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faktor Sommer 2019

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mensch<br />

Die Sternstunde<br />

ihres Lebens<br />

Elisabeth Selbert ist eine der ,Mütter des Grundgesetzes‘, das vor 70 Jahren verabschiedete wurde.<br />

Dass es in Artikel 3 heißt, „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, ist vor allem ihr – deren Weg<br />

sie für eine prägende Zeit nach Göttingen führte – und ihren Mitstreiterinnen zu verdanken.<br />

TEXT NORMAN LIPPERT<br />

Am 22. September 1896 wird Martha<br />

Elisabeth Rohde als zweites von vier<br />

Kindern eines Justizoberwachtmeisters<br />

in Niederzwehren bei Kassel geboren.<br />

Weil ihr der Weg zu einer Lehrerausbildung<br />

verwehrt blieb, absolviert<br />

sie die Höhere Handelsschule und beginnt 1913 als Auslandskorrespondentin<br />

bei einem Kasseler Unternehmen.<br />

Im Jahr 1918 lernt sie Adam Selbert kennen, den damaligen<br />

Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates in<br />

Niederzwehren. Von ihm für das politische Engagement<br />

begeistert, tritt sie in die SPD ein und wird kurz darauf<br />

zur Gemeindeverordneten gewählt.<br />

Zwei Jahre später heiratet das Paar, 1921 kommt der<br />

erste Sohn zur Welt, und im Jahr 1922 folgt der zweite. In<br />

einer klassischen Ehe der damaligen Zeit wäre damit die<br />

berufliche Karriere der Ehefrau – ganz zu schweigen von<br />

ihrem politischen Engagement – beendet gewesen. Doch<br />

die Selberts führen eine partnerschaftliche, gleichberechtigte<br />

Ehe. Anstatt sich allein um den Haushalt und die<br />

Kinder zu kümmern, behält Elisabeth Selbert ihre politischen<br />

Ämter, holt mit 30 Jahren das Abitur nach und<br />

nimmt anschließend ein Studium der Rechtswissenschaften<br />

auf – bestärkt von ihrem Ehemann und der Familie.<br />

Im Jahr 1926 beginnt Elisabeth Selbert ihr Studium an<br />

der Marburger Universität. Auch wenn Frauen zu dieser<br />

Zeit teilweise mehr als 20 Prozent der Studierenden ausmachen,<br />

werden sie im männlich geprägten Universitätsbetrieb<br />

häufig als Fremdkörper angesehen. Elisabeth<br />

Selbert sticht zusätzlich hervor, denn sie ist deutlich älter<br />

als ihre Kommilitoninnen, dazu noch Mutter von zwei<br />

Kindern, politisch engagiert und äußerst zielstrebig.<br />

EIN SCHNELLSTMÖGLICHER ABSCHLUSS ihres Studiums<br />

ist aus finanziellen Gründen unumgänglich: Die<br />

Studiengebühren von 250 Mark pro Semester und die<br />

monatlichen Fahrtkosten von rund 40 Mark – an ein<br />

Zimmer ist nicht zu denken – übersteigen die finanziellen<br />

Möglichkeiten der Selberts. Ohne familiäre Unterstützung<br />

wären diese Anstrengungen nicht zu meistern<br />

gewesen. Während Adam Selbert den Lebensunterhalt<br />

bestreitet und Elisabeth täglich zur Universität pendelt,<br />

kümmern sich die Großeltern um die beiden Enkel und<br />

eine Schwester um den Haushalt.<br />

2|<strong>2019</strong> 115

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