PC_08_2019_FINAL_X1
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RICK ZABEL<br />
Mit Motivation und<br />
Freude zur Tour<br />
RALPH DENK<br />
Boras Teamchef feiert<br />
sechs nationale Meistertitel<br />
CRITÉRIUM DU DAUPHINÉ<br />
Das Strava-Ranking vom Schlagabtausch<br />
der Tour-Favoriten<br />
AUGUST <strong>2019</strong><br />
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EXKLUSIV-INTERVIEW<br />
LIZZIE<br />
DEIGNAN<br />
DIE GEWINNERIN DER WOMEN’S<br />
TOUR ÜBER MUTTERSCHAFT,<br />
COMEBACK-SIEGE UND DIE WM<br />
IN YORKSHIRE<br />
RETRO<br />
ZWISCHEN BAHN UND<br />
STRASSE – DIE KARRIERE VON<br />
PATRICK SERCU<br />
ROAD TRIP<br />
UNTERWEGS AUF DEM<br />
HIGHWAY 1 BEI DER TOUR<br />
OF CALIFORNIA<br />
RAD DES<br />
MONATS<br />
Das Pinarello<br />
Dogma F12 von<br />
Geraint Thomas<br />
SAM<br />
OOMEN<br />
SPRINTER-<br />
VOR DER GEHEIMNISSE<br />
GRÖSSTEN<br />
HERAUSFORDERUNG<br />
OLYMPIA 1992<br />
SEINES LEBENS
YOUTUBE<br />
FACEBOOK<br />
LINKEDIN<br />
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INSTAGRAM<br />
PERISCOPE
EDITORIAL<br />
START MIT EINEM DOPPELKNALL<br />
Wenn Sie diese Ausgabe von Procycling in den Händen halten, geht die Tour de France <strong>2019</strong> in<br />
die entscheidende Phase. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes befand sich der gesamte<br />
Tross noch auf belgischem Boden und hatte gerade einmal zwei Etappen in den Beinen. In der<br />
Zwischenzeit dürften Triumphe und Tragödien Hand in Hand gegangen sein – schon der erste Tag<br />
der Grande Boucle versammelte beide Welten auf engstem Raum. Sprintass Dylan Groenewegen<br />
schielte beim Start in Brüssel sicher nicht nur mit einem Auge auf den Tagessieg und damit auf das<br />
erste Gelbe Trikot für einen Niederländer seit 30 Jahren, doch seine Hoffnungen zerplatzten durch<br />
einen Massensturz kurz vor dem Ziel. Das Drehbuch der Etappe tischte uns ein anderes, deutlich<br />
überraschenderes Szenario auf – statt Groenewegen war es sein ebenfalls holländischer Teamkollege<br />
Mike Teunissen, der das Team Jumbo–Visma und ganz Radsport-Oranje jubeln ließ.<br />
Auch der zweite Tourtag mit seinem Mannschaftszeitfahren folgte einer ganz besonderen Dramaturgie:<br />
Bis zum letzten Team saßen die als Erste gestarteten Fahrer von Ineos als Leader auf dem<br />
heißen Stuhl der Führenden, ehe sich Tony Martin einen Traum erfüllte und mit seinen Kollegen<br />
die Bestzeit der britischen Equipe unterbot. Genau für solche Momente wurde er von Jumbo–<br />
Visma Ende des vergangenen Jahres verpflichtet, im Vorfeld hatte Martin den Sieg an diesem Tag<br />
daher als großes persönliches Ziel ausgegeben. Was für ein Beginn für ihn und seine Mitstreiter!<br />
Ob er und andere Protagonisten mittlerweile noch dabei sind, kann ich leider nicht vorhersehen –<br />
als kleine Anekdote bleibt mir nur die Anmerkung, dass die Produktion dieser Ausgabe mit einem<br />
Tour-Zeitfahren endet und am Tag der Heftveröffentlichung ein weiteres stattfindet – dieses Mal<br />
müssen sich die Fahrer beim Kampf gegen die Uhr ganz auf sich alleine verlassen, wenn sie in<br />
Pau weitere 27 Kilometer auf ihren Zeitfahrmaschinen absolvieren. Nur dürften nun ganz andere<br />
Athleten und Ziele im Fokus stehen. Der Anfang des Rennens macht jedenfalls Lust auf mehr.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Finale der Tour de France und dieser Ausgabe von Procycling.<br />
Chris Hauke<br />
Redaktion
INHALT<br />
AUSGABE 186 / AUGUST <strong>2019</strong><br />
30<br />
LIZZIE DEIGNAN<br />
Die Fahrerin von Trek-Segafredo über das Leben als<br />
Mutter und ihre Ambitionen bei der Heim-WM.<br />
39<br />
TALENTSCHMIEDE YORKSHIRE<br />
Lizzie Deignan ist nicht die einzige Topfahrerin aus der<br />
Herzkammer des britischen Radsports.<br />
RUBRIKEN<br />
© Jesse Wild<br />
6<br />
SCHNAPP-<br />
SCHUSS<br />
Rennen im Bild<br />
14<br />
PROLOG<br />
Aus dem Herzen<br />
des Pelotons<br />
24<br />
INSIDER<br />
Rick Zabel<br />
& Ralph Denk<br />
28<br />
STRAVA<br />
Die Daten<br />
der Profis<br />
70<br />
NACHLESE<br />
Analysen, Daten,<br />
Erkenntnisse<br />
88<br />
WUNSCH-<br />
LISTE<br />
Produkt-Highlights<br />
96<br />
VORSCHAU<br />
Themen der<br />
nächsten Ausgabe<br />
98<br />
JENS VOIGT<br />
Das letzte<br />
Wort<br />
4 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
42<br />
SAM OOMEN<br />
Nach dem Saison-Aus – der talentierte Niederländer steht vor der<br />
größten Herausforderung seiner noch jungen Karriere.<br />
48<br />
JACK BAUER<br />
Heimunterricht, Rock’n’Roll-Band, Uni-Diplom – der Neuseeländer<br />
hat den vielleicht außergewöhnlichsten Lebenslauf im Peloton.<br />
52<br />
AUF TOUR MIT CANYON-SRAM<br />
Zwischen Höhen und Tiefen – Procycling erlebte die Women’s<br />
Tour hautnah am deutschen Topteam.<br />
60<br />
TOUR OF CALIFORNIA<br />
Bericht aus Übersee – die besondere Atmosphäre und Landschaft<br />
des beliebtesten und besten Radrennens in Amerika.<br />
80<br />
RETRO: PATRICK SERCU<br />
Procycling blickt auf das Leben und die Karriere des größten<br />
Sechstage-Fahrers der Radsportgeschichte zurück.<br />
© Getty Images, Jojo Harper (Mitte)<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 5
SCHNAPPSCHUSS<br />
IMPRESSIONEN DER TOUR DE FRANCE<br />
DIE TEAM-<br />
PRÄSENTATION<br />
Brüssel im Ausnahmezustand –<br />
vor dem Grand Départ waren selbst<br />
die Wahrzeichen der belgischen<br />
Hauptstadt in Gelb gewandet.<br />
Fahrer und Fans genossen das<br />
Spektakel in vollen Zügen.<br />
© Tim De Waele/Getty Images<br />
© Chris Graythen/Getty Images (Viviani)<br />
6 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 7
SCHNAPPSCHUSS<br />
DIE FÜNF<br />
MUSKETIERE<br />
Gute Laune bei Bora–hansgrohe:<br />
Maximilian Schachmann, Emanuel<br />
Buchmann, Teamchef Ralph Denk,<br />
Patrick Konrad und Peter Sagan (v.<br />
l. n. r) zeigen sich vor dem Start der<br />
Grande Boucle in bester Stimmung<br />
und hoffen auf drei erfolgreiche<br />
Wochen.<br />
© Justin Setterfield/Getty Images<br />
8 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
SCHNAPPSCHUSS<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 9
SCHNAPPSCHUSS<br />
DER ERSTE BERGKÖNIG<br />
Greg Van Avermaet bezwingt die Mauer von<br />
Geraardsbergen vor allen anderen und sichert sich<br />
die entscheidenden Punkte im Kampf um das erste<br />
Bergtrikot der Tour <strong>2019</strong>. Mehr wollte er an<br />
diesem Tag nicht erreichen. Im Anschluss<br />
lässt er sich zurückfallen.<br />
© Tim De Waele/Getty Images<br />
10 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
SCHNAPPSCHUSS<br />
STURZOPFER &<br />
ERSATZSIEGER<br />
Nicht nur Jakob Fuglsang (links<br />
oben) erwischt es auf der ersten<br />
Etappe, auch der favorisierte Dylan<br />
Groenewegen kommt kurz vor dem<br />
Ziel zu Fall und muss alle Hoffnungen<br />
auf den Tagessieg begraben.<br />
Für ihn springt sein Jumbo–Visma-<br />
Teamkollege Mike Teunissen in<br />
die Bresche – im Sprint schlägt er<br />
überraschend Peter Sagan und<br />
holt das erste Gelbe Trikot für die<br />
Niederlande seit Erik Breukink im<br />
Jahr 1989.<br />
© Pool/Getty Images (klein)<br />
© Chris Graythen/Getty Images (oben)<br />
© Justin Setterfield/Getty Images (unten)<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 11
SCHNAPPSCHUSS<br />
TONYS TRAUM<br />
WIRD WAHR<br />
Tony Martin (links) wird die zweite<br />
Etappe für immer in Erinnerung<br />
bleiben. Als Lokomotive führt er<br />
sein Team Jumbo–Visma beim<br />
Mannschaftszeitfahren zum Sieg<br />
und sichert dabei auch das Gelbe<br />
Trikot von Mike Teunissen. Es war<br />
sein größtes Ziel bei der<br />
diesjährigen Tour de France.<br />
© Tim De Waele/Getty Images<br />
12 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
SCHNAPPSCHUSS<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 13
PROLOG<br />
AUS DEM HERZEN DES PELOTONS<br />
LA VUELTA <strong>2019</strong><br />
Nach der Tour ist vor der Vuelta.<br />
© NurPhoto/Getty Images<br />
Im August komplettiert die Vuelta das Dreigestirn<br />
der großen Landesrundfahrten. Die<br />
74. Auflage des spanischen Rennens findet<br />
zwischen dem 24. August und dem 15. September<br />
<strong>2019</strong> statt. Auf einer Distanz von 3.272,2<br />
Kilometern enthält die Vuelta acht Bergankünfte,<br />
von denen fünf neu auf dem Programm stehen.<br />
Das spanische Rennen beginnt mit der ersten<br />
von drei Etappen an der Costa Blanca in Salinas<br />
de Torrevieja mit einem Teamzeitfahren. Auf seinem<br />
Weg verlässt das Peloton die Provinz Alicante;<br />
er führt neben Valencia, Teruel, Castellon und<br />
Tarragona auch an Barcelona vorbei. Das Gesamtklassement<br />
wird sich wahrscheinlich bereits in<br />
dieser Anfangsphase formieren, die mehrere<br />
Sprints und neue Anstiege umfasst und es den<br />
Topfahrern ermöglicht, sich von den anderen<br />
Rennteilnehmern abzuheben.<br />
Vor dem ersten Ruhetag steigt dann die Spannung,<br />
wenn sich auf einer der Königsetappen von<br />
Andorra la Vella nach Alto Els Cortals d’Encamp<br />
die ersten unerwarteten Wendungen zeigen werden.<br />
Die spektakuläre Bergetappe im Fürstentum<br />
Andorra erklimmt eine Reihe der härtesten Gebirgspässe<br />
in Andorra und enthält mit dem Call<br />
d’Engolasters einen neuen, vier Kilometer langen<br />
Anstieg der 2. Kategorie. Die weitere Route führt<br />
dann über die Grenze nach Frankreich und kehrt<br />
über Navarra, das Baskenland, Kantabrien und<br />
Asturien auf die Halbinsel zurück, wo zur Freude<br />
der Kletterer einige bekannte und auch einige<br />
neue Gipfel für dieses Jahr in Angriff genommen<br />
werden, zum Beispiel Santuario del Acebo oder<br />
Alto de La Cubilla.<br />
In der letzten Woche wechselt das Rennen zum<br />
Zentralmassiv, abwechselnd zwischen Kastilien-<br />
La Mancha, Kastilien und Leon und der Autonomen<br />
Gemeinschaft Madrid, mit einem herausfordernden<br />
Finale in den Bergen von Gredos und<br />
Guadarrama. Es führt über die mythischen Bergpässe<br />
von La Vuelta, darunter La Morcuera, der<br />
uns bei der Vuelta 2015 ein spannendes Etap-<br />
14 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
Das Podium der letztjährigen<br />
Ausgabe: Simon Yates, Enric Mas<br />
und Miguel Angel Lopez.<br />
penfinale bescherte, als Fabio Aru auf der<br />
20. Etappe das rote Trikot von Tom Dumoulin<br />
in einem packenden Duell übernahm und sich<br />
somit den Gesamtsieg holte.<br />
„Es wird eine harte, aber sehr interessante Vuelta<br />
werden, voller Überraschungen, packender Duelle<br />
und mitreißender Emotionen. Kurze, aber intensive<br />
Etappen einschließlich vieler Innovationen und<br />
neuer, beispielloser Anstiege. Die Marke Vuelta ist,<br />
was sie ist, und wir werden sie nie aufgeben, im Gegenteil,<br />
wir wollen sie weiter stärken“, sagte Javier<br />
Guillen, General Manager von La Vuelta.<br />
Entscheiden dürfte sich die Vuelta also wieder<br />
unter den Kletterern, denn neben dem Zeitfahren<br />
der ersten Etappe gibt es auf der 10. Etappe von<br />
Jurancon nach Pau nur ein weiteres, 36,1 Kilometer<br />
langes Zeitfahren. Ebenso schlecht sind die<br />
Aussichten für die Sprinter, denen das hügelige<br />
Profil der Vuelta wenig entgegenkommt und nur<br />
einige Chancen für Massensprints bietet.<br />
LA ROJA FEIERT SEIN ZEHNJÄHRIGES<br />
JUBILÄUM<br />
Das Rote Trikot des Führenden feiert in diesem<br />
Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Vincenzo Nibali<br />
trug 2010 als erster Gewinner der spanischen<br />
Grand Tour das Rote Trikot, das das Goldene Trikot<br />
ersetzte, welches Alejandro Valverde zuletzt<br />
gewonnen hatte. „Rot wird mit Erfolg, Leidenschaft<br />
und Spanien in Verbindung gebracht und<br />
ist heute fest mit dem unvergleichlichen sportlichen<br />
Spektakel verbunden, das unser Rennen<br />
darstellt“, erklärte Javier Guillen. Die Liste der<br />
Fahrer, die das Rote Trikot in der jüngeren Vergangenheit<br />
am Ende der Rundfahrt erkämpft<br />
haben, umfasst Namen wie Fabio Aru, Vicenzo<br />
Nibali, Nairo Quintana, Alberto Contador, Chris<br />
Froome oder Simon Yates, der sich als Letzter<br />
diesem elitären Club anschloss.<br />
Neben dem tatsächlichen Rennen ist auch die<br />
zu erwartende Liste der teilnehmenden Fahrer<br />
recht spannend. Das durch Stürze und fehlende<br />
Form bedingte Favoritensterben der Tour wird<br />
auch an der Vuelta nicht ganz vorbeigehen. Es<br />
bleibt also abzuwarten, welche unserer Stars wir<br />
am 24. August an der Startlinie sehen werden.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 15
PROLOG<br />
IN ALLER KÜRZE<br />
2021<br />
Das Jahr, bis zu dem Weltmeister<br />
Alejandro Valverde seinen Ver -<br />
trag mit Movistar verlängert hat.<br />
Der 39-Jährige hat bereits erklärt,<br />
dass das Straßenrennen der<br />
Olympischen Spiele in Tokio im<br />
Jahr 2020 ein wichtiges Ziel ist,<br />
und er danach eine weitere Saison<br />
weiterfahren wird.<br />
„DAS WIRD<br />
SICHERLICH<br />
EINE ROLLE<br />
BEI MEINER<br />
ENTSCHEIDUNG<br />
SPIELEN.“<br />
Philippe Gilbert gibt zu, dass seine<br />
Zukunft ungewiss ist, nachdem<br />
Deceuninck–Quick-Step ihn aus<br />
dem diesjährigen Tour-de-France-<br />
Team ausgeschlossen hat.<br />
Madison-Genesis,<br />
eines der ältesten und<br />
erfolgreichsten Teams auf<br />
englischen Rennstrecken,<br />
wird Ende <strong>2019</strong> aufhören.<br />
Das Continental-Team<br />
unterstützte im vergange -<br />
nen Jahr eine Reihe von<br />
aufstrebenden Talenten wie<br />
Scott Davies, Tom Scully<br />
und den britischen Meister<br />
Connor Swift.<br />
Nur sechs Tage trennen<br />
die Tour de France und<br />
das Herren-Straßenrennen<br />
der Olympischen Spiele im<br />
nächsten Jahr. Es bedeutet,<br />
dass Fahrer, die in Tokio um<br />
eine Goldmedaille kämpfen<br />
wollen, sich wahrscheinlich<br />
frühzeitig von der Tour<br />
verabschieden oder ganz auf<br />
sie verzichten müssen.<br />
Zeitfahren<br />
zu Beginn<br />
des Giro<br />
Zum dritten Mal in Folge wird der<br />
Giro d’Italia im nächsten Jahr mit<br />
einem kurzen Einzelzeitfahren<br />
eröffnet. Die Organisatoren von<br />
RCS stellten die Details zur Grand<br />
Partenza 2020 in Ungarn vor.<br />
37<br />
Rennen stehen bei der WorldTour<br />
der Herren für 2020 auf dem Plan.<br />
Die Anzahl ist um eines niedriger<br />
als in der laufenden Saison, da<br />
die Türkei-Rundfahrt aus dem<br />
Rennkalender genommen wurde.<br />
Team<br />
Virtu vor<br />
dem Aus<br />
Trotz seiner Siege bei der Flandern-Rundfahrt<br />
und der Ronde van<br />
Drenthe in diesem Frühjahr wird<br />
das Team Virtu Cycling am Ende<br />
der Saison schließen, da es keinen<br />
neuen Sponsor findet. Bis Ende<br />
Juni feierte das Team zwölf Siege,<br />
vor allem dank der Europameisterin<br />
Marta Bastianelli.<br />
© Getty Images<br />
Die Zukunft des ältesten, durchgehend durchgeführten Etappenrennens<br />
im Damenradsport steht auf der Kippe. Das baskische Rennen<br />
Emakumeen Bira, das erstmals 1988 stattfand, ist im Kalender der<br />
Women’s WorldTour 2020 nicht vertreten.<br />
„Er ist ein Gewinner und<br />
hat den Instinkt und<br />
das Wissen, wie man Siege<br />
erringt, das er immer gerne<br />
mit unseren jüngeren Fahrern<br />
teilt. (…) Das ist die Einstellung,<br />
die wir an ihm schätzen.“<br />
Patrick Lefevere lobte Ždenek<br />
Štybar, nachdem der<br />
Tscheche seinen Vertrag mit<br />
Deceuninck–Quick-Step<br />
verlängert hatte.<br />
10 km<br />
Die Distanz, um die die 3. Etappe<br />
der ZLM-Tour während des Rennens<br />
verkürzt wurde. Nachdem ein<br />
Polizeimotorrad mit einem Auto<br />
kollidiert war, verzichteten die<br />
Organisatoren auf die letzte<br />
Runde, um die Sicherheit der<br />
Fahrer zu gewährleisten.<br />
16 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
„ICH BIN NICHT ÜBER-<br />
MENSCHLICH. ICH HABE<br />
GERADE EINE SCHWERE ZEIT<br />
HINTER MIR, ABER ES IST<br />
KEINE RACHE. ICH HATTE<br />
SCHON IMMER DIESE BEINE.<br />
ICH MUSSTE SIE EINFACH<br />
WIEDERFINDEN.“<br />
Der neue französische Meister Warren Barguil gab zu, dass er<br />
nach schwierigen 18 Monaten ohne Rennsieg über sein<br />
Karriereende nachdachte.<br />
„EIN<br />
WECHSEL<br />
KOMMT<br />
AKTUELL<br />
NICHT<br />
INFRAGE.“<br />
Tom Dumoulin entkräftet gegenüber<br />
De Telegraaf Gerüchte in der<br />
niederländischen Presse, die über<br />
seinen angeblichen Weggang von<br />
Sunweb berichtet hatten.<br />
2023<br />
Das Jahr, bis zu dem AG2R<br />
La Mondiale sein Sponsoring<br />
des französischen WorldTour-<br />
Kaders verlängert hat. Die<br />
Versicherungsgesellschaft<br />
unterstützt das Team bereits<br />
seit 1997.<br />
Tadej Pogacar hat zwar<br />
erst die erste Hälfte<br />
seiner Debütsaison in der<br />
WorldTour absolviert, aber<br />
der 20-Jährige beeindruckte<br />
sein Team UAE Emirates so<br />
stark, dass es seinen Vertrag<br />
bis 2023 verlängerte. Der<br />
Slowene gewann bereits die<br />
Algarven-Rundfahrt sowie die<br />
Kalifornien-Rundfahrt.<br />
Verfahren<br />
geht<br />
weiter<br />
Die UCI hat eine Untersuchung<br />
wegen angeblichen Missbrauchs<br />
gegen den Manager Patrick<br />
Van Gansen vom Health Mates<br />
Ladies Team eingeleitet. Bisher<br />
haben neun Fahrerinnen Anschuldigungen<br />
erhoben. Die Beschwerden<br />
der Fahrer kon zentrieren<br />
sich auf Verstöße gegen den<br />
Verhaltenskodex der UCI, insbesondere<br />
auf den Schutz der<br />
körperlichen und geistigen Integrität<br />
vor sexueller Belästigung<br />
und Missbrauch. Van Gansen<br />
bestreitet alle Vorwürfe.<br />
111 h<br />
48 min<br />
Die Zeit, die Lachlan Morton von<br />
EF Education First benötigte, um<br />
das 2.000 Kilometer lange GB-<br />
Duro-Rennen von Land’s End bis<br />
John O’Groats zu beenden und zu<br />
gewinnen. Der 27-jährige<br />
Amerikaner bestritt die<br />
Veranstaltung im Rahmen seines<br />
„alternativen Rennkalenders“. „Es<br />
war die unglaublichste Erfahrung<br />
meines Lebens“, sagte Morton.<br />
6Bora–hansgrohe vereint nun<br />
die Trikots mehrerer nationaler<br />
Meister in seinem Team. Patrick<br />
Konrad, Juraj Sagan, Davide<br />
Formolo, Sam Bennett und Max<br />
Schachmann gewannen die<br />
Straßenrennen in Österreich, der<br />
Slowakei, Italien, Irland und<br />
Deutschland, während Maciej<br />
Bodnar den polnischen Titel im<br />
Zeitfahren gewann.<br />
Frankreich<br />
hat einen<br />
neuen<br />
Trainer<br />
Thomas Voeckler wird die Rolle<br />
des Cheftrainers für die französische<br />
Nationalmannschaft<br />
übernehmen. Er wird Nachfolger<br />
des 72-jährigen Cyrille Guimard,<br />
der dieses Amt zwei Jahre lang<br />
innehatte.<br />
„ICH WILL<br />
NICHT HINTER<br />
DEN ANDEREN<br />
FAHRERN<br />
ZURÜCK-<br />
BLEIBEN.<br />
ES IST EINE<br />
SCHWIERIGE<br />
EINTSCHEI-<br />
DUNG, ABER ES<br />
GIBT EINIGE<br />
OPTIONEN.“<br />
Sam Bennett deutet Cyclingnews<br />
an, dass seine Zukunft weg von<br />
Bora–hansgrohe liegt, nachdem<br />
er in diesem Jahr die Giro- und<br />
Tourauswahl verpasst hat.<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 17
PROLOG<br />
GERAINT THOMAS<br />
PINARELLO<br />
DOGMA F12<br />
Der Tour-de-France-Sieger<br />
von 2018 bekommt ein<br />
brandneues Rad für die<br />
Titelverteidigung.<br />
Pinarello beliefert das britische Team Ineos seit<br />
der ersten Saison 2010 mit Fahrrädern. In dieser<br />
Zeit feierte die italienische Marke einen beispiellosen<br />
Erfolg: Sechs große Rundfahrten wurden auf ihren<br />
Rädern gewonnen.<br />
Die neueste Rennmaschine, die im Mai vorgestellt wurde,<br />
ist das F12. Es ist der Nachfolger des F10 und des F8,<br />
das in Zusammenarbeit mit Aerodynamikexperten von<br />
Jaguar-Land Rover entwickelt wurde. Nach außen hin<br />
wirkt es ähnlich wie das F10 – die niedrige Sitzstrebenverbindung<br />
ist bei beiden Modellen gleich und das Unterrohr<br />
ist etwas vertieft, sodass die Luft besser an den<br />
Trinkflaschen vorbeiströmt.<br />
Der Großteil der Aero-Optimierung beim F12 kommt<br />
vom neuen, integrierten Talon-Ultra-Vorbau und -Lenker,<br />
der leichter und steifer sein soll als sein Vorgänger,<br />
der Talon Aero. Dank eines etwas massiveren Tretlagerbereiches<br />
bietet das Fahrrad eine bessere Kraftübertragung.<br />
Pinarello sagt, dass man all dies erreicht habe,<br />
ohne den Rahmen schwerer zu machen. Ineos wird von<br />
Shimano gesponsert, weshalb Thomas’ Rad mit einer<br />
Dura-Ace-Di2-Gruppe ausgestattet ist, und da dies sein<br />
Trainingsrad ist, rollt es aus praktischen Gründen auf<br />
C60-Clincherfelgen.<br />
© Ian Walton, Getty Images (Porträt)<br />
AUSSTATTUNG<br />
Rahmen Pinarello Dogma F12 und Onda-F12-Gabel<br />
Ausstattung Pinarello-Talon-Ultra-Lenker und -Vorbau;<br />
Dogma-F12-Sattelstütze; Fizik-Arione-R1-Sattel; Shimano-<br />
Dura-Ace-Pedale Schaltgruppe Shimano-Dura-Ace-<br />
Hebel und -Schaltung; Dura-Ace-Direct-Mount-Felgenbremsen<br />
Kurbel Shimano-Dura-Ace-53/39-Kettenblätter<br />
mit Leistungsmesser Laufräder Shimano Dura-Ace 9100<br />
C60 Reifen Continental-5000-Drahtreifen<br />
WALISISCHER DRACHE<br />
Der Ineos-Rahmen ist eher dezent,<br />
aber ein Ddraig Goch am Steuersatz<br />
deutet auf den Fahrer dieser<br />
Rennmaschine hin.<br />
AERO-COCKPIT<br />
Lenker und Vorbau machen<br />
20 Prozent der Front aus, weshalb<br />
Pinarello sein Talon Ultra Cockpit<br />
für das F12 neu entwickelte.<br />
18 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
BREMSHILFE<br />
Der von Ineos gefahrene F12-<br />
Rahmen wurde optimiert, um<br />
stärkere Direct-Mount-Bremsen<br />
montieren zu können.<br />
KETTENFÄNGER<br />
Der Di2-Umwerfer ist mit einem<br />
K-Edge-Kettenfänger kombi -<br />
niert – zehn Gramm Sicherheit<br />
gegen herunterfallende Ketten.<br />
SITZGELEGENHEIT<br />
Sättel tendieren neuerdings zu kürzeren<br />
Formen, aber Thomas bleibt<br />
relativ altmodisch mit einem Fizik<br />
Arione R1, der lang, aber leicht ist.<br />
SCHALTPRÄZISION<br />
Das Direct-Mount-Schaltauge ist<br />
steifer als bisher verwendete<br />
Schaltaugen und verbessert so die<br />
Schaltgenauigkeit.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 19
PROLOG<br />
SCHAUFENSTER<br />
PRODUKT-TIPPS ZUR TOUR DE FRANCE<br />
Tour de France <strong>2019</strong><br />
TOUR DE FRANCE AM COMPUTER<br />
© Hersteller<br />
Die Tour de France ist in vollem Gange. Wem die Etappen im<br />
Fernsehen nicht ausreichen, der kann mit dem Spiel Tour de<br />
France <strong>2019</strong> von Bigben Interactive und Cyanide nun selbst in<br />
die Rolle eines Fahrers schlüpfen. Insgesamt stehen 761 Profis<br />
zur Wahl, mit denen man auf den originalgetreu nachgebauten<br />
21 Etappen der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt in die Pedale<br />
treten und um das Maillot Jaune kämpfen kann. Zum ersten<br />
Mal in der Geschichte der Serie können die Spieler auch online<br />
spielen und bis zu drei andere Spieler in kürzeren, intensiveren<br />
Rennen herausfordern: Abfahrten, Sprints, Teamtaktiken. Neben<br />
der Tour de France sind auch weitere Rennen, etwa die Flandern-<br />
Rundfahrt, verfügbar. Gespielt werden kann das Game auf den<br />
Konsolen PlayStation 4 und Xbox One.<br />
www.bigben-interactive.de / www.cyanide-studio.com<br />
20 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
_arena<br />
EINE HOMMAGE<br />
AN DIE WELTWEIT<br />
GRÖSSTE ARENA<br />
_arena heißt die neueste Ausstellung und Buchveröffentlichung<br />
des renommierten Fotografen Tino Pohlmann. Der Bildband<br />
möchte die Schönheit und Erhabenheit der Tour de France durch<br />
seine zwei wesentlichen Mitgestalter feiern: die schroffen, wilden<br />
Berge Frankreichs und die Hunderttausenden Fans, die die Natur -<br />
landschaft in die weltweit größte Open-Air-Sportstätte verwandeln.<br />
Pohlmanns großformatige Bilder machen diese einzigartige<br />
Vereinigung von Natur und Sport sichtbar und fungieren als<br />
Hommage an die Zuschauer, deren Präsenz vor der gewaltigen<br />
Naturkulisse die wahre Größe der Tour zeigen. Das Buch ist in<br />
einer limitierten Auflage von 1.000 Stück erhältlich – ein ganz<br />
besonderes Werk für Fans. Die Vorstellung des Buches (64 Seiten<br />
mit 29 Abbildungen) fand am 27. Juni in Berlin statt, im Interview<br />
sprach Procycling mit Pohlmann über sein neuestes Werk.<br />
Herr Pohlmann, wie ist die Idee zu dem Bildband<br />
entstanden?<br />
Eigentlich entstand die Idee zum Buch eher aus der<br />
Situation heraus. Ich habe die Ausstellung _arena schon lange<br />
im Zusammenhang mit der Online-Plattform collected.photo<br />
geplant und ursprünglich sollte es „nur“ ein Ausstellungskatalog<br />
werden. Jetzt ist es ein kleines Buch geworden mit einer größeren<br />
Auflage als ein Ausstellungskatalog. Etwas aufwendiger gestaltet<br />
und umgesetzt, sodass man die Arbeit mit vielen Fans<br />
der Tour, Fotoliebhabern und Kunstinteressierten teilen kann.<br />
Das Buch _arena wird quasi eine Brücke von meinem letzten<br />
Buch Captured zu einer etwas größeren Arbeit in fünf Jahren –<br />
meine 20. Tour de France – bilden.<br />
Warum eigentlich der Name Arena? Inwieweit nehmen<br />
Sie die Tour de France als Arena wahr?<br />
_arena ist eine Hommage von mir an die letzte verbleibende<br />
Arena. An den Kampfplatz, den der Zuschauer ohne das Zahlen<br />
von Eintrittsgeldern betreten und so eines der weltweit größten<br />
Sportereignisse hautnah miterleben kann. Arena ist eine Huldigung<br />
an die Schönheit der Berge und zugleich an die Tour de<br />
France selbst, welche Jahr für Jahr Millionen Menschen in ihren<br />
Bann zieht. Ich nehme die Berge besonders als Arena wahr. Sie<br />
bilden für mich den Hauptkampfplatz des Heldenkampfes im<br />
Radsport. Alle möglichen Dramen spielen sich in jeder Hinsicht<br />
an einem Berg ab. Mit einem Blick in die Geschichte der Tour<br />
weiß jeder, was ich damit meine. Es geht bis in den Tod aber<br />
auch neue Helden werden geboren, Helden verlieren, denn ein<br />
Berg verzeiht keine Schwächen eines Fahrers und lässt sich direkt<br />
einen ungerechten Tribut an Leiden zahlen. Diese kleinen<br />
und großen Dinge auch jenseits des Pelotons, am Rande, inspirieren<br />
mich immer wieder neu. Der Mensch gegen die Natur –<br />
er bezwingt den Berg in übermenschlicher Manier und das Volk,<br />
die Fans werden hautnah Zeuge dessen.<br />
Sie sind seit vielen Jahren bei der Tour dabei. Woher<br />
kommt eigentlich Ihre Leidenschaft zum Radsport?<br />
Als Jugend- und Juniorenfahrer bin ich selbst im Sattel gesessen<br />
und Rennen gefahren – ich denke, das hat mich sehr geprägt.<br />
Auf jeden Fall hilft es mir, die Rennen zu lesen und ein eigenes,<br />
selbst erfahrenes Gefühl zum Sport zu haben. Später, während<br />
meines Designstudiums, habe ich dann beschlossen, meine<br />
Diplomarbeit über die Tour de France zu schreiben und zu bebildern.<br />
So war ich 2004 das erste Mal bei der Tour de France<br />
als Fotograf. Das war vor 15 Jahren für mich der Startschuss<br />
für ein sehr langes Fotoprojekt. Ich fotografiere die Tour seitdem<br />
jedes Jahr. Die Liebe zum Radsport und die Möglichkeit,<br />
diese in meiner Arbeit einfließen zu lassen, machen mich sehr<br />
glücklich.<br />
Sie sind also auch bei der diesjährigen Tour de France<br />
dabei?<br />
Natürlich.<br />
Auf was freuen Sie sich bei der Tour de France <strong>2019</strong> am<br />
meisten?<br />
Auf die Berge [lacht]. Nein, im Ernst: Mich fasziniert an dieser<br />
Sportart die Tatsache, dass man nie genau weiß, was passieren<br />
wird. Alles ist möglich, das löst eine Spannung bei mir aus, auf<br />
die ich mich freue. Ich freue mich auf die Abenteuer, auf die<br />
Nähe zu meinen Partnern. Ich fotografiere seit Jahren im Auftrag<br />
für Canyon Bicycles die Tour, nah an den Profiteams, das<br />
ist besonders, da wachsen Teams und Freundschaften – auch<br />
darauf freue ich mich sehr. Am meisten jedoch auf die letzten<br />
Kämpfe in den Bergen. Dieses Jahr in den französischen Alpen.<br />
© Tino Pohlmann<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 21
PROLOG<br />
Oakley<br />
JUBILÄUM<br />
IN GELB<br />
Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums<br />
des ersten gelben Trikots, das der<br />
führende Teilnehmer in der Gesamtwertung<br />
der Tour de France trägt, hat der<br />
Brillenspezialist Oakley eine spezielle<br />
Tour-de-France-Kollektion aufgelegt.<br />
Die verschiedenen Modelle sind unter<br />
anderem mit Platinelementen bestückt<br />
und kommen mit den aktuellen Prizm-<br />
Road-Gläsern. Diese wurden speziell im<br />
Hinblick auf die komplexe Farbinterpre -<br />
tation des menschlichen Auges designt.<br />
Das Ziel: Kontraste erhöhen, sodass<br />
Nuancen besser wahrgenommen werden.<br />
Der Hersteller verspricht sogar, dass<br />
Details erkennbar werden, die man<br />
normalerweise nicht sehen würde. Das<br />
Tour-de-France-Logo auf den Gläsern<br />
rundet den Auftritt der Sonderedition<br />
gelungen ab.<br />
Mavic<br />
LAUFRÄDER FÜR TOUR-FANS<br />
Etwas ganz Besonderes hat sich Mavic mit seiner Tour de France Limited Edition einfallen<br />
lassen. Die Laufradsätze Comete, Cosmic und Ksyrium gibt es nämlich auch in einem<br />
speziellen Tour-de-France-Design. Je nach Einsatzbereich der Laufräder unterscheiden sich<br />
die Looks: Die Comete sind so mit ihren Motiven von den diesjährigen Flachetappen der<br />
Sprinter inspiriert. Die Cosmic hingegen widmen sich den hügeligen Etappen der Frankreich-<br />
Rundfahrt <strong>2019</strong> für die Puncheure. Und die Ksyrium wiederum punkten im Design der Bergfahrer<br />
mit den Anstiegen und Bergetappen der Großen Schleife. Alle drei Modellfamilien gibt<br />
es in verschiedenen Varianten – unter anderem für Scheibenbremsen und Tubeless – ideal,<br />
um dem eigenen Renner pünktlich zur Tour das gewisse Etwas zu verleihen.<br />
www.mavic.com<br />
www.oakley.com<br />
Tissot<br />
DIE TOUR-ZEIT IMMER IM BLICK<br />
© Hersteller<br />
Der Schweizer Uhrenspezialist Tissot<br />
huldigt auch der diesjährigen Frank -<br />
reich-Rundfahrt wieder mit zwei<br />
Spezialeditionen. Die Chrono XL Tour<br />
de France <strong>2019</strong> widmet sich dabei<br />
dem 100-jährigen Jubiläum des Maillot<br />
Jaune. Der schwarz-gelbe Quarz-Chronograf<br />
wird mit zwei Wechselarmbändern<br />
ausgeliefert, von denen eines<br />
von zahlreichen Gelben Trikots geziert<br />
wird. Auf dem Zifferblatt ist außerdem<br />
ein dezentes Speichenmuster erkenn -<br />
bar. Die zweite der Tour gewidmete<br />
Uhr ist die T-Race Cycling Tour de<br />
France <strong>2019</strong>, die Fahrraddetails wie<br />
Ritzel rund um die Zähler, auf der<br />
Krone sowie auf dem Gehäuseboden,<br />
das Rad in der Gabel in Form der Zeiger<br />
oder die Schalt-/Bremshebel als<br />
Drücker aufnimmt, kombiniert mit<br />
einem „asphaltgekörnten“ Zifferblatt.<br />
www.tissotwatches.com<br />
22 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
Namedsport<br />
TOUR DE FRANCE IN DER FLASCHE<br />
Tour de France auch in der Trinkflasche bietet Namedsport. Der Nutritionspezialist hat<br />
nämlich ebenfalls ein spezielles Tour-de-France-Angebot seines Hydrafit Isodrinks im<br />
Angebot. Die exklusive Mischung enthält Mineralsalze, Maltodextrin und Vitamine und ist<br />
speziell zur Zubereitung eines hypotonischen und elektrolytischen Getränks entwickelt<br />
worden. Damit ist es besonders für heiße Tage in den Alpen oder Pyrenäen geeignet, wenn<br />
man bei intensiven Einheiten Flüssigkeits- und Salzverlust durch starkes Schwitzen ausgleichen<br />
muss. Netter Nebeneffekt: Die Mischung verringert Müdigkeit und Erschöpfung<br />
der Muskulatur und hilft so auch gegen Krämpfe und Muskelschmerzen. Im Lieferumfang<br />
enthalten sind eine 400-Gramm-Dose sowie eine Trinkflasche.<br />
www.namedsport.com<br />
Look<br />
PEDALE FÜR<br />
TOUR-FANS<br />
<strong>2019</strong> werden bei der Tour de France neun Teams mit Look-Pedalen ausgestattet sein. Doch<br />
die Verbindung des französischen Herstellers zum größten Radrennen der Welt geht noch<br />
weiter: Wie schon in den vergangenen Jahren bringt man auch <strong>2019</strong> wieder eine Spezialedition<br />
der berühmten Kéo-Pedale in den Handel. Der Name: Look Kéo Blade Carbon Ceramic<br />
Titan Tdf 19. Die limitierten Pedale sind auf den Einsatz im Rennsport zugeschnitten und<br />
verfügen unter anderem über Keramiklager. Besonderer Wert wurde zudem auf das Gewicht<br />
gelegt. Mit Titanachse beträgt das Gewicht eines Pedalkörpers so gerade einmal 95 Gramm.<br />
www.lookcycle.com / www.grofa.com<br />
Elite<br />
TRINKEN WIE<br />
DIE TOUR-<br />
SIEGER<br />
Speziell zur Tour de France gibt es von<br />
Elite wieder die Trinkflasche Fly in<br />
speziellem Design. Die Trinkflaschenserie<br />
wird exklusiv für die Tour de France <strong>2019</strong><br />
hergestellt und ist unter anderem mit<br />
den offiziellen Logos der Veranstaltung<br />
bedruckt. Das Modell selbst überzeugt<br />
unter anderem durch seinen ergonomisch<br />
designten Deckel, der mit einem Ventil<br />
aus weichem, geruchs- und geschmacksneutralem<br />
Silikon für einfaches Befüllen<br />
und Reinigen sowie einfache und hohe<br />
Flüssigkeitsabgabe bestückt ist. Auch die<br />
gute Griffigkeit und zugleich gute Quetschbarkeit<br />
fallen positiv auf. Mit einem Durch -<br />
messer von 74 Millimetern ist die Flasche<br />
gut geeignet für normale Flaschenhalter<br />
und mit einer Höhe von 185 Millimetern<br />
(bei einem Füllvolumen von 550 Millilitern)<br />
sehr kompakt und passt dadurch auch an<br />
kleine Rahmen.<br />
www.elite.com<br />
© Hersteller<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 23
PROLOG<br />
INSIDER<br />
RICK ZABEL<br />
MIT MOTIVATION ZUR TOUR<br />
Der Katusha-Alpecin-Profi berichtet über seine Ziele in Frankreich.<br />
Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Jojo Harper/Team Katusha-Alpecin (Porträt), Tim De Waele/Getty Images<br />
Mit dem Zug zur Tour. Gerade<br />
befinde ich mich auf<br />
dem Weg zum Start der<br />
Tour de France nach Brüssel. Nach<br />
2017 und 2018 wird es meine dritte<br />
Frankreich-Rundfahrt sein – und<br />
hoffentlich auch meine bisher erfolgreichste.<br />
Denn nach dem verletzungsbedingt<br />
schwierigen Frühjahr<br />
ging es in den letzten Wochen mit<br />
meiner Form stark bergauf – genau<br />
rechtzeitig für die drei schweren<br />
Wochen in Frankreich.<br />
Den Feinschliff für die Tour holte<br />
ich mir in den letzten Wochen beim<br />
GP Kanton Aargau im schweizerischen<br />
Gippingen, bei der Tour de<br />
Suisse und letztlich bei der deutschen<br />
Straßenmeisterschaft. Zu<br />
meinen Resultaten gibt es hier leider<br />
– außer einem achten Platz in Gippingen<br />
– nicht viel zu berichten. Zu<br />
anspruchsvoll und zu bergig waren<br />
die Rennen in der Schweiz, die damit<br />
aber trotzdem ihren Zweck perfekt<br />
erfüllten: mich auf die harten<br />
Etappen bei der Frankreich-Rundfahrt<br />
vorzubereiten. Eine Tour wie<br />
in der letzten Saison, als ich in den<br />
Bergen das Rennen vorzeitig aufgeben<br />
musste, will ich in diesem Jahr<br />
schließlich nicht mehr erleben.<br />
Ursprünglich hatte ich auch auf<br />
ein gutes Ergebnis bei der deutschen<br />
Meisterschaft am Sachsenring gehofft.<br />
Doch schon nach der ersten<br />
Trainingsrunde war mir klar, dass<br />
„BISHER IST EIN ELFTER PLATZ AUS DER<br />
VERGANGENEN SAISON MEIN BESTES<br />
EINZELRESULTAT BEI DER TOUR – DAS WILL<br />
ICH IN DIESEM JAHR TOPPEN.“<br />
das Rennen deutlich selektiver<br />
werden würde als ursprünglich angenommen.<br />
Auf 180 Kilometern<br />
kamen über 3.000 Höhenmeter zusammen<br />
– zu viel für einen schweren<br />
Fahrer wie mich. Aber nicht nur bei<br />
der offiziell niedriger angegebenen<br />
Höhenmeterzahl, sondern auch beim<br />
Modus hat sich der Bund Deutscher<br />
Radfahrer nicht mit Ruhm bekleckert.<br />
Aufgrund der Streckenführung<br />
mussten alle Fahrer aus dem Rennen<br />
genommen werden, die sich mehr als<br />
zwei Minuten hinter einer Spitzengruppe<br />
befanden. Die Folge: Das<br />
Rennen wurde zu einem Ausscheidungsfahren,<br />
bei dem sich das Feld<br />
Stück für Stück verkleinerte. Mich<br />
erwischte es auf Position 22 liegend,<br />
gemeinsam mit Christian Knees und<br />
Christoph Pfingsten. Zu dem Zeitpunkt<br />
waren noch etwa 30 Kilometer<br />
zu fahren, die ich zu Trainingszwecken<br />
auch gerne im Renntempo<br />
absolviert hätte. Da dies aufgrund<br />
des Modus aber nicht möglich war,<br />
war die DM mit der weiten Anreise<br />
an den Sachsenring so für mich leider<br />
ein Event, das ich mir sparen<br />
hätte können. Nichtsdestotrotz<br />
möchte ich dem gesamten Team<br />
Bora–hansgrohe zu der tollen Leistung<br />
gratulieren. Es hat seine zahlenmäßige<br />
Überlegenheit perfekt<br />
ausgespielt. – Chapeau!<br />
Nun aber zur Tour de France. Zuallererst<br />
freue ich mich riesig, dass ich<br />
wieder in Frankreich dabei sein darf.<br />
Meine Form ist gut und ich hoffe,<br />
dass ich das bei der ein oder anderen<br />
Gelegenheit unter Beweis stellen<br />
kann. Angeführt wird das Aufgebot<br />
von Katusha-Alpecin von Ilnur Zakarin<br />
und Nils Politt. Ilnur hat sein<br />
Können in diesem Jahr ja schon<br />
beim Giro eindrucksvoll gezeigt und<br />
Nils ist nach seinem bärenstarken<br />
<strong>2019</strong> bestreitet der 25-jährige Rick<br />
Zabel seine dritte Tour de France.<br />
Frühjahr mehr als reif für einen<br />
Erfolg bei einer großen Landesrundfahrt.<br />
Mit den weiteren Fahrern –<br />
Alex Dowsett, Jens Debusschere,<br />
José Goncalves, Marco Haller, Mads<br />
Würtz Schmidt und mir – haben wir<br />
auf dem Papier vielleicht nicht das<br />
stärkste Aufgebot aller Mannschaften,<br />
aber durchaus eines, das für<br />
Überraschungen gut ist. Und genau<br />
diese Karte wollen wir spielen.<br />
Konkret heißt das, dass wir auf<br />
Etappenjagd gehen werden. Wir<br />
werden attackieren und uns so oft<br />
wie möglich an der Spitze präsentieren.<br />
Auch ich werde meine Chance<br />
erhalten – entweder im Sprint oder<br />
aus einer Fluchtgruppe heraus. Ich<br />
bin dabei aber realistisch genug,<br />
dass ein Etappensieg für mich wohl<br />
noch ein zu hohes Ziel ist. Ein Top-<br />
Ten-Ergebnis würde ich an einem<br />
Tag aber schon gerne einfahren.<br />
Bisher ist ein elfter Platz aus der<br />
vergangenen Saison mein bestes<br />
Einzelresultat beim größten Radrennen<br />
der Welt – das will ich in<br />
diesem Jahr toppen!<br />
Geboren am 7. Dezember 1993,<br />
zog es den Sohn von Erik Zabel<br />
schon früh zum Radsport. Nach<br />
guten Platzierungen bei den Junioren<br />
wechselte er 2012 zum Rabobank<br />
Development Team. 2014<br />
wurde Rick Zabel Profi bei BMC und<br />
fuhr drei Jahre bei der US-amerikanischen<br />
Equipe. 2017 wechselte er<br />
zu Katusha-Alpecin und bestritt<br />
erstmals die Tour de France und<br />
die Straßen-WM.<br />
24 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
PURE<br />
CYCLING<br />
ULTIMATE<br />
Weltmeister Alejandro Valverde attackiert auf dem Ultimate,<br />
als das Peloton an der legendären Kapelmuur bei der<br />
Flandern-Rundfahrt auseinanderfällt.<br />
canyon.com
PROLOG<br />
Emanuel Buchmann<br />
musste sich seinen dritten<br />
Platz bei der Dauphiné<br />
hart erkämpfen -<br />
hier auf der siebten<br />
Etappe.<br />
© Tim de Waele/Getty Images<br />
26 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
INSIDER<br />
RALPH DENK<br />
MIT DEM MEISTERTRIKOT ZUR TOUR<br />
Der Teamchef von Bora–hansgrohe blickt auf die nationalen Meisterschaften zurück.<br />
Fünf Meistertrikots, zehn Medaillen<br />
– die nationalen Meisterschaften<br />
waren für uns ein<br />
voller Erfolg. Nachdem Maciej Bodnar<br />
seinen Zeitfahrtitel in Polen verteidigen<br />
konnte, holten wir uns bei<br />
den Straßenrennen eine Woche vor<br />
der Tour de France auch die Meistertitel<br />
in Deutschland (Maximilian<br />
Schachmann), Österreich (Patrick<br />
Konrad), Italien (Davide Formolo),<br />
Irland (Sam Bennett) und der Slowakei<br />
(Juraj Sagan). Insgesamt stehen<br />
somit für Bora–hansgrohe zehn Medaillen<br />
zu Buche – ich weiß nicht, ob<br />
ein Team jemals in so einer großen<br />
Leistungsbreite bei den nationalen<br />
Titelkämpfen abgeschnitten hat.<br />
Besonders gefreut hat mich der<br />
dominante Auftritt bei den deutschen<br />
Titelkämpfen. Mit dem Dreifacherfolg<br />
durch Maximilian<br />
Schachmann, Marcus Burghardt<br />
und Andreas Schillinger konnten wir<br />
einmal mehr unter Beweis stellen,<br />
dass wir momentan der Platzhirsch<br />
im deutschen Radsport sind. Das<br />
Siegerfoto ist natürlich ein ganz besonderes:<br />
Drei Bora-Fahrer, die nebeneinander<br />
jubelnd über die Ziellinie<br />
fahren – so etwas erlebt man<br />
als Teamchef nicht oft. Die Einlaufreihenfolge<br />
hatten wir während des<br />
Rennens vereinbart: Uns war es<br />
wichtig, dass unsere Fahrer im Finale<br />
nicht gegeneinander, sondern miteinander<br />
fahren und unseren Teamgeist<br />
demonstrieren. Da Marcus<br />
Burghardt bereits Meister war, fiel<br />
die Wahl auf Maximilian Schachmann.<br />
Er geht somit auch im Meistertrikot<br />
bei der Tour an den Start.<br />
Sehr gegönnt hätten wir den Titel<br />
aber auch Andreas Schillinger. Er<br />
fährt mittlerweile im zehnten Jahr<br />
bei uns und tritt als Helfer normalerweise<br />
kaum in Erscheinung. Viele<br />
Leute unterschätzen ihn deshalb<br />
gerne, doch auch als Helfer muss<br />
man in der WorldTour eine große<br />
Klasse aufweisen. Entsprechend<br />
„DREI BORA-FAHRER, DIE NEBENEINANDER<br />
JUBELND ÜBER DIE ZIELLINIE FAHREN –<br />
SO ETWAS ERLEBT MAN ALS<br />
TEAMCHEF NICHT OFT.“<br />
schön war es, dass „Schilli“ sein<br />
Potenzial gezeigt hat.<br />
Wenn ihr diese Zeilen lest, ist die<br />
Tour de France bereits in vollem<br />
Gange. Unsere acht Fahrer sind<br />
Emanuel Buchmann, Marcus Burghardt,<br />
Maximilian Schachmann,<br />
Peter Sagan, Daniel Oss, Patrick<br />
Konrad, Gregor Mühlberger und Lukas<br />
Pöstlberger. Wir schicken damit<br />
definitiv unser stärkstes Team nach<br />
Frankreich, sodass ich hoffe, dass<br />
wir dort anknüpfen können, wo wir<br />
vor der Tour aufgehört haben. Nicht<br />
zuletzt das tolle Ergebnis bei den<br />
nationalen Meisterschaften hat gezeigt:<br />
Die Mannschaft ist bereit<br />
für die Tour. Aber auch bei den<br />
beiden Vorbereitungsrennen, dem<br />
Platz eins, zwei und drei für<br />
Bora–hansgrohe. Die bayerische<br />
Equipe dominierte die deutschen<br />
Straßenmeisterschaften auf dem<br />
Sachsenring.<br />
Critérium du Dauphiné und der<br />
Tour de Suisse, konnten wir uns mit<br />
zwei dritten Plätzen durch Emanuel<br />
Buchmann und Patrick Konrad ganz<br />
vorne präsentieren.<br />
Diese beiden werden sich auch<br />
die Kapitänsrolle im Hinblick auf die<br />
Gesamtwertung teilen – und eine<br />
Platzierung unter den besten Zehn<br />
anvisieren. Ich bin hier sehr optimistisch,<br />
dass das klappen wird. Im<br />
Vergleich zur Vuelta im vergangenen<br />
Jahr haben wir dieses Mal bei Emanuel<br />
etwa spezifisch auch darauf geachtet,<br />
dass er nicht zu früh in Form<br />
ist, weshalb er beispielsweise auch<br />
nicht bei der deutschen Meisterschaft<br />
am Start, sondern stattdessen<br />
nach wie vor im Höhentrainingslager<br />
war. Und Patrick Konrad hat bereits<br />
im vergangenen Jahr mit seinem<br />
siebten Rang beim Giro unter Beweis<br />
gestellt, wozu er bei einer dreiwöchigen<br />
Landesrundfahrt in der<br />
Lage ist. Die Voraussetzungen für<br />
die Tour de France <strong>2019</strong> sind also<br />
nahezu perfekt.<br />
Ralph Denk ist Teammanager der<br />
deutschen WorldTour-Mannschaft<br />
Bora–hansgrohe. Nach jahrelanger<br />
Aufbauarbeit ist die Equipe mit Sitz<br />
im oberbayerischen Raubling seit<br />
2017 in der höchsten Radsportliga<br />
aktiv. In Procycling berichtet Denk,<br />
in früheren Jahren selbst aktiver<br />
Rennfahrer, jeden Monat über seinen<br />
Alltag als Teamchef.<br />
Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Bora–hansgrohe/BettiniPhoto<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 27
PROLOG<br />
DAS SCHAULAUFEN<br />
DER TOUR-FAVORITEN<br />
So schlug sich das Peloton beim Critérium du Dauphiné.<br />
Text Werner Müller-Schell<br />
© Strava (Screenshots)<br />
Das Critérium du Dauphiné<br />
ist gemeinsam mit der Tour<br />
de Suisse der letzte große<br />
Test vor der Tour de France. Traditionell<br />
bereiten sich so gut wie alle<br />
Tour-Favoriten bei einem der beiden<br />
Etappenrennen auf die Frankreich-<br />
Rundfahrt vor – entsprechend in -<br />
te ressante Hinweise liefern beide<br />
Rennen bereits auf die Form der<br />
jeweiligen Teamkapitäne. In dieser<br />
Strava-Analyse wollen wir die siebte<br />
Etappe des Critérium du Dauphiné<br />
genauer unter die Lupe nehmen:<br />
Auf jenem Tagesabschnitt von Saint-<br />
Genix-les-Villages nach Pipay über<br />
133 Kilometer bekamen es die Fahrer<br />
nämlich nicht nur mit widrigsten<br />
Witterungsbedingungen unter strö-<br />
mendem Regen zu tun, sondern<br />
auch mit einer saftigen Bergankunft<br />
mit stolzen 1.300 Höhenmetern<br />
am Stück.<br />
Nach einem relativ verhaltenen<br />
Beginn am Schlussanstieg hinauf<br />
nach Pipay sorgten das Tempo und<br />
das Wetter nach und nach für eine<br />
Verkleinerung der Spitzengruppe,<br />
welche durch einen zwischenzeitlichen<br />
Angriff des Kolumbianers<br />
Nairo Quintana weiter verkleinert<br />
wurde. Weder Quintana noch ein<br />
anderer Fahrer konnte sich jedoch<br />
entscheidend lösen, ehe sich 2,6 Kilometer<br />
vor dem Ziel der Allgäuer<br />
Emanuel Buchmann erfolgreich von<br />
der Konkurrenz absetzte. Ihm konnten<br />
nur Jakob Fuglsang (Dänemark)<br />
und später auch Wout Poels (Niederlande)<br />
folgen, wobei sich Letzterer<br />
am Ende den Tagessieg vor Fuglsang<br />
und Buchmann sicherte.<br />
BESTZEITEN AUF STRAVA<br />
Schnellster Fahrer auf Strava war an<br />
jenem Tag der Etappen-Vierte Thibaut<br />
Pinot (Frankreich). Für die im<br />
Segment „Pipay depuis Tencin“ gewerteten<br />
1.288 Höhenmeter (bei<br />
18,9 Kilometer Aufstieg) benötigte<br />
er 50:20 Minuten, was eine Aufstiegsrate<br />
von 1.535 Metern pro<br />
Stunde ergibt – kein absoluter<br />
Topwert, in Anbetracht der Witterungsbedingungen<br />
und der eher verhaltenen<br />
Fahrweise der Favoriten<br />
im unteren Teil des Anstiegs aber<br />
dennoch beachtenswert. Auch Romain<br />
Bardet (ebenfalls Frankreich,<br />
Etappen-Siebter) und Tejay van Garderen<br />
(USA, Etappen-Achter) bewegten<br />
sich mit nur zwei Sekunden<br />
Rückstand in diesen Regionen.<br />
Sämtliche Topfavoriten verzichteten<br />
aber darauf, ihre Herzfrequenz oder<br />
Leistungsdaten preiszugeben, sodass<br />
erst die Strava-Aufzeichnung<br />
von Jumbo–Visma-Profi Sepp Kuss<br />
(USA, Etappen-15.) darüber Aufschluss<br />
gibt, welche Leistung für<br />
eine Topplatzierung an jenem Tag<br />
nötig war. Kuss trat über 50:58 Minuten<br />
Auffahrtszeit im Schnitt<br />
358 Watt, was bei einem Körperge-<br />
28 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
PROLOG<br />
Das Strava-Ranking<br />
Pipay–Tencin<br />
(18,9 Kilometer / 1.288 Höhenmeter)<br />
wicht von 64 Kilogramm im Schnitt<br />
5,6 Watt pro Kilo bedeutet.<br />
Übrigens: Wie die meisten Tourde-France-Kapitäne<br />
verzichtete<br />
auch Emanuel Buchmann darauf,<br />
seine Aufzeichnung auf Strava<br />
hochzuladen. Da der Bora-Fahrer<br />
ansonsten üblicherweise viele Daten<br />
offenlegt, regt die Geheimniskrämerei<br />
zu Spekulationen an. Nicht wenige<br />
Beobachter sahen in dem jungen<br />
Deutschen nämlich einen der<br />
Setzte die Strava-Bestzeiten<br />
hinauf nach Pipay: Thibaut Pinot.<br />
Seine Strava-Aufzeichnung ist unter<br />
www.strava.com/activities/<br />
2452716301 zu finden.<br />
stärksten Bergfahrer des gesamten<br />
Rennens. Es könnte daher durchaus<br />
sein, dass Buchmann auf Strava<br />
nicht zeigen wollte, wie stark er in<br />
Form ist. Für die Tour de France<br />
könnte das ein gutes Omen sein.<br />
1. Thibaut Pinot Groupama<br />
50:20 Minuten<br />
2. Romain Bardet AG2R La Mondiale<br />
50:22<br />
3. Tejay van Garderen EF Education First<br />
50:22<br />
4. Richie Porte Trek-Segafredo<br />
50:51<br />
5. Sepp Kuss Jumbo–Visma<br />
50:58<br />
6. Steven Kruijswijk Jumbo–Visma<br />
50:59<br />
7. Warren Barguil Arkéa-Samsic<br />
51:49<br />
8. Xandro Meurisse Wanty-Gobert<br />
51:50<br />
9. Michał Kwiatkowski Team Ineos<br />
51:52<br />
10. Michael Woods EF Education First<br />
52:51<br />
© Tim De Waele/Getty Images<br />
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LIZZIE DEIGNAN<br />
FAMILIEN-<br />
ANGELEGENHEIT<br />
Einer Weltmeisterschaft vor heimischer Kulisse in<br />
Yorkshire konnte Lizzie Deignan nicht widerstehen, und<br />
nach der Geburt ihres ersten Kindes und einem Jahr Pause<br />
stehen alle Zeichen auf Harrogate im September.<br />
Procycling trifft Deignan, um herauszufinden,<br />
was sich geändert hat, seit sie Mutter ist.<br />
Text Edward Pickering<br />
Fotografie Jesse Wild<br />
30 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 31
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
© Velofocus<br />
izzie Deignan ist mitten<br />
LIn im Stray, dem attraktiven ein paar Monaten wird sich die westliche Seite<br />
Park, der die südliche Seite des Stadtzentrums des Stray in ein Gewirr aus Farben, Lärm und<br />
von Harrogate halbkreisförmig umschließt. Der Menschen verwandeln, wenn die Weltmeisterschaft<br />
in der Stadt ist. Man hat sich beim Stre-<br />
Stray ist weitläufig und breit; die Schulen haben<br />
gerade kleine Trupps uniformierter Kinder freigesetzt,<br />
die durch das Grün schlendern, Hunde lau-<br />
jedes Rennen an einem anderen Ort, aber alle<br />
ckendesign etwas einfallen lassen, und so startet<br />
fen herum und das Gras wird sanft von der sonnigen<br />
Brise gewärmt. Der Stray ist ziemlich breit, der West Park Avenue am Stray. Deignan deutet<br />
Routen führen nach Harrogate – sie enden alle auf<br />
und wenn man in der Mitte ist, sehen die Autos auf eine Bank gegenüber einer dunklen Backsteinkirche,<br />
an der die Ziellinie sein wird. Sie kennt die<br />
an den Rändern wie Spielzeuge aus und klingen<br />
weit entfernt, aber Deignan ist leicht auszumachen,<br />
selbst vom Rand aus. Sie ist die im vollem Die Ziellinie ist ein bisschen weiter weg, als ihr<br />
Route des Frauenrennens bis ins kleinste Detail.<br />
Trek-Segafredo-Outfit, die die Wege rauf und lieb ist; sie würde lieber mit dem Anstieg ein kleines<br />
Stück weiter vorn arbeiten.<br />
runter fährt und von einem Kamerateam gefilmt<br />
wird, das einen Clip für Harrogate Spring Water Die Weltmeisterschaft <strong>2019</strong> ist eine Heimkehr<br />
dreht – das offizielle Wasser der Straßen-WM in für Deignan. Das Frauenrennen startet in Bradford<br />
und führt durch Otley, wo sie aufgewachsen<br />
Yorkshire, wie Deignans Pressesprecher uns informiert.<br />
Bei Harrogate Spring Water sind sie nicht ist. Deignans Beziehung zu den Straßen der Weltmeisterschaft<br />
<strong>2019</strong> geht zurück zu ihren alten<br />
dumm: Sie haben Deignan gebeten, das Gesicht<br />
einer Kampagne zu sein, die auf dem Event beruht. Trainingsrouten: Sie sind eine Zeitachse für sie.<br />
„Wir fahren ein paar Hundert Meter vom Haus<br />
meiner Schwester in Bradford vorbei. Dann kommen<br />
wir durch Otley und an der Kirche vorbei, in<br />
der ich geheiratet habe, die Kirche, in der meine<br />
Eltern geheiratet haben und in der ich getauft<br />
wurde. Wir fahren an meinem Gymnasium vorbei,<br />
über die Straße, auf der ich zu Schule gegangen<br />
bin. Wir fahren am Garten meiner Eltern vorbei.<br />
Dann kommen wir in Harrogate an, wo Orla<br />
geboren wurde, wo wir jetzt ein Haus haben und<br />
wo wir nach Tokio wieder hinziehen“, erzählt sie.<br />
Deignans Leben ist seit der Geburt von<br />
Tochter Orla in vieler Hinsicht anders.<br />
Es gibt keine Vorbestimmung im Radsport. Es ist<br />
ein Sport, wo vieles schiefgehen kann. Zwei Dinge<br />
fallen auf bei der Weltmeisterschaft in Yorkshire<br />
im Kontext von Deignans Karriere. Erstens kann<br />
man keine passendere Geschichte erfinden: Die<br />
Route des Straßenrennens der Frauen ist Deignans<br />
Leben, sowohl hinsichtlich der Gestaltung<br />
der Strecke als auch der Bedeutung des Rennens<br />
für sie. Zweitens hat sie, oberflächlich zumindest,<br />
die völlige Kontrolle über den Druck, der damit<br />
einhergeht. Einige würden dem Thema ausweichen,<br />
aus Angst, das größte Rennen ihres Lebens<br />
zu vermasseln, aber Deignan lässt sich gerne auf<br />
der Bank an der Ziellinie fotografieren und gibt<br />
gerne zu, wie sehr sie den Sieg will. Man könnte<br />
sagen, dass es das Größte ist, was ihr je passierte,<br />
und vor ein paar Jahren wäre es das gewesen.<br />
Aber die Geburt ihrer Tochter Orla scheint selbst<br />
die Aussicht auf eine Weltmeisterschaft vor heimischer<br />
Kulisse relativiert zu haben. Normale<br />
Leute streben oft danach, auf irgendeine Art ungewöhnlich<br />
zu werden – deswegen bewundern<br />
wir Sportler, Künstler, Musiker und Ärzte. Deignan<br />
ist das Gegenteil – sie wollte erst Rennfahrerin<br />
werden, als sie erkannte, dass sie gut darin<br />
war, aber Mutter wollte sie immer sein.<br />
Die tägliche Routine ist das Erste, was wegfällt,<br />
wenn ein Kind kommt. Das manifestiert sich in<br />
unvorhersehbaren Uhrzeiten und der Tatsache,<br />
dass sich jetzt alles um das Verdauungssystem<br />
und die Schlafgewohnheiten eines Kindes dreht.<br />
Aber es kann auch ganze Karrieren beeinflussen.<br />
Deignans Ehemann Philip beendete seine Karriere<br />
als Radprofi, um sich zu Hause um das Kind zu<br />
kümmern; Deignans eigene Saisonstruktur änderte<br />
sich gewaltig. Das sind die neuen Tatsachen<br />
des Familienlebens der Deignans. Orla kam letztes<br />
Jahr im September zu Welt; wie üblich im November<br />
mit dem Training zu beginnen, konnte<br />
Deignan also vergessen.<br />
Bei einem Kaffee im Prologue, dem Bikeshop und<br />
Café in Harrogate unweit der Ziellinie, erklärt Deignan,<br />
wie sie Kind und Karriere unter einen Hut bringt.<br />
„Ich habe sechs Wochen ganz freigenommen,<br />
dann bin ich wieder gefahren. Richtig trainiert<br />
habe ich von Januar an“, sagt sie. „Normalerweise<br />
konzentriere ich mich schon vom 1. November<br />
ganz darauf. Wenn du Mutter wirst, weißt du gar<br />
nicht, wie sich das auf alles auswirkt.“<br />
Das hieß, dass die Klassiker nicht so im Fokus<br />
stehen konnten wie zuvor, obwohl sie trotzdem<br />
auf einen beeindruckenden siebten Platz bei Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />
fuhr. Dafür machte sie im<br />
Mai keine Pause wie üblich, sondern ging zur Kalifornien-Rundfahrt,<br />
um sich in Form zu bringen,<br />
und dann zur Women’s Tour, die sie gewann. Die<br />
Auszeit, die sie sonst im Mai nahm, ist jetzt in<br />
den Juli verschoben worden. (Und sie ist dem<br />
Zeitplan weit voraus – sie rechnete nicht damit,<br />
die Women’s Tour zu gewinnen.)<br />
32 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
LIZZIE DEIGNAN<br />
Es gibt nicht viele Mütter im Peloton, was Orla<br />
Deignan zum unvermeidlichen Mittelpunkt jeder<br />
Geschichte über ihre Mutter gemacht hat.<br />
Ich wollte Deignan fragen, ob all das für sie so<br />
interessant ist wie für uns.<br />
„Es ist seltsam, es gibt viele Väter im Radsport,<br />
und niemand fragt sie nach ihrer Familie. Aber es<br />
stimmt, es ist ungewöhnlich. Wenn ich Frauen<br />
ermutigen kann, in ihrer Schwangerschaft gesund<br />
und aktiv zu leben, oder wenn ich Leuten zeigen<br />
kann, dass die Entscheidung, eine Familie zu<br />
gründen, ihre ist und nicht von ihrem Arbeitgeber<br />
oder dem vermeintlichen Einfluss auf ihre Karriere<br />
diktiert werden sollte, oder wenn ich Leute ermutigen<br />
kann, offen dafür zu sein, was eine Mutterschaft<br />
in ihrer Karriere bedeutet, ist es positiv,<br />
und dann teile ich es gern“, sagt sie.<br />
„Es ist die ganze Zeit ein Balanceakt. Ich habe<br />
unglaubliches Glück, dass Philip Vollzeit-Vater<br />
ist. Das ist enorm und ich will diese Tatsache<br />
nicht verbergen. Ich werde als Vorbild für andere<br />
Frauen dargestellt, aber was ich erreichen kann,<br />
liegt vor allem daran, dass mein Ehemann als Vater<br />
zu Hause bleibt. Jede Schwangerschaft und<br />
jedes Baby ist anders, und ich möchte nicht, dass<br />
andere Leute sich genötigt fühlen, es genau so zu<br />
machen. Ich bin in einer einzigartigen Position,<br />
was die Unterstützung angeht, die ich bekomme.“<br />
Sie fügt hinzu: „Phil ist mit 34 aus dem besten<br />
Team der Welt ausgestiegen, und es war eine<br />
schöne Art, seine Karriere zu beenden. Er war<br />
derjenige, der mich ermutigt hat, wieder anzufangen,<br />
und der gesagt hat: ‚Du wirst es bedauern,<br />
wenn du es nicht tust‘ – und er kennt mich besser,<br />
als ich mich kenne. Er hatte absolut recht. Wenn<br />
die Weltmeisterschaften in Donegal wären, wäre<br />
es vielleicht etwas anderes, aber sie sind in Yorkshire,<br />
und so ...“<br />
Trotzdem ist der Plan, keinen Plan zu haben.<br />
Deignan ist ziemlich allein auf weiter Flur – es hat<br />
einige prominente Mütter im Leistungssport gegeben<br />
wie Paula Radcliffe und Serena Williams,<br />
aber nicht so viele, dass es eine sichere Methode<br />
für den Umgang damit gibt, sowohl physisch als<br />
auch psychologisch.<br />
„Meine Beine sind wie immer“, beginnt sie mit<br />
dem, was sich nicht verändert hat. „Meine untere<br />
Hälfte fühlt sich solide und stark an. Aber bei<br />
meinem Oberkörper finde ich, dass meine Energiekette<br />
und die Kraftübertragung bei den Sprints<br />
noch nicht so stark sind wie früher. Ich hatte einen<br />
Termin mit einem Osteopathen in den Ardennen,<br />
der sagte, er könne fühlen, dass meine<br />
Bauchmuskeln noch nicht verbunden sind.“<br />
Deignan hat sechs Monate lang gestillt.<br />
Während der Schwangerschaft schüttet der<br />
Körper größere Mengen des Hormons Relaxin<br />
aus, das der Entwicklung des Fötus und der<br />
Vorbereitung des Körpers auf die Geburt dient,<br />
und auch während des Stillens werden geringe<br />
Menge davon freigesetzt. Das hieß, dass Deignans<br />
Körper nach der Geburt länger brauchte,<br />
um sich an die Ansprüche des Radsports zu gewöhnen,<br />
wie sie erzählt.<br />
KARRIERE-HÖHEPUNKTE DEIGNANS BISLANG GRÖSSTEN ERFOLGE<br />
20<strong>08</strong><br />
Als 20-Jährige gewinnt sie sieben<br />
Goldmedaillen bei drei Runden<br />
des Bahn-Weltcups binnen einer<br />
Saison – alleine fünf in Manchester.<br />
Sie verhilft Nicole Cooke zum<br />
WM-Titel in Varese.<br />
2009<br />
Sie unterschreibt bei Lotto-Belisol<br />
und gewinnt ihr erstes Profi-<br />
Straßenrennen, die 6. Etappe<br />
der Tour de l’Ardèche, im Massensprint.<br />
Beim Giro Rosa wird sie<br />
beste Nachwuchs fahrerin.<br />
2010<br />
Wechselt zum Cervélo Test Team,<br />
gewinnt weitere Goldmedaillen<br />
auf der Bahn, fokussiert sich aber<br />
auf die Straße. Fünf Siege bei der<br />
Tour de l’Aude, Route de France<br />
und Tour de l’Ardèche.<br />
2011<br />
Erster von vier nationalen<br />
Meistertiteln nach zwei zweiten<br />
Plätzen in den Vorjahren.<br />
Weitere Siege bei der Tour of<br />
Chongming Island und der<br />
Thüringen-Rundfahrt.<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 33
Deignan geht<br />
auf der 5. Etappe<br />
der Women’s Tour<br />
in Führung – ihr<br />
erster Sieg nach<br />
der Baby pause.<br />
© Velofocus<br />
34 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 35
Deignan war die größte<br />
Neuverpflichtung des Trek-Teams.<br />
„Während des Stillens war es am schwersten,<br />
ohne Zweifel. Es ist eine individuelle Entscheidung,<br />
ob man stillen oder Milchersatzprodukte<br />
geben möchte, aber für mich war das Stillen wichtig.<br />
Spaß hat es mir nicht gemacht – einige Frauen<br />
sagen, sie fanden es toll, aber mir hat es überhaupt<br />
keinen Spaß gemacht und ich fand es sehr anstrengend<br />
für meinen Körper, aber ich habe sechs<br />
Monate durchgehalten“, sagt sie.<br />
Auch wenn sie meint, sich noch nicht voll erholt<br />
zu haben, sprechen die Ergebnisse bisher für sie.<br />
Deignan fuhr bei den Ardennen-Rennen und der<br />
Kalifornien-Rundfahrt gut und gewann die Women’s<br />
Tour trotz der physischen Einschränkungen.<br />
Ihr Ziel ist, auf ihr altes Niveau oder vielleicht<br />
darüber hinaus zu kommen. Aber obwohl sie auf<br />
dem aktuellen Niveau will, dass alles wie früher<br />
ist, ist alles andere anders.<br />
„Die größte Veränderung ist, wie glücklich ich<br />
bin“, sagt sie. „Ich bin glücklicher denn je. Ich<br />
wollte immer, immer Mutter sein. Mein Familienleben<br />
ist gut. Ich liebe meinen Job wieder. Ich<br />
habe es als selbstverständlich betrachtet. Ich<br />
weiß nicht, ob es die Pause vom Profisport war.<br />
Es ist eine privilegierte Position als Frau, von der<br />
Karriere zurücktreten und sie wieder aufnehmen<br />
zu können. Das war etwas Besonderes.“<br />
Als ich Deignan das erste Mal interviewte,<br />
nachdem sie die Weltmeisterschaft 2016 gewonnen<br />
hatte, gestand sie mir, dass sie ein Kontrollfreak<br />
und eine besessene Planerin sei. In ihrer<br />
Autobiografie Steadfast beschreibt sie die farblich<br />
markierten Kalender, die sie an ihre Tür heftete<br />
© AFP (2012), Getty Images<br />
2012<br />
Deignan wechselt zu AA Drink,<br />
konzentriert ihre Saison aber<br />
auf die Olympischen Spiele von<br />
London. Ihre Silbermedaille im<br />
Straßenrennen ist die erste für<br />
das Team GB.<br />
2013<br />
Geht zu Boels-Dolmans, wird<br />
jedoch durch Krankheiten<br />
behindert und erleidet einen<br />
Leistenbruch. Neben einigen<br />
Top-Fünf-Plätzen ist die britische<br />
Meisterschaft ihr einziger Sieg.<br />
2014<br />
Ihr starkes Frühjahr gipfelt im Sieg<br />
beim Omloop het Hageland, dazu<br />
kommen zweite Plätze bei der Flandern-Rundfahrt<br />
und dem Trofeo<br />
Binda. Goldmedaille bei den Common<br />
wealth Games in Glasgow.<br />
2015<br />
Wird in ihrer bislang besten<br />
Saison Weltmeisterin in<br />
Richmond. Vor dem Regenbogentrikot<br />
ist sie neunmal<br />
erfolgreich, darunter beim<br />
Trofeo Binda und GP Plouay.<br />
36 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
LIZZIE DEIGNAN<br />
und die sich sechs Monate in die Zukunft und<br />
darüber hinaus erstreckten. Wie funktioniert das<br />
jetzt, mit einem Baby?<br />
„Ich würde sagen, es ist eine steile Lernkurve<br />
mit einem Neugeborenen, zu denken, dass ich<br />
die Dinge noch kontrollieren kann, und dann<br />
langsam zu erkennen, dass das einfach nicht<br />
geht“, gibt sie zu.<br />
„Babys tun, was sie tun wollen, und das zu akzeptieren<br />
war anfangs nicht leicht, aber jetzt ist es<br />
wirklich schön. Meine Mutter und meine Schwester<br />
lachen mich aus, weil ich immer noch einen<br />
Mittagsschlafplan habe. Es gibt Teile einer Routine<br />
und Dinge, an denen ich immer noch festhalte.“<br />
Sie sagt weiter: „Aber in der Vergangenheit ging<br />
es nur um mich und was am besten für mich war.<br />
Deswegen hat der Radsport allen Platz eingenommen,<br />
und manchmal war alles ein bisschen viel.<br />
Das ist keine so ausgeglichene oder gesunde Perspektive,<br />
dass sich alles um dich und deine Leistung<br />
dreht.“<br />
Das würde man bei British Cycling nicht sagen.<br />
Der Erfolg des britischen Radsports in den letzten<br />
15 Jahren basiert auf Leistung – es wurden alle<br />
Hebel in Bewegung gesetzt, um kleine Gewinne<br />
zu erzielen, wobei alle möglichen Ablenkungen<br />
ausgeschlossen wurden. Andererseits war Deignan<br />
immer außerhalb der britischen Radsportszene<br />
erfolgreich – obwohl sie einen ihrer größten Erfolge,<br />
die Weltmeisterschaft 2015, im britischen<br />
Nationaltrikot erzielte, hat sie ihre Karriere vor<br />
allem in einem holländischen Team, Boels-Dolmans,<br />
und jetzt bei Trek-Segafredo aufgebaut.<br />
„Ich habe mich nur auf eine Sache konzentriert.<br />
Mir die kleinen Prozentsätze angeschaut, die dich<br />
zur Weltmeisterin machen. Aber ob du dasselbe<br />
ohne denselben Input erreichen kannst … Es geht<br />
alles um Balance und Verhältnis, und ich weiß<br />
„DIE GRÖSSTE VERÄNDERUNG<br />
IST, WIE GLÜCKLICH ICH BIN.<br />
ICH WOLLTE IMMER, IMMER<br />
MUTTER SEIN.“<br />
nicht, ob ein 100-prozentiger Fokus unbedingt<br />
besser ist.“<br />
Sie wird jetzt von ihrem Ehemann trainiert, ein<br />
Arrangement, das zwei Monate alt ist. In der Vergangenheit<br />
sagte Deignan, dass sie schwierig zu<br />
trainieren sei, und sie hat wenige, aber sehr erfolgreiche<br />
Beziehungen zu Trainern. Erst mit Phil<br />
West bei British Cycling, dann mit Danny Stam,<br />
ihrem Sportlichen Leiter bei Boels.<br />
„Wahrscheinlich bin ich jetzt leichter zu trainieren.<br />
Eine Formel funktionierte für mich, aber<br />
ich bin jetzt anders. Ich bin flexibler. Andererseits<br />
findet Phil [Deignan] mich immer noch thran –<br />
das ist irisch und bedeutet dickköpfig. Aber wir<br />
sehen uns jeden Tag und er versteht, was ich<br />
durchmache und wie erschöpft ich wegen unserer<br />
Tochter bin. Ich habe mich selbst trainiert, aber<br />
das war eine Frage des Vertrauens, und natürlich<br />
vertraue ich meinem Ehemann.“<br />
Wenn man Steadfast liest, wird klar, dass sich<br />
Deignans Leben immer um Familie gedreht hat.<br />
Wie sie sagt, ist sie mit sehr engen und gut funktionierenden<br />
Familienbanden groß geworden, daher<br />
ist es keine Überraschung, dass sie ihr eigenes<br />
Leben genauso einrichtet. Indem sie sogar das<br />
Training ins Haus holt, sorgt sie nun dafür, dass<br />
alle Leistungsdefizite, die sie durch die Mutterschaft<br />
hatte, durch eine solide Grundlage der Familieneinheit<br />
ausgeglichen werden.<br />
Deignan war vor ihrer Schwangerschaft sieben<br />
Jahre beim selben Team. Sie gewann mit Boels-<br />
Dolmans die Weltmeisterschaft, die Flandern-<br />
Rundfahrt, Trofeo Binda, Plouay und viele andere<br />
Rennen. Aber die Schwangerschaft fiel mit dem<br />
Ende ihres Vertrags zusammen, und auch wenn<br />
es keine klaren Aussagen gab, dass Boels sie nicht<br />
unterstützen würde, gab es andersherum auch<br />
keine klare Aussage, dass das Team ein Jahr oder<br />
länger auf eine seiner besten Fahrerinnen verzichten<br />
würde. Trek-Segafredo auf der anderen<br />
Seite wollte nicht nur die Fahrerin, sondern auch<br />
die Mutter.<br />
„Mein Vertrag mit Boels ging bis Ende 2018,<br />
aber dann wurde ich schwanger und konnte sowieso<br />
nicht für sie fahren. Ich habe mir diesen<br />
Moment gegeben, um meine Zukunft nicht zu<br />
planen. Während der Schwangerschaft wurde ich<br />
vom Marketingchef von Trek kontaktiert, die ein<br />
Frauenteam aufbauen wollten. Wir unterhielten<br />
uns über meinen Vertrag, aber sie wollten mich<br />
auch während der Schwangerschaft unterstützen,<br />
und diese Chance habe ich ergriffen.“<br />
Sie sagt weiter: „Trek wollte mit mir arbeiten,<br />
weil sie von meiner Geschichte begeistert wa-<br />
2016<br />
Dominiert die Klassiker mit Siegen<br />
bei Omloop Het Nieuwsblad,<br />
Strade Bianche, Trofeo Binda und<br />
einer ersten Flandern-Rundfahrt.<br />
Darauf folgt der Gesamtsieg bei<br />
der Women’s Tour.<br />
2017<br />
Deignan gewinnt drei Rennen,<br />
darunter die Tour de Yorkshire, doch<br />
sie muss bei den Ardennen-Rennen<br />
hinter Anna van der Breggen<br />
zurückstehen und bei La Course<br />
hinter Annemiek van Vleuten.<br />
2018<br />
Gibt im März ihre Schwanger -<br />
schaft bekannt, nachdem sie den<br />
Rennfahrer Philip Deignan<br />
geheiratet hat. Im Juli bestätigt<br />
sie, ihr Comeback beim Team<br />
Trek zu geben.<br />
<strong>2019</strong><br />
Kehrt beim Amstel Gold Race ins<br />
Renngeschehen zurück. Eine Woche<br />
später wird sie Siebte in Lüttich und<br />
besiegelt ihr Comeback dann mit<br />
dem Sieg der 5. Etappe und dem<br />
Gesamtsieg bei der Women’s Tour.<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 37
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
© Getty Images<br />
ren. Ich glaube, Boels hätte mit mir weitergemacht,<br />
aber meine Schwangerschaft wäre irrelevant<br />
für das Team gewesen. Aber Trek verkauft<br />
Fahrräder an Frauen, daher macht es Sinn, mich<br />
an Bord zu haben, und ich habe jeden Aspekt<br />
davon genossen.“<br />
Abgesehen von Treks Begeisterung für Deig nans<br />
familiäre Umstände war ich überrascht, dass man<br />
zusammenpasste. Deignan ist bekannt dafür,<br />
dass sie eine klare Art der Kommunikation hat<br />
und kein Geschwafel mag, darum verstand sie<br />
sich so gut mit Danny Stam bei Boels. Der direkte<br />
holländische Stil mit klarer und offener Kommunikation<br />
zwischen vielen sehr guten Fahrerinnen<br />
sorgte für Harmonie bei Boels, auch wenn es immer<br />
vier oder fünf potenzielle Kapitäninnen in der<br />
Mannschaft gab. Bei Trek scheint die Atmosphäre<br />
anders zu sein, ungeachtet der Tatsache, dass das<br />
Team in seiner ersten Saison ist. Aber Deignan<br />
scheint in ihrem Element zu sein.<br />
„Es ist brillant. Ich liebe es. Trek ist wirklich<br />
anders, aber das ist wahrscheinlich etwas, das ich<br />
brauchte“, sagt sie. „Sie sind amerikanisch, deswegen<br />
ist alles phantastisch“, fügt sie hinzu. Sie<br />
macht sich darüber lustig, aber nicht auf zynische<br />
Art, obwohl ich glaube, dass sie einen Sinn für<br />
Ironie offenbart, den sie selten in der Öffentlichkeit<br />
zeigt. „Aber es ist wirklich phantastisch. Alle<br />
sind so enthusiastisch und es ist, was Kommunikation<br />
angeht, das offenste Team, in dem ich je<br />
war. Die Mannschaftssitzungen werden sehr dynamisch<br />
geführt.“<br />
Trek hatte anständige erste sechs Monate.<br />
Neue Radsportteams haben häufig Anlaufschwierigkeiten,<br />
wenn sich die Fahrer aneinander<br />
und an ein neues Management gewöhnen – es<br />
gibt keine Routine und die Fahrer müssen sich<br />
erst mit ihrer Rolle anfreunden. Aber Trek konnte<br />
15 Rennen gewinnen, darunter mit Elisa Longo<br />
Borghini das Emakumeen Bira und mit Deignan<br />
die Women’s Tour.<br />
„Ich war wirklich überrascht, zu gewinnen“,<br />
sagt Deignan. „Mein ursprünglicher Plan war einfach,<br />
zu überleben. Wir gingen es Tag für Tag an.<br />
Elisa war stärker als ich, aber ich kann sprinten,<br />
und das Rennen lief auf Sprints hinaus. Wir<br />
machten die richtige Ansage, auf mich zu setzen,<br />
denn es lief auf Sekunden hinaus, und Elisa verlor<br />
an dem Tag, als ich Dritte wurde, ein bisschen<br />
Zeit in der Gesamtwertung.“<br />
Sie fügt hinzu: „Jeder Tag war unangenehm. In<br />
Großbritannien zu fahren, ist immer unangenehm<br />
– schreckliches Wetter und raue Straßen. Ich<br />
fühlte mich erst gut in dem Moment, als ich auf<br />
der vorletzten Etappe angriff. Ich war früher erleichtert,<br />
wenn ich gewann, aber dieses Mal war<br />
es die pure Freude. Es war ein massiver Auftrieb<br />
für mein Selbstbewusstsein und eine Bestätigung,<br />
dass ich mit dem Comeback die richtige Entscheidung<br />
getroffen habe.“<br />
„ICH WAR WIRKLICH ÜBERRASCHT, ZU GEWINNEN.<br />
MEIN URSPRÜNGLICHER PLAN WAR EINFACH, ZU ÜBERLEBEN.<br />
WIR GINGEN ES TAG FÜR TAG AN. ELISA WAR STÄRKER ALS<br />
ICH, ABER ICH KANN SPRINTEN, UND DAS RENNEN LIEF<br />
AUF SPRINTS HINAUS.“<br />
Womit wir wieder bei Harrogate und der Weltmeisterschaft<br />
wären. Es ist nicht gesagt, dass Lizzie<br />
Deignan gewinnen wird. 2015 und Anfang<br />
2016 war sie die beste Fahrerin der Welt, aber im<br />
Moment sehen die Holländerinnen mit sechs oder<br />
sieben der besten zwölf Fahrerinnen der Welt fast<br />
unschlagbar aus.<br />
„Es wird schwer. Aber für ihren Teamdirektor<br />
wird es auch schwer“, sagt Deignan lachend. „Es<br />
ist ein phänomenales Team, aber wie sie die Erwartungen<br />
jeder Fahrerin managen, weil sie so viele<br />
potenzielle Siegerinnen haben, wird interessant.“<br />
Ich frage Deignan, ob es ihr etwas ausmacht,<br />
wenn sie nicht gewinnt, und sie zögert lange, bis<br />
sie sagt: „Es macht sehr viel aus. Es wäre ein Märchen,<br />
wenn ich gewinnen könnte, aber Märchen<br />
sind selten in der wirklichen Welt.“ Vielleicht ist<br />
das Leben selbst schon Märchen genug.<br />
38 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
LIZZIE DEIGNAN<br />
KONTRAPUNKT<br />
YORKSHIRE GOLD<br />
Yorkshire hat viele Radsporttalente wie Lizzie Deignan hervorgebracht. Procycling<br />
untersucht, warum die Region die Radsporthochburg Großbritanniens ist.<br />
Text William Fotheringham<br />
Yorkshire ist nicht die einzige Hochburg<br />
des britischen Radsports, aber seine unlängst<br />
gestartete Kampagne, um die Grafschaft<br />
mit der weißen Rose in der Flagge in ein<br />
Radsportparadies zu verwandeln, war meisterlich.<br />
Die erfolgreichen Bewerbungen um die Ausrichtung<br />
des Grand Départ der Tour de France<br />
und der Straßenweltmeisterschaft haben den Ruf<br />
der Region als Radsportkernland in Großbritannien<br />
zementiert, und ihr Radsporterbe spielte<br />
eine wichtige Rolle dank Fahrerinnen wie Lizzie<br />
Deignan und Tour-Größen wie Brian Robinson<br />
und Barry Hoban.<br />
Ein Schlüsselmoment in dem Bemühen, die<br />
Tour-Organisatoren zu überzeugen, als die hohen<br />
Tiere von Yorkshire den ASO-Chef Christian<br />
Prudhomme bewirteten, war, als überraschend<br />
der zweifache Tour-Etappensieger Robinson auftauchte.<br />
Da war die Sache gebongt. Als die Tour<br />
zwei Jahre später in die Stadt kam, wurde die<br />
radsportliche Tradition Yorkshires würdig gefeiert<br />
und lebt seitdem in der jährlich ausgetragenen<br />
Tour de Yorkshire weiter.<br />
Yorkshire ist nicht erst seit ein paar Jahren ein<br />
Radsportparadies. Wenn Sie im Bahnhof von<br />
Mirfield aus dem Zug steigen, stehen Sie als Erstes<br />
vor einem Wand gemälde, das Robinson zeigt.<br />
Wenn Sie vor dem Supermarkt im Zentrum von<br />
Morley parken und nach links schauen, bemerken<br />
Sie ein riesiges Bild der Rennfahrerin Beryl Burton.<br />
Oder fahren Sie mit dem Rad in einen kleinen Ort<br />
in den North Yorkshire Moors und schauen auf<br />
die Tür des kleinen Cafés: Wenn Sie Glück haben,<br />
wird es vom Team Sky zertifiziert sein.<br />
Im Profiradsport ist Robinson ein Pionier. Er<br />
war der erste Brite, der es als Rennfahrer in Europa<br />
schaffte, aber er war fest in der Grafschaft der<br />
weißen Rose verwurzelt, kam jeden Winter in seine<br />
Heimatstadt Mirfield zurück und arbeitete in<br />
der Baufirma seines Vaters. In den Radsport stieg<br />
er mit seinem Bruder Desmond ein, und er wartete<br />
jeden Mittwochabend vor Ellis Briggs’ Fahrradgeschäft<br />
auf seine örtliche Trainingsgruppe. Er holte<br />
Großbritanniens erste Etappensiege bei der Tour<br />
1957 und 1959, war der erste britische Sieger bei<br />
einem größeren Etappenrennen – der Dauphiné<br />
Libéré 1961 – und errang den ersten britischen<br />
Podiumsplatz bei einem Klassiker.<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 39
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
© Offside Sports Photography<br />
HEIMVORTEIL?<br />
Alle Augen werden auf Lizzie<br />
Deignan gerichtet sein, wenn sie die<br />
Straßenweltmeisterschaft der Frauen in<br />
Yorkshire in Angriff nimmt. Das bedeutet<br />
Druck, aber sie profitiert auch von<br />
Streckenkenntnissen und einem<br />
einheimischen Publikum. Im Fußball ist<br />
bekannt, dass ein Heimspiel von Vorteil<br />
ist. Deignan dürfte auch interessieren,<br />
dass es bei 58 Auflagen des Straßenrennens<br />
der Frauen seit 1958 acht<br />
einheimische Siegerinnen gab. Diese<br />
gehen von Yvonne Reynders, der<br />
Belgierin, die 1963 in Ronse gewann, bis<br />
hin zu Marianne Vos, die zuletzt bei den<br />
Titelkämpfen 2012 in der holländischen<br />
Stadt Valkenburg auf heimischem<br />
Boden gewann. Deignan dürfte auch<br />
ermutigen, dass eine der anderen<br />
Fahrerinnen, der das bisher gelungen ist,<br />
eine Britin ist: Mandy Jones, die die<br />
Weltmeisterschaft gewinnen konnte, als<br />
sie zuletzt in Großbritannien war, in<br />
Goodwood 1982. Bei den Männern<br />
waren einheimische Sieger in den<br />
letzten Jahren seltener. Seit Bernard<br />
Hinault das Männer-Rennen 1980 im<br />
französischen Sallanches gewann, war<br />
der einzige einheimische Weltmeister<br />
Alessandro Ballan 20<strong>08</strong>.<br />
Als Robinsons Karriere Fahrt aufnahm, kam auch<br />
die von Burton in Gang. Sie gewann die erste ihrer<br />
beiden Straßenweltmeisterschaften 1960 und<br />
holte anschließend unglaubliche 15 Medaillen bei<br />
Weltmeisterschaften in ebenso vielen Jahren. Daneben<br />
gewann sie fast 100 britische<br />
Titel, erreichte eine wirklich<br />
unglaubliche Serie von 25 „British<br />
Best All Rounder“-Titeln und brach<br />
einen Rekord der Männer im 12-<br />
Stunden-Zeitfahren, nachdem sie<br />
sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit<br />
dem damaligen Topfahrer Mike<br />
McNamara geliefert hatte.<br />
Sowohl Burton als auch Robinson<br />
waren Idole; fast jede Frau, mit<br />
der ich sprach, als ich Burtons Biografie<br />
schrieb, sagte mir, sie habe<br />
versucht, in Beryls Fußstapfen zu<br />
treten. Derweil war Robinson ein<br />
Vorbild für Tom Simpson, der,<br />
obwohl er eine halbe Meile hinter<br />
der Grenze zu Nottinghamshire<br />
aufwuchs, für Scala Wheelers in<br />
Doncaster in Yorkshire fuhr und<br />
meistens bei Rennen in der Grafschaft<br />
antrat.<br />
Wie Robinson war Burton ein Produkt dieser<br />
örtlichen Kultur, teils durch ihren Ehemann<br />
Charlie und andere Mitglieder des Morley Cycling<br />
Club, aber auch durch Rennfahrerinnen aus der<br />
Gegend wie Iris Miles, die wie Simpson für Scala<br />
18<br />
Grand-Tour-<br />
Doubles in der<br />
Historie<br />
10<br />
Fahrer mit einem<br />
GT-Double<br />
Wheelers fuhr. Bis in die 1980er inspirierte Burtons<br />
Reputation Frauen wie ihre Tochter Denise<br />
und später Yvonne McGregor – ermutigt durch<br />
Burtons Autobiografie Personal Best – und Deignan,<br />
die sich erinnerte, wie ihre Großmutter Geschichten<br />
von der Lokalmatadorin<br />
erzählte.<br />
Nach Robinson kamen andere<br />
Tour-Männer: Victor Sutton, ein<br />
Bootsbauer aus Doncaster, der<br />
an der Seite von Charly Gaul<br />
kletterte; Hoban aus einer Bergmannsfamilie<br />
unweit von Wakefield;<br />
und Albert Hitchen, ein Eisenbahnschlosser<br />
aus Mirfield.<br />
Die Liste ist lang: „Super Sid“<br />
Barras und Keith Lambert sind<br />
nicht wegzudenken aus der einheimischen<br />
britischen Szene in<br />
den 1970ern, „Sheffield-Playboy“<br />
Malcolm Elliott und heute Ben<br />
Swift, Adam Blythe, Scott Thwaites<br />
und seit Kurzem der Jungstar<br />
Tom Pidcock.<br />
Es sind nicht nur die Fahrer,<br />
auch die Rennen haben eine lange<br />
Tradition in Yorkshire. Harrogate, Austragungsort<br />
der Weltmeisterschaft in diesem Jahr, richtete in<br />
den 1970ern ein riesiges „International Festival of<br />
Cycling“ aus. Als die Tour de Yorkshire in diesem<br />
Mai auf der Headrow-Allee endete, folgte sie direkt<br />
den Reifenspuren des Leeds Classic, das von<br />
1993 bis 1996 ausgetragen wurde und ein großes<br />
Publikum und prominente Fahrer anlockte.<br />
Der Radsport in Großbritannien hat sich meist<br />
auf die industriell geprägten Gegenden konzentriert,<br />
nicht auf die ländlichen Gebiete (wie in Italien<br />
und Frankreich). Fausto Coppi und Bernard<br />
Hinault kamen vom Lande; die britischen Champions<br />
stammten immer aus urbanen, industriell<br />
geprägten Gemeinden. Der Radsport war nie in<br />
dem Maße in der ländlichen britischen Kultur<br />
eingebettet, wahrscheinlich, weil die meisten<br />
Landarbeiter in engen Cottages an ihrem Arbeitsplatz<br />
wohnten.<br />
Wie Hoban erklärte: „Yorkshire war immer<br />
eine Arbeitergegend; Stahlwerke, Mühlen und<br />
Fabriken. Es gab viel harte Arbeit und die Leute<br />
haben sich hineingekniet und sie gemacht; sie<br />
scheuten sich nicht vor der Arbeit. Die Arbeitsumgebung<br />
bringt die Menschen hervor.“<br />
Arbeiter fuhren mit dem Fahrrad zur Fabrik<br />
oder ins Bergwerk. Sie machten abends Zeitfahren,<br />
tranken im Vereinsheim eine Tasse Tee und<br />
machten am Wochenende Vereinsfahrten. Sie<br />
sahen sich Rennen auf dem Spielfeld der örtlichen<br />
Zeche an. „Das Wochenende war etwas, worauf<br />
man sich nach einer Woche im Bergwerk freuen<br />
Robinson auf dem Weg zu seinem<br />
zweiten Tour-Etappensieg im Jahr 1959.<br />
40 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
LIZZIE DEIGNAN<br />
1.<br />
LIZZIE DEIGNANS<br />
GRÖSSTE ERFOLGE<br />
Beryl Burton (Mitte) wurde 1962<br />
Weltmeisterin in der Einerverfolgung.<br />
konnte“, sagte Hoban. „Nach einer langen Schicht<br />
unter Tage war es eine Erleichterung, wieder im<br />
Freien zu sein.“<br />
Heute ist die Schwerindustrie verschwunden<br />
und mit ihr das Radfahren als Transportmittel<br />
und Freizeitbeschäftigung, aber das Erbe bleibt.<br />
Jetzt ist, wie bei den anderen Hochburgen des<br />
Radsports in Europa – Flandern, die Bretagne,<br />
das Baskenland, die Toskana –, der wichtigste<br />
Faktor in Yorkshire die kritische Masse. Es gibt<br />
jede Menge Erfahrung, von der Newcomer profitieren<br />
können und die in vielen Fällen durch Familien<br />
geht: Sid Barras und sein Sohn Tom; Chris<br />
Walker und seine Kinder Jessie und Joey; Abby-<br />
Mae Parkinson und ihre Mutter Lisa Brambani;<br />
die Swifts, Ben und Connor. Yorkshire ist eine der<br />
Gegenden, in denen der Radsport nach dem Krieg<br />
aufblühte: Merseyside, East Midlands, Glasgow,<br />
Lancashire, East London. Yorkshire unterscheidet<br />
sich insofern, als es mit beispiellosem Erfolg auf<br />
dieser Geschichte aufgebaut hat.<br />
Deignan kam unversehens zum Radsport, als<br />
die britischen Talentsucher an ihrer Schule in<br />
Otley auftauchten, aber sie hatte jede Menge Leute,<br />
die ihr mit Rat und Tat beiseite standen, darunter<br />
ihr Trainer Phil West. In ihrer Autobiografie<br />
Steadfast erinnert sich Deignan an ihre Vereinsfahrten,<br />
die Zeitfahren und die Chaingang – alle<br />
perfekt, um einen talentierten Youngster zu fördern.<br />
Für Deignan hat das „harte und unerbittliche“<br />
Terrain in Yorkshire ihre Entwicklung gefördert.<br />
„Ich hatte keine Ahnung, dass die Qualen<br />
mir einen Vorteil gegenüber Fahrerinnen aus anderen<br />
Teilen des Landes geben würden, aber ich<br />
hatte nie Angst, wenn ich Anstiege fahren musste,<br />
und schlechtes Wetter macht mir nichts aus.<br />
Es gibt keine einfachen Fahrten und es lehrt dich,<br />
hart zu sein.“<br />
5.<br />
4.<br />
2.<br />
3.<br />
1.<br />
Etappe Tour de l’Ardèche 2009,<br />
2010 (3)<br />
Etappe Tour de l’Aude 2010<br />
Etappe La Route de France 2010<br />
Etappe Tour of Chongming Island<br />
2011<br />
Nationale Straßenmeisterin 2011,<br />
2013, 2015, 2017<br />
Etappe Thüringen-Rundfahrt 2011,<br />
2014<br />
Omloop van het Hageland 2012<br />
Gent–Wevelgem 2012<br />
Omloop van het Hageland 2014<br />
Ronde van Drenthe 2014<br />
Commonwealth Games RR 2014<br />
2 Etappen Ladies Tour of Qatar 2015<br />
PROBLEME MIT<br />
DEN MEISJES<br />
Deignan muss sich, wie alle Favoritinnen<br />
der WM, mit einem großen Problem he -<br />
rumschlagen: der Stärke des niederländischen<br />
Teams. Drei der wichtigsten Wertungssysteme<br />
– Procyclingstats, Cycling<br />
Quotient und das UCI World Ranking –<br />
sagen, dass sieben der besten elf Rennfahrerinnen<br />
der Welt aus Holland kommen.<br />
FAHRERIN<br />
Ladies Tour of Qatar 2015<br />
Trofeo Alfredo Binda 2015, 2016<br />
Boels Rental Hills Classic 2015, 2016<br />
Philadelphia Cycling Classic 2015<br />
Etappe Women’s Tour 2015, 2016, <strong>2019</strong><br />
GP de Plouay 2015, 2017<br />
Straßen-WM 2015<br />
Omloop Het Nieuwsblad 2016<br />
Strade Bianche 2016<br />
Flandern-Rundfahrt 2016<br />
Women’s Tour 2016, <strong>2019</strong><br />
Tour de Yorkshire 2017<br />
2.<br />
Etappe Tour Féminin en Limousin<br />
2007<br />
Nationale Straßenmeisterschaft<br />
2009, 2010, 2012<br />
Etappe Tour de l’Ardèche 2009 (2),<br />
2011 (2)<br />
Straßenrennen Commonwealth<br />
Games 2010<br />
Tour of Chongming Island World<br />
Cup 2011<br />
Etappe Thüringen-Rundfahrt 2011,<br />
2012, 2013, 2014 (2)<br />
Olympisches Straßenrennen 2012<br />
Boels Rental Hills Classic 2013<br />
Nationale Zeitfahrmeisterschaft 2013<br />
Etappe La Route de France 2013 (2)<br />
Etappe Boels Rental Ladies Tour 2013<br />
Etappe Ladies Tour of Qatar 2014<br />
Trofeo Alfredo Binda 2014<br />
Flandern-Rundfahrt 2014<br />
Etappe Energiewacht Tour 2014<br />
CQ <strong>PC</strong>S WT<br />
Annemiek van Vleuten 1 1 1<br />
Marianne Vos 2 2 2<br />
Amanda Spratt 3 4 3<br />
Kasia Niewiadoma 4 6 5<br />
Lorena Wiebes 6 3 6<br />
Anna van der Breggen 5 5 7<br />
Marta Bastianelli 7 7 4<br />
Ellen van Dijk 8 8 8<br />
Amy Pieters 10 9 9<br />
Kirsten Wild 9 11 10<br />
Leah Kirchmann 11 10 16<br />
YORKSHIRE<br />
GOLD<br />
DIE FÜNF BESTEN<br />
RADSPORTLER AUS<br />
YORKSHIRE<br />
BEN SWIFT<br />
Geburtsort: Rotherham<br />
Britischer Straßenmeister<br />
Stand in Mailand–San Remo und<br />
der WM auf dem Treppchen,<br />
gewann mehrere Etappen<br />
einwöchiger WorldTour-<br />
Rundfahrten.<br />
La Flèche Wallonne Féminine 2014,<br />
2017<br />
Durango-Durango Emakumeen<br />
Saria 2014<br />
Etappe Emakumeen Euskal Bira 2014<br />
Thüringen-Rundfahrt 2014<br />
Strade Bianche 2015<br />
Amstel Gold Race 2017<br />
Lüttich–Bastogne–Lüttich 2017<br />
Etappe La Course by Le Tour de<br />
France 2017<br />
La Course by Le Tour de France 2017<br />
Etappe Women’s Tour <strong>2019</strong><br />
3.<br />
Nationale Straßenmeisterschaft<br />
2009, 2014<br />
Etappe Tour de l’Ardèche 2009,<br />
2010 (2), 2011<br />
Tour de l’Ardèche 2009<br />
Etappe Emakumeen Bira 2010, 2011<br />
Etappe La Route de France 2010,<br />
2013<br />
Etappe Thüringen-Rundfahrt 2011,<br />
2014 (2)<br />
Novilon Euregio Cup 2012<br />
Etappe Boels Ladies Tour 2013 (2),<br />
2014<br />
Boels Ladies Tour 2013<br />
Omloop Het Nieuwsblad 2014, 2015<br />
Molecaten Drentse 8 2014<br />
Etappe Energiewacht Tour 2014 (2)<br />
Etappe Ladies Tour of Qatar 2015<br />
Strade Bianche 2017<br />
Etappe Women’s Tour <strong>2019</strong><br />
BRIAN ROBINSON<br />
Geburtsort: Mirfield<br />
Dauphiné-Sieger<br />
Großbritanniens erster Tour-<br />
Etappensieger mit Erfolgen 1958<br />
und 1959. Dazu Gesamtsieger<br />
des Critérium du Dauphiné<br />
Libéré 1961.<br />
BERYL BURTON<br />
Geburtsort: Leeds<br />
Größte britische Rennfahrerin<br />
Vielfache Weltmeisterin auf<br />
Bahn und Straße. Burton wurde<br />
26 Mal nationale Zeitfahrmeisterin<br />
über 25 Meilen.<br />
BARRY HOBAN<br />
Geburtsort: Wakefield<br />
Mehrfacher Tour-Etappensieger<br />
Er erzielte in den 1960ern und<br />
1970ern acht Tour-Etappensiege,<br />
gewann dazu Gent–Wevelgem<br />
und konnte bei vielen Klassikern<br />
gute Platzierungen herausfahren.<br />
MALCOLM ELLIOT<br />
Geburtsort: Sheffield<br />
Supersprinter bei der Vuelta<br />
Gewinner des Sprintertrikots der<br />
Vuelta a España 1989 mit drei<br />
Etappensiegen. Sieger der Tour<br />
of Britain 1988, 1993 britischer<br />
Straßenmeister.<br />
© Offside Sports Photography<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 41
GUTES<br />
OOMEN?<br />
Mit gerade einmal 22 Jahren beendete Sam Oomen den Giro<br />
d’Italia 2018 als Neunter – im Kreise der besten Kletterer der<br />
Welt. In diesem Jahr bremste ihn jedoch Verletzungspech<br />
frühzeitig aus. Ein Porträt über einen Fahrer mit einer großen<br />
Portion Talent und einem starken Charakter.<br />
Text Sam Dansie & Werner Müller-Schell<br />
© Chris Auld<br />
42 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 43
SAM OOMEN<br />
Sam Oomens Heimatrevier ist Tilburg, eine<br />
Stadt im zentralen Süden der Niederlande,<br />
genauer gesagt der Provinz Noord-Brabant.<br />
Das Land hier ist flach und die einzige Möglichkeit,<br />
um als Radsportler Höhenmeter zu sammeln,<br />
ist der Weg in das Stadtzentrum und dort<br />
eine Fahrt mit dem Aufzug ins 22. Stockwerk des<br />
Interpolis-Versicherungsgebäudes. Man könnte<br />
meinen, die meisten 23-jährigen Bergspezialisten<br />
– insbesondere jene, deren Palmarès in diesem<br />
jungen Alter bereits einen neunten Platz beim<br />
Giro d'Italia aufweisen – würden von den schlammigen<br />
Feldwegen und endlosen Autobahnbrücken<br />
Nordbrabants wegziehen und sich nach Andorra,<br />
der Côte d’Azur oder in eine andere bergige Gegend<br />
aufmachen, um dort zu trainieren. Nicht so<br />
Sam Oomen. Er bleibt seiner Heimat Tilburg treu.<br />
„Komisch, oder?“, lacht er, als wir eine ironische<br />
Bemerkung über die Tatsache machen, dass<br />
wir eine Bergziege gefunden hätten, die außerhalb<br />
ihres Reviers leben würde. „Man muss eben eine<br />
Balance zwischen dem Training und der mentalen<br />
Komponente finden“, erklärt er. „Es macht mich<br />
so glücklich, nach jedem Etappenrennen heimzukommen,<br />
ein paar Tage zu Hause zu genießen<br />
und mich so auch geistig wieder für das nächste<br />
Rennen zu erholen. Alle meine Freunde leben<br />
hier, meine Familie, und ich fühle mich in Tilburg<br />
einfach sehr wohl.“<br />
Es ist nicht die einzige Überraschung, die wir<br />
im Bezug auf Sam Oomens Verhältnis zu Anstiegen<br />
und Höhenmetern finden. In diesem Frühjahr,<br />
in dem es bei vielen erfolgreichen Fahrern<br />
ein Trend war, ihre Form in einsamen Höhentrainingscamps<br />
in den Bergen aufzubauen, erzählt<br />
uns der junge Niederländer mit einem ironischen<br />
Unterton, dass auch er bereits zwei Höhentrainingslager<br />
absolviert habe. „Eines im Februar und<br />
eines im März?“, wollen wir wissen. Oomen verneint.<br />
„Zwei in meiner Karriere insgesamt. Letztes<br />
Jahr 16 Tage in der Sierra Nevada vor dem<br />
Giro und im Jahr davor zweieinhalb Wochen in<br />
La Plagne vor der Vuelta“, schmunzelt er. „Es ist<br />
nicht so, dass ich überhaupt nicht am Berg trainiere“,<br />
sagt er in Reaktion auf unseren erstaunten<br />
Blick und fügt an, dass er oft in die hügelige Gegend<br />
rund um Limburg, Tom Dumoulins Heimat,<br />
fahre. „Dort kannst du leicht 2.000 Höhenmeter<br />
am Tag machen.“<br />
Wir treffen Sam Oomen im Restaurantbereich<br />
eines Hotels im Baskenland Anfang April.<br />
In der Bar läuft Fußball und Rauchwolken qualmen<br />
durch den Raum. „Kein Problem, hier ist es<br />
okay“, sagt er, als wir ihn fragen, ob wir wegen<br />
des Dunstes an einen anderen Ort gehen sollen.<br />
Oomen trägt eine verkehrt herum aufgesetzte<br />
Baseballkappe, einen bauschigen Trainingsanzug<br />
und Flip Flops. Wir sind uns nicht sicher, ob er<br />
gerade erst von einem kleinen Nickerchen aufgewacht<br />
ist oder immer so herumläuft. Eines ist ge-<br />
wiss: Gäbe es ein Trikot für den lockersten Fahrer<br />
im Peloton – Oomen hätte gute Chancen, es<br />
zu gewinnen.<br />
Es wäre allerdings nur ein kleiner Farbtupfer<br />
in seiner in Anbetracht seines jungen Alters erstaunlich<br />
langen Ergebnisliste. Nach seinem Auftritt<br />
beim Giro d’Italia des letzten Jahres gilt der<br />
Profi aus den Reihen des Teams Sunweb schließlich<br />
als eines der größten Talente im Peloton.<br />
Auch in diesem Jahr startete er verheißungsvoll<br />
in die Saison: Im Februar wurde er Fünfter der<br />
Algarve-Rundfahrt und im März beendete er<br />
Tirreno–Adriatico als Neunter. „Nicht super, aber<br />
trotzdem gut“, beschreibt er seinen Auftritt in<br />
Italien. Danach fuhr er weite Teile der Baskenland-Rundfahrt,<br />
musste aber nach vier Tagen<br />
aufgeben. Da sein Teamkollege Wilco Kelderman<br />
bei der Katalonien-Rundfahrt schwer stürzte, war<br />
zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass Oomen<br />
wieder die Rolle als letzter Mann am Berg für<br />
Tom Dumoulin beim Giro übernehmen würde.<br />
Ein Vorhaben, das für beide nicht gut ausging:<br />
Dumoulin gab den Giro bereits auf der fünften<br />
Etappe auf, während Oomen auf der 14. Etappe<br />
von Saint Vincent nach Courmayeur stürzte und<br />
sich die Hüfte brach.<br />
VERBORGENES LEIDEN<br />
Doch der Unfall sollte nicht das einzige Problem<br />
des jungen Niederländers in dieser Saison sein:<br />
Während der hektischen Frühjahrssaison voller<br />
Trainings, Rennen und Gedanken über Ambitionen<br />
und Hoffnungen – und davon gab es nicht<br />
wenige, denn nach der ersten Giro-Woche hatte<br />
Oomen noch auf dem zehnten Rang im Gesamtklassement<br />
gelegen – musste er sich mit einer im<br />
Raum stehenden Operation beschäftigen, um eine<br />
verengte Beckenarterie zu korrigieren. Nach unserem<br />
Interview bei der Baskenland-Rundfahrt<br />
konnten wir leider nicht genauer nachfragen, da<br />
das Team alle Interviews abblockte – aber wir<br />
nehmen an, dass es schwer gewesen sein musste,<br />
dieses Geheimnis während der Klassiker-Saison<br />
herumzutragen. Wir erinnern uns: Als Fabio Aru<br />
früher in diesem Jahr ankündigte, dass er wegen<br />
derselben Problematik operiert werden müsste,<br />
erzählte er der Gazzetta dello Sport, dass er weinte,<br />
als er die Nachricht von den Ärzten erfuhr. Im<br />
Juni, als Oomen die Nachricht bekam, dass seine<br />
Saison wegen der Operation vorüber wäre, reagierte<br />
er gegenüber einem niederländischen<br />
Fernsehsender dagegen mit einem lockeren Witz:<br />
„Kein Problem – das ist mein 200.000-Kilometer-Service.“<br />
Laurens ten Dam, heutiger Profi beim CCC-<br />
Team und ehemaliger Mannschaftskollege und<br />
Lehrmeister Oomens beim Team Sunweb, erzählt<br />
uns, dass hinter dessen ruhiger, rothaariger Fas-<br />
sade ein Fahrer stecke, der viel nachdenke. „Unter<br />
der Oberfläche ist er ein Typ, der sich oft Sorgen<br />
macht. Auch ten Dams Ehefrau, die bei jenem Interview<br />
neben ihm sitzt, stimmt zu: „Er denkt<br />
wirklich viel nach und überdenkt so gut wie alles.“<br />
Die beiden Niederländer verbindet ein enges<br />
Verhältnis. Das Problem mit der Beckenarterie<br />
zum Beispiel vertraute Oomen ten Dam als Erstem<br />
an. Zuerst wollte er, berichtet uns ten Dam,<br />
nichtinvasive Methoden ausprobieren, um die<br />
Arterie so mithilfe eines Chiropraktikers oder<br />
Sam Oomen als treuer Helfer für Tom<br />
Dumoulin während des Giro d’Italia.<br />
DAS<br />
RICHTIGE<br />
TEAM<br />
Seine Ausbildung auf dem Weg zum<br />
Radprofi erhielt Oomen während seiner<br />
zwei Jahre mit dem Rabobank-Continental-Team<br />
2014 und 2015. „Die Basis dort<br />
war super“, erinnert er sich. „Passionierte<br />
Betreuer, eine gute Ausrüstung, alles<br />
war sehr gut arrangiert und wir hatten<br />
wirklich gute Rennen.“ Nach erfolgreichen<br />
Resultaten 2015 wie dem achten<br />
Platz bei der Tour de l’Ain, dem vierten<br />
Rang bei der Tour de l’Avenir und dem<br />
Sieg bei der Rhône-Alpes Isère Tour<br />
hätte er beispielsweise zu LottoNL–<br />
Jumbo wechseln können. Doch er war<br />
offen und sprach mit allen Teams.<br />
Sunweb, erzählt Oomen, habe früh<br />
Interesse gezeigt und ihm auch einen<br />
Dreijahresvertrag angeboten – ein<br />
Jahr länger als die Minimumdauer für<br />
Neoprofis. Bei den Verhandlungen mit<br />
Sunweb gab es zudem „mehrere sehr<br />
lange Gespräche über meine Persönlichkeit“,<br />
sagt er mit einem leisen<br />
Lächeln. „Sie wollten mich nicht nur<br />
wegen meiner Beine.“ Eine Beziehung,<br />
die bis heute anhält: Bereits 2017 wurde<br />
Oomens Vertrag von Sunweb bis 2020<br />
verlängert.<br />
44 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
SAM OOMEN<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 45
SAM OOMEN<br />
© Getty Images<br />
mit Massagen zu behandeln, ehe er sich für die<br />
Operation entschied. Ten Dam selbst war einmal<br />
zwei Jahre unter ähnlichen Umständen Rennen<br />
gefahren, weil sein Problem nicht richtig diagnostiziert<br />
worden war. Oomens Entscheidung, das<br />
Problem geheim zu halten und eine Grand Tour<br />
zu fahren, bezeichnet er als „sehr mutig“.<br />
Ten Dam gab den Giro <strong>2019</strong> während der<br />
sechsten Etappe auf – an jenem Tag, als Oomen<br />
in der Ausreißergruppe des Tages vertreten war.<br />
Vom Teamfahrzeug hinten beobachtete er seinen<br />
Freund für eine Weile: „Ich wusste, dass bei den<br />
finalen Attacken eines seiner Beine voller Laktat<br />
sein würde und er den Attacken nicht mehr folgen<br />
würde können. Und dann hätte er wieder irgendeine<br />
Story für die Journalisten erfinden müssen,<br />
anstelle ihnen die Wahrheit über die Beckenarterie<br />
zu erzählen.“ Ob er glaube, dass Sunweb<br />
Oomen in diese ausweglose Situation gebracht<br />
habe, obwohl man wusste, dass er unter Nennwert<br />
fahren würde? Und kannte man auch die<br />
ernsthaften Gründe dafür? „Ich weiß nicht, ob<br />
es sein Team war. Es war wohl auch er selbst“,<br />
mutmaßt ten Dam. „Er ist wohl einfach zu konsequent,<br />
um aufzugeben.“<br />
KONTINUIERLICHE ENTWICKLUNG<br />
„ICH WUSSTE, DASS BEI DEN <strong>FINAL</strong>EN ATTACKEN<br />
EINES SEINER BEINE VOLLER LAKTAT SEIN WÜRDE.<br />
UND DANN HÄTTE ER WIEDER IRGENDEINE<br />
STORY FÜR DIE JOURNALISTEN ERFINDEN MÜSSEN,<br />
ANSTELLE DIE WAHRHEIT ZU ERZÄHLEN.“<br />
LAURENS TEN DAM<br />
In der Tat verlief Oomens Entwicklung für sein<br />
junges Alter von gerade einmal 23 Jahren bisher<br />
überraschend kontinuierlich. In seiner ersten Saison<br />
lieferte er ein paar gute WorldTour-Rennen ab<br />
und gewann zudem die Gesamtwertung und eine<br />
Etappe bei der Tour de l’Ain. Im zweiten Jahr<br />
sammelte er Top-Ten-Resultate bei der Kalifornien-<br />
und der Polen-Rundfahrt und feierte bei<br />
der Vuelta a España ein beachtenswertes Grand-<br />
Tour-Debüt. Und im dritten Jahr wurde er Neunter<br />
beim Giro und holte zwei weitere Top-Ten-Resultate<br />
bei WorldTour-Etappenrennen. Die<br />
diesjährige Saison hätte ähnlich wie die letzte<br />
verlaufen sollen – mit einer Mischung aus Helfereinsätzen<br />
und Kapitänsrollen. Das vorzeitige Aus<br />
ist nach diesem geradlinigen Aufstieg nun umso<br />
schmerzhafter für ihn und sein Team.<br />
Denn spätestens seit seiner Giro-Performance<br />
2018 waren sich die Sunweb-Manager sicher,<br />
dass ihr frühes Gefühl für Oomens Talent richtig<br />
war. Oomen war Dumoulins wichtigster Helfer in<br />
jener dreiwöchigen Landesrundfahrt. Selbst am<br />
letzten Tag in den Alpen war er beim Giro 2018<br />
an der Spitze präsent und half, seinen Leader in<br />
eine Position zu bringen, von der aus dieser den<br />
im Rosa Trikot fahrenden Chris Froome in den<br />
Kehren hinauf nach Cervina attackieren hätte<br />
können. Sein Einsatz zahlte sich nur<br />
bedingt aus, da Dumoulin am Ende<br />
jenes langen Giros nicht die Beine<br />
für eine Attacke hatte. Doch auch<br />
Oomens Wille zählte. Insbesondere,<br />
da er für sich selbst auch<br />
noch einen neunten Platz in der<br />
Gesamtwertung herausfuhr.<br />
Seine einzige Schwäche bei jenem<br />
Giro hatte Oomen am Tag zuvor offenbart:<br />
Während Froomes beeindruckendem<br />
100-Kilometer-Solo von Venaria Reale nach Bardonecchia/Jafferau<br />
war er auffällig unauffällig gefahren.<br />
Dumoulin hatte schon vor der Etappe eine<br />
Attacke erwartet. Am Morgen beim Rennbriefing<br />
hatte er dem Team gesagt: „Sky wird einige Fahrer<br />
in der Gruppe des Tages platzieren, Poels wird ein<br />
hartes Tempo am Finestre anschlagen, und Froome<br />
wird einige Kilometer vor dem Gipfel attackieren<br />
und dann versuchen, zu seinen Teamkollegen<br />
vorne aufzuschließen. Das ist zu 100 Prozent das,<br />
was passieren wird.“ Es passierte genau so. Und<br />
Dumoulin wusste Oomen nicht an seiner Seite.<br />
Warum?, wollen wir in Anbetracht seiner starken<br />
Fahrt davor und danach wissen: „Die Sache<br />
Ein neunter Platz bei Tirreno–Adriatico<br />
deutete auf eine gutes Jahr hin – ehe<br />
Oomens Saison ein jähes Ende nahm.<br />
9<br />
Oomens Rang<br />
beim Giro<br />
2018<br />
ist, dass ich an jenem Tag nicht sehr selbstbewusst<br />
im Bezug auf meine körperlichen Fähigkeiten<br />
war. Am Tag zuvor, als es nach Prato Nevoso<br />
ging, war ich wirklich nicht gut drauf. Ich wurde<br />
früh abgehängt und so hatte ich Zweifel, wie es<br />
wohl während des schwersten Tages des Giros<br />
werden würde. Das Dumme war, dass ich eigentlich<br />
ganz okay drauf war. Später habe ich mich<br />
dann darüber natürlich geärgert“, so Oomen, der<br />
hin- und her überlegt. „Keine Ahnung. Klar könnte<br />
ich jetzt sagen, dass ich am ersten Berg attackieren<br />
hätte sollen“, grübelt er, nur um nach einer<br />
Pause hinzuzufügen: „Nein, ich hätte nichts<br />
anders machen können – glaube ich.“<br />
Ein Jahr später sind alle Fragen nach dem berühmten<br />
„Was-wäre-wenn-Prinzip“ tief unter<br />
einem Haufen positiver Gefühle begraben.<br />
„Es war eine tolle Erfahrung, die<br />
ich für den Rest meines Lebens in<br />
Erinnerung behalten werde. Das<br />
Erste, an das ich denke, ist das<br />
letzte Wochenende des Giros, der<br />
Finestre und das Bier in Rom nach<br />
einem dreiwöchigen Abenteuer. Das<br />
war schon speziell und man kann das<br />
mit nichts anderem vergleichen. Ich fühle<br />
mich wirklich privilegiert, das erlebt zu haben.“<br />
In unserem Gespräch gibt Oomen dennoch<br />
zu, dass er immer eine gewisse Unsicherheit über<br />
seine Fähigkeiten und sein Poten zial mit sich herumtrage.<br />
Diese tauche meist zu Beginn eines Etappenrennens<br />
auf, wenn er seine Heimat in Tilburg<br />
hinter sich lässt und auf die weltbesten Kletterer<br />
trifft. „Ich hatte schon immer dieses unsichere Gefühl,<br />
aber ich glaube nicht, dass das schlecht ist.<br />
Ich würde sogar sagen, dass es mich fokussierter<br />
macht. Insgesamt macht es mir daher nichts aus.“<br />
Es komm nicht von ungefähr, dass für einen<br />
Fahrer mit Oomens Talent nun die nächste Karrierestufe<br />
in den Fokus rückt. Doch der Schritt vom<br />
beständigen Top-Ten-Fahrer bei WorldTour-Rennen<br />
zum Top-Fünf- oder Siegfahrer war wohl nie<br />
schwerer als derzeit. Oomen stimmt zu: „Letztes<br />
Jahr landete ich oft zwischen Platz fünf und zehn.<br />
Man könnte meinen, dass es nur ein Schritt zu<br />
den Top Fünf wäre – aber es ist ein sehr harter<br />
Schritt. Und es braucht Zeit“, meint er. In diesem<br />
Jahr hätte es nun so weit sein sollen und es sah<br />
46 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
SAM OOMEN<br />
danach aus, als könnte Oomen seine Ausbildung<br />
abschließen und diesen nächsten großen Sprung<br />
machen – auch weil sein junges Alter ihm solche<br />
Leistungssprünge erlaubt. „Dann kommst du zu<br />
einem Punkt, vielleicht wenn du um die 25 bist,<br />
wenn die Schritte kleiner werden und du mehr<br />
und mehr investieren musst, um dich weiterzuentwickeln.<br />
Man kann das sehr gut bei Tom und<br />
den anderen Fahrern sehen: Wenn sie 26, 27<br />
sind, schaffen sie es wirklich an die Spitze.“ Vor<br />
den Rückschlägen in diesem Jahr hätte man<br />
durchaus meinen können, Oomen sei diesem<br />
klassischen Karriereschema weit voraus. Doch<br />
das ist nun hinfällig.<br />
Drei Wochen vor der Operation an der Beckenarterie<br />
war er bei den ten Dams zu Besuch,<br />
schlank und austrainiert. Eines der Gesprächsthemen,<br />
als man am an einem Abend um die<br />
Feuerstelle im Garten saß: Ob Oomen nach seiner<br />
Genesung in eine Gegend ziehen sollte, die hügeliger<br />
ist als seine Heimat Tilburg. „Er war immer<br />
noch so fokussiert“, erzählt ten Dam über<br />
jenen Abend. „Ich sagte ihm, dass er nicht so<br />
streng mit sich selbst sein solle. Und dass er die<br />
Saison abschreiben solle.“ Was sicher ist: Wenn<br />
sich Oomen von der Operation wieder erholt, wird<br />
es niemanden Glücklicheren geben als ten Dam,<br />
ihn in den Bergen wieder ganz vorne zu sehen.<br />
Oomen als Ausreißer beim diesjährigen<br />
Giro, ehe er nach einem Sturz auf der<br />
14. Etappe aussteigen musste.<br />
© Gruber Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 47
INTERVIEW SOPHIE HURCOM<br />
FOTOGRAFIE CHRIS AULD<br />
JACK<br />
BAUER<br />
M A N N M I T M I S S I O N<br />
Er wuchs in einem kleinen Bauerndorf in Neuseeland auf, wurde zu Hause<br />
unterrichtet, fuhr Mountainbike, spielte Bass in einer Band, machte einen<br />
Uni-Abschluss und arbeitete als Fahrradkurier. Eines Tages riskierte er es<br />
und flog nach Belgien – und alles änderte sich. Jack Bauer erzählt Procycling,<br />
wie er die Leiter zur Spitze der WorldTour hochkletterte.<br />
48 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
Rad zu fahren war eine Art, sich fortzubewegen,<br />
als ich jung war. Es war<br />
Mobilität, es war Freiheit für einen jungen<br />
Mann wie mich. Ich hatte einen älteren Bruder<br />
und einen Vater, die sehr aktiv und sportlich waren,<br />
ich wuchs auf mit der Liebe zum Joggen und<br />
Radfahren. Aber wir lebten draußen auf dem Lande,<br />
wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.<br />
Wenn ich irgendwohin wollte, gab es keinen Bus,<br />
in den ich steigen konnte. Mum und Dad hatten<br />
zu tun, als nahmen wir das Rad. So bin ich auf<br />
den Geschmack gekommen, Rad zu fahren und<br />
draußen unterwegs zu sein.<br />
Ich war immer ein Junge, der Sport auf<br />
höchstem Niveau betreiben wollte. Das<br />
Training hat mir Spaß gemacht, es hat mir Spaß<br />
gemacht, mich selbst anzutreiben. Ich bin als<br />
Youngster ein paar Mountainbike-Rennen gefahren<br />
und habe erkannt, dass ich mit ein bisschen<br />
Training mithalten und mich behaupten konnte.<br />
Das Gefühl mochte ich, also machte ich weiter.<br />
Als ich älter wurde, wurde es zu diesem Traum:<br />
Wäre es nicht toll, wenn ich davon leben könnte?<br />
Das Mountainbike war das beste Fortbewegungsmittel<br />
in der Gegend, die eine bäuerliche Gemeinschaft<br />
war. Ich habe bis zur MTB-Weltmeisterschaft<br />
2006 überhaupt kein Rennrad angefasst.<br />
Ein Jahr vorher habe ich mir ein Rennrad fürs<br />
Training besorgt, um wirklich große Strecken zu<br />
fahren. Mum und Dad haben etwas dazugegeben<br />
und ich habe mein erstes richtiges Rennrad aus<br />
Aluminium bekommen. Es ist immer noch in der<br />
Familie – meine kleine Schwester hat es.<br />
Wir hatten einen neuseeländischen Star in<br />
der MTB-Szene namens Kashi Leuchs, der<br />
aus Dunedin kam. Wenn du als Kind ein konkretes<br />
Vorbild hast, jemanden, der es in Übersee<br />
geschafft hat und gegen die Besten antreten<br />
konnte und damit seinen Lebensunterhalt verdienen<br />
konnte, kannst du es dir als berufliche Laufbahn<br />
vorstellen. Auf der Straße kannte ich die Namen<br />
Julian Dean und Greg Henderson, aber ich<br />
kannte sie auch als Medaillengewinner bei Olympia<br />
auf der Bahn, Leute, die sehr jung angefangen<br />
und sich durchgesetzt hatten. Ich dachte, so muss<br />
man es machen. Ich hing an unserem örtlichen<br />
Fahrradladen rum, der Quiet Revolution hieß, ein<br />
schönes, kleines, bodenständiges Geschäft. Der<br />
Typ, der es aufgebaut hat, ist dieses Jahr an Krebs<br />
gestorben, aber das sind meine Jugenderinnerungen<br />
an den Radsport – ein Geschäft, das Mountainbikes<br />
verkaufte.<br />
Ich lebte zu dem Zeitpunkt viele verschiedene<br />
Leben. Ich studierte, ich versuchte Rennen zu<br />
fahren und zu trainieren, und ich spielte in einer<br />
Band. Es gipfelte alles darin, dass ich bei diesen<br />
MTB-Meisterschaften zum ersten Mal für Neuseeland<br />
antrat – als U23-Fahrer, was schon ziemlich<br />
alt war. Wenn ich mich heute umsehe und<br />
einige dieser Kids sehe, die Profis sind und eigentlich<br />
noch Junioren sind, das hätte ich nicht gekonnt.<br />
Ich fuhr dieses Rennen und erkannte, wie<br />
hoch das Niveau war und wie weit ich davon entfernt<br />
war, wenn ich ein normales Leben zu führen<br />
versuchte, zu arbeiten versuchte, zu studieren<br />
versuchte, zu trainieren versuchte. Ich erkannte<br />
sofort, dass andere Leute es anders machten und<br />
ich das nicht konnte. Ich hakte es mental ab, gab<br />
die Idee auf und studierte weiter. Das war’s, dachte<br />
ich, mit dem Radfahren.<br />
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo<br />
wir zu Hause unterrichtet wurden. Mum<br />
und Dad haben uns vier Kinder unterrichtet, vom<br />
fünften Lebensjahr bis zur Uni. Um zur Hochschule<br />
zugelassen zu werden, brauchst du einen<br />
anerkannten Schulabschluss, und eines der Dinge,<br />
die mir neben der Bildung durch das Homeschooling<br />
halfen, war meine Musikalität. Wir<br />
wurden alle schon sehr früh angehalten, ein Instrument<br />
zu spielen. Blockflöte, Mum spielte Gitarre,<br />
Dad spielte Trompete … Als ich acht war, engagierten<br />
sie einen Klavierlehrer aus der Gegend. Er<br />
war ein echt exzentrischer Deutscher; er brachte<br />
uns bei, ohne Noten zu spielen. So bin ich aufgewachsen.<br />
Ich habe acht oder neun Jahre Klavier<br />
gespielt, habe gelernt, Musik zu hören und Musik<br />
zu machen.<br />
Ich und mein Bruder liebten Rockmusik. Ich<br />
war 14 und mein Bruder war 15 und Mum kaufte<br />
uns eine E-Gitarre. Ein Freund von mir hatte eine<br />
ältere Schwester, die eine Bassgitarre hatte, und<br />
sie ließ mich darauf spielen. Wir dachten: Wenn<br />
ich Bass spiele, spielt mein Bruder E-Gitarre und<br />
wir haben einen Kumpel, der Schlagzeug spielt …<br />
und fertig ist die Band. Ich habe diese Bassgitarre<br />
gekauft, als ich 14 war. Es war ein fürchterlich<br />
billiges Ding. Wir spielten und machten dieses<br />
ganze Highschool-Ding und spielten in einer kleinen<br />
Band. Ich bin in einer christlichen Familie<br />
aufgewachsen, daher spielten wir jeden Sonntag<br />
in der Kirche – das war wirklich gut. Ich lernte,<br />
mit anderen Musikern zu spielen, und erlernte<br />
verschiedene Musikstile.<br />
Als ich die Uni mit 20, 21 fertig hatte, reduzierten<br />
wir die Band auf vier Leute, die wirklich<br />
alles daran setzen wollten, mit der Musik<br />
Erfolg zu haben. Das hieß, dass wir alle in<br />
dieselbe Stadt ziehen mussten und einen Job finden<br />
mussten, um das mit der Musik wirklich voranzutreiben.<br />
Das haben wir ein paar Jahre ge-<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 49
JACK BAUER<br />
macht, bis einer der Jungs genug hatte und nicht<br />
mehr weitermachen konnte. Da bin ich auch wieder<br />
aufs Rad gestiegen und habe die Gitarre an<br />
den Nagel gehängt.<br />
In meinem ersten Jahr nach dem Uni-Abschluss<br />
bin ich in den örtlichen Radsportverein<br />
eingetreten – ich bin heute noch<br />
Mitglied. Ich habe dieses ganze Straßen-Ding<br />
mitbekommen, von Samstags-Rennen bis zu<br />
Dienstagsabends-Rennen. Dadurch hielt ich mich<br />
ziemlich fit. Ich arbeitete nebenher als Fahrradkurier<br />
im verregneten und windigen Wellington<br />
[Hauptstadt von Neuseeland]. Da habe ich gemerkt,<br />
dass mir das Radfahren immer noch Spaß<br />
machte und dass ich auch körperlich damit zurechtkam<br />
– tagein, tagaus.<br />
Ein Jahr später, 2009, saß ich in einem Flugzeug<br />
nach Belgien, um Rennen zu fahren.<br />
Es war ein großes Abenteuer, es alleine zu machen.<br />
Ich war 24. Es war ein wilder Schuss ins<br />
Blaue, und das sagten mir die Leute auch. Ich<br />
bin direkt nach Gent gegangen und dort sechs<br />
Monate gefahren. Seitdem lebe ich nicht mehr in<br />
Neuseeland.<br />
„ES WAR KALT UND<br />
REGNERISCH, ALS ICH<br />
IM APRIL IN BELGIEN<br />
ANKAM. DAS LEBEN<br />
WAR GANZ SCHÖN<br />
HART. ES WAR<br />
ÜBERHAUPT NICHT<br />
GLAMOURÖS. ABER ICH<br />
KONNTE SEHEN, DASS<br />
DIESE VERRÜCKTE IDEE<br />
LANGSAM GESTALT<br />
ANNAHM.“<br />
Dass es Länder gibt, wo die Leute Radsport<br />
mögen, war mir neu. Zu Hause war es das Allergrößte,<br />
wenn man Zeit zum Training und Geld<br />
hatte, um den Lebensstil eines Radsportlers zu<br />
Bauer, ein erwiesen starker Klassiker<br />
Fahrer, bei der Flandern-Rundfahrt <strong>2019</strong>.<br />
finanzieren. Man verdiente kein Geld mit Radfahren.<br />
Ich kam grün hinter den Ohren in Belgien an.<br />
Ich war, nachdem ich ein Jahr als Fahrradkurier<br />
geackert hatte, ziemlich stark; ich war nicht mehr<br />
jung, ich war 24. Ich war relativ fit und relativ<br />
stark und relativ lebenstüchtig.<br />
Mein Ziel war, in Belgien zu lernen, wie man<br />
Rennen fährt, zurück nach Neuseeland zu<br />
gehen und die Tour of Southland zu fahren,<br />
dort eine Etappe zu gewinnen und meine<br />
Karriere zu beenden. Das war mein Best-Case-<br />
Szenario. Plötzlich konnte ich mich den ganzen<br />
Tag dem Radsport widmen und hatte ein kleines<br />
bisschen Geld auf der Bank. Ich erkannte, dass es<br />
zwei- oder dreimal die Woche ein Rennen in der<br />
Gegend gab und du, wenn du schnell und stark<br />
warst, ein paar Hundert Euro verdienen konntest,<br />
wenn du den Sprint auf den Runden gewannst<br />
oder das Rennen gewannst.<br />
50 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
JACK BAUER<br />
Große Enttäuschung: Auf der<br />
15. Etappe der Tour 2014 wird Bauer<br />
knapp vor der Linie abgefangen.<br />
Ich wohnte in einem Bauernhaus mit russischen,<br />
australischen und englischen Jungs,<br />
die die gleiche Idee hatten wie ich. Ich wollte<br />
es unbedingt, als ich einmal erkannt hatte, dass<br />
ich es schaffen konnte, wenn ich genug Rennen<br />
gewann und Leute schlug, von denen ich wusste,<br />
dass die Profiteams ein Auge auf sie geworfen<br />
hatten.<br />
Es dauerte ein, zwei Wochen, bis ich gewann,<br />
und ich machte fünf, sechs Monate so weiter.<br />
Ich habe wirklich gelernt, die harten Kilometer<br />
abzuspulen. Es war kalt und regnerisch, als ich<br />
im April in Belgien ankam. Das Leben war ganz<br />
schön hart. Es war überhaupt nicht glamourös.<br />
Aber ich konnte sehen, dass diese verrückte Idee,<br />
die ich als Kind hatte, langsam Gestalt annahm,<br />
wenn ich immer wieder jemanden schlug. Ich<br />
machte mir langsam einen Namen als dieser Junge,<br />
der aus dem Nichts kam und den anderen<br />
scheinbar mühelos davonfahren konnte. Ich hatte<br />
überhaupt kein Know-how, weil ich vorher nie<br />
Rennen gefahren war. Die einzige Art, zu gewinnen,<br />
war, die Leute mental oder körperlich zu<br />
knacken, und nur das habe ich gemacht.<br />
Ich habe viele Leute kennengelernt, bei<br />
Highroad und anderen Teams. Das brachte<br />
den Ball ins Rollen. Ich flog 2009 nach Hause,<br />
um meinen Etappensieg bei der Tour of Southland<br />
anzupeilen, und holte ihn auf der ersten Straßenetappe.<br />
Ich gewann die Etappe über den gefürchteten<br />
Bluff Hill. Es ist einer der schwersten Hügel<br />
in Neuseeland. In der Vergangenheit war ich ihn<br />
als Mountainbiker gefahren und habe auch eins<br />
aufs Dach gekriegt und mein Rad den Hügel<br />
hochgeschoben. Ich gewann meine Etappe, und<br />
plötzlich hörten die Leute meinen Namen, und<br />
die Sache nahm Fahrt auf.<br />
Ich lernte Allan Peiper kennen, der damals<br />
für HTC-Highroad arbeitete. Er sagte mir: „Es<br />
ist alles gut und schön, bei einem großen Straßenteam<br />
Profi zu werden, aber wenn du es in deiner<br />
jetzigen Verfassung versuchst, bekommst du eine<br />
Abreibung und fliegst gleich wieder raus und hältst<br />
höchstens ein Jahr durch.“ Er riet mir, die Grundlagen<br />
bei einem jungen Team zu lernen. Und das<br />
habe ich gemacht. Er machte mich mit Brian Smith<br />
bei Endura Racing bekannt, einem Continental-<br />
Team in Schottland. Sechs Monate später konnte<br />
ich schon darüber nachdenken, in Vollzeit nach<br />
Europa zu ziehen und für ein Team zu fahren.<br />
Die richtigen Türen öffneten sich zur richtigen<br />
Zeit, und so kam ich 2012 bei Jonathan<br />
Vaughters’ Garmin-Team unter. Damit wurde<br />
ein Traum für mich wahr, wobei ich die richtigen<br />
Leute zur richtigen Zeit kennenlernte. Ich verstand,<br />
dass man etwas zusätzlichen Glanz<br />
brauchte. Ich war 26, als ich bei Vaughters unterschrieb.<br />
Warum würdest du einen 26-Jährigen<br />
nehmen, der am Anfang seiner Karriere steht,<br />
wenn er nicht sehr vielversprechend ist? Was ich<br />
nicht war. Es lag an meiner Verbindung zu Peiper.<br />
Er war von HTC zu Garmin gewechselt und sagte<br />
einfach nur: „Schaut euch Jack mal an.“<br />
KARRIERE-HÖHEPUNKTE<br />
2010–2012<br />
ENDURA RACING<br />
2012–2016<br />
GARMIN SHARP<br />
2017<br />
QUICK-STEP FLOORS<br />
2018 BIS HEUTE<br />
MITCHELTON-SCOTT<br />
Unterschreibt bei dem britischen<br />
Conti-Team, das von Brian Smith<br />
geführt wird. Gewinnt die neuseeländische<br />
Straßenmeisterschaft<br />
2010 und nimmt das Meistertrikot<br />
mit zum Team. Er fährt<br />
seine ersten Etappenrennen in<br />
Europa und Kriterien in Großbritannien.<br />
Gewinnt sein erstes<br />
internationales Rennen, die Tour<br />
of Utah 2011, wo er einen jungen<br />
Elia Viviani im Sprint schlägt.<br />
Erreicht die WorldTour mit Garmin.<br />
Fährt seinen ersten Giro 2012 als<br />
Helfer für Ryder Hesjedal, der das<br />
Rosa Trikot gewinnt. Arbeitet in den<br />
Sprintzügen, hilft Garmin, das<br />
Mannschaftszeitfahren zu gewinnen,<br />
und entwickelt sich zur mannschaftsdienlichen<br />
Allzweckwaffe.<br />
Ist kurz davor, aus einer Ausreißergruppe<br />
eine Etappe der Tour 2014<br />
zu gewinnen, wird aber ein paar<br />
Meter vor der Linie abgefangen.<br />
Wird wieder neuseeländischer<br />
Meister, dieses Mal im Zeitfahren.<br />
Er unterschreibt bei dem<br />
belgischen Team und beweist<br />
seinen Wert im Sprintzug für<br />
Marcel Kittel, dem er zu fünf<br />
Etappensiegen verhilft. Als klar<br />
wird, dass Kittel das Team<br />
verlässt, ist auch Bauers Platz<br />
in Gefahr, und der Neuseeländer<br />
steht im Dezember ohne<br />
Vertrag da.<br />
Geht zu dem australischen Team,<br />
um die Klassiker-Fraktion zu<br />
verstärken, und startet regelmäßig<br />
bei den Kopfsteinpflasterrennen im<br />
Frühjahr, wo er die Kapitäne Matteo<br />
Trentin und Luke Durbridge<br />
unterstützt. Seine Vielseitigkeit<br />
macht ihn bei den großen<br />
Rundfahrten unbezahlbar, und<br />
bisher hat er Adam und Simon<br />
Yates bei der Tour und beim<br />
Giro unterstützt.<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 51
© Velofocus<br />
52 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
AUF<br />
TOUR<br />
MIT<br />
CANYON-<br />
SRAM<br />
Mit der früheren Siegerin Kasia Niewiadoma<br />
ging Canyon-Sram mit großen Ambitionen in die<br />
diesjährige Women’s Tour. Procycling hat das Team<br />
durch eine Woche begleitet, in der die Fahrerinnen<br />
die Höhen und Tiefen des Rennsports erlebten.<br />
Text Sophie Hurcom<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 53
CANYON-SRAM<br />
1. ETAPPE<br />
10.6.<strong>2019</strong><br />
BECCLES > STOWMARKET<br />
© Jojo Harper<br />
D<br />
ie Morgennachrichten im Fernsehen zeigen<br />
eine gelbe Wetterwarnung über dem<br />
Südosten Englands und East Anglia. Der<br />
Wetterbericht sagt 60 Liter Regen in den nächsten<br />
24 Stunden voraus – die Niederschlagsmenge eines<br />
Monats an einem Tag. Tag eins der Women’s Tour<br />
dürfte ein Schlag ins Wasser werden.<br />
Es ist morgens um halb acht, und die Fahrerinnen<br />
von Canyon-Sram kommen eine nach der anderen<br />
aus dem Hotel, ziehen ihren Koffer zur Ecke<br />
des Parkplatzes des Ipswich Holiday Inn. Die purpur-,<br />
pink- und orangefarbenen Streifen ihrer<br />
Mannschaftswagen sind ein bunter Farbtupfen<br />
vor dem grauen Himmel und Beton. Mechaniker<br />
Jochen Lamade ist seit fünf Uhr morgens auf,<br />
während Beth Duryea, Marketingmanagerin und<br />
Sportliche Leiterin des Teams, erst um halb vier in<br />
der Nacht angekommen ist, nachdem sie direkt<br />
vom gestrigen Dwars door Westhoek in Belgien<br />
mit dem Auto hergefahren war. Alle tragen Turnschuhe<br />
mit Boa-Rädchen statt mit Schnürsenkeln<br />
– ein kleines Geschenk vom Sponsor, das für eine<br />
nette Einheitlichkeit sorgt. Mir wurde gesagt,<br />
dass wir um viertel vor acht aufbrechen, um<br />
rechtzeitig am Start in Beccles zu sein, aber dass<br />
ich früher da sein solle. Wir richten uns nach<br />
deutscher Zeit, mit fünf Minuten vor der Abfahrtszeit<br />
liegt man also richtig.<br />
Ich steige hinten in einen weißen Skoda ein,<br />
der Hannah Barnes gehört, eine Leihgabe an das<br />
Team, da sie ein zusätzliches Auto brauchten.<br />
Duryea lächelt, als sie Richtung Uhrzeit nickt, als<br />
wir den Parkplatz verlassen; 7:41 Uhr.<br />
Die Etappe ist weitgehend flach und es ist mit<br />
einem Sprint zu rechnen, aber der Regen sorgt für<br />
einen Dämpfer, bevor der erste Tropfen gefallen<br />
ist. Das Team trägt ein spezielles Rapha-Trikot,<br />
um den Women’s 100 Ride zu feiern, und Hannah<br />
will sich vergewissern, dass sie genug Regensachen<br />
für den ganzen Tag dabei hat. Ihr Vater<br />
ruft während der einstündigen Fahrt an und hat<br />
einen noch schlechteren Wetterbericht. 100 Liter<br />
Regen könnten heute fallen, was die 157-Kilometer-Route<br />
durch die Suffolk Plains von Minute<br />
zu Minute unattraktiver macht.<br />
Mit Beginn des Rennens setzt der Regen ein und<br />
lässt während der vier Stunden nicht mehr nach.<br />
Alle sind durchnässt, als sie zum Platz von Canyon<br />
auf dem Parkplatz eines B&M-Schnäppchenmarkts<br />
in Stowmarket zurückkommen. Als<br />
Alice Barnes ihre Brille abnimmt, ist ihr Gesicht<br />
mit braunen Spritzern übersäht. „Funktioniert die<br />
Dusche?“, fragt Hannah. Sogar Hannahs Freund,<br />
der Ineos-Fahrer Tao Geoghegan Hart, der kurz<br />
vorbeigekommen ist, um hallo zu sagen, hat ein<br />
schwarzes Kapuzenshirt eng um den Kopf gezogen,<br />
um sich zu schützen. Es könnte November<br />
sein, nicht Juni.<br />
Das Rennen war weitgehend ereignislos, was<br />
heißt, dass es ein ruhiger Tag für Lamade war –<br />
es gab keine Stürze oder Defekte. Trotzdem hat<br />
er noch einen langen Abend vor sich. Nach der<br />
80-minütigen Fahrt zu unserem Hotel in Essex<br />
hat er noch einmal drei Stunden lang zu tun. Die<br />
Ersatzräder wurden zwar nicht gebraucht, aber sie<br />
haben Regen abbekommen und müssen alle wieder<br />
gereinigt werden. Genau wie die Mannschaftswagen<br />
von innen und außen – ein tägliches Erfordernis<br />
bei dem Rennen. Der Regen hat nicht nur<br />
die Laune der Fahrerinnen gedämpft.<br />
RENNVERLAUF<br />
Mit strömendem Regen und drei Zwischensprints,<br />
bei denen in der zweiten Hälfte der<br />
Etappe Bonussekunden zu holen sind, bleibt<br />
das Feld zusammen, bis Abby-Mae Parkinson<br />
24 Kilometer vor dem Ziel attackiert. Bei Ca -<br />
n yon war der Plan, mit Elena Cecchini in einem<br />
Massensprint zu punkten. Aber als Parkinson<br />
zwei Kilometer vor der Linie gestellt wird, ist<br />
Boels-Dolmans im Finale das organisier teste<br />
Team. Jolien D’Hoore gewinnt, Cecchini ist Ca -<br />
nyons bestplatzierte Fahrerin auf Platz zwölf.<br />
Alle Fahrerinnen der Women’s Tour<br />
trugen die rosa Schleifen einer Brustkrebs-Initiative.<br />
Die Stimmung vor der ersten Etappe ist<br />
gelöst, doch dann setzt der Regen ein.<br />
ERGEBNISSE 1. ETAPPE<br />
1 Jolien D’Hoore Boels-Dolmans 4:09:12<br />
2 Amy Pieters Boels-Dolmans + 0:00<br />
3 Lisa Brennauer WNT-Rotor + 0:00<br />
Gesamtführende: Jolien D’Hoore<br />
54 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
CANYON-SRAM<br />
Elena Cecchini versucht<br />
es auf der 2. Etappe<br />
mit einer Soloflucht, wird<br />
aber wieder eingeholt.<br />
E<br />
2. ETAPPE<br />
11.6.<strong>2019</strong><br />
KENT CYCLOPARK<br />
s ist morgens um halb zehn, als die<br />
erste Fahrerin, Kasia Niewiadoma, zum<br />
Frühstück kommt. Die heutige Etappe<br />
ist nur 65 Kilometer lang auf einem Rundkurs im<br />
Kent Cyclopark, daher können die Fahrerinnen<br />
heute ausnahmsweise einmal ausschlafen. „Road<br />
Captain“ Tiffany Cromwell wurde am Vorabend als<br />
Botschafterin ausgesandt, um Teamchef Ronny<br />
Lauke zu bitten, die Mannschaftsbesprechung um<br />
eine halbe Stunde zu verschieben, damit sie länger<br />
schlafen können.<br />
Die Etappe beginnt um zwei Uhr nachmittags,<br />
und der Kontrast zu gestern könnte nicht größer<br />
sein. Die angespannte Stimmung vom ersten Tag<br />
ist verflogen; Lisa Klein macht Yoga auf einer Matte<br />
auf dem Parkplatz, während Lamade und Arne<br />
Kenzler, der zweite Mechaniker, um die Autos herumwuseln<br />
und die freie Zeit nutzen.<br />
Für die Barnes-Schwestern sind die Etappen 2<br />
und 3 Heimspiele. Wir sind heute in Kent, wo Hannah<br />
geboren wurde, während Etappe 3 in Oxfordshire<br />
ausgetragen wird, wo Alice zur Welt kam. Ihr<br />
Vater arbeitete als Landwirt im Blenheim Palace,<br />
wo die 3. Etappe zu Ende geht – die beiden können<br />
sich noch daran erinnern, wie sie als Kinder auf<br />
dem Gelände gespielt haben. Zwei Tage sind sie bei<br />
den örtlichen Zeitungen und Fans sehr gefragt.<br />
Die Women’s Tour ist ein großes Ziel auf dem Kalender<br />
wegen der Siegprämien von 97.880 Pfund<br />
– anteilig so viel wie bei der Tour of Britain der<br />
Männer – und der Fernsehübertragung der täglichen<br />
Highlights. Hannah war seit der Erstauflage<br />
2014 jedes Jahr dabei und wurde 2017 Gesamt-<br />
Dritte; damit ist sie eine der einheimischen Favoritinnen.<br />
„Ich werde normalerweise nicht nervös, aber<br />
jetzt schon, weil so viel davon abhängt“, sagt sie.<br />
Hannah Barnes ist mit 26 in ihrer vierten Saison<br />
bei Canyon, und das Team verlässt sich darauf,<br />
dass die gute Kletterin und erfahrene Sprinterin<br />
die ganze Woche lang in jedem Finale für ihre Kapitänin<br />
Niewiadoma da ist. Hannah scheint im<br />
Laufe des Rennens immer stärker und selbstbewusster<br />
zu werden.<br />
„Es war nicht der beste Start [ins Jahr <strong>2019</strong>]. Ich<br />
hatte ein wirklich gutes Het Nieuwsblad und das<br />
Strade Bianche war gut, aber es war ein bisschen<br />
langsam für mich. Ich bin nach einem wirklich guten<br />
Winter mit großen Erwartungen in die Saison<br />
gegangen. Aber Juni und Juli sind normalerweise<br />
eine gute Jahreszeit für mich“, sagt sie mir später<br />
im Mannschaftshotel.<br />
Auch die Atmosphäre wird im Laufe der Saison<br />
besser. „Wenn wir einige Rennen hinter uns haben,<br />
fahren wir viel besser, was wichtig ist. Du brauchst<br />
einen guten Zusammenhalt im Team und die Verbindung.<br />
Es gibt definitiv Fahrerinnen, die viele engere<br />
Bande mit anderen Fahrerinnen haben, aber<br />
wir finden langsam den perfekten Weg“, sagt sie.<br />
Lokalmatadorin<br />
Hannah Barnes ist<br />
bei den Medien des<br />
Landes sehr gefragt.<br />
„Wir sagen immer, wir verlieren viele Rennen zusammen,<br />
aber das macht die, die wir gewinnen,<br />
umso besser.“<br />
RENNVERLAUF<br />
Von außen betrachtet, passiert nicht viel an<br />
diesem Tag. Alice Barnes und Cecchini sind<br />
die einzigen Fahrerinnen, die angreifen. Beide<br />
können sich zwischenzeitlich absetzen und<br />
Cecchini kann das Feld drei Runden lang auf<br />
Distanz halten, aber da Trek-Segafredo und<br />
Boels-Dolmans das Tempo kontrollieren, hat<br />
keine der beiden eine Chance und das Feld<br />
rollt wieder zusammen. Zum zweiten Mal<br />
kommt es zu einem Massensprint, den dieses<br />
Mal Marianne Vos gewinnt.<br />
ERGEBNISSE 2. ETAPPE<br />
1 Marianne Vos CCC Liv 1:34:17<br />
2 Lizzie Deignan Trek-Segafredo + 0:00<br />
3 Sarah Roy Mitchelton-Scott + 0:00<br />
Gesamtführende: Marianne Vos<br />
© Velofocus, Jojo Harper (klein)<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 55
CANYON-SRAM<br />
3. ETAPPE<br />
12.6.<strong>2019</strong><br />
HENLEY ON THAMES ><br />
BLENHEIM PALACE<br />
© Velofocus<br />
A<br />
uf der 3. Etappe fahre ich im zweiten<br />
Mannschaftswagen mit Alessandra<br />
Borchi, einer der beiden Physiotherapeuten<br />
des Teams, zur Verpflegungszone vo raus.<br />
Borchi fuhr früher Bahn- und Straßenrennen –<br />
ihre letzte Saison bei Alé-Cipollini, wie das Team<br />
heute heißt, bevor sie eine Ausbildung zur Physiotherapeutin<br />
machte. Sie kam vor vier Jahren zu<br />
Canyon und bringt viel italienisches Temperament<br />
mit – sie singt und summt im Auto, flucht in ihrer<br />
Muttersprache, bevor sie sich mehrmals für ihren<br />
Fahrstil entschuldigt.<br />
„Ich bin sehr leidenschaftlich“, sagt sie. Man<br />
würde mit einem Zusammenprall der Kulturen<br />
rechnen in einem Team, das vor allem deutsche<br />
Mitarbeiter hat, aber weit gefehlt. Borchi und<br />
Lars Schiffner, der andere Physiotherapeut des<br />
Teams, machen fast die ganze Woche Witze wie<br />
Geschwister.<br />
Das Duo arbeitet bei den meisten Rennen auf<br />
dem Kalender. Es ist ein anspruchsvolles Programm<br />
und die Mitarbeiter sind – genau wie die<br />
Fahrerinnen – fast 200 Tage im Jahr von zu Hause<br />
weg, aber Lauke mag die Vertrautheit und Kontinuität,<br />
die daraus resultiert, von den gleichen<br />
Gesichtern umgeben zu sein, statt abwechselnd<br />
Mitarbeiter aus einem größeren Pool einzusetzen.<br />
„Ronny mag es, wenn es wie eine Familie ist“,<br />
sagt Borchi.<br />
Borchi fällt ihr Job leicht – sie weiß, was die<br />
Fahrerinnen brauchen, ohne dass diese fragen<br />
müssen. Wenn eine Fahrerin sagt, dass sie ihre<br />
Sachen im Wohnmobil vergessen hat, hat Borchi<br />
sie schon für sie ins Auto gelegt. Wenn eine Fahrerin<br />
sagt, dass sie etwas zu essen haben möchte,<br />
hat die Betreuerin Reiswaffeln für sie.<br />
Aber man muss das richtige Maß finden und<br />
sehen, wann die Fahrerinnen Unterstützung<br />
brauchen und wann sie alleine klarkommen.<br />
Borchi hat in ihrer Karriere vor zehn Jahren ganz<br />
andere Erfahrungen gemacht, erzählt sie. Für sie<br />
wurde die Anreise zu einem Rennen nie organisiert,<br />
stattdessen fuhr sie mit dem Auto durch<br />
Europa und musste sich zurechtfinden – mit einer<br />
Landkarte.<br />
„Sie lernen noch, verglichen mit Mitchelton-<br />
Scott, die viele abgehärtete und erfahrene Fahrerinnen<br />
haben“, sagt sie. „Wir haben schon sehr<br />
talentierte Fahrerinnen, aber die jüngeren sind ein<br />
bisschen verrückter. Es ist wirklich der Geist von<br />
Peter Pan.“<br />
Die Etappen sind so kurz, dass die Fahrerinnen<br />
während des Rennens kaum etwas essen. Statt-<br />
dessen bereitet Borchi Flaschen vor, an denen sie<br />
mit einem Gummiband und etwas Klebeband ein<br />
Energiegel befestigt. Wir aktualisieren Twitter,<br />
suchen nach neuen Infos über das Rennen, bevor<br />
eine Nachricht von Lauke eintrifft. Borchi flucht.<br />
Es hat einen Sturz gegeben und das Rennen wurde<br />
neutralisiert. Hannah und Alice gehören zu<br />
den Betroffenen. Es heißt, ihre Räder seien beschädigt,<br />
aber sie haben sich nur Schnittwunden<br />
und Prellungen geholt.<br />
Als die Fahrer zurück am Wohnmobil im Ziel<br />
am Blenheim Palace sind, sind Alices Shorts<br />
zerrissen und Hannahs Arm bandagiert. Es<br />
kommt ein „Ah, shit!“ von Cromwell, als sie ihr<br />
Rad in den Ständer stellt. Nach dem ersten Sturz<br />
des Tages wurde Cecchini vier Kilometer vor dem<br />
Ziel, als Canyon sich an die Spitze setzte und einen<br />
Sprintzug für die Italienerin organisierte, von<br />
der Straße gedrängt und stürzte in einen Grünstreifen.<br />
Laut erstem Befund hat sie sich das<br />
Handgelenk gebrochen und ist bereits auf dem<br />
Weg ins Krankenhaus. Im Ziel ist die Enttäuschung<br />
des Teams mit Händen zu greifen.<br />
Um acht Uhr abends ist Cecchini immer noch<br />
nicht aus dem Krankenhaus zurück. Auch Hannah<br />
fehlt beim Abendessen, als Borchi und<br />
Schiffner mit tropfenden Mänteln hereinkommen,<br />
um sich zu vergewissern, dass die verbleibenden<br />
vier Fahrerinnen alles haben, was sie brauchen.<br />
Es dauert noch eine Weile, bevor einer der beiden<br />
selbst zum Abendessen kommt.<br />
Borchi und Schiffner haben Spaß vor<br />
dem Start l. o.); gefüllte Trinkflaschen stehen<br />
parat (r. o.); Hannah Barnes wird am<br />
Berg Tag für Tag stärker (r. u.); Kapitänin<br />
Cromwell zieht sich kurz vor dem Start die<br />
Armlinge zurecht (l. u.).<br />
RENNVERLAUF<br />
Ein Massensturz bei Didcot auf halber Strecke<br />
schickt eine Flutwelle durch das Peloton und<br />
macht eine vorübergehende Neutralisierung<br />
notwendig. Unter den neun Fahrerinnen, die<br />
das Rennen aufgeben, ist Spitzenreiterin Vos.<br />
Als sich das Peloton auf einen Sprint am<br />
Blenheim Palace vorbereitet, wird Cecchini<br />
vier Kilometer vor dem Ziel von der Straße<br />
gedrängt und stürzt, als Canyon vor ihr einen<br />
Sprintzug organisiert.<br />
ERGEBNISSE 3. ETAPPE<br />
1 Jolien D’Hoore Boels-Dolmans 3:46:04<br />
2 Lisa Brennauer WNT Rotor + 0:00<br />
3 Demi Vollering Parkhotel Valkenburg + 0:00<br />
Gesamtführende: Lisa Brennauer<br />
56 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
4. ETAPPE<br />
13.6.<strong>2019</strong><br />
WARWICK ><br />
BURTON DASSETT<br />
M<br />
it 158,9 Kilometer ist die 4. Etappe die<br />
längste des Rennens und der Tag, an<br />
dem der Kampf um die Gesamtwertung<br />
ausbrechen wird. Burton Dassett ist die erste Hügelankunft<br />
in der Geschichte der Women’s Tour;<br />
die Fahrerinnen fahren drei Runden durch den<br />
Park und über den 1,2 Kilometer langen Anstieg<br />
zur Linie. Es ist eine perfekte Etappe für Canyons<br />
Gesamtführende und Kletterin Kasia Niewiadoma.<br />
Ich sitze im Auto mit Lauke, einem der erfahrensten<br />
Manager im Frauen-Peloton. Als Fahrer<br />
war er Bahn-Weltmeister, hat es aber auf der Straße<br />
nach seinen eigenen Worten nicht weit gebracht<br />
und seine Karriere 2004 beendet. Er ging<br />
ins Management beim Frauen-Team von HTC-<br />
Columbia, bevor HTC zu Velocio-Sram fusionierte.<br />
Als das Team 2015 aufgelöst wurde, gründete er<br />
Canyon-Sram.<br />
Die Hälfte von Canyons 15-köpfigem Kader ist<br />
unter 25, darunter Alice Barnes und die Amstel-<br />
Gold-Siegerin Niewiadoma. Das Ziel des Teams<br />
ist es, Rennen zu gewinnen, aber Lauke betont,<br />
dass die Entwicklung für ihn wichtiger ist als Resultate.<br />
„Für mich ist das Schönste, wenn ich jemanden<br />
mit Potenzial finde und ihm helfe, es zu<br />
entfalten. Das Ideal ist, Fahrerinnen zu finden und<br />
sie an einen Punkt zu bringen, wo alle sie unter<br />
Vertrag nehmen wollen, aber ein so schönes Umfeld<br />
zu haben, dass sie nicht gehen wollen“, sagt er.<br />
Schon früh ruft Radio Tour Canyon zum Peloton.<br />
Alice lässt sich zurückfallen, um ihre Jacke<br />
abzugeben, klingt aber nicht optimistisch. „Ich<br />
habe zu kämpfen, meine Beine und meine Atmung“,<br />
sagt sie durch das Fenster.<br />
„Versuch dich reinzuhängen“, entgegnet Lauke.<br />
„An einem langen Tag kann sich das ändern. Du<br />
kannst es schaffen.“<br />
Eine dreiköpfige Gruppe setzt sich ab, und da<br />
niemand scharf auf die Nachführarbeit ist, wächst<br />
der Abstand auf mehr als sieben Minuten an. Es<br />
ist ein ungewöhnliches Szenario für ein Frauen-<br />
Peloton, und die mangelnde Action macht die<br />
Fahrerinnen unruhig. „Lisa kann nicht langsam<br />
fahren“, sagt Cromwell. „Niemand macht etwas.“<br />
Lauke weist sie an, erst einmal weiter mitzurollen.<br />
„Jetzt müssen wir zocken“, erklärt er. Lauke hofft,<br />
dass ein anderes Team zuerst die Nerven verliert<br />
und anfängt, Tempo zu machen, sodass seine<br />
Frauen im Finale frischer sind.<br />
„Die Regel ist, dass du zehn Kilometer brauchst,<br />
um eine Minute zuzufahren“, sagt er. Die Ausreißergruppe<br />
hat noch acht Minuten bei 80 verbleibenden<br />
Kilometern, sie wird arbeiten. Bis dahin<br />
müssen seine Fahrerinnen warten, weiß Lauke.<br />
Der Ausblick aus dem Begleitwagen ist seltsam.<br />
Man sieht nichts vom Rennen selbst. Wir sehen<br />
nur das Ende des Pelotons, als wir an die Spitze<br />
des Konvois gerufen werden, um einer der Fahrerinnen<br />
zu helfen. Die einzige Information, die wir<br />
haben, kommt durch unregelmäßiges Knistern<br />
über Funk. „Oft sind wir nur Autofahrer“, sagt<br />
Lauke achselzuckend. Da das Ziel des Teams morgens<br />
bei der Besprechung festgelegt wurde, kann<br />
Lauke von hier aus nur Mut zusprechen und darauf<br />
vertrauen, dass die Fahrerinnen die richtigen<br />
Entscheidungen treffen. Lernen und Fortschritt<br />
sind die Botschaften, die er wiederholt. Obendrein<br />
versucht er, das Gute in der Leistung des Teams zu<br />
sehen. Nach dem zwölften Platz auf der 1. Etappe<br />
hat Cecchinis vierter Platz auf der 2. Etappe Lauke<br />
Grund zum Lächeln gegeben. „Sie waren besser,<br />
das Resultat war besser, und darauf können wir<br />
aufbauen“, sagt er. Selbst als Cecchini stürzte und<br />
aufgeben musste, war Lauke optimistisch. Wie er<br />
es sah, war der Sturz reines Pech.<br />
Am Abend vor der 4. Etappe gab Niewiadoma<br />
zu, dass sie vor ihrem Sieg beim Amstel Gold in<br />
Hannah Barnes freut sich über den Sieg<br />
ihrer Teamgefährtin auf der 4. Etappe.<br />
diesem Jahr bei den Rennen eine Selbstbewusstseinskrise<br />
hatte. Und als das Rennen den Rundkurs<br />
von Burton Dassett erreicht und Niewiadoma<br />
attackiert, schickt Lauke ihr einfach wiederholte<br />
Ermutigungen.<br />
„Los, Kasia, weiter so, weiter so, weiter so“,<br />
sagt er. „Geh und hol es dir, geh, geh, geh …<br />
weiter so.“<br />
Als wir den Anstieg zur Ziellinie das letzte Mal<br />
hochfahren, aktualisiert Lauke Twitter. Der UCI-<br />
Account zeigt, dass Niewiadoma gewonnen hat.<br />
„Heiliger Scheiß, das ist spitze“, sagt er mit einem<br />
großen Lächeln, während Lamade ihn vom Rücksitz<br />
aus an der Schulter packt. „Wow, wow, wow“,<br />
Lauke greift sich das Funkgerät. „Ich bin stolz auf<br />
euch und wie ihr gefahren seid.“<br />
RENNVERLAUF<br />
Niewiadoma attackiert mit Elisa Longo Bor -<br />
ghini und Liane Lippert zu Beginn des Burton-<br />
Dassett-Rundkurses 20 Kilometer vor dem<br />
Ziel. Das Trio wird zehn Kilometer vor der<br />
Linie von einem dezimierten Peloton gestellt,<br />
aber als es in den Schlussanstieg geht,<br />
beschleunigt Niewiadoma erneut. Sie gewinnt<br />
den Bergaufsprint und schiebt sich auf den<br />
zweiten Platz in der Gesamtwertung vor,<br />
zeitgleich mit Lippert, während Lizzie Deignan<br />
drei Sekunden zurückliegt.<br />
ERGEBNISSE 4. ETAPPE<br />
1 K. Niewiadoma Canyon-Sram 4:18.29<br />
2 Liane Lippert Team Sunweb + 0:00<br />
3 Lizzie Deignan Trek-Segafredo + 0:07<br />
Gesamtführende: Liane Lippert<br />
© Velofocus<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 57
CANYON-SRAM<br />
5. ETAPPE<br />
14.6.<strong>2019</strong><br />
LLANDRINDOD WELLS ><br />
BUILTH WELLS<br />
D<br />
ie Fahrerinnen drehen eine 140-Kilometer-Runde<br />
nach Norden durch die<br />
Hügel von Powys, Lars Schiffner dagegen<br />
hat heute am Steuer des Wohnmobils einen<br />
leichten Job – nur eine halbe Stunde Fahrt vom<br />
Start zum Ziel ein paar Meilen weiter südlich. Wir<br />
machen unterwegs einen Boxenstopp am örtlichen<br />
Supermarkt. Dem Team gehen die Vorräte<br />
aus und Schiffner muss sie wieder auffüllen. Vier<br />
Becher Naturjoghurt und drei Baguettes für die<br />
Fahrinnen, eine Tiefkühlpizza für ihn zum Mittagessen<br />
und sechs Packungen Halloumi, den<br />
Borchi so gerne isst.<br />
Das Wohnmobil ist der sichere Hafen der Fahrerinnen<br />
am Tag des Rennens. Es ist klein, aber es<br />
wurde viel hineingestopft: zwei Einzelbetten, Toilette<br />
und Dusche, ein Sofa, Kühlschrank, Spüle<br />
und Kochfeld, dazu ein Stauraum für Bekleidung<br />
und Lebensmittel. Auf einem weißen Brett stehen<br />
die Aufgaben, die täglich erledigt werden müssen<br />
– Wohnmobil saubermachen, Panini für das Rennen<br />
machen, Flaschen füllen, Lunchpakete machen,<br />
Helme reinigen, Regensachen packen.<br />
Schiffner und Borchi streichen sie mit einem Filzstift<br />
durch, wenn sie erledigt sind, damit der andere<br />
weiß, was noch zu tun ist. Da Borchi draußen<br />
an der Verpflegungszone ist, arbeitet<br />
Schiffner die Liste ab und bereitet Essen für die<br />
6. Etappe vor: Waffeln und Brioche, gefüllt mit<br />
einer Mischung aus Frischkäse, Marmelade, Honig,<br />
Walnüssen, Banane oder Schokocrème. Ein<br />
Schongarer mit Quinoa blubbert vor sich hin; es<br />
ist fertig, wenn die Etappe später zu Ende ist.<br />
Schiffner arbeitet seit 2012 mit Lauke zusammen.<br />
Er hat in Deutschland eine Ausbildung zum<br />
Rettungssanitäter gemacht, bevor er als Physiotherapeut<br />
bei der deutschen Nationalmannschaft<br />
anfing. Sein Job umfasst jede Menge Aufgaben,<br />
von banaleren wie Mittagessen machen über<br />
Massagen bis hin zu Physio- und Integralbehandlungen,<br />
etwa die Fahrerinnen auf Gehirnerschütterungen<br />
zu untersuchen wie bei Alice nach ihrem<br />
Sturz auf der 3. Etappe.<br />
Schiffner zieht Unterlagen aus einem Hängeschrank.<br />
Nach dem Start der Saison absolvieren<br />
die Fahrerinnen den SCAT-Test (Sport Concussion<br />
Assessment Tool) – einen Fragebogen, der<br />
unter anderem Gedächtnisleistung, Gleichgewichtssinn<br />
und Sehvermögen misst und Grundwerte<br />
für ihren Zustand ohne Gehirnerschütterung<br />
liefert. Wenn Fahrerinnen stürzen, wird<br />
der Test wiederholt, sodass die Werte verglichen<br />
werden können. Ein starker Anstieg ist ein Zeichen<br />
für eine Gehirnerschütterung.<br />
Bei Alice deuteten ihre SCAT-Resultate auf eine<br />
Gehirnerschütterung hin, aber es stellt sich he-<br />
raus, dass ihre Grundwerte ungewöhnlich hoch<br />
sind, und sie bekommt grünes Licht und darf das<br />
Rennen fortsetzen. „Meine Resultate kamen zurück<br />
und sie sagten: ‚Oh Gott, sicher hat sie eine<br />
Gehirnerschütterung.‘ Und dann haben sie es mit<br />
meinen Grundwerten verglichen und gesagt: ‚Oh<br />
nein, das ist normal‘“, sagt sie lachend.<br />
Schiffner betont, wie wichtig das Protokoll ist,<br />
und erinnert an den Fall der US-Bahnfahrerin<br />
Kelly Catlin, die sich Anfang des Jahres das Leben<br />
genommen hat, nachdem sie an einer Depression<br />
gelitten hatte, die einige auf eine Gehirnerschütterung<br />
zurückführen. Der Test kann auch eine<br />
Früherkennung von Erkrankungen wie Alzheimer<br />
oder Parkinson ermöglichen, die von wiederholten<br />
Gehirn erschütterungen verursacht wurden.<br />
„Es gibt immer wieder Todesfälle; wir wissen<br />
nicht, woran sie sterben, ihr Herz hört einfach auf<br />
zu schlagen“, sagt Schiffner. „Sie haben einen<br />
kleinen Sturz, aber sie stehen nicht mehr auf.<br />
Oder ein zweiter Sturz wird durch eine nicht diagnostizierte<br />
Gehirnerschütterung herbeigeführt.<br />
Deswegen machen wir es. Das Second-Impact-Syndrom<br />
kann tödlich sein.“<br />
Canyon hat den Test durch seine Kontakte zum<br />
BG Klinikum in Hamburg kennengelernt, Di-Data<br />
und Katusha arbeiten ebenfalls damit. Trotzdem<br />
testen nicht alle Frauenteams auf diese Art auf<br />
Gehirnerschütterung. „Ich weiß nicht, warum“,<br />
sagt Schiffner.<br />
RENNVERLAUF<br />
Mit zwei kategorisierten Anstiegen ist dies<br />
die schwerste Etappe des Rennens. Es gibt<br />
kaum einen flachen Meter, und daraus will<br />
Canyon Kapital schlagen. Niewiadoma setzt<br />
sich 20 Kilometer vor dem Ziel am Epynt mit<br />
den Trek-Sega fredo-Fahrerinnen Elisa Longo<br />
Borghini und Lizzie Deignan ab. Aber bei zwei<br />
gegen eine spannt sich Longo Borghini vor<br />
ihre Team kollegin Deignan, die den Sprint<br />
gewinnt und die Gesamtführung dank einer<br />
Zeitgutschrift holt.<br />
ERGEBNISSE 5. ETAPPE<br />
1 Lizzie Deignan Trek-Segafredo 3:54:35<br />
2 K. Niewiadoma Canyon-Sram + 0:00<br />
3 E. L. Borghini Trek-Segafredo + 0:02<br />
Gesamtführende: Lizzie Deignan<br />
6. ETAPPE<br />
15.6.<strong>2019</strong><br />
CARMARTHEN > PEMBREY<br />
A<br />
COUNTRY PARK<br />
ls wir ein letzten Mal ins Teamfahrzeug<br />
steigen, um von unserem Hotel in<br />
Swansea zum Start zu fahren, sagt<br />
Cromwell: „Ich werde heute wirklich meine Brille<br />
brauchen – die Sonne kommt raus!“ Der Himmel<br />
ist endlich blau statt grau, und zusammen mit der<br />
Aussicht darauf, dass das der letzte Renntag ist,<br />
sorgt dies allenthalben für gute Laune.<br />
Auch Lauke ist entspannt. Es ist ihm deutlich<br />
anzusehen, wenn er nervös und angespannt ist,<br />
doch da das Team bereits einen Etappensieg erzielt<br />
hat und am letzten Tag den zweiten Rang<br />
im Klassement besetzt mit einer Chance auf den<br />
Gesamtsieg, gibt es keinen Grund, nervös zu sein.<br />
Niewiadoma muss Deignan zwei Sekunden abnehmen,<br />
und Trek-Segafredo die Führung zu entreißen,<br />
wird schwierig sein, doch das heißt nicht,<br />
dass sie es nicht versuchen wird. „Sie sind motiviert“,<br />
sagt Borchi.<br />
58 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
CANYON-SRAM<br />
Am Black Mountain ist Deignan Dritte im Zwischensprint,<br />
einen Platz vor Niewiadoma, wodurch<br />
sie eine zusätzliche Bonussekunde bekommt.<br />
Trotz aller Bemühungen von Canyon-Sram, das<br />
Peloton zu spalten, kann Niewiadoma Deignan<br />
nicht abhängen, und im Massensprint im Pembrey<br />
Country Park kommen beide zeitgleich ins Ziel.<br />
„Es war superschwer, von Anfang an. Es gab<br />
viele Attacken, und wir gaben unser Bestes. Ich<br />
könnte nichts anderes sagen“, erklärt Niewiadoma,<br />
als sie hinter der Linie wieder zu Atem<br />
kommt. Sie leert eine Dosa Fanta Orange. „Jede<br />
hat alles gegeben.“<br />
Die Stimmung im Teambus ist wie vor den großen<br />
Ferien; alle wuseln herum, packen und ziehen<br />
sich um. Die Fahrräder werden im Materialwagen<br />
verstaut, die Autos werden mit Taschen beladen.<br />
Heute gibt es kein Abendessen und keine Besprechung,<br />
denn alle kümmern sich um ihre Heimreise.<br />
Lauke fährt Niewiadoma direkt zum Flughafen<br />
Heathrow, von wo aus sie nach Girona fliegt;<br />
Cromwell und Klein bleiben ein paar Tage in London,<br />
bevor sie nach Südfrankreich bzw. Deutschland<br />
abreisen. Nur die zwei Barnes-Schwestern<br />
bleiben im Land. Alle anderen stehen vor der undankbaren<br />
Aufgabe, die Teamfahrzeuge zum Service<br />
Course von Canyon-Sram in Leipzig zu fahren<br />
– 1.300 Kilometer mit einer Übernachtung<br />
im belgischen Gent.<br />
Lauke lehnt am Teamfahrzeug; er genießt die<br />
Sonne und die Erinnerung an eine erfolgreiche<br />
Rennwoche. „Ich bin sehr zufrieden mit ihrer<br />
Leistung. Ich glaube, sie sind in dieser Woche<br />
zusammengewachsen. Sie haben zusammen ein<br />
paar schwere Momente durchlebt“, sagt er. „Es<br />
war toll. Ich bin sehr glücklich.“<br />
Niewiadoma freut sich über einen knappen<br />
zweiten Platz in der Gesamtwertung.<br />
Tiffany Cromwell kann am Start der<br />
6. Etappe endlich die Sonne genießen.<br />
RENNVERLAUF<br />
Am Black Mountain versucht Canyon-Sram,<br />
das Rennen zu sprengen, aber Trek-Segafredo<br />
ist zu stark und Niewiadoma kann Deignan<br />
nicht abschütteln. Nach einer langen Abfahrt<br />
und einem flachen Finale steht wieder ein<br />
Sprint an, den Amy Pieters von Boels-Dolmans<br />
gewinnt – der dritte Tagessieg ihres Teams.<br />
ERGEBNISSE 6. ETAPPE<br />
1 Amy Pieters Boels-Dolmans 3:27:02<br />
2 Leah Kirchmann Sunweb + 0:00<br />
3 Roxane Fournier Movistar + 0:00<br />
ENDKLASSEMENT<br />
2.<br />
KASIA<br />
NIEWIADOMA<br />
Canyon-Sram<br />
1. 3.<br />
LIZZIE<br />
DEIGNAN<br />
Trek-Segafredo<br />
AMY<br />
PIETERS<br />
Boels-Dolmans<br />
© Velofocus (groß), Jojo Harper (klein), Getty Images (Kasten)<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 59
RENNKULTUR<br />
TOUR OF<br />
CALIFORNIA<br />
DREAMING<br />
Die Kalifornien-Rundfahrt <strong>2019</strong> war bereits die<br />
14. Auflage des Rennens, womit sie inzwischen ein<br />
fester Bestandteil des Kalenders ist. Procycling war<br />
dort und hat ihre unvergleichliche Atmosphäre<br />
und unglaubliche Landschaft erlebt.<br />
Text Edward Pickering<br />
Fotografie Getty Images<br />
60 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
© Cor Vos<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 61
TOUR OF CALIFORNIA<br />
ETAPPE 1: STADT DES RENNENS<br />
Das California State Capitol in Sacramento, ein pompöses neoklassizistisches<br />
Gebäude, in Weiß gestrichen und Sitz des Gouverneurs von<br />
Kalifornien, ist an große Persönlichkeiten gewöhnt. Zwei berühmte<br />
Bewohner waren Arnold Schwarzenegger und Ronald Reagan. Als der Start<br />
der 1. Etappe der Kalifornien-Rundfahrt bevorsteht und die prominentesten<br />
Fahrer dem Publikum unter strahlend blauem Himmel vorgestellt werden, ist<br />
vorstellbar, dass die Einheimischen nicht leicht zu beeindrucken sind. Gleiches<br />
gilt für die meisten anderen Radsportfans: Mehrere Zeitzonen weiter<br />
weg ist der Giro d’Italia zwei Tage alt, und die Radsportwelt redet von Primož<br />
Roglič’ Zeitfahrsieg auf der 1. Etappe.<br />
Einer der Sprecher des Rennens, Brad Sohner, wird mir im Laufe der Woche<br />
erklären: Wenn die europäischen Rennen eine Symphonie sind, ist die<br />
Tour of California ein Rock’n’Roll-Konzert, und den Zuschauern wird von<br />
Sohners Sprecherkollegen Dave Towle eingeheizt. Towle ist eine Institution,<br />
die erregte, übertriebene und heisere Stimme, die die akustische Kulisse<br />
vieler Rennen in den USA bildet. Seine Technik ist, der Menge Auftrieb zu<br />
geben, sie dort zu halten, ihr wieder Auftrieb zu geben, sie dort zu halten,<br />
wieder und wieder, durch die schiere Kraft seines stimmlichen Willens.<br />
Towle zieht den Namen des einheimischen Sprinters Travis McCabe gute<br />
acht Sekunden in die Länge. Er bezeichnet den neuseeländischen Sprinter<br />
George Bennett als von „Down Under“, aber mit einem solchen Enthusiasmus,<br />
dass selbst Bennett nicht allzu pikiert aussieht. Nacer Bouhanni: „Dieser<br />
Mann ist wild!“ Und als Mark Cavendish und Peter Sagan, die es zusammen<br />
auf 25 Etappensiege bringen, vorgestellt werden, bereitet Towle die<br />
Menge auf den Grand Depart vor. „Wir sind zum Angriff bereit“, brüllt er.<br />
Die Fahrer verlassen Sacramento Richtung Westen, überqueren die legendä -<br />
re, gelb gestrichene Tower Bridge, das eiserne Eingangstor zur Stadt, wo das<br />
Geschnatter brütender Gänse über dem Sacramento River hallt, dann, viele<br />
Meilen breite und schnurgerade Straßen später, zurück nach Sacramento zu<br />
drei Runden um das Capitol. Am Ende des Tages wird Sagan seine 16. Etappe<br />
geholt haben.<br />
James Raia, ein altgedienter Radsportjournalist und früherer Angestellter<br />
der Zeitung Sacramento Bee, erzählt mir von der Stadt. Sie richtet seit 2014<br />
die erste oder letzte Etappe des Rennens aus – wenn es eine Stadt gibt, die<br />
dem Rennen derzeit Gestalt verleiht, ist es Sacramento. Die „Stadt der Kamelien“<br />
wurde während des Goldrausches 1849 gegründet, das alte Eisenbahndepot<br />
und ein paar gewaltige Kraftwerke stehen gut erhalten unweit von Downtown.<br />
Die Stadt wirkt sowohl alt als auch neu; sie ist zudem sowohl reich als<br />
auch arm: Technikfreaks pendeln von hier nach San Francisco und in Downtown<br />
wimmelt es von kleinen Coffeeshops, aber abseits des Zentrums überrascht<br />
die Anzahl von Obdachlosen und Menschen, die auf der Straße schlafen.<br />
Raia erzählt mir von Sacramentos Minderwertigkeitskomplex. „Sacramento<br />
spielt die zweite Geige hinter San Francisco“, sagt er. „Wir sind Regierungssitz,<br />
aber wie kann man mit San Francisco konkurrieren, einer der großartigsten<br />
Städte der Welt?“<br />
Die Kalifornien-Rundfahrt hat viele Reize. Eine atemberaubende Landschaft,<br />
einen prominenten Sieger – zumindest auf der 1. Etappe – und eine<br />
lebhafte Atmosphäre. Aber da sie zeitgleich mit dem Giro d’Italia stattfindet,<br />
steht sie vor der Herausforderung, von der Radsportwelt wahrgenommen<br />
zu werden.<br />
62 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
TOUR OF CALIFORNIA<br />
ETAPPE 2: STAIRWAY TO HEAVENLY<br />
Die Skistation, die das Finale der 2. Etappe in South Lake Tahoe ausrichtet,<br />
heißt Heavenly Mountain. Es ist streng genommen keine Bergankunft<br />
– Lake Tahoe liegt auf einer Hochebene und nach Heavenly<br />
kommt man über eine Reihe von fürchterlich steilen Steigungen und Stufen<br />
von der einige Hundert Fuß tiefer gelegenen Stadt. Stairway to Heavenly.<br />
In Heavenly ist die Luft kühl und dünn, obwohl die Sonne Kraft hat. Nach<br />
dem Start im fast auf Meereshöhe gelegenen Rancho Cordova am Ostrand von<br />
Sacramento ist das Peloton fast nonstop geklettert, geklettert, geklettert – zum<br />
Höhepunkt bei Kilometer 167, dem Carson Pass. Der Carson ist 2.615 Meter<br />
hoch, nur 27 Meter weniger als der Col du Galibier. Das Finale liegt 45 wellige<br />
Kilometer weiter auf 2.022 Meter Höhe. Neben der Höhe macht die Distanz<br />
den Fahrern zu schaffen. Der Anstieg nach Heavenly war eine siebenstündige<br />
Strapaze, die Mark Cavendish mit „sieben Stunden auf einem verfluchten Rollentrainer“<br />
verglich. Es ist keine furchteinflößende Bergetappe mit mehreren<br />
Pässen wie in den Alpen – eher ein gleichmäßiger, aber gnadenloser Kraftakt.<br />
Auf dem Parkplatz hinter der Ziellinie lockert Jumbo-Fahrer Neilson Powless<br />
seine Beine auf dem Rollentrainer. George Bennett, Zehnter auf der Etappe,<br />
aber von dem Quintett distanziert, das den Sprint 30 Sekunden vor ihm<br />
austrug – Asgreen, van Garderen, Moscon, Pogacar und Schachmann –<br />
kommt ins Ziel und ist angefressen. Er wurde heute taktisch geschlagen,<br />
nicht physisch, durch die schiere Überzahl von EF Education First an der<br />
Spitze des Rennens. „Scheiß EF“, flucht Powless vor sich hin, während er sich<br />
weiter abwärmt.<br />
Powless ist Kalifornier, in Sacramento geboren und in Roseville 20 Kilometer<br />
weiter zu Hause. Seine Eltern haben eine Hütte in Pollock Pines<br />
unweit der Strecke der 2. Etappe. Es ist ein großes Rennen für ihn. Es ist<br />
natürlich sein Heimspiel, aber auch das Rennen, bei dem er erstmals ein<br />
Radsportpublikum außerhalb von Nordamerika auf sich aufmerksam machte.<br />
Für das Team Axeon wurde er 2016 mit erst 19 Jahren Gesamt-Neunter<br />
des Rennens. <strong>2019</strong> ist es aus einem anderen Grund ein großes Rennen. Er<br />
fährt als Helfer für Bennett, der sich auf die Gesamtwertung konzentriert.<br />
Dass er in der Gesamtwertung schlechter abschneiden wird als seinerzeit als<br />
Teenager, zeigt nicht, dass er weniger stark ist, sondern dass er jetzt eine andere<br />
Aufgabe hat. 2016 ging er in Topform in das Rennen, das sein Hauptziel<br />
war. Jetzt ist die Kalifornien-Rundfahrt nur eine von einer Reihe von<br />
Rennen, bei dem von ihm erwartet wird, auf einem gleichbleibend hohen<br />
Niveau zu sein, um seine Kapitäne zu unterstützen. Er ist spät für die Rundfahrt<br />
nominiert worden. „Ich habe es erst vor fünf oder sechs Tagen erfahren“,<br />
hatte er mir am Vortag gesagt.<br />
Powless kommt aus einer Familie von Ausdauersportlern. Sein Vater ist<br />
Triathlet; seine Mutter Jeanette Allred-Powless lief den Marathon bei den<br />
Olympischen Spielen 1992 für Guam. Seine Eltern nahmen ihn aus der<br />
Schule, um sich die Kalifornien-Rundfahrt anzusehen. „Ich erinnere mich<br />
an die Geschwindigkeit und welchen Wind das Peloton macht, wenn es<br />
durchrollt. Wenn es durch ist, gibt es eine Windböe – es fühlt sich an wie ein<br />
Auto“, sagt er. „Sie sahen super athletisch aus.“<br />
Da die Fahrer in kleinen Grüppchen nach Heavenly kletterten, gab es heute<br />
kein solches Gefühl der Geschwindigkeit, aber Powless hat die Etappe trotzdem<br />
genossen. „Ich hatte bessere Laune als einige der Jungs um mich herum.<br />
Es gab einige saure Gesichter da draußen, aber ich hatte eine gute Zeit.“<br />
© Cor Vos<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 63
TOUR OF CALIFORNIA<br />
ETAPPE 3: STERNCHEN IN STREIFEN<br />
Als D. H. Lawrence schrieb, Kalifornien sei „absolut selbstbezogen,<br />
sehr leer, aber nicht falsch und zumindest nicht voller falscher Bemühungen“,<br />
hätte er über Ausreißer bei Radrennen schreiben können.<br />
Die Kalifornien-Rundfahrt <strong>2019</strong> ist erst zwei Tage alt, aber da die Hierarchie<br />
in der Gesamtwertung auf der Etappe nach South Lake Tahoe etabliert<br />
wurde und die Sprinter am ersten Tag ihre Chance hatten, können sich Kletterer<br />
und Sprinter den Parcours der 3. Etappe anschauen und zu dem Schluss<br />
kommen, dass es nichts für sie ist – eine Mittelgebirgsetappe mit ein paar Hügeln<br />
und gleichmäßigen Anstiegen, wovon der höchste der 1.274 Meter hohe<br />
Mount Hamilton ist. Zu viele Berge für die Sprinter, nicht genug Berge für die<br />
Kletterer: daher ein Tag, an dem die Ausreißer durchkommen könnten.<br />
Zwei Fahrer gehen aus dem Vorgeplänkel an den ersten Anstiegen hervor.<br />
Deceuninck-Profi Rémi Cavagna und Alex Hoehn vom US-Nationalteam.<br />
Das Arbeitsarrangement scheint zu sein, dass Hoehn die Bergpunkte und<br />
Cavagna den Etappensieg holt. Das funktioniert, bis der Mount Hamilton<br />
(HC-Kategorie) kommt, wo Hoehn seinem WorldTour-Rivalen nicht mehr folgen<br />
kann. Cavagna bleibt nichts anderes übrig, als an sich selbst zu denken<br />
und alleine weiterzufahren. Trotz einiger haariger Momente in den Abfahrten<br />
gewinnt Cavagna die Etappe mit sieben Minuten Vorsprung; Hoehn versucht,<br />
sich auf den zweiten Platz zu retten, wird aber auf den letzten Kilometern<br />
vom Peloton eingeholt und landet auf einem nichtssagenden 63. Platz.<br />
Nach der Etappe lässt Hoehn sein Rad ausrollen, um sich von einem Masseur<br />
in Empfang nehmen zu lassen, und selbst das Bremsen scheint zu viel<br />
für ihn zu sein. „Mir tut der Magen so weh“, sagt er und erklärt, dass er sich<br />
mit Koffeingels verpflegt hat, um das Feld auf Distanz zu halten. Als er unter<br />
Schmerzen absteigt, das Trikot mit Salzrändern bedeckt, stöhnt er: „Nichts<br />
tut nicht weh. Alles tut weh. Ich habe überall Krämpfe.“ Er musste sich zu<br />
einem weiteren schmerzhaften Schritt zwingen, die Stufen hoch zum Podium,<br />
um das Bergtrikot überreicht zu bekommen, das er einen weiteren Tag<br />
lang tragen darf. Er wird es an Astana-Profi Davide Ballerini verlieren, aber<br />
auf der letzten Etappe nach Pasadena wird Hoehn als kämpferischster Fahrer<br />
des gesamten Rennens geehrt.<br />
Das US-Team wuchs bei der Kalifornien-Rundfahrt über sich hinaus. Die<br />
Mischung aus Lokalmatadoren und U23-Fahrern hatte nicht die Feuerkraft<br />
oder das Gewicht der WorldTour-Teams, auch nicht den Zusammenhalt oder<br />
die Vertrautheit der ProConti- und Nachwuchsteams. Aber Hoehn sagte nach<br />
der letzten Etappe, dass sie erhobenen Hauptes aus dem Rennen gehen könnten.<br />
„Wir sind ohne Siegeserwartungen in das Rennen gegangen, aber dass<br />
wir mit diesem Trikot daraus hervorgehen, zeigt, dass wir uns mit den Besten<br />
der Welt messen können.“ Sie waren auch dicht dran an einem Etappensieg,<br />
als Travis McCabe in Sacramento Zweiter hinter Sagan wurde.<br />
Aber kaum, dass sie zusammengekommen waren, gingen die Fahrer des US-<br />
Teams wieder getrennte Wege. Hoehn beendete in diesem Jahr seine letzte<br />
Saison als U23-Fahrer für das Aevolo-Team. „Ich weiß nicht, was ich nächstes<br />
Jahr mache. Ich habe kein Team. Ich will weiter Rennen fahren und ich will<br />
weiter gegen die Besten der Welt fahren“, sagt er. „Hoffentlich passiert etwas.“<br />
64 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
TOUR OF CALIFORNIA<br />
ETAPPE 4: DIE LEBENDE STRASSE<br />
Der Pacific Coast Highway, auch California State Route 1 genannt,<br />
ist ein Meisterwerk der Straßenbaukunst und ein Band, das sich<br />
Hunderte von Meilen an der kalifornischen Küste entlangzieht. Die<br />
Pazifikküste ist lebendig und ändert sich ständig. Die volle Kraft des Ozeans<br />
wirkt auf sie ein, während starke Regenfälle, wenn sie dann kommen, die<br />
Erde aushöhlen und kleine und große Erdrutsche verursachen. Die Straße<br />
ist eine permanente Baustelle, ihr vollendeter Zustand ist, dass sie unvollendet<br />
ist. Es heißt, dass der Moment, um die Forth Bridge neu zu lackieren,<br />
gekommen war, als die letzte Farbschicht aufgetragen war, und als das<br />
letzte Stück Pacific Coast Highway gebaut war, war es an der Zeit, am nächsten<br />
zu arbeiten.<br />
Die Kalifornien-Rundfahrt über die Route 1 zu schicken ist – wie Eric<br />
Smith, der Technische Direktor des Rennens, mir sagt – eine der größten<br />
logistischen Herausforderungen der Woche.<br />
„Die Straße verändert sich von Woche zu Woche“, sagt er. „Ich bin sie<br />
50 Mal gefahren, und kein einziges Mal gab es dort keine Baustelle. Es gibt<br />
Schlaglöcher und Zeug, das auf die Straße fällt … Wir haben eine kleine Armee<br />
von Leuten, die mit Besen, Schaufeln, Asphalt und Farbe vor dem Rennen<br />
hereilt, falls es ein großes Schlagloch gibt, das wir nicht reparieren können.<br />
Wir machen die Straße so jungfräulich wie möglich für die Fahrer.“<br />
Die Route 1 ist auch eine der schönsten Strecken im Radsport. Ich hätte<br />
am liebsten überall angehalten, um das Rennen vor spektakulärer Kulisse<br />
vorbeirollen zu sehen. Am Ende entschied ich mich für einen Parkplatz auf<br />
einer hohen Klippe, von wo ich sehen konnte, wie sich die Straße durch vier<br />
oder fünf Buchten schlängelte – gleich südlich von Big Sur. So konnte ich verfolgen,<br />
wie sich das Rennen aus mehreren Meilen Entfernung näherte, bemerken,<br />
wie klein es aussah neben den gewaltigen Anhöhen auf der einen Seite<br />
und der enormen Ausdehnung des Pazifiks auf der anderen. Aus dieser Entfernung<br />
war das Peloton fast unsichtbar, und dass es sich näherte, konnte ich<br />
nur aus dem weit entfernten Knattern des Fernsehhubschraubers und dem<br />
Schimmern der Scheinwerfer der Begleitfahrzeuge schließen. Die Sonne kam<br />
durch, nachdem es stark geregnet hatte, daher war das Meer an den flacheren<br />
Stellen türkisfarben. Jedes Mal, wenn das Rennen hinter einem Felsvorsprung<br />
verschwand, trat es klarer wieder hervor, wenn es sich wieder in mein Blickfeld<br />
schob, bis zuerst eine kleine Ausreißergruppe und dann das Peloton vorbeisausten.<br />
Das Feld war in die Länge gezogen.<br />
Das Rennen selbst war im Großen und Ganzen nicht aufregend, als könnte<br />
es nicht mit der Großartigkeit der Landschaft mithalten. Es sah wie eine klassische<br />
Ausreißer-Verfolgungs-Sprintetappe aus, und so erledigte das Peloton<br />
die ersten beiden Teile des Jobs. Aber die Ingenieure der Route 1 werden Ihnen<br />
raten, nie davon auszugehen, dass ein Job vollendet ist: Ein Akt Gottes<br />
kann alles verändern. Und als Tejay van Garderen, der Spitzenreiter, in einen<br />
Sturz verwickelt war, bevor es auf den letzten zehn Kilometern einen weiteren<br />
Sturz gab, verlor er erst das Trikot und wurde dann wieder eingesetzt, nachdem<br />
beschlossen worden war, dass der zweite Sturz nah genug an der<br />
Drei-Kilometer-Marke war, um allen Betroffenen dieselbe Zeit zu geben wie<br />
dem Sieger. Dass van Garderen praktisch nicht in der Gruppe war, als der<br />
zweite Sturz passierte, schien der Aufmerksamkeit der Jury entgangen zu<br />
sein. Manchmal, wenn Unvorhergesehenes passiert, flicken sie es einfach, so<br />
gut sie können, zum Guten oder Schlechten.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 65
TOUR OF CALIFORNIA<br />
ETAPPE 5: STRECKENPLANUNG<br />
Die Kalifornien-Rundfahrt hat die ganze Woche mit Wetterextremen<br />
geflirtet. Sacramento war heiß, Tahoe lag über der Schneegrenze,<br />
das Feld wurde auf der Route 1 von einem Gewitter überrascht, und<br />
jetzt, auf der 5. Etappe nach Ventura, bläst der Wind. Er peitscht das Meer zu<br />
Schaumkronen auf und hat Teile der Aufbauten im Zielbereich weggerissen.<br />
Auf der Zielgeraden bläst der Wind den Fahrern ins Gesicht, sodass Iván García<br />
Cortina von Bahrain-Merida gut daran tut, seinen Sprint so spät wie möglich<br />
zu eröffnen.<br />
Der Wind war nicht so stark, dass man die Etappe hätte absagen müssen,<br />
obwohl die Organisatoren in Tahoe mehr Glück hatten – drei Tage, nachdem<br />
das Rennen hier angekommen war, hatten sie 20 Zentimeter Schnee. Das<br />
sind die Risiken, die der Technische Direktor Eric Smith alle berücksichtigen<br />
muss, wenn die Route geplant wird. Das Rennen ist ein Puzzle aus einer Million<br />
Teile, bei dem potenzielle Fallen hinter fast jeder Kurve lauern. Er erzählt<br />
mir, wie das Rennen zusammengestellt wird.<br />
„Als Erstes setzen wir zwei Anker, den Start und das Ziel des ganzen Rennens“,<br />
sagt er. „Dann gehen wir die Liste der Städte durch, die teilnehmen<br />
wollen und noch nicht wissen, dass wir sie teilnehmen lassen wollen.<br />
Ich weiß, dass Sacramento immer einen Start und eine Ankunft will, und<br />
wir haben fünf oder sechs Kurse, die wir nutzen können. Ich weiß, dass South<br />
Lake Tahoe eine lange Etappe ist und nur zwei Wege dort hochführen. Einer<br />
ist Highway 50 und der andere ist Highway 88, und Highway 50 können wir<br />
nicht nehmen.<br />
In Sacramento gibt es eine Straße namens Old River Road, die wir nutzen,<br />
die westlich aus der Stadt herausführt. Sie liegt unter dem Wasserspiegel, in<br />
den Rückhalteflächen, und wenn die Dämme zu viel Wasser haben, lassen sie<br />
Wasser ab und fluten die Rückhalteflächen. Vor drei Wochen blickte man von<br />
Sacramento Richtung Westen und meinte, den Ozean zu sehen – die Straße,<br />
die wir nutzen wollten, stand anderthalb Meter unter Wasser. Wenn das noch<br />
so gewesen wäre, hätte ich den Freeway sperren lassen und darauf ausweichen<br />
müssen, was ich nie gerne mache, weil es teuer ist.<br />
Wir denken auch an die mögliche Auswirkung auf Städte, den Verkehr, Geschäfte<br />
und Einwohner. Wann ist die Schule aus? Wir wollen nicht an einer<br />
Schule vorbeifahren, wenn der Schulbus hält. Wir haben ein Zeitfahren in Los<br />
Angeles gemacht und ich glaube, wir haben einen Rekordverkehrsstau verursacht<br />
– wir haben die Stadt auf einer Länge von zehn Meilen in zwei Hälften<br />
geteilt – das war ein gewaltiges Unterfangen und sehr teuer.<br />
Wir beginnen, die Etappen aufzubauen, Etappe für Etappe, und schauen<br />
es uns an. Ist das sinnvoll? Sind das alles Sprinteretappen? Alles Klettereretappen?<br />
Wir versuchen, es zu mischen, sodass jeder eine Chance hat.<br />
Wenn der Kurs auf dem Papier abgesteckt ist, fahren wir ihn mit dem<br />
Auto ab. Wir erfassen ihn auf den Hundertstel eines Kilometers, jedes Verkehrsschild,<br />
jede Kreuzung, bis ins kleinste Detail. Wir geben die Daten<br />
für die Durchschnittsgeschwindigkeit ein und rechnen aus, zu welcher Zeit<br />
wir da sind.“<br />
Und wenn die ganze Planung eine Stadt immer noch nicht überzeugt, dass<br />
es keine allzu großen Umstände macht, die Kalifornien-Rundfahrt zu Gast zu<br />
haben, hat Smith ein weiteres Ass im Ärmel: „Wenn du das erste Mal mit einer<br />
neuen Stadt sprichst und sie sagen: ‚Sie werden was machen?‘, sage ich<br />
ihnen nur, dass ich die Golden Gate Bridge zweimal habe sperren lassen.“<br />
66 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
TOUR OF CALIFORNIA<br />
ETAPPE 6: DER GIGANT VON KALIFORNIEN<br />
Der Mount Baldy erhebt sich steil aus den Vororten von Los Angeles<br />
– die Trennlinie zwischen der Stadt und der Wildnis ist eine plötzliche.<br />
Im Süden: endlose Stadt. Im Norden: die Gipfel des Angeles<br />
National Forest.<br />
Mit Ausnahme von Paris–Roubaix braucht jedes große Rennen einen prägenden<br />
Anstieg, ob groß oder klein. Die Tour de France hat Alpe d’Huez, die<br />
Lombardei-Rundfahrt die Madonna del Ghisallo, die Flandern-Rundfahrt die<br />
Muur van Geraardsbergen und der Giro d’Italia hat das Stilfser Joch. Die Kalifornien-Rundfahrt<br />
ist erst 14 Jahre alt und hat ihre Teenager-Jahre erreicht,<br />
in denen sie nach ihrer Identität sucht. Sie hat mit einigen Bergankünften experimentiert,<br />
aber der Mount Baldy entwickelt sich zum Fixpunkt.<br />
Rennsprecher Brad Sohner sagt: „Der Baldy wird der charakteristische Anstieg<br />
des Rennens. Es hat einige andere im Laufe der Jahre gegeben, aber der<br />
Baldy ist perfekt. Er ist wirklich ein alpiner Anstieg, und er ist wirklich schwerer<br />
als viele Anstiege in Europa. Viele Kalifornien-Rundfahrten wurden auf<br />
dem Baldy entschieden.“<br />
Der Baldy ist hoch – er erreicht 1.959 Meter über dem Meeresspiegel, und<br />
eine Reihe von Serpentinen geben ihm viel mehr Charakter als die lang gezogenen<br />
Kurven der restlichen Anstiege des Rennens. Und er ist steil und unregelmäßig,<br />
<strong>2019</strong> außerdem in kalten Nebel gehüllt.<br />
Das Rennen redet seit zwei Tagen darüber, welches Glück Tejay van Garderen<br />
hatte, das Gelbe Trikot nach den Stürzen auf der 4. Etappe zu behalten.<br />
Sein Team EF Education First macht auf der Etappe pflichtgemäß Tempo.<br />
Warum auch nicht? Es ist das stärkste Team; van Garderen ist der stärkste<br />
Fahrer. Aber die Kapitulation ist plötzlich und entscheidend: In einem Moment,<br />
am Anfang des Anstiegs, schien er sich gut zu fühlen. Im nächsten<br />
war er zurückgefallen, hatte das Rennen und sein Selbstvertrauen verloren.<br />
Vor ihm ging die Kapitänsrolle nahtlos an Sergio Higuita über und die Position<br />
des Spitzenreiters nahtlos an Tadej Pogacar, der Higuita am Gipfel im<br />
Sprint bezwang, bevor George Bennett ins Ziel kam.<br />
In solchen Momenten werden Geschichten neu geschrieben. Die Geschichte<br />
des Rennens war vermeintlich die von van Garderens Comeback-Sieg – und<br />
davon, dass EF endlich seine Pechsträhne in der Gesamtwertung der Kalifornien-Rundfahrt<br />
beendet. In der Zeit, die es dauerte, bis Pogacar und Higuita<br />
dem Amerikaner davongefahren waren, wurde das Rennen zu etwas anderem.<br />
Die Etappen waren vor allem von jungen Fahrern gewonnen worden –<br />
Asgreen, Cavagna, Fabio Jakobsen und Garcia waren alle 24 oder jünger. Jetzt<br />
wurde die Gesamtwertung von einem 20-Jährigen (Pogacar) und einem<br />
21-Jährigen (Higuita) angeführt.<br />
Das ist es, was Berge und Radrennen mit Karrieren machen können. Als<br />
er 21 war, wurde van Garderen Dritter der Dauphiné 2010, dann Fünfter der<br />
Tour de France 2011. Als der Amerikaner, einsilbig, enttäuscht und geschlagen,<br />
seinen Tag in der kühlen Luft des Zielbereichs verdaute, bekam Pogacar<br />
das Gelbe Trikot, das er bis zum Schluss behalten sollte, und wurde als künftiger<br />
Star gefeiert. Einige Fans erinnerten sich vielleicht, dass van Garderen<br />
die Zukunft war … einst.<br />
Aber unstete Blicke wandten sich rasch von van Garderen ab und zu Pogacar<br />
hin. Sie nennen das riesige Häusermeer der Vororte von Los Angeles südlich<br />
des Angeles Forest das Inland Empire. Oben auf dem Mount Baldy hat die<br />
Kalifornien-Rundfahrt Tadej Pogacar als neuen Herrscher gekürt.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 67
TOUR OF CALIFORNIA<br />
ETAPPE 7: DIE SEELE DES RENNENS<br />
Ich habe die ganze Woche nach der Seele der Kalifornien-Rundfahrt gesucht.<br />
Vielleicht habe ich sie an den letzten beiden Tagen des Rennens, am<br />
Mount Baldy und in Pasadena, Los Angeles, gefunden. Ich hatte am Mount<br />
Baldy mit Exprofi Jens Voigt gesprochen. Voigt liebte es, Rennen in den USA<br />
zu fahren, und seinen letzten Sieg als Profi holte er bei der Kalifornien-Rundfahrt<br />
2013 in Avila Beach. „Die Seele?“, fragt Voigt, bevor er ein paar Sekunden<br />
nachdenkt. „Ich glaube, es ist eine tolle Beziehung zu den Fans. Das Rennen<br />
ist wirklich schwer, aber es ist ein bisschen entspannter. Die Teams sind<br />
ansprechbar, jeder kann kommen, an die Tür klopfen und sagen: ‚Hey, kann<br />
ich ein Autogramm haben?‘“ Voigt weist darauf hin, dass sie wegen der lockeren<br />
Atmosphäre bei den Fahrern genauso beliebt ist. „Die Teams reisen früh<br />
an, um den Jetlag zu überwinden, und so haben die Fahrer ein bisschen Zeit<br />
zum Shoppen, das Hotel zu verlassen und zu In-N-Out Burger zu gehen.<br />
Wenn sie beim Trainingslager im Dezember fragen, wer an der Kalifornien-<br />
Rundfahrt teilnehmen möchte, gehen 20 Arme für die sieben Plätze hoch.“<br />
Das Rennen ist eine Postkarte von Kalifornien. Die Landschaft des Golden<br />
State ist umwerfend schön. Der Nachteil ist, dass es in den USA weniger Straßen<br />
gibt und sie mehr auf Autos zugeschnitten sind als in Europa, was die<br />
eigenartige Wirkung hat, das Rennen zu verflachen. Besser für Autos gebaut<br />
heißt breitere Fahrspuren und weitere Kurven, daher ist das Fahren im Peloton<br />
technisch weniger anspruchsvoll. Die spannenden Momente sind meist<br />
kurz und intensiv und getrennt durch lange, ruhige Abschnitte, wo das einzig<br />
Betrachtenswerte die Landschaft ist. Aber die Fans, insbesondere am Baldy<br />
und am Rose Bowl-Stadion in Pasadena, sind zahlreich und die Atmosphäre<br />
ist gigantisch. In Pasadena ist dem Rennen ein großer Bereich vorbehalten<br />
und die Fans können die Männer- und Frauenrennen sehen, die den abschließenden<br />
Rundkurs mehrmals absolvieren. Es ist laut, warm und voll.<br />
Brad Sohner, der Sprecher des Rennens, sagte mir, das sei das Alleinstellungsmerkmal<br />
des amerikanischen Radsports. „Er ist energiegeladen, laut<br />
und hat eine Partystimmung, und das steht für Rennen in den USA. Da rennt<br />
einer als Papst verkleidet neben den Fahrern her. Das Rennen ermutigt auf<br />
jeden Fall dazu.“<br />
In Pasadena denkt Jonathan Vaughters, Manager von EF Education First,<br />
für das Sergio Higuita Zweiter wurde, über seine lange Verbundenheit mit<br />
dem Rennen nach. „Ich glaube, wir sind die Seele des Rennens“, scherzt er.<br />
„Wir waren jetzt zehn Jahre in Folge Zweiter. Unglaublich.“<br />
Dorothy Parker schrieb einst, Los Angeles seien „88 Vororte, die eine Stadt<br />
suchen“. Mitten in der Kalifornien-Rundfahrt <strong>2019</strong> fragte ich mich, ob das<br />
Rennen sieben Etappen waren, die ein Rennen suchten. Die Kulisse war<br />
atemberaubend, schöner als jedes andere Rennen, bei dem ich war. Aber es<br />
war an den meisten Tagen leicht, das Rennen auf eine Überschrift zu verdichten,<br />
auch wenn die Etappe nach South Lake Tahoe und der Sturz von van<br />
Garderen zwei Tage später den Fans viel Gesprächsstoff lieferte. Aber Baldy<br />
und Pasadena waren spannende Spektakel, die die großen Geschichten des<br />
Rennens hervortreten ließen: die Ankunft einer neuen Generation und die<br />
Bestätigung des Baldy als emblematischer Anstieg der Kalifornien-Rundfahrt.<br />
Wenn es irgendeinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Giro d’Italia<br />
gibt, ist das nichts, worüber sich das Rennen Sorgen zu machen scheint.<br />
68 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
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CRITÉRIUM DU DAUPHINÉ / 09.–16.06.<strong>2019</strong><br />
FUGLSANG DOMINIERT<br />
DAUPHINÉ<br />
Vor zwei Jahren gewann Jakob Fuglsang<br />
das Critérium du Dauphiné,<br />
indem er die Gelegenheit nutzte<br />
und Richie Porte das Trikot am letzten Tag<br />
entriss. Fuglsang hatte vor der 115 Kilometer<br />
langen Etappe über vier große Anstiege<br />
75 Sekunden Rückstand auf den<br />
Australier. Auf dem Terrain, das sich für<br />
ERGEBNIS<br />
Angriffe anbot, war Fuglsang Teil einer<br />
erlesenen Gruppe um Chris Froome, Dan<br />
Martin, Romain Bardet und Emanuel<br />
Buchmann. Sie attackierten den Australier<br />
immer wieder. Martin und Froome eröffneten<br />
das Feuer, aber als Froome einbrach<br />
und Fuglsang am Schlussanstieg stärker<br />
war als Martin, konnte sich der Däne ab-<br />
FAHRER TEAM ZEIT<br />
1 Jakob Fuglsang Astana Pro Team 30:44:27<br />
2 Tejay van Garderen EF Education First + 0:20<br />
3 Emanuel Buchmann Bora–hansgrohe + 0:21<br />
4 Wout Poels Team Ineos + 0:28<br />
5 Thibaut Pinot Groupama-FDJ + 0:33<br />
Fuglsang und<br />
sein Astana-Team<br />
waren bei der<br />
Dauphiné unter<br />
erschwerten Bedingungen<br />
überlegen.<br />
9<br />
Siege bei<br />
Etappenrennen<br />
für Fuglsang<br />
setzen und mit dem Etappensieg auch das<br />
Rennen für sich entscheiden.<br />
Fuglsang, 34, hat nach seinem Erfolg<br />
im Juni jetzt zwei Dauphiné-Titel zu Buche<br />
stehen. Gleiches Rennen, ganz anderer<br />
Modus Operandi. Wenn 2017 seinen<br />
Opportunismus zeigte, unterstrich dieses<br />
Jahr die Stärke des Dänen und des Astana-<br />
Teams in seinem Rücken.<br />
Dieses Mal war Fuglsang, als der letzte<br />
Tag einer insgesamt weniger gebirgigen<br />
Woche kam, in der Rolle des Spitzenreiters.<br />
Sechs Fahrer hatten weniger als<br />
34 Sekunden Abstand auf sein Trikot,<br />
Trotzdem kam nie ein gefährlicher Angriff.<br />
In seinem Statement nach dem Rennen<br />
sagte Fuglsang, er sei mit der „blauen<br />
Limousine“ zum Sieg gefahren. Auf jeden<br />
Fall hatte er die offensichtliche Unterstützung<br />
von Magnus Cort, Gorka Izagirre,<br />
Alexei Luzenko und Hugo Houle,<br />
die auf der 8. Etappe eine dicke und undurchlässige<br />
blaue Linie bildeten.<br />
Dass seine Führung nie in Gefahr war,<br />
lag an verschiedenen Faktoren. Das Rennen<br />
und die Bedingungen, unter denen es<br />
ausgetragen wurde, forderten im Laufe der<br />
Woche ihren Tribut von seinen Rivalen.<br />
70 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
EDWARD PICKERING<br />
Herausgeber<br />
Eds liebstes Etappenrennen im<br />
Juni? Die Route d’Occitanie: span -<br />
nender Rennverlauf, schöne Stra ßen<br />
und eine harte Pyrenäen-Etappe.<br />
SAM DANSIE<br />
Redakteur<br />
Sam hofft auf einen besseren Termin<br />
für das Ventoux Dénivelé im nächsten<br />
Jahr, sodass mehr Fahrer von der<br />
Dauphiné dort antreten werden.<br />
SOPHIE HURCOM<br />
Procycling-Autorin<br />
Sophie ist begeistert vom Rezept der<br />
Women’s Tour: ein schwerer, hügeliger<br />
Kurs und ein bis zur letzten Sekunde<br />
spannender Rennverlauf.<br />
Mitchelton-Scott-Profi Adam Yates, der<br />
mit acht Sekunden Rückstand auf Fuglsang<br />
in die letzte Etappe ging, stieg 48 Ki -<br />
lometer vor dem Ziel aus. (Yates’ Team<br />
sagte später, der Brite sei mit Fieber aufgewacht<br />
und man wollte ihn vor der Tour<br />
keinem Risiko aussetzen.) Steven Kruijswijks<br />
Rennen ging auf einer nasskalten<br />
7. Etappe in die Binsen, und auch er gab<br />
einen Tag später auf. Tom Dumoulins Verletzungspech<br />
in dieser Saison setzte sich<br />
fort, als er vor der 7. Etappe aufgab. Und<br />
dann war da Froomes schwerer Sturz<br />
bei der Erkundung des Zeitfahrkurses der<br />
4. Etappe. Sie waren alle Kandidaten, die<br />
Fuglsang auf dem Weg nach Champéry in<br />
der Schweiz, wo das Rennen endete, hätten<br />
gefährlich werden können.<br />
Hätte der Däne ohne das Pech der anderen<br />
gewonnen? Wer weiß? Jedoch ging<br />
Fuglsang voller Entschlossenheit ins Rennen.<br />
Schon auf der 2. Etappe, an einem<br />
Tag, an dem Thibaut Pinot den Kampf<br />
um die Gesamtwertung eröffnete, gewann<br />
Fuglsang den Sprint der Gruppe um den<br />
dritten Platz und vier Bonussekunden, die<br />
ihn auf den dritten Gesamtplatz beförderten.<br />
Wenn das taktisch war, beruhte Asta-<br />
Yates ging in Führung, musste<br />
aber am Ende krankheitsbedingt<br />
aussteigen.<br />
nas Strategie darauf, dass Teamkollege<br />
Luzenko weit oben in der Gesamtwertung<br />
bei Fuglsang blieb. Der kasachische Meister<br />
rutschte beim 26-Kilometer-Zeitfahren<br />
in Roanne vom dritten auf den achten<br />
Platz ab, hatte aber am Ende der Prüfung<br />
nur 30 Sekunden Rückstand auf den neuen<br />
Spitzenreiter Yates. Als Luzenko auf<br />
der 7. Etappe bei schmuddeligem Wetter<br />
in eine 22 Mann starke Ausreißergruppe<br />
ging, hatte Astana die besten Karten. Im<br />
Vergleich dazu lag der Mitchelton-Scott-<br />
Vertreter in der Spitzengruppe, Damien<br />
Howson, fast fünf Minuten zurück. Das<br />
hieß, dass die Astana-Männer Cort, der<br />
stark kletterte, und Izagirre im Windschatten<br />
mitfuhren, bis sie sich am<br />
Schlussanstieg nützlich machen konnten.<br />
Aber der große Unterschied war Fuglsang<br />
selbst. Vier Kilometer vor dem Gipfel<br />
des langen Anstiegs nach Pipay unter Bedingungen,<br />
in denen er in seinem Element<br />
war, schloss der Lüttich-Sieger zu Buchmanns<br />
Hinterrad auf und setzte sich von<br />
Yates ab. Er verpasste den Etappensieg<br />
nur, weil Wout Poels am Ende noch herankam.<br />
Mit seinem Acht-Sekunden-Vorsprung<br />
wurde Fuglsang das vierte Gelbe<br />
Trikot des Rennens.<br />
Am achten Tag verteidigte Astana<br />
à la Ineos. Fuglsang bescherte dem Team<br />
den 28. Sieg des Jahres, eine Zahl, die<br />
der letztjährigen Gesamtausbeute von<br />
31 nahekam.<br />
Vor zwei Jahren unterstrich Portes<br />
Leistung in der Woche seine persönlichen<br />
Qualitäten als Tour-de-France-Mitfavorit.<br />
Er gewann das Zeitfahren nach<br />
der Hälfte des Rennens souverän und<br />
blieb auf den ersten beiden Bergetappen<br />
relativ leicht auf Tuchfühlung mit seinen<br />
Rivalen. Die Frage, die das Critérium de<br />
Dauphiné aufwarf, war, ob sein Team ihn<br />
in den Bergen beschützen können würde.<br />
Fuglsang ging aus dieser Dauphiné-Auflage<br />
ohne solche Zweifel an der Tiefe seiner<br />
Truppe hervor. Astana mag zwar<br />
nicht die Starpower der Namen auf der<br />
Ineos-Gehaltsliste haben, aber mit Leuten<br />
wie Izagirre, Luzenko, Houle und<br />
Cort plus Omar Fraile und Luis León<br />
Sánchez, die die Tour de Suisse gefahren<br />
sind, hat Astana in aller Ruhe ein extrem<br />
formidables Aufgebot zusammengestellt.<br />
DIE DAUPHINÉ<br />
GEHT NACH WESTEN<br />
Zum ersten Mal seit der Gründung des Critérium<br />
du Dauphiné 1947 begann das Rennen in Aurillac<br />
im Département Cantal in Südmittelfrankreich. Das<br />
Rennen hat sich traditionell auf das Verbreitungsgebiet<br />
der Zeitung Dauphiné Libéré, die das<br />
Rennen gründete, beschränkt. Abstecher weiter<br />
westlich als Saint-Étienne hat es gegeben, aber sie<br />
waren selten. (So gab es beispielsweise 2014 eine<br />
Bergankunft am Col du Béal im Nordosten des<br />
Zentralmassivs.)<br />
Der Schritt nach Westen des Organisators ASO<br />
in diesem Jahr folgt einer Neuorganisation der<br />
französischen Regionen 2016, bei der die alte Region<br />
Rhône-Alpes – traditionelles Dauphiné-Territorium<br />
– in die viel größere Region Auvergne-Rhône-Alpes<br />
eingegliedert wurde. Neues Territorium bedeutete<br />
neues Terrain, und die ersten drei Etappen im und<br />
um das Zentralmassiv hatten einen anderen Cha -<br />
rakter als die üblichen Talstraßen, Alpenpässe und<br />
Anstiege zu Skistationen, die normalerweise mit den<br />
schneebedeckten Gipfeln der Alpen verbunden sind.<br />
Einige fanden den diesjährigen Parcours weniger<br />
anspruchsvoll als andere Austragungen. „Ich finde<br />
diese Auflage weniger schwer und nicht so gebirgig<br />
wie in den letzten Jahren“, lautete Romain Bardets<br />
kritisches Urteil vor dem Rennen. Aber was die<br />
schiere Anzahl von Anstiegen angeht, erschien das<br />
diesjährige Rennen auf dem Papier schwerer. Die<br />
hohe Konzentration von Anstiegen niedrigerer<br />
Kategorien plus einige lange Etappen – zum ersten<br />
Mal seit 2006 hatte das Rennen zwei Etappen über<br />
200 Kilometer – und dazu schlechtes Wetter machten<br />
das Rennen vielleicht auf andere Weise schwerer.<br />
ANSTIEGE DER DAUPHINÉ<br />
JAHR 4–3 2–1 HC TOTAL STRECKE<br />
<strong>2019</strong> 24 15 1 40 1.203 km<br />
2018 13 10 4 27 958 km<br />
2017 22 10 3 35 1.150 km<br />
2016 17 14 1 32 1.153 km<br />
2015 21 15 0 36 1.212 km<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 71
NACHLESE<br />
TOUR DE SUISSE / 15.–23.06.<strong>2019</strong><br />
BERNAL MACHT<br />
WEITEREN GRAND-<br />
TOUR-SCHRITT<br />
© Getty Images<br />
Egan Bernal und Rohan Dennis<br />
könnten unterschiedlicher nicht<br />
sein. Erst einmal liegt ein Altersunterschied<br />
von sieben Jahren zwischen<br />
ihnen, Bernal ist 22, Dennis 29. Bernal<br />
ist ein reiner Kletterer, Dennis Zeitfahr-<br />
Spezialist und amtierender Weltmeister<br />
in dieser Disziplin. Aber beide sind im<br />
Begriff, Gesamtsiege bei großen Rundfahrten<br />
in Angriff zu nehmen.<br />
Bei der Tour de Suisse machten die beiden<br />
den Sieg unter sich aus, wobei beide<br />
Fahrer ihre jeweils wirkungsvollste Waffe<br />
gegeneinander einsetzten. Dennis ist besser<br />
gegen die Uhr und gewann das Zeitfahren<br />
zum Auftakt, bevor er dem Kolumbianer<br />
beim zweiten auf der 8. Etappe<br />
mehr Zeit abnahm – weitere 19 Sekunden.<br />
Aber Bernal war der stärkste Kletterer<br />
des Rennens und distanzierte Dennis<br />
an den zwei Tagen in den Bergen mit<br />
29 Sekunden auf der 6. Etappe und 23<br />
auf der 7. Etappe. Das reichte Bernal zusammen<br />
mit den unterwegs gesammelten<br />
ERGEBNIS<br />
Bonussekunden zum Gesamtsieg, womit<br />
er jetzt seit 2017 fünf Etappenrennen gewonnen<br />
hat: Sibiu Cycling Tour, Colombia<br />
Oro y Paz, Kalifornien-Rundfahrt, Paris–<br />
Nizza und jetzt die Tour de Suisse. Die<br />
drei Letzteren sind auf WorldTour-Niveau.<br />
Tatsächlich war Bernal in den zwei Jahren,<br />
seit er bei Ineos unterschrieb, der erfolgreichste<br />
Rundfahrer des Teams und hat<br />
mehr gewonnen als Geraint Thomas und<br />
Chris Froome zusammen. Es ist bemerkenswert,<br />
dass Bernal gar nicht dafür vorgesehen<br />
war, Ineos bei der Tour de Suisse<br />
anzuführen, und erst in die Kapitänsrolle<br />
schlüpfte, nachdem Geraint Thomas auf<br />
der 3. Etappe gestürzt war und das Rennen<br />
aufgeben musste.<br />
Unterdessen ist Dennis an seine Transformation<br />
zum Grand-Tour-Kapitän ähnlich<br />
herangegangen wie die Rouleure Tom<br />
Dumoulin und Bradley Wiggins. Während<br />
Bernal im letzten Jahr 15. der Tour de<br />
France wurde, ist Dennis’ bestes Resultat<br />
bei einem dreiwöchigen Rennen bisher der<br />
16. Platz beim letztjährigen Giro d’Italia.<br />
Seit er in dieser Saison zu Bahrain-Merida<br />
wechselte, war sein bester Gesamtrang vor<br />
der Tour de Suisse ein fünfter bei der Tour<br />
Down Under im Januar.<br />
Nachdem Dennis die 1. Etappe – ein<br />
sehr flaches, 9,5 Kilometer langes Zeitfahren<br />
– erwartungsgemäß gewonnen<br />
hatte, gingen die folgenden Tagesabschnitte<br />
an Luis Léon Sánchez, Peter<br />
Sagan und Elia Viviani (zwei). Aber als<br />
auf der 6. Etappe die Berge kamen, fuhr<br />
Bernal in seiner eigenen Liga – wie schon<br />
in der ganzen Saison. Bei der Ankunft am<br />
Flumserberg, dem 8,5 Kilometer langen<br />
Anstieg, der am Gipfel mit 10,5 Prozent<br />
FAHRER TEAM ZEIT<br />
1 Egan Bernal Team Ineos 27.43.10<br />
2 Rohan Dennis Bahrain-Merida + 0:19<br />
3 Patrick Konrad Bora–hansgrohe + 3:04<br />
4 Tiesj Benoot Lotto Soudal + 3:12<br />
5 Jan Hirt Astana + 3:13<br />
Bernal in Gelb<br />
weit vorne im Peloton<br />
am letzten Tag<br />
der Tour de Suisse.<br />
Zeitfahr-Weltmeister<br />
Dennis<br />
gewann die erste<br />
Etappe und wurde<br />
Gesamt-Zweiter.<br />
5<br />
Etappenrennen<br />
in Egan Bernals<br />
Palmarès<br />
am steilsten ist, war er der beste Klassementfahrer<br />
und kam nur 17 Sekunden<br />
hinter Antwan Tolhoek ins Ziel, der aus<br />
der Spitzengruppe des Tages stammte.<br />
Einen Tag später, bei der Bergankunft am<br />
St. Gotthard, distanzierte Bernal Dennis<br />
und den Rest erneut, gewann die Etappe<br />
und fuhr ins Leadertrikot – mit einer<br />
so bissigen Beschleunigung, dass er auf<br />
2,7 Kilometern 41 Sekunden herausfuhr.<br />
Selbst beim Zeitfahren der 8. Etappe, ein<br />
flacher 19-Kilometer-Kurs, der ihm nicht<br />
lag, konnte Bernal seine Verluste gegenüber<br />
Dennis auf 19 Sekunden begrenzen.<br />
Derweil kann sich Dennis darüber freuen,<br />
dass er weitere Fortschritte macht,<br />
wenn auch nicht so schnell wie Bernal.<br />
Sein Klettern verbesserte sich im Laufe des<br />
Rennens, und auf der 9. und letzten Etappe<br />
nach Goms blieb Dennis bei Bernal, als<br />
der versuchte, ihn am Schlussanstieg des<br />
72 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
NACHLESE<br />
ROUTE D’OCCITANIE / 20.–23.06.<strong>2019</strong><br />
VALVERDE, DAS<br />
COMEBACK-KID<br />
Rennens, dem Furkapass, zu distanzieren.<br />
Bernal sicherte sich<br />
seinen Sieg mit einer<br />
solchen Leichtigkeit,<br />
dass sein<br />
Team nur wenige Tage<br />
später bekanntgab, er<br />
werde die Tour de France<br />
als Co-Kapitän neben<br />
Thomas bestreiten – nicht<br />
überraschend angesichts<br />
seiner Form, aber eine ungewöhnliche<br />
Entscheidung,<br />
wenn man bedenkt,<br />
dass Thomas der<br />
Titelverteidiger ist. Es<br />
wird weiteres Öl ins<br />
Feuer gießen, zumal<br />
die Frage nur zu sein<br />
scheint, wann er seine<br />
erste Grand Tour gewinnt.<br />
Hat Alejandro Valverde einen Sponsorenvertrag<br />
mit einem großen<br />
Akku-Hersteller? Wenn nicht,<br />
sollte er es seinen Leuten vorschlagen,<br />
aber pronto. Gerade wenn man denkt,<br />
dass ihm der Strom ausgeht, wie in diesem<br />
Frühjahr, als er mit den schlechtesten Resultaten<br />
seiner Karriere aus den Ardennen-Rennen<br />
hervorging, taucht er irgendwo<br />
anders wieder auf und bringt mehr<br />
Druck auf die Pedale denn je.<br />
53 Tage, nachdem er Lüttich mit einem<br />
angeschlagenen Steißbein aufgegeben<br />
hatte, griff der 39 Jahre alte Weltmeister<br />
bei der Route d’Occitanie wieder ins Geschehen<br />
ein und zeigte sich in alter Frische.<br />
Natürlich hat Valverde schon in der<br />
Vergangenheit nach längeren Pausen gewonnen<br />
– der Mann aus Murcia siegt<br />
meist früh in der Saison bei einem Rennen<br />
und bleibt dann bis Mitte September in<br />
Aktion. So gewann er eine Etappe der<br />
Tour Down Under 2012, nachdem seine<br />
rückwirkende zweijährige Dopingsperre<br />
abgelaufen war.<br />
Zugegeben, die vier Kilometer lange<br />
Côte d’Aubignac auf der 1. Etappe spielte<br />
Valverde in die Karten. Aber bevor er sich<br />
den Zehn-Sekunden-Bonus für den ersten<br />
Platz schnappen und das Leadertrikot sichern<br />
konnte, parierte er persönlich fünf<br />
Angriffe – zwei von Rigoberto Urán und<br />
je einen von Rein Taaramäe (Total-Direct<br />
Energie), Eddie Dunbar (Ineos) und Elie<br />
Gesbert (Arkéa-Samsic). In der Schlussphase<br />
gab Valverde die Rolle des Aufpassers<br />
am zweiten oder dritten Hinterrad auf<br />
und verschärfte von vorne das Tempo. Zu<br />
diesem Zeitpunkt war sich die kleine Spitzenreitergruppe<br />
ihres Schicksals wohl bewusst,<br />
aber unfähig, etwas gegen das Unvermeidliche<br />
zu tun. Wenn Valverde aus<br />
ERGEBNIS<br />
einer kleinen Gruppe heraus sprintet, gewinnt<br />
er meistens.<br />
Die 3. Etappe war die zweite, auf der<br />
das Klassement sortiert wurde, und führte<br />
auf sehr schweren 173 Kilometern über<br />
die Hourquette d’Ancizan, den Balès und<br />
den Hospice de France. Am Schlussanstieg<br />
fuhr Valverde ein gleichmäßiges<br />
Tempo und verteidigte sein Leadertrikot<br />
angesichts einer gefährlichen konzertierten<br />
Aktion von Ineos-Fahrer Iván Sosa<br />
und Urán. In der Schlussphase holte Valverde<br />
das Paar wieder ein und verteidigte<br />
sein Trikot gegen die Kolumbianer. Die<br />
konnten sich auf den zweiten und dritten<br />
Gesamtrang vorschieben, Valverde jedoch<br />
nicht entthronen – aber er ist eben auch<br />
ein Fahrer, dessen Akku länger hält.<br />
Nach einem schlechten Frühjahr meldete<br />
sich der Weltmeister mit einem Sieg zurück.<br />
FAHRER TEAM ZEIT<br />
1 Alejandro Valverde Movistar 18:04:42<br />
2 Iván Sosa Team Ineos + 0:<strong>08</strong><br />
3 Rigoberto Urán EF Education First + 0:17<br />
4 Tony Gallopin AG2R La Mondiale + 0:42<br />
5 Eddie Dunbar Team Ineos + 0:45<br />
© Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 73
NACHLESE<br />
Deceuninck–Quick-Step<br />
Jumbo–Visma<br />
Astana<br />
Bora–hansgrohe<br />
UAE Emirates<br />
Mitchelton-Scott<br />
41<br />
31<br />
28<br />
27<br />
21<br />
21<br />
SIEGE<br />
PRO<br />
TEAM<br />
Israel Cycling Academy ........................17<br />
Team Ineos .................................... 16<br />
Movistar .......................................15<br />
Androni-Giocattoli ............................ 14<br />
Groupama-FDJ .................................13<br />
SIEGE<br />
PRO LAND<br />
58<br />
FRANKREICH<br />
40<br />
NIEDERLANDE<br />
55<br />
ITALIEN<br />
29<br />
KOLUMBIEN<br />
Lotto Soudal ...................................13<br />
Cofidis .........................................12<br />
Total Direct Energie ............................11<br />
EF Education First .............................10<br />
Vital Concept-B&B Hotels ......................9<br />
10<br />
DYLAN<br />
GROENEWEGEN<br />
JUMBO–VISMA<br />
SIEGE<br />
PRO FAHRER<br />
10<br />
JULIAN<br />
ALAPHILIPPE<br />
DECEUNINCK–<br />
QUICK-STEP<br />
9<br />
PRIMOŽ<br />
ROGLIČ<br />
JUMBO–VISMA<br />
Sam Bennett Bora–hansgrohe 7<br />
Caleb Ewan Lotto Soudal 6<br />
Elia Viviani Deceuninck–Quick-Step 6<br />
Bryan Coquard Vital Concept-B&B Hotels 6<br />
P. Ackermann Bora–hansgrohe 6<br />
M. van der Poel Corendon-Circus 5<br />
A. Kristoff UAE Emirates 5<br />
Jesús Herrada Cofidis 5<br />
Niccolò Bonifazio Total Direct Energie 5<br />
M. Schachmann Bora–hansgrohe 5<br />
Tadej Pogačar UAE-Emirates 5<br />
© Getty Images (Roglič), BettiniPhoto (Alaphilippe), Yuzuru Sunada (Groenewegen); Stand: 25.06.<strong>2019</strong><br />
GP DU CANTON D’ARGOVIE/ 13.06.<strong>2019</strong><br />
KRISTOFF ZUM<br />
DRITTEN SIEG<br />
IN DER SCHWEIZ<br />
Alexander Kristoff hat beim GP du Canton<br />
d’Argovie in der Schweiz seinen dritten<br />
Sieg gefeiert und ist der höchstdekorierte<br />
Sieger des Rennens in seiner 56-jährigen Geschichte.<br />
Der Sieg war der fünfte des Norwegers<br />
<strong>2019</strong> und kam in einem Monat, als sein Team<br />
UAE Emirates sieben Rennen gewann. Das Eintagesrennen<br />
findet im malerischen Kanton Aargau<br />
im Norden der Schweiz statt und wird ge prägt<br />
von einem achtmal zu absolvierenden Rundkurs<br />
mit dem 1,8 Kilometer langen Anstieg nach<br />
Schlatt. Die letzten sieben Auflagen endeten<br />
mit einem Massensprint, wobei Kristoff nach<br />
seinen Erfolgen von 2018 und 2015 zum dritten<br />
Mal gewann.<br />
FAHRER<br />
TEAM<br />
1 Alexander Kristoff UAE Emirates<br />
2 Andrea Pasqualon Wanty-Groupe Gobert<br />
3 R. J. van Rensburg Dimension Data<br />
SPAR FLANDERS TOUR / 16.06.<strong>2019</strong><br />
WIEBES FÜHRT<br />
MIT ACHT SIEGEN<br />
Die 20 Jahre alt Lorena Wiebes, die die<br />
meisten Siege im Frauen-Peloton zu<br />
Buche stehen hat, blieb der Konkurrenz<br />
mit ihrem achten Saisonsieg weiter einen Schritt<br />
voraus. Die Fahrerin von Parkhotel Valkenburg,<br />
die letztes Jahr Profi wurde, gewann den Massensprint<br />
bei der vollkommen flachen Spar Flanders<br />
Tour in Nijlen bei Antwerpen. Die Sprinterin<br />
Wiebes gewann bereits Nokere Koerse, Omloop<br />
van Borsele, eine Etappe der Tour de Yorkshire<br />
sowie alle drei Etappen und die Gesamtwertung<br />
der Tour of Chongming Island und ist so beständig,<br />
dass sie dazu sieben weitere Top-Fünf-Plätze<br />
erringen konnte.<br />
FAHRERIN<br />
TEAM<br />
1 Lorena Wiebes Parkhotel Valkenburg<br />
2 Elisa Balsamo Valcar Cylance Cycling<br />
3 Lotte Kopecky Lotto Soudal Ladies<br />
MONT VENTOUX CHALLENGE / 17.06.<strong>2019</strong><br />
HERRADA BEZWINGT<br />
ERSCHÖPFTEN<br />
BARDET<br />
Romain Bardet war der einzige Fünf-Sterne-<br />
Favorit beim ersten Mont Ventoux Dénivelé,<br />
obwohl er das Critérium du Dauphiné<br />
gefahren war und fünf Stunden ohne Pause im<br />
Auto gesessen hatte, um rechtzeitig am Start zu<br />
sein. Der AG2R-Kapitän startete seine Attacke<br />
8,5 Kilometer vor dem Ziel, konnte den Cofidis-<br />
Fahrer Jesús Herrada aber nicht abschütteln. Kurz<br />
vor dem Gipfel ließ der Spanier seinen erschöpften<br />
Rivalen einfach stehen. Herrada-Sportdirektor<br />
Roberto Damiani sagte, das Team habe das Rennen<br />
mit einem formstarken Herrada gezielt in Angriff<br />
genommen und ihn vom Critérium du Dauphiné<br />
zurückgehalten. Bei nur drei teilnehmenden<br />
WorldTour-Teams waren es tief hängende Früchte.<br />
FAHRER<br />
TEAM<br />
1 Jesús Herrada Cofidis<br />
2 Romain Bardet AG2R La Mondiale<br />
3 Rein Taaramäe Total Direct Energie<br />
74 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
NACHLESE<br />
Nicht nur beim<br />
Flèche Wallonne<br />
konnte Julian Alaphilippe<br />
(rechts)<br />
bisher in diesem<br />
Jahr glänzen.<br />
SIEGE PRO LAND – FRAUEN<br />
29 19<br />
18 11<br />
SIEGE<br />
PRO<br />
TEAM –<br />
FRAUEN<br />
15<br />
13<br />
NIEDERLANDE<br />
ITALIEN<br />
TOUR OF SLOVENIA / 19.–23.06.<strong>2019</strong><br />
GESCHICHTE WIEDER-<br />
HOLT SICH FÜR ULISSI<br />
IN SLOWENIEN<br />
AUSTRALIEN<br />
DEUTSCHLAND<br />
ZLM TOUR / 19.–23.06.<strong>2019</strong><br />
JUMBO–VISMA<br />
MIT NEUEM<br />
HÖHENFLUG<br />
Trek-Segafredo<br />
Team Virtu Cycling<br />
WNT-Rotor Pro Cycling<br />
Boels-Dolmans<br />
Mitchelton-Scott<br />
11<br />
11<br />
12<br />
Vor acht Jahren feierte Diego Ulissi bei der<br />
Slowenien-Rundfahrt seinen ersten Gesamtsieg<br />
– ein Erfolg, der auf einem Solosieg<br />
auf der 3. Etappe basierte. <strong>2019</strong> wiederholte<br />
der Italiener die Vorstellung auf exakt die gleiche<br />
Art. Er gewann die Gesamtwertung in Slowenien<br />
<strong>2019</strong>, nachdem er die 3. Etappe für sich entschied,<br />
die mit einer technisch sehr anspruchsvollen Abfahrt<br />
zu Ende ging. 2011, als Ulissi das erste Mal<br />
gewann, war er in seiner zweiten Saison als Profi<br />
und hatte gerade mit einem Etappensieg beim Giro<br />
seinen Durchbruch gefeiert. Dieses Mal baute Ulissi<br />
mit seinen zwei Siegen in Slowenien seine Ausbeute<br />
für die Jahre 2018 and <strong>2019</strong> auf vier aus.<br />
Ist es der Beginn einer neuen Reihe von Siegen?<br />
FAHRER<br />
TEAM<br />
1 Diego Ulissi UAE Emirates<br />
2 Giovanni Visconti Neri Sottoli–Selle Italia<br />
3 Aleksandr Vlasov Gazprom-RusVelo<br />
Bis Mai hatte Mike Teunissen in seiner Profikarriere<br />
nur einen einzigen Sieg gefeiert:<br />
den Prolog bei der Tour de l’Ain 2015. Doch<br />
der Holländer baute seine Ausbeute auf sechs Siege<br />
aus: Er holte zwei Etappen und die Gesamtwertung<br />
der Vier Tage von Dünkirchen sowie die Gesamtwertung<br />
der ZLM Tour. Wie in Dünkirchen<br />
dominierte sein Jumbo–Visma-Team: Jos van Emden<br />
gewann den Prolog, Dylan Groenewegen zwei<br />
Sprints und Amund Grøndahl Jansen die wellige<br />
3. Etappe. Beständigkeit verhalf Teunissen zum<br />
Gesamtsieg; er war Zweiter beim Auftaktzeitfahren<br />
und auf der entscheidenden 3. Etappe. Seine<br />
gute Form nahm der Niederländer in die Tour de<br />
France mit, wo er die erste Etappe für sich entschied.<br />
FAHRER<br />
TEAM<br />
1 Mike Teunissen Jumbo–Visma<br />
2 Amund G. Jansen Jumbo–Visma<br />
3 Mads W. Schmidt Katusha-Alpecin<br />
SIEGE PRO<br />
FAHRERIN<br />
6 8 6<br />
MARTA<br />
BASTIANELLI<br />
TEAM VIRTU<br />
CYCLING<br />
LORENA<br />
WIEBES<br />
PARKHOTEL<br />
VALKENBURG<br />
KIRSTEN<br />
WILD<br />
WNT-ROTOR PRO<br />
CYCLING<br />
Arlenis Sierra Astana 5<br />
Jutatip Maneephan Thailand W. Team 5<br />
Chloe Dygert Sho-Air Twenty 20 5<br />
Marianne Vos CCC Liv 4<br />
Brodie Chapman Tibco-Silicon Valley 4<br />
© Velofocus (Bastianelli), Getty Images, Luc Claessen/Getty Images (oben)<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 75
NACHLESE<br />
Fahrer im Fokus<br />
DAVIDE FORMOLO<br />
© Chris Auld<br />
Davide Formolos 15. Platz beim Giro d’Italia<br />
im Mai war … ein ganz ordentliches<br />
Resultat. Er verlor 22:38 Minuten auf<br />
den Sieger Richard Carapaz und ließ sich während<br />
des gesamten Rennens blicken. Er ging auf der<br />
17. Etappe nach Antholz in die frühe Ausreißergruppe,<br />
kam durch und nahm seinen Rivalen in der<br />
Gesamtwertung fast zwei Minuten ab. Damit war<br />
er Gesamt-Zehnter mit 8:59 Minuten Rück stand,<br />
brach aber auf der letzten Bergetappe komplett ein<br />
und verlor zwölf Minuten auf die Favoriten.<br />
Formolo hat bei großen Rundfahrten schon höher<br />
und besser abgeschnitten. Er<br />
war Zehnter des Giro 2017 und<br />
2018 sowie Neunter der Vuelta<br />
2016 mit 13:17 Minuten Rückstand<br />
auf Nairo Quintana. Er fuhr<br />
bei Tirreno–Adriatico, der Tour<br />
de Suisse und der Tour de Pologne<br />
in die Top Ten. Seine Bilanz bei<br />
Eintagesrennen weist zweite Plätze<br />
bei Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />
<strong>2019</strong> und der italienischen<br />
Meisterschaft 2014 auf – ein<br />
Resultat, an das er anknüpfte,<br />
indem er die Trikolore in diesem<br />
Jahr gewann. Seine sichtbarste<br />
Leistung lieferte er bisher beim<br />
Giro d’Italia 2015 ab, wo er einen<br />
Etappen sieg auf einer schweren,<br />
hügeligen Etappe nach La Spezia<br />
holte. Er ist ein guter Kletterer und spritzig auf<br />
kürzeren Hügeln.<br />
Formolo ist nicht mehr jung, aber noch in der<br />
ersten Hälfte seiner Karriere. Mit 26 Jahren sind<br />
drei Top-Ten-Plätze bei großen Rundfahrten ein<br />
Zeichen der Hoffnung. Die Frage ist allerdings,<br />
ob er darauf aufbauen und sich steigern kann. Er<br />
scheint auf dem zehnten Platz mit 15 bis 20 Minuten<br />
Defizit festzustecken. Und angesichts von<br />
etablierten und aufstrebenden Klassementfahrern<br />
in seinem Bora-Team – Rafał Majka, Emanuel<br />
Buchmann und Patrick Konrad – scheint Formolo<br />
weiter die zweite Geige zu spielen.<br />
FORMOLOS GROSSE ERFOLGE<br />
TIRRENO–ADRIATICO<br />
VOLTA A CATALUNYA<br />
LÜTTICH–BASTOGNE–LÜTTICH<br />
GIRO D’ITALIA<br />
TOUR DE SUISSE<br />
IT. STRASSEN MEISTERSCHAFT<br />
POLEN-RUNDFAHRT<br />
VUELTA A ESPAÑA<br />
’14 ’15 ’16 ’17 ’18 ’19<br />
7<br />
2<br />
16<br />
27<br />
32<br />
31<br />
DNF<br />
9<br />
47<br />
9<br />
4<br />
9<br />
7 22<br />
15 12 DNF 20<br />
23 7 2<br />
31 10 10 15<br />
74 1<br />
8<br />
22<br />
WAS WIR<br />
DIESEN MONAT<br />
GELERNT HABEN<br />
VAN AERT ist der neue VAN<br />
DER POEL.<br />
Anfang <strong>2019</strong> sprachen alle davon, dass<br />
Mathieu van der Poel der neue Wout Van<br />
Aert sei – ein Cyclocrosser, der plötzlich<br />
auf der Straße aufgetaucht und seine erste Klas -<br />
siker-Saison auf allerhöchstem Niveau gefahren<br />
war. Die Leistungen des Holländers <strong>2019</strong>, als er<br />
Amstel Gold, den Brabantse Pijl und Dwars door<br />
Vlaanderen gewann, stellten sogar die von Van<br />
Aert in den Schatten, der im Vorjahr mit einem<br />
dritten Platz beim Strade Bianche und einem<br />
neunten bei der Flandern-Rundfahrt beeindruckt<br />
hatte. Van Aerts Klassiker-Kampagne <strong>2019</strong> war<br />
eine geringfügige Verbesserung gegenüber 2018<br />
– er war wieder Dritter beim Strade Bianche,<br />
Sechster bei Mailand–San Remo, Zweiter beim<br />
E3 und 14. bei der Ronde.<br />
Aber wenn van der Poel Van Aert den Wind<br />
aus den Segeln nahm, war die Leistung des Belgiers<br />
beim verregneten Critérium du Dauphiné<br />
ein Sonnenstrahl. Er sprintete auf der 1. Etappe<br />
auf den dritten Platz. Zwei Tage später setzte<br />
er noch einen drauf und wurde in einem flachen<br />
Sprint Zweiter hinter einem unbändigen Sam<br />
Bennett. Und dabei sollte das Beste noch kommen:<br />
Er gewann das Zeitfahren auf der 4. Etappe<br />
mit 31 Sekunden Vorsprung auf Tejay van Garderen,<br />
einem Spezialisten, und schlug dann Bennett<br />
im Massensprint der 5. Etappe.<br />
So starke Leistungen als Allrounder veranlassten<br />
die Experten sofort zu Spekulationen, was er<br />
bei der Tour de France ausrichten könnte. Van<br />
Aert erreichte beim Critérium du Dauphiné ein<br />
höheres Niveau und zeigte, dass er ein Siegfahrer<br />
im Flachen, bei Zeitfahren und bei den Klassikern<br />
ist. Während bei Greg Van Avermaet und Philippe<br />
Gilbert das Ende der Karriere näher rückt, scheint<br />
Van Aert ein neuer Straßenstar für die belgischen<br />
Fans zu sein.<br />
76 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
NACHLESE<br />
TAKTIK-TIPPS: EINFACH GUT KLETTERN<br />
Bernals Überlegenheit<br />
in den Bergen<br />
brachte ihm<br />
einen Tageserfolg<br />
und den Gesamtsieg<br />
bei der Tour<br />
de Suisse ein.<br />
Bei aller taktischen Komplexität und<br />
Schattierung des Radsports ist der<br />
direkteste Weg zum Sieg manchmal<br />
ein ganz einfacher: der stärkste Fahrer<br />
zu sein. Im Kontext eines gebirgigen Etappenrennens<br />
ist dies noch weniger uneindeutig:<br />
Sei der stärkste Kletterer, und du<br />
hast eine sehr gute Chance zu gewinnen.<br />
Die Etappenrennen im Juni folgten alle<br />
diesem Muster. Jakob Fuglsang war der<br />
stärkste Kletterer des Critérium du Dauphiné,<br />
und indem er Zweiter auf der entscheidenden<br />
Bergetappe wurde, der Bergankunft<br />
in Pipay am vorletzten Tag, und<br />
sich auf den anderen schweren Etappen<br />
durchgehend gut platzierte, konnte er es<br />
sich leisten, ein weitgehend defensives<br />
Rennen zu fahren. Bei der Tour de Suisse<br />
war klar, wer am besten kletterte – Egan<br />
Bernal schüttelte seine Rivalen ab und<br />
wurde Zweiter am Flumserberg und Erster<br />
am Gotthardpass. Sein dritter Platz hinter<br />
dem späteren Zweitplatzierten Rohan<br />
Dennis auf einer sehr schweren Schlussetappe,<br />
die dreimal über 2.000 Meter hi -<br />
n ausführte, zeigte, dass Bernals Gesamtsieg<br />
verdient war, obwohl Dennis auf den<br />
beiden Zeitfahretappen ein bisschen vom<br />
Vorsprung des Kolumbianers abgeknapst<br />
hatte. Derweil gab es in Frankeich bei der<br />
Route d’Occitanie zwei Hügelankünfte.<br />
Alejandro Valverde gewann die erste in<br />
Saint-Géniez-d’Olt-et-d’Aubrac und war<br />
Zweiter am Hospice de France. Je schwerer<br />
das Rennen, so scheint es manchmal,<br />
desto leichter ist es zu gewinnen.<br />
© Chris Auld<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 77
NACHLESE<br />
EINTAGESSIEGE<br />
GROSSE<br />
ERFOLGE<br />
Es ist keine Überraschung, dass Deceuninck–Quick-Step <strong>2019</strong> bisher<br />
die meisten Eintagesrennen gewinnen konnte – das Team dominierte<br />
die Klassiker und war das beste Klassiker-Team der vergangenen Jahre.<br />
Wir haben alle Siege und Podiumsplätze der WorldTour-Teams addiert, und<br />
was überrascht, ist, wie wenige andere Teams Siege geholt haben. Bei Redaktionsschluss<br />
hatten nur sieben andere Teams mehr als ein einziges Eintagesrennen<br />
gewonnen, während mit Dimension Data und CCC zwei Teams noch<br />
gar keinen Eintagessieg zu Buche stehen hatten.<br />
Der Radsport wird immer noch von den fünf Monumenten, den drei<br />
großen Rundfahrten und der Weltmeisterschaft dominiert. Und es<br />
sind die Resultate bei diesen Rennen, die letztlich über den Erfolg der<br />
Saison eines Teams entscheiden. Da vier Monumente – San Remo, Flandern,<br />
Roubaix und Lüttich – und der Giro schon Geschichte sind, haben wir nach<br />
den bestplatzierten Fahrern jedes WorldTour-Teams bei diesen Rennen gesucht.<br />
Dann haben wir sie nach ihren besten Einzelresultaten geordnet.<br />
TEAM M–SR F-R P–R L–B–L G D’I<br />
1 Deceuninck–Quick-Step 1 2 1 16 33<br />
2 EF Education First 9 1 4 5 11<br />
Deceuninck–<br />
Quick-Step<br />
Siege: 15<br />
Platz 2/3: 10<br />
Astana<br />
Siege: 2<br />
Platz 2/3: 5<br />
Trek-<br />
Segafredo<br />
Siege: 1<br />
Platz 2/3: 6<br />
Bora–<br />
hansgrohe<br />
Siege: 10<br />
Platz 2/3: 9<br />
Jumbo–<br />
Visma<br />
Siege: 2<br />
Platz 2/3: 4<br />
Team<br />
Ineos<br />
Siege: 1<br />
Platz 2/3: 5<br />
UAE<br />
Emirates<br />
Siege: 4<br />
Platz 2/3: 9<br />
Movistar<br />
Siege: 2<br />
Platz 2/3: 2<br />
Bahrain-<br />
Merida<br />
Siege: 1<br />
Platz 2/3: 3<br />
AG2R La<br />
Mondiale<br />
Siege: 4<br />
Platz 2/3: 7<br />
Lotto<br />
Soudal<br />
Siege: 1<br />
Platz 2/3: 5<br />
Team<br />
Sunweb<br />
Siege: 1<br />
Platz 2/3: 1<br />
Groupama-<br />
FDJ<br />
Siege: 3<br />
Platz 2/3: 7<br />
Mitchelton-<br />
Scott<br />
Siege: 1<br />
Platz 2/3: 3<br />
Dimension<br />
Data<br />
Siege: 0<br />
Platz 2/3: 3<br />
EF Education<br />
First<br />
Siege: 3<br />
Platz 2/3: 4<br />
Katusha-<br />
Alpecin<br />
Siege: 1<br />
Platz 2/3: 2<br />
CCC<br />
Team<br />
Siege: 0<br />
Platz 2/3: 2<br />
3 Astana 15 72 25 1 7<br />
4 Movistar 7 8 73 7 1<br />
5 Bora–hansgrohe 4 11 5 2 6<br />
6 Bahrain-Merida 5 24 14 8 2<br />
7 Katusha-Alpecin 17 5 2 22 10<br />
8 AG2R La Mondiale 2 7 13 21 29<br />
9 Jumbo–Visma 6 14 7 17 3<br />
10 Team Ineos 3 18 21 10 9<br />
11 UAE Emirates 14 3 56 18 14<br />
12 Mitchelton-Scott 10 21 43 4 8<br />
13 Trek-Segafredo 34 19 27 26 5<br />
14 Groupama-FDJ 32 28 11 6 13<br />
15 Sunweb 11 6 44 30 34<br />
16 Lotto Soudal 29 9 29 11 51<br />
17 CCC Team 42 10 12 41 21<br />
18 Dimension Data 20 32 45 43 32<br />
ZAHLENMÄSSIGE STÄRKE<br />
© Getty Images<br />
Drei Teams haben den diesjährigen<br />
Giro d’Italia mit einem<br />
kompletten Satz Fahrer beendet:<br />
Bora, Movistar und Astana.<br />
Wir haben uns alle vier<br />
großen Rundfahrten seit der<br />
Umstellung auf achtköpfige<br />
Teams Anfang 2018 angeschaut<br />
und die WorldTour-<br />
Teams nach der durchschnittlichen<br />
Zahl ihrer ins Ziel gekommenen<br />
Fahrer sortiert.<br />
Team Giro ’18 Tour ’18 Vuelta ’18 Giro ’19 Ø<br />
Bora–hansgrohe 7 8 7 8 7,5<br />
Mitchelton-Scott 8 7 8 7 7,5<br />
Movistar 7 7 8 8 7,5<br />
Jumbo–Visma 8 7 8 7 7,5<br />
Astana 7 6 8 8 7,25<br />
Trek-Segafredo 8 7 7 7 7,25<br />
EF Education First 7 7 8 6 7<br />
Bahrain-Merida 7 7 6 7 6,75<br />
Groupama-FDJ 5 8 7 7 6,75<br />
Team Giro ’18 Tour ’18 Vuelta ’18 Giro ’19 Ø<br />
Team Ineos 7 7 6 7 6,75<br />
AG2R La Mondiale 7 5 7 7 6,5<br />
UAE Emirates 7 8 6 5 6,5<br />
CCC Team 6 6 7 6 6,25<br />
D.–Quick-Step 8 5 7 5 6,25<br />
Sunweb 7 7 7 4 6,25<br />
Dimension Data 5 5 8 6 6<br />
Katusha-Alpecin 8 4 6 6 6<br />
Lotto Soudal 5 3 7 4 4,75<br />
78 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
NACHLESE<br />
Elia Viviani will bei der<br />
Tour in diesem Jahr<br />
weitere Siege für<br />
Deceuninck–Quick-<br />
Step einfahren.<br />
© Tim de Waele/Getty Images<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 79
RETRO<br />
PATRICK SERCU<br />
BESTER<br />
DER SECHS<br />
Die Bahnlegende Patrick Sercu war einer der Stars der 1970er;<br />
er kombinierte eine erfolgreiche Karriere auf der Straße mit beispiellosen<br />
88 Sechstage-Siegen, viele zusammen mit Eddy Merckx. Procycling<br />
blickt zurück auf die Karriere des „Pfeils von Izegem“,<br />
der im April dieses Jahres verstarb.<br />
Text William Fotheringham Fotografie Cor Vos<br />
Als Teenager verbrachte ich zwei Septemberabende,<br />
1979 und 1980, im dunklen<br />
Inneren des Wembley’s Empire Pool (der<br />
heutigen Wembley Arena), wo eine enge Holzbahn<br />
mit 51 Grad Gefälle für das Skol Six eingerichtet<br />
worden war. Ich hatte ein ruhiges Leben<br />
geführt und erlebte ein exotisches Spek takel,<br />
als es auf Mitternacht zuging: der Sound von<br />
Alan Elsdons Jazzband gegen das Hintergrundgeräusch<br />
der Radprofis, die über die Bretter<br />
sausten.<br />
Es gab längst vergessene Sechstage-Spezialisten<br />
wie Willy Debosscher und Nils Fredborg, britische<br />
Fahrer wie Maurice Burton, Paul Medhurst<br />
und Tony Gowland neben den importierten Australiern<br />
Don Allen, Danny Clark und anderen.<br />
Die Gestalt der Kette änderte sich ständig wie ein<br />
hypnotisches zweirädriges Kaleidoskop, bei dem<br />
ein Mann im Fokus stand.<br />
Das Zentrum von allem war der Boss: Patrick<br />
Sercu, hohe Wangenknochen, unergründlich,<br />
wie Eddy Merckx’ selbstbewussterer Zwillingsbruder,<br />
ein Mann, über den man hätte schreiben<br />
können – wie über Merckx geschrieben wurde –,<br />
dass er „die geschnitzten Gesichtszüge eines<br />
Totempfahls trug und ebenso oft in Lachen ausbrach“.<br />
Sercu war der Mann, der die Kette in den<br />
entscheidenden Momenten in die Länge zog, der<br />
den anderen sein Rennen aufzwang, der beim<br />
Skol 1979 Peter Posts Rekord von 65 Sechstage-Siegen<br />
einstellte und ihn im folgenden Jahr<br />
auf 72 hochschraubte.<br />
„Der absolute Monarch des Sechstagesrennens“,<br />
hieß es in einem Nachruf, als er im April<br />
dieses Jahres mit 74 Jahren starb. Sercu war der<br />
Merckx des Velodroms, ein Fahrer, der es von<br />
1965 bis 1983 auf 88 Sechstage-Siege brachte.<br />
Sich seine Liste von Erfolgen auf der Bahn anzuschauen,<br />
ist wie ein kurzer Blick in eine längst<br />
verlorene Welt, wo ein talentierter Allrounder<br />
von September bis März in Belgien, Holland,<br />
Deutschland und der Schweiz Rennen fahren<br />
konnte. Manchmal bildete er ein Duo mit einem<br />
Lokalmatador wie Gowland, manchmal wiederum<br />
mit einem Straßen-Star wie Merckx. So oder<br />
so gewann er oft.<br />
Als ich den „Pfeil von Izegem“ rund 30 Jahre<br />
später in seinem Haus bei Gent besuchte, traf ich<br />
einen ernsten und immer noch undurchdringlichen<br />
Mann. Seine Freundschaft mit Merckx hatte<br />
fast ein halbes Jahrhundert gedauert, seit ihre Väter<br />
sie zusammen in ein Jugend-Madison im Velodrome<br />
d’Hiver im Palais des Sports in Schaerbeek<br />
bei Brüssel geschickt hatten.<br />
Sie waren beide ruhige, sehr motivierte Burschen,<br />
die noch in den 1970ern zusammen<br />
Sechstagerennen fuhren; Sercus Anekdoten über<br />
ihn bildeten ein wichtiges Element, als ich die<br />
Merckx-Biografie Half Man, Half Bike schrieb.<br />
Meine liebste war die über den Tag, an dem Brooklyn<br />
Sercu kurzfristig zu Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />
schickte, weil Roger de Vlaeminck sich krank gemeldet<br />
hatte.<br />
80 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 81
RETRO<br />
PATRICK SERCU<br />
Sercu und sein Vater machten sich mit dem Auto<br />
auf den Weg in die Wallonie; als sie auf der<br />
Hauptstraße von Brüssel nach Lüttich unterwegs<br />
waren – die Autobahn war noch nicht eröffnet –,<br />
sahen sie weit vor ihnen im Schneeregen einen<br />
einsamen Radfahrer. Es war Merckx, der sich<br />
selbst dafür bestrafte, dass er Flèche Wallonne in<br />
jener Woche nicht gewonnen hatte, indem er mit<br />
dem Rad von Zuhause ins Mannschaftshotel fuhr<br />
– an einem Tag, an dem, wie Sercu sagte, „niemand<br />
vor die Tür gegangen wäre“.<br />
Aber die andere Geschichte, die Sercu mir an<br />
dem Tag 2011 erzählte, wurde nie geschrieben:<br />
Es war die Geschichte vom König der Sechstagerennen,<br />
einem Mann, der Bahnrennen und die<br />
großen Etappenrennen auf der Straße sehr effektiv<br />
miteinander kombinierte – ein Musterbeispiel<br />
an Fähigkeiten, die das Velodrom einem Rennfahrer<br />
für den Straßenradsport auf höchstem<br />
Niveau mitgibt. Er war der letzte in einer großen<br />
Generation von Stars, die Straße und Bahn kombinierten<br />
und die über Peter Post und Rik Van<br />
Steenbergen auf die frühesten Tage des Radsports<br />
zurückging. Diese Tradition ist nicht ganz tot,<br />
aber die Grenzgänger sind weniger geworden.<br />
Einige moderne Radstars verbinden Bahn und<br />
Straße; Mark Cavendish, Fernando Gaviria und<br />
Elia Viviani konzentrieren sich auf die Straße,<br />
nehmen aber noch an Bahnrennen teil.<br />
SERCU TRUG AUCH<br />
DAS GELBE TRIKOT, UND<br />
ZWAR BEIM KÜRZESTEN<br />
INTERMEZZO IM MAILLOT<br />
JAUNE ALLER ZEITEN – ELF<br />
MINUTEN UND 24 SEKUNDEN.<br />
Die 223 Sechstagerennen, die Sercu fuhr, machen<br />
insgesamt vier Jahre seines Lebens aus,<br />
die er auf den Brettern oder in den Kabinen unter<br />
den Brettern verbrachte. Aber er war beileibe kein<br />
Spezialist, sondern der einzige Rennfahrer, der<br />
die Sprint-Weltmeisterschaft auf der Bahn und<br />
das Grüne Trikot der Tour de France gewinnen<br />
konnte, der insgesamt 19 Etappen des Giro und<br />
der Tour gewann. Er war (wahrscheinlich) auch<br />
der einzige Rennfahrer, der auf einer Bahn begann,<br />
die sein Vater nur für ihn instand gesetzt<br />
hatte. Kein Druck also.<br />
DER ROULEUR AUS ROULERS<br />
Sercu kam am 27. Juni 1944 in Roeselare in<br />
Westflandern zu Welt, einer Stadt, deren französischer<br />
Name, Roulers, vielleicht passt für den<br />
Geburtsort von mehr als einem berühmten<br />
Rennfahrer. Sein Vater Albert hatte bei der<br />
Straßen weltmeisterschaft 1947 die Silbermedaille<br />
geholt und im selben Jahr Omloop Het Volk<br />
gewonnen. Als der junge Patrick auftauchte, führte<br />
Albert ein Fahrradgeschäft und eine Kneipe in<br />
Rumbeke, wo einst der erste belgische Toursieger,<br />
der Gewinner von 1912, Odile Defraye, zu Hause<br />
war. Dieser hatte dort ein Stück Land gekauft,<br />
eine 167-Meter-Rennbahn aus Beton gebaut und<br />
ein Restaurant aufgemacht, wobei er Rennen auf<br />
der Bahn hinter dem Restaurant organisierte, um<br />
den Umsatz anzukurbeln.<br />
Die Bahn war steil, über 40 Grad; sie verfiel im<br />
Krieg, aber als sein Sohn mit dem Radsport begann,<br />
richtete Albert sie mit ein paar Freunden<br />
wieder her, sodass er dort Rennen für Patrick veranstalten<br />
konnte. Die Bahn, sagte Sercu mir<br />
2011, war noch da, stand unter Denkmalschutz<br />
und konnte nicht überbaut werden. Sie wurde<br />
jetzt aber nicht mehr genutzt und verkam.<br />
Patrick Sercu hatte den ersten seiner Sprint-<br />
Weltmeistertitel 1963 als 19 Jahre alter Amateur<br />
gewonnen – er sollte von 1965 bis 1969 weitere<br />
zwei Gold- und zwei Silbermedaillen holen –, und<br />
er startete bei Olympia 1964 in Tokio im belgischen<br />
Nationalteam mit Merckx und holte Gold im<br />
1.000-Meter-Zeitfahren. Im Winter fuhr er erstmals<br />
Sechstagerennen mit Merckx; im folgenden<br />
Jahr gingen beide zum Solo-Superia-Team, das<br />
von Rik Van Looy geleitet wurde. Damit begann<br />
das Muster, das Sercus Karriere prägen sollte: Er<br />
gab der Bahn den Vorrang, seine Abstecher auf die<br />
Straße dienten dem Formaufbau für den Winter.<br />
Er machte in einem typischen Jahr zweimal<br />
zwei Wochen Pause, fuhr das ganze Frühjahr<br />
über, nahm meist den Giro d’Italia mit, ruhte sich<br />
im Juli aus und kehrte dann nach Italien zurück,<br />
um sich auf den Herbst und Winter vorzubereiten.<br />
Er staubte ein Handvoll Etappen beim Giro ab –<br />
zwischen einer und drei in den meisten Jahren<br />
von 1970 bis 1976 (insgesamt 13) – und konnte<br />
Top-Ten-Plätze bei allen flacheren Klassikern<br />
holen, darunter Paris–Roubaix und die Flandern-<br />
Rundfahrt, und es fehlte nicht viel zu Siegen beim<br />
Omloop Het Volk und Gent–Wevelgem.<br />
Da er sich im Juli ausruhte, verpasste er die<br />
Tour de France, aber das störte italienische Spon-<br />
Sercu fuhr in seiner zwei Jahrzehnte<br />
dauernden Karriere 223 Sechstagerennen.<br />
82 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
soren wie Brooklyn nicht. „Deswegen war ich<br />
30, als ich die Tour zum ersten Mal fuhr“, sagte<br />
er mir. 1974 hatte er ein Engagement bei Faema<br />
hinter sich, wo er sich mit dem umstrittenen Manager<br />
Lomme Driessens überworfen hatte, dessen<br />
Spitzname „Lomme der Lügner“ wohlverdient<br />
war. Danach war er für Dreher gefahren und mit<br />
Roger De Vlaeminck zu Brooklyn gegangen. „Ich<br />
hätte mir eine Karriere ohne die Tour nicht vorstellen<br />
können, und Brooklyn ging nur meinetwegen<br />
zur Tour.“<br />
Die Tour 1974 war die letzte, wo Merckx wirklich<br />
in Bestform war; es war der fünfte Sieg des<br />
Kannibalen in sechs Jahren, mit dem er den Rekord<br />
einstellte, und dort wurde der Begriff Brookmol<br />
geprägt. Die Verbindung aus Brooklyn und<br />
Molteni spiegelte das allgemeine Gefühl wider,<br />
dass Merckx und Molteni Sercus Kampf um das<br />
Grüne Trikot unterstützt oder zumindest nicht<br />
behindert hatten – er holte das Leibchen nach<br />
Etappensiegen an aufeinanderfolgenden Tagen in<br />
Saint-Malo und Caen sowie einem dritten Erfolg<br />
in Besançon.<br />
SERCUS BESTE<br />
ERGEBNISSE BEI<br />
EINTAGESRENNEN<br />
TEAM JAHR ERGEB.<br />
KUURNE–BRUSSELS–KUURNE 1977 1.<br />
OMLOOP HET VOLK 1975 2.<br />
GENT–WEVELGEM 1970 5.<br />
MAILAND–SAN REMO 1976 7.<br />
FLANDERN-RUNDFAHRT 1970 7.<br />
PARIS–ROUBAIX 1969 8.<br />
PARIS–TOURS 1972 11.<br />
FLÈCHE WALLONNE 1969 15.<br />
Sercu wird von René Pijnen<br />
beim Rotterdam Six 1982, das sie<br />
gewannen, nach vorne geschleudert.<br />
Sercu trug auch das Gelbe Trikot, und zwar beim<br />
kürzesten Intermezzo im Maillot Jaune aller Zeiten:<br />
Er holte es auf dem ersten Teil der 6. Etappe<br />
nach Harelbeke in seinem heimatlichen Westflandern<br />
am Vormittag des 3. Juli und trug das<br />
Führungstrikot ganze neun Kilometer beziehungsweise<br />
elf Minuten und 24 Sekunden lang<br />
beim Mannschaftszeitfahren am Nachmittag,<br />
bevor es wieder an Gerben Karstens vom Bic-<br />
Team ging.<br />
„1974 bin ich alles gefahren. Die Tour de<br />
France, den Giro und jede Menge Kriterien: 200<br />
Renntage“, sagte mir Sercu. Brooklyn hatte im<br />
nächsten Jahr kein Interesse daran, wieder mit<br />
ihm in die Tour zu gehen, und 1976 rechnete er<br />
damit zu starten, erholte sich aber vom<br />
schlimmsten Sturz seiner Karriere, einer Kollision<br />
mit einem Fernsehkameramann auf der<br />
Ziellinie der Giro-Etappe nach Ozegnia. „Alle<br />
dachten, ich wäre tot“, sagt er. Er lag drei Stunden<br />
im Koma und litt immer noch unter<br />
Schwindel, als er zwei Monate später wieder auf<br />
der Bahn war.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 83
84 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
RETRO<br />
PATRICK SERCU<br />
SENSATIONELLES SOLO<br />
1977 war Sercu entschlossen, zur Tour de France<br />
zurückzukehren, aber Brooklyn war immer noch<br />
unentschlossen; ihre Priorität war der italienische<br />
Markt, und sie wollten nur zur Tour, wenn Roger<br />
De Vlaeminck sie fahren wollte. The Gypsy hatte<br />
keine Lust – er hatte sich nie wirklich von seinem<br />
Versuch erholt, Merckx 1969 zu schlagen –, daher<br />
schloss sich Sercu seinem alten Freund, dem<br />
Kannibalen, beim Fiat-Team an, das der explo -<br />
sive und kämpferische Raphaël Géminiani managte.<br />
(„Ein lustiger Sportlicher Leiter“, reflektierte<br />
Sercu, „aber es war nicht schwer, Rennen zu<br />
gewinnen, wenn du Merckx unter deinen Fittichen<br />
hattest.“)<br />
Merckx hatte mittlerweile seinen Zenit überschritten<br />
– er sollte seine Karriere im folgenden<br />
Frühjahr beenden, ein Schatten seiner selbst –,<br />
aber Sercu holte in der Saison 18 Siege, darunter<br />
Kuurne–Brüssel–Kuurne und weitere drei Etappen<br />
der Tour. Zwei davon waren Massensprints;<br />
der erste Teil der 7. Etappe nach Angers, wo Fiat<br />
das Mannschaftszeitfahren am Nachmittag gewann,<br />
und die 46-Kilometer-Schleife von und<br />
nach Freiburg im Breisgau am Vormittag des französischen<br />
Nationalfeiertags. Aber es war der<br />
Etappensieg in Charleroi 36 Stunden vor Freiburg,<br />
der für Aufsehen sorgte: ein 175-Kilometer-Solo<br />
durch Belgien, das er kurz vor der Grenze in Roubaix<br />
gestartet hatte.<br />
Wie Sercu sagte, war es überhaupt nicht geplant<br />
und komplett verrückt. Er hatte den Massensprint<br />
im Velodrom von Roubaix gewonnen<br />
und strebte wieder das Grüne Trikot an. Am folgenden<br />
Morgen ging er in eine sechsköpfige Ausreißergruppe<br />
(in der das Gelbe Trikot Didi Thurau<br />
war), um die Punkte am ersten „Hotspot“-Sprint<br />
des Tages ab zuräumen. Nach dem<br />
Sprint nahmen seine Begleiter die<br />
Beine hoch, er aber fuhr weiter.<br />
„Es war nur aus Spaß, weil sie<br />
mich alle anschrien, nur um mich<br />
aufzuziehen“, sagte er.<br />
Er fuhr sofort eine Minute heraus.<br />
„Ich war wütend auf mich<br />
selbst, es war nicht meine Idee,<br />
weiterzufahren, aber ich wollte<br />
nicht die Beine hochnehmen, weil<br />
ich dachte, sie würden mich alle<br />
auslachen.“ Sein erstes Ziel war die<br />
Muur van Geraardsbergen; nachdem<br />
er sie überwunden hatte, wartete<br />
eine Prämie von 100.000 belgischen<br />
Francs vor der Aktienbörse<br />
in Brüssel. „Dort hatten sie ein Photofinish eingerichtet,<br />
aber das war gar nicht nötig, ich hatte einen<br />
Vorsprung von drei Minuten. Ich spürte die Pedale<br />
nicht richtig; da war eine riesige Menge, es waren<br />
alles Belgier, sie kannten mich alle und ich kannte<br />
88<br />
Sixday-<br />
Siege<br />
die meisten von ihnen. Raleigh leistete mittlerweile<br />
Nachführarbeit, aber sie konnten nichts ausrichten;<br />
Jan Raas fuhr zu Eddy Merckx auf und fragte<br />
ihn, ob ich in einem Auto sei.“<br />
Nach Brüssel war das nächste Ziel die Verpflegungszone;<br />
hier betrug sein Vorsprung sechs Minuten.<br />
„Ich dachte: Ich mache ein 100-Kilometer-Zeitfahren<br />
und nehme dann raus; dann dachte<br />
ich: Ich kann auch einfach weiter durchziehen. Ich<br />
hatte genug Zeit, um etwas zu essen<br />
und mir den Massensprint anzuschauen.“<br />
Doch Sercu litt noch<br />
unter den Nachwirkungen des<br />
Sturzes in Ozegnia; sein Rücken<br />
war so steif, dass er kaum die Trophäe<br />
hochheben konnte. Es war<br />
ein Sieg mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit<br />
von 42 km/h,<br />
der, wie der Journalist Geoffrey<br />
Nicholson damals schrieb, „zeigte,<br />
wie weit er sich als Allrounder entwickelt<br />
hatte“. Er brachte ihm auch<br />
40 lukrative Verträge bei Kriterien<br />
für die Zeit nach der Tour ein.<br />
Wie bei vielen anderen in jener<br />
Tour, bei der nur 53 Fahrer Paris<br />
erreichten, endete sein Rennen vorzeitig – in<br />
Alpe d’Huez nach der 17. Etappe. Merckx eröffnete<br />
das Rennen an dem Tag früh; das 30-köpfige<br />
Gruppetto bildete sich am ersten Berg und<br />
erreichte den Fuß der Alpe ungefähr zu der Zeit,<br />
als Hennie Kuiper oben die Ziellinie überquer -<br />
te. Sie wurden alle eliminiert. „An dem Abend<br />
schaute ich mich im Spiegel an“, sagte mir Ser -<br />
cu. „Ich war dünn und fertig. Ich kam zu dem<br />
Schluss, dass es nicht möglich war, eine Straßen-Saison<br />
und die Sechstagerennen zu absolvieren.“<br />
Von da an fuhr er nur noch für kleine<br />
belgische Teams, sodass er seine Saison genau<br />
so planen konnte, wie er wollte.<br />
Für Sercu waren die Sechstagerennen eine<br />
lukrative Sache. „Ich Winter verdiente ich doppelt<br />
so viel wie im Sommer; es ging alles ums Startgeld,<br />
nicht den Vertrag mit dem Team. Die Teams<br />
hatten ein kleines Budget, die Gehälter waren<br />
niedrig; ein Fahrer wie Van Looy gewann die Straßen-Weltmeisterschaft<br />
und fuhr dann zehn<br />
Sechstagerennen, um sein Geld zu verdienen. Die<br />
Sixdays waren genauso wie die Kriterien auf der<br />
Straße; je besser dein Palmarès, desto höher deine<br />
Gage.“ Das Aufkommen großer Team-Budgets<br />
und hoher Gehälter in den 1980ern änderte das<br />
komplett, killte sowohl Kriterien als auch Sechstagerennen<br />
und schnitt nach Meinung vieler, auch<br />
Sercus, die Stars der Straße vom Publikum ab.<br />
Sercu im belgischen Nationaltrikot<br />
bei der Bahn-WM in München 1978.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 85
RETRO<br />
PATRICK SERCU<br />
Sercu (l.) und Eddy Merckx waren nicht<br />
nur Kollegen, sondern auch Freunde.<br />
ZEITENWECHSEL<br />
© Offside Sports Photography<br />
Eine Handvoll Winter-Bahnrennen überlebt, aber<br />
gerade so eben. Sercus Herzensprojekt Gent<br />
hängt teilweise von einem großen Kontingent anreisender<br />
britischer Fans ab. London wurde neu<br />
geboren; das heutige Format mit abendlichen statt<br />
nächtlichen Rennen entwickelte sich beim Skol in<br />
den späten 1960ern. Es war ein Moment, den<br />
Sercu zu genießen schien.<br />
„Der Direktor Ron Webb war der Vater der modernen<br />
Sechstagerennen; in London brauchtest du<br />
eine Lizenz, um eine Bar nach Mitternacht offenzuhalten,<br />
und Webb erkannte, dass er würde zahlen<br />
müssen, wenn er Fahrer zu einer Zeit fahren<br />
ließ, wo das britische Publikum nicht auftauchen<br />
würde. Früher fuhren wir von Mitternacht bis fünf<br />
Uhr morgens; Webb stellte das auf die Zeit von<br />
sechs Uhr abends bis Mitternacht um. Peter Post<br />
nahm das Format nach Rotterdam mit und alle<br />
machten es nach. Jetzt fahren sie in den Stunden,<br />
in denen wir uns früher ausruhten.“<br />
Als wir uns trafen, legte Sercu Wert darauf,<br />
mir die Bedeutung des Bahnradsports zu erklären,<br />
klarzumachen, was es ihm bedeutet hatte,<br />
was es gewesen war und was es sein sollte. Er war<br />
ein aus der Zeit gefallener Mann, der hart dafür<br />
gekämpft hatte, zu bewahren, was er für einen<br />
wichtigen Teil des Vermächtnisses des Radsports<br />
hielt. Er war Direktor des Velodroms in Gent geworden<br />
und hatte viel dazu beigetragen, dort die<br />
Tradition der Sechstagerennen aufrechtzuerhalten.<br />
Er protestierte, als ein Fahrer wie Bradley<br />
Wiggins – ein Mann mit einem Bahnhintergrund,<br />
der seinesgleichen sucht – nicht beim Sechstagerennen<br />
starten sollte, weil er sich auf die Tour<br />
konzentrieren musste.<br />
„Ich höre den Unsinn seit Jahren, dass, wenn<br />
ein Fahrer ein oder zwei Sechstagerennen fährt,<br />
er seine Form für das Frühjahr beeinträchtigt.<br />
Merckx hat 17 Sechstagerennen gewonnen.“ Um<br />
fair zu Wiggins zu sein: Er blieb Sercu treu und<br />
beendete seine Karriere bei dessen Gent Six, um<br />
den „König der Sechstagerennen“ in seinem Bemühen<br />
zu unterstützen, die Sechstagerennen am<br />
Leben zu erhalten. „Die Bahn ist die Grundschule<br />
des Radsports; ein Fahrer sollte sie an einem bestimmten<br />
Punkt besuchen“, schloss Sercu. „Aber<br />
das Problem ist, dass es nur von örtlichem Interesse<br />
ist, deswegen sind die größten Fahrer und die<br />
größten Teams nicht interessiert.“<br />
2 2<br />
PARIS–<br />
NIZZA<br />
ETAPPEN-<br />
SIEGE<br />
Für einen Bahnspezialisten war Patrick<br />
Sercu auf der Straße ausgesprochen<br />
erfolgreich. Vor allem bei Rundfahrten<br />
glänzte er; beim Giro d’Italia holte er<br />
insgesamt 13 Etappensiege.<br />
TOUR DE<br />
ROMANDIE<br />
4<br />
TIRRENO–<br />
ADRIATICO<br />
13<br />
GIRO<br />
D’ITALIA<br />
4<br />
CRITÉRIUM<br />
DU DAUPHINÉ<br />
6<br />
TOUR DE<br />
FRANCE<br />
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88 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
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Formensprache treu und stellen<br />
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noch ein zukunftsweisendes Rennrad<br />
vor. Per „Tuned Complience<br />
Concept“ wird dem Allrounder<br />
hoher Fahrkomfort eingehaucht;<br />
beim Topmodell trägt auch das<br />
Carbon-Cockpit zur Vibrationsdämpfung<br />
bei. Ebenfalls hilfreich ist<br />
der große Reifendurchlauf. In der<br />
edlen Ausführung mit Sram Red<br />
eTap AXS 2 x 12 bietet das Rad<br />
einen unerreicht großen Übersetzungsumfang<br />
bis hinunter zu 1:1,<br />
womit es auch schwere Bergtouren<br />
mitmacht; als kleine Bike packing-<br />
Reverenz lässt sich am Oberrohr<br />
eine Tasche anbringen. 7,71 Kilo<br />
zuzüglich Pedale bringt dieses<br />
Traumrad auf die Waage. Die<br />
spitzenmäßige Ausstattung,<br />
zu der auch Enve-Laufräder<br />
und Tubeless-Reifen von<br />
Vittoria gehören, bedingt<br />
den hohen Preis.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 89
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Der formschöne Fahrradkoffer weist<br />
zahlreiche praktische Merkmale auf, die<br />
dem Reisenden das Leben erleichtern.<br />
Laufradtaschen sind selbstverständlich<br />
dabei; weniger üblich ist ein integrierter<br />
Montageständer, der den Zusammenbau<br />
am Urlaubsort erleichtert. Steckachsenadapter<br />
(15 und 20 Millimeter) ver e in -<br />
fa chen die sichere Befestigung moder -<br />
ner Rennmaschinen; mit dem tiefen<br />
Deckel ist das Hineingreifen deut lich<br />
unkomp lizierter. Der mit soliden, leise<br />
laufenden Rollen versehene Rad koffer<br />
wiegt 17,5 Kilo und misst 137 x 40 x 94<br />
Zenti meter, womit er sehr kippsicher ist.<br />
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Der Trend zu großflächigen Brillen wurde nicht<br />
zuletzt durch Peter Sagan befeuert, auf dessen<br />
Nase die S3 prominent platziert ist. Ander als so<br />
manche schrille Sportbrille der Vergangenheit<br />
hat dieses Modell jedoch in erster Linie funktionelle<br />
Qualitäten: Die angenehm gewölbte,<br />
großflächige Scheibe bietet Schutz vor Zugluft<br />
und Fremdkörpern, mit gummierten Bügeln hält<br />
die Brille auch bei starker Schweißbildung fest<br />
am Kopf. Und dank des elastischen Materials sitzt<br />
sie angenehm, ohne zu drücken. Das Gestell wird<br />
in Italien gefertigt, die Scheibe in Frankreich;<br />
Wechselscheiben in diversen Ausführungen<br />
sowie mehrere Rahmenfarben gibt es natürlich<br />
auch noch.<br />
90 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
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Assos hielt sich in Sachen<br />
Sponsoring lange vornehm<br />
zurück, doch inzwischen<br />
können sich zumindest die<br />
Profis von Dimension Data<br />
über das hochwertige Outfit mit<br />
den legendär komfortablen<br />
Radhosen freuen. Das RS Short<br />
Sleeve Jersey wird aus 3D-Strick<br />
mit hoher Elastizität gefertigt<br />
und verfügt über ein stabilisierendes<br />
Gewebe am Rücken, was<br />
bei vollen Taschen nützlich ist.<br />
Die Equipe RS Bib Shorts S9<br />
fallen mit der völlig neu<br />
konzipierten, minimalistischen<br />
Trägerpartie auf. Das Sitzpolster<br />
ist etwas kleiner geworden, soll<br />
aber nie gekannten Halt bieten<br />
und mit „MicroShock“-Schaum<br />
und gewaffelter Oberfläche<br />
Vibrationsdämpung und<br />
Kühlung bringen.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 91
WUNSCHLISTE<br />
R2-BIKE<br />
EXTRALITE<br />
MCFK<br />
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Kaum mehr als 1.200 Gramm wiegt der<br />
edle Radsatz, den r2 für Disc-Rennräder<br />
anbietet und der mit 26 Millimeter breit<br />
bauenden, 35 Millimeter tiefen Felgen<br />
auch aerodynamisch keineswegs unbe -<br />
gabt ist. Die in Leipzig per Monocoque-<br />
Verfahren gefertigten Felgen können<br />
schlauchlos gefahren werden und sind<br />
mit 17,5 Millimeter Maulweite auch auf<br />
Querfeldein-Bereifung zugeschnitten;<br />
8,5 bar Maximaldruck sprechen für<br />
große Stabilität. Das Minimalgewicht<br />
von 572 Gramm fürs Vorder- und<br />
647 Gramm fürs Hinterrad kommen<br />
auch durch die Extralite-Naben zustande,<br />
die auf Sechs-Loch-Rotoren zugeschnitten<br />
sind; auffällig ist die tangentiale<br />
Einspeichung links vorne, womit die<br />
Bremskräfte besser verdaut werden.<br />
92 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
WUNSCHLISTE<br />
TUNE<br />
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Der praktische Flachmann ist immer<br />
dabei, wenn ein größerer Tubeless-<br />
Defekt unterwegs Dichtmittel austreten<br />
lässt, und auch in herkömmliche Schläu -<br />
che lässt sich die Schwarzwaldmilch<br />
zum Abdichten einfüllen. Vor allem aber<br />
verspricht die Mischung ohne Ammoniak<br />
und Latex eine deutlich längere Haltbar -<br />
keit bzw. Wirksamkeit als herkömmliche<br />
Mittel – die synthetische Emulsion soll<br />
bis zu zwölf Monate lang Stiche und<br />
Schnitte versiegeln. Das Procycling-<br />
Schwestermagazin World of MTB verlieh<br />
der neuartigen Dichtmilch bereits das<br />
Siegel „Best of <strong>2019</strong>“ – das sagt alles.<br />
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werden unter anderem von Bahrain-<br />
Merida und Bora–hansgrohe in der<br />
WorldTour verwendet, was für hohe<br />
Wirksamkeit spricht. Mit dem Dreierset<br />
sind die wichtigsten Pflegemittel<br />
preisgünstig zu haben; wer sein Rad<br />
besonders liebt, gönnt ihm dazu die<br />
Rahmenpolitur, die auch vor mattem<br />
Lack nicht kapituliert – anders als so<br />
manches Profiteam, das aufgrund<br />
ungeeigneter Reinigungsmittel wieder<br />
zu „glänzend“ wechseln musste.<br />
Praktisch sind die Pinselaufsätze, die<br />
punktgenaues Reinigen des Antriebs<br />
und Ölen der Kette zulassen.<br />
AUGUST <strong>2019</strong> | PROCYCLING 93
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ÜBER RUHM UND DRUCK<br />
JULI <strong>2019</strong> | Nummer 185<br />
Simon Yates | Giro-Vorschau | Pascal Ackermann | Radtest: Sechs Aerorenner von Cannondale bis Trek | Deutschland Tour<br />
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RENNEN<br />
FRISCHES GELD<br />
Jim Ratcliffe:<br />
Der Mann hinter<br />
DER dem Team IneosWELT<br />
DER TITELVERTEIDIGER<br />
Geraint Wir Thomas fragen spricht Fahrer, über Manager<br />
seine Chancen RETRO: auf Gelb ONCE<br />
und Experten, warum sie<br />
Das spanische<br />
den Giro Superteam lieben<br />
DIE<br />
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DES GIRO<br />
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Neues Jahr, neue Höhen?<br />
Der deutsche Meister<br />
im Gespräch<br />
der 1990er-Jahre<br />
SIMON YATES<br />
MAXIMILIAN<br />
SCHACHMANN<br />
In der Weltspitze angekommen<br />
RÜCKKEHR NACH ITALIEN –<br />
DER VUELTA-SIEGER WILL DAS ROSA TRIKOT<br />
MATHIEU<br />
VAN DER POEL<br />
Tour-Vorschau | Geraint Thomas | Degenkolb & Co. | Dylan Groenewegen | Romain Bardet | Nairo Quintana | La Course<br />
Vom Cross-Weltmeister<br />
zum Klassiker-Star<br />
DYLAN GROENEWEGEN<br />
Der niederländische Sprinter<br />
geht zuversichtlich in die Tour<br />
DEUTSCHE FAHRER<br />
Die Siegesprognosen der<br />
deutschen Tour-Hoffnungen<br />
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DAS LETZTE WORT<br />
JENS VOIGT<br />
Der Verlust großer Namen für die Tour lässt Jens fragen, wer Gelb gewinnen wird.<br />
© Getty Images<br />
Der Monat Juni hat bei mir<br />
mehr Fragen als Antworten<br />
über das große Rennen aufgeworfen,<br />
das ihr gerade alle anschauen<br />
werdet – die Tour de France.<br />
Ich war ein wenig verwirrt von der<br />
Abwesenheit so vieler großer Namen<br />
der Sprinter. Marcel Kittel befindet<br />
sich im selbst gewählten Exil, und<br />
wer weiß, was seine Zukunft bringt?<br />
André Greipel ist zwar dabei, scheint<br />
seine Beine für sein neues Team in<br />
dieser Saison aber noch nicht gefunden<br />
zu haben, und Mark Cavendish<br />
befindet sich nach der Überwindung<br />
des Epstein-Barr-Virus nicht im Aufgebot<br />
seines Teams.<br />
Ich weiß, dass die Genannten bereits<br />
als die alte Garde angesehen<br />
werden, aber bei diesen drei Fahrern<br />
sprechen wir von über 55 Etappensiegen<br />
in den letzten Jahren und<br />
über aufregende Schlachten.<br />
Die Helden meiner Jugend (darf<br />
ich das in meinem Alter sagen?)<br />
beginnen zu gehen und ich bin ein<br />
wenig traurig darüber. Natürlich<br />
gewinnt Peter Sagan immer noch,<br />
aber ich habe ihn noch nie als reinen<br />
Sprinter gesehen. Er ist einfach ein<br />
Weltklasse-Radfahrer. Obwohl er in<br />
diesem Jahr bisher nicht das letzte<br />
Prozent hatte, um ihn zu dem perfekten<br />
und spektakulären Fahrer zu<br />
machen, der er in den letzten fünf<br />
oder sechs Jahren war. Das ist normal<br />
und menschlich – nach so vielen<br />
Jahren auf höchstem Level verlangsamen<br />
sich Körper und Geist ein<br />
wenig. Vielleicht braucht er etwas<br />
mehr Konzentration, aber dieser<br />
Etappensieg bei der Tour de Suisse<br />
hat mir gezeigt, dass er vielleicht das<br />
Engagement und die Motivation finden<br />
kann, auch weiterhin ein Superstar<br />
zu sein. Wer weiß? Vielleicht<br />
hat er das bei der Tour schon gezeigt,<br />
wenn ihr das hier lest.<br />
Wir hatten eine ähnliche Situation<br />
bei den Klassementfahrern. Alle,<br />
die im Giro heftig gekämpft haben,<br />
ruhen sich jetzt aus, außer Vincenzo<br />
Nibali, der gesagt hat, dass diese<br />
Tour für Etappensiege und das Bergtrikot<br />
anstelle des Klassements<br />
stünde. Chris Froome stürzte beim<br />
Critérium du Dauphiné, und Tom<br />
Dumoulin zog sich mit seiner anhaltenden<br />
Knieverletzung von der Tour<br />
zurück. Selbst der Titelverteidiger<br />
Geraint Thomas zeigte bisher nicht<br />
die nötige Form.<br />
Was ist mit den Gewinnern?<br />
Als ich sah, wie Egan Bernal in der<br />
Schweiz gewann, war ich überzeugt,<br />
dass er auch die Tour leicht gewinnen<br />
könnte. Er ist jung und die ersten<br />
Vier der letztjährigen Tour sind<br />
entweder nicht beim Rennen oder<br />
nicht in Topform.<br />
Bei der Dauphiné öffnete sich<br />
die Tür für meinen alten Freund<br />
und Teamkollegen Jakob Fuglsang,<br />
der das Rennen zum zweiten Mal<br />
ICH ERINNERE MICH, ALS JAKOB ENDE<br />
20<strong>08</strong> NACH DEM SIEG BEI DER DÄNEMARK-<br />
RUNDFAHRT ZU MEINEM TEAM CSC KAM.<br />
ER BESASS UNGESCHLIFFENES TALENT<br />
UND EINEN MUTIGEN RENNSTIL.<br />
gewann. Was für ein tolles Jahr er<br />
hat. Er erreichte die Podien bei allen<br />
Ardennenklassikern, gekrönt<br />
durch den Sieg in Lüttich–Bastogne–Lüttich<br />
und eben nun auch die<br />
Dauphiné.<br />
Ich erinnere mich, als Jakob Ende<br />
20<strong>08</strong> nach dem Sieg bei der Dänemark-Rundfahrt<br />
zu meinem Team<br />
CSC kam. Er besaß ungeschliffenes<br />
Talent und einen mutigen Rennstil.<br />
Er zeigte nie Angst vor großen Namen<br />
und hatte immer ein kleines<br />
Lächeln auf den Lippen. Und er ist<br />
ein starker Fahrer in den Bergen und<br />
beim Zeitfahren.<br />
Nachdem er die Dauphiné gewonnen<br />
hat, wurde er natürlich zu einem<br />
Jens’ ehemaliger Teamkollege<br />
Fuglsang holte sich seinen zweiten<br />
Gesamtsieg bei der Dauphiné.<br />
Favoriten für die Tour. Bisher schien<br />
bei ihm bei der großen Schleife in<br />
Frankreich immer etwas schief zu<br />
gehen – entweder im Kopf oder in<br />
den Beinen –, aber ich drücke ihm<br />
die Daumen für dieses Jahr.<br />
Jens Voigt beendete seine Profi -<br />
karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />
Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />
und beliebtesten Fahrer<br />
im Peloton. Unter anderem hielt er<br />
für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />
98 PROCYCLING | AUGUST <strong>2019</strong>
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Gesundheitsexperten und Spitzensportler schätzen die hohe Bekömmlichkeiten, den<br />
leichten Geschmack und die einzigartige<br />
Wirkung des „Leichtesten Wasser Europas“.<br />
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Warum hast du dich für LAURETANA entschieden?“<br />
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