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Studie Kultur Region Oberes Mittelrheintal 2019 - Davide Brocchi

Davide Brocchi Wandel durch Kultur – Kultur im Wandel Neue Entwicklungspfade für die Region Oberes Mittelrheintal Eine Studie auf Basis von zwölf Experteninterviews, im Auftrag des Zweckverbandes Welterbe Oberes Mittelrheintal

Davide Brocchi
Wandel durch Kultur – Kultur im Wandel
Neue Entwicklungspfade für die Region Oberes Mittelrheintal

Eine Studie auf Basis von zwölf Experteninterviews,
im Auftrag des Zweckverbandes Welterbe Oberes Mittelrheintal

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Wandel durch <strong>Kultur</strong> – <strong>Kultur</strong> im Wandel<br />

Neue Entwicklungspfade für die <strong>Region</strong> <strong>Oberes</strong> <strong>Mittelrheintal</strong><br />

Realität immer mehr entfernen. So dominiert in den Massenmedien vor allem das Weltbild<br />

der westlichen Mittelschicht und der „Wohlstandsinseln“ (vgl. Hamm 2006: 29). Die<br />

Perspektive der unteren Schichten oder von indigenen Völkern auf die Weltentwicklung<br />

ist die Ausnahme. Die Bildung von „Wahrnehmungsblasen“ stellt die vielleicht größte<br />

Gefahr für unsere Zukunft. Wer die Welt nur aus der Perspektive der „Wohlstandsinseln“<br />

betrachtet, hat oft gleichzeitig auch den größten Einfluss auf die entwicklungspolitischen<br />

Entscheidungen. Gleichzeitig führen die Asymmetrien zu einer breiten Verdrängung<br />

und Zerstörung wertvollen Wissens. Wenn die alten bäuerlichen Traditionen mit<br />

„Unterentwicklung und Rückständigkeit“ gleichgesetzt werden, dann will die Jugend lieber<br />

in die Städte ziehen: den Hof der eigenen Eltern zu übernehmen, kommt für sie einer<br />

lebenslangen Abwertung gleich. Wenn Flüchtlinge nach Europa kommen, dann wird<br />

ihnen eine Anpassung zur westlichen <strong>Kultur</strong> vorgeschrieben: „Wie können sie sich sonst<br />

integrieren, ohne Deutsch zu kennen?“ Die Tatsache, dass diese Menschen die Welt aus<br />

einer ganz anderen Perspektive erleben und erzählen können, wird verdrängt. Flüchtlinge<br />

und Migranten sind jedoch Botschafter anderer Perspektiven, zum Beispiel über<br />

die Frage, was der wahre Zustand der Weltgesellschaft heute sei. Von anderen <strong>Kultur</strong>en<br />

können wir auch sehr viel über das gute Leben lernen. So ist in Lateinamerika das Buen<br />

Vivir der indigenen Völker ein Leben im Gleichgewicht mit der inneren und äußeren Natur<br />

des Menschen, statt ständigen Wirtschaftswachstums. Subkulturen in den Großstädten<br />

fühlen sich in verstaubten Räumen alter Fabriken in der Peripherie wohler als in den<br />

sterilen Räumen der Innenstädte, weil sie dort eigene Lebenskonzepte ausleben und<br />

sich kreativ entfalten können.<br />

Eine enge, fast abwertende Auffassung von <strong>Kultur</strong> ist also ein Paradox, denn sie wird ihrer eigentlichen<br />

gesellschaftlichen Relevanz kaum gerecht. <strong>Kultur</strong> findet nämlich nicht nur in Museen<br />

und Theatern statt, sondern in den Supermärkten oder in den Verwaltungen. Vor allem diese<br />

<strong>Kultur</strong>, die überall stattfindet, ist für die regionale Entwicklung bzw. für die Zukunftsfähigkeit der<br />

<strong>Region</strong> besonders relevant. Der wahre Wert von <strong>Kultur</strong> kann nur dann erkennbar und bewusst<br />

werden, wenn sich zuerst ein Paradigmenwechsel in der <strong>Kultur</strong>politik ereignet: In ihrem Zentrum<br />

sollte nicht mehr der enge <strong>Kultur</strong>begriff stehen. <strong>Kultur</strong> sollte als gesamtgesellschaftliche Aufgabe<br />

verstanden werden.<br />

<strong>Kultur</strong>verständnis der UNESCO<br />

Gerade die Anerkennung des Oberen <strong>Mittelrheintal</strong>s als Welterbe unterstützt ein solches erweitertes<br />

Verständnis von <strong>Kultur</strong>, denn die UNESCO selbst steht stellvertretend dafür. In der Erklärung<br />

von Mexiko-City von 1982 heißt es:<br />

„Die <strong>Kultur</strong> kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen,<br />

intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder<br />

eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch<br />

Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.“<br />

(UNESCO 1982: 1)<br />

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