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faktor Sommer 2019

faktor - Das Entscheider-Magazin für die Region Göttingen

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leben<br />

»Plötzlich finde ich überall Worte,<br />

im Alltag, wenn ich unterwegs bin – und dann<br />

geht bildlich gesprochen eine Tür in mir auf und<br />

ein Bild zeigt sich. Das zeichne ich dann.«<br />

Mit 14 Jahren hat Marion<br />

Vina bereits eine Größe<br />

von 1,75 Meter erreicht<br />

– ein hochgeschossener,<br />

schlaksiger Teenager mit<br />

längsgestreiften, zu kurzen<br />

Hosen, die sie von<br />

ihrer zwei Jahre älteren<br />

Schwester auftrug. „Ich war schon ein wenig ulkig“, erzählt<br />

Vina heute herzlich lachend, während sie als Kind<br />

eher schwer mit sich selbst zurechtkam. Ihr fehlte das<br />

Selbstbewusstsein, stattdessen durchlebte sie ihre Pubertät<br />

mit unzähligen Zweifeln. Gezeichnet hat die heute<br />

58- jährige, in Sprockhövel – einem Ort im Ruhrgebiet –<br />

geborene Künstlerin bereits damals schon. Allerdings<br />

waren diese Bilder weniger Ausdruck ihrer inneren Persönlichkeit,<br />

als dass sie einfach Lust hatte zu zeichnen.<br />

Und das macht sie ziemlich gut. Mit elf Jahren nimmt<br />

sie an einem Zeichenwettbewerb teil, belegt den ersten<br />

Platz und gewinnt ein Fahrrad. Aber zuvor muss Vina<br />

vor der Jury ihr Talent beweisen, denn man will ungesehen<br />

nicht glauben, dass sie die eingereichten Bilder<br />

selbst gezeichnet hat. Durch ihren ersten Erfolg ermutigt,<br />

versucht sie zwei Jahre später erneut ihr Glück –<br />

dieses Mal bei einem Wettbewerb, den der Süßigkeitenhersteller<br />

Storck ausschreibt. Hier werden ihre Bilder<br />

abgelehnt. Die Begründung: ‚Das ist ein Wettbewerb<br />

für Kinder, da haben nicht die Eltern die Zeichnungen<br />

zu malen.‘<br />

EIN SPRUNG IN DAS JAHR 2017. Vierzig Jahre später<br />

hängen Bilder der inzwischen anerkannten Satirezeichnerin<br />

in einer Sammelausstellung in der Zentralmensa<br />

der Göttinger Universität, unter dem Titel ‚Geschmackssache‘.<br />

Doch auch dieses Mal muss sie einen Rückschlag<br />

hinnehmen. Vina gehörte zur Künstlergemeinschaft ‚Das<br />

KomiTee‘, die mit dieser Ausstellung im Herbst Aufsehen<br />

erregen sollte: Das Plakat zur Ausstellung von der<br />

Künstlerin Ulrike Martens zeigte einen Albert Einstein<br />

mit Schweineohren und wurde von der Jüdischen Gemeinde<br />

als antisemitisch verurteilt, die Bilder von Marion<br />

Vina wurden von der Gleichstellungsbeauftragten der<br />

Universität als sexistisch eingestuft. „Damals war gerade<br />

die #metoo-Debatte groß in den Medien. Meine Zeichnungen<br />

und Wortspiele, die durchaus eine Auseinandersetzung<br />

mit dem Thema darstellen, wurden völlig falsch<br />

interpretiert“, sagt Vina. Bis heute haben die Verantwortlichen<br />

nur bedingt den Dialog mit ihr gesucht, was<br />

sie sehr bedauert.<br />

Anders der Jurist Alexander Thiele, der zusammen mit<br />

Göttinger Studierenden eine offene Diskussion mit der<br />

Künstlerin führte. Das war eine gute Gelegenheit, dieses<br />

Thema anzugehen. Zumal sie vor einer Öffentlichkeit<br />

den Vorwurf entkräften konnte, da sie selbst mit 13 Jahren<br />

Opfer eines Missbrauchs geworden war und Zeichnungen<br />

wie diese in der Ausstellung ein Teil des Verarbeitungsprozesses<br />

darstellen. „Erotische Zeichnungen<br />

waren für mich auch ein Weg zur Selbstfindung – auch<br />

um meinen eigenen Körper wiederzufinden“, sagt die<br />

Künstlerin. Im November 2017 wurde die Ausstellung<br />

vorzeitig beendet, und alle acht Künstler nahmen ihre<br />

Bilder von den Wänden. Die Wogen der Debatte drangen<br />

damals sogar bis in die FAZ und Die WELT vor. In der<br />

WELT vom 08.11.2017 wurde auf den Deutschen Kulturrat,<br />

dem Spitzenverband der Bundeskulturverbände,<br />

verwiesen. Der Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zim-<br />

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