV-negative MSM mit<br />

PrEP-Gebrauch wiesen<br />

die mit Abstand höchsten<br />

STI-Prävalenzen für alle<br />

gemessenen STI auf.<br />

PrEP-Gebrauch wichtige Indikation für<br />

STI-Testung<br />

Die Studie zeigt, dass PrEP-Gebrauch eine sehr<br />

wichtige Indikation für eine angemessene STI-<br />

Testung darstellt. Dabei ist die Kostenerstattung<br />

der STI-Testung durch die Krankenkassen ein<br />

überaus wichtiger Faktor zur Umsetzung effektiver<br />

Screening-Maßnahmen. Eine privat durch die<br />

PrEP-Gebraucher zu bezahlende STI-Testung stellt<br />

in der Realität sicher keine aus Public Health-Sicht<br />

befriedigende Test-Abdeckung sicher. Hier wird<br />

eine geeignete Umsetzung der STI-Testung auf<br />

Grundlage des im Herbst <strong>2019</strong> in Kraft tretenden<br />

„Terminservice- und Versorgungsgesetzes“ [10]<br />

eine entscheidende Rolle spielen. Eine adäquate<br />

STI-Testung stellt im Rahmen der PrEP die zentrale<br />

Grundlage für eine möglichst frühe und damit<br />

effektive Diagnose und Behandlung von STI für<br />

PrEP-Gebraucher dar und damit ein wichtiges<br />

Instrument zur Vermeidung ansteigender STI-Prävalenzen.<br />

Die Beratung von PrEP-Usern sollte vor<br />

dem Hintergrund der Studienergebnisse dabei insbesondere<br />

die Benutzung von Kondomen als wichtige<br />

Möglichkeit zur Vermeidung von STI sowie den<br />

Gebrauch von Party-Drogen adressieren.<br />

Die in der MSM-Screening-Studie gefundenen<br />

STI-Prävalenzen zeigen zudem, dass eine Risikoadaptierte<br />

STI-Testung auch wichtig für HIV-negative<br />

MSM ohne PrEP-Gebrauch sowie HIV-positive<br />

MSM ist. Eine zentrale Grundlage für eine Testung<br />

ist dabei eine ausführliche Sexual-Anamnese, mit<br />

deren Hilfe Risikofaktoren identifiziert und die<br />

Notwendigkeit und Häufigkeit einer STI-Testung<br />

individuell festgelegt werden können.<br />

Die Studienergebnisse zeigen ebenfalls, dass<br />

eine allein urogenitale STI-Diagnostik den größeren<br />

Teil der Infektionen nicht erkennen würde,<br />

insbesondere bei Vorliegen asymptomatischer<br />

Infektionen.<br />

Debatte über Behandlungs bedürftigkeit<br />

von Infektionen<br />

Aktuell findet vor dem Hintergrund von zum<br />

Teil recht hohen STI-Prävalenzen und -Inzidenzen<br />

vor allem bei PrEP-Nutzern eine Debatte über die<br />

Behandlungsbedürftigkeit der gefundenen Infektionen<br />

statt, insbesondere zu Mycoplasma genitalium<br />

[7−9]. Die Behandlung symptomatischer<br />

Infektionen steht dabei außer Frage, es wird allerdings<br />

diskutiert, ob der Nutzen oder der Schaden<br />

bei Behandlung aller asymptomatischer Infektionen<br />

überwiegen, besonders wenn diese pharyngeal<br />

lokalisiert sind. Ein Argument für eine Behandlung<br />

aller gefundenen asymptomatischen Infektionen<br />

ist die Vermeidung von Folgeschäden für den einzelnen<br />

Patienten. Zudem könnten damit vorhandene<br />

Erreger reservoire effektiver beseitigt werden,<br />

wodurch die kumulative Erregerlast in der Zielgruppe<br />

und damit die Infektionswahrscheinlichkeit<br />

insgesamt gesenkt würde. Auch die Vermeidung der<br />

Entstehung von Antibiotika-Resistenzen durch eine<br />

möglichst umfassende Therapie wird als Argument<br />

CONFERENCES<br />

59


STI IN ZEITEN VON PrEP<br />

CONFERENCES<br />

genannt, insbesondere für Infektionen mit Neisseria<br />

gonorrhoeae und Mycoplasma genitalium.<br />

Ein Argument gegen eine Therapie aller asymptomatischen<br />

Infektion und insbesondere von pharyngealen<br />

Infektionen ist, dass diese häufiger<br />

selbstlimitierend sind. Der bei rezidivierender Therapie<br />

erhöhte Antibiotika-Verbrauch mit den damit<br />

verbundenen Nebenwirkungen auf individueller<br />

Ebene wird kritisch gesehen, evtl. auch in Hinblick<br />

auf eine Veränderung des Mikrobioms. Weiterhin<br />

wird diskutiert, ob bei nicht adäquater, häufiger<br />

Antibiotika-Therapie (z. B. zu geringe Dosen, zu<br />

geringe Compliance etc.) Resistenzen nicht gerade<br />

erst generiert werden.<br />

Zu vielen dieser Argumente liegt uns noch keine<br />

ausreichende Datengrundlage vor, um diese endgültig<br />

zu bewerten. Sicherlich bestehen hier auch<br />

Unterschiede je nach Erreger. So gilt etwa der Pharynx<br />

für Gonokokken aufgrund der bei diesen vorhandenen<br />

vielfältigen Mechanismen zur Induktion<br />

einer Antibiotika-Resistenz als wichtiges Reservoir,<br />

in dem es z. B. durch Plasmidtausch mit anderen<br />

auch kommensalen bakteriellen Erregern leichter<br />

zur Entstehung einer Antibiotika-Resistenz kommen<br />

kann als für andere STI. Auch die Auswirkungen<br />

von Antibiotika-Gaben zur Behandlung einer<br />

diagnostizierten STI (z. B. Azithromyzin-Gabe zur<br />

Behandlung von Chlamydien) auf eine andere<br />

vorliegende, aber nicht diagnostizierte STI (z. B.<br />

Mycoplasmen oder Gonokokken), die eine höhere<br />

Dosierung des eingesetzten Medikaments nötig<br />

machen würde, kann eine Induzierung oder Verstärkung<br />

von Resistenzen bewirken und macht die<br />

therapeutische Situation zusätzlich komplex.<br />

Die Ergebnisse der MSM-Screening-Studie zeigen,<br />

dass vor Beginn einer Antibiose eine möglichst<br />

detaillierte STI-Diagnostik an allen Lokalisationen<br />

durchgeführt werden sollte, um Fehlbehandlungen<br />

von Koinfektionen mit einem anderen Erreger zu<br />

vermeiden.<br />

Publikation: Jansen K, Steffen G, Ziesenis AK, Bremer V, Tiemann<br />

C. Influence of HIV and PrEP use on High STI Prevalences<br />

in MSM in Germany, 2018. CROI <strong>2019</strong><br />

Literatur<br />

1. an der Heiden, M et al. Schätzung der Zahl der HIV-Neuinfektionen<br />

und der Gesamtzahl von Menschen mit HIV in<br />

Deutschland, Stand Ende 2017. Epidemiologisches Bulletin<br />

2018;47:509−522.<br />

2. Dudareva-Vizule S et al. Prevalence of pharyngeal and rectal<br />

Chlamydia trachomatis and Neisseria gonorrhoeae infections<br />

among men who have sex with men in Germany. Sex<br />

Transm Infect 2014;90(1):46−51.<br />

3. Jansen K. Syphilis in Deutschland 2017: Anstieg von<br />

Syphilis-Infektionen bei Männern, die Sex mit Männern<br />

haben, setzt sich weiter fort. Epidemiologisches Bulletin<br />

2018;46:493−504.<br />

4. The EMIS Network, EMIS 2010: The European Men-Who-<br />

Have-Sex-With-Men Internet Survey. Findings from 38<br />

countries. European Centre for Disease Prevention and Control:<br />

Stockholm 2013.<br />

5. Bremer V, Brockmeyer N and Coenenberg J. S1-Leitlinie:<br />

STI/STD-Beratung, Diagnostik und Therapie, Deutsche STI-<br />

Gesellschaft (DSTIG) and R.K.I. (RKI), Editors. 2015.<br />

6. Deutsche <strong>AIDS</strong>-Gesellschaft e.V. (DAIG), Deutsch-Österreichische<br />

Leitlinien zur HIV-Präexpositionsprophylaxe 2018.<br />

7. Bradshaw C S et al. Syndromic management of STIs and the<br />

threat of untreatable Mycoplasma genitalium. Lancet Infect<br />

Dis 2018;18(3):251−252.<br />

8. Bradshaw C S, Jensen J S and Waites K B. New Horizons<br />

in Mycoplasma genitalium Treatment. J Infect Dis<br />

2017;216(suppl_2):412−419.<br />

9. Jensen J S. Mycoplasma genitalium: yet another challenging<br />

STI. Lancet Infect Dis 2017 17(8):795−796.<br />

10. Bundesministerium für Gesundheit. Schnellere Termine,<br />

mehr Sprechstunden, bessere Angebote für gesetzlich Versicherte:<br />

Erste Lesung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes<br />

im Bundestag (13. Dezember 2018). 2018 20.2.<strong>2019</strong>];<br />

Available from: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/terminservice-und-versorgungsgesetz.html.<br />

Dr. phil. Klaus Jansen<br />

Robert Koch-Institut<br />

Abteilung für Infektionsepidemiologie, FG 34<br />

Seestraße 10, 13353 Berlin<br />

60


SOLIDE TUMOREN BEI HIV-INFIZIERTEN<br />

Gleiche Therapie-Standards wie bei<br />

HIV-Negativen gefordert<br />

Mark Oette, Köln<br />

Bösartige Erkrankungen bei HIV-Positiven tragen dazu bei, dass Menschen mit HIV und <strong>AIDS</strong> im Vergleich<br />

zu HIV-Negativen eine höhere Sterblichkeit haben. In den letzten Jahren entwickelten sich nicht-<br />

<strong>AIDS</strong>-definierende Malignome zur zahlenmäßig dominanten Todesursache. Wesentlichen Einfluss haben<br />

Lebensstilfaktoren wie das Rauchen. Die trotz allgemein gestiegener Lebenserwartung nach wie vor hohe<br />

Sterblichkeit wird jährlich in einem deutschen HIV-Hämato-Onkologie-Symposium fokussiert. Auf dem<br />

diesjährigen DÖAK in Hamburg fand die Veranstaltung bereits zum sechsten Mal statt.<br />

In den letzten Jahren drehten sich Diskussionen<br />

um die HIV-Infektion oft um die Themen „Heilung“<br />

und „normale Lebenserwartung“. Dies kann dazu<br />

führen, dass die Gedanken hierzu unrealistisch<br />

werden. Auch unter optimalen Bedingungen liegt<br />

die errechnete Lebenserwartung HIV-Infizierter<br />

noch bis zu zehn Jahren unter der der nicht betroffenen<br />

Bevölkerung [1]. Diese Zahl gilt jedoch nur<br />

für Patienten, die in der jüngsten Vergangenheit<br />

mit einer modernen cART begonnen haben. Insgesamt<br />

liegt die Sterblichkeit von Menschen mit<br />

HIV und <strong>AIDS</strong> 5,7-fach höher [2]. Wie bei vielen<br />

anderen Erkrankungen bestehen erhebliche Unterschiede<br />

in Abhängigkeit vom sozialen Status [1].<br />

Unter den Erklärungen zur erniedrigten Lebenserwartung<br />

HIV-Positiver spielen neue Trends der<br />

Epidemiologie eine wichtige Rolle. Herausragend<br />

ist das bessere Verständnis der Pathophysiologie<br />

des vorzeitigen Alterns bei HIV-Patienten. Faktoren<br />

wie die dauerhafte Immunaktivierung, chronische<br />

CONFERENCES<br />

61


SOLIDE TUMOREN BEI HIV-INFIZIERTEN<br />

CONFERENCES<br />

Abbildung 1: Endoskopisches Bild eines Plattenepithel-Karzinoms des Ösophagus (pT1)<br />

Tabelle 1: Vergleich des Auftretens von Tumoren bei HIV-<br />

Infizierten mit der nicht infizierten Bevölkerung.<br />

Gezeigt sind erhöhte standardisierte Inzidenz-Ratios (SIR)<br />

für ausgewählte Neoplasien (Beispiel: ein Wert von 2 zeigt<br />

eine Verdoppelung des Risikos) [6].<br />

Neoplasie SIR 95 %-Konfidenzintervall<br />

Alle Malignome 1,69 1,67–1,72<br />

Virusassoziierte Nicht-<strong>AIDS</strong>-Tumoren 5,4 5,2–5,6<br />

Analkarzinom 19,1 18,1–20,0<br />

Vulvakarzinom 9,4 7,9–11,0<br />

Peniskarzinom 5,3 4,4–6,4<br />

Leberkarzinom 3,2 3,0–3,4<br />

Nasenkarzinom 2,7 1,7–3,9<br />

Mund-/Pharynx-Karzinom 2,2 2,0–2,5<br />

Lungenkarzinom 2,0 1,9–2,1<br />

Gallenblasenkarzinom 1,3 0,9–1,9<br />

Ösophaguskarzinom 1,2 1,1–1,4<br />

Pankreaskarzinom 1,1 1,0-1,3<br />

Toxizitäten, Lebensstil und andere führen unter<br />

dem Begriff „Immunoseneszenz“ zum vorzeitigen<br />

Auftreten von Alterserkrankungen [3]. Mittlerweile<br />

existieren Befunde, die das Auftreten von „frailty“,<br />

der sog. Altersgebrechlichkeit, bei HIV-Infizierten<br />

im Vergleich zu HIV-Negativen bis zehnmal häufiger<br />

und deutlich früher beschreiben [4]. Wenn man<br />

davon ausgeht, dass ca. 28 % der älteren HIV-Positiven<br />

in diese Kategorie fallen, wird nur angedeutet,<br />

welche sozialen und pflegerischen Probleme in<br />

der nahen Zukunft zu erwarten sein werden.<br />

Hämatologische Erkrankungen bei HIV-Infizierten<br />

spielen eine wichtige Rolle im Krankheitsgeschehen<br />

und sind teils für die Sterblichkeit durch<br />

<strong>AIDS</strong>-definierende Neoplasien verantwortlich. In<br />

den letzten Jahren entwickelten sich jedoch nicht-<br />

<strong>AIDS</strong>-definierende Malignome zur zahlenmäßig<br />

dominanten Todesursache [2, 5]. Dies wird unterstützt<br />

von Inzidenzvergleichen mit der nicht infizierten<br />

Bevölkerung [6]. Die Konfidenzintervalle in<br />

Tabelle 1 deuten die Robustheit der Daten an. Trotz<br />

eines allgemein rückläufigen Trends liegt das Risiko<br />

dieser Tumore mehr als doppelt so hoch wie in der<br />

Normalbevölkerung und führt zu einer erhöhten<br />

Sterblichkeit [7].<br />

Die schlechtere Prognose von Patienten mit<br />

nicht-<strong>AIDS</strong>-definierenden Malignomen, verglichen<br />

mit HIV-Negativen, wurde in einer Reihe von Studien<br />

mit mehreren beeinflussbaren Faktoren assoziiert,<br />

die auch unsere Aufmerksamkeit erhalten<br />

sollten: Dies sind u.a. schlechterer Zugang zur antiretroviralen<br />

Therapie, Nichtbeachtung der Guidelines<br />

für HIV-Negative, inkonsequente Anwendung<br />

der Antitumor-Therapien [7]. Verhaltensbedingte<br />

Faktoren dürfen nicht vergessen werden. Ernährungsstile,<br />

Genussmittelkonsum und vor allem<br />

das Rauchen spielen eine Rolle. Es konnte gezeigt<br />

werden, dass gerade durch Reduktion des bei HIV-<br />

Patienten häufigeren Rauchens eine Prognoseverbesserung<br />

für Tumore erzielt werden kann [8].<br />

62


SOLIDE TUMOREN BEI HIV-INFIZIERTEN<br />

von der momentan überwiegenden Deskription<br />

des ernsten Problems durch HIV-Malignome zu<br />

Erkenntnissen über die spezifische Versorgung zu<br />

gelangen. Es ist zu fordern, dass die Behandlung die<br />

gleichen Standards wie bei HIV-Negativen erfüllt.<br />

Es ist zu wünschen, dass die Ergebnisse sich ebenfalls<br />

an die in der nicht infizierten Bevölkerung<br />

annähern. Hierfür ist eine intensive interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit erforderlich.<br />

Prof. Dr. med. Mark Oette<br />

MOette@severinskloesterchen.de<br />

Es wird ein Screening für Tumoren von Leber<br />

und Lunge gefordert [7], was für das Analkarzinom<br />

bereits umgesetzt ist.<br />

Aufgrund der Bedeutung bösartiger Erkrankungen<br />

bei HIV-Positiven wird von einer Gruppe<br />

von HIV-Behandlern jährlich ein deutsches HIV-<br />

Hä mato-Onkologie-Symposium durchgeführt.<br />

Die hier be sprochenen Befunde wurden auf der<br />

sechsten Veranstaltung auf dem diesjährigen<br />

Deutsch-Österreichischen <strong>AIDS</strong>-Kongress vorgestellt.<br />

Weitere Aktivitäten sind die Erstellung<br />

von Leitlinien. Zu Lymphomen und dem Analkarzinom<br />

sind bereits AWMF-Guidelines erarbeitet<br />

worden. In die von Hämato-Onkologen genutzte<br />

Plattform onkopedia wurden Leitlinien zum Analund<br />

Lungenkarzinom eingebracht. Es existiert eine<br />

bundesweite Studiengruppe zu Lymphomen. Eine<br />

weitere Gruppe hat sich innerhalb der Deutschen<br />

Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische<br />

Onkologie organisiert und ein Sonderheft zu HIVassoziierten<br />

Malignomen herausgegeben [Oncology<br />

Research and Treatment 2017;40(3)]. Trotz<br />

dieser Erfolge besteht viel Forschungsbedarf, um<br />

Literatur:<br />

1. Gueler A, Moser A, Calmy A, et al. Life expectancy in HIVpositive<br />

persons in Switzerland: Matched comparison<br />

with general population. <strong>AIDS</strong> 2017;31:427–436.<br />

2. Croxford S, Kitching A, Desai S, et al. Mortality and causes<br />

of death in people diagnosed with HIV in the era of highly<br />

active antiretroviral therapy compared with the general<br />

population: An analysis of a national observational<br />

cohort. Lancet Pub Health 2017;2:e35–46.<br />

3. Lagathu C, Cossarizza A, Béréziat V, et al. Basic science<br />

and pathogenesis of ageing with HIV: Potential mechanisms<br />

and biomarkers. <strong>AIDS</strong> 2017;31:107–119.<br />

4. Bloch M. Frailty in people living with HIV. <strong>AIDS</strong> Res Ther<br />

2018;15:19–24.<br />

5. Weber R, Ruppik M, Rickenbach M, et al. Decreasing mortality<br />

and changing patterns of causes of death in the<br />

Swiss HIV Cohort Study. HIV Medicine 2013;14: 195–207.<br />

6. Hernández-Ramírez RU, Shiels MS, Dubrow M et al. Spectrum<br />

of cancer risk among HIV-infected people in the United<br />

States during the modern antiretroviral therapy era:<br />

a population-based registry linkage study. Lancet HIV<br />

2017;4:e495–504.<br />

7. Franzetti M, Ricci E, Bonfanti P. The pattern of non-<br />

<strong>AIDS</strong>defining cancers in the HIV-population: Epidemiology,<br />

risk factors, and prognosis. A review. Curr HIV Res<br />

<strong>2019</strong>;17:1–12.<br />

8. Shepherd L, Ryom L, Law M, et al. Cessation of cigarette<br />

smoking and the impact on cancer incidence in human<br />

immunodeficiency virus-infected persons: The data collection<br />

on adverse events of anti-HIV drugs study. Clin<br />

Infect Dis <strong>2019</strong>;68:650–657.<br />

Prof. Dr. med. Mark Oette<br />

Klinik für Allgemeine Innere Medizin,<br />

Gastroenterologie und Infektiologie,<br />

Krankenhaus der Augustinerinnen, Köln, gGmbH<br />

Jacobstr. 27–31, 50678 Köln<br />

CONFERENCES<br />

63


HIV-INFIZIERTE KINDER IN DEUTSCHLAND<br />

Die GEPIC-Kohorte der Pädiatrischen AG<br />

<strong>AIDS</strong> e.V.<br />

Marla Braun und Christoph Königs, Frankfurt<br />

Aufwachsen in Deutschland mit HIV? Bei einer sich wandelnden Situation und Therapielandschaft in der<br />

Erwachsenenmedizin liegen nach wie vor keine aktuellen Daten zu HIV-positiven Kindern und Jugendlichen,<br />

zu deren Therapiesituation und Versorgung in Deutschland vor. Im Rahmen einer kleinen Therapiekohorte<br />

und des Kompetenznetzes HIV/<strong>AIDS</strong> wurden in der Vergangenheit einige wenige Daten erhoben.<br />

CONFERENCES<br />

Die meisten HIV-positiven Kinder und Jugendlichen<br />

wurden während der Schwangerschaft, der<br />

Geburt oder in der Stillzeit infiziert. Ihre gesamte<br />

körperliche, geistige und immunologische Entwicklung<br />

findet nach der Infektion statt und wird<br />

somit maßgeblich durch die Infektion und die<br />

eingesetzten antiretroviralen Medikamente beeinflusst.<br />

Nach heutigem Kenntnisstand wird die<br />

Infektion für alle betroffenen Kinder unwiderruflich<br />

zum Leben und Alltag gehören, auch wenn sie<br />

eine nebenwirkungsarme und effiziente Therapie<br />

erhalten, die eine weitgehend normale Entwicklung<br />

ermöglicht.<br />

Gelingt dies nicht, wird die Entwicklung häufig<br />

schwer beeinträchtigt, und die Infektion kann nach<br />

wie vor zu <strong>AIDS</strong> und Tod führen – insbesondere bei<br />

Kleinkindern, da das Virus bei ihnen auf ein noch<br />

unreifes Immunsystem trifft.<br />

64


HIV-INFIZIERTE KINDER IN DEUTSCHLAND<br />

Die GEPIC-Kohorte: Aufschlussreiche<br />

Datenerfassung<br />

Zur Therapie der kindlichen HIV-Infektion stehen<br />

im Vergleich zum Erwachsenenalter deutlich weniger<br />

Medikamente zur Verfügung. Dies liegt an inadäquaten<br />

Darreichungsformen, wenigen Daten oder eingeschränkten<br />

Zulassungen der Medikamente. Über die<br />

genutzten Therapien oder deren Erfolgt ist zudem<br />

weniger bekannt, ebenso zu den Langzeitfolgen<br />

der lebenslangen Therapie. Diese Erkenntnisse sind<br />

essenziell, um die HIV-Therapie in der Pädiatrie nicht<br />

nur in Deutschland verbessern zu können.<br />

2016 wurde eine Querschnittstudie durchgeführt,<br />

in der Fragebögen an Pädiater und HIV-<br />

Schwerpunktärztinnen und -ärzte versandt und<br />

ausgewertet wurden. Auf Basis dieser Analyse<br />

wurde die nationale Kohorte GEPIC (Deutsche<br />

Kohorte HIV-exponierter und -infizierter Kinder<br />

und Jugendlicher) der Pädiatrischen Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>AIDS</strong> e. V., einer Sektion der Deutschen<br />

<strong>AIDS</strong>-Gesellschaft, etabliert. Bis dahin basierte die<br />

Schätzung der Anzahl HIV-positiver Kinder und<br />

Jugendlicher in Deutschland auf den anonymen<br />

Meldungen an das Robert Koch-Institut. Auf Basis<br />

dieser Meldungen ging man von ca. 200 Fällen in<br />

Deutschland im Jahr 2016 aus. Tatsächlich konnten<br />

dank der großen Resonanz der angeschriebenen<br />

Praxen und Ambulanzen fast 400 Kinder und<br />

Jugendliche


HIV-INFIZIERTE KINDER IN DEUTSCHLAND<br />

k.A.<br />

andere<br />

2,98<br />

andere europäische<br />

Länder 7,14<br />

14,88<br />

26,79<br />

Afrika<br />

ehem. Sowjetunion<br />

9,52<br />

38,69<br />

Angaben in Prozent<br />

Deutschland<br />

Abbildung 1: Herkunft pädiatrischer Patientinnen und Patienten mit HIV.<br />

CONFERENCES<br />

Bisher konnten 184 Kinder und Jugendliche eingeschlossen<br />

und longitudinal dokumentiert werden<br />

– 54 % sind weiblich, 46 % männlich. Durch<br />

engmaschige Kontrollen alle drei bis vier Monate<br />

über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg,<br />

ist es möglich, Aussagen innerhalb des Kollektivs<br />

oder über einzelne Patienten in verschiedenen<br />

Lebensphasen zu treffen. Der Gesamtdokumentationsumfang<br />

liegt dadurch derzeit bei über 1.120<br />

Patientenjahren.<br />

Erfreulicherweise altert die Kohorte: In Deutschland<br />

werden heutzutage kaum HIV-infizierte Kinder<br />

geboren, in den letzten drei Jahren lediglich<br />

zwei in den beteiligten Zentren. Dies spiegelt auch<br />

die erfolgreiche Betreuung schwangerer Frauen in<br />

der Schwangerschaft und darüber hinaus sowie der<br />

Kinder nach der Geburt wider. Daten hierzu werden<br />

in dem Schwangerschaftsregister der Deutschen<br />

<strong>AIDS</strong>-Gesellschaft gesammelt und ausgewertet.<br />

Aus Deutschland und Afrika stammt mit je 39<br />

und 27 % der größte Anteil der in Deutschland<br />

lebenden pädiatrischen Patientinnen und Patienten<br />

mit HIV. Knapp 10 % der Kinder wurden in<br />

Ländern der ehemaligen Sowjetunion geboren und<br />

etwa 7 % im europäischen Ausland.<br />

In der Kohorte erhalten 99 % der Kinder und<br />

Jugendlichen eine antiretrovirale Therapie. Dies<br />

spiegelt den schnelleren Krankheitsverlauf im<br />

Kindesalter wider und auch eine Umsetzung der<br />

Leitlinien zur Therapie im Kindesalter. Die eingesetzten<br />

Therapieregime unterlagen in den letzten<br />

Jahren deutlichen Veränderungen als Ausdruck der<br />

begrenzten (wenn auch zunehmenden) Auswahl an<br />

antiretroviralen Substanzen, aber auch der Neuzulassungen<br />

von Substanzen und Formulierungen für<br />

Kinder und Jugendliche.<br />

Erfolgreiche ART<br />

In der pädiatrischen HIV-Therapie dominieren<br />

Protease-Inhibitor-basierte Regime. In den letzten<br />

Jahren hat auch in der Pädiatrie der Anteil der inte-<br />

66


HIV-INFIZIERTE KINDER IN DEUTSCHLAND<br />

graseinhibitorenbasierten Regime deutlich zugenommen:<br />

Erfolgte ein Therapiewechsel, entschied<br />

man sich in über einem Drittel der Fälle für einen<br />

Integrase-Inhibitor als Teil der Kombinationstherapie.<br />

Der Therapieerfolg ist unter anderem anhand der<br />

Viruslasten beurteilbar. Im Jahr 2018 konnten bei<br />

knapp 94 % der antiretroviral therapierten Kinder<br />

und Jugendlichen Viruslastkonzentrationen<br />

unterhalb der Nachweisgrenze von 400 Kopien/ml<br />

gemessen werden – 91 % der Kinder und Jugendlichen<br />

hatten Viruslasten unterhalb der Nachweisgrenze<br />

von 50 Kopien/ml bei einer medianen<br />

Viruslast von unter 50 Kopien/ml.<br />

Und auch im europäischen Vergleich zeigt das<br />

pädiatrische Kollektiv ein sehr gutes virologisches<br />

Ansprechen. In der europäischen EPPICC-<br />

Kohortenkooperation, an der sich GEPIC beteiligt,<br />

erreichten im Jahr 2011 77 % der therapierten Kinder<br />

und Jugendlichen in der Kohorte Viruslasten<br />

1.000 Kopien<br />

401–


FINDHIV<br />

Late Presentation – Was steckt<br />

hinter diesem Phänomen?<br />

Sven Schellberg – für die FindHIV Study Group, Berlin<br />

Die HIV-Infektion ist heute weitestgehend zu einer chronisch-behandelbaren Erkrankung geworden. Die<br />

Prognose vieler, in der Öffentlichkeit wesentlich weniger stigmatisierter Erkrankungen wie COPD oder Herzinsuffizienz<br />

ist deutlich schlechter, als die einer behandelten HIV Infektion. Dennoch bleibt der Anteil der<br />

Patienten, bei denen eine HIV-Infektion spät, d. h. erst mit einem deutlichen Immundefekt oder nach dem<br />

Auftreten opportunistischer Infektionen diagnostiziert wird, seit Jahren unverändert hoch.<br />

CONFERENCES<br />

Der Anteil dieser sogenannten „Late Presenter“<br />

lag in Deutschland 2017 nach Schätzungen des RKI<br />

bei noch immer knapp unter 50 %, wie auch die<br />

im letzten Jahr auf der EACS-Konferenz in Mailand<br />

vorgestellten Zahlen der PROPHET-Studie der<br />

dagnä belegen [1]. Auch im internationalen Vergleich<br />

z. B. der COHERE-Kohorte werden nahezu<br />

50 % aller Patienten damit unnötig spät diagnostiziert<br />

[2].<br />

Obwohl auch in diesem Stadium der Infektion<br />

hervorragende Therapiechancen bestehen, bleibt<br />

„Late Presentation“ assoziiert mit:<br />

••<br />

Höherer Mortalität, mehr Hospitalisierungen<br />

••<br />

Höherem Risiko neurokognitiver Defizite und<br />

nicht-<strong>AIDS</strong>-definierender Erkrankungen<br />

••<br />

Geringer Chance einer vollständigen viralen Suppression<br />

••<br />

Höheren Kosten<br />

68


FINDHIV<br />

••<br />

Höherer Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines<br />

IRIS<br />

••<br />

Höherem Risiko einer Transmission<br />

••<br />

Geringerer Lebensqualität [3].<br />

Obwohl die Risikofaktoren einer HIV-Infektion<br />

weitläufig bekannt sein sollten und mögliche<br />

Indikatorerkrankungen keinesfalls selten sind,<br />

zeigt die klinische Erfahrung, dass viele Patienten<br />

teilweise schon lange vor Ihrer Diagnose Kontakt<br />

zum Gesundheitssystem hatten und eine frühere<br />

Diagnose durchaus möglich gewesen wäre, diese<br />

Chancen aber zum Teil mehrfach versäumt werden.<br />

FIND-HIV<br />

Dr. med. Sven Schellberg<br />

schellberg@novopraxis.berlin<br />

Mit einer vom Innovationsfond finanzierten Studie<br />

wird nun der Lehrstuhl für Medizinmanagement<br />

der Universität Duisburg-Essen in Kooperation mit<br />

der dagnä, MUC Research und CLINOVATE diesem<br />

Phänomen auf den Grund gehen.<br />

FindHIV (Frühzeitige Identifikation Mittels<br />

Normierter Diagnosekriterien), sammelt derzeit<br />

in einer initialen Datenerfassung an 35 Zentren<br />

in ganz Deutschland über etwas mehr als<br />

zwölf Monate die Charakteristika von Patienten<br />

mit neu diagnostizierter HIV-Infektion. Erfasst<br />

werden sollen alle neuen Diagnosen, nicht nur<br />

solche, die spät erfolgten. Von besonderem Interesse<br />

ist die Ermittlung patientenseitiger Charakteristika,<br />

die zu einer Verzögerung der Diagnose<br />

führen, die Erhebung der typischen Symptomatiken/Diagnosen<br />

vor HIV-Diagnosestellung und die<br />

Identifikation der Stellen im Gesundheitssystem,<br />

an denen diese Patientengruppe vorstellig wurde.<br />

Hierbei geht es nicht nur um Ärzte und Kliniken,<br />

sondern auch um andere niedrigschwellige Beratungs-<br />

und Testangebote.<br />

In einer zweiten Phase, die sich an die Auswertung<br />

der Primärdaten anschließt, soll die Erarbeitung<br />

eines Scores/Fragenbogens zur Frühdiagnose<br />

sowie von Handlungsempfehlungen zur Verringerung<br />

der Anzahl von Late Presentern stehen. Hierbei<br />

geht es um auch für den Nicht-HIV-Behandler<br />

einfach umzusetzende, klinisch relevante Empfehlungen.<br />

Die Erfassung der Patientencharakteristika<br />

erfolgt in einem einmaligen Interview des Patienten<br />

durch den Behandler. Mit Unterstützung eines<br />

elektronischen Erfassungssystems und eines entsprechenden<br />

Fragealgorithmus werden insbesondere<br />

die folgenden Aspekte erfasst:<br />

••<br />

Patientencharakteristika/-struktur unmittelbar<br />

vor dem ersten positiven HIV-Tests<br />

••<br />

HIV-Testung<br />

••<br />

Krankheitsstadium und Laborergebnisse<br />

••<br />

Symptome und Erkrankungen vor dem ersten<br />

positiven HIV-Test<br />

••<br />

Morbidität und Komorbidität vor dem ersten<br />

positiven HIV-Test<br />

••<br />

Kontakte zum Gesundheitswesen vor dem ersten<br />

positiven HIV-Test<br />

••<br />

Die Einschätzungen des Behandlers.<br />

CONFERENCES<br />

69


FINDHIV<br />

Um eine ausreichend hohe Datenbasis für die<br />

Entwicklungen von Handlungsempfehlungen zu<br />

erreichen, sollen etwa 800 Patienten in die Studie<br />

eingeschlossen werden. Ein anspruchsvolles Ziel,<br />

das derzeit zu etwa einem Drittel erreicht ist.<br />

Eine rege Mitarbeit an dieser Studie ist erwünscht,<br />

insbesondere, da es hier nicht nur um eine deskriptive<br />

Erfassung des Problems geht, sondern durch den<br />

zu entwickelnden Score/Fragebogen um eine ganz<br />

praktische Umsetzung, die noch mehr Pa tienten<br />

eine möglichst frühe Diagnose ermöglichen soll,<br />

und allen Beteiligten im Gesundheitssystem die<br />

Chancen einer frühen Diagnose demonstriert. Mit<br />

der Veröffentlichung des Scores wird derzeit für<br />

Mitte 2021 gerechnet.<br />

Referenzen<br />

1. The Prophet Study, PE 9/44 EACS 2017, Milan, Italy<br />

2. Mocroft A, Lundgren JD, Sabin ML, Monforte Ad, Brockmeyer<br />

N et al. Risk Factors and Outcomes for Late Presentation<br />

for HIV-Positive Persons in Europe: Results from<br />

the Collaboration of Observational HIV Epidemiological<br />

Research Europe Study (COHERE). PLOS Medicine 10(9):<br />

e1001510. doi:10.1371/journal.pmed.1001510 (2013).<br />

3. Zoufali A et al. HIV Medicine 2012;13:172-181 DOI:10.111/<br />

j.1468-1293.2011.00958.x.<br />

Dr. med. Sven Schellberg<br />

für die FindHIV Study Group<br />

NOVOPRAXIS Berlin<br />

Mohrenstraße 6, 10117 Berlin<br />

Die „Late Presentation“ der HIV-Infektion ist in Deutschland<br />

a) Mit 15 % ein auch im internationalen Vergleich eher seltenes Phänomen<br />

b) Aufgrund der guten Behandelbarkeit der HIV-Infektion kein klinisch relevantes Phänomen<br />

c) Mit nahezu 50 % ebenso häufig wie im europäischen Vergleich<br />

d) Durch breit angelegte Testkampagnen, wie „Gib <strong>AIDS</strong> keine Chance“ oder „Liebesleben“ ein immer seltener<br />

auftretendes Phänomen.<br />

Die Lösung finden Sie auf Seite 74.<br />

CONFERENCES<br />

70


THC UND CBD<br />

Neue Gesetze und Optionen –<br />

Neue und alte Probleme?<br />

Stephan Walcher, München<br />

Seit 10.03.2017 sind in Deutschland THC- und/oder CBD-haltige Präparate (Blüten oder Fertigarzneimittel)<br />

arzneimittelrechtlich zugelassen. Eine Wirksamkeit von Cannabis ist bei Erkrankungen aus nahezu allen<br />

Bereichen der Medizin beschrieben. Es gibt viele mögliche Indikationen, der Evidenzgrad ist noch gering.<br />

Die offizielle Zulassung eröffnet neue Möglichkeiten<br />

in der Behandlung, fordert aber auch die<br />

Erhebung wenigstens eines Minimaldatensatzes<br />

(BfArM) dazu. Soll die Behandlung zulasten der GKV<br />

erfolgen, ist allerdings ein Antrag zu stellen, der<br />

Indikation, wissenschaftliche Evidenz und detaillierte<br />

Beschreibung des Einzelfalles beinhaltet.<br />

„Der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis gilt<br />

nur, wenn<br />

1. eine allgemein anerkannte, dem medizini schen<br />

Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung<br />

steht oder im Einzelfall nach der begründeten<br />

Einschätzung des Arztes unter Abwägung<br />

der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter<br />

CONFERENCES<br />

71


THC UND CBD<br />

Berücksichtigung des Krankheitszustandes des<br />

Patienten nicht angewendet werden kann, und<br />

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht<br />

auf eine spürbare positive Einwirkung auf den<br />

Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende<br />

Symptome besteht.“<br />

Zur Beantwortung eines Antrages bleibt den<br />

Kassen eine Frist von drei (fünf mit Gutachter)<br />

Wochen, bei palliativmedizinischen Fällen von<br />

drei Werktagen. Umfragen unter den Verschreibern<br />

zeigen jedoch, dass – außer in bisher schon<br />

indizierten Fällen wie Tourette, MS oder onkologischen<br />

Schmerzen – nur selten eine primär positive<br />

Kostenübernahme erfolgt. Trotzdem wurden<br />

59.000 Verordnungen in 1/<strong>2019</strong> ausgestellt, davon<br />

23.000 für Cannabisblüten, 22.000 für Rezepturarzneimittel<br />

und 12.000 für pharmazeutische Fertigprodukte<br />

(Sativex, Canemes).<br />

Tabelle 1: Typische Verordnungsindikationen<br />

Schmerzen<br />

Übelkeit<br />

Appetit losigkeit<br />

Anorexie/Kachexie/<br />

<strong>AIDS</strong><br />

Angst/Depression/<br />

Epilepsie<br />

Sativex,<br />

Dronabinol<br />

Nabilon, Sativex,<br />

Dronabinol<br />

Dronabinol<br />

Dronabinol<br />

Cannabidiol<br />

Blüten mit hohem<br />

THC-Gehalt<br />

Blüten mit hohem<br />

THC-Gehalt<br />

Blüten mit hohem<br />

THC-Gehalt<br />

Blüten mit hohem<br />

THC-Gehalt<br />

Blüten mit hohem<br />

CBD-Gehalt<br />

Nähere Informationen unter: „Cannabis: Verordnungshilfe für Ärzte“ von<br />

Franjo Grotenhermen<br />

Stephan Walcher<br />

kontakt@moviemed.de<br />

Eines der anfänglichen Probleme der Cannabinoidverschreibung<br />

war die mangelhafte Verfügbarkeit<br />

von entsprechenden Naturprodukten<br />

(neben den weiterhin verfügbaren Fertigarzneien<br />

THC-CBD/Sativex, Dronabinol, Nabilon/Canemes<br />

und CBD-Ölen), da eine eigene Herstellung in<br />

Deutschland noch nicht vollständig zugelassen ist<br />

und die hohe Nachfrage aus holländischen, kanadischen<br />

und israelischen Importen nur unvollständig<br />

bedient werden konnte. Die Lage scheint sich aber<br />

zwischenzeitlich zu entspannen. Ein Problem bleibt<br />

der Preis. Zum einen ist er wohl die Hauptursache<br />

für die restriktive Haltung der Krankenkassen, zum<br />

anderen stellt er ein Problem für die Kostenträgerschaft<br />

durch die Patienten selbst dar, auch, weil er<br />

deutlich über Schwarzmarktniveau liegt.<br />

Patienten bevorzugen Sativa (und Indica)-Sorten<br />

mit hohem THC- und eher niedrigem CBD-Gehalt,<br />

was in Anbetracht zahlreicher positiver Effekte<br />

des THC-Modulators CBD schwer nachvollziehbar<br />

erscheint.<br />

CONFERENCES<br />

Komplexe Wirkmuster – schwache<br />

Evidenz<br />

Indikationen gibt es viele. Neben den „Klassikern“<br />

aus der Onkologie (Schmerz, Übelkeit bei Chemotherapie,<br />

Anorexie) und Neurologie (Spastik, bes.<br />

CBD bei kindlicher Epilepsie) ist eine Wirksamkeit<br />

bei Erkrankungen aus nahezu allen Bereichen der<br />

Medizin beschrieben.<br />

72


THC UND CBD<br />

Die Evidenzlage ist dabei eher dünn, wie unter<br />

anderen die umfangreichen Zusammenstellungen<br />

von Penny Whiting (2015) und Eva Hoch (2018)<br />

zeigten. Da sich aber die meisten Arbeiten um Evidenz<br />

einzelner, isolierter Untersuchungsparameter<br />

(wie „Nozizeptiver Schmerz“) bemühen, sind die<br />

komplexen Wirkmuster von Delta-9-THC oder CBD<br />

allein schon kaum noch abzubilden. THC und CBD<br />

wirken ja auf eine breite Palette an Rezeptoren<br />

(neben CB1 und CB2 auch eine Vielzahl an weiteren<br />

Neurotransmitter/-modulator-Rezeptoren<br />

mit zahlreichen Wechselwirkungen mit z. B. dem<br />

Adrenocorticoiden-System). Und wenn dann noch<br />

über hundert Alkaloide aus der Cannabinoid familie<br />

mit weiteren wirkaktiven Terpenen etc. kombiniert<br />

werden (wie in einem Naturprodukt üblich), dann<br />

ist eine genaue Wirkzuordnung kaum mehr darstellbar.<br />

Die seit mehr als 3.000 Jahren beschriebene<br />

Heilkraft kommt eher aus einer multifaktoriellen<br />

Gesamt- als definierter, signifikanter Einzelwirkung.<br />

Die z. B. wohltuende Wirkung bei<br />

Tumor patienten beruht denn auch nicht auf hochsignifikant<br />

besserer Analgesie oder Antiemese,<br />

sondern einer Kombination aus Schmerzreduktion,<br />

Schlafmodulation, antidepressiver Wirkung,<br />

Senkung des Muskel tonus, Beruhigung, Appetitanregung<br />

und ähnlichen Effekten, die in ihrer<br />

Gesamtheit einen eindrucksvollen Effekt auf die<br />

Homöostase be wirken.<br />

zu 60 % resorbiert, enteral wegen des First-Pass-<br />

Effektes (Cookies) max. 12 % (mit Fett bis 20 %),<br />

rektal 13–68 %.<br />

Am besten funktionieren spezielle (und verordnungsfähige)<br />

Verdampfer, hier wird nur punktuell<br />

erhitzt, damit erreichen bis zu 90 % den Kreislauf.<br />

Nebenwirkungen sind recht zahlreich beschrieben,<br />

neben der Auslösung von Psychosen, Ich-<br />

Störungen, Suizidgedanken, bipolaren Störungen<br />

und Halluzinationen sind das Nausea, Schwindel,<br />

Diarrhoe, Schwäche, Desorientierung, trockene<br />

Schleimhäute, Euphorie und soziales Des interesse.<br />

Ebenso sind geringer beruflicher Erfolg, Bildungsniveau,<br />

Erwerbslosigkeit, Familienkonflikte,<br />

reduzierte Lernfähigkeit und Vigilanz mit THC verbunden.<br />

Ausblick<br />

Mit der weltweit verbesserten Verschreibungsmöglichkeit<br />

von Cannabisprodukten wird hoffentlich<br />

auch der Evidenzgrad für den Einsatz bei<br />

unterschiedlichen Erkrankungen steigen. Eine weitere<br />

Hoffnung besteht darin, dass wir im Stande<br />

sein werden, mit veränderten (breiteren) Messmethoden<br />

auch komplexe Wirkmechanismen bei<br />

Schmerz, Spastik, Übelkeit, Angststörungen und<br />

weitere Erkrankungen wie ADHS und PTBS aufklären<br />

zu können.<br />

Applikationsformen und<br />

Nebenwirkungen<br />

Die Anwendungsarten und Zubereitungen unterscheiden<br />

sich recht deutlich. Rauchen (klassischer<br />

Joint, Pfeife) wirkt sehr schnell, aber nur 15–25 %<br />

werden überhaupt eingeatmet und resorbiert, bis<br />

zu 30 % verbrennen, der Rest geht in die Raumluft<br />

verloren. Sublingual (Kaugummi, Spray) werden bis<br />

Dr. med. Stephan Walcher<br />

Schwerpunktpraxis Concept München<br />

Kaiserstraße 1, 80801 München<br />

CONFERENCES<br />

73


IMPRESSUM<br />

Herausgeber und Verlag<br />

The Paideia Group GmbH<br />

Dammsmühlerstr. 35, 13158 Berlin<br />

Tel.: 030 / 40 30 36 92<br />

Fax: 030 / 40 30 36 96<br />

www.thepaideiagroup.com<br />

Publishing Director<br />

Anja Lamprecht<br />

publishing@thepaideiagroup.com<br />

Redaktion<br />

Elke Klug<br />

editorial@thepaideiagroup.com<br />

Art Director<br />

Sigrid Lessing, Christian Voigt<br />

print@thepaideiagroup.com<br />

Gestaltung Cover<br />

Jens Vogelsang, Aachen<br />

Infografiken, Abbildungen<br />

Sigrid Lessing, Christian Voigt<br />

Lektorat<br />

Olaf Mertensacker<br />

review@thepaideiagroup.com<br />

Übersetzungen:<br />

Dr. med. Friederike Günther<br />

Druck<br />

STRUBE Druck & Medien OHG<br />

Anzeigen und Sonderdrucke<br />

Anja Lamprecht<br />

sales@thepaideiagroup.com<br />

zzt. gültige Anzeigenpreisliste<br />

Mediadaten <strong>2019</strong>_190301<br />

Einzelpreis: 15,95 Euro inkl. 7 % Mwst.<br />

Abonnement: 12,50 Euro inkl. 7 % Mwst.<br />

pro <strong>Ausgabe</strong><br />

Nr. 6, 7. Jahrgang, August <strong>2019</strong><br />

Haftungsausschluss<br />

Diese Dokumentation enthält alle Veranstaltungsbeiträge,<br />

die bis Redaktionsschluss vorlagen. Verantwortlich<br />

für den Inhalt der im The Paideia Group<br />

Verlag veröffentlichten Beiträge ist der jeweils in<br />

den einzelnen Beiträgen genannte Autor. Die in den<br />

Beiträgen zum Ausdruck gebrachte Meinung gibt in<br />

erster Linie die Auffassung der Autoren und nicht<br />

in jedem Fall die Meinung des The Paideia Group<br />

Verlages wieder. Soweit die Beiträge Dosierungen,<br />

Indikationen und Applikationsformen benennen,<br />

sollte — trotz einer sorgfältigen Recherche von<br />

Autoren, Herausgeber und Verlag — in jedem Fall<br />

vor Gebrauch oder Verordnung der genannten<br />

Medikamente der Beipackzettel mit den dort angegebenen<br />

Dosierungs- und Einnahmeempfehlungen<br />

und Hinweisen auf Kontraindikationen verglichen<br />

werden. Für etwaige Abweichungen oder Unrichtigkeiten<br />

übernehmen Herausgeber und Verlag<br />

keine Haftung.<br />

Anzeigen und Industriemitteilungen<br />

Gekennzeichnete Anzeigen, Herstellerinformationen<br />

und die im Bereich „Industry“ der Dokumentation<br />

wiedergegebenen Beiträge befinden sich<br />

außerhalb der Verantwortung des Verlages. Hierfür<br />

wird keine Gewähr übernommen.<br />

Urheberrechte<br />

Diese Dokumentation genießt urheberrechtlichen<br />

Schutz. Sämtliche Nutzungsrechte liegen bei dem<br />

The Paideia Group GmbH Verlag. Jegliche Nutzung<br />

des Werks, insbesondere die Vervielfältigung,<br />

Verbreitung, öffentliche Wiedergabe oder öffentliche<br />

Zugänglichmachung, ist ohne die vorherige<br />

schriftliche Zustimmung des The Paideia Group<br />

Verlages unzulässig.<br />

Copyrights<br />

Titelbild: Adobe Stock/DanBu.Berlin, Adobe Stock/<br />

detshana, Adobe Stock/magann<br />

Fotos: S. 3 Martin Adam, S. 17 iStockphoto/<br />

tibor13, S. 21 iStockphoto/theasis, S. 20, 4 iStockphoto/seamartini,<br />

S. 29, 4 iStockphoto/Andrey-<br />

Popov, S. 32 iStockphoto/miodrag Ignjatovic, S. 35,<br />

4 iStockphoto/NikkiZalewski, S. 42, 5 iStockphoto/<br />

nathaphat, S. 46, 5 iStockphoto/bluebay2014,<br />

S. 50 iStockphoto/Marina Vol, S. 54, 5 iStockphoto/<br />

Dr_Microbe, S. 61 iStockphoto/PeopleImages,<br />

S. 64, 5 iStockphoto/spukkato, S. 68 iStockphoto/<br />

Oakozhan, S. 71 iStockphoto/Jose S.<br />

ISSN 2195-8645 Print<br />

ISSN 2197-991X Online<br />

Cogitatio-Lösung: Seite 23: Lösung b, Seite: 70:<br />

Lösung: c<br />

– MAGAZIN<br />

– RUBRIKEN<br />

ADDENDUM<br />

••<br />

präsentiert Highlights von Veranstaltungen verschiedener<br />

medizinischer Fachgebiete themenspezifisch auf der Basis<br />

von Referenten beiträgen in deutscher beziehungsweise<br />

englischer Sprache,<br />

••<br />

erscheint pro Thema jeweils ein- bis zweimal pro Jahr,<br />

••<br />

verbindet die Interessen von Kongressveranstaltern, Teilnehmern<br />

und Industrie,<br />

••<br />

ist nicht mit Honorar zahlungen verbunden,<br />

••<br />

regt durch Cogitatio-Fragen zum Nachdenken „über den<br />

Tellerrand“ hinaus an,<br />

••<br />

reflektiert wissenschaftliche Inhalte in den drei Rubriken<br />

Conference, Education und Industry,<br />

••<br />

finanziert sich über Anzeigen, Sponsoring und Abonnements<br />

,<br />

••<br />

wird in zielgruppenspezifischer Auflage per Post versandt<br />

und ist mit allen <strong>Ausgabe</strong>n für medizinische Fachkreise auch<br />

digital auf www.con-nexi.de verfügbar.<br />

CONFERENCES<br />

Beiträge und Berichte von Konferenzen wie z. B. Präsidenten-<br />

und Experten-Interviews, Statements von ausgesuchten<br />

Referenten, Basic Science, From Bench to Bedside, Arbeitsgruppensitzungen,<br />

Preisverleihungen sowie Regulatory Affairs.<br />

EDUCATION<br />

Berichte von industrieunterstützten Veranstaltungen wie z. B.<br />

Satelliten-Symposien oder Fachpressekonferenzen zu neuen<br />

Entwicklungen in der pharmazeutischen Industrie, Pro- und<br />

Contra-Debatten sowie unser Feuilleton „The Story Behind“,<br />

LeseZeichen (Kommentare zu aktuellen Studien ergebnissen),<br />

Fortbildung (Kalender) und Lösungen zu Cogitatio-Fragen der<br />

Autoren.<br />

INDUSTRY<br />

Markt- und Produktinformationen aus der pharma zeutischen<br />

und Medizintechnik-Industrie.<br />

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2-2018<br />

1-<strong>2019</strong><br />

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Schmerzmedizin<br />

<strong>AIDS</strong> und <strong>Hepatitis</strong><br />

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Schmerzmedizin<br />

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7-2018<br />

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unabhängig von der Ausgangsviruslast 1,*<br />

• Signifikant weniger neuro psychiatrische<br />

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• Nur wenige Arzneimittelwechselwirkungen 1<br />

• Flexible und einfache Dosierung<br />

*Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von DELSTRIGO ® wurden in der klinischen Studie DRIVE-AHEAD mit einer Behandlungsdauer<br />

von 48 Wochen bei therapienaiven Erwachsenen mit HIV-1-Infektion gezeigt. 1<br />

** mit DELSTRIGO ® im Vergleich zu EFV/FTC/TDF in den drei vordefinierten Kategorien Schwindel, Schlafstörungen und verändertes<br />

Wahrnehmungs vermögen. 1<br />

EFV/FTC/TDF = Efavirenz/Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat | HIV-1 = Humanes Immundefizienz-Virus Typ 1<br />

1. Orkin C et al. Doravirine/Lamivudine/Tenofovir Disoproxil Fumarate is Non-inferior to Efavirenz/Emtricitabine/Tenofovir Disoproxil<br />

Fumarate in Treatment-naive Adults With Human Immunodeficiency Virus-1 Infection: Week 48 Results of the DRIVE-AHEAD Trial.<br />

Clin Infect Dis 2018; doi:10.1093/cid/ciy540.[Epubahead of print].<br />

DELSTRIGO ®<br />

Delstrigo ® 100 mg/300 mg/245 mg Filmtabletten<br />

Wirkstoff: Doravirin, Lamivudin u. Tenofovirdisoproxilfumarat Zus.: Arzneil. wirks. Bestandt.: 1 Tbl. enth.<br />

100 mg Doravirin, 300 mg Lamivudin u. 300 mg Tenofovirdisoproxilfumarat (entspr. 245 mg Tenofovirdi<br />

soproxil). Sonst. Bestandt.: Croscarmellose-Natrium (E 468), Hypromelloseacetatsuccinat, Magnesiumstearat<br />

(E 470b), Mikrokristalline Cellulose (E 460), Hochdisperses Siliciumdioxid (E 551), Natriumstearylfumarat,<br />

Carnaubawachs (E 903), Hypromellose (E 464), Eisen(III)-hydroxid-oxid x H 2<br />

O (E 172), Lactose-Monohydrat,<br />

Titandioxid (E 171), Triacetin (E 1518). Anw.: B. Erw., die m. HIV-1 infiziert sind. Die<br />

HI-Viren dürfen keine Mutationen aufweisen, die bekanntermaßen m. e. Resistenz gg. die Substanzklasse<br />

der NNRTI (nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren), Lamivudin od. Tenofovir assoziiert<br />

sind. Gegenanz.: Überempf.-keit gg. d. Wirkstoffe od. e. d. sonst. Bestandt. Komb. m. Arzneim., bei denen<br />

es sich um starke Induktoren von CYP3A-Enzymen handelt, wie u. a. Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenobarbital,<br />

Phenytoin, Rifampicin, Rifapentin, Johanniskraut, Mitotan, Enzalutamid, Lumacaftor. Vorsicht<br />

bei: Komb. m. moderaten CYP3A-Induktoren. Pat. ≥ 65 J. Pat. m. schwerer Leberfunkt.-stör. (Child-Pugh-<br />

Stadium C). Pat. m. vorherigem virolog. Versagen auf andere antiretrovirale Ther. NNRTI-assoziierten<br />

Mutationen. Pat. m. nachgewiesener Resistenz gg. die NNRTI-Substanzklasse. HBV ko-infizierten Pat.<br />

Gabe m. od. kurz nach nephrotoxischen Arzneim. (z. B. hochdosierte od. mehrere NSAR). Pat. m. Risiko f.<br />

Nierenfunkt.-stör., einschl. Pat. m. renalen Ereignissen unter Adefovirdipivoxil. Pat. m. anamnest. bekannter<br />

patholog. Knochenfraktur od. and. Risikofaktoren für Osteoporose od. Knochenschwund. Nicht<br />

empf.: Pat. m. geschätzter Kreatinin-Clearance < 50 ml/min. Zusätzl. Komb. m. Doravirin. Anw. in Schwangerschaft<br />

vermeiden. Nebenw.: Häufig: abnorme Träume; Schlaflosigk. Kopfschm.; Schwindel; Schläfrigk.<br />

(Somnolenz). Husten; nasale Symptome. Übelk.; Diarrhö; Abdominalschm.; Erbr.; Flatulenz. Alopezie; Ausschlag.<br />

Muskel erkrank. Ermüdung (Fatigue); Fieber. Erhöh. ALT. Gelegentl.: Neutropenie; Anämie; Thrombozytopenie.<br />

Hypophosphatämie; Hypokaliämie. Alpträume; Depression; Angst; Reizbarkeit; Verwirrtheitszustände;<br />

Suizid gedanken. Aufmerksamkeitsstör.; eingeschränktes Erinnerungsvermögen; Parästhesie; erhöh.<br />

Muskeltonus; schlechte Schlafqualität. Hypertonie. Obstipation; Abdominalbeschw.; aufgetriebener<br />

Bauch; Dyspepsie; weicher Stuhl; Motilitätsstör. d. Darms; Pankreatitis. Pruritus. Myalgie; Arthralgie;<br />

Rhabdomyolyse; Muskel schwäche. Erhöh. Serumkreatinin; proximale renale Tubulopathie (einschl. Fanconi-Syndrom).<br />

Asthenie; Unwohlsein. Erhöh. AST; erhöh. Lipase; erhöh. Amylase; erniedrigtes Hämoglobin.<br />

Selten: Pustulöser Ausschlag. Hypomagnesiämie; Laktatazidose. Aggression; Halluzinationen; Anpassungsstör.;<br />

Verstimm.; Schlafwandeln. Dyspnoe; tonsilläre Hypertrophie. Schmerzhafter Stuhldrang (Tenesmus<br />

ani). Hepatische Steatose; <strong>Hepatitis</strong>. Allerg. Dermatitis; Rosazea; Angioödem. Muskuloskelettale<br />

Schm.; Osteo malazie (gekennzeichnet durch Knochenschm. u. selt. m. Frakturen als Folge); Myopathie.<br />

Akute Nierenschädig.; Nierenerkrank.; Harnsteinbild.; Nephrolithiasis; akutes Nierenvers.; Nierenvers.;<br />

akute Nierentubulus nekrose; Nephritis (auch akute interstit. Nephritis); nephrogener Diabetes insipidus.<br />

Schm. im Brustkorb; Schüttelfrost; Schm.; Durst. Erhöh. Kreatinphosphokinase im Blut. Sehr selten:<br />

Erythroblastopenie. Periphere Neuropathie (od. Parästhesie). Warnhinw.: Enth. Lactose. Hinw.: Vor<br />

Ther.-beginn Pat. auf HBV-Ko infektion testen. Delstrigo ® darf nicht m. anderen lamivudinhalt. Arzneim.<br />

od. m. Arzneim., die Tenofo vir disoproxil od. Tenofoviralafenamid enth., od. m. Adefovirdipivoxil angew.<br />

werden. Mütter, die Delstrigo ® erhalten, anweisen, nicht zu stillen. Bei Pat. unter antiretroviraler Komb.-<br />

ther. Berichte über Immun- Reaktivierungs-Syndrom (einschl. Auto immunerkrank.).<br />

Verschreibungspflichtig. Stand: 02/<strong>2019</strong><br />

Bitte lesen Sie vor Verordnung von Delstrigo ® die Fachinformation!<br />

Pharmazeutischer Unternehmer:<br />

Merck Sharp & Dohme B.V.<br />

Waarderweg 39<br />

2031 BN Haarlem<br />

Niederlande<br />

Lokaler Ansprechpartner:<br />

MSD SHARP & DOHME GMBH, Lindenplatz 1, 85540 Haar<br />

DE-DOR-00018

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