faktor Sommer 2019
faktor - Das Entscheider-Magazin für die Region Göttingen
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leben<br />
»Ich glaube, Kino wird es in der alten Form immer geben. Weil es toll ist.<br />
Weil es spannend ist. Weil es seinen Reiz auch nach über 100 Jahren noch<br />
nicht verloren hat. Aber ich glaube eben auch, es muss sich den neuen<br />
Sehgewohnheiten, den neuen Bedürfnissen anpassen.«<br />
wurde es im vergangenen Jahr in die Hände jener Frau<br />
übergeben, der es vor 32 Jahren als Studentin nicht ausreichte,<br />
den Einlass zu betreuen. „Ich hatte schon mit 18<br />
Jahren an der Kasse eines Kinos in Hildesheim ge arbeitet<br />
und mich eigentlich immer geärgert, dass Frauen nicht in<br />
die Vorführkabinen gelassen wurden“, erinnert sich die<br />
heutige Geschäftsführerin. Es scheint, als sei sie nie jemand<br />
gewesen, der sich mit einem Das-geht-nicht zufrieden<br />
gibt. Eine Frau, die Veränderungen anstoßen kann<br />
und auch umsetzt.<br />
1987 fing sie neben ihrem Studium der Kultur- und<br />
Medienwissenschaften an, im Lumière zu arbeiten, und<br />
musste dasselbe erleben wie im vorherigen Kino: Frauen<br />
als Vorführerin waren ein No-Go. Doch sie blieb hartnäckig<br />
und bewies schließlich, dass sie sowohl das technische<br />
Verständnis besaß als auch die 30 Kilo schweren<br />
Filmkisten hochheben und die nicht ganz so schweren<br />
Filmrollen einlegen konnte. Heute hat sie andere Dinge<br />
zu stemmen, solche, die mit Verantwortung zu tun haben,<br />
aber manches Mal ebenso schwer wiegen – zumindest<br />
im metaphorischen Sinn. Schwere Filmrollen hingegen<br />
sind durch die Digitalisierung zu einer Seltenheit<br />
geworden. Zum Stummfilmfestival oder anderen Vorführreihen<br />
von Klassikern wie von Werner Herzog oder<br />
Rainer Werner Fassbinder kommen wie eh und je Filmrollen<br />
vom Verleih – und das Flimmern auf der Leinwand<br />
wird wieder lebendig.<br />
REECK SITZT ENTSPANNT AUF DER BÜHNE des Vorführraums,<br />
die Beine im Schneidersitz übergeschlagen,<br />
und erzählt, wie sie letztlich doch als Filmvorführerin<br />
arbeitete, wie sie sich zwischen Männern auf den Kurzfilmtagen<br />
in Oberhausen behauptete und dass einen<br />
Film abzuspielen eben nicht nur bedeutet, auf ‚play‘ zu<br />
drücken. „Gerade bei älteren Filmen dürfen die einzelnen<br />
Filmrollen nicht aneinandergeklebt werden – das<br />
heißt, beim Abspielen muss man das Ende der einen mit<br />
dem Anfang der nächsten Rolle überblenden. Und dieses<br />
Überblenden ist so eine kleine Kunst. Das braucht Feingefühl<br />
– und da braucht man ein Auge“, erklärt Reeck.<br />
Das Leuchten in ihren Augen macht klar, warum es sie<br />
damals dorthin getrieben hat. Es ist die Art, die einzelnen<br />
Sequenzen und Bilder eines Films zu betrachten,<br />
nein, genauestens zu beobachten und den richtigen Moment<br />
zu erkennen. Das heißt: viel aufmerksamer auf die<br />
Zwischentöne zu hören und zu spüren, wann man als<br />
Vorführer eingreifen muss. „Ein Gespür für Performance“<br />
nennt es Reeck, wenn sie von den Festivals erzählt,<br />
wo Filmvorführung noch eine Kunst ist.<br />
SO ÄHNLICH LÄSST SICH IM ÜBRIGEN auch das Leben<br />
von Telke Reeck lesen. Bild für Bild reiht sich aneinander,<br />
sodass sich die einzelnen Episoden zu einem Ganzen<br />
fügen. Nach ihrem Studium arbeitete sie am IWF, dem<br />
Institut für den Wissenschaftlichen Film in Göttingen,<br />
und später für den medien pädagogischen Verein Blickwechsel.<br />
Dabei lag ihr die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen<br />
mit und ohne Förderbedarf besonders am<br />
Herzen. Im Rahmen dieser Kinder- und Jugendarbeit<br />
wurde zwei der von ihr konzipierten und geleiteten Projekten<br />
der Dieter-Baacke-Preis verliehen – ein medienpädagogischer<br />
Preis, der innovative und weitreichende<br />
Projekte, die zur Förderung einer pädagogisch orientierten<br />
Medienkompetenz beitragen, auszeichnet. „Mir war<br />
es wichtig, Berührungsängste abzubauen“, erzählt sie,<br />
„denn Förderschulen befinden sich meist am Stadtrand,<br />
und diese Kinder tauchen nie im Stadtbild auf. Ich wollte,<br />
dass Kinder aus verschiedenen Schulen miteinander<br />
in Kontakt kommen – und das hat funktioniert.“ Über<br />
das Ergebnis dieser Arbeit freut sie sich noch immer –<br />
und integrative Arbeit bleibt ihr ein Anliegen, auch weiterhin.<br />
Denn Kino, als Ort der Medienbildung, liegt Reeck<br />
sehr am Herzen. Daher wird es auch zukünftig die<br />
Zusammenarbeit mit Schulen geben, und ebenso möchte<br />
sie das Kinderkino weiter ausbauen. Die „Erklärung der<br />
Vielen“ gegen Rassismus zu unterstützen, ist eine weitere<br />
Initiative, die auch für die Positionierung des Lumière<br />
steht, für Offenheit und Toleranz.<br />
DOCH DERZEIT TREIBEN DIE GEBÜRTIGE STADERIN<br />
andere Dinge um: das neue Kino in der Baptistenkirche.<br />
„Man hat mich ja auch für diese Stelle ausgewählt, um<br />
Dinge vielleicht anders oder neu zu machen. Wahrscheinlich<br />
hätte ich es weniger reizvoll gefunden,<br />
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