Berliner Zeitung 09.07.2019
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10 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 156 · D ienstag, 9. Juli 2019<br />
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Berlin<br />
Friedrichstraße<br />
wird an einigen<br />
Tagen autofrei<br />
Bezirk Mitte hat konkrete<br />
Pläne für Anfang September<br />
VonStefan Kruse<br />
Ein Teil der Friedrichstraße wird<br />
voraussichtlich im September<br />
und im Dezember für einige Tage<br />
autofrei. Entsprechende konkrete<br />
Pläne des Bezirks Mitte,der Senatsverkehrsverwaltung<br />
und von Anrainern<br />
bestätigte Bezirksbürgermeister<br />
Stephan von Dassel am<br />
Montag.<br />
Wie der Grünen-Politiker dem<br />
RBB sagte, soll die Einkaufsmeile<br />
zunächst vom 6.bis 8. September<br />
zwischen Unter den Linden und<br />
Leipziger Straße für Autos gesperrt<br />
werden –auch wenn der zunächst<br />
an diesem Wochenende berlinweit<br />
geplante verkaufsoffene Sonntag<br />
gerichtlich untersagt wurde.<br />
Angedacht ist das zudem in der<br />
Vorweihnachtszeit rund um den<br />
zweiten Advent, dann womöglich<br />
sogar länger als drei Tage. Andem<br />
Wochenende sollen nach bisherigen<br />
Plänen des Senats auch am<br />
Sonntag Geschäfte öffnen dürfen.<br />
In beiden Testläufen sollen Erfahrungen<br />
gesammelt werden für<br />
mögliche weitergehende Lösungen<br />
in den kommenden Jahren.<br />
Für die Aktion im September ist<br />
nach Angaben von Dassels ein<br />
Rahmenprogramm in Vorbereitung.<br />
„Eine Idee ist, jungen <strong>Berliner</strong><br />
Modedesignern die Möglichkeit zu<br />
geben, ihre Kreationen zu präsentieren“,<br />
sagte der Bürgermeister<br />
der Deutschen Presse-Agentur. Als<br />
Termin komme Samstag, der 7.<br />
September,inFrage.<br />
Von Dassel geht davon aus, dass<br />
es am darauffolgenden Sonntag für<br />
Fußgänger, Rad- oder Tretrollerfahrer<br />
auch ohne geöffnete Läden attraktiv<br />
ist, eine Straße ohne Autolärm,<br />
Abgase und Stau zu erleben<br />
und zu nutzen. Auch ohne Einkaufsmöglichkeit<br />
werde das Erlebnis einer<br />
autofreien Stadt möglich sein.<br />
Ein Südsee-Boot für das Humboldt-Forum<br />
Im <strong>Berliner</strong> Humboldt-Forum soll in Zukunft auch ein nachgebautes<br />
Segelboot aus Fidschi stehen. Spediteure lieferten die Einzelteile am<br />
Montag zunächst nach Dahlem, wo bisher die Ethnologische Sammlung<br />
untergebracht ist. „Dort wird das Holz noch einmal konservatorisch<br />
behandelt“, sagte ein Sprecher der Staatlichen Museen. Später<br />
wirddas Boot im Humboldt-Forum zusammengesetzt. DasKulturzentrum<br />
im wiederaufgebauten <strong>Berliner</strong> Schloss auf der Spreeinsel soll in<br />
Etappen ab September 2020 öffnen. Dortwerden unter anderem mehr<br />
Auf die billige Tour<br />
DPA/BRITTA PEDERSEN<br />
als 20 000 Kunstwerke und Gegenstände aus Asien und Afrika, Amerika<br />
und Ozeanien gezeigt. Das etwa elf Meter lange Doppelrumpfboot sei<br />
auf den Inseln Viti Levu und Ogea Levu für das Museum nachgebaut<br />
worden, erklärte der Sprecher.Vorbild sei ein Boot von1913. Kinder sollen<br />
das Schiff kletternd erkunden können. DasBoot –eine sogenannte<br />
Drua –wird eines von insgesamt sechs Südseebooten im Humboldt-<br />
Forumsein. Einige der Südseeschiffe kamen durch Aktionen deutscher<br />
Kolonialisten nach Berlin. (dpa)<br />
Michael Müller will den Preis für die Umwelt-Jahreskarte mehr als halbieren –und löst eine Debatte aus<br />
<strong>Berliner</strong> sollen<br />
künftig mehr<br />
mitreden<br />
Stadtentwicklung: Senat will<br />
Bürger stärker einbinden<br />
Die Menschen in Berlin sollen bei<br />
der Planung neuer Wohnungsbau-,<br />
Verkehrs- und Stadtentwicklungsprojekte<br />
mehr und früher mitreden<br />
dürfen. Auf diese Weise sollen<br />
die Akzeptanz der Vorhaben erhöht<br />
und Konflikte etwa mit Anwohnern<br />
frühzeitig ausgeräumt werden. Den<br />
Rahmen dafür bilden neue Spielregeln<br />
für die Partizipation, die Stadtentwicklungssenatorin<br />
Katrin Lompscher<br />
(Linke) am Montag vorstellte.<br />
Demnach soll die Verwaltung bei<br />
Vorhaben des Landes –etwa einer<br />
neuen Tramlinie, einem neuen<br />
Wohnhaus oder der Umgestaltung<br />
eines Platzes im Kiez –früher über<br />
die Ziele informieren. Sie soll auch<br />
klar und verbindlich definieren, bis<br />
wann Bürger an den Planungen mitwirken<br />
und was sie konkret mitbestimmen<br />
können.<br />
Vorgesehen sind zudem eine zentrale<br />
Anlaufstelle für ganz Berlin sowie<br />
regionale Stellen in den Bezirken,<br />
in denen Bürger, die mitreden<br />
wollen, unterschiedlichste Hilfestellung<br />
bekommen können. Sie sollen<br />
auch die Möglichkeit haben, selbst<br />
ein Beteiligungsverfahren bei Vorhaben<br />
anzuregen, bei denen das zunächst<br />
nicht vorgesehen ist. Eine Regel<br />
besagt, dass die Menschen in jedem<br />
Fall Rückmeldungen erhalten,<br />
was aus ihren Vorschlägen geworden<br />
ist. Die Haushaltsmittel für Partizipation<br />
werden aufgestockt.<br />
Setzt auf Bürgernähe: Stadtentwicklungssenatorin<br />
Katrin Lompscher<br />
DPA<br />
Im Dezember wardie Friedrichstraße<br />
schon mal zwei Stunden autofrei. B. FRIEDEL<br />
Befürworter, zu denen neben<br />
von Dassel mehrere Initiativen sowie<br />
andere Kommunal- und Landespolitiker<br />
gehören, verbinden<br />
mit dem Projekt Friedrichstraße<br />
zwei Ziele: Zum einen – und das<br />
steht im Vordergrund –könnte es<br />
ein Schritt in Richtung autofreie<br />
Stadt und sauberereLuft sein. Ähnliche<br />
Ziele verfolgt auch der Bezirk<br />
Friedrichshain-Kreuzberg mit dem<br />
Modellprojekt einer Begegnungszone<br />
in der Bergmannstraße.<br />
Zum anderen gibt es bei einigen<br />
die Hoffnung, den Handel in der<br />
kriselnden Einkaufsmeile anzukurbeln,<br />
in der Luxusboutiquen<br />
ebenso zum Bild gehören wie leerstehende<br />
Läden. Hier sind aber<br />
nicht zuletzt die Händler selbst<br />
skeptisch.<br />
Die Aktion in diesem Jahr<br />
könnte erst der Anfang sein: Wie<br />
von Dassel weiter ankündigte,<br />
steht voraussichtlich im Mai kommenden<br />
Jahres ein sogenannter<br />
Verkehrsversuch an. Dabei soll genauer<br />
und „gerichtsfest“ erhoben<br />
werden, was eine längere Sperrung<br />
der Friedrichstraße im Hinblick auf<br />
Verkehrsströme und Unfallhäufigkeit<br />
bringen würde. „Und dann<br />
muss man, glaube ich, nächsten<br />
Sommer überlegen, was man langfristig<br />
tut“, sagte von Dassel dem<br />
RBB. (dpa)<br />
Die Idee des Regierenden<br />
Bürgermeisters Michael<br />
Müller (SPD), eine Jahreskarte<br />
für Busse,Trams<br />
und U-Bahnen für 365 Euro im Jahr<br />
anzubieten, stößt bei den Grünen<br />
auf Skepsis, bei der Opposition auf<br />
Kritik.<br />
Müller hatte bei einer Diskussionsrunde<br />
der Neuen Zürcher <strong>Zeitung</strong><br />
in der Schweiz angekündigt:<br />
„Ich will Schritt für Schritt auch das<br />
Ziel verfolgen, ein Jahresticket für<br />
den öffentlichen Personennahverkehr<br />
für 365 Euro anbieten zu können.“<br />
Vorbild sei die Stadt Wien,<br />
sagte Müller in der Gesprächsrunde<br />
mit seinen Amtskollegen aus Wien<br />
und Zürich.<br />
„Der Vorschlag kommt überraschend“,<br />
sagte Harald Moritz, verkehrspolitischer<br />
Sprecher der Grünen,<br />
der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>. Bisher sei<br />
über das 365-Euro-Ticket nicht konkret<br />
gesprochen worden. „Ich werte<br />
das als erstenVorschlag der SPD,darüber<br />
zu beraten.“ Vorallem mit Blick<br />
auf die Kosten ist Moritz skeptisch:<br />
DasTicket koste dann nur noch halb<br />
so viel wie zurzeit, die BVG aber<br />
brauche das Geld. „Die Differenz<br />
muss irgendwie reinkommen –erstmal<br />
müsste sie dann also aus dem<br />
Steuertopf gezahlt werden“, so Moritz.<br />
Er gehe allerdings davon aus,<br />
dass die Gelder für Müllers Vorstoß<br />
noch nicht im Haushaltsentwurf<br />
eingeplant seien, der in der nächsten<br />
Woche vorgelegt werden soll.<br />
Die Grünen und Linken, Koalitionspartner<br />
der SPD, haben außerdem<br />
andere Pläne für den Öffentlichen<br />
Nahverkehr, die einander gleichen:<br />
Beide wollen eine monatliche<br />
Summe von allen <strong>Berliner</strong>n kassieren,<br />
die dann ohne Ticket BVG fahren<br />
dürfen. Die Grünen nennen ihr<br />
Modell „Solidarische Umlage Finanzierung“<br />
und wollen das ticketfreie<br />
Für einen Euro am Tagdurch die Stadt: 365 Euro soll die Jahreskarte kosten. IMAGO IMAGES<br />
Berlin: Die Umweltkarte des<br />
Verkehrsverbunds Berlin-<br />
Brandenburg für das <strong>Berliner</strong><br />
Stadtgebiet kostet bislang<br />
761 Euro im Jahr.Von August<br />
an bekommen Azubis die<br />
Jahreskarte für 365 Euro.<br />
Fahren zeitlich begrenzen –zuStoßzeiten<br />
von7bis 10 Uhrmorgens zum<br />
Beispiel soll es nicht möglich sein.<br />
DieLinken nennen ihr Modell „Öffi-<br />
Flatrate“ und verzichten auf zeitliche<br />
Begrenzungen.<br />
Alle Möglichkeiten werden zurzeit<br />
von der Senatsverkehrsverwaltung<br />
in einer Studie geprüft und berechnet<br />
– die Ergebnisse werden<br />
nach Auskunft der Verwaltung allerdings<br />
noch einige Zeit auf sich wartenlassen.<br />
DieCDU bewertet MüllersVorhaben<br />
als „interessant“, aber unrealis-<br />
STÄDTE-VERGLEICH<br />
Wien: In der österreichischen<br />
Hauptstadt ist die<br />
Jahreskarte seit dem Jahr<br />
2012 für 365 Euro zu haben.<br />
Vorder Tarifänderung kostete<br />
die Jahreskarte in Wien<br />
449 Euro.<br />
Bonn: In der einstigen Bundeshauptstadt<br />
und in Reutlingen<br />
laufen aktuell Testphasen<br />
mit 365-Euro-Karten.<br />
Finanziertwird das<br />
Ganze mit Hilfe vonBundeszuschüssen.<br />
tisch: „Anders als in Österreichs<br />
Hauptstadt ist unser Nahverkehr leider<br />
unterfinanziert“, teilte die Partei<br />
mit. Es fehlten Fahrzeuge, die Takte<br />
seien auf einigen U-Bahn-Linien<br />
deswegen zuletzt verlängertworden.<br />
„Hier müssen klar die Prioritäten liegen.<br />
Müller müsse klar machen, wie<br />
er seinen Vorschlag finanzieren<br />
wolle. Solange im neuen Doppelhaushalt<br />
keine zusätzlichen Gelder<br />
eingeplant seien, „muss sich Berlins<br />
Regierender Bürgermeister fragen<br />
lassen, wie er die Übernahme des<br />
Wiener Modells finanzieren oder ob<br />
er doch nur Sommertheater spielen<br />
will“, sagte Oliver Friederici, verkehrspolitischer<br />
Sprecher der CDU-<br />
Fraktion.<br />
DieFDP betonte,dass der rot-rotgrüne<br />
Senat erst einmal ein stimmiges<br />
Gesamtkonzept für den ÖPNV<br />
vorlegen solle. Entscheidend seien<br />
außerdem nicht allein die Preise –<br />
sondern auch Sicherheit, Sauberkeit<br />
und ein gutes Angebot.<br />
Die BVG ist der Idee gegenüber<br />
aufgeschlossen, verweist aber auf<br />
begrenzte Ressourcen: „Jede Idee ist<br />
gut, die dazu führt, dass mehr Menschen<br />
den ÖPNV nutzen“, sagte eine<br />
BVG-Sprecherin. Notwendig seien<br />
dann aber auch mehr Personal und<br />
Fahrzeuge. „Das ist eine sehr große<br />
Investition.“<br />
Wien hatte 2012 für Busse und<br />
Bahnen eine Jahreskarte für 365 Euro<br />
eingeführt, jeder zweite Wiener habe<br />
sie im Portemonnaie,bilanzierte das<br />
Beratungsunternehmen Civity in einer<br />
Studie,auf die die BVGamMontag<br />
hinwies. Allerdings sei die Zahl<br />
der Fahrgäste seither nicht stärker<br />
gestiegen als die der Einwohner, es<br />
werde auch nicht weniger Auto gefahren.<br />
In Wien war auch der Rabatt nicht<br />
so stark wie er in Berlin wäre: Vor<br />
2012 kostete die Jahreskarte in der<br />
österreichischen Hauptstadt 449<br />
Euro.Zugleich wurden ab 2012 Gelegenheitsfahrten<br />
deutlich teurer, erläutert<br />
die Studie. Der ÖPNV war<br />
schon vorher gewachsen, während<br />
die Parkgebühren stiegen.<br />
In Deutschland testen derzeit<br />
Bonn und Reutlingen mit Hilfe von<br />
Bundesförderung 365-Euro-Karten.<br />
Diese sollen mehr Menschen dazu<br />
bringen, das Auto stehen zu lassen<br />
und stattdessen Bus und Bahn zu<br />
fahren. Die SPD macht sich wie die<br />
Grünen auch auf Bundesebene dafür<br />
stark. (ann./dpa)<br />
Lompscher sprach von einem<br />
„neuen Kapitel der Bürgerbeteiligung“<br />
in Berlin. Sie zeigte sich überzeugt,<br />
dass mit den neuen Leitlinien<br />
„ein wichtiger Schritt hin zu mehr<br />
Partizipation und damit zu mehr Demokratie<br />
gelingen“ könne.<br />
Erarbeit hat die Spielregeln ein<br />
Gremium aus Fachleuten und interessierten<br />
<strong>Berliner</strong>n. Die Grünen-Abgeordnete<br />
Susanna Kahlefeld verwies<br />
als eine der Beteiligten auf einen<br />
zentralen Punkt: „Viel Konfliktpotenzial<br />
fällt schon mal weg, wenn<br />
die Leute wissen, was los ist, wenn<br />
sie wissen, warum die Bagger rollen<br />
sollen.“ Daher sei es wichtig, sie früher<br />
einzubinden.<br />
Lompscher zufolge entsteht nunmehr<br />
ein Umsetzungskonzept für<br />
die neuen Regeln, die so schnell wie<br />
möglich greifen sollen. Parallel dazu<br />
werden etwa die Anlaufstellen aufgebaut.<br />
Die Regeln sollen zunächst allein<br />
für Projekte des Landes gelten.<br />
Die Bezirke können sich andocken<br />
oder auf dieser Basis eigene Regeln<br />
aufstellen. Lompscher ermutigte<br />
auch private Investoren, das Thema<br />
Partizipation ernst zu nehmen und<br />
sich hier an den Landesregeln zu orientieren.<br />
Bürgerbeteiligung ist in Berlin<br />
zum Beispiel beim Thema Wohnen<br />
ein zweischneidiges Schwert: Einerseits<br />
wird häufig gefordert, angesichts<br />
des Mangels an bezahlbarem<br />
Wohnraum mehr Wohnungen zu<br />
bauen, auch im Rahmen sogenannter<br />
Nachverdichtung im Bestand.<br />
Andererseits rufen solche Vorhaben<br />
teils heftigen Widerstand von<br />
Anwohnern und lokalen Initiativen<br />
hervor, die – mitunter in fortgeschrittenen<br />
Planungsstadien –<br />
mehr Bürgerbeteiligung einfordern.<br />
Dies kann auch Verzögerungen bei<br />
wichtigen Vorhaben zur Folge haben.<br />
(dpa)