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Studie Kultur Region Oberes Mittelrheintal 2019 - Davide Brocchi

Davide Brocchi Wandel durch Kultur – Kultur im Wandel Neue Entwicklungspfade für die Region Oberes Mittelrheintal Eine Studie auf Basis von zwölf Experteninterviews, im Auftrag des Zweckverbandes Welterbe Oberes Mittelrheintal

Davide Brocchi
Wandel durch Kultur – Kultur im Wandel
Neue Entwicklungspfade für die Region Oberes Mittelrheintal

Eine Studie auf Basis von zwölf Experteninterviews,
im Auftrag des Zweckverbandes Welterbe Oberes Mittelrheintal

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Wandel durch <strong>Kultur</strong> – <strong>Kultur</strong> im Wandel<br />

Neue Entwicklungspfade für die <strong>Region</strong> <strong>Oberes</strong> <strong>Mittelrheintal</strong><br />

verlieren die Bürger*innen das Verantwortungsbewusstsein. Bürger*innen partizipieren, wenn<br />

sie sich wertgeschätzt fühlen und mitgestalten dürfen.<br />

3.4.5 Das kollektive Gedächtnis und seine Materialisierung<br />

Der Fokus auf das Weltkulturerbe referenziert oft auf eine sehr kurze Phase der Geschichte der<br />

<strong>Region</strong>: die Rheinromantik. Diese Phase wurde selbst durch Intellektuelle und Künstler*innen<br />

von außen geprägt, nicht unbedingt durch die ansässige Bevölkerung. Dieser Zwiespalt ist bis<br />

heute spürbar. Doch die Geschichte der <strong>Region</strong> besteht aus deutlich mehr als aus der malerischen<br />

Abbildung von Burgruinen, die zum großen Teil selbst ein künstlerisches Produkt sind, als<br />

Nachbau von mittelalterlichen Vorbildern. 4<br />

Die ganze Geschichte der <strong>Region</strong> in all ihren Facetten bildet den wichtigsten Teil des kollektiven<br />

Gedächtnisses. Sie enthält wichtige Lehren auch für die Zukunft der <strong>Region</strong>. Wer einmal die<br />

Gräuel des Kriegs erlebt hat, bemüht sich darum, dass die eigenen Kinder und Enkelkinder diese<br />

Erfahrung nicht wiederholen müssen. Ein kollektives Gedächtnis kann von Generation zur Generation<br />

übertragen werden, wenn es sich in Form von Denkmälern materialisiert. Die Wernerkapelle<br />

in Bacharach ist ein Denkmal. Auch Bürgerruinen oder Altbau in den Städten stellen materialisierte<br />

Formen von kollektivem Gedächtnis dar, doch sie entfalten ihre ganze kulturelle Wirkung<br />

nicht unbedingt, wenn sie wie künstlich konservierte Objekte hinter einer Sperre gehalten<br />

und von passiven Zuschauern lediglich bewundert werden dürfen. Die emotionale Identifikation<br />

mit dem kollektiven Gedächtnis ist stärker, wenn die Orte ihrer Materialisierung von den Nachfahrer*innen<br />

weiter belebt und neueingerichtet werden dürfen. 5<br />

Kollektives Gedächtnis drückt sich im Alltag jedoch auch in Form von Praktiken aus: Welche Lebensstile<br />

und welche Formen des Zusammenlebens werden heute den Kindern und den Enkelkindern<br />

vorgelebt? Ebenso gehören Kochrezepte und ein guter Wein zum <strong>Kultur</strong>erbe. Sie sind<br />

mental gespeicherte Techniken im Umgang mit der Umwelt, wobei sich Ernährung mit sinnlichem<br />

Genuss verbindet.<br />

Die Fortpflanzung des kollektiven Gedächtnisses hat sich in der Gesellschaft in Form von Bildung<br />

institutionalisiert. Die Lehren der Geschichte sollten in Schulen und Hochschulen in vollem Umfang<br />

der nächsten Generationen übertragen werden. Das heutige Bildungssystem ist jedoch<br />

mehr Ausdruck einer exklusiven Hochkultur als des kollektiven Gedächtnisses der <strong>Region</strong>. Entsprechend<br />

wird die Jugend so sozialisiert, dass sie sich nach oben orientiert und nach unten<br />

entsprechend abgrenzt – anstatt zu lernen, die eigenen Wurzeln zu wertschätzen. Welche Bildung<br />

wünscht sich die <strong>Region</strong> für ihre Kinder?<br />

4<br />

„Die wenigsten Burgen stammen aus dem Mittelalter, sondern wurden nach mittelalterlichem Vorbild<br />

nachgebaut bzw. restauriert. Lediglich die Burgen Pfalz Grafenstein auf der Insel vor Kaub und die<br />

Marksburg über Braubach sind ‚echte‘ und unzerstörte Burgen des Mittelalters – das wissen jedoch die<br />

Wenigsten.“ (persönliche Mitteilung von Maximilian Siech, Zweckverband Welterbe <strong>Oberes</strong> <strong>Mittelrheintal</strong>,<br />

24.07.<strong>2019</strong>)<br />

5<br />

Unter der Bedingung, dass eine Gemeinschaft dafür die Verantwortung trägt und ein bestimmter Rahmen<br />

als Vereinbarung vorgegeben wird.<br />

38

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