Procycling 05.2019
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DEUTSCHLAND TOUR<br />
Vier Tage durch das<br />
Herz der Republik<br />
RALPH DENK<br />
Alles in Richtung Giro –<br />
das sind Boras Ziele in Italien<br />
RADTEST<br />
Sechs Aerorenner von<br />
Cannondale bis Trek<br />
MAI 2019<br />
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GIRO<br />
D’ITALIA<br />
SPEZIAL<br />
70% K<br />
DAS<br />
BESTE<br />
RENNEN<br />
DER WELT<br />
Wir fragen Fahrer, Manager<br />
und Experten, warum sie<br />
den Giro lieben<br />
90% K<br />
DIE<br />
ANSTIEGE<br />
DES GIRO<br />
Diese Berge muss das<br />
Peloton 2019 erklimmen<br />
PASCAL<br />
ACKERMANN<br />
Neues Jahr, neue Höhen?<br />
Der deutsche Meister<br />
im Gespräch<br />
SIMON YATES<br />
RÜCKKEHR NACH ITALIEN –<br />
DER VUELTA-SIEGER WILL DAS ROSA TRIKOT
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PERISCOPE
EDITORIAL<br />
NACH DEN KLASSIKERN IST VOR DEM GIRO<br />
Was waren das für Rennen! Emotional, spannend, unberechenbar – die Frühjahrsklassiker<br />
hatten es in diesem Jahr definitiv in sich. Zuerst zeigte der Franzose Julian Alaphilippe bei<br />
Mailand–San Remo, dass er nicht umsonst zu den stärksten Fahrern der Welt zählt. Dann<br />
überraschte der Italiener Alberto Bettiol bei der Flandern-Rundfahrt alle Favoriten. Und<br />
bei Paris–Roubaix sorgte zur Freude vieler unserer Leser der Deutsche Nils Politt dafür,<br />
dass das Finale an Nervenkitzel nicht zu überbieten war. Auch wenn er sich knapp dem<br />
belgischen Ex-Weltmeister Philippe Gilbert geschlagen geben musste: Politt war für uns<br />
der Held des Tages!<br />
Doch so spannend die Frühjahrsklassiker auch waren – das Radsportkarussell dreht sich<br />
bereits mit riesigen Schritten weiter. In rund zwei Wochen beginnt mit dem Giro d’Italia<br />
schließlich bereits die erste große Landesrundfahrt des Jahres. Statt Pavé-Spezialisten<br />
sind nun die Kletterer gefragt. In dieser Ausgabe von <strong>Procycling</strong> schauen wir deshalb<br />
unter anderem umfangreich auf den kommenden Giro voraus. In unserem großen Special<br />
finden Sie nicht nur alles Wissenswerte zu den Etappen und Teams, sondern auch allerlei<br />
Hintergrundinformationen zur Italien-Rundfahrt 2019. Das Feld der Favoriten verspricht<br />
jedenfalls schon jetzt Spannung pur. Und wer weiß: Vielleicht gibt es ja auch bei der Jagd<br />
auf das Rosa Trikot die ein oder andere Überraschung – ähnlich wie bei den gerade zu<br />
Ende gegangenen Frühjahrsklassikern.<br />
In diesem Sinne: Auf einen spannenden Giro – und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel<br />
Spaß beim Schmökern in der neuen <strong>Procycling</strong>!<br />
Werner Müller-Schell<br />
Redaktion
INHALT<br />
AUSGABE 183 / MAI 2019<br />
30<br />
SIMON YATES<br />
Der Gewinner der Vuelta a España über die Rückkehr<br />
zum Giro d’Italia und seine Pläne in Italien.<br />
40<br />
SO WIRD DER GIRO 2019<br />
<strong>Procycling</strong> untersucht, warum die Corsa Rosa ein<br />
derart großes Feld von Sieganwärtern anzieht.<br />
RUBRIKEN<br />
© BettiniPhoto<br />
6<br />
SCHNAPP-<br />
SCHUSS<br />
Rennen im Bild<br />
12<br />
PROLOG<br />
Aus dem Herzen<br />
des Pelotons<br />
24<br />
INSIDER<br />
Rick Zabel<br />
& Ralph Denk<br />
28<br />
STRAVA<br />
Die Daten<br />
der Profis<br />
78<br />
NACHLESE<br />
Analysen, Daten,<br />
Erkenntnisse<br />
104<br />
WUNSCH-<br />
LISTE<br />
Produkt-Highlights<br />
112<br />
VORSCHAU<br />
Themen der<br />
nächsten Ausgabe<br />
114<br />
JENS VOIGT<br />
Das letzte<br />
Wort<br />
4 PROCYCLING | MAI 2019
44<br />
PASCAL ACKERMANN<br />
Der deutsche Meister schaffte 2018 den Durchbruch und steht vor<br />
seinem ersten Start beim Giro. <strong>Procycling</strong> hat ihn getroffen.<br />
52<br />
DAS BESTE RENNEN DER WELT<br />
Wir fragten Fahrer, Manager und Experten, warum sie die Italien-<br />
Rundfahrt lieben – dies sind ihre Anekdoten.<br />
60<br />
DIE BERGE DES GIRO<br />
San Marino, Mortirolo, Gavia und Co. – diese schweren Anstiege<br />
muss das Peloton im Mai erklimmen.<br />
72<br />
GIRONA<br />
Haben Radprofis die katalonische Stadt von einem versteckten Juwel<br />
zu einer Touristenattraktion gemacht? Wir recherchierten vor Ort.<br />
88<br />
RADTEST<br />
Edel und schnell – sechs High-End-Aerorenner von Cannondale,<br />
Canyon, Fuji, Storck, Specialized und Trek.<br />
96<br />
RETRO: GOODWOOD<br />
<strong>Procycling</strong> schaut vor der Weltmeisterschaft in Yorkshire zurück auf<br />
die letzte Austragung in England – Goodwood 1982.<br />
© Ian Walton, Dinu Vatamaniuc/EyeEm/Getty Images, Andreas Meyer<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 5
SCHNAPPSCHUSS<br />
IMPRESSIONEN DES RADSPORT-MONATS<br />
6 PROCYCLING | MAI 2019
STRADE<br />
BIANCHE<br />
Italien, 9. März 2019<br />
Das Peloton wirbelt den weißen<br />
Staub der strada sterrata auf, die<br />
die prachtvolle Landschaft der<br />
Toskana mit ihren zahllosen<br />
Hügeln durchzieht. Kann es ein<br />
besseres Bild der berauschenden<br />
Faszination der Strade Bianche<br />
geben? Auch wenn das Rennen<br />
nur wenige steile Anstiege<br />
aufweist, hatten die Fahrer auf<br />
der 184 Kilometer langen Route<br />
mit elf Abschnitten auf unbefestigten<br />
Straßen kaum eine<br />
Atempause. Obwohl er das<br />
Rennen zuvor nie gefahren war,<br />
passte sich Julian Alaphilippe<br />
den Herausforderungen des<br />
Kurses sofort an und stürmte<br />
auf der finalen Schotterpassage<br />
an die Spitze. Ein Dreikampf<br />
zwischen Alaphilippe, Wout Van<br />
Aert und Jakob Fuglsang fand<br />
seine Bühne auf der Via Santa<br />
Catarina, der steilen Straße auf<br />
dem letzten Kilometer. Der<br />
Franzose behielt die Kontrolle,<br />
distanzierte Fuglsang und siegte<br />
auf der Piazza del Campo.<br />
© Chris Auld<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 7
SCHNAPPSCHUSS<br />
MAILAND–<br />
SAN REMO<br />
Italien, 23. März 2019<br />
Die Fahrer hassen sie, die<br />
Organisatoren schütteln die<br />
Köpfe – rein optisch hingegen<br />
sorgen bengalische Fackeln für<br />
ein Spektakel. Sie sind zu einem<br />
festen Ritual bei Mailand–San<br />
Remos Passage über den Capo<br />
Berta geworden, dem letzten<br />
von drei kleinen Hügeln, die der<br />
Cipressa vorangehen. Bei der<br />
2019er-Auflage kamen die Fahrer<br />
zudem in den zweifelhaften<br />
Genuss eines brennenden<br />
Busches, der Feuer fing, als das<br />
Rennen eintraf. Mirco Maestri<br />
(rechts) und Luca Raggio waren<br />
Teil der zehn Mann starken<br />
Fluchtgruppe des Tages und<br />
versuchten, sich auf dem zwei<br />
Kilometer langen Anstieg abzu -<br />
setzen, wurden jedoch bald vom<br />
Peloton geschluckt. Auf der Via<br />
Roma holte sich Julian Alaphilippe<br />
seinen nächsten Saisonsieg,<br />
als er den Sprint einer kleinen<br />
Spitzengruppe gewann.<br />
© Kristof Ramon<br />
8 PROCYCLING | MAI 2019
SCHNAPPSCHUSS<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 9
SCHNAPPSCHUSS<br />
PARIS –<br />
ROUBAIX<br />
Frankreich, 14. April 2019<br />
In der Weltelite angekommen –<br />
nach seinem fünften Platz bei der<br />
Flandern-Rundfahrt eine Woche<br />
zuvor setzte Nils Politt in der Hölle<br />
des Nordens ein weiteres dickes<br />
Ausrufezeichen. Den ganzen Tag<br />
über zeigte sich der Kölner an der<br />
Spitze des Rennens und setzte sich<br />
schließlich in einer Gruppe mit<br />
Topfavoriten wie Peter Sagan oder<br />
Sep Vanmarcke ab. Seiner Attacke<br />
auf dem vorletzten Pavé-Sektor<br />
konnte nur Philippe Gilbert folgen,<br />
mit dem Politt das Velodrom in<br />
Roubaix erreichte. In Sprint knapp<br />
vom Belgier geschlagen, fuhr der<br />
25-Jährige an diesem Tag seinen<br />
größten Erfolg als Profi ein und<br />
konnte sich zurecht über einen<br />
Pflasterstein freuen.<br />
© Tim de Waele/Getty Images (klein)<br />
© Stephane Mantey-Pool/Getty Images (groß)<br />
10 PROCYCLING | MAI 2019
SCHNAPPSCHUSS<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 11
Ab Anfang Mai ändert<br />
sich der Name des Teams<br />
Sky in Team Ineos.<br />
PROLOG<br />
AUS DEM HERZEN DES PELOTONS<br />
STIMMT DIE CHEMIE<br />
BEI JIM UND DAVE ?<br />
Der neue Sponsor des Teams Sky.<br />
© Getty Images<br />
Es hat also dann doch nicht allzu lange gedauert.<br />
Weniger als hundert Tage, nachdem<br />
Sky angekündigt hatte, dass es seine<br />
40 Millionen Euro Unterstützung pro Jahr für<br />
David Brailsfords Tour-de-France-beherrschendes<br />
Team einsparen werde, bestätigte ein weiterer<br />
Konzernriese, das Petrochemieunternehmen<br />
Ineos, dass es als Sponsor einspringen werde.<br />
In einem Sport, in dem der übliche Tenor von Finanznachrichten<br />
darin besteht, dass Sponsorengelder<br />
schwer zu beschaffen sind, war die Ankündigung,<br />
dass Großbritanniens reichster Mann,<br />
Ineos’ Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer<br />
Jim Ratcliffe, am 1. Mai das erfolgreichste<br />
Team der Welt übernehmen würde, eine Überraschung.<br />
Die meisten Teammanager begrüßten die<br />
Nachricht. Patrick Lefevere von Deceuninck–<br />
Quick-Step und Matt White von Mitchelton-Scott<br />
äußerten sich optimistisch, dass die Fortsetzung<br />
eines so erfolgreichen Teams zu begrüßen sei.<br />
Auch Jumbo–Vismas General Manager, Richard<br />
Plugge, sagte: „Es ist wirklich gut für den Radsport,<br />
dass ein so großer Sponsor wie Ineos einsteigt.“<br />
Sogar Marc Madiot, der Chef von Groupama-FDJ,<br />
auf den man sich normalerweise<br />
verlassen kann, Seitenhiebe gegen das Team Sky<br />
auszuteilen, war untypisch zurückhaltend und<br />
sagte Reuters nur, dass „sie weiter ihr Ding machen<br />
werden und wir unser Ding durchziehen“.<br />
Laut der Handelsregisterbehörde investierte Sky<br />
zwischen 2010 und 2017 rund 220 Millionen<br />
Euro in das Team. Verschiedene Quellen munkeln,<br />
dass Ratcliffe bereit sei, diesen Betrag weiter<br />
zu erhöhen – ein Anlass zur frühen Eröffnung der<br />
Debatte darüber, dass Sky bzw. Ineos genug Talente<br />
aufkaufen kann, um die Tour weiter zu kontrollieren.<br />
UCI-Präsident David Lappartient sagte:<br />
„Ich verstehe, dass es Bedenken gibt, dass das<br />
Team mit dem größten Budget die besten Fahrer<br />
haben kann und dass es die Unsicherheit im Sport<br />
beeinflusst.“ Jonathan Vaughters von EF Education<br />
First ging weiter und sagte der BBC: „Du<br />
siehst eine fast undurchdringliche Wand aus<br />
Geld. Du kannst im Grunde genommen die besten<br />
Fahrer kaufen. Die Frage für den Sport ist, ob,<br />
wenn sie alle in einem Team sind, es den Zuschauern<br />
noch Spaß macht, zuzusehen?“ Aber es<br />
ist auch klar, dass es ein schlechtes Licht auf den<br />
Radsport geworfen hätte, wenn das Team, das<br />
sechs der letzten sieben Touren gewonnen hat,<br />
das wichtigste Ereignis des Radsports, aufgelöst<br />
worden wäre. Der Verlust von Sky hätte das Radfahren<br />
zurück ins „Mittelalter“ geschickt, so<br />
Ex-Profi David Millar. Während Sky kontroverse<br />
Debatten nicht fremd sind und das Team von einem<br />
parlamentarischen Ausschuss beschuldigt<br />
wurde, „eine ethische Grenze“ überschritten zu<br />
12 PROCYCLING | MAI 2019
DIE FRAGE FÜR DEN SPORT<br />
IST, OB, WENN SIE ALLE IN<br />
EINEM TEAM SIND, ES DEN<br />
ZUSCHAUERN NOCH SPASS<br />
MACHT, ZUZUSEHEN?<br />
haben, als es beschloss, Bradley Wiggins im Vorfeld<br />
von drei großen Touren mit einem starken<br />
Kortikosteroiden zu behandeln, hat die Verbindung<br />
mit Ineos den Zorn von Umweltorganisationen<br />
auf sich gezogen. Sie protestieren seit Langem<br />
gegen die Kernaktivitäten von Ineos, die Raffination<br />
von Rohöl, die Herstellung der Rohstoffe von<br />
Kunststoffen und die in jüngster Zeit umstrittene<br />
Ausweitung von Fracking in Nordengland. Tony<br />
Bosworth von Friend’s of the Earth sagte: „Die<br />
Übernahme des Teams Sky ist der neueste eklatante<br />
Greenwash-Versuch von Ineos.“ Die ehemalige<br />
Vorsitzende der englischen Grünen, Natalie<br />
Bennett, twitterte: „Extreme Diskrepanz: eine<br />
kohlenstoffarme, energieeffiziente Transportmethode<br />
durch Räder und die Befürworter von Fracking,<br />
Verschmutzung mit Plastik und Klimaschädigung<br />
durch Ineos.“ Umweltschützer haben<br />
bereits angedroht, bei der Tour de Yorkshire zu<br />
protestieren, wo das neue Ineos-Trikot präsentiert<br />
wird und wo das Unternehmen derzeit mit umstrittenen<br />
Fracking-Plänen fortfährt. Die Ironie<br />
der Anti-Plastik-Kampagne von Sky für die Tour-<br />
Trikots 2018, die nun durch Ineos ersetzt werden,<br />
fällt jedem auf. Aber angesichts der angespannten<br />
Lage, in der sich Brailsford befand, ist es kaum<br />
verwunderlich, dass er das Sponsorangebot des<br />
Großunternehmers annahm. Tatsächlich ist es<br />
wahrscheinlich, dass beide Bosse viele Gemeinsamkeiten<br />
finden werden, wenn sie sich besser<br />
kennenlernen. Beide haben eine erstaunliche Arbeitsmoral,<br />
beide haben den Aufbau sehr erfolgreicher<br />
Organisationen fast von Grund auf neu<br />
gestaltet und beide funktionieren am besten innerhalb<br />
einer engen Gruppe von Vertrauenspersonen.<br />
Außerdem wissen beide, wie es ist, unter<br />
Druck zu agieren. Der Mai könnte der Beginn<br />
einer blühenden Beziehung sein. Die anderen<br />
Teams müssen aber möglicherweise etwas<br />
schneller fahren, um mit dem neuen Team Ineos<br />
Schritt zu halten.<br />
Jim Ratcliffe: der sportbegeisterte Milliardär,<br />
der die Zukunft des Teams Sky rettete.<br />
SKY-FAHRER<br />
KNEES HILFT<br />
NACHWUCHSTEAM<br />
Rheinbacher wollen an die großen<br />
Zeiten ihres Vereins anknüpfen.<br />
Team Dr. Joseph Billigmann p/b Christian<br />
Knees“ ist der Name eines neuen U19-<br />
Bundesligateams, mit dem sich der Rheinbacher<br />
Sky-Profi in die Nachwuchsförderung einbringen<br />
will. Das aus einer Kooperation seines<br />
Heimatvereins mit dem VfR Büttgen hervorgegangene<br />
Team wird mit neun Fahrern – Peter Billigmann,<br />
Jan-Philipp Vickus, Philipp-Alexander<br />
Dreis, Carlo Verwiebe, Yannik Schmidt, Jan-Marc<br />
Temmen, Campo Schmitz, Moussa-Erich Geringswald<br />
und Oskar Moryson – in der Bundesliga sowie<br />
bei großen nationalen und internationalen<br />
Rennen starten. Dazu peile die Truppe auch die<br />
U23 an, erzählt der 38-jährige Knees: „Das Projekt<br />
soll langfristig Bestand haben und an die Zeiten<br />
Ende der 90er anknüpfen, als Rheinbach der<br />
Sky-Profi Knees freut sich über das<br />
Team, das (auch) seinen Namen trägt.<br />
Topverein in den deutschen Ranglisten war.“ Sich<br />
selbst sieht Knees, mit acht Tour-Teilnahmen einer<br />
der erfahrensten Teamfahrer des Pelotons, in<br />
einer unterstützenden Funktion: „Ich versuche,<br />
bei der Sponsorensuche zu helfen, und möchte<br />
den Jungs ein Vorbild sein, was man im Sport erreichen<br />
kann. Und hoffentlich schaffe ich es dieses<br />
Jahr auch mal, mir ein Rennen anzuschauen<br />
und mit ihnen zu trainieren.“ Ob der Routinier,<br />
der sich Anfang Februar das Bergtrikot der Herald<br />
Sun Tour sicherte, irgendwann eine offizielle<br />
Funktion im Team annehmen wird, steht freilich<br />
auf einem anderen Blatt ...<br />
© Getty Images (Ratcliffe), Edith Billigmann<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 13
PROLOG<br />
DEUTSCHLAND TOUR<br />
Das erwartet Fahrer und Fans bei der 2019er-Auflage.<br />
Interview Chris Hauke<br />
Die Deutschland Tour führt in diesem<br />
Jahr über 721 Kilometer durch das Herz<br />
Deutschlands. Vom 29. August bis zum<br />
1. September ist Deutschlands einziges Etappenrennen<br />
der Männerelite zu Gast in Niedersachsen,<br />
Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen. Im Jahr<br />
des 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls wird<br />
die Strecke zur Hommage an die Öffnung der<br />
innerdeutschen Grenze. Das Erste und das ZDF<br />
übertragen alle vier Etappen der Deutschland<br />
Tour live. Neben einer historischen und landschaftlich<br />
sehenswerten Strecke können sich<br />
Fans, Zuschauer und Profis auf vier Etappen freuen,<br />
die jeden Fahrertyp ansprechen. Von Sprintetappen<br />
bis zu anspruchsvolleren Tagen wird das<br />
abwechslungsreiche Terrain in der Mitte<br />
Deutschlands bestens ausgenutzt.<br />
Der erste Abschnitt führt von der niedersächsischen<br />
Landeshauptstadt Hannover in die Region<br />
Harz in Sachsen-Anhalt, wo das Etappenziel in<br />
einer gemeinsamen Aktion mit dem Ministerium<br />
für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt<br />
von den Fans bestimmt wird. Das profilierte Teilstück<br />
über rund 185 Kilometer bietet trotz kurzer<br />
Anstiege im und um den Harz den Sprintern im<br />
Peloton eine gute Gelegenheit. Die zweite Etappe<br />
verläuft zwischen Marburg in Hessen und der niedersächsischen<br />
Universitätsstadt Göttingen. Mit<br />
199 Kilometern ist es der längste Tag der diesjährigen<br />
Rundfahrt. Nach einer Fahrt durch die wellige<br />
Mitte Deutschlands steht eine anspruchsvolle<br />
Zielrunde an, die späte Attacken belohnt. Von<br />
Göttingen führt der dritte Abschnitt über 177<br />
Kilometer nach Eisenach. Hier wird das Finale mit<br />
drei Anstiegen auf den letzten 40 Kilometern die<br />
Puncheure anlocken. In Eisenach, Partnerstadt<br />
des Etappenortes Marburg, startet die Schlussetappe.<br />
Der Weg in die thüringische Landeshauptstadt<br />
Erfurt wird zum finalen Duell zwischen den<br />
Klassikerspezialisten und Sprintern. Zwar nur<br />
160 Kilometer lang, aber mit den Anstiegen des<br />
Thüringer Waldes und einer ansteigenden Zielgeraden<br />
gespickt, bleiben die Etappe und die Rundfahrt<br />
bis zum Zielstrich spannend.<br />
In diesem Jahr ist die gesamte Deutschland<br />
Tour im Hauptprogramm von ARD und ZDF zu<br />
sehen. Beide Sender wechseln sich in der täglichen<br />
Live-Berichterstattung ab. Das Erste überträgt<br />
am Donnerstag den Auftakt mit Start in<br />
Hannover und die dritte Etappe, das ZDF von der<br />
zweiten Etappe und dem großen Finale in Thüringen<br />
am Sonntag.<br />
14 PROCYCLING | MAI 2019
PROLOG<br />
FÜNF FRAGEN AN<br />
FABIAN WEGMANN, SPORTLICHER LEITER<br />
DER DEUTSCHLAND TOUR<br />
Niedersachsen<br />
HANNOVER<br />
Fabian, ihr beschreibt die Route als „vier<br />
Klassikeretappen, die sowohl Sprinter als auch<br />
angriffslustige Puncheure ansprechen“. Wie<br />
wichtig ist dabei der Termin Ende August/<br />
Anfang September?<br />
Wir haben die Deutschland Tour ganz bewusst<br />
zwischen die Tour de France und die Weltmeisterschaften<br />
gelegt. Die Fahrer, die aus der Tour<br />
herauskommen, haben dann vier Wochen Zeit<br />
gehabt, sich zu erholen, und fangen zu dem Zeit -<br />
punkt wieder an, Rennen zu fahren. Die Deutsch -<br />
land Tour ist für sie eine optimale Gelegenheit,<br />
um sich auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten.<br />
Auch die Fahrer, die nicht auf Gesamtwertung<br />
fahren, kommen dabei gut mit – und wenn<br />
sie sich richtig belasten wollen, können sie im<br />
Finale einen raushauen.<br />
MARBURG<br />
Hessen<br />
Sachsen-<br />
Anhalt<br />
REGION HARZ /<br />
SACHSEN-ANHALT<br />
GÖTTINGEN<br />
EISENACH<br />
ERFURT<br />
Thüringen<br />
Wie ist die Resonanz von internationalen<br />
Fahrern und Teams?<br />
Wir haben ja gesehen, wen wir letztes Jahr am<br />
Start hatten: Wir hatten Platz eins, zwei und vier<br />
der Tour dabei. Das hat schon gezeigt, was das<br />
Rennen für einen Stellenwert hat und dass den<br />
Fahrern das Profil gepasst hat. In diesem Jahr<br />
wird die Anzahl der UCI WorldTeams noch mal<br />
ordentlich steigen. Das Interesse ist also groß.<br />
Das zeigt, dass wir alles richtig gemacht haben.<br />
Wie sieht es mit Wildcards aus?<br />
Die beste Mannschaft der Bundesliga kann sich<br />
automatisch qualifizieren, der Stichtag dafür ist<br />
die Deutsche Meisterschaft. Das Gleiche gilt für<br />
die beste [deutsche] Mannschaft der Europe-<br />
Tour-Wertung. Allein dadurch hat die Bundesliga<br />
einiges an Aufwind bekommen. Und das soll<br />
auch der Anreiz sein. Das ist das Ziel, das wir<br />
haben. Es geht uns ja auch darum, den deutschen<br />
Radsport voranzubringen und ihm eine<br />
Plattform zu bieten. Wir brauchen den Nachwuchs,<br />
und wir brauchen mehr Rennen. Die<br />
Rennen sind in den letzten Jahren weniger<br />
geworden. Neben den beiden direkt qualifizierten<br />
Teams werden wir zwei weitere auswählen.<br />
Dabei liegt unser Fokus darauf, welche Arbeit<br />
sie machen und ob sie junge Fahrer haben,<br />
denn wir wollen natürlich auch junge deutsche<br />
Talente an den Start bringen, damit sie sich vor<br />
heimischem Publikum zeigen und beweisen<br />
können. Ein Rennen wie die Deutschland Tour ist<br />
eine Riesenbühne für so ein Team. Wann kommt<br />
ein Conti-Team sonst vier Tage ins Fernsehen?<br />
Ihre Rennen werden ja häufig nicht übertragen.<br />
Das ist dann natürlich auch für deren Sponsoren<br />
interessant, und so können sie dann wachsen.<br />
So hat es die Tour de France damals im Grunde<br />
genommen auch mit Bora–hansgrohe gemacht,<br />
als das Team noch NetApp[-Endura] hieß. Es hat<br />
eine Wildcard gekriegt, sich dann bei der Tour<br />
gut verkauft und dadurch wieder Sponsoren<br />
gewonnen. So ist es gewachsen.<br />
2018 war für den deutschen Radsport – abgesehen<br />
von John Degenkolbs Etappensieg bei der<br />
Tour de France – sehr durchwachsen. Viele<br />
prominente Fahrer wie Marcel Kittel, André<br />
Greipel oder Tony Martin hatten nicht die Form<br />
früherer Jahre.<br />
Ex-Profi Fabian Wegmann erwartet eine bis<br />
zuletzt spannende Rundfahrt.<br />
Dafür hatte ein Pascal Ackermann ein Wahnsinnsjahr.<br />
Der ist in Topform. Oder Maximilian<br />
Schachmann. Wir haben letztes Jahr gedacht,<br />
dass wir nur deutsche Sprinter haben und das<br />
Rennen möglichst flach machen müssen, damit<br />
sie eine Etappe gewinnen. Und im Endeffekt<br />
hatten wir mit Schachmann und Nils Politt zwei<br />
deutsche Etappensieger, die nicht unbedingt auf<br />
unserer Liste standen. Nils fährt auch jetzt gerade<br />
wieder grandios. So dramatisch sehe ich das also<br />
nicht. Erst letzte Woche hat Jonas Rutsch die<br />
U23-Ausführung von Gent–Wevelgem gewonnen.<br />
Wenn du da siegst, dann hast du schon ein<br />
richtiges Pfund drauf. Das ist schon ein echter<br />
Fingerzeig. Da kommt auch wieder was nach.<br />
Welche der einheimischen Fahrer können es auf<br />
das Podium der Deutschland Tour schaffen?<br />
Wenn wir sehen, wie Max [Maximilian Schachmann]<br />
drauf ist – der hat letztes Jahr eine Etappe<br />
gewonnen und ist super motiviert –, dann würde<br />
ich sagen, er ist im Moment einer der prädestinierten<br />
Fahrer für so eine Rundfahrt. Es kommt<br />
natürlich darauf an, was er für Rennen fährt und<br />
wie er dann bei der Deutschland Tour drauf ist.<br />
Aber ich gehe mal stark davon aus, dass er<br />
hochmotiviert an den Start geht. Das Gleiche<br />
gilt für Nils Politt, und auch ein John Degenkolb<br />
kann das Rennen gewinnen. Dadurch, dass wir<br />
kein ewig langes Zeitfahren oder eine extrem<br />
schwere Bergankunft haben, ist der Kreis relativ<br />
groß. Und so soll es auch sein. Es gibt ja eigent -<br />
lich nichts Schlimmeres, als wenn man vorher<br />
schon weiß, wer gewinnt.<br />
© Marcel Hilger<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 15
PROLOG<br />
IN ALLER KÜRZE<br />
„Die Richtung<br />
des Teams, die<br />
Idee, die Welt zu<br />
erkunden - das<br />
alles passt wirklich<br />
gut zu dem, woran<br />
ich glaube.“<br />
Michael Woods, nachdem EF<br />
Education First bestätigte, dass<br />
der Kanadier eine „mehrjährige“<br />
Vertragsverlängerung mit der<br />
Mannschaft unterzeichnet hat.<br />
„Ich habe Gänsehaut<br />
während ich darüber<br />
spreche, aber als das<br />
Problem der Beckenarterie<br />
diagnostiziert wurde,<br />
weinte ich.“<br />
Fabio Aru beschreibt in einem<br />
Interview mit La Gazetta dello<br />
Sport seine Emotionen, als<br />
Ärzte herausfanden, warum<br />
er Schwierigkeiten hatte, auf<br />
höchstem Niveau zu fahren.<br />
85<br />
km/h<br />
Die Geschwindigkeit, mit der<br />
Niccolò Bonifazio die Cipressa<br />
bei Mailand–San Remo herunterfuhr.<br />
Der Italiener warnte später<br />
Amateurfahrer auf Social Media<br />
– sie sollten nicht versuchen, ihn<br />
nach zuahmen.<br />
2Die Tour nimmt sich ein Beispiel<br />
an der Vuelta und bestätigt, dass<br />
das Rennen 2020 bereits am<br />
zweiten Tag Kletterpassagen im<br />
Département Alpes-Maritimes in<br />
Angriff nehmen werde, wo das<br />
Peloton den Col de Colmiane und<br />
den Turini zu besteigen hat.<br />
Als wäre ein Sturz<br />
während eines Ren -<br />
nens nicht schon schlimm<br />
genug, waren Dan Martin<br />
und Romain Bardet<br />
wahrscheinlich Opfer eines<br />
Diebstahls während der<br />
Katalonien-Rundfahrt.<br />
Die Fahrer waren auf der<br />
7. Etappe in einen Sturz<br />
verwickelt und twitterten<br />
später, dass die Garmins<br />
von ihren Rädern weggenommen<br />
wurden.<br />
„Es ist nicht das<br />
erste Mal, dass wir<br />
uns gegenseitig<br />
aufgelesen haben,<br />
und es wird nicht<br />
das letzte Mal<br />
sein.“<br />
Zak Dempster dankt seinem<br />
Freund Michael Hepburn, nach -<br />
dem der Mitchelton-Scott Fahrer<br />
bei Driedaagse Brugge–De Panne<br />
anhielt, um dem gestürzten<br />
Dempster zu helfen.<br />
VERITY TRITT<br />
ZURÜCK<br />
Sir Gary Verity, der die Kampagnen<br />
zur Vergebung des Tour-de-France-<br />
Grand-Départs und der Straßenweltmeisterschaft<br />
2019 nach<br />
Yorkshire leitete, trat nach einer<br />
Untersuchung seiner Ausgaben<br />
und seines Verhaltens gegenüber<br />
dem Personal von seinem Posten<br />
als Chief Executive bei Welcome to<br />
Yorkshire zurück. Eine Erklärung<br />
des Tourismusverbandes besagt,<br />
dass der Rücktritt von Verity nicht<br />
direkt mit den Vorwürfen<br />
zusammenhängen würde.<br />
© BettiniPhoto, Yuzuru Sunada (unten)<br />
„Es ist eine<br />
schwierige<br />
Situation.“<br />
Dimension Datas Teammanager<br />
Doug Ryder über den Zustand<br />
von Mark Cavendish, nachdem<br />
der Sprinter in diesem Frühjahr<br />
nur eine Nebenrolle spielte. Der<br />
33-Jährige hoffte, in diesem Jahr<br />
wieder in Form zu kommen, um<br />
sich bei der Tour de France in<br />
Szene zu setzen … nach zwei<br />
Jahren, in denen er unter dem<br />
Epstein-Barr-Virus litt.<br />
1 MIO. €<br />
Diese Summe wurde Lance<br />
Armstrong für die Teilnahme an<br />
der Tour Down Under 2009 bei<br />
seinem Renn-Comeback bezahlt.<br />
Die südaustralische Regierung,<br />
die das Rennen teilweise finanziert,<br />
bestätigte die Summe, nachdem<br />
die zehnjährige Vertraulichkeitsklausel<br />
in ihrem Vertrag mit dem<br />
Ex-Profi abgelaufen war.<br />
Egan Bernal war 2019 so stark, dass Ineos nicht drum herum<br />
kommen wird, ihn zur Tour zu schicken. Der 22-Jährige gewann<br />
Paris–Nizza und wurde in Katalonien Dritter. Er wird Ineos beim<br />
Giro anführen, könnte aber im Juli eine Helferrolle für Chris Froome<br />
und Geraint Thomas spielen. „Die Idee ist, dass er den Giro macht,<br />
mit Volldampf als Kapitän, und dann sehen wir, wie es ihm geht“,<br />
sagte Sportdirektor Nicolas Portal.<br />
16 PROCYCLING | MAI 2019
PROLOG<br />
„Die Idee ist,<br />
2020 keine<br />
Kortikosteroide<br />
mehr in unserem<br />
Sport zu haben.“<br />
UCI-Präsident David Lappartient<br />
sagt Reuters, dass er Kortikosteroide<br />
aus „Gesundheitsgründen“<br />
verbieten wolle – so<br />
wie das Schmerzmittel Tramadol<br />
ebenfalls verboten wurde.<br />
PROBLEME<br />
MIT DEM<br />
MOTOR<br />
Vasil Kiryienka vom Team Sky steht<br />
vor einer ungewissen Zukunft,<br />
nachdem bei einer routinemäßigen<br />
Herzuntersuchung eine Herzanomalie<br />
diagnostiziert wurde. Der<br />
37-jährige ehemalige Weltmeister<br />
im Zeitfahren ist seit der Weltmeister<br />
schaft im September nicht<br />
mehr im Einsatz und befindet sich<br />
in Behandlung, bevor die Ärzte<br />
eine Entscheidung treffen, wann er<br />
wieder Rennen fahren kann.<br />
„Ich weiß wirklich nicht, was in dieser<br />
Saison los ist, aber bisher fühlt es sich<br />
an, als sei sie verflucht. Ich bin am<br />
Boden zerstört.“<br />
Nachdem Simon Geschke sich bei der Vuelta a Murcia den<br />
Ellbogen gebrochen hatte und sechs Wochen pausieren musste,<br />
landete er bei seiner Rennrückkehr wieder im Krankenhaus –<br />
diesmal mit gebrochenem Schlüsselbein und gebrochenen Rippen<br />
nach einem Sturz auf der 7. Etappe der Katalonien-Rundfahrt.<br />
1.513<br />
Die Anzahl der Höhenmeter bei der<br />
vierten Etappe der diesjährigen<br />
Ovo Energy Women's Tour. Die<br />
Etappe in Warwickshire am 13. Juni<br />
endet mit drei Runden auf einem<br />
12,6 Kilometer langen Kurs und<br />
finisht auf dem Gipfel des Edge Hill,<br />
der ersten Bergankunft in der<br />
sechsjährigen Geschichte des<br />
Rennens.<br />
Die Vuelta San Juan<br />
wurde von einem<br />
weiteren positiven Dopingtest<br />
getroffen. Der diesjährige<br />
Bergsieger Daniel Zamora<br />
wurde von der UCI wegen<br />
eines positiven Befundes auf<br />
EPO vorläufig suspendiert. Der<br />
Gewinner von 2018, Gonzalo<br />
Najar, erhielt zuvor nach einem<br />
positiven Test auf CERA eine<br />
vierjährige Sperre. Zamoras<br />
Teamkollege Gaston Javier<br />
wurde im Januar 2018 positiv<br />
auf anabole Steroide getestet.<br />
8So oft hat Sizilien die Auftaktetappe<br />
des Giro d’Italia<br />
beherbergt. Das Rennen soll 2021<br />
wieder auf der Insel beginnen. Die<br />
drei Etappen dort werden mit einer<br />
Bergankunft auf dem Ätna enden.<br />
2021<br />
Das Jahr, in dem Alejandro<br />
Valverde „wahrscheinlich“ in<br />
den Ruhestand gehen wird,<br />
nachdem er die Olympischen<br />
Spiele in Tokio 2020<br />
bestritten hat und<br />
eine letzte<br />
Straßen saison<br />
fahren will. Der<br />
amtierende<br />
Weltmeister,<br />
wurde im<br />
April 39<br />
Jahre alt<br />
und ist seit<br />
2002 Profi.<br />
„Es ist eine große<br />
Enttäuschung …<br />
es ist immer noch<br />
nicht richtig<br />
angekommen.“<br />
Bryan Coquard,<br />
nachdem er von<br />
seinem Vital<br />
Concept-B&B-Team<br />
erfahren hatte,<br />
wieder keine<br />
Wildcard für die<br />
Tour de France<br />
bekommen<br />
zu haben.<br />
Trotz der bevorstehenden<br />
Schließung<br />
wird das Continental-Team<br />
Mitchelton-BikeExchange<br />
auch 2019 mit einer<br />
reduzierten Zahl von acht<br />
Fahrern weiterfahren. Die<br />
in China registrierte Mannschaft,<br />
die mit den World -<br />
T our-Teams der Herren<br />
und Damen verbunden<br />
ist, wird sich vor allem auf<br />
den Rennsport in Asien<br />
konzentrieren.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 17
PROLOG<br />
GREG VAN AVERMAETS<br />
GIANT TCR<br />
ADVANCED SL<br />
Die goldene<br />
Rennmaschine des<br />
belgischen Kraftpakets.<br />
Über den Winter wechselte Greg Van Avermaet<br />
von BMC-Bikes, für die er seit 2012<br />
gefahren war, zu Giant. Der Belgier hätte<br />
sich eigentlich zwischen dem aerodynamischen<br />
Propel oder dem Kopfsteinpflaster-spezifischen<br />
Defy entscheiden sollen, wählte dann aber den<br />
Allrounder TCR Advanced SL. Das Rad bietet<br />
durch die groß dimensionierten Kettenstreben<br />
in Verbindung mit dem solide gebauten Tretlagerbereich<br />
– PowerCore genannt – eine optimale<br />
Kraftübertragung. Gabel und Rahmen sorgen in<br />
Kombination für genug Komfort plus ausreichend<br />
Steifigkeit, um präzise zu lenken.<br />
Abgesehen von der Shimano-Dura-Ace-Gruppe<br />
und den Vittoria Corsa-Reifen, die Van Avermaet<br />
bereits bei BMC fuhr, sind die meisten anderen<br />
Komponenten von Giant. Lenker, Vorbau, Sattel,<br />
Laufräder und sogar der Computer sind alle aus<br />
eigenem Hause. Die 42 Millimeter hohen Felgen<br />
sind mit Giants #Overachieve-Hashtag und damit<br />
als Prototypen gekennzeichnet. Das Team hatte<br />
mehrere Zeitfahrscheiben und Standard-Straßenlaufräder<br />
bei der Tour of Oman dabei, was darauf<br />
hindeutet, dass Giant eine Reihe neuer High-End-<br />
Räder entwickelt.<br />
AUSSTATTUNG<br />
© Chris Auld<br />
Rahmen Giant TCR Advanced SL mit integrierter<br />
Sattelstütze Gabel Giant TCR Advanced SL<br />
Carbon mit OverDrive-2-Steuerrohr Anbauteile<br />
Giant-Contact-SLR-Aero-Lenker und -Vorbau,<br />
Giant-Contact-SLR-Neutral-Sattel; Shimano-<br />
Dura-Ace-Pedale Gruppe Shimano-Dura-Ace-<br />
Di2-Schalthebel und -Schaltung, Shimano-Dura-<br />
Ace-Bremsen Kurbel Shimano-Dura-Ace 53x39<br />
in 172,5 mm mit Giant-Power-Pro-Leistungsmessung<br />
Laufradsatz Giant 42 mm #Overachieve<br />
Reifen Vittoria-Corsa-G+-Schlauchreifen<br />
GI(G)ANTISCHE KOMPONENTEN<br />
Die Teile der Eigenmarke überzeugen.<br />
Vorbau und Lenker sind aus<br />
der Contact-SLR-Aero-Serie, der<br />
Radcomputer ist ein NeosTrack.<br />
DATENMESSUNG<br />
Der RideSense-2.0-Sensor<br />
zeichnet Trittfrequenz und Geschwindigkeit<br />
auf und ist ANT+und<br />
Bluetooth-kompatibel.<br />
18 PROCYCLING | MAI 2019
PROLOG<br />
DIE MAGISCHEN DREI<br />
Das Rad ehrt Van Avermaets<br />
drei wichtigste Rennsiege:<br />
Olympia, Tirreno–Adriatico<br />
und Paris–Roubaix.<br />
CONTACT-FLÄCHE<br />
Nach Jahren auf Fizik-Sätteln<br />
sitzt Van Avermaets Hinterteil<br />
nun auf Giants Topmodell,<br />
dem Contact SLR Neutral.<br />
SHIMANOS KONSTANZ<br />
Für GVA stellten die Shimano-<br />
Dura-Ace-Brems- und -Schaltkomponenten<br />
bereits bei BMC eine<br />
Konstante der letzten Jahre dar.<br />
HASHTAG OVERACHIEVE<br />
Anstatt die Arbeit an Prototypen zu<br />
verstecken, nutzt Giant mit dem<br />
#Overachieve-Hashtag seine Entwicklungsphase<br />
fürs Marketing.<br />
© Chris Auld<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 19
PROLOG<br />
NEUE RUBRIK<br />
SCHAUFENSTER<br />
PRODUKTEMPFEHLUNGEN FÜR DEN MONAT MAI<br />
PRODUKT-TALK AUS DEM PELOTON<br />
Im Schaufenster präsentieren wir regelmäßig die neuesten Produkte aus der Radsportwelt.<br />
Text Werner Müller-Schell Fotografie Hersteller<br />
Abus<br />
FABIAN CANCELLARA<br />
WIRD NEUER<br />
BOTSCHAFTER<br />
Olympiasieger, Monumentgewinner, Weltmeister. Fabian<br />
Cancellara war ohne Zweifel einer der erfolgreichsten<br />
Radprofis der jüngsten Vergangenheit. Doch auch nach<br />
seinem Karriereende vor drei Jahren ist der Schweizer<br />
im Radsport äußerst aktiv. Mit seiner Rennserie „Chasing<br />
Cancellara“ begeistert er zahlreiche Jedermannrennfahrer,<br />
zudem engagiert er sich für mehrere Marken im<br />
Rad- und Triathlonbereich. Mit Abus hat „Spartakus“,<br />
wie er zu seiner Profizeit oft genannt wurde, nun einen<br />
neuen Partner und soll hier besonders die Helmmodelle<br />
GameChanger und AirBreaker präsentieren. „Ich bin<br />
Perfektionist. Wer mich kennt, weiß, dass ich mein<br />
Material ausgiebig teste und meine Ansprüche sehr hoch<br />
sind“, sagt der 38-Jährige. Beim GameChanger hätten ihn<br />
vor allem die sehr guten Aero-Eigenschaften überzeugt,<br />
wie Cancellara weiter erklärt. „Die Strömung fühlt sich<br />
nahezu perfekt an – egal, in welcher Position auf dem<br />
Rad. Da waren Profis am Werk. Mit dem AirBreaker gibt<br />
es sogar eine top belüftete und extrem leichte Variante.“<br />
www.abus.com<br />
Specialized<br />
NEUES ROUBAIX-RAD PRÄSENTIERT<br />
Pünktlich zu Paris–Roubaix präsentierte Specialized ein Update seines berühmten<br />
Roubaix-Modells. Das Motto: leichter als das Aero-Modell Venge, aerodynamischer<br />
als das Straßenrad Tarmac. Das Bike ist mit dem Know-how aus 15 Jahren und sechs<br />
Roubaix-Erfolgen gespickt und verfügt unter anderem über das Future-Shock-Dämpfungssystem,<br />
das Stöße auf ruppigen Kopfsteinpflasterpassagen erheblich abdämpfen<br />
soll. Das neue, verstellbare Federelement Future Shock 2.0 kommt dabei mit 20 Millimeter<br />
vertikaler Nachgiebigkeit. Es sitzt über dem Steuerrohr und unter dem Vorbau.<br />
Die zweite Feder im oberen Teil des Future Shock wurde durch ein hydraulisches<br />
System mit individueller Einstellbarkeit während der Fahrt ersetzt. Hinzu kommt die<br />
neue Pavé-Sattelstütze, die ebenfalls für mehr Komfort sorgen soll. Auch für breite<br />
Reifen mit einem Durchmesser von bis zu 33 Millimetern ist genügend Platz. Trotzdem<br />
bleibt der Rahmen unter der 900-Gramm-Marke (bei Rahmengröße 56). Von der<br />
Einsteigerausstattung für 2.299 Euro bis zur Sagan-Spezial-Kollektion für 11.199 Euro<br />
gibt es zahlreiche Varianten.<br />
www.specialized.com<br />
20 PROCYCLING | MAI 2019
PROLOG<br />
Ekoi<br />
GORILLA-TRIKOT FÜR EINEN GUTEN ZWECK<br />
Sprintstar André Greipel<br />
im persönlich designten<br />
Gorilla-Outfit. Ein Teil<br />
des Erlöses kommt der<br />
ALS-Forschung zugute.<br />
Gemeinsam mit dem Ausrüster Ekoi<br />
hat Sprintstar André Greipel eine<br />
eigens designte Trikot-Hose-Kombi<br />
auf den Markt gebracht. Mit dem Set<br />
im „Gorilla-Design“ setzt der Rostocker<br />
sein starkes Engagement um<br />
Fortschritte im Kampf gegen die<br />
Charcot-Krankheit (auch als Amyotrophe<br />
Lateralsklerose, kurz ALS,<br />
bekannt) fort. Im Interview sprachen<br />
wir mit dem 36-Jährigen aus den<br />
Reihen des Teams Arkéa-Samsic<br />
über das Projekt und seinen bisherigen<br />
Saisonverlauf.<br />
André, die Frühjahrsklassiker<br />
sind Geschichte. Welches Zwischenfazit<br />
ziehst du bisher?<br />
Ehrlich gesagt ein sehr bescheidenes.<br />
Positiver kann ich es leider nicht<br />
formulieren. Mein Saisonstart beim<br />
Tropicale Amissa Bongo in Gabun<br />
war trotz eines Sieges alles andere<br />
als einfach. Wir hatten bei dem<br />
Rennen leider mehr Transfers als<br />
Rennkilometer, sodass es für alle<br />
anstrengender war als zuvor gedacht.<br />
Danach bin ich krank geworden,<br />
sodass auch die weitere Vorbereitungsphase<br />
nicht ideal verlaufen<br />
ist. Entsprechend habe ich erst etwas<br />
Zeit gebraucht, um in Form zu<br />
kommen. Ab Paris–Nizza lief es<br />
dann richtig gut – leider waren die<br />
Rennen aber meist zu schwer, um<br />
im Sprint etwas zu bewegen.<br />
Du hast im Winter das Team<br />
gewechselt und fährst jetzt in<br />
Frankreich für Arkéa-Samsic.<br />
Spielt auch der Wechsel eine<br />
Rolle, dass der ganz große Erfolg<br />
noch ausgeblieben ist?<br />
Sicherlich befinden wir uns noch in<br />
der Kennenlernphase. Auch Wagi<br />
[Greipels Teamkollege Robert Wagner;<br />
Anm. d. Red.] ist nach seinem<br />
Kreuzbandriss im letzten Herbst<br />
noch nicht wieder auf seinem gewohnten<br />
Level, was sich natürlich<br />
auf unseren Sprintzug auswirkt. Ich<br />
bin aber guter Dinge, dass wir uns<br />
auch hier bald besser einspielen werden.<br />
Das Klima in der Mannschaft<br />
ist jedenfalls sehr gut. Da ich schon<br />
zur Schulzeit Französisch gelernt<br />
hatte, gibt es auch kein Verständigungsproblem.<br />
Nun zu deiner Aktion mit dem<br />
Bekleidungshersteller Ekoi. Was<br />
ist die Hintergrundgeschichte<br />
des Gorilla-Trikot-Sets?<br />
Ich habe meine Mutter durch ALS<br />
verloren, seitdem engagiere ich mich<br />
für die Erforschung der Krankheit,<br />
damit langfristig Fortschritte bei ihrer<br />
Heilung erzielt werden können.<br />
Mit verschiedenen Aktionen sammle<br />
ich also schon regelmäßig Geld für<br />
die ALS-Forschung. Ekoi ist unser<br />
Teamausrüster und hatte die Idee<br />
eines Spezialtrikots. Ich habe dann<br />
beim kompletten Prozess bis hin<br />
zum Design mitgewirkt und freue<br />
mich sehr über das Ergebnis – ein<br />
reinrassiges Renntrikot, mit dem<br />
viele Fans eine Freude haben werden.<br />
Besonders schön ist, dass ein<br />
Teil des Erlöses der ALS-Forschung<br />
zugutekommt.<br />
Wie sieht dein weiterer Saisonverlauf<br />
aus?<br />
Nach den Klassikern lege ich nun<br />
eine kleine Pause ein, ehe es mit<br />
Eschborn–Frankfurt, den Vier Tagen<br />
von Dünkirchen und der Norwegen-<br />
Rundfahrt weitergeht. Über die<br />
Dauphiné bereite ich mich dann<br />
konkret auf die Tour de France vor.<br />
Ich hoffe, ich kann bald wieder um<br />
Siege mitreden!<br />
André, vielen Dank für das Gespräch<br />
und viel Glück bei den<br />
kommenden Rennen!<br />
Preis Trikot: 89,99 Euro (5 Euro<br />
gehen an die Forschungseinrichtung<br />
DZNE)<br />
Preis Hose: 109,99 Euro (5 Euro<br />
gehen an die Forschungseinrichtung<br />
DZNE)<br />
Preis Set: 149,99 Euro (10 Euro<br />
gehen an die Forschungseinrichtung<br />
DZNE)<br />
www.ekoi.com<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 21
PROLOG<br />
CYCLINGWORLD DÜSSELDORF<br />
Am 23. und 24. März fand zum dritten Mal die Cyclingworld in<br />
Düsseldorf statt. Die Trendmesse präsentierte dabei nicht nur Urban Bikes,<br />
sondern auch allerlei Rennradequipment. <strong>Procycling</strong> war vor Ort.<br />
Titici<br />
WELTMEISTERLICHER<br />
AERO-RENNER<br />
Seit mittlerweile zehn Jahren befindet sich Ex-Weltmeister Paolo Bettini<br />
im Radsport-Ruhestand. Doch mit seinem Sport ist er nach wie vor aktiv<br />
verbunden: So arbeitet er unter anderem mit dem italienischen Hersteller<br />
Titici zusammen. Ein Ergebnis: das Flexy Road Integrated – ein reinrassiger<br />
Aero-Renner mit Scheibenbremsen. Herzstück und Hingucker<br />
zugleich ist die patentierte Plate Absorber Technology – kurz PAT: Das<br />
Oberrohr läuft bei dieser vor dem Übergang zum Sattelrohr zu einer<br />
Platte zusammen, wodurch Vibrationen im Vergleich zur traditionellen<br />
Bauweise um 18 Prozent reduziert werden sollen. Die Wirksamkeit der<br />
Technologie wurde von der Universität Parma wissenschaftlich bestätigt.<br />
www.titici.com<br />
Ridley<br />
DAS WERKZEUG DES<br />
SPRINTERS<br />
Caleb Ewan ist seit diesem Jahr der Sprintkapitän bei Lotto Soudal und<br />
folgte damit André Greipel nach. Sein Werkzeug: das Noah Fast – ein<br />
Aero-Renner, der auch im Sprint steif genug ist, um den enormen Kräften<br />
der Profis standzuhalten. Für Endverbraucher ist eine Lotto-Soudal-<br />
Noah-Fast-Replica erhältlich. Das Motto: „Ride like your favourite<br />
professional cyclist of the Lotto Soudal Pro Cycling Team.“ Erhältlich<br />
ist es unter anderem mit Ultegra- bzw. Ultegra-Di2-Gruppe sowie<br />
wahlweise mit Scheiben- oder klassischen Felgenbremsen. Der Preis<br />
beginnt ab 5.999 Euro (Ultegra-Ausstattung und Rim Brakes).<br />
www.ridley-bikes.com<br />
Assos<br />
RADHOSE FÜR RENNFAHRER<br />
„Fast gets faster.“ Unter dieser Überschrift schickt Assos die Equipe Bib Short S9 ins Rennen. Sie ist der<br />
Nachfolger der klassischen S7-Hose, entsprechend stecken in dem neuen Modell stolze sechs Jahre<br />
Entwicklungszeit. Das Ergebnis ist unter anderem ein spezielles Sitzpolster, das auch lange Ausfahrten<br />
komfortabler werden lassen soll. Eines der besonderen Features: Durch ihre spezielle Konstruktion<br />
funktionieren die Träger als Stabilisatoren und sollen Gewichtsverlagerungen – etwa in den Kurven –<br />
kompensieren.<br />
www.assos.com<br />
22 PROCYCLING | MAI 2019
PROLOG<br />
Argon 18<br />
IN DEN<br />
KASACHISCHEN<br />
FARBEN<br />
Der Kolumbianer Miguel Ángel López<br />
und seine Astana-Teamkollegen sind<br />
auch 2019 im typisch hellblau-gelben<br />
Kasachstan-Design unterwegs. Der<br />
Mannschaftsausrüster Argon 18 hat<br />
deshalb für Endverbraucher eine<br />
Replika-Version des offiziellen<br />
Teambikes gelauncht. Diese basiert<br />
auf dem Gallium-Pro-Rim-Rahmen<br />
von Argon 18 und ist mit Shimanos<br />
Ultegra-Di2-Gruppe, Team-25-Laufrädern<br />
von Vision, FSA-K-Force-Parts und<br />
einem Prologo-Sattel im Astana-Look<br />
aufgebaut. Die Preise beginnen ab<br />
3.000 Euro (mit klassischer Ultegra-<br />
Gruppe).<br />
www.argon18bike.com<br />
Rovelo.cc<br />
TOUR DE FRANCE IM<br />
MINIATURFORMAT<br />
Eine Tour de France im Miniaturformat – und das mitten im Wohnzimmer.<br />
Der Brite Rowley Haverly macht das möglich. Er kreiert und bemalt<br />
per Hand kleine Rennfahrerfiguren, mit denen sich klassische Rennsituationen<br />
nachstellen lassen. Von Peter Sagan bis Bradley Wiggins reicht die<br />
Palette des Künstlers, die Liebe zum Detail ist dabei beeindruckend. Ein<br />
absolutes Muss für jeden Profiradsportfan.<br />
www.rovelo.cc<br />
100%<br />
DURCHBLICK WIE DIE<br />
PROFIS<br />
Die Speedtrap von 100% ist die Brille des dreifachen Straßenweltmeisters<br />
Peter Sagan und auch die Wahl zahlreicher anderer Radprofis bei Bora–<br />
hansgrohe. Der Rahmen der Profibrille besteht aus festem, aber trotzdem<br />
flexiblem Grimalid-TR90-Material; außerdem verfügt er über verstellbare<br />
Bügel. Die Scheibe mit erweitertem Sichtfeld ist einfach und schnell<br />
wechselbar und bietet 100 Prozent UV-Schutz. Erhältlich sind zahlreiche<br />
Varianten, abgebildet ist die Version in Matte White.<br />
www.ride100percent.com<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 23
PROLOG<br />
INSIDER<br />
RICK ZABEL<br />
UNVERHOFFT KOMMT OFT<br />
Nach der Verletzungspause kehrte der Katusha-Alpecin-Profi bei den Klassikern zurück.<br />
Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Jojo Harper/Team Katusha-Alpecin (Porträt), Tim de Waele/Getty Images<br />
Keine Rennen, stattdessen<br />
Pause. Fünf Wochen lang.<br />
Im März musste ich zum<br />
ersten Mal in meiner Karriere aufgrund<br />
einer Verletzung während der<br />
Saison pausieren. Eine Zeit, die alles<br />
andere als einfach war – die aber<br />
glücklicherweise ein gutes Ende<br />
nahm: Mit Flandern-Rundfahrt und<br />
Paris–Roubaix konnte ich nämlich<br />
trotzdem die größten Klassiker bestreiten<br />
– und bin nun entsprechend<br />
optimistisch, was die kommenden<br />
Monate angeht.<br />
Ihren Anfang hatte die Misere im<br />
Februar genommen, als ich bei der<br />
Valencia-Rundfahrt gestürzt war.<br />
Die Folge: eine Gehirnerschütterung,<br />
die mich letztlich die direkte<br />
Vorbereitungsphase für die Klassiker<br />
kostete. Während sich der Rest<br />
des Pelotons bei Paris–Nizza und<br />
Tirreno–Adriatico für Mailand–San<br />
Remo und Co. einrollte, musste ich<br />
zu Hause sitzen und zuschauen.<br />
Auch wenn das mental schwierig<br />
war – ich habe mich trotzdem<br />
durchgebissen und stur mein Training<br />
durchgezogen. Dreierblock.<br />
Ruhetag. Dreierblock. Ruhetag. Fast<br />
einen Monat lang.<br />
Entsprechend happy war ich,<br />
als ich bei Dwars Door Vlaanderen<br />
Anfang April wieder ins Renngeschehen<br />
zurückkehren konnte. Ein<br />
Comeback bei einem belgischen<br />
Eintagesrennen ist natürlich alles<br />
andere als locker – trotzdem konnte<br />
ich in den ersten 130 Kilometern<br />
gut mithalten, meine Aufgaben<br />
für die Mannschaft erfüllen<br />
und am Ende auch das Rennen beenden.<br />
Für mich eine gute Leistung<br />
– das sah auch das Team so: Das<br />
teilte mir nämlich im Anschluss an<br />
„ALS ES NACH 150 KILOMETERN AUF DEN<br />
KOPFSTEINPFLASTERABSCHNITT HAAGHOEK<br />
GING, FUHR ICH AN DRITTER POSITION AUF<br />
AUGENHÖHE MIT DEM ZUG VON<br />
DECEUNINCK–QUICK-STEP.“<br />
diesen Test mit, dass ich Flandern<br />
und Roubaix fahren dürfe. Damit<br />
war die lange Auszeit fast schon<br />
wieder vergessen.<br />
Rick Zabel (rechts) mit seinem<br />
Teamkollegen Jens Debusschere<br />
bei der Flandern-Rundfahrt.<br />
Das gilt umso mehr, als dass meine<br />
Form im Folgenden überraschend<br />
gut war. Bei der Ronde musste ich<br />
zwar nach 220 Kilometern aussteigen,<br />
aber bis dahin konnte ich alle<br />
Aufgaben für unseren Kapitän Nils<br />
[Politt; Anm. d. Red.] vollends erfüllen.<br />
Ein Highlight: Als es nach<br />
150 Kilometern auf den Kopfsteinpflasterabschnitt<br />
Haaghoek ging,<br />
fuhr ich an dritter Position auf Augenhöhe<br />
mit dem Zug von Deceuninck–Quick-Step.<br />
Letztes Jahr hätte<br />
ich mich darüber nicht gefreut,<br />
doch nach der unfreiwilligen Auszeit<br />
in der direkten Vorbereitungsphase<br />
war das definitiv ein kleiner persönlicher<br />
Erfolg. Auch das Team war<br />
mit meiner Leistung zufrieden und<br />
nominierte mich entsprechend auch<br />
für die weiteren Frühjahrsklassiker.<br />
Mit dem unerwartet guten Wiedereinstieg<br />
in den Rennbetrieb bin<br />
ich auch meinem nächsten Saisonziel<br />
ein kleines Stück näher gekommen:<br />
der Tour de France. Mein jetziger<br />
Formaufbau ist ganz klar darauf<br />
ausgerichtet, dass ich bei der Großen<br />
Schleife im Juli in Topform bin. Aus<br />
diesem Grund werde ich auch die<br />
ansonsten übliche Pause nach den<br />
Klassikern auslassen und direkt<br />
weiter Rennen fahren – unter anderem<br />
bei der Tour of Yorkshire und<br />
der Tour of California. Und anstatt<br />
die Beine hochzulegen, werde ich<br />
die Zeiträume dazwischen mit harten<br />
Trainingsblöcken füllen. Pause<br />
hatte ich in den letzten Wochen ja<br />
schließlich genug.<br />
Geboren am 7. Dezember 1993,<br />
zog es den Sohn von Erik Zabel<br />
schon früh zum Radsport. Nach<br />
guten Platzierungen bei den Junioren<br />
wechselte er 2012 zum Rabobank<br />
Development Team. 2014<br />
wurde Rick Zabel Profi bei BMC und<br />
fuhr drei Jahre bei der US-amerikanischen<br />
Equipe. 2017 wechselte er<br />
zu Katusha-Alpecin und bestritt<br />
erstmals die Tour de France und<br />
die Straßen-WM.<br />
24 PROCYCLING | MAI 2019
04/18<br />
Testsieger<br />
TESTSIEGER<br />
DER NAME IST PROGRAMM. Schwalbe Pro One Tubeless und One Clincher<br />
überzeugen die kritischsten Tester und bestimmt auch dich. NEU: beide Reifen<br />
auch in 30 mm extra-breit erhältlich. schwalbe.com
PROLOG<br />
INSIDER<br />
RALPH DENK<br />
STARK BEI DEN RUNDFAHRTEN<br />
Der Teamchef schreibt über den Auftritt seines Teams bei den Frühjahrsrennen.<br />
Aufgezeichnet von Werner Müller-Schell, © Bora–hansgrohe/BettiniPhoto<br />
Vier von sechs Etappen einer<br />
Rundfahrt zu gewinnen,<br />
dazu fünf Tage lang das<br />
Führungstrikot zu tragen – so eine<br />
Dominanz erlebt man als Teamchef<br />
bei Etappenrennen nicht oft. Umso<br />
stolzer sind wir auf unseren Auftritt<br />
bei der Baskenland-Rundfahrt Anfang<br />
April. Auch wenn es am Ende<br />
leider nicht zum Gesamtsieg gereicht<br />
hat – unsere Performance war<br />
sicherlich eines der Highlights des<br />
bisherigen Frühjahrs.<br />
Besonders herausragend im Baskenland<br />
präsentierten sich Ema -<br />
nuel Buchmann und Maximilian<br />
Schachmann. Bereits in meinen<br />
letzten Kolumnen hatte ich mehrfach<br />
über das große Talent der beiden<br />
geschrieben. Dies kann ich an<br />
dieser Stelle nun nur wiederholen.<br />
Die gesamte Saison über präsentieren<br />
sie sich bereits in einer beeindruckenden<br />
Form. Wir sind uns sogar<br />
sicher, dass es noch Potenzial nach<br />
oben gibt und wir uns im weiteren<br />
Jahresverlauf noch steigern können.<br />
Das gilt auch taktisch: Im Baskenland<br />
war Maximilian zum Beispiel<br />
zeitweise etwas übermotiviert unterwegs<br />
und hat etwa auf der zweiten<br />
Etappe eine bessere Tagesplatzierung<br />
verschenkt – aber auch das<br />
muss man einem jungen Fahrer zugestehen.<br />
Mit der entsprechenden<br />
Erfahrung hat er langfristig auf jeden<br />
Fall das Zeug dazu, ein absoluter<br />
Weltklassefahrer zu werden,<br />
„DERZEIT HAT WOHL KAUM EINE ANDERE<br />
MANNSCHAFT IN DER WORLDTOUR SO EINE<br />
BREITE SPITZE FÜR ETAPPENRENNEN.“<br />
Sehr gut läuft es auch für unsere<br />
restliche Rundfahrerfraktion. Egal<br />
ob bei der Vuelta a Catalunya Ende<br />
März oder der Baskenland-Rundfahrt<br />
kurze Zeit später: Wir waren<br />
immer mit drei Fahrern in der Spitze<br />
vertreten – das können nur wenige<br />
Teams von sich behaupten. In Katalonien<br />
waren es neben Maximilian<br />
(Etappensieger) besonders Rafał<br />
Majka (Gesamt-Siebter) und Davide<br />
Formolo (Etappensieger), die für Furore<br />
sorgten. Im Baskenland zeigte<br />
sich neben Maximilian (drei Etappensiege<br />
und Emanuel (ein Etappensieg)<br />
auch Patrick Konrad (Gesamt-<br />
Neunter) stark in Form. Derzeit hat<br />
wohl kaum eine andere Mannschaft<br />
in der WorldTour so eine breite Spitze<br />
für Etappenrennen.<br />
Maximilian Schachmann gewann<br />
bei der Baskenland-Rundfahrt drei<br />
Etappen und trug zeitweise das Gelbe<br />
Trikot.<br />
Ein positives Fazit über die Klassiker<br />
kann ich zum jetzigen Zeitpunkt<br />
dagegen noch nicht ziehen. Während<br />
ich diese Zeilen schreibe, stehen<br />
noch die kompletten Ardennenklassiker<br />
aus. Fest steht, dass wir bei<br />
Mailand–San Remo, der Flandern-<br />
Rundfahrt und Paris–Roubaix unseren<br />
Ansprüchen trotz guter Leistungen<br />
noch etwas hinterhergefahren<br />
sind. Unser Ziel vor der Saison war<br />
ganz klar ein Sieg bei einem Moment.<br />
Sollte also Peter zum Zeitpunkt<br />
des Erscheinens dieser<br />
Kolumne Amstel oder Lüttich gewonnen<br />
haben oder sollten sogar<br />
Maximilian oder Patrick einen goldenen<br />
Tag beim Amstel Gold Race<br />
erwischt haben, zeigt der Daumen<br />
klar nach oben. Sollten wir allerdings<br />
leer ausgegangen sein, können<br />
wir nicht zufrieden sein und müssen<br />
analysieren, woran es gelegen hat.<br />
Nach den Klassikern gilt unsere<br />
volle Konzentration nun dem Giro<br />
d’Italia. Mit Davide Formolo, Rafał<br />
Majka und Pascal Ackermann schicken<br />
wir ein schlagkräftiges Team<br />
nach Italien, wovon wir uns einiges<br />
versprechen. Unser Ziel ist so zum<br />
einen eine Top-Fünf-Platzierung in<br />
der Gesamtwertung, zum anderen<br />
wollen wir aber auch einen Etappensieg<br />
einfahren. Sowohl Davide als<br />
auch Rafał haben ihre Form ja bereits<br />
in Katalonien unter Beweis gestellt<br />
und auch Pascal hat dieses<br />
Jahr schon gezeigt, dass man mit<br />
ihm rechnen kann. Entsprechend<br />
optimistisch bin ich, was unseren<br />
Auftritt auf dem Stiefel angeht.<br />
Ralph Denk ist Teammanager der<br />
deutschen WorldTour-Mannschaft<br />
Bora–hansgrohe. Nach jahrelanger<br />
Aufbauarbeit ist die Equipe mit Sitz<br />
im oberbayerischen Raubling seit<br />
2017 in der höchsten Radsportliga<br />
aktiv. In <strong>Procycling</strong> berichtet Denk,<br />
in früheren Jahren selbst aktiver<br />
Rennfahrer, jeden Monat über seinen<br />
Alltag als Teamchef.<br />
26 PROCYCLING | MAI 2019
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PROLOG<br />
DIE ENTSCHEIDUNG<br />
AM POGGIO<br />
Ein Blick auf die Bergleistungen bei Mailand–San Remo.<br />
Text Werner Müller-Schell<br />
© Strava (Screenshot)<br />
Kurz, knackig, aber dennoch<br />
rennentscheidend. Knapp<br />
vier Kilometer ist der Poggio<br />
di San Remo lang und mit<br />
150 Höhenmetern nicht einmal<br />
wirklich steil – und dennoch ist der<br />
kleine Hügel an der italienischen<br />
Mittelmeerküste einer der berühmtesten<br />
Anstiege des Profiradsports.<br />
Nach fast 300 Kilometer Renndistanz<br />
ist der Poggio die letzte Erhebung<br />
des Frühjahrsklassikers Mailand–San<br />
Remo – und damit der<br />
Scharfrichter beim ersten großen<br />
Klassiker des Jahres. Regelmäßig<br />
fällt hier die Entscheidung um den<br />
Sieg. Die spannende Frage, die sich<br />
dabei bei jeder Auflage von „La<br />
Primavera“ stellt: Schaffen es die<br />
Bergfahrer, sich am Poggio abzusetzen?<br />
Oder kommen die Sprinter<br />
mit über den Hügel und machen<br />
so im Finale in San Remo den Sieg<br />
unter sich aus?<br />
Auch in diesem Jahr war der Poggio<br />
der rennentscheidende Anstieg<br />
– auch wenn das Endergebnis mit<br />
dem Sieger Julian Alaphilippe eine<br />
Mischung aus Ausreißversuch und<br />
Sprint war. So machten die bergfesten<br />
Klassiker-Spezialisten um Alaphilippe<br />
am Poggio zwar mächtig<br />
Dampf – am Ende schafften es aber<br />
dennoch auch einige endschnelle<br />
Profis wie Peter Sagan oder Michael<br />
Matthews mit der Spitze über den<br />
Berg. Dass nach 300 Kilometern<br />
allerdings nicht mehr die reine Spritzigkeit<br />
im Sprint zählt, zeigte das<br />
Ergebnis: Sagan war eingeklemmt<br />
und hatte als Vierter nichts mit<br />
dem Ausgang des Rennens zu tun.<br />
Hinter dem Franzosen Alpahilippe<br />
belegten so Oliver Naesen (Belgien)<br />
und Michal Kwiatkowski (Polen) die<br />
nächsten Plätze.<br />
FAST 40 KM/H BERGAUF<br />
Wie hart das Rennen am Poggio<br />
ausfällt, zeigt die Strava-Aufzeichnung<br />
von Kwiatowski. Der Sky-Profi<br />
fuhr gemeinsam mit Alejandro Valverde<br />
von allen auf der Online-Trainingsplattform<br />
registrierten Profis<br />
die schnellste Zeit am Poggio: Für<br />
das 3,6 Kilometer lange Segment<br />
benötigte er gerade einmal 5:41 Minuten.<br />
Das bedeutet eine irrwitzige<br />
Durchschnittsgeschwindigkeit von<br />
fast 40 Kilometern pro Stunde –<br />
wohlgemerkt bei im Schnitt vier<br />
Prozent Steigung. Wie schnell das<br />
28 PROCYCLING | MAI 2019
PROLOG<br />
Peloton bei der diesjährigen Auf -<br />
lage von „MSR“ fuhr, offenbart die<br />
Gesamtrangliste auf dem Poggio-<br />
Segment: Die ersten sieben Plätze<br />
werden ausschließlich von 2019er-<br />
Leistungen belegt. Erst auf Rang<br />
acht folgt die Zeit von Tim Wellens<br />
aus dem Jahr 2017, als er in der<br />
Spitzengruppe 5:51 Minuten benötigte<br />
– immerhin zehn Sekunden<br />
langsamer als Kwiatowski.<br />
Kwiatkowski gab leider seine<br />
Berg leistung nicht frei, allerdings<br />
lud der zeitgleiche Valverde seine<br />
Powermeter-Daten auf Strava. Der<br />
amtierende Straßenweltmeister und<br />
diesjährige Siebte von Mailand–San<br />
Remo trat so im Schnitt stolze 414<br />
Watt. Beim aussagekräftigen Wert<br />
Watt/Kilogramm kam der 61 Kilogramm<br />
leichte Spanier auf rund<br />
6,8 – auch das ist eine stolze Nummer<br />
in Anbetracht dessen, dass zu<br />
jenem Zeitpunkt bereits mehr als<br />
280 Kilometer zurückgelegt waren.<br />
Der Zweite, Oliver Naesen, trat hier<br />
sogar mit 501 Watt in die Pedale.<br />
Bei 71 Kilogramm Körpergewicht lag<br />
er somit bei 7,1 Watt/Kilogramm.<br />
Michał Kwiatkowski hatte<br />
am Poggio die schnellsten<br />
Beine. Am Ende landete der<br />
Pole bei Mailand–San Remo<br />
als Dritter auf dem Podest.<br />
Seinen Strava-Ride gibt es<br />
unter www.strava.com/<br />
activities/2235000611<br />
Das Strava-Ranking<br />
Poggio di San Remo<br />
(3,6 Kilometer /<br />
146 Höhenmeter)<br />
1. Alejandro Valverde<br />
Movistar<br />
5:41 Minuten*<br />
1. Michał Kwiatkowski<br />
Sky<br />
5:41<br />
3. Oliver Naesen<br />
AG2R<br />
5:42<br />
3. Wout Van Aert<br />
Team Jumbo<br />
5:42<br />
5. Julien Simon<br />
Cofidis<br />
5:48<br />
6. Simon Clarke<br />
EF Education<br />
5:51<br />
6. Daniel Oss<br />
Bora–hansgrohe<br />
5:51<br />
8. Vincenzo Nibali<br />
Bahrain-Merida<br />
5:54<br />
9. Lilian Calmejane<br />
Direct Energie<br />
5:55<br />
9. Alessandro De Marchi<br />
CCC Team<br />
5:55<br />
* Gewertet wurden nur aktive Radprofis<br />
und ihre persönliche Bestzeit<br />
im Rahmen von Mailand–San Remo<br />
2019.<br />
© Tim de Waele/Getty Images, Strava (Screenshot)<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 29
SIMON YATES<br />
ERWACHSEN<br />
WERDEN<br />
Simon Yates galt lange als Grand-Tour-Anwärter und bewies dieses<br />
Potenzial, als er 2018 die Vuelta a España gewann. Doch es war<br />
seine Angriffslust beim Giro, die ihm wirklich Bewunderer einbrachte.<br />
Mit <strong>Procycling</strong> spricht er über Rennsport mit Instinkt,<br />
gelernte Lektionen und seine Rückkehr nach Italien im Mai.<br />
Text Sophie Hurcom<br />
Fotografie Getty Images<br />
30 PROCYCLING | MAI 2019
SIMON YATES<br />
© Kramon<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 31
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
imon Yates war erst 21, als er<br />
SDoch Nairo Quintana<br />
der Simon Yates von 2019 scheint, zumindest<br />
oberflächlich, ganz entspannt zu sein. Die<br />
und Bradley Wiggins schachmatt setzte und die<br />
6. Etappe der Großbritannien-Rundfahrt 2013 Länge seiner Antworten und die offene Art, mit<br />
gewann. Im Anstieg nach Haytor in der Grafschaft<br />
Devon löste sich der junge Fahrer aus einer In den letzten fünf Jahren ist Yates vor unse -<br />
der er spricht, sind ein wenig überraschend.<br />
erlesenen Gruppe von WorldTour-Fahrern, und ren Augen erwachsen geworden. Der 26 Jahre<br />
als er die Ziellinie überquerte, blickte er cool über alte Mann, der seine körperliche Reife erreicht<br />
die Schulter und hatte genug Zeit, beide Arme in hat, sieht ganz anders aus als der seiner Jugend<br />
die Luft zu strecken. Der Sieg hatte so viel Klasse, gerade erst entwachsene Fahrer, der in Devon<br />
dass man leicht vergessen konnte, dass Yates gewann. Yates strahlt, wenn er spricht, eine<br />
noch kein Profi war.<br />
Auto rität aus, die zeigt, dass er gereift ist, und<br />
Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach jenem nahe legt, dass er sich viel sicherer fühlt. Das<br />
Sieg sicherte sich Yates den Gesamtsieg bei der Selbstbewusstsein, das er schon lange auf dem<br />
Vuelta a España 2018, sein erster Grand-Tour-Titel. Rad ausstrahlte, scheint er jetzt auch als<br />
Viel hat sich geändert in der Zeit, nicht zuletzt Mensch entwickelt zu haben.<br />
Simon Yates selbst.<br />
Im vergangenen Jahr löste Yates die Versprechen<br />
ein, die er über mehrere Jahre gegeben hatte.<br />
Wir sind die Einzigen im Restaurant des<br />
Mannschaftshotels von Mitchelton-Scott in Roquetas<br />
de Mar. Es ist Yates’ Zuhause für ein paar Etappen und trug 13 Tage lang das Rosa Trikot,<br />
Er belebte erst den Giro d’Italia, gewann drei<br />
Tage, während er sich darauf vorbereitet, bei der bevor er es zwei Tage vor dem Finale in Mailand<br />
Ruta del Sol in die Saison 2019 einzusteigen. Er erschöpft verlor. Er gab im Spätsommer ein<br />
kommt pünktlich zu unserem Interview, spaziert Come back, erfrischt, und gewann die Vuelta. Er<br />
mit einer frisch nachgefüllten Kaffeetasse in den ist einer von nur sieben nicht mehr als 26 Jahre<br />
Raum. Er schüttelt uns die Hand und setzt sich. alten Fahrern, die in den letzten 20 Jahren eine<br />
Auf dem Rad zumindest wirkt Yates immer große Rundfahrt gewonnen haben.<br />
selbstsicher. Kein Wunder – er war immer gut und Yates’ Aufstieg ist keine Verwandlung über<br />
hatte das Talent, es weit zu bringen. Teamkapitän Nacht. Der Vuelta-Sieg war das Ergebnis von fünf<br />
zu sein, ist eine Position, wie er sagt, in der er sich Jahren sorgfältig gemanagter Entwicklung, seit er<br />
wohl fühlt. „Wenn wir Rennen fahren, bin ich sehr 2014 bei Orica-GreenEdge Profi wurde. Das große<br />
selbstsicher, wenn ich jemandem sagen muss, was Potenzial, das viele junge Fahrer haben, Realität<br />
er tun soll“, meint er. Wenn er nicht auf dem Rad werden zu lassen, ist ein Kunststück, an dem sich<br />
sitzt, ist es anders – Yates und sein Zwillingsbruder<br />
Adam haben den Ruf, keine leichten Interviewlich.<br />
Auf jeden Fahrer, der eine große Rundfahrt<br />
viele versuchen, aber nur wenige erreichen es wirkpartner<br />
zu sein. Schüchtern und ruhig, war ihr natürliches<br />
Habitat nie, mit Journalisten zu sprechen gehandelt werden, aber nie einen Fuß auf das Po-<br />
gewinnt, kommen viele, die als künftige Sieger<br />
oder im Rampenlicht zu stehen.<br />
dest einer Grand Tour setzen. Trotzdem versichert<br />
Yates, dass er nie den Druck spürte, den Erwartungen<br />
gerecht zu werden, die ihn seit Langem umgeben.<br />
„Nein, weil ich es selbst wollte. Wenn jemand<br />
es dir sagt, aber du nicht daran glaubst, du es<br />
nicht willst, dann ist der Druck groß. Aber ich war<br />
derjenige, der gesagt hat: Ich will Rundfahrer sein,<br />
ich will große Rundfahrten gewinnen, ich will<br />
das, und so will ich das schaffen. Das ist der größte<br />
Unterschied“, sagt er.<br />
„Wir arbeiten seit langer Zeit langsam darauf<br />
hin, es ist nicht nur etwas aus diesem Jahr. Ich<br />
war von Anfang an in der Kapitänsrolle in diesem<br />
Team – es kommt alles langsam zum Tragen und<br />
ich denke, man sieht das jetzt.“<br />
Yates ging als Außenseiter in den letztjährigen<br />
Giro. Er erinnert sich, dass die Leute ihm einen<br />
Top-Ten-Platz, vielleicht die Top Fünf zutrauten.<br />
„Niemand hat wirklich geglaubt, dass ich dort<br />
antrete und gewinne.“ Er war zuvor Sechster der<br />
Vuelta 2016 und Siebter der Tour 2017 gewesen,<br />
doch er hatte nie auf dem Podest einer großen<br />
Rundfahrt gestanden. Vor 2018 hatte er nur zwei<br />
Tage im Spitzenreitertrikot eines Rennens verbracht:<br />
je einen Tag bei Paris–Nizza und der Tour<br />
de Romandie.<br />
Ein siebter Platz beim Auftaktzeitfahren in<br />
Jerusalem deutete die Form an, in der Yates war,<br />
bevor er auf der 6. Etappe bei der ersten Bergankunft<br />
des Rennens am Ätna überzeugend die Gesamtführung<br />
übernahm. Drei Etappensiege folgten,<br />
darunter einer in Sappada 40 Sekunden vor<br />
dem Peloton, der seinen Platz als bei Weitem<br />
stärkster Kletterer des Rennens zementierte. Bei<br />
jeder Chance, die sich bot, griff er an und fuhr<br />
Zeit heraus. Doch obwohl er Tom Dumoulin im<br />
Zeitfahren auf der 16. Etappe abwehrte und das<br />
Rosa Trikot verteidigte, zahlte er für die Anstrengungen<br />
einen Preis. Auf einer außergewöhnlichen<br />
19. Etappe brach er ein und rutschte auf den<br />
21. Platz in Mailand ab.<br />
Yates nennt die Tatsache, dass er 2017 einen<br />
neuen Trainer bekam, nachdem er bei der Tour in<br />
dem Jahr das Weiße Trikot gewonnen hatte, als<br />
eine der Umstellungen, die sich in der letzten Saison<br />
ausgewirkt haben. Bis dahin hatte Yates weitgehend<br />
in Eigenregie trainiert, doch als er anfing,<br />
mit Alex Camier bei Mitchelton zu arbeiten, wurde<br />
sein Training spezifischer und er bemerkte<br />
kleine, aber signifikante Steigerungen.<br />
„Das eigentliche Training hat sich nicht sehr<br />
verändert. Aber wir haben hier und da ein paar<br />
zusätzliche Dinge gemacht, die das Training ein<br />
bisschen verändert haben“, erklärt Yates. „Ich<br />
war nie so weit entfernt. Ich hatte keine 20 Minuten<br />
Rückstand. Ich weiß nicht, was ich bei der<br />
Tour oder der Vuelta hatte, als ich zuletzt in den<br />
Top Ten war, aber ich hatte keine zehn Minuten<br />
Rückstand. Ich war nahe dran, also erfordert es<br />
nicht viel, diese Kleinigkeiten zu ändern. Das ist<br />
eigentlich alles. Ich fahre noch genau so Rennen,<br />
32 PROCYCLING | MAI 2019
SIMON YATES<br />
Beim Giro 2018 verlor Yates drei Tage<br />
vor dem Ende all seine Spritzigkeit.<br />
ich habe denselben Lebensstil, es ist vielleicht<br />
einfach nur eine wissenschaftlichere Herangehensweise.“<br />
Es gab klare Lektionen, die Yates aus dem<br />
Giro mit in die Vuelta nahm. Während er in Italien<br />
in der dritten Woche physisch abbaute, schien<br />
er Monate später in Spanien stärker zu werden, je<br />
länger das Rennen dauerte. Der letzte Vorstoß begann,<br />
als er die 14. Etappe gewann.<br />
„Ich fühlte mich immer noch sehr gut, und<br />
dadurch bin ich immer selbstbewusster geworden.<br />
An dem Punkt war ich beim Giro schon<br />
sehr erschöpft, aber da war es das Gegenteil.<br />
Ich wuchs irgendwie, ich fühlte mich von Tag<br />
zu Tag besser.“<br />
Wie beim Giro übernahm Yates bei der Vuelta<br />
früh die Führung des Rennens – fast zufällig,<br />
auf der 9. Etappe. Er machte sich Sorgen, dass<br />
die Geschichte sich wiederholen würde, daher<br />
entschied das Team, die Verantwortung auf der<br />
12. Etappe abzugeben, in der Überzeugung, dass<br />
er das Trikot später zurückgewinnen konnte.<br />
„Beim Giro habe ich es darauf angelegt [die Führung].<br />
Ich wollte es wirklich. Während es bei der<br />
Vuelta eigentlich – das wird jetzt falsch rüberkommen,<br />
und wenn es gedruckt wird, wird es schlecht<br />
aussehen – aber ich wollte es nicht. Ich wollte das<br />
Trikot zu dem Zeitpunkt nicht. Ich wollte am Ende<br />
des Rennens gewinnen“, sagt Yates.<br />
„Ich wollte nicht mit den Journalisten sprechen<br />
müssen, ich wollte die Presseverpflichtungen<br />
nicht, ich wollte die Siegerehrungen nicht<br />
und ich wollte nicht zwei Stunden später als alle<br />
anderen ins Hotel kommen. Beim Giro bin ich<br />
kaum zum Essen gekommen. Ich hatte so viel zu<br />
tun und die Etappen gingen so spät zu Ende und<br />
ich kam erst sehr spät zurück und aß erst sehr<br />
spät, und dann gehst du mit vollem Magen ins<br />
Bett und wachst auf und fühlst dich besch…“,<br />
sagt er und legt die Hand auf den Mund, um<br />
nicht zu fluchen, „… schlecht, und so geht es<br />
weiter. Es war zu Beginn des Rennens, es war<br />
auch zu Beginn des Giro, und ich sah es kommen,<br />
dass es wieder passiert. Und ich dachte<br />
nur: Ich will das jetzt nicht.“<br />
Eine weitere wichtige Taktik bei der Vuelta war,<br />
sicherzustellen, dass Yates sich nicht wieder zu<br />
früh verausgabte. Statt von Anfang an offensiv zu<br />
fahren, versuchte sein Team, ihn zu zügeln und in<br />
der ersten Woche konservativer fahren zu lassen.<br />
Er gibt zu, dass es manchmal schwer war, sich an<br />
die Order des Teams zu halten.<br />
„Wenn du schon sehr, sehr früh die Beine hattest,<br />
um etwas auszurichten – ich meine, mit<br />
zwölf, 13, 14 Jahren – wenn du gute Beine hast<br />
und dich gut fühlst, greifst du an, du versuchst,<br />
die Etappe zu gewinnen, du versuchst, das Rennen<br />
zu gewinnen. Das machst du, indem du angreifst“,<br />
sagt er. „Seit ich Profi bin, konnte ich<br />
das nicht mehr, bis zu diesem Zeitpunkt.<br />
KARRIERE-HÖHEPUNKTE SIMON YATES’ BISHER GRÖSSTE MOMENTE<br />
2013<br />
TOUR OF BRITAIN<br />
Im Team GB unterwegs, über -<br />
rascht der 21-Jährige die Konkur -<br />
renz bei der Bergankunft in<br />
Haytor bei der Tour of Britain. Auf<br />
dem drei Kilometer langen An -<br />
stieg haben Quintana, Dan Martin<br />
und Wiggins das Nachsehen.<br />
2016 VILLAFRANCA–<br />
ORDIZIAKO<br />
Yates siegt erstmals als<br />
WorldTour-Profi beim Eintagesrennen<br />
Prueba Villafranca–Ordiziako<br />
Klasika im Baskenland. Er<br />
attackiert am letzten Anstieg aus<br />
einer Fünfergruppe und fährt mit<br />
34 Sekunden Vorsprung ins Ziel.<br />
2016<br />
VUELTA A ESPAÑA<br />
Erster Grand-Tour-Etappensieg<br />
bei der Vuelta. Yates<br />
folgt Dani Morenos Attacke<br />
fünf Kilometer vor dem<br />
Ziel, hängt ihn ab, fängt den<br />
Ausreißer Matthias Frank<br />
ein und siegt als Solist.<br />
2017<br />
PARIS–NIZZA<br />
Yates gewinnt die 6. Etappe,<br />
indem er 19 Kilometer vor dem<br />
Ziel nahe des Col de Bourigaille<br />
beschleunigt und davonfährt. In<br />
der Abfahrt vergrößert er seinen<br />
Vorsprung, sodass er mit genug<br />
Zeit in den Schlussanstieg geht.<br />
© Offside Sports Photography (2013)<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 33
34 PROCYCLING | MAI 2019<br />
DAS GROSSE INTERVIEW
SIMON YATES<br />
Yates in der Verfolgung<br />
des späteren Etappensiegers<br />
Chris Froome am<br />
Monte Zoncolan auf der<br />
14. Etappe des Giro 2018.<br />
© Kramon<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 35
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
Und dann sagte man mir plötzlich: ‚Du sollst das<br />
jetzt nicht mehr.‘“ Er erzählt weiter: „Sie haben<br />
mich vier, fünf Jahre lang einfach nur fertiggemacht,<br />
all diese Typen, die super aggressiv sind und die<br />
ganze Zeit angreifen. Und in dem Moment, wo ich<br />
dazu fähig bin, wo ich physisch gereift bin, da sagt<br />
man mir: ‚Du sollst das nicht, du musst Energie<br />
sparen.‘ Es war mental schwer, dazu in der Lage zu<br />
sein, zumal ich so gute Beine hatte.“<br />
Am Ende, sagt er, waren es nur zwei Tage, an<br />
denen er und sein Team sich zurückhielten. Aber<br />
im Peloton mitzurollen, war auf jeden Fall eine<br />
Strategie, die er schwer fand. Auf der 4. Etappe<br />
griff er vier Kilometer vor dem Ziel an und gab<br />
später zu, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen.<br />
Doch die riskante Taktik ging auf und er fuhr<br />
fast 20 Sekunden auf seine Rivalen heraus. „Ich<br />
konnte sehen, dass zu dem Zeitpunkt alle wirklich<br />
litten. Wir hatten einen wirklich harten Tag<br />
und es ist schwer, das nicht auszunutzen, weißt<br />
du? Ich fühlte mich wirklich gut. Das Problem ist,<br />
wenn ich da nichts gemacht hätte und das Rennen<br />
um 20 Sekunden verloren hätte, hätte ich<br />
mich richtig geärgert, denn ich hatte die Beine,<br />
um etwas auszurichten. Manchmal greife ich<br />
einfach lieber an, wenn ich die Beine habe.“<br />
Das einzige Mal, dass Yates bei der Vuelta tatsächlich<br />
Zeit auf seine Rivalen verlor, war auf der<br />
12. Etappe, wo er das Trikot absichtlich abgab.<br />
Eine Etappe, von der er wusste, dass er sie nicht<br />
nutzen wollte. „Ich habe dort Zeit verloren, aber<br />
das lag nicht an meinen Beinen. Es war meine<br />
Einstellung“, erinnert er sich. „Ich warte, weil ich<br />
nicht vorhabe, anzugreifen, also fahre ich weiter<br />
hinten mit, dann greift jemand an, die Lücke geht<br />
auf und dann gerate ich ins Hintertreffen. Ich<br />
nehme die Verfolgung auf, es ist mental schwerer,<br />
ich muss die Lücke zu diesem Typ zufahren.“<br />
„ICH GREIFE NICHT AN DEN<br />
NORMALEN PUNKTEN AN, AN<br />
DENEN DIE LEUTE ANGREIFEN.<br />
ICH GREIFE ZUM BEISPIEL 20<br />
KILOMETER VOR DEM ZIEL AN.“<br />
Yates greift den führenden Michał<br />
Kwiatkowski (in Rot) auf der 4. Etappe<br />
der Vuelta 2018 an.<br />
Yates’ Fahrstil passt nicht zur heutigen<br />
Ära bei den großen Rundfahrten, die von<br />
Rouleuren und Dieseln dominiert werden,<br />
die bergauf Tempo fahren können. Mit Elan und<br />
Instinkt und nach Gefühl zu fahren, wie Yates<br />
es tut, geht zurück auf eine andere Zeit, als die<br />
großen Rundfahrten von Profis gewonnen wurden,<br />
die jederzeit Sekunden herausfahren konnten.<br />
Yates konnte den Giro im letzten Jahr zwar<br />
nicht gewinnen, doch er war der Hauptanimateur<br />
des Rennens und fand damit viele neue Fans<br />
und Bewunderer.<br />
„Ich greife nicht an den normalen Punkten an,<br />
an denen die Leute angreifen. Ich greife zum Beispiel<br />
20 Kilometer vor dem Ziel an. Damit rechnen<br />
die Leute nicht. Ich denke, an dem Punkt,<br />
wenn ich das weiter tun kann und weiter versuchen<br />
kann zu überraschen, ist das die Art, wie ich<br />
es anpacken will“, sagt Yates.<br />
Es ist verständlich, warum der freiere Rennstil<br />
in Italien Yates liegt und warum er sich entschieden<br />
hat, in diesem Jahr erneut den Giro zu fahren,<br />
statt an der Tour teilzunehmen. Er hat geäußert,<br />
wenig Interesse daran zu haben, bei der Tour auf<br />
Sieg zu fahren, wo der hohe Druck und eine viel<br />
kontrolliertere Taktik einfach nicht dieselbe Leidenschaft<br />
in ihm entfachen.<br />
„Ich weiß nicht, was mit der breiteren Öffentlichkeit<br />
ist, aber als ich in Italien war, wurde ich<br />
gut aufgenommen, einfach die Art, wie ich am<br />
Straßenrand begrüßt wurde. Das ist einer der<br />
Gründe, warum ich mich freue, wieder dort zu<br />
starten, ich habe es dort wirklich genossen. Ich<br />
hatte viel Spaß“, sagt er.<br />
„Die Attacken mögen ein bisschen draufgängerisch<br />
wirken, aber ich denke mir tatsächlich etwas<br />
bei dem, was ich mache. Ich mache es, weil dieser<br />
Typ aussieht, als würde er ein bisschen leiden, das<br />
und das bevorsteht, Rückenwind herrscht, sodass<br />
es schwer wird, mich einzuholen, dieses Team<br />
nur noch einen Fahrer hat, sodass die Nachführarbeit<br />
schwer wird, weil es ein Kopf-an-Kopf-Rennen<br />
wird, ich gegen ihn. Es ist durchdachter, als<br />
es aussieht.“<br />
Es ist eine hochriskante Strategie, mit einer Attacke<br />
alles auf eine Karte zu setzen. Mit dem Lohn<br />
sind Risiken verbunden. Der einzige andere<br />
2017<br />
GP MIGUEL INDURAIN<br />
Yates und zwei Teamkollegen<br />
schaffen es 20 km vor dem Ziel<br />
in eine neunköpfige Fluchtgruppe<br />
bei dem hügeligen<br />
Eintagesrennen. Zehn km vor<br />
der Linie springt er weg und hält<br />
Woods und Henao auf Distanz.<br />
2017<br />
TOUR DE ROMANDIE<br />
Mit dem Sieg in Leysin auf der<br />
bergigen 4. Etappe der<br />
Romandie übernimmt er die<br />
Führung. Yates folgt Richie<br />
Portes Attacke drei Kilometer<br />
vor dem Ziel und schlägt den<br />
Australier im Sprint.<br />
2018<br />
PARIS–NIZZA<br />
Zweiter Etappensieg bei Paris–<br />
Nizza auf dem Colmiane am<br />
schwersten Tag der Rundfahrt bei<br />
nasskaltem Wetter. Mitchelton bereitet<br />
Yates’ Attacke vier Kilometer<br />
vor dem Ziel vor; er hält Jon<br />
Izagirre in Schach und gewinnt.<br />
2018<br />
KATALONIEN-<br />
RUNDFAHRT<br />
Auf der hügeligen Schlussetappe<br />
schließt Yates zu seinem Kollegen<br />
Daryl Impey in einer neunköpfigen<br />
Gruppe auf. Als das Peloton<br />
kommt, greift er mit drei anderen<br />
an und fährt dann alleine zum Sieg.<br />
36 PROCYCLING | MAI 2019
SIMON YATES<br />
2018 GIRO D’ITALIA,<br />
9. ETAPPE<br />
Am Gran Sasso d’Italia feiert<br />
Yates den ersten seiner drei<br />
Tagessiege. Unter dem<br />
Teufelslappen folgt er<br />
Pozzovivos Attacke, fährt einen<br />
perfekten Sprint und schlägt<br />
den Italiener sowie Pinot.<br />
2018 GIRO D’ITALIA,<br />
11. ETAPPE<br />
Die schwere 11. Etappe nach<br />
Osimo ist Yates’ nächstes Ziel,<br />
wo er auf dem kurzen, steilen<br />
gepflasterten Schlussanstieg<br />
glänzt. Er fährt zu Wellens und<br />
Štybar auf und distanziert<br />
Dumoulin.<br />
2018 GIRO D’ITALIA,<br />
15. ETAPPE<br />
Yates zeigt seine Stärken als Kletterer,<br />
indem er die Gesamtwertungsrivalen<br />
17 Kilometer vor dem Ziel stehen lässt<br />
und in Sappada mit 41 Sekunden<br />
Vorsprung gewinnt. Damit wird er der<br />
erste Fahrer seit Simoni 2003, der in<br />
Pink drei Giro-Etappen gewinnt.<br />
2018<br />
POLEN-RUNDFAHRT<br />
Am letzten Tag greift Yates als<br />
Gesamt-Zweiter an und zwingt<br />
Leader Kwiatkowski zur Verteidigung<br />
seines 39-Sekunden-<br />
Vorsprungs. Im strömenden Regen<br />
gewinnt Yates die Etappe, verpasst<br />
aber den Gesamtsieg.<br />
© Kramon (groß)<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 37
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
Rundfahrtsieger in jüngerer Zeit, der auf ähnliche<br />
Weise fuhr, war wohl Alberto Contador.<br />
„Es gibt viele Jungs, die sehr angriffslustig sind,<br />
wahrscheinlich Jungs, die viel angriffslustiger sind<br />
als ich, aber ihre Namen siehst du nie, weil sie es<br />
aufgrund bestimmter Umstände nie durchziehen“,<br />
sagt Yates. „Es hängt vielleicht auch von der<br />
Art des Rennens und der Jahreszeit ab, was sich<br />
darauf auswirkt, wie schnell die Jungs fahren. Es<br />
ist schwer zu sagen, warum meine Angriffe funktionieren<br />
– vielleicht sind es die Kleinigkeiten, an<br />
die ich denke.“<br />
Yates kehrt in diesem Jahr mit einer offenen<br />
Rechnung zum Giro zurück. Wenn das Rennen<br />
am 11. Mai in Bologna startet, kann er nicht mehr<br />
unter dem Radarschirm durchfliegen, und das<br />
weiß er.<br />
Ihm wäre ein schwereres Auftaktwochenende<br />
lieber gewesen, sagt er, um Ruhe ins Rennen zu<br />
bringen, aber davon abgesehen, bringt ihn die<br />
Route nicht aus der Fassung. Die einzigen Etappen,<br />
die er sich genauer ansehen möchte, sind<br />
die drei Zeitfahren, die hügeliger sind als die letztjährigen<br />
und ihm daher besser liegen. Trotz der<br />
Annahme, dass beide Yates-Brüder keine guten<br />
Zeitfahrer sind, haben sie sich stetig verbessert;<br />
Simon konnte bei Paris–Nizza im März sein erstes<br />
Zeitfahren gewinnen. „Ich glaube, ich bin ein<br />
guter Zeitfahrer dafür, dass ich so klein bin“, sagt<br />
er. „Ich produziere nicht so viel Watt wie diese<br />
Jungs; das kann ich physisch gar nicht, aber wenn<br />
du nicht auf die Zahlen schaust, sondern auf die<br />
Platzierung, bin ich ziemlich gut.“<br />
Er nahm bei den Zeitfahren des Giro im letzten<br />
Jahr eine „super unbequeme, super verkrampfte“<br />
Haltung ein, um konkurrenzfähig<br />
zu sein. Das trug vielleicht dazu bei, dass er in<br />
den letzten Tagen so erschöpft war, mutmaßt er.<br />
Doch das Team hat vor der Vuelta ein paar kleine<br />
Umstellungen vorgenommen, um dem entgegenzuwirken.<br />
„Beim Zeitfahren der Vuelta hatte ich ein ähnliches<br />
Gefühl, aber ich bin nicht müde aus dem<br />
Zeitfahren hervorgegangen, ich war nicht sehr erschöpft.<br />
Ich frage mich, ob das [beim Giro] eine<br />
Rolle spielte. Ich habe meinen Körper dort zu sehr<br />
geschädigt und konnte mich nicht erholen wegen<br />
dieser extremen Position.“<br />
Yates gibt zu, dass er noch viel lernen muss. Er<br />
war knapper Zweiter bei Paris–Nizza und der Polen-Rundfahrt<br />
sowie Vierter bei der Katalonien-<br />
Rundfahrt 2018, während er bei Paris–Nizza in<br />
diesem Frühjahr bei Seitenwind den Moment verpasste,<br />
als die Post abging, und seine Hoffnungen<br />
Bei Paris–Nizza lief es für Yates, der auf<br />
der 2. Etappe vom Seitenwind überrascht<br />
wurde, nicht rund.<br />
auf den Gesamtsieg begraben musste. Aber mit<br />
erst 26 hat Yates viel Zeit auf seiner Seite.<br />
„Jedes Rennen, in das ich gehe und wo ich<br />
Teamkapitän bin, versuche ich zu gewinnen. So<br />
gehe ich da rein. Es hat viele Male nicht geklappt,<br />
ich habe vor der Vuelta nie eine Rundfahrt gewonnen<br />
– aber ich versuche einfach immer wieder,<br />
weißt du, diese Einstellung zu behalten, weil ich<br />
glaube, dass es hilft“, sagt er.<br />
„Du weißt nie, wann deine besten Jahre sind,<br />
aber ich hoffe, mich weiter zu steigern.“<br />
2018 VUELTA A ESPAÑA,<br />
14. ETAPPE<br />
Auf dem steilen Wirtschaftsweg<br />
zum Alto les Praeres greift Yates<br />
eine starke Gruppe an. 700 Meter<br />
vor dem Ziel schüttelt er Quin -<br />
tana, Valverde, Pinot und Kruijs -<br />
wijk ab, gewinnt die Etappe und<br />
übernimmt die Führung.<br />
2018<br />
VUELTA A ESPAÑA<br />
Erster großer Rundfahrtsieg bei<br />
der Vuelta nach einer selbstsicheren<br />
Vorstellung. Auf der<br />
9. Etappe übernimmt er die<br />
Führung, gibt sie kurz wieder ab<br />
und trägt dann das Rote Trikot<br />
ab Etappe 14 bis nach Madrid.<br />
2019<br />
RUTA DEL SOL<br />
Yates geht mit einem Etappensieg<br />
bei der Ruta del Sol in die Saison. Er<br />
fährt den 16 Kilometer langen Alto<br />
de Hazallanas, den schwersten<br />
Anstieg des Rennens, alleine hoch<br />
und vergrößert seinen Vorsprung<br />
noch auf der Abfahrt nach Granada.<br />
2019<br />
PARIS–NIZZA<br />
Allererster Zeitfahrsieg. Als<br />
schlanker Kletterer nicht gerade<br />
als Rouleur bekannt, verlässt<br />
sich Yates auf sein spezifisches<br />
Training und nimmt Nils Politt<br />
auf dem 25,5 Kilometer langen<br />
Kurs sieben Sekunden ab.<br />
38 PROCYCLING | MAI 2019
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
KONTRAPUNKT<br />
DIE GRÖSSTE SHOW<br />
<strong>Procycling</strong> schaut sich die Gründe dafür an, dass der Giro<br />
regelmäßig die spannendste große Landesrundfahrt ist.<br />
Text Sam Dansie<br />
Fotografie Yuzuru Sunada<br />
Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass der<br />
Giro in Bologna begann. Der Flickenteppich<br />
aus Terrakotta-Dächern und Säulengängen<br />
hat ein zeitloses Flair, aber das Rennen,<br />
das dieses Mal zu Gast war, hatte einen ganz anderen<br />
Charakter. 1994 waren elf der 17 Teams<br />
italienisch, und ein zwölftes, Mercatone Uno, war<br />
in San Marino registriert. Das italienische Peloton<br />
war reich und tief. In Bologna freuten sich die<br />
Fans auf eine Fortsetzung der Rivalität zwischen<br />
Gianni Bugno und Claudio Chiapucci. Und an<br />
zwei funkelnden Tagen in den Ostalpen und Dolomiten<br />
sollten diese zwei Gesellschaft bekommen<br />
von der Supernova, die sie alle überschatten<br />
und auslöschen sollte: Marco Pantani. Der Giro<br />
war eine autarke Einheit, aber das konnte er sich<br />
auch leisten, zumal fast sechs Millionen Italiener<br />
den Husarenritt von „Il Pirata“ über den Mortirolo<br />
und Valico di Santa Cristina nach Aprica im Fernsehen<br />
sahen. Heute dagegen orientiert sich der<br />
Giro nach außen und hängt von der Gunst internationaler<br />
Fahrer ab.<br />
Nach der letzten Zählung wird das Feld, wenn<br />
das diesjährige Rennen mit einem 8,2 Kilometer<br />
langen Zeitfahren beginnt, acht Fahrer mit mindestens<br />
einem Podiumsplatz im Palmarès umfassen.<br />
Sie stammen aus sieben verschiedenen<br />
Ländern; nur einer ist Italiener. Im Winter und<br />
Frühjahr war zu hören, dass Rennorganisator<br />
Mauro Vegni ein so gut besetztes Starterfeld angelockt<br />
hatte, wie er sich erhofft hatte. In Abwesenheit<br />
von Vorjahressieger Chris Froome, der einen<br />
fünften Sieg bei der Tour de France anstrebt,<br />
mit dem er den Rekord einstellen würde, wird die<br />
Liste der internationalen Favoriten angeführt vom<br />
Rouleur-Kletterer Tom Dumoulin. Der Holländer<br />
war Zweitplatzierter hinter dem Briten und Sieger<br />
im Jahr davor. Ihm folgt der 26 Jahre alte Simon<br />
Yates aus dem englischen Lancaster. Als er seinen<br />
Start verkündete, sagte der amtierende Vuelta-Sieger,<br />
er wolle „den Job zu Ende bringen“, womit er<br />
sich auf seine knappe Niederlage im letzten Jahr<br />
40 PROCYCLING | MAI 2019
SIMON YATES<br />
DIE SUCHE<br />
NACH NIBALIS<br />
NACHFOLGER<br />
Könnte sich beim Giro d’Italia im Mai ein<br />
Nachfolger für Vincenzo Nibali zu<br />
erkennen geben? „Es gibt nichts, worauf<br />
man hoffen könnte“, sagte Maurizio<br />
Evangelista gegenüber <strong>Procycling</strong>.<br />
„Vielleicht taucht in zwei oder drei<br />
Jahren jemand auf, aber im Moment auf<br />
keinen Fall.“ Vorbehaltlich eines letzten<br />
Worts zu Fabio Arus Versuch, die Form<br />
wiederzufinden, die ihn zum zweiten<br />
Platz beim Giro und ersten bei der<br />
Vuelta 2015 getragen hat, dürfte der<br />
künftige Ineos-Fahrer Gianni Moscon<br />
derjenige sein, der Nibalis Grand-Tour-<br />
Posten am ehesten übernehmen könnte,<br />
obwohl er sich derzeit noch auf<br />
Eintagesrennen konzentriert. Aber zwei<br />
Jahre Flegelhaftigkeit – ein rassistischer<br />
Ausfall, Betrug und eine mutmaßliche<br />
Handgreiflichkeit –, gekrönt von einer<br />
sehr flachen Saison vor den Frühjahrsklassikern,<br />
haben seinem singulären<br />
Talent den Glanz genommen. Wenn er<br />
fährt, gibt der 25 Jahre alte Moscon sein<br />
Giro-Debüt und wird von den einheimischen<br />
Medien, die sich nach einem<br />
Toptalent sehnen, bestimmt viel TV-Zeit<br />
und Aufmerksamkeit bekommen,<br />
zumal sie ihre Stars gerne verhätscheln<br />
– egal, welche Fehltritte sich diese<br />
geleistet haben.<br />
bezog. Er machte auch deutlich, dass er den<br />
Giro bevorzugt. „Im Moment bringt mir die Tour<br />
nichts“, sagte er zu Cyclingnews. Hinter ihnen stehen<br />
Alejandro Valverde, Mikel Landa, Ilnur Zakarin,<br />
Miguel Ángel López und Esteban Chaves.<br />
Dieser Giro könnte der Durchbruch<br />
für zwei Youngster sein:<br />
Sky-Profi Egan Bernal fährt die<br />
Corsa Rosa zum ersten Mal, aber<br />
die Gewandtheit, mit der er sein<br />
Grand-Tour-Debüt bei der Tour<br />
2018 angepackt hat, kombiniert mit<br />
seiner bestechenden Siegesrate bei<br />
großen Rennen – zuletzt Paris–<br />
Nizza – legen nahe, dass Italien das<br />
Land sein könnte, in dem sich der<br />
22-Jährige einem exklusiven Club<br />
im Radsport anschließt: der achtköpfigen<br />
Gruppe von aktiven Grand-<br />
Tour-Siegern. Der andere mögliche<br />
Kandidat ist Primož Roglic. Platz<br />
vier bei der Tour und ein Solo-Etappensieg<br />
in Laruns im letzten Jahr<br />
weisen den Tirreno–Adriatico-Sieger<br />
als potente Gefahr auf einem an<br />
Zeitfahren reichen Kurs aus.<br />
Aber während das internationale Aufgebot fast<br />
makellos ist, kann man das vom einheimischen<br />
Kontingent nicht behaupten. Es ist das dritte Jahr<br />
in Folge, in dem der Giro ohne ein einziges identifizierbares<br />
italienisches Team in der WorldTour<br />
startet. Erschwerend kommt hinzu, dass Fabio<br />
Aru nach seiner Aufgabe bei Paris–Nizza seine<br />
Teilnahme am Giro abgesagt hat, da er sich einer<br />
Operation an einer geknickten Beckenarterie unterziehen<br />
muss. Das Fehlen des 28-Jährigen bedeutet,<br />
dass die einheimischen Hoffnungen in der<br />
4<br />
Grand-Tour-<br />
Sieger am<br />
Start 2019<br />
8<br />
Giro-Teilnehmer<br />
mit einem<br />
GT-Podestplatz<br />
Gesamtwertung ganz auf Vincenzo Nibali ruhen,<br />
dem Giro-Sieger von 2013 und 2016.<br />
Maurizio Evangelista, der Cheforganisator der<br />
Tour of the Alps, sagte: „Alle in Italien sind überzeugt,<br />
dass Nibali ein Topfavorit ist, aber ohne ihn<br />
wäre es schwierig, die italienischen<br />
Fans zu begeistern.“<br />
Zumindest haben die Tifosi<br />
mit dem Bahrain-Merida-Fahrer<br />
einen extrem robusten Anwärter,<br />
an dessen Grand-Tour-Bilanz von<br />
vier Siegen und sechs weiteren<br />
Podiumsplatzierungen es nichts<br />
zu rütteln gibt. Mit seiner Fähigkeit,<br />
den Wechselfällen des späten<br />
italienischen Frühjahrs zu<br />
trotzen, kombiniert mit einer außerordentlichen<br />
Gabe, seine beste<br />
Arbeit spät in einem dreiwöchigen<br />
Rennen abzuliefern, passt er gut<br />
zu Vegnis Kurs, der gegen Ende<br />
sehr berglastig wird. „Ohne Zweifel<br />
wird er zu Beginn jedes einzelnen<br />
Rennens aktiv sein, ob es ein<br />
großes Rennen oder ein kleines<br />
ist. Er ist die Art von Fahrer, der<br />
es liebt, in Aktion zu sein“, sagte Evangelista.<br />
Aber mit 34 hat Nibali es mit der näherrückenden<br />
Gewissheit zu tun, dass die Anzahl von Giri,<br />
für die er noch gut ist, an einer Hand abzuzählen<br />
ist – wobei noch Finger übrig bleiben. Der Vertrag<br />
des Sizilianers läuft noch ein Jahr, und laut La<br />
Gazzetta dello Sport hat er zwei Angebote auf<br />
dem Tisch: eines von Bahrain-Merida und eines<br />
vom rivalisierenden Bewerber Trek-Segafredo.<br />
Beide haben zweijährige Verträge angeboten. Egal,<br />
welchen er annimmt, es könnte sein letzter sein.<br />
Dumoulin hatte geplant, sich in diesem Jahr auf<br />
die Tour zu konzentrieren, bis er die Vorzüge dieses<br />
Giro-Kurses erkannte. „Zu gut, um es sausen<br />
zu lassen“, begründete Dumoulins Sportdirektor<br />
Luke Roberts den Sinneswandel gegenüber Velonews.<br />
Nach 2018, als die Zeitfahrkilometer auf<br />
insgesamt 43,9 Kilometer fielen, stellen die auf<br />
drei Prüfungen verteilten 58,5 Kilometer eine<br />
Rückkehr auf das zuletzt übliche Giro-Niveau dar.<br />
Die Anzahl von Zeitfahrkilometern hochzuhalten<br />
– auf jeden Fall im Vergleich zur Tour –, hat sich<br />
als nützlicher Hebel erwiesen, um das Interesse<br />
der besten Rouleur-Kletterer-Hybriden aufrechtzuerhalten.<br />
Beim Giro haben die Zeitfahren nicht<br />
den erdrückenden Einfluss, den sie bei der Tour<br />
haben. Bei zwei der letzten drei Giri hat der Sieger<br />
einen Rückstand von mehr als drei Minuten spät<br />
wettgemacht und den Gesamtsieg geholt. 2016<br />
holte Nibali die Maglia Rosa zum ersten Mal auf<br />
der 20. Etappe. Im letzten Jahr fuhr Froome erst<br />
auf der 19. Etappe ins Spitzenreitertrikot.<br />
In den Dolomiten kann man den<br />
Giro d’Italia vielleicht am besten genießen.<br />
© Gruber Images<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 41
© Getty Images (Nibali, Dumoulin)<br />
Tom Dumoulin schaute sich die Strecke an<br />
und beschloss dann, wieder den Giro zu fahren.<br />
2017 hatte Dumoulin das Trikot neun Tage lang<br />
getragen, es aber auf der 19. Etappe verloren. Er<br />
eroberte es erst im abschließenden Zeitfahren zurück.<br />
Dagegen holte Geraint Thomas bei der letzten<br />
Tour das Trikot auf der 11. Etappe und trug es<br />
bis Paris. Froome verbrachte 2017 ganze 15 Tage<br />
und im Jahr davor 14 Tage in Gelb. Anders gesagt:<br />
Der Giro leidet nicht unter dem Sperrmodus, für<br />
den die Tour anfällig ist. Die übergroße Bedeutung<br />
der Tour für den Sport bedeutet, dass Erfolg in<br />
Frankreich wertvoll wie Sauerstoff ist. Daher stecken<br />
die Teams alle ihre Ressourcen in die Rundfahrt<br />
im Juli, und es führt zu einem Rennen mit<br />
weniger Hierarchisierung in der Form. Alle sind bei<br />
100 Prozent ihrer Fähigkeiten oder nahe dran. Der<br />
Platz des Giro im späten Frühjahr und das unzuverlässigere<br />
Wetter bedeuten, dass die Form unvorhersehbarer<br />
ist. Und weil ein Resultat beim<br />
Giro nicht dasselbe Gewicht hat, sind die Fahrer<br />
eher bereit zu zocken – siehe Froomes Vabanquespiel<br />
am Finestre im letzten Jahr. Es ist eine häufige<br />
Klage auf den späteren Etappen der Tour, dass<br />
die Fahrer ihre Top-Ten-Plätze verteidigen. Der<br />
Giro ist weniger anfällig für dieses Phänomen.<br />
Kraft ihrer jeweiligen Geografie hat sich die<br />
Giro-Route als geeigneter für Überraschungsangriffe<br />
erwiesen. Die Eröffnungssalven der Corsa<br />
Rosa werden meist auf den großzügigen Mittelgebirgsetappen<br />
im Apennin und den Voralpen<br />
abgefeuert. Dank seiner etwas bescheideneren<br />
Größe kann der Giro zudem schwerere und irregulärere<br />
Anstiege ausfindig machen wie den Zoncolan<br />
oder den diesjährigen Mortirolo, während<br />
die Tour an breitere und kontrollierbarere Anstiege<br />
gebunden ist, die für ihre enorme logistische<br />
Maschinerie geeignet sind. Und diese Anstiege<br />
spielen einem Team besonders in die Karten: Sky.<br />
Der stärkste Fahrer plus das stärkste Team sorgen<br />
selten für das beste Rennen.<br />
Bisher sind dem Giro der Fokus von Sky – bald<br />
Ineos – und ihre beispiellosen Ressourcen erspart<br />
geblieben. Obwohl das Rennen nicht so italienisch<br />
ist wie 1994, bleibt es ein intimeres Theater, und<br />
die besten Fahrer der Welt reagieren darauf, indem<br />
sie selten weniger als ihr Bestes geben.<br />
DAS GROSSE INTERVIEW<br />
GIRO<br />
2019<br />
D’ITALIA<br />
Die Strecke des diesjährigen Giro d’Italia beginnt und endet mit einem Zeitfahren und weist fünf<br />
Bergankünfte auf.<br />
ETAPPE DATUM ROUTE DISTANZ TYP<br />
1 11. Mai Bologna > Santurio di San Luca 8,2 km Einzelzeitfahren<br />
2 12. Mai Bologna > Fucecchio 200 km flach<br />
3 13. Mai Vinci > Orbetello 219 km flach<br />
4 14. Mai Orbetello > Frascati 228 km Bergankunft<br />
5 15. Mai Frascati > Terracina 140 km flach<br />
6 16. Mai Cassino > San Giovanni Rotondo 233 km Mittelgebirge<br />
7 17. Mai Vasto > L’Aquila 180 km Mittelgebirge<br />
8 18. Mai Tortoreto Lido > Pesaro 235 km flach<br />
9 19. Mai Riccione > San Marino 34,7 km Einzelzeitfahren<br />
20. Mai Ruhetag<br />
10 21. Mai Ravenna > Modena 147 km flach<br />
11 22. Mai Carpi > Novi Ligure 206 km flach<br />
12 23. Mai Cuneo > Pinerolo 146 km hügelig, Finale flach<br />
13 24. Mai Pinerolo > Ceresole Reale 188 km Hochgebirge<br />
14 25. Mai Saint-Vincent > Courmayeur 131 km Hochgebirge<br />
15 26. Mai Ivrea > Como 237 km Mittelgebirge<br />
27. Mai Ruhetag<br />
16 28. Mai Lovere > Ponte di Legno 226 km Hochgebirge<br />
17 29. Mai Commezzadura > Anterselva/Antholz 180 km Hochgebirge<br />
18 30. Mai Valdaora/Olang > Santa Maria di Sala 220 km flach<br />
19 31. Mai Treviso > San Martino di Castrozza 151 km Hochgebirge<br />
20 1. Juni Feltre > Croce d’Aune 193 km Hochgebirge<br />
21 2. Juni Verona > Verona 15,6 km Einzelzeitfahren<br />
DIE GIRO-ANWÄRTER<br />
KOPF AN KOPF<br />
Wir vergleichen die drei Anwärter auf den Giro-Sieg anhand ihrer Rundfahrt-Ergebnisse.<br />
VINCENZO NIBALI<br />
Alter: 34<br />
Profijahre: 15<br />
Siege: 51<br />
Grand-Tour-Siege: 4<br />
2./3. Grand Tour: 5<br />
Paris–Nizza: 21.<br />
Tirreno–Adriatico: 1.<br />
Katalonien-Rundf.: 56.<br />
Baskenland-Rundf.: 9.<br />
Tour de Romandie: 5.<br />
Dauphiné: 7.<br />
Tour de Suisse: DNF<br />
TOM DUMOULIN<br />
Alter: 28<br />
Profijahre: 8<br />
Siege: 21<br />
Grand-Tour-Siege: 1<br />
2./3. Grand Tour: 2<br />
Paris–Nizza: 12.<br />
Tirreno–Adriatico: 4.<br />
Katalonien-Rundf.: DNF<br />
Baskenland-Rundf.: 29.<br />
Tour de Romandie: 5.<br />
Dauphiné: N/A<br />
Tour de Suisse: 3.<br />
SIMON YATES<br />
Alter: 26<br />
Profijahre: 7<br />
Siege: 16<br />
Grand-Tour-Siege: 1<br />
2./3. Grand Tour: 0<br />
Paris–Nizza: 2.<br />
Tirreno–Adriatico: N/A<br />
Katalonien-Rundf.: 4.<br />
Baskenland-Rundf.: 5.<br />
Tour de Romandie: 2.<br />
Dauphiné: 5.<br />
Tour de Suisse: k. A.<br />
IN FÜH-<br />
RUNG<br />
Vor seiner Phase im Rosa Trikot<br />
beim Giro 2018 und seinem<br />
Vuelta-Sieg hatte Simon Yates<br />
erst zwei Tage Erfahrung im<br />
Führungstrikot einer Rundfahrt.<br />
13<br />
12<br />
11<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
TOUR DE ROMANDIE 2017<br />
PARIS–NIZZA 2018<br />
GIRO D’ITALIA<br />
VUELTA A ESPAÑA<br />
42 PROCYCLING | MAI 2019
I I<br />
PRÄSENTIERT<br />
DAS EINZIGE OFFIZIELLE<br />
PROGRAMM ZUR<br />
TOUR DE FRANCE<br />
DIE ETAPPEN<br />
OFFIZIELLES PROGRAMM<br />
TOUR DE FRANCE 2019<br />
Alle Infos zu jedem Renntag – mit<br />
Karten, Marschtabellen & Höhenprofilen<br />
DIE TEAMS<br />
Die Analyse von Thomas Voeckler –<br />
ihre Fahrer, ihre Stärken, ihre Ziele<br />
DIE FAVORITEN<br />
Thomas, Froome, Dumoulin, Quintana –<br />
welcher Topstar holt sich den Toursieg?<br />
Von den Machern von<br />
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Alle Etappen<br />
DIE DEUTSCHEN<br />
EDELHELFER & ETAPPENJÄGER<br />
DIE PERSPEKTIVEN VON KITTEL,<br />
MARTIN, DEGENKOLB & CO.<br />
196<br />
Seiten<br />
zum größten<br />
Radrennen<br />
der Welt<br />
Alle Höhenprofile<br />
Die offiziellen Karten<br />
Exklusive Interviews<br />
Alle Teams,<br />
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44 PROCYCLING | MAI 2019
ABFLUG<br />
In sechs Monaten des letzten Jahres hat<br />
Pascal Ackermanns Sprinterkarriere spektakuläre<br />
neue Höhen erreicht, und nun ist er bei Bora<br />
der schnelle Mann für den Giro d’Italia.<br />
Kann Deutschlands jüngster Sprintstar<br />
seinen unaufhaltsamen Aufstieg fortsetzen?<br />
Text Alasdair Fotheringham<br />
Fotografie Ian Walton<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 45
PASCAL ACKERMANN<br />
© BettiniPhoto<br />
ren ist, geschweige denn gewonnen hat. Und es<br />
ist auch nicht so, dass die deutsche Öffentlichkeit<br />
keine Zeit gehabt hätte, sich an Erfolg zu gewöhnen:<br />
In letzterer Kategorie haben die drei Topsprinter<br />
Marcel Kittel, John Degenkolb und André Greipel<br />
in den letzten rund zehn Jahren zusammen<br />
53 Etappensiege eingefahren.<br />
Warum also die ganze Aufregung im Flughafen<br />
von Frankfurt? Ganz einfach: Pascal Ackermanns<br />
sehr erfolgreiches zweites Jahr als Fahrer auf Topniveau.<br />
Er holte 2018 sechs Siege in der World-<br />
Tour, darunter zwei Etappen in Polen, eine Etappe<br />
der Tour de Romandie, eine der Dauphiné, eine<br />
Etappe der Tour of Guangxi und das RideLondon-<br />
Surrey Classic – Letzteres, obwohl er mitten im<br />
Rennen gestürzt war und die zweite Hälfte des<br />
Rennens auf dem Rad eines Teamkollegen fuhr.<br />
Ebenso eindrucksvoll, wenn auch auf HC-Ebene,<br />
waren Ackermanns zwei Siege bei schweren Eintagesrennen<br />
an einem einzigen Wochenende: das<br />
Brussels Cycling Classic (früher Paris–Brüssel)<br />
und der GP Fourmies.<br />
Es ist eine Weile her, seit der Bürgermeister seines<br />
Heimatorts Minfeld beschloss, Ackermann<br />
habe es verdient, dass eine Straße nach ihm benannt<br />
werde, selbst wenn Ackermann sich zu<br />
betonen beeilte, dass es eigentlich nur ein Weg<br />
gegenüber dem Haus seiner Eltern sei. Aber für<br />
as erste Mal, dass ich feststellte, welch großen<br />
Einfluss Pascal Ackermann auf den deutschen<br />
Radsport hat, befand sich keiner von uns auch nur<br />
annähernd im Bereich seiner Lieblingsjagdgründe:<br />
den Massensprints. Wir waren nicht einmal in der<br />
Nähe eines Radrennens. Auf dem Weg zur Polen-<br />
Rundfahrt im letzten Jahr hatte ich einen Anschlussflug<br />
in Frankfurt. Während ich wartete,<br />
tauchte ein mittelgroßer blonder Typ Mitte zwanzig<br />
in einem Bora-Trainingsanzug auf, dem eine<br />
Gruppe etwas beschwipster männlicher deutscher<br />
Fans mittleren Alters folgte, die alle aus vollem<br />
Halse „Ack-er-mann! Ack-er-mann!“ brüllten.<br />
Die spontane Bruderschaft versammelte sich<br />
dann um ihren Helden (der einfach höflich lächelte<br />
und sie gewähren ließ), als er inmitten einer<br />
Woge von herzhaftem teutonischen Gelächter,<br />
Schulterklopfen, geschrienen Unterhaltungen,<br />
Gruppenfotos und Selfies wartete.<br />
‚Wenn sie doch nur die Klappe halten würden‘,<br />
dachte ich damals. Aber 48 Stunden später wurde<br />
mir klar, warum diese Fans so enthusiastisch waren.<br />
Ackermann fuhr nicht nur auf der ersten<br />
Etappe der Polen-Rundfahrt, sondern auch auf<br />
der zweiten souverän zum Sieg.<br />
Noch verblüffender an seiner wachsenden Popularität<br />
ist, dass Ackermann noch kein einziges Monument<br />
und noch keine Grand-Tour-Etappe gefahdas<br />
breitere deutsche Publikum war Ackermanns<br />
Durchbruch die deutsche Meisterschaft 2018, als<br />
er Degenkolb im Sprint einer 20-köpfigen Gruppe<br />
schlug. André Greipel, der selbst dreimal deutscher<br />
Meister war, und Marcel Kittel ließ er ebenfalls<br />
hinter sich.<br />
Es stimmt, dass die letztjährigen deutschen<br />
Meisterschaften auf einem komplett flachen Kurs<br />
für einen Massensprint prädestiniert waren. Aber<br />
wie Ackermann <strong>Procycling</strong> erzählt, kam der Moment,<br />
wo es 2018 bei ihm „Klick“ machte, als<br />
seine Siegchancen viel geringer waren.<br />
„Es war die Etappe der Dauphiné, die ich gewonnen<br />
habe, die eigentlich keine Etappe war, wo<br />
ich dachte, dass sie mir liegt, weil sie so viele Anstiege<br />
hatte“, sagt er. „Aber ich hatte wirklich hart<br />
trainiert und im Winter ein paar Kilo abgenommen,<br />
weil ich beschlossen hatte, dass ein Etappensieg<br />
bei der Dauphiné das ideale Ziel für 2018<br />
für mich war. Aber das war, bevor ich das Profil<br />
des Rennens gesehen und erkannt hatte, dass es<br />
keine Etappen für einen Massensprint gibt.“<br />
Ackermanns Serie von Siegen im Sommer war<br />
auch der Tatsache zu verdanken, dass Bora–hansgrohe<br />
ihm nach und nach eine solide Gruppe von<br />
Arbeitern an die Seite gestellt hat. Dieser Prozess<br />
begann im Frühjahr 2018, als er anfing, viele<br />
zweite und dritte Plätze einzufahren, darunter vor<br />
allem ein zweiter Platz beim Scheldeprijs im April<br />
hinter einem anderen jungen Sprinter, Fabio Jakobsen<br />
von Deceuninck–Quick-Step.<br />
„Es war, als hätten wir ein Team um mich mit<br />
Rudy [Rüdiger Selig], Schilly [Andreas Schillinger]<br />
und [Michael] Schwarzmann geschaffen, all die<br />
Deutschen“, sagt er. „Sie haben mir gezeigt, wie<br />
man Energie spart, sich aus dem Wind hält und<br />
im Feld nach vorne fährt. Das war mein größter<br />
Schritt nach vorn im Frühjahr.“<br />
Er fügt hinzu: „Es war wie ein kleines Team<br />
und wir hatten viel Spaß. Dann haben wir bei der<br />
Romandie den ersten Sieg gefeiert und dachten,<br />
jetzt geht es los. Wir waren immer motivierter,<br />
und dann ging es einfach immer weiter. Aber erst<br />
gegen Ende der Saison, als ich ohne Mobiltelefon<br />
und ohne Ablenkungen im Wohnmobil durch Ka-<br />
Ackermann sagt, dass sein Bora-Team<br />
großen Anteil an seinen Erfolgen hat,<br />
darunter sein Sieg beim RideLondon 2018.<br />
46 PROCYCLING | MAI 2019
PASCAL ACKERMANN<br />
„ALLE SCHAUEN, WAS PETER<br />
MACHT. ICH BIN GAR NICHT<br />
AUF DEM RADARSCHIRM.<br />
ABER SO IST ES MIR LIEBER.“<br />
ALLES IN DER FAMILIE<br />
191<br />
DEUTSCHE ETAPPENSIEGE<br />
VUELTA<br />
A<br />
ESPAÑA<br />
68<br />
GIRO<br />
D’ITALIA<br />
35<br />
TOUR<br />
DE<br />
FRANCE<br />
88<br />
lifornien fuhr, wurde mir wirklich bewusst, was<br />
es für eine Saison gewesen war.“<br />
Wenn die Anzahl und Qualität der Siege beeindruckend<br />
war, so war es auch ihre Vielseitigkeit.<br />
Der wohl komplizierteste und spektakulärste war,<br />
als Ackermann bei der Polen-Rundfahrt in der Industriestadt<br />
Kattowitz auf der zwei Kilometer langen,<br />
schnurgeraden Abfahrt, die einer geneigten<br />
Landebahn ähnelte, im Zickzack zu einem zweiten<br />
Sieg im Massensprint fuhr. Im Gelben Trikot des<br />
Spitzenreiters überflügelte er mit Alvaro Hodeg einen<br />
weiteren vielversprechenden Youngster.<br />
„Das Witzige ist, dass Christian [Pömer], unser<br />
Sportlicher Leiter, vorher sagte, dass es nicht<br />
möglich sei, dass ein Topsprinter gewinne, weil es<br />
nur aus einer normalerweise wirklich schlechten<br />
Position heraus gehe“, sagt Ackermann. „Als wir<br />
auf das abschüssige Stück kamen, war ich an<br />
zweiter Stelle und dachte: ‚Shit, ich habe eine zu<br />
gute Position.‘ Also wartete ich, und glücklicherweise<br />
attackierten diese vier Jungs und ich dachte:<br />
‚Okay, jetzt ist es besser, jetzt muss ich gehen.’<br />
Aber als ich beschleunigte, führte kein Weg durch<br />
die Linie vor mir. Ich sah nur eine kleine Lücke,<br />
und da musste ich durch.“ Das passierte alles bei<br />
rund 90 km/h, erzählt er. „Es ist zu gefährlich“,<br />
schlussfolgerte Ackermann sehr sachlich – nicht,<br />
dass es ihn vom Gewinnen abgehalten hätte …<br />
Ackermanns Fähigkeiten könnten teils an seiner<br />
Familiengeschichte liegen: Sie ist vom Radsport<br />
durchdrungen. „Sie waren alle Amateurradsportler“,<br />
sagt er. „Meine Mutter, meine Schwestern,<br />
mein Vater, mein Bruder, meine beiden Großväter<br />
… Deswegen musste ich es machen. Ich habe<br />
versucht, gut im Fußball zu sein, aber ich hatte<br />
zwei linke Füße, also habe ich mit Radsport weitergemacht.“<br />
Er erinnert sich: „Mein erstes Rennen war ein<br />
kleines. Ich war erst fünf oder sechs und meine<br />
Eltern hatten eine Überraschung für mich und<br />
sagten mir, dass ich starten könne. Ich habe angefangen<br />
zu weinen, weil der Druck zu groß war,<br />
um wirklich ein Rennen zu fahren. Nachher habe<br />
ich eine Trophäe bekommen, eine kleine, und von<br />
da an wollte ich Rennen gewinnen.“<br />
In Rheinland-Pfalz groß zu werden, war ideal<br />
für einen Sprinter wie Ackermann. Ohne viele<br />
Berge in der Gegend, waren die örtlichen Juniorenrennen<br />
fast alle Kriterien. Aber trotz des weitgehend<br />
flachen Terrains bevorzugte Ackermann<br />
immer Massensprints, denen ein paar Anstiege<br />
oder Kopfsteinpflaster vorausgingen, sagt er – eine<br />
Vorliebe, dank der er ein Jahrzehnt später bereits<br />
einige Beinahe-Erfolge bei Halbklassikern und<br />
eben diese Siege beim GP Fourmies und dem neuen<br />
Paris–Brüssel errungen hat.<br />
Was es in den frühen Jahren an Rückschlägen<br />
gab, wurde ausgeglichen durch viele Quellen der<br />
Inspiration für den jungen Ackermann, um weiter<br />
Rennen zu fahren. Jeden Sommer sah er die Profis<br />
vorbeirollen bei der (mittlerweile eingegangenen)<br />
Rheinland-Pfalz-Rundfahrt. „Ich habe immer<br />
noch einen riesigen Sack von Trinkflaschen und<br />
Kappen von dem Rennen zu Hause“, sagt er. Und<br />
seine Familie fuhr auch eine Woche Zelten zur<br />
Tour de France, um die deutschen Helden der Ära,<br />
Erik Zabel und Jan Ullrich, anzufeuern. Aber der<br />
Youngster jubelte vor allem dem Kletterer der<br />
1990er zu, Udo Bölts, der wie Ackermann aus<br />
Rheinland-Pfalz stammt.<br />
Rheinland-Pfalz mag gut für Sprinter gewesen<br />
sein, aber selbst 20 Jahre nach dem Mauerfall<br />
zahlte Ackermann einen Preis für die lange Teilung<br />
zwischen Westdeutschland, wo die Radsportinfrastruktur<br />
schwach war … und ist, wie er<br />
sagt –, und Ostdeutschland, traditionell die Radsporthochburg<br />
der Nation.<br />
„Vor ein paar Jahren kamen alle deutschen Profis<br />
aus dem Osten, und jetzt sind sie alle aus dem<br />
Westen, wie ich. Wir denken meistens, dass der<br />
Osten ein bisschen von der alten Schule ist und<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 47
PASCAL ACKERMANN<br />
PASCAL ACKERMANN:<br />
DIE GRÖSSTEN RESULTATE<br />
1.<br />
2.<br />
© Yuzuru Sunada<br />
1. PLATZ<br />
Etappe Tour de Romandie<br />
2018<br />
Etappe Critérium du Dauphiné<br />
2018<br />
Deutsche Straßenmeisterschaft<br />
2018<br />
RideLondon-Surrey Classic<br />
2018<br />
Etappe Tour de Pologne 2018 (2)<br />
Brussels Cycling Classic 2018<br />
GP de Fourmies 2018<br />
Etappe Tour of Guangxi 2018<br />
Clásica de Almería 2019<br />
2. PLATZ<br />
Etappe Tour of Estonia 2015,<br />
2016<br />
Drei Tage von De Panne<br />
Koksijde 2018<br />
Scheldeprijs 2018<br />
Etappe Deutschland Tour 2018<br />
Etappe Tour of Guangxi 2018 (3)<br />
Nokere Koerse 2019<br />
3. PLATZ<br />
Münsterland Giro 2016<br />
Etappe Tour of Guangxi 2017<br />
Etappe Abu Dhabi Tour<br />
2018 (2)<br />
Handzame Classic 2018<br />
Etappe Critérium du Dauphiné<br />
2018<br />
Etappe Volta ao Algarve 2019<br />
4. PLATZ<br />
Tour of Estonia 2016<br />
Deutsche Straßenmeisterschaft<br />
2016<br />
Drei Tage von De Panne 2017<br />
Europäische Straßenmeisterschaft<br />
2017<br />
Etappe Vuelta a San Juan 2018<br />
Etappe Tour de Pologne 2018<br />
Etappe Tour of Guangxi 2018<br />
Etappe Volta ao Algarve 2019<br />
5. PLATZ<br />
Scheldeprijs 2017<br />
Etappe Czech Cycling Tour 2017<br />
Münsterland Giro 2018<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
Eintagesrennen<br />
Etappen<br />
48 PROCYCLING | MAI 2019
PASCAL ACKERMANN<br />
Ackermann siegte 2018 bei<br />
sechs WorldTour-Rennen, darunter<br />
bei dieser Dauphiné-Etappe.<br />
sie ihre jungen Fahrer übertrainierten, sodass sie<br />
verschlissen waren, als sie die U23 erreichten.<br />
Du kannst keine 100-Kilometer-Trainingsfahrten<br />
machen, wenn du 15 bist“, sagt Ackermann.<br />
„Aber im Osten haben sie tatsächlich immer noch<br />
ein besseres System für Radsport. Sie haben viele<br />
Radsportschulen und viele überdachte Bahnen.<br />
Im Westen gibt es nur eine wirkliche Radsportschule<br />
in Kaiserslautern – ich war da – und überhaupt<br />
keine überdachten Bahnen. Als Kind musste<br />
ich sechs Stunden fahren, um ins Velodrom zu<br />
kommen. Und es ist immer noch sehr schwer.“<br />
Man kann sich fragen, wie viele Talente einfach<br />
unentdeckt blieben aufgrund dieser chronischen<br />
Ungleichheit der Ressourcen, aber es gibt einen<br />
Hoffnungsschimmer am Ende des Tunnels, sagt<br />
Ackermann.<br />
„Die Deutschland Tour neu aufzulegen, hilft,<br />
und es wächst eine neue Generation von Fahrern<br />
wie Max Schachmann und Nils Politt nach. Außerdem<br />
kannst du spüren, dass die jüngeren Fahrer<br />
motivierter sind, Rennen zu fahren.“<br />
In Ackermanns Fall wurde seine Sprinterkarriere<br />
durch eine lange Zeit als Bahnfahrer vorangebracht:<br />
Er gewann Gold im Teamsprint bei der<br />
Junioren-Weltmeisterschaft 2011, wurde Omnium-Europameister<br />
der Junioren 2012 und hält<br />
diverse deutsche Titel.<br />
„Weil du keine Bremsen hast, brauchst du einen<br />
guten Blick für Manöver, und du übst permanent<br />
Sprinten im Scratch-Rennen“, sagt er, „Aber zu<br />
lernen, wie du dich gut positionierst, ist das<br />
Wichtigste von allem.“<br />
Ackermann verletzte sich 2011 am Knie und<br />
hatte das Gefühl, mit seinen Bahnkollegen nicht<br />
mehr mithalten zu können. Nach zwei schweren<br />
Jahren wechselte er daher zurück auf die Straße.<br />
Im Sommer 2016, als er den deutschen U23-Titel<br />
frisch auf seinen Palmarès gesetzt hatte und noch<br />
bevor er Silber bei der U23-Weltmeisterschaft in<br />
Katar holte, klopften die führenden Profiteams an<br />
seine Tür. Aber Ackermann hatte sich für 2017<br />
auf Bora festgelegt. Bei der Tour 2016 war sein<br />
Platz gesichert. „Es gab keinen weiteren Druck,<br />
Resultate zu holen“, sagt er. „Das Schwerste war,<br />
es geheim zu halten.“<br />
„VOR EIN PAAR JAHREN<br />
KAMEN ALLE DEUTSCHEN<br />
PROFIS AUS DEM OSTEN, UND<br />
JETZT SIND SIE ALLE AUS<br />
DEM WESTEN, WIE ICH.“<br />
Aber Sagan als Teamkollegen zu haben, hat tatsächlich<br />
Vorteile. „Er sucht dich vor oder nach<br />
einem Rennen immer auf, um mit dir zu besprechen,<br />
was man besser machen könnte“, sagt<br />
Ackermann. „In Hamburg im letzten Jahr, als ich<br />
stürzte, war er direkt hinter mir, und ich war<br />
wirklich enttäuscht, weil er an dem Tag für mich<br />
fahren wollte. Anschließend haben wir darüber<br />
geredet, wie ich im Finale entspannter bin und<br />
trotzdem meine Augen offen halte. Er war nicht<br />
sauer, weil ich gestürzt war, sagte mir sogar, dass<br />
er früher dieselben Fehler gemacht habe. Es war<br />
einfach seine Art, mich dazu zu bringen, aus meinen<br />
Fehlern zu lernen.“<br />
Einige mögen Nachteile sehen. Ackermann<br />
fährt ein weniger hochkarätiges Programm als<br />
Sagan. So stand beispielsweise Mailand–San<br />
Remo, ein Rennen, das ihm liegen sollte, nicht auf<br />
seinem Kalender. „Peter will es gewinnen“, erklärt<br />
Ackermann. „Aber ich fahre den Giro d’Italia, und<br />
das ist schon ein großer Schritt. Ich will nicht zu<br />
viele große Rennen hintereinander fahren – es ist<br />
besser, viele kleine zu fahren, als zu viel zu machen<br />
und zu riskieren, dass man für die ganze<br />
Saison erledigt ist.“<br />
Das leitet elegant über zu dem heiklen Thema,<br />
dass Bora–hansgrohe nicht zwei Spitzensprinter,<br />
sondern drei in seinen Reihen hat: Ackermann,<br />
Sa gan und Sam Bennett. Es ist nur logisch, dass<br />
weder Ackermann noch Bennett infrage stellen, dass<br />
Sagan bei der Tour de France Priorität hat. Doch der<br />
Ire äußerte öffentlich seine Enttäuschung darüber,<br />
von Bora nicht wieder mit zum Giro genommen zu<br />
werden, nachdem er dort 2018 drei Etappen gewonnen<br />
hatte. Stattdessen startet Ackermann.<br />
Man muss Ackermann zugutehalten, dass er<br />
nicht den abgedroschenen Spruch wiederholt, so<br />
viele Topnamen zu haben, sei ein Luxus, kein<br />
Problem. Stattdessen liefert er eine stichhaltige<br />
Analyse einer komplexen Situation.<br />
„Sam hat gesagt: ‚Ich will dies, das und jenes<br />
fahren‘, und ich habe gesagt: ‚Ich will dies, das<br />
und jenes fahren.‘ Natürlich war es die Entscheidung<br />
des Teams, wer was fährt. Und niemand war<br />
Der junge Pfälzer ist einer von<br />
drei Topsprintern im Bora-Stall.<br />
EIN TRIO VON SPRINTTALENTEN<br />
Einer der naheliegenden Vorzüge von Bora–hansgrohe,<br />
so Ackermann, ist der relativ geringe Druck.<br />
Das Interesse ruht größtenteils auf den breiten<br />
Schultern von Peter Sagan, sodass die anderen<br />
Fahrer weniger im Rampenlicht stehen. „Alle<br />
schauen, was Peter macht. Ich bin gar nicht auf<br />
dem Radarschirm“, sagt er. „Aber so ist es mir lieber,<br />
weil ich kein Typ bin, der gerne im Mittelpunkt<br />
steht – ich mache das, weil es mir Spaß macht.“<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 49
PASCAL ACKERMANN<br />
© Getty Images<br />
50 PROCYCLING | MAI 2019
PASCAL ACKERMANN<br />
DIE DEUTSCHEN<br />
SPRINTER<br />
Pascal Ackermann ist der jüngste in einer langen Reihe deutscher<br />
Sprinter. Wir schauen uns seine Vorfahren an.<br />
RUDI ALTIG<br />
Profilaufbahn: 1960–1971<br />
Tour-Etappensiege: 8 Giro-Etappensiege: 4<br />
Vuelta-Etappensiege: 6<br />
Altig war mehr als nur ein Sprinter, auch bei Klassikern und im Zeitfahren<br />
war er stark: Abgesehen von acht Tour-Etappen entschied er<br />
Mailand–San Remo, Flandern, die WM und sogar die Vuelta für sich.<br />
MARCEL WÜST<br />
Profilaufbahn: 1988–2001<br />
Tour-Etappensiege: 1 Giro-Etappensiege: 1<br />
Vuelta-Etappensiege: 12<br />
Als deutscher Rekordhalter bei Vuelta-Tagessiegen gelang Wüst<br />
auch das seltene Kunststück, im Bergtrikot einen Tour-Massensprint<br />
zu gewinnen.<br />
OLAF LUDWIG<br />
Profilaufbahn: 1990–1996<br />
Tour-Etappensiege: 3 Giro-Etappensiege: 0<br />
Vuelta-Etappensiege: 0<br />
Ludwig konnte erst Profi werden, nachdem die Mauer gefallen war.<br />
Bei seiner ersten Tour holte er sich das Grüne Trikot, außerdem<br />
gewann er Amstel Gold und E3 Harelbeke.<br />
zufrieden damit“, sagt er. „Ich würde<br />
gerne dieses Rennen fahren, Bennett<br />
würde gerne dieses Rennen fahren,<br />
wir mussten alle Kompromisse machen.<br />
Es ist nicht leicht mit drei<br />
Jungs, aber man kann es schaffen.“<br />
Später weist er darauf hin, dass<br />
Bennett wahrscheinlich die Vuelta<br />
a España bestreiten wird und man<br />
sich so die großen Rundfahrten teilt,<br />
obwohl man sich fragen muss, was<br />
passiert, wenn Sagan sich entscheidet,<br />
dort wieder anzutreten wie<br />
2018. Ackermann gibt zu: Dass<br />
Bora so viele Spitzensprinter hat,<br />
dürfte langfristig nicht funktionieren.<br />
„Eines Tages wird es ein Problem<br />
geben. Einer wird sagen: ‚Okay,<br />
ich verlasse das Team, weil ich dieses<br />
Rennen fahren will.‘“<br />
Aber er hat unmittelbarere Sorgen<br />
wie, beim Giro gut zu fahren, wo<br />
seine Ziele zumindest auf dem Papier<br />
bescheiden wirken: „Ein Etappensieg<br />
und das Rennen zu Ende<br />
zu fahren. Ich glaube, für die Rennen,<br />
die danach kommen, und um<br />
insgesamt auf ein höheres Niveau<br />
zu kommen, ist es wirklich wichtig,<br />
meine erste große Rundfahrt zu<br />
Ende zu fahren.“<br />
Ackermann würde bei seinem<br />
Grand-Tour-Debüt gerne eine<br />
Giro-Etappe gewinnen.<br />
Im deutschen Meistertrikot<br />
startete Ackermann mit einem<br />
Sieg in Almería in die Saison 2019.<br />
In technischer Hinsicht könnten<br />
die hügeligeren Sprintetappen des<br />
Giro, verglichen mit den konventionelleren<br />
der Tour, Ackermann zugutekommen.<br />
Tatsächlich gibt es viele Gründe<br />
zu glauben, dass der Giro Deutschland<br />
– und dem Radsport – mit<br />
Ackermann einen neuen Sprintstar<br />
liefern könnte. Und der Bora-Fahrer<br />
kommt an einem Punkt, wo die Fragezeichen<br />
hinter Kittels, Degenkolbs<br />
und Greipels Fähigkeit, weiter Siege<br />
wie am Fließband zu produzieren,<br />
größer denn je sind. Aber obwohl die<br />
Vorzeichen gut sind für den 25-Jährigen<br />
– ob Ackermann sich in der<br />
größten Sprintarena behaupten<br />
kann, bleibt abzuwarten. Die Italien-<br />
Rundfahrt im Mai sollte erste Antworten<br />
liefern.<br />
ERIK ZABEL<br />
Profilaufbahn: 1993–-2008<br />
Tour-Etappensiege: 12 Giro-Etappensiege: 0<br />
Vuelta-Etappensiege: 8<br />
Der schnelle und elegante Sprinter Zabel siegte viermal in San Remo,<br />
gewann Paris–Tours und Amstel Gold. Konstant gute Ergebnisse<br />
brachten ihm sechs Grüne Trikots bei der Tour ein – Rekord.<br />
ANDRÉ GREIPEL<br />
Profilaufbahn: 2005–heute<br />
Tour-Etappensiege: 11 Giro-Etappensiege: 7<br />
Vuelta-Etappensiege: 4<br />
Greipel gehört zu den erfolgreichsten und konstantesten Sprintern<br />
der Gegenwart. Nach seiner ersten Tour-Etappe 2011 gewann er bis<br />
2016 mindestens eine pro Jahr.<br />
MARCEL KITTEL<br />
Profilaufbahn: 2011–heute<br />
Tour-Etappensiege: 14 Giro-Etappensiege: 4<br />
Vuelta-Etappensiege: 1<br />
Kittel hält den modernen Rekord von Siegen in seiner Debüt-Saison<br />
mit ganzen 17, darunter fünf auf WorldTour-Level. Bei der Tour war er<br />
mit fünf Tagessiegen 2017 und vier 2013 sowie 2014 sehr erfolgreich.<br />
JOHN DEGENKOLB<br />
Profilaufbahn: 2011–heute<br />
Tour-Etappensiege: 1 Giro-Etappensiege: 1<br />
Vuelta-Etappensiege: 10<br />
Degenkolb ist ein Sprinter mit Stärken bei den Klassikern und als Allrounder.<br />
Er hält Titel bei San Remo und Roubaix und gewann 2018 die<br />
schwere Tour-Etappe dort. Besonders erfolgreich war er bei der Vuelta.<br />
© Getty Images (Sprinter), Graham Watson (Ludwig), Pete Goding (Greipel)<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 51
Der Giro d’Italia weckt Emotionen wie kein<br />
anderes Rennen. Um seinen tieferen Gehalt<br />
zu verstehen, hat <strong>Procycling</strong> mit Fahrern,<br />
Mitarbeitern und Journalisten gesprochen,<br />
die die Corsa Rosa besonders gut kennen.<br />
Text Sam Dansie<br />
© Kramon<br />
52 PROCYCLING | MAI 2019
„NINO DEFILIPPIS TRINK-<br />
FLASCHE VOM GIRO WAR<br />
MEINE WERTVOLLSTE HABE“<br />
„DER GIRO<br />
WAR EINE<br />
UNERWIDER-<br />
TE LIEBE“<br />
BRUNO<br />
REVERBERI<br />
Eigentümer von<br />
Bardiani-CSF<br />
Brett Lancaster<br />
holt für Ceramica<br />
Panaria (heute Bardiani-CSF)<br />
2005<br />
eine Giro-Etappe.<br />
Der Giro, der mir Tränen in die Augen getrieben hat, war,<br />
als Brett Lancaster für uns den Prolog in Kalabrien 2005<br />
gewonnen hat. Es war der erste Giro der ProTour-World-<br />
Tour-Ära, und alle haben vorhergesagt, dass er der Tod des Teams<br />
sein würde. Man darf nicht vergessen, dass ich 1982 bei meinem<br />
ersten Giro war, und keiner meiner Fahrer hatte je die Maglia Rosa<br />
getragen. Die Leute hatten Carmine Castellano, den Renndirektor,<br />
dafür kritisiert, dass er uns eingeladen hatte. Sie sagten, wir<br />
seien nicht konkurrenzfähig, aber das waren wir. Dann haben wir<br />
später mit Luca Mazzanti eine weitere Etappe gewonnen, und<br />
seitdem gewinnen wir – wir haben 28 Etappen des Giro d’Italia<br />
gewonnen, und das ist, wenn man darüber nachdenkt, eine ganz<br />
schöne Leistung.<br />
Der andere war der Giro 1959, als ich 16 war. Ich hatte den<br />
Radsport immer geliebt, aber ich hatte gerade begonnen, Rennen<br />
zu fahren, und war hingerissen. Die 3. Etappe ging von Salsomaggiore<br />
Terme nach Abetone und sie führte durch Reggio Emilia,<br />
meine Heimatstadt. In der Nähe war eine Verpflegungsstation,<br />
und ich weiß noch, wie ich dachte, dass ich ein paar Souvenirs<br />
abstauben kann, wenn ich dort hingehe.<br />
Ich hatte mich dort hingestellt in der Hoffnung, dass einer der<br />
Betreuer mir etwas geben würde oder dass einer der Champions<br />
etwas wegwerfen würde und ich Glück hätte. Nino Defilippis, der<br />
ein sehr großer Champion war, warf seine Trinkflasche weg, und<br />
ich schnappte sie mir und bin nach Hause und freute mich wie<br />
ein Schneekönig. Ich bin nach Hause und habe es allen erzählt,<br />
egal, ob sie es hören wollten oder nicht. Es war nur eine Trinkflasche,<br />
aber es war meine wertvollste Habe, weil sie mich mit Defilippis<br />
und dem Giro verband. Ich benutzte sie jedes Mal, wenn ich<br />
ein Rennen fuhr.<br />
CARMINE<br />
CASTELLANO<br />
Ehemaliger Giro-Direktor<br />
Meine bleibende Erinnerung an<br />
den Giro – und wahrscheinlich<br />
meine schönste Erinnerung – ist<br />
wohl 1949. Ich zwar zwölf Jahre alt und<br />
wuchs in Sorrent [an der Bucht von Neapel]<br />
auf, und wie alle anderen war ich verrückt<br />
nach Radsport. Wir hatten Coppi<br />
und Bartali, aber es gab keinen Fernseher,<br />
und das Rennen fand größtenteils im Norden<br />
statt. Bestenfalls konnte man hoffen,<br />
sie in der Wochenschau im Kino zu sehen,<br />
aber das dauerte nur zwei Minuten. Wie<br />
alle Kinder in der Schule wollte ich sie unbedingt<br />
in natura sehen, und ich träumte<br />
davon, dass sie eines Tages nach Sorrent<br />
kommen würden.<br />
Ich erinnere mich, wie ich darauf wartete,<br />
dass die Giro-Route vorgestellt wurde<br />
in der Hoffnung, sie sehen zu können,<br />
aber es war aussichtslos. Es gab eine<br />
Etappe von Salerno nach Neapel, aber das<br />
war an einem Donnerstag. Wir waren in<br />
der Schule.<br />
Es war diese unerwiderte Liebe, und je<br />
unmöglicher es schien, desto mehr schien<br />
die Liebe zu wachsen. Während des Giro<br />
stand ich morgens auf, rannte die Straße<br />
runter, um die Zeitungen zu kaufen. Ich<br />
las, so viel ich konnte, vor der Schule und<br />
ging dann los. In Wirklichkeit warteten<br />
meine Freunde und ich nur darauf, dass<br />
die Schule aus war. Um ein Uhr läutete<br />
die Glocke und ich rannte nach Hause,<br />
so schnell ich konnte. Die Radioübertragung<br />
begann nach den Nachrichten … Ich<br />
hörte zu, während ich zu Mittag saß, und<br />
hörte weiter bis zum Ende. Dann kamen<br />
die Abendzeitungen raus, und die verschlang<br />
ich genauso.<br />
© BettiniPhoto (Reverberi), Yuzuru Sunada (Castellano), Sirotti<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 53
GIRO D’ITALIA<br />
© Yuzuru Sunada (Dupont), Gruber Images (Gruber), Tim de Waele/Getty Images<br />
HUBERT<br />
DUPONT<br />
Der AG2R-La<br />
Mondiale-Fahrer<br />
kam siebenmal<br />
in die Top 20<br />
Der Franzose<br />
ist ein erfahrener<br />
Giro-Teilnehmer<br />
und<br />
zieht das Rennen<br />
der Tour<br />
de France vor.<br />
„DIE STEILEREN<br />
ANSTIEGE DES GIRO<br />
LIEGEN MIR MEHR“<br />
Meine erste Begegnung mit den italienischen Rennen waren<br />
der Giro della Valle d’Aosta und der U23-Giro. Tatsächlich<br />
gab mir der „Baby Giro“ die Möglichkeit, Profi<br />
zu werden – ich gewann dort 2004 eine Etappe. Da habe ich mich<br />
in Italien verliebt – es fing an, als ich Amateur war, und ging weiter,<br />
als ich Profi war. Auch war der Giro d’Italia meine erste große<br />
Rundfahrt, die ich 2006 als Profi fuhr. Ich habe in dem Jahr auf<br />
einer Etappe den vierten Platz belegt, was eine meiner schönsten<br />
Erinnerungen an das Rennen ist.<br />
Ich ziehe den Giro anderen großen Rundfahrten vor, weil er<br />
besser zu meinen physischen Qualitäten passt. Bei der Tour hast<br />
du sehr lange Power-Anstiege, aber ich bin besser auf steilerem<br />
Terrain. Ich bin gut über drei Wochen, was heißt, dass ich einen<br />
guten Platz in der Gesamtwertung belegen kann, und ich bin einer<br />
der Letzten, der auf Bergetappen zurückfällt.<br />
Meine anderen Eindrücke und Erinnerungen an das Rennen<br />
haben weniger mit Resultaten zu tun. Ich erinnere mich, dass ich<br />
bei dem Rennen 2014 im Schnee über das Stilfser Joch geklettert<br />
bin. Für mich war es ein echtes Bild des Giro: ein gewaltiger Berg<br />
und kapriziöses Wetter. Ich erinnere mich auch, dass ich einen<br />
Reifenschaden hatte und im Mannschaftswagen auf ein neues<br />
Laufrad wartete, mich umschaute und feststellte, dass wir in einer<br />
wunderschönen Landschaft waren, in einem Nationalpark.<br />
Es ist das einzige Rennen, wo du Transfers per Boot hast oder auf<br />
einem anderen Kontinent startest. Du fährst bei einem langen<br />
Transfer durch einen Tunnel, und wenn du auf der anderen Seite<br />
rauskommst, sind die Landschaft und das Wetter ganz anders als<br />
da, wo du reingefahren bist. Es ist ein Rennen wie kein anderes.<br />
„DER GIRO<br />
ZEIGT DIE<br />
UREIGENE<br />
WÄRME DER<br />
ITALIENER“<br />
JERED GRUBER<br />
Fotograf<br />
Es war die 4. Etappe des Giro d’Italia<br />
2013. Wir waren weit im Süden, in<br />
Kalabrien. Meine Frau – und Fotografin<br />
– Ashley blieb in Soriano Calabro,<br />
um Aufnahmen zu machen. Ich war den<br />
Berg ein Stück mit dem Rad hochgefahren<br />
und hatte eine Stelle ausgesucht. Es war<br />
ein vermeintlich tolles Bild an einer fotogenen<br />
Haarnadelkurve, aber es wurde alles<br />
ruiniert von zwei lächerlichen Fans,<br />
die mit dem immer noch sehr großen Feld<br />
mitrannten. Ich war wütend. Ich bin aufgewühlt<br />
in die Stadt zurückgekehrt –<br />
überzeugt, dass das Ende der Welt nahe<br />
war und das verpasste Foto unser Untergang<br />
wäre oder so ähnlich. Dann sah ich<br />
Ashley lächeln und mir zuwinken. Sie<br />
nahm mich am Arm, und wir liefen durch<br />
ein Gewirr von Straßen, begleitet von einer<br />
lächelnden Familie. Wir kamen an eine<br />
Ecke. Ein Schlüssel gleitet ins Schloss und<br />
wir stehen in einem Frisiersalon. Der Barbier<br />
lässt mich Platz nehmen und seift<br />
mein Gesicht ein. An diesem Tag bekam<br />
ich nach einem frustrierenden Arbeitstag<br />
die erste und einzige richtige Messerrasur<br />
meines Lebens. Ich hatte jahrelang da -<br />
r über geredet und hätte wahrscheinlich<br />
noch jahrelang darüber geredet, dass ich<br />
eine haben will, aber Ashley hatte sich mit<br />
dieser Familie angefreundet und sie gebeten,<br />
den Salon nach dem Rennen für fünf<br />
Minuten aufzumachen. Ich fand mich mit<br />
dem Foto ab. Die Fans hatten es nicht ruiniert,<br />
nur die Erwartung, die ich davon in<br />
meinem Kopf hatte. Bis heute ist es eine<br />
meiner Lieblingserinnerungen daran,<br />
dass Ashley Ashley ist und die Italiener<br />
Italiener sind.<br />
54 PROCYCLING | MAI 2019
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GIRO D’ITALIA<br />
„DER GIRO WAR EIN ERLEBNIS,<br />
DAS MEINEN KÖRPER VERÄNDERTE“<br />
TAYLOR<br />
PHINNEY<br />
EF Education<br />
First, Giro-<br />
Etappensieger<br />
und Träger des<br />
Rosa Trikots 2012<br />
Für einen großen Fahrer wie mich ist der Giro einfach ein<br />
Fest des Leidens, aber auf eine gute Weise. Es gibt nicht<br />
viel, was man in drei Wochen machen kann, das einen physisch<br />
so sehr verändert wie der Giro. Der Giro 2012 war meine<br />
erste große Rundfahrt, die ich zu Ende gefahren bin, und er hat<br />
meinen Körper verändert. Er ist nie wieder in den Zustand zurückgekehrt,<br />
in dem er vorher war.<br />
Als ich bei Processo alla Tappa [die Analyse-Sendung des italienischen<br />
Fernsehens nach den Etappen] war, waren sie überrascht,<br />
dass ich Italienisch sprach, und das ohne diesen schrecklichen<br />
Akzent. Ich konnte den venezianischen Dialekt ein bisschen<br />
sprechen, und das hat sie beeindruckt, glaube ich. Es hat mir<br />
Spaß gemacht. Ich glaube, wenn man Italienisch versteht und<br />
versteht, wie es in Italien läuft, hat man mehr Geduld mit der Organisation<br />
und mehr Kontakt mit dem Publikum. Ich war nicht<br />
nur irgendein Fahrer, irgendein Renntier, das in den Ring geworfen<br />
wurde.<br />
Ich wollte meine erste große Rundfahrt unbedingt zu Ende<br />
fahren. Ich habe fünf Kilo verloren. Ich hatte diese radikale Transformation<br />
meines Körpers. Sie tischen dir diese megalangen Etappen<br />
auf, das Wetter ist unvorhersehbar, und auch, wie das Rennen<br />
gefahren wird … Die Tour ist so viel organisierter und für<br />
einen groß gewachsenen Fahrer generell leichter zu überleben als<br />
der Giro. Ich bin 60 Prozent des ersten Giro hinterhergefahren.<br />
Der Giro ist am härtesten.<br />
Phinney in Pink<br />
beim Giro 2012<br />
nach dem Sieg des<br />
Eröffnungszeitfahrens<br />
in Dänemark.<br />
© Gruber Images (Phinney), Tim de Waele/Getty Images<br />
56 PROCYCLING | MAI 2019
GIRO D’ITALIA<br />
„NACH EINER<br />
WOCHE WAR<br />
ICH AUF DEN<br />
GESCHMACK<br />
GEKOMMEN“<br />
ALBERTO CONTADOR<br />
Giro-Sieger 2008, 2015<br />
Beim Giro d’Italia war es Liebe auf<br />
den ersten Blick, als ich ihn 2008<br />
fuhr – zu dem Rennen und zum<br />
italienischen Radsport. Und das, obwohl<br />
Johan Bruyneel mich gezwungen hatte,<br />
ihn zu fahren. Ich war als Profi kaum in<br />
Italien gefahren, daher war der Giro ein<br />
Rennen, das ich kaum kannte. Innerhalb<br />
einer Woche war ich auf den Geschmack<br />
gekommen, was gut war, denn ich hatte<br />
meinem Team gesagt, dass ich nach einer<br />
Woche abreisen würde. Ich blieb, und<br />
dann blieb ich noch ein bisschen – bis<br />
Mailand. Das war auch wegen der Art, wie<br />
der Giro gefahren wurde und immer noch<br />
gefahren wird – sehr unstrukturiert, sehr<br />
intuitiv und sehr schwer zu kontrollieren.<br />
Das passte zu meinem Fahrstil, der genauso<br />
spontan ist. Außerdem ist der<br />
Druck von den Sponsoren beim Giro geringer<br />
als bei der Tour, was ein enormes<br />
Plus für die Fahrer ist. Das heißt, dass du<br />
es mehr genießen kannst. Und obendrein<br />
mag ich die Anstiege in den Dolomiten,<br />
besonders die Marmolata mit ihrer fantastischen<br />
Landschaft. Aber was mir am<br />
meisten gefallen hat, war, dass die Leute<br />
sehr warmherzig sind. Die Italiener leben<br />
das Rennen auf eine Weise, die ich bei den<br />
Franzosen und der Tour nicht festgestellt<br />
habe. Die Italiener reden immer darüber,<br />
und sie haben mich unglaublich unterstützt.<br />
Das hat mich 2008 angetrieben.<br />
Am Ende fand ich, dass sie mich mehr<br />
unterstützten als meine größten Rivalen<br />
– und einige ihrer einheimischen Fahrer.<br />
Contador siegte beim Giro<br />
2011 auf dem Ätna, doch das<br />
Ergebnis wurde später anulliert.<br />
© Tim de Waele/Getty Images, BettiniPhoto (Contador)<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 57
GIRO D’ITALIA<br />
© BettiniPhoto (Farrand), Yuzuru Sunada (Konyshev), Tim de Waele/Getty Images<br />
„DER GIRO IST EINE<br />
METAPHER FÜR DAS LEBEN“<br />
STEPHEN<br />
FARRAND<br />
Journalist<br />
Beim Giro d’Italia<br />
ist das italienische<br />
Leben drei Wochen<br />
lang in seiner ganzen<br />
Fülle zu sehen.<br />
Ich liebe den Giro d’Italia, weil er viel mehr ist als nur ein<br />
Radrennen: Er ist eine sportliche Metapher für die unfehlbare<br />
Liebe der Italiener zum Leben in einem oft chaotischen Land.<br />
Niemand ist so enthusiastisch wie die italienischen Tifosi, die den<br />
Fahrern am Straßenrand in den Bergen mit den Armen zuwinken<br />
und sie anfeuern; niemand brennt so darauf, die Fahrer zu sehen,<br />
wie die Kinder im Süden.<br />
Das Frühjahr geht während des Giro in den Sommer über und<br />
bringt jeden Tag das Beste aus dem Land hervor. Wenn das Interesse<br />
an dem Rennen steigt, steigt auch die Zahl der Leute, die<br />
Rosa tragen.<br />
Der Giro ist ein dreiwöchiger Crashkurs in italienischer Kultur,<br />
Soziologie und natürlich Gastronomie. Ich habe schnell gelernt, es<br />
den italienischen Journalisten nachzumachen, die dem Giro mit<br />
einem Restaurantführer im Handschuhfach folgen, weil ein gutes<br />
Abendessen der einzige Moment ist, wo man nach einem langen<br />
Tag auf der Straße abschalten kann.<br />
Ich habe den Giro d’Italia 1994 das erste Mal als Journalist<br />
begleitet, wo er wie dieses Mal in Bologna startete. Marco Pantani<br />
hatte in jenem Jahr seinen Durchbruch und inspirierte eine ganze<br />
Generation von Tifosi vor seinem ikarusgleichen Sturz und tragischen<br />
Tod. Die Italiener warten auf den nächsten großen campione,<br />
aber werden jeden anfeuern, der in Bologna startet und in Verona<br />
ankommt. Das haben sie bei Froome im letzten Jahr<br />
gemacht, und sie werden es wieder tun.<br />
Ich kann es kaum abwarten, in diesem Jahr wieder dabei zu<br />
sein und die Kombination aus Corsa Rosa, La Dolce Vita, Mortadella,<br />
Maglia Rosa, Parmigiano, Lambrusco und großem Radsport<br />
zu genießen.<br />
„BEI MEINEM<br />
ERSTEN GIRO<br />
HATTE ICH<br />
NULL DRUCK“<br />
DIMITRI KONYSHEV<br />
Sportlicher Leiter Katusha Alpecin<br />
Ich bin den Giro in meinem ersten Jahr<br />
als Profi gefahren, 1989 für das Team<br />
Alfa Lum. Ich war Teil der ersten Welle<br />
von ehemaligen Sowjetfahrern im Profi-<br />
Peloton. Es war meine erste große Rundfahrt,<br />
deswegen habe ich immer versucht,<br />
in die Ausreißergruppe zu gehen, die<br />
Sprints zu bestreiten, alles zu machen. Ich<br />
fuhr wie ein Amateur in der Welt der Profis.<br />
Wenn du Profi wirst, lernst du normalerweise<br />
das Handwerk von jemandem, der<br />
erfahrener ist. Aber als ehemalige Sowjetfahrer<br />
hatten wir niemanden, der uns das<br />
beibrachte. Wir brachen schließlich alle<br />
ungeschriebenen Gesetze des Giro.<br />
Was waren das für Gesetze? Höchstens<br />
drei Fahrer in der ersten Ausreißergruppe.<br />
Keine Angriffe bei Kilometer null, weil das<br />
Peloton voller alter Leute ist und sie ihre<br />
Motoren erst aufwärmen müssen. Dann<br />
waren die letzten zwei Stunden das genaue<br />
Gegenteil: Da wurde am Anschlag<br />
gefahren und ich litt immer. Ich stürzte<br />
schließlich und musste das Rennen verlassen.<br />
Irgendein Zuschauer wollte ein<br />
Foto machen und ich fuhr in seine Kamera.<br />
Wir hatten einen italienischen Direktor,<br />
Primo Franchini, aber ... Die Sprachbarriere<br />
war eine große Hürde. Wir<br />
brauchten Jahre, bis wir uns verstanden.<br />
Wir hatten keinen Funk, keinen Fahrer,<br />
der für uns zuständig war, niemanden,<br />
der uns sagte, was zu tun war. Wladimir<br />
Pulnikow wurde Gesamt-Elfter und gewann<br />
das Trikot des besten Jungprofis,<br />
aber wir fuhren einfach, wie wir wollten.<br />
Es hat Spaß gemacht – null Druck und<br />
null Verantwortung.<br />
58 PROCYCLING | MAI 2019
GIRO D’ITALIA<br />
„ALLEINE DIE ERWÄHNUNG DES MORTIROLO<br />
VERURSACHT BEI MIR GÄNSEHAUT“<br />
DAVIDE<br />
FORMOLO<br />
Bora–hansgrohe,<br />
Etappensieger<br />
beim Giro 2015<br />
Meine erste Erinnerung an den<br />
Giro war, Ivan Basso 2010 den<br />
Zoncolan hochfahren zu sehen<br />
– der Blick in seinen Augen, als er dort<br />
hochfuhr, auf der Jagd nach dem Sieg. Das<br />
war eine Inspiration für mich als junger<br />
Fahrer. Selbst heute noch bekomme ich<br />
eine Gänsehaut, wenn jemand beiläufig<br />
den Gavia oder den Mortirolo erwähnt.<br />
Aber wenn du bei der Giro-d’Italia-Präsentation<br />
auf der Bühne stehst und der<br />
Sprecher deinen Namen ruft, das ist für<br />
mich der Moment, in dem es dir wirklich<br />
bewusst wird, was du zu tun im Begriff<br />
bist, wo du stehst. Alles führt auf diesen<br />
Punkt hin, das ganze Training, all die<br />
Rennen und der Gedanke: Ich habe so<br />
hart dafür gearbeitet. Dann denkst du nur:<br />
Jetzt wollen wir es wissen.<br />
Ich war der Erste in meiner Familie, der<br />
den Giro im Fernsehen verfolgt hat. Das ist<br />
ungewöhnlich, denn die Italiener sind eigentlich<br />
sehr patriotisch bei ihren Rennen<br />
und schauen sie sich alle im Fernsehen an.<br />
Sie stellen den Giro, San Remo und Il Lombardia<br />
über die größten Rennen wie die<br />
Tour. Das Erste, was Italiener einen italienischen<br />
Profi fragen, ist, ob er am Giro teilgenommen<br />
hat, nicht an der Tour. Auch<br />
deswegen war mein Etappensieg in La Spezia<br />
2015 so besonders. Es war der Höhepunkt<br />
meiner bisherigen Karriere. Es war<br />
die typische schwere Übergangsetappe des<br />
Giro – kurvenreiche, technisch anspruchsvolle<br />
Straßen, bergauf, bergab, links, rechts<br />
den ganzen Tag. Alle waren erschöpft.<br />
Ich bin seitdem oft auf Gesamtwertung<br />
gefahren, was es schwerer macht, aus<br />
Ausreißergruppen heraus den Etappensieg<br />
zu holen. Und um ehrlich zu sein,<br />
hatte ich in der letzten Woche immer zu<br />
kämpfen, weil ich da sehr erschöpft war.<br />
Die Unterstützung aller Leute in meinem<br />
Ort zu haben – einem sehr kleinen Ort,<br />
aus dem vorher nie ein Profi hervorgegangen<br />
ist –, war gut. Aber manchmal war ich<br />
in dieser letzten Woche enttäuscht, als<br />
hätte ich sie hängenlassen. Das Einzige,<br />
was ich denken kann, ist, dass ich jung<br />
bin und den größten Teil meiner Karriere<br />
noch vor mir habe.<br />
© Gruber Images, Josep Lago/Getty Images (Formolo)<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 59
© Gruber Images<br />
60 PROCYCLING | MAI 2019
DIE BERGE<br />
DES GIRO<br />
Der Giro ist eine Symphonie, deren Musik<br />
an den schönen Berghängen Italiens aufgeführt<br />
wird. <strong>Procycling</strong> analysiert die entscheidenden<br />
Schauplätze des Rennens 2019.<br />
Text Barry Ryan<br />
Fotografie Getty Images<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 61
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
MADONNA DI SAN LUCA<br />
1<br />
LÄNGE: 2,1 KM /<br />
Ø -STEIGUNG: 9,7 %<br />
Bolognas rot getöntes mittelalterliches<br />
Herz beinhaltet rund<br />
40 Kilometer Säulengänge, aber<br />
die berühmteste Arkade von allen ist<br />
die, die von der Stadt aus die bewaldeten<br />
Hänge des Colle della Guardia hochführt.<br />
666 Bögen säumen die Strecke von der<br />
Porta Saragozza zur Basilica della Madonna<br />
di San Luca, die 1723 errichtet<br />
wurde, obwohl es mindestens seit<br />
1.000 Jahren irgendeine Art von Kapelle<br />
an diesem Ort gibt. Der Bau des Säulengangs<br />
– des längsten der Welt – begann<br />
im 17. Jahrhundert, um Pilger beim Anstieg<br />
vor den Elementen zu schützen.<br />
Der Hügel ist auch untrennbar mit dem<br />
Radsport verbunden. Rundstreckenrennen<br />
mit einer Hügelankunft sind ein durch<br />
und durch italienisches Thema, und der<br />
Giro dell’Emilia ist vielleicht der schönste<br />
Vertreter dieser Gattung. Das Finale umfasst<br />
fünf Runden über den Anstieg und<br />
läuft auf einen besonders eleganten Schlag <br />
abtausch hinaus, bei dem der in die<br />
Herbstsonne getauchte rosafarbene Portikus<br />
eine beeindruckende Kulisse bildet.<br />
Als die Grande Partenza in Bologna<br />
letztes Jahr angekündigt wurde, war sofort<br />
klar, dass der Anstieg nach San Luca<br />
eine wichtige Rolle spielen würde. Die<br />
Anhöhe hat beim Giro d’Italia schon dreimal<br />
als Etappenziel gedient: 1956, 1984<br />
und 2009. Dieses Mal stellt die Via di<br />
San Luca die Schwierigkeit am Ende des<br />
8,2 Kilometer langen Auftaktzeitfahrens<br />
des Giro dar.<br />
62 PROCYCLING | MAI 2019
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
13<br />
ETAPPE<br />
9<br />
S A N<br />
MARINO<br />
LÄNGE: 12,5 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 3,9 %<br />
San Marino – Fläche 61 Quadratkilometer,<br />
Bevölkerung 33.000 –<br />
ist berühmt für seine kunstvollen<br />
Briefmarken und sein Bankgeheimnis,<br />
aber die bevorzugte Visitenkarte des<br />
Zwergstaats sind 1.700 Jahre ununterbrochene<br />
Unabhängigkeit. „Willkommen<br />
im alten Land der Freiheit“, heißt es auf<br />
dem Wegweiser an der Straße von Rimini.<br />
Auf einer Anhöhe im Apennin zwischen<br />
der Emilia-Romagna und den Marken<br />
gelegen, ist San Marino ausgesprochen<br />
italienisch in seinem Flair, aber formal<br />
Ausland. Es hatte bereit regelmäßig Giro-<br />
Etappen zu Gast, doch als die Grande<br />
Partenza 1965 in dem Bergstaat begann,<br />
ging es als erstes Rennen auf ausländischem<br />
Boden in die Geschichtsbücher ein.<br />
Der diesjährige Besuch, der erste seit<br />
1998, ist auch vertraut, weil es das neunte<br />
Mal sein wird, dass San Marino ein<br />
Bergzeitfahren ausrichtet. Frühere Sieger<br />
auf solchen Etappen sind Charly Gaul,<br />
Felice Gimondi, Eddy Merckx, Giuseppe<br />
Saronni, Roberto Visentini und Pawel<br />
Tonkow. Wie diese früheren cronoscalate<br />
führt der Kurs der 9. Etappe vom Meer<br />
in die Berge; er beginnt in Riccione an der<br />
Adria und führt via Faetano nach San<br />
Marino auf 648 Meter Höhe. Der Anstieg<br />
kann kaum als gnadenlos bezeichnet<br />
werden und liegt den starken Fahrern<br />
eher als den reinen Kletterern. 1998<br />
konnte Marco Pantani trotz zahlloser<br />
Fans aus dem nahe gelegenen Cesenatico<br />
Alex Zülle an diesen Hängen auf einer<br />
Straßenetappe (die Andrea Noè gewann)<br />
nur drei Sekunden abnehmen.<br />
COLLE DEL<br />
NIVOLET/<br />
CERESOLE<br />
REALE<br />
LÄNGE: 20,3 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 5,9 %<br />
Moment mal, Jungs – Mauro<br />
Vegni hat eine tolle Idee. Der<br />
Colle del Nivolet wurde 1969<br />
auf der Kinoleinwand unsterblich in der<br />
Schlussszene von The Italian Job, wo<br />
der Bus mit Michael Caine und Co. bei<br />
deren Versuch, ihr gestohlenes Gold<br />
in Sicherheit zu bringen, über dem Abgrund<br />
hängt. Die beeindruckenden<br />
Haarnadelkurven am Lago Serrù schienen<br />
immer ein natürliches Amphitheater<br />
für ein Radrennen zu sein, aber der<br />
Nivolet ist noch nie für ein Profirennen<br />
genutzt worden. 2019 gibt der Anstieg<br />
nun endlich sein Debüt bei der Corsa<br />
Rosa als großes Finale der 13. Etappe.<br />
Der Nivolet beginnt in Noasca und zieht<br />
sich 20 Kilometer hin, führt auf dem Weg<br />
nach oben durch den Ort Ceresole Reale,<br />
zu Zeiten der Römer ein Zentrum des<br />
Berg baus. Die Straße wird am Lago di<br />
Ceresole flacher, bevor sie auf den letzten<br />
sechs Kilometern wieder deutlich aufsteilt;<br />
hier erreichen die Steigungsgrade im<br />
Schnitt fast neun Prozent und könnten<br />
einigen Fahrern um die Ohren fliegen. Der<br />
Nivolet ist einer der höchsten asphaltierten<br />
Bergpässe Europas, aber Vegni hat die<br />
Ziellinie ein Stückchen vor dem Gipfel gezogen,<br />
auf 2.247 Meter Höhe. Angesichts<br />
des Schneefallrisikos im späten Frühjahr<br />
weiß der Giro-Direktor, dass der Abstecher<br />
in dünne Luft am Nivolet ein filmreifer Balanceakt<br />
werden könnte.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 63
DIE BERGE DES GIRO<br />
64 PROCYCLING | MAI 2019
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
14<br />
COURMAYEUR<br />
LÄNGE: 8,2 KM / Ø-STEIGUNG: 3,3 %<br />
Das Aostatal, wo der Courmayeur<br />
liegt, ist ein Ort im Dreiländereck.<br />
Die autonome Region Italiens hat<br />
das moderne Französisch 1536 selbst zur<br />
Landessprache erklärt – drei Jahre vor<br />
Frankreich. Italienisch ist inzwischen die<br />
Muttersprache von mehr als drei Vierteln<br />
ihrer Bevölkerung, doch der frankophone<br />
Einfluss lebt im Bildungssystem und den<br />
Namen vieler Orte und Sehenswürdigkeiten<br />
der Gegend weiter.<br />
Im Faschismus trug Courmayeur vorübergehend<br />
den italienisierten Namen<br />
„Cormaiore“, wurde nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg aber wieder umbenannt. Als<br />
Italien in den 1950ern und 60ern sein<br />
Wirtschaftswunder erlebte, entstand in<br />
Courmayeur ein Skigebiet.<br />
Der Besuch des Giro in Courmayeur<br />
auf der 14. Etappe schließt eine 60-jährige<br />
Lücke zu Charly Gauls außergewöhnlichem<br />
Sieg auf der vorletzten Etappe der<br />
Rundfahrt 1959. Er stellte das Rennen<br />
mit einer bissigen Beschleunigung am<br />
Kleinen Sankt Bernhard auf den Kopf.<br />
Während Spitzenreiter Anquetil schwächelte,<br />
baute Gaul seinen Vorsprung aus,<br />
fuhr zehn Minuten heraus und holte das<br />
Rosa Trikot. Wie 1959 wird der Schlussanstieg<br />
nach Courmayeur als kräftezehrender<br />
Epilog eines gnadenlosen Nachmittags<br />
unter dem stillen und ehrwürdigen<br />
Mont Blanc sorgen. Die Steigung der<br />
Straße geht zwar kaum über fünf Pro <br />
zent, aber die Geschichte und insgesamt<br />
4.000 Klettermeter werden den Favoriten<br />
ordentlich in die Beine gehen.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 65
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
15<br />
ETAPPE<br />
15<br />
MADONNA<br />
D E L<br />
GHISALLO<br />
LÄNGE: 10,8 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 5,2 %<br />
Die Verbindung zwischen dem<br />
ita lienischen Radsport und der<br />
Religion, insbesondere dem Katholizismus,<br />
könnte Gegenstand einer<br />
Doktorarbeit sein, aber eine ihrer offensichtlichen<br />
Parallelen liegt in den Bergen.<br />
Ein Rennfahrer kann sich mit dem Symbol<br />
des Bergs als Ort des Leidens und der Erlösung<br />
identifizieren – Golgatha in den<br />
Evangelien zum Beispiel oder der Fegefeuerberg<br />
in Dantes Göttlicher Komödie –,<br />
während praktisch gesehen Italien mit Kirchen<br />
auf Hügelkuppen gespickt ist, sodass<br />
ein Kirchturm oft als De-facto-Banner für<br />
den „Gran Premio della Montagna“ dient.<br />
Diese Symbiose zwischen Radsport<br />
und Religion ist natürlich nicht nur gedanklich,<br />
und der Giro 2019 besucht mit<br />
der Madonna del Ghisallo erneut die bekannteste<br />
dem Radsport gewidmete Kapelle.<br />
Das Kirchlein auf dem Hügel oberhalb<br />
von Magreglio wurde ursprünglich<br />
im Mittelalter gebaut, nachdem von einer<br />
Marienerscheinung berichtet wurde, und<br />
die Madonna wurde die Patronin der Reisenden<br />
in der Gegend.<br />
1919 führte die Lombardei-Rundfahrt<br />
auf den Ghisallo und der Anstieg wurde<br />
sofort ein Fixpunkt auf einer Strecke, die<br />
um die Arme des Comer Sees herumführt.<br />
Bei einer Auflage der Lombardei-Rundfahrt<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg bemerkte<br />
der Gemeindepfarrer Ermelindo<br />
Viganò, dass die Fahrer sich bekreuzigten,<br />
als sie den Gipfel überquerten, was<br />
ihn veranlasste, Papst Pius XII. zu bitten,<br />
die Madonna zur Schutzpatronin der<br />
Radrennfahrer zu erklären, und die Kapelle<br />
wurde entsprechend umgeweiht.<br />
Der Anstieg hat den Giro seit den<br />
1930ern immer wieder geziert und war<br />
1967 eine Hügelankunft. Dieses Mal<br />
ist der Ghisallo auf der 15. Etappe als<br />
Teil einer Hommage an die Lombardei-<br />
Rundfahrt eingebaut, wobei die Colma<br />
di Sormano, Civiglio und San Fermo della<br />
Battaglia ebenfalls auf der Strecke liegen,<br />
bevor es bergab nach Como geht. Der<br />
Ghisallo kommt fast 70 Kilometer vor<br />
dem Ziel – zu weit weg, um entscheidend<br />
zu sein, aber trotzdem das emotionale<br />
Herzstück der Etappe. Radsport dreht<br />
sich wie Religion genauso um Rituale<br />
wie um Resultate.<br />
S A N<br />
F E R M O<br />
DELLA<br />
BATTAGLIA<br />
LÄNGE: 2,7 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 8,2 %<br />
Im zweiten italienischen Unabhängigkeitskrieg<br />
1859 besiegten Giuseppe<br />
Garibaldi und sein Freiwilligen-Korps<br />
der „Cacciatori delle Alpi“ – Alpenjäger<br />
– die Österreicher in Como, indem sie auf<br />
dem Hügel von San Fermo ihre Flanke<br />
umfassten. Als Garibaldi und seine<br />
Männer in die unterhalb gelegene Stadt<br />
vor drangen, waren die österreichischen<br />
Kräfte komplett geflüchtet, womit eine<br />
lange Geschichte der Fremdherrschaft<br />
beendet war. Ein halbes Jahrhundert später<br />
beschloss die Stadt, sich zu Ehren des<br />
schicksalhaften Kampfes in San Fermo<br />
della Battaglia umzubenennen.<br />
Die verschlafene Atmosphäre in dem<br />
Städtchen ist weit entfernt von den Tumulten<br />
bei Garibaldis Angriff, aber in den<br />
meisten Jahren erwacht sie an einem<br />
Samstagnachmittag im Oktober als<br />
Schluss anstieg der Lombardei-Rundfahrt<br />
zum Leben. Das 2,7 Kilometer lange<br />
Steilstück hat Vorstellungen von Merckx,<br />
Gimondi, Hinault und zuletzt Nibali gesehen.<br />
Wegen der Gefahr von Erdrutschen<br />
wurde der Anstieg letztes Jahr aus der<br />
Route gestrichen, aber ein erster Giro-Auf <br />
tritt seit Beginn der frühen 1990er bei der<br />
Mini-Lombardei-Rundfahrt der 15. Etappe<br />
ist eine reichliche Entschädigung.<br />
DAS 2,7 KILOMETER<br />
LANGE STEILSTÜCK HAT<br />
VORSTELLUNGEN VON<br />
MERCKX, GIMONDI,<br />
HINAULT UND ZULETZT<br />
NIBALI GESEHEN.<br />
66 PROCYCLING | MAI 2019
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
16<br />
MORTIROLO<br />
LÄNGE: 12,8 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 10,1 %<br />
ETAPPE<br />
P A S S O D I<br />
GAVIA<br />
LÄNGE: 16,7 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 8 %<br />
16<br />
Egal, wie oft der Giro hier war – der<br />
Passo di Gavia wird immer mit<br />
dem Jahr 1988 verbunden bleiben.<br />
Am 5. Juni holte Andy Hampsten das<br />
Rosa Trikot in Bormio nach einem Ritt im<br />
Schneesturm über den Gavia, der in die<br />
Legenden des Giro einging. Erik Breukink<br />
gewann die Etappe, aber es ist Hampstens<br />
Großtat, die in Erinnerung bleibt.<br />
Das bleibende Bild des Tages ist das des<br />
Amerikaners, Trikot und Skimütze mit<br />
Schnee bedeckt, wie er den Gipfel mit<br />
Neoprenhandschuhen und großer Brille<br />
erklimmt. Seine Kluft hatte ebenso viel<br />
mit Edmund Hillary gemein wie mit<br />
Fausto Coppi. Ein unvergesslicher Tag …<br />
Der Gavia ist 2.618 Meter hoch, und<br />
während diese extreme Höhe ihn meistens<br />
zur Cima Coppi macht, zum höchsten<br />
Punkt des Giro, bedeutet das<br />
manchmal auch, dass er gar nicht vorkommt.<br />
2013 wurde eine Etappe über<br />
den Gavia und das Stilfser Joch ins Martelltal<br />
wegen Schneefalls abgesagt, obwohl<br />
die Bedingungen kaum besser waren,<br />
als die Route zwölf Monate später<br />
in Angriff genommen wurde und für<br />
viel Polemik sorgte. Jetzt kehrt der Giro<br />
zurück zum Gavia auf einer respekteinflößenden<br />
Etappe. Es ist ein latentes<br />
Risiko, mit einem Radrennen zu dieser<br />
Jahreszeit auf diese Höhe zu gehen, aber<br />
der Giro ist immer schon auf einem<br />
Drahtseil zwischen Märchen und Machbarkeit<br />
spaziert. Die Anziehungskraft<br />
des Gavia hat weiter Bestand, egal, wie<br />
das Wetter ist.<br />
Der verstorbene Alfredo Martini, der<br />
1988 am Gavia im Auto hinterherfuhr,<br />
fing das Drama des Tages besser ein als<br />
die meisten. „In dem heftigen Schneesturm<br />
haben einige Fans ihre Jacke ausgezogen,<br />
um sie den Fahrern zu geben,<br />
einige haben sogar ihren Pullover ausgezogen“,<br />
erinnerte sich Martini 2007.<br />
„Solche Dinge passieren nur im Radsport,<br />
ein Sport, der immer ein großer Kampf<br />
gegen dich selbst ist.“<br />
773, als Karl der Große die Lombardei<br />
annektiert hatte, schlug<br />
seine Armee auf dem bewaldeten<br />
Pass, der Valtellina und Val Camonica<br />
miteinander verbindet, einen Aufstand<br />
von heidnischen Stämmen nieder, doch<br />
der Platz des Berges in der Geschichte<br />
war ein unbedeutender. Aber die Ankunft<br />
des Giro in den 1990ern warf plötzlich<br />
ein Licht auf diese unscheinbare Ecke der<br />
Alpen: Der Mortirolo wurde schnell zum<br />
gefürchtetsten Namen im Radsport.<br />
Andere Anstiege waren furchteinflößend<br />
aufgrund ihrer Höhe oder ihrer Länge;<br />
die atemberaubenden Steigungsgrade<br />
des Mortirolo bedeuteten, dass er wegen<br />
seiner schwindelerregenden Steilheit gefürchtet<br />
wurde. Nachdem man ihn 1990<br />
über die moderatere Seite via Edolo in<br />
Angriff genommen hatte, ließen die Giro-Organisatoren<br />
ein Jahr später die volle<br />
Kraft des Mortirolo auf die Fahrer los, als<br />
Franco Chioccioli sich auf der verschärften<br />
Strecke via Mazzo di Valtellina absetzte:<br />
12,8 Kilometer mit durchschnittlich<br />
10,1 Prozent Steigung und längeren<br />
Rampen mit 18 Prozent.<br />
Die schmale, baumgesäumte Straße<br />
verleiht dem Anstieg ein klaustrophobisches<br />
Gefühl, wo Nahaufnahmen von<br />
schmerzverzerrten Fahrergesichtern<br />
reichlich vorhanden sind. Niemand hat<br />
diese Maske des Schmerzes so getragen<br />
wie Marco Pantani, und der Ruf des Mortirolo<br />
als Feuerprobe des Leidens wurde<br />
zementiert, als der Italiener hier 1994<br />
Indurain abschüttelte.<br />
Der Steilhang löste auch die moderne<br />
Besessenheit des Sports von extremen<br />
Anstiegen aus. Der Mortirolo zeugte den<br />
Angliru, der den Weg für den Zoncolan<br />
ebnete. Aber während diese Anstiege<br />
mitunter fast zu schwer sind, um entscheidend<br />
zu sein, stellt der Mortirolo<br />
eine andere Herausforderung dar. Gerade<br />
steil genug, um eine Selektion zu erzwingen,<br />
aber nicht so extrem, um an Sadismus<br />
zu grenzen, ist es ein Anstieg, der<br />
für Angriffe genutzt werden kann, statt<br />
nur ertragen zu werden.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 67
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
17<br />
ANTERSELVA/<br />
ANTHOLZ<br />
LÄNGE: 9,6 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 5,5 %<br />
Die Schnittstelle zwischen Radund<br />
Wintersport hat in den letzten<br />
Monaten zu einigen deprimierenden<br />
Schlagzeilen geführt, doch die<br />
Bergankunft des Giro auf der 17. Etappe<br />
ist Resultat eines freundlicheren Zusammenspiels<br />
zwischen den Disziplinen.<br />
Anterselva – oder Antholz für die meis <br />
ten Einheimischen – ist bekannt für die<br />
Biathlonstadion Südtirol Arena, eine<br />
regelmäßige Station des Biathlon-Weltcups,<br />
und die Ankunft des Giro auf dem<br />
Berg ist verpackt in Werbung für die<br />
Biathlon-Weltmeisterschaft 2020 in<br />
Anterselva.<br />
Die 17. Etappe des Giro findet ganz in<br />
der autonomen Region Trentino-Südtirol<br />
statt und erstreckt sich auf ihre beiden<br />
Bestandteile. Die Etappe beginnt in Commezzadura<br />
in der weitgehend italienischsprachigen<br />
Provinz Trient, aber nach der<br />
Überquerung des Passo della Mendola<br />
führt das Rennen in die Provinz Bozen,<br />
besser bekannt als Südtirol, wo Deutsch<br />
die vorherrschende Sprache ist. Südtirol<br />
ging nach dem Ersten Weltkrieg<br />
von Österreich-Ungarn an Italien über,<br />
aber der Streit um die Region flammte<br />
im 20. Jahrhundert immer wieder auf.<br />
Das Problem wurde 2017 wieder<br />
akut, als die österreichische Regierung<br />
den Einwohnern Südtirols die Staatsbürgerschaft<br />
anbot.<br />
Der Giro ist natürlich fast jährlich<br />
zu Gast in Südtirol, das vom mächtigen<br />
Stilfser Joch gesäumt wird. Nennenswerte<br />
Exkursionen in jüngerer<br />
Zeit umfassen Nairo Quintanas umstrittenen<br />
Triumph im Martelltal<br />
2014 und Tejay van Garderens Sieg<br />
in St. Ulrich vor zwei Jahren, aber dies<br />
ist die erste Bergankunft der Corsa<br />
Rosa in Anterselva. Der Anstieg ist<br />
9,6 Kilometer lang und wird zum<br />
1.635 Meter hohen Gipfel hin steiler,<br />
wo er Rampen mit zwölf Prozent aufweist.<br />
In jeder Sprache bedeutet dies<br />
eine große Herausforderung.<br />
DIES IST DIE ERSTE BERGANKUFT<br />
DER CORSA ROSA IN ANTERSELVA.<br />
DER ANSTEIG IST 9,6 KILOMETER<br />
LANG MIT RAMPEN VON<br />
ZWÖLF PROZENT.<br />
68 PROCYCLING | MAI 2019
DIE BERGE DES GIRO<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 69
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
19<br />
S A N<br />
M A R T I N O<br />
D I<br />
CASTROZZA<br />
LÄNGE: 12,8 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 10,1 %<br />
Das Primiero-Tal zieht Kletterer<br />
seit dem 19. Jahrhundert an, als<br />
Bergsteigen als Sport in Mode<br />
kam. Der Ire John Ball, erster Vorsitzender<br />
des Alpenvereins, baute 1873 das<br />
erste Hotel in San Martino di Castrozza,<br />
und es etablierte sich bald als renommierter<br />
Urlaubsort für alle, die in den<br />
letzten Tagen des österreichisch-ungarischen<br />
Reichs Rang und Namen hatten.<br />
Der Anstieg war Schauplatz eines packenden<br />
Finales beim letzten Gastspiel<br />
des Giro 2009, obwohl das Ende ungeschrieben<br />
bleibt, nachdem Danilo Di<br />
Luca die Linie als Etappensieger überquert<br />
hatte. Der Sprint einer kleinen<br />
Gruppe am Gipfel bot sich perfekt an für<br />
den selbst ernannten „Killer“, der eine<br />
bissige Endschnelligkeit entwickelte.<br />
Aber ein positiver Test auf CERA bedeutete<br />
später, dass ihm der Sieg aberkannt<br />
wurde. Bei der Gelegenheit ermöglichte<br />
es eine Grande Partenza in Venedig, dass<br />
der Giro den Urlaubsort in den Dolomiten<br />
in der ersten Woche besuchte. Die Favoriten<br />
sollten sich dieses Mal in Acht nehmen,<br />
wenn der 13,6 Kilometer lange Anstieg<br />
zwei Tage vor dem Ziel in Verona zu<br />
bewältigen ist und die Erschöpfung für<br />
eine weit erlesenere Spitzengruppe sorgen<br />
sollte als die, die Di Luca vor zehn<br />
Jahren schlug. Da noch zwei entscheidende<br />
Tage anstehen, ist die endgültige<br />
Destination des Rosa Trikots oben in<br />
San Martino di Castrozza vielleicht<br />
noch nicht sichtbar, obwohl man die sogenannte<br />
enrosadira wird beobachten<br />
können, den Prozess, bei dem die exponierten<br />
Felsen der nahe gelegenen Dolomitengipfel<br />
sich rosa und violett färben,<br />
wenn die Sonne zu sinken beginnt. Eine<br />
passende Kulisse und Landschaft für<br />
den Schlussakt des Giro 2019.<br />
ETAPPE<br />
Der Croce d’Aune hat einen Ruf,<br />
der seine eher flüchtige Beziehung<br />
zum Giro Lügen straft. Der<br />
Anstieg stand bisher erst zweimal auf der<br />
Route – 1964, als Franco Balmamion das<br />
Rennen am Gipfel anführte, und 2009,<br />
als Manuel Belletti als Erster oben war.<br />
Aber sein Name ist ein klangvoller wegen<br />
der Ereignisse bei einem ansonsten in<br />
Vergessenheit geratenen GP della Vittoria<br />
im November 1927.<br />
Ein junger Fahrer namens Tullio Campagnolo<br />
führte das Rennen am Croce<br />
d’Aune an, aber aufgrund der steiler werdenden<br />
Steigung musste er den Gang<br />
wechseln – was seinerzeit bewerkstelligt<br />
wurde, indem man das Hinterrad umdrehte.<br />
Doch die Hände des in Vicenza<br />
geborenen Fahrers waren taub durch die<br />
20<br />
CROCE D’AUNE<br />
LÄNGE: 13,5 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 3,1 %<br />
bittere Kälte am Tag des Waffenstillstands.<br />
Als er sich abmühte, so die Legende,<br />
kam er auf die Idee, den Schnellspanner<br />
zu entwickeln. Selbst in einem<br />
Sport, der so von Mythen umrankt ist,<br />
haben wenige Firmen eine solche Entstehungsgeschichte<br />
wie Campagnolo.<br />
Die vorletzte Etappe der Corsa Rosa ist<br />
die brutale Dolomiten-tappone mit über<br />
5.000 Klettermetern dank Cima Campo,<br />
Passo Manghen und Passo Rolle vor dem<br />
Ziel am Croce d’Aune, obwohl das Rennen<br />
durch Ponte Oltra führt statt über<br />
die bekanntere Strecke durch die Brauerei-Stadt<br />
Pedavena. So wie die meisten<br />
schweren Etappen dieses Giro für die<br />
letzte Woche aufgespart werden, kommen<br />
die steilsten Abschnitte zum Gipfel<br />
hin, wo Rampen mit 16 Prozent warten.<br />
70 PROCYCLING | MAI 2019
DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
21<br />
TORRICELLE<br />
LÄNGE: 12,8 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 10,1 %<br />
Die letzte Etappe des Giro 2019<br />
ist praktisch eine Neuauflage der<br />
letzten Runde des Rennens von<br />
2010, aber bei den meisten beschwört<br />
die Erwähnung des Torricelle-Anstiegs<br />
Erinnerungen daran herauf, dass Verona<br />
die Weltmeisterschaften 1999 und<br />
2004 ausrichtete, weniger an das Zeitfahren,<br />
mit dem sich Ivan Basso seinen<br />
zweiten Giro-Sieg sicherte. Für die größten<br />
Wonneschauer in dem Anstieg sorgte<br />
1999 Frank Vandenbroucke, der in der<br />
letzten Passage über den Torricelle trotz<br />
Frakturen in beiden Handgelenken als<br />
Solist anzugreifen versuchte. Óscar Freire<br />
sicherte sich seinen ersten Weltmeistertitel<br />
in Verona und holte 2004 in der<br />
Messestadt seinen dritten.<br />
Im heutigen Peloton ist Domenico<br />
Pozzovivo der Fahrer mit den meisten<br />
öffentlichen Verbindungen zu dem Anstieg.<br />
Bei der Weltmeisterschaft 2004<br />
war er in der entscheidenden U23-Straßengruppe<br />
mit Kanstantsin Siutsou, nur<br />
um in der letzten Passage des Torricelle<br />
einen fürchterlichen Hungerast zu erleiden<br />
und Vierter zu werden. „Bei mir gingen<br />
die Lichter aus und es endete mit der<br />
Holzmedaille“, sagte er in jenem Jahr bedauernd<br />
zu <strong>Procycling</strong>.<br />
Die Via Torricelle führt bergauf durch<br />
eine der vornehmsten Gegenden von Verona<br />
im Norden der Etsch, ihr Gipfel ist<br />
gekennzeichnet durch die vier gedrungenen<br />
runden Türme, nach denen sie benannt<br />
ist. Die Torri Massimiliane wurden<br />
1837 von den Österreichern als Befestigung<br />
gebaut. Mit 4,5 Kilometer Länge<br />
und einer durchschnittlichen Steigung<br />
von 4,6 Prozent verblasst die reine Statistik<br />
der Via Torricelle gegenüber den meisten<br />
Anstiegen, die ihr auf dieser Giro-<br />
Route vorausgegangen sind, aber sie hat<br />
eine große Bedeutung, weil sie auf den<br />
letzten 15,6 Kilometern des abschließenden<br />
Zeitfahrens, das im beeindruckenden<br />
römischen Amphitheater von<br />
Verona endet, viel Raum einnimmt.<br />
DIE VIA TORRICELLE<br />
FÜHRT DURCH EINE DER<br />
VORNEHMSTEN GEGEN-<br />
DEN VON VERONA.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 71
MEIN<br />
GIRONA<br />
72 PROCYCLING | MAI 2019
Seit seiner „Entdeckung“<br />
durch Lance Armstrong<br />
haben unzählige Profis das<br />
einst verschlafene Girona<br />
zu ihrem Zuhause in der<br />
Fremde gemacht.<br />
<strong>Procycling</strong> streift durch<br />
seine mittelalterlichen<br />
Straßen, um herauszufinden,<br />
wie sich die Stadt durch<br />
den Zustrom von umherreisenden<br />
Athleten und<br />
Touristen verändert hat.<br />
Text Ricardo Montero<br />
Fotografie Ian Walton<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 73
GIRONA<br />
Die Spanier haben ihr eigenes Wort für ausländische<br />
Touristen: guiri. Sie kennen den<br />
Typ. Mit einem großen Faltplan aus dem<br />
Touristenbüro, auf den mit blauem Kugelschreiber<br />
große Kreise aufgemalt sind, einer Sonnenbrille,<br />
die an einer Schnur um den Hals baumelt, kurzer<br />
Hose, Sandalen und Socken, laut schreiend, oft in<br />
Englisch. Oder sie starren auf ein Smartphone, als<br />
würde es gleich die Antwort auf das Leben, das<br />
Universum und alles liefern, ohne Rücksicht auf<br />
Verkehrsschilder, fahrende Autos und andere Formen<br />
nicht künstlicher Intelligenz. Guir ist ein<br />
freundlicher, nicht verächtlich gemeinter Ausdruck,<br />
aber er drückt doch aus, dass das Leben<br />
besser war, bevor sie kamen.<br />
Die Stadt Girona hat ihre eigene Art von guiri.<br />
Die gepflasterten Straßen des Barri Vell, des mittelalterlichen<br />
Stadtkerns, sind voller Trainingsjacken<br />
und Poloshirts – die Art, die heute niemand<br />
tragen würde, der nicht vertraglich dazu<br />
verpflichtet ist. Es gibt auch Steppjacken. Die teuren,<br />
nicht die billigen. Den Typ kennen Sie auch.<br />
Statt gezielt von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit<br />
zu marschieren, schlendern diese guiri<br />
halbwegs ziellos von einem Platz zum nächsten,<br />
um sich die müden Beine in den kühlen Gassen<br />
der kleinen katalanischen Stadt zu vertreten, die<br />
zu einem Epizentrum des Radsports in Europa<br />
geworden ist.<br />
Sie sind nicht wegen eines Rennens hier: Die<br />
Tour de France kam einmal 2009 und die Volta<br />
a Catalunya kommt von Zeit zu Zeit, aber die<br />
Stadt liegt nicht regelmäßig auf der Route. Der<br />
Grund, warum sie hier sind, ist aber sehr einfach<br />
und hat etwas damit zu tun: Girona ist ein großartiger<br />
Ort, um Fahrrad zu fahren.<br />
Es ist derselbe Grund, der auch viele Dutzende<br />
Radprofis nach Girona gelockt hat, das einen Eckpfeiler<br />
einer umherreisenden Gemeinschaft von<br />
Athleten und Mitarbeitern bildet, die mit dem<br />
Sport verbunden sind („angestellt“ ist ein zu starkes<br />
Wort für etwas so Unstetes und Flüchtiges<br />
wie den Profiradsport). Wie jede Gruppe von Immigranten<br />
in globalen Städten in aller Welt ist<br />
Girona eine Landezone. Fahrer aus Nord- und<br />
Südamerika, Australien, Asien und Nordeuropa<br />
wählen Girona als ihr erstes Zuhause auf dem<br />
europäischen Kontinent, bevor viele woanders<br />
hinziehen, insbesondere nach Andorra. Die häufigsten<br />
Auswanderersprachen sind Englisch,<br />
Holländisch und Skandinavisch. EF Education<br />
First, Mitchelton-Scott, Jumbo-Visma, Canyon-<br />
Sram, Sunweb, Katusha Alpecin und Israel<br />
Cycling Academy sind hier mit nennenswerten<br />
Zahlen vertreten, und es kommen versprengte<br />
Fahrer anderer Teams hinzu.<br />
Innerhalb von 15 Jahren sind sie von einer<br />
Handvoll Fahrern auf gut über 100 angewachsen.<br />
Bei allem Kommen und Gehen sind genaue Zahlen<br />
schwer zu bekommen. Es gab vorher schon<br />
Radsportler hier, aber einen Teil der Schuld für<br />
den Radsport-Boom in Girona kann man Lance<br />
Armstrong zuschreiben. Er zog im neuen Jahrtausend<br />
her, um den französischen Anti-Doping-<br />
Gesetzen nach dem Festina-Skandal zu entgehen,<br />
kaufte sich eine protzige Wohnung im Herzen der<br />
Altstadt, nahm seine Kabale von USPS-Kumpels<br />
mit, und damit fing es an. Eine beliebte Trainingsstrecke<br />
wird im Volksmund immer noch Hincapie-<br />
Schleife genannt.<br />
Doch wie immer hat es damit mehr auf sich als<br />
Lance – nicht zuletzt mit dem katalanischen Drang,<br />
im Nirgendwo endende Bergstraßen mit einem<br />
so seidenglatten Asphalt zu überziehen, dass er<br />
zwölf Jahre lang in einem Keller hätte reifen können,<br />
anscheinend zum alleinigen Nutzen ein paar<br />
alter Einheimischer, die mit ihrem klapprigen<br />
Suzuki Vitara durch die Gegend fahren, und zur<br />
unbeabsichtigten Freude von Radsportlern. Man<br />
könnte argumentieren, dass das Auftauchen von<br />
Profis hier Hand in Hand ging mit der Umstellung<br />
auf hochstrukturierte, auf Wattmessgeräte gestützte<br />
Trainingspläne im gesamten Sport. Ein<br />
Anstieg in das kleine Dorf Sant Martí Sacalm,<br />
typisch für die gleichmäßigen Bergstraßen in den<br />
östlichen Vorpyrenäen, ist die Strecke schlechthin,<br />
um sich auszupowern. Ein früherer Fahrer, der dort<br />
während seiner Karriere mehrmals die Woche fuhr,<br />
gab zu, es nur ein paarmal bis oben geschafft zu<br />
haben. Er trainierte einfach weiter unten am Berg,<br />
fuhr rauf und runter und dann nach Hause.<br />
Profi zu sein bedeutet auch nicht mehr, sich<br />
an der belgischen Schule des Radsports einzuschreiben,<br />
die junge Fahrer an die Wand wirft in<br />
der vagen Hoffnung, dass einige von ihnen kleben<br />
bleiben. Aufstrebende Profis finden das sehr attraktiv:<br />
Man kann zu einer sonnigen Fahrt aufbrechen<br />
und dann in einem Café herumhängen<br />
wie ein Student. Wer wollte ihnen das verübeln?<br />
Wir reden nicht über Zehntausende Teenager,<br />
und es gibt keine Jack-Wills-Kapuzenshirts, fettige<br />
Döner oder Wodka-Dienstage. Aber es gibt<br />
auf jeden Fall genug Cafés, wo man hingehen<br />
kann, um übereinander zu lästern und zu versuchen,<br />
nicht in seinem Cappuccino zu versinken,<br />
während man am seichten Ende der wirklichen<br />
Welt herumpaddelt.<br />
Es sind genug Radsportleute, damit es sich wie<br />
eine kleine Gemeinschaft anfühlt, mit einem anheimelnden<br />
Gefühl von Vertrautheit und Gebor<br />
ES GIBT GENUG CAFÉS, WO MAN HINGEHEN KANN, UM<br />
ÜBEREINANDER ZU LÄSTERN UND ZU VERSUCHEN, NICHT IN<br />
SEINEM CAPPUCCINO ZU VERSINKEN, WÄHREND MAN AM<br />
SEICHTEN ENDE DER WIRKLICHEN WELT HERUMPADDELT.<br />
Das Trikot von Jumbo-Visma ist ein typischer<br />
Anblick auf den Straßen rund um die Stadt.<br />
74 PROCYCLING | MAI 2019
GIRONA<br />
UAE-Fahrer Rory<br />
Sutherland eröffnete<br />
2016 in Gironas Altstadt<br />
das Federal Cafe.<br />
genheit in der großen und erschreckenden Welt<br />
des Profiradsports. Diese Cliquenwirtschaft kann<br />
einige abschrecken. Ein Fahrer, der nicht in Girona<br />
lebt, gab zu, dass er genau aus dem Grund,<br />
dass jeder jeden kennt und sich die Radsportblase<br />
nie wirklich in den Rest der Gemeinde integriert,<br />
nie dort hinziehen würde. Ein anderer sprach von<br />
einem potenziellen Szenario von Feindseligkeiten<br />
an der Supermarktkasse, wenn man einen Rivalen<br />
ausspioniert, der eine großartige Saison hat, wenn<br />
man selber keine hat – wobei der Punkt ist, dass<br />
Nähe leicht Neid, Querelen und Unbehagen hervorbringt.<br />
Wie erkennt man in Girona<br />
Radsportler/-innen? Auffällige<br />
Bräunungslinien verraten sie.<br />
„Es sind viele hier, und es ist eine richtige Clique,<br />
nicht wahr?“, sagte ein Tätowierer, der vor Kurzem<br />
einen Radprofi gestochen hatte. „Aber in den<br />
Tattoo-Studios ist es dasselbe. Wir haben alle unseren<br />
kleinen Raum und machen unser kleines<br />
Ding, aber schlussendlich kommen wir klar.“<br />
Die Einheimischen beschreiben Girona als<br />
großes Dorf mit bekannten Gesichtern und bekannten<br />
Familiennamen. Sie mögen die Feste –<br />
meistens mit Feuer und lauter Musik und fast<br />
immer mit Sachen, die anderswo vom Ordnungsamt<br />
verboten oder für moralische Entrüstung<br />
sorgen würden – und das lebendige Gefühl, dazuzugehören.<br />
Girona kann sich sehr schnell wie<br />
zu Hause anfühlen.<br />
HOBBYFAHRER UND PROFIS<br />
TUN SICH ZUSAMMEN<br />
Eine Gruppe von ein paar Hundert hat wenig Einfluss<br />
in einer Stadt mit über 100.000 Einwohnern.<br />
Sie bewahrt trotzdem ihren alten Charme,<br />
ihren katalanischen Charakter, ihre ruhigen<br />
Ecken. Aber diese Fahrer haben einen Boom im<br />
Sporttourismus ausgelöst, der Hobbyfahrer ins<br />
Sonnensystem hineinzieht wie weit entfernte Kometen,<br />
deren unregelmäßige Umlaufbahnen sie<br />
im Frühjahr und Sommer wegen seines Rufs für<br />
exzellentes Radfahren sichtbar werden lässt. Sie<br />
lockt auch die kleinstädtische Kultur, gute Restaurants<br />
und Hotels – und natürlich die Aussicht,<br />
Marcel Kittel beim Brötchenholen über den Weg<br />
zu laufen. Immer wieder müssen Fußgänger aufpassen,<br />
wenn jemand auf einem Fahrrad vorbeifliegt.<br />
Es ist wahrscheinlich ein Hobbyfahrer, weil<br />
die Hobbyfahrer, die nach Girona kommen, meistens<br />
so Rad fahren wollen, wie sie denken, dass<br />
Profis fahren, und sich selbst viel zu ernst nehmen.<br />
Die Profis hingegen wollen meistens lieber<br />
wie Hobbyfahrer fahren und neigen meist überhaupt<br />
nicht dazu, sich selbst allzu ernst zu nehmen.<br />
Es hat immer Touristen in Girona gegeben, und<br />
in den letzten Jahren hat es einen Boom an Besucherzahlen<br />
gegeben – unabhängig vom Radsport.<br />
Eine Weile hat Ryanair potenzielle Urlauber überzeugt,<br />
dass der Flughafen von Girona in der Nähe<br />
von Barcelona sei – was es auch ist, und zwar so,<br />
wie der Flughafen Frankfurt-Hahn in der Nähe<br />
von Frankfurt ist. Die Gesamtbesucherzahl hat<br />
sich seit 2010 verdoppelt. In der Folge ist Girona<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 75
GIRONA<br />
nicht unberührt geblieben von der schleichenden,<br />
unkontrollierten und unumkehrbaren Verwandlung<br />
Barcelonas von einer trendigen Stadt in einen<br />
Touristenthemenpark, wo das einzig Echte, was<br />
Touristen heute sehen, andere Touristen sind.<br />
Dass mehrere Szenen von Game of Thrones in<br />
Girona gedreht wurden, bedeutet, dass viele der<br />
alten architektonischen Juwelen der Stadt einen<br />
neuen Verwendungszweck als Kulisse für das<br />
perfekte Instagram-Selfie finden.<br />
Diese Mengen der Tagesausflügler schwollen<br />
weiter an durch die Eröffnung der schnellen direkten<br />
Zugverbindung zwischen Paris und Barcelona.<br />
Hinzu kommen katalanische Pendler, die<br />
in weniger als 45 Minuten in Barcelona sind, die<br />
Golftouristen, die auf einigen der besten Plätze<br />
Europas spielen wollen, und die Gourmets, die<br />
sich von einer Küche anlocken lassen, die zu den<br />
feinsten Europas gehört (eines der weltbesten<br />
Restaurants, El Celler de Can Roca, ist nicht weit<br />
von hier). Es ist eine gute Zeit, um Vermieter in<br />
Girona zu sein.<br />
„Es ist nicht die Art von Tourismus, die man<br />
sonst in Spanien sieht, und die Touristen, die<br />
RADSPORTLER UND DIE RESTLICHEN REISENDEN ESSEN<br />
MEISTENS GERNE GUT UND SIND RUHIGE GENIESSER;<br />
ELEKTRONISCHE TANZMUSIK UND DAS MITSINGEN VON<br />
FUSSBALLSONGS GEBEN IHNEN NICHTS.<br />
kommen, haben viel mehr Geld“, erklärte ein Geschäftsinhaber.<br />
„Aber das heißt, dass die Lebenshaltungskosten<br />
für die Leute hier steigen.“<br />
Ein anderer, der einen Frisörsalon in der Innenstadt<br />
hat, erklärte die Vor- und Nachteile der<br />
Gentrifizierung. Vor fünf Jahren schmiss ihn sein<br />
Vermieter aus dem Laden, den er 20 Jahre lang<br />
gemietet hatte, also suchte er sich ein neues Lokal<br />
um die Ecke und zog dort ein. Einerseits hat seine<br />
neue Straße jetzt eine der höchsten Dichten an<br />
Touristenapartments in der Altstadt und die Mieten<br />
sind hoch. Andererseits ist die Ecke nicht<br />
mehr voller Bordelle.<br />
INTEGRATIONSPROBLEME<br />
Girona zieht einen bestimmten Typ des gehobenen<br />
Mittelklassebesuchers an. Radsportler und<br />
die restlichen Reisenden essen meistens gerne gut<br />
und sind ruhige Genießer; elektronische Tanzmusik<br />
und das Mitsingen von Fußballsongs geben<br />
ihnen nichts. Wie überall gibt es natürlich einen<br />
irischen Pub, doch der ist ziemlich diskret. Sonst<br />
wird das Bier überall in kleinen Gläsern serviert.<br />
Man muss schon sehr genau hinschauen – und<br />
sehr lang laufen –, um irgendeine globale Restaurantkette<br />
zu finden.<br />
76 PROCYCLING | MAI 2019
GIRONA<br />
Aber Radsportler integrieren sich selten ganz.<br />
Sie leben ein nomadisches Leben, und ihre Karrieren<br />
sind verbunden mit einem Zeitlimit für ihren<br />
Anlass, in Girona zu leben. Die Mehrheit hat keine<br />
Familie, wenige schlagen dauerhafte Wurzeln<br />
und noch weniger sprechen Katalanisch. Radprofis<br />
können nicht bis tief in die Nacht in der Bar<br />
sitzen, cañas schlürfen und an patatas bravas<br />
knabbern, und die Einheimischen gehen nicht<br />
morgens um halb zehn Rad fahren. Man könnte<br />
wahrscheinlich sein ganzes Erwachsenenleben<br />
hier verbringen und trotzdem noch als Außenseiter<br />
gelten. Die katalanischen Traditionen sind sehr<br />
eigen und wie die Sprache mit Jahrhunderten Geschichte<br />
und einer umstrittenen Identitätspolitik<br />
verbunden. Sie werden stolz gefeiert und vehement<br />
verteidigt.<br />
Das ist alles gut und es herrscht ein angenehmes<br />
Gefühl von leben und leben lassen. Vieles,<br />
was die Radsportler mitgebracht haben, kommt<br />
bei den Einheimischen gut an: Wenn Sie ins La<br />
Fabrica gehen, das berühmte Café, das dem früheren<br />
Profi Christian Meier und seiner Frau Amber<br />
gehört, werden Sie ebenso wahrscheinlich<br />
Geschäftsleute aus der Gegend sehen, die sich<br />
Kaffee und Gebäck schmecken lassen, wie Profis,<br />
Breitensportler, die einen auf Profi machen, und<br />
weltumreisende Tripadvisor-Junkies. Aber zwischen<br />
all den prokatalanischen Unabhängigkeitsflaggen<br />
und den katalanischen Esteladas, die im<br />
Wind flattern, sind Schilder zu sehen, auf denen<br />
steht: „Barri – Pisos Turístics“ und „Jedes Touristenapartment<br />
ist eine Wohnung, die den Einheimischen<br />
weggenommen wurde!“<br />
Nach Angaben der Gruppe „Més Barri Girona“,<br />
die sich für eine Begrenzung der Touristenapartments<br />
einsetzt, ist die Anzahl von Wohnungen,<br />
die kurzzeitig an Urlauber vermietet werden –<br />
über Airbnb und andere Anbieter –, in den drei<br />
Jahren vor 2018 von 179 auf 614 gestiegen, wobei<br />
sich die meisten davon auf das Barri Vell konzentrieren<br />
und in der gleichen Zeit um 25 Prozent<br />
zugenommen haben. Gleichzeitig sind die Immobilienpreise<br />
allein 2018 in Girona um 27 Prozent<br />
gestiegen, was eine der wohlhabendsten Ecken<br />
Spaniens zu einer der teuersten macht.<br />
Das ist nicht die Schuld der Radsportler. Es<br />
ist Teil des natürlichen Zyklus der (spanischen)<br />
Immobilienpreise, ein fremder Begriff für alle, die<br />
aus einem Land kommen, wo Vermögen in Immobilien<br />
angelegt wird und die Regierungen (vernünftigerweise)<br />
versuchen, es so stabil wie möglich<br />
zu halten. Es hat auch viel mit dem Brexit zu<br />
tun, da viele neue Käufer spanische Wohnungen<br />
in Anbetracht der drohenden Krise als sicherere<br />
Anlage betrachtet haben als britischen Beton.<br />
Die Stadtverwaltung ist im Begriff, einen Dialog<br />
mit den Einwohnen und Geschäftsleuten zu beginnen,<br />
wie mit der ansteigenden Welle umgegangen<br />
werden soll. Aber Girona ist Teil einer sich<br />
globalisierenden Welt, und seine mittelalterlichen<br />
Steine liegen im hellen Sonnenlicht des 21. Jahrhundert,<br />
ob es ihnen gefällt oder nicht.<br />
Radsport ist Teil dieser modernen Welt. Einige<br />
Leute denken, dass das moderne Leben Mist ist,<br />
doch für die große Mehrheit ist Girona immer<br />
noch ein wunderbarer Ort, um dort zu leben oder<br />
hinzureisen. Haben die Radsportler Girona also<br />
ruiniert? Nein. Jedenfalls noch nicht.<br />
Nathan Haas von Katusha Alpecin<br />
gehört zu den Profis, die in Girona leben.<br />
Der Tourismus bedeutet für Girona auch<br />
Wohnungsmangel und steigende Mieten.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 77
NACHLESE<br />
ANALYSE • ERKENNTNISSE • DATEN<br />
© Gruber Images<br />
MAILAND–SAN REMO / 23.03.2019<br />
DER LANG ERWARTETE SIEG<br />
BEI EINEM MONUMENT<br />
Julian Alaphilippe fuhr auf der Via<br />
Roma, der Zielgeraden von Mailand–<br />
San Remo, an einem Ende als Favorit<br />
hinein und am anderen Ende als Cham pion<br />
heraus. Indem er eine Handvoll der besten<br />
Klassiker-Fahrer in einem Sprint ohne<br />
Nerven abservierte, hatte Alaphilippe endlich<br />
ein Monument gewonnen. Die Pech-<br />
ERGEBNIS<br />
strähne des französischen Fahrers bei Monumenten<br />
war zwar keine psychologische<br />
Bürde für ihn, doch eine Reihe von hohen<br />
Resultaten – Zweiter bei Lüttich 2015,<br />
Dritter bei San Remo 2017, Zweiter bei der<br />
Lombardei-Rundfahrt 2017 und Vierter<br />
bei Lüttich 2018 – hätten Fragezeichen<br />
aufwerfen können, wäre er sonst nicht so<br />
FAHRER TEAM ZEIT<br />
1 Julian Alaphilippe Deceuninck–Quick-Step 6:40:14<br />
2 Oliver Naesen AG2R La Mondiale 0:00<br />
3 Michał Kwiatkowski Sky 0:00<br />
4 Peter Sagan Bora–hansgrohe 0:00<br />
5 Matej Mohorič Bahrain-Merida 0:00<br />
Alaphilippe gewinnt<br />
auf der Via<br />
Roma sein erstes<br />
Monument, nachdem<br />
er hier vor<br />
zwei Jahren Dritter<br />
wurde.<br />
14<br />
französische<br />
Siege unter 110<br />
Austragungen<br />
von Mailand–<br />
San Remo<br />
erfolgreich gewesen, bei Etappenrennen<br />
wie bei großen Rundfahrten.<br />
Tatsächlich fiel es Alaphilippe schwerer,<br />
im Laufe seiner Karriere Eintagesrennen<br />
zu gewinnen, als seine Stärke und sein<br />
fahrerisches Können vermuten lassen. Er<br />
brauchte fünf Jahre als Profi, um eines zu<br />
gewinnen – Flèche Wallonne 2018 –, und<br />
Mailand–San Remo war erst sein vierter<br />
Sieg bei einem Eintagesrennen nach der<br />
Clásica San Sebastián im letzten Jahr und<br />
Strade Bianche in diesem Frühjahr.<br />
Vielleicht war der Druck dieses Mal<br />
nicht da. Schließlich hatte er es bei Mailand–San<br />
Remo mit besseren Sprintern zu<br />
tun. Vor zwei Jahren hatten Michał Kwiatkowski<br />
und Peter Sagan ihn auf dieser<br />
Ziellinie geschlagen. Matteo Trentin hat<br />
Massensprints bei großen Rundfahrten<br />
ge wonnen. Alejandro Valverde und Michael<br />
Matthews, die beide endschnell<br />
sind, waren ebenfalls da. Wenn dies<br />
Flèche Wallonne oder Lüttich gewesen<br />
wäre, hätte man darauf gewettet, dass<br />
Bergaufsprinter Alaphilippe Erster oder<br />
Zweiter wird, aber bei einem flachen Sprint<br />
in dieser Gesellschaft hat wohl selbst ein<br />
Podiumsplatz optimistisch gewirkt.<br />
78 PROCYCLING | MAI 2019
Edward Pickering<br />
Herausgeber<br />
Ed denkt, dass die Verkleinerung<br />
der Teams 2018 zu besseren Ein -<br />
ta ges rennen geführt hat, bei denen<br />
die Ausreißer mehr Erfolg haben.<br />
Sam Dansie<br />
Redakteur<br />
Paris–Nizza war genial, doch Sam<br />
fand den Turini etwas zu lang im<br />
Stil von Tirreno–Adriatico und nicht<br />
knackig à la Rennen zur Sonne.<br />
Sophie Hurcom<br />
<strong>Procycling</strong>-Autorin<br />
Bob Jungels wollte die Kopfstein-<br />
Klassiker also fahren, um<br />
Erfahrungen zu sammeln?<br />
Unerfahren wirkte er dabei nie …<br />
Sadhbh O’Shea<br />
<strong>Procycling</strong>-Autorin<br />
Von ihrem Team als Power-Paar<br />
bezeichnet, scheinen Kristoff und<br />
Gaviria wirklich zu einem furcht -<br />
erregenden Gespann zu werden.<br />
Dieses Wissen mag den besseren Sprintern<br />
mehr auf der Seele gelegen haben<br />
als Alaphilippe. Alles lief, wie es sich der<br />
Franzose wohl gewünscht hätte: Auf den<br />
letzten 500 Metern hatte sich die Gruppe<br />
aufgefächert und war ein bisschen langsamer<br />
geworden, wobei Sagan vorne im<br />
Wind war. Matej Mohoric, eher ein Diesel<br />
als ein endschneller Fahrer, beschleunigte<br />
links, und Alaphilippe nahm dankbar sein<br />
Hinterrad, gefolgt von Oliver Naesen, Kwiatkowski<br />
und Sagan. Dass diese vier in<br />
der Reihenfolge über die Linie fuhren,<br />
war Zeugnis von Alaphilippes Stärke und<br />
Rennübersicht; auch von der Effektivität<br />
von Mohorics Sprinteröffnung, selbst<br />
wenn es für den Slowenen selbst eine taktische<br />
Sackgasse war.<br />
Im dritten Jahr in Folge wurde San<br />
Remo von einem Ausreißer gewonnen,<br />
und die Auflage von 2019 zeigte mehr<br />
denn je, welche winzigen Dinge über Sieg<br />
und Niederlage entscheiden und warum<br />
der Erfolg hier ebenso von taktischem Geschick<br />
und Energiemanagement abhängt<br />
wie von den physischen Fähigkeiten, sei es<br />
Klettern oder Sprintern.<br />
Vor dem Finale passierte lange Zeit<br />
nichts: eine frühe Ausreißergruppe, die<br />
Naesen wurde Zweiter in<br />
San Remo – sein bislang bestes<br />
Ergebnis bei einem Monument.<br />
lange vorne war, wie immer, aber praktisch<br />
keine Bewegung im Peloton an den<br />
capi an der Küste und der Cipressa. Niccolò<br />
Bonifazio startete in der Abfahrt von<br />
der Cipressa einen telegenen Angriff, fuhr<br />
aber nicht mehr als 20 Sekunden heraus.<br />
Doch es war ein ungewöhnlich schnelles<br />
Rennen, und während es die ersten sechseinhalb<br />
Stunden der Übertragung nicht<br />
besonders interessant machte außer dem<br />
unbeabsichtigten Waldbrand, den übereifrige<br />
Fans mit Leuchtsignalen an der Capo<br />
Berta ausgelöst hatten, zermürbte es das<br />
Peloton. So sehr, dass, als Alaphilippe<br />
schließlich am Poggio für ein Feuerwerk<br />
sorgte, als noch weniger als zehn Minuten<br />
zu fahren waren und sich die stärksten<br />
Fahrer absetzten – eine Gruppe von sieben,<br />
die im Tal auf 13 anwuchs –, niemand<br />
mehr da war, der die Verfolgung<br />
hätte aufnehmen können. Das führende<br />
Septett waren Alaphilippe, Naesen, Kwiatkowski,<br />
Sagan, Wout Van Aert, Valverde<br />
und Trentin. Sie bekamen Gesellschaft<br />
von Tom Dumoulin, Vincenzo Nibali, Mohoric,<br />
Matthews, Daniel Oss und Simon<br />
Clarke. 13 Fahrer, vor allem aber zehn<br />
Teams. Von den Equipes in der nächsten<br />
Gruppe, die so gefährliche Sprinter wie<br />
Alexander Kristoff, Fernando Gaviria und<br />
Magnus Cort umfasste, hatten wenige, die<br />
ganz vorne nicht vertreten waren, noch<br />
genug Manpower. Die Gruppe war mit 44<br />
Fahrern größer, aber in der Spitzengruppe<br />
arbeiteten mehr Fahrer mit als im restlichen<br />
Peloton.<br />
Und dann lief es auf ein Spiel des<br />
Bluffens und die Umstände hinaus. Naesen<br />
griff in der Abfahrt vom Poggio an,<br />
wurde jedoch abgefangen. Trentins Angriff<br />
in San Remo war eine Art von Attacke,<br />
die als couragiert gefeiert worden<br />
wäre, hätte sie Erfolg gehabt. Sie wirkte<br />
waghalsig, als Van Aert ihn abfing und<br />
Trentin um seine Chancen brachte, aber<br />
auch sich um seine eigenen. Mohoric attackierte<br />
unter dem Ein-Kilometer-Banner,<br />
und dieses Mal nahm Alaphilippe die<br />
Verfolgung auf. Er hing am Hinterrad des<br />
Slowenen, sprang an das von Sagan und<br />
dann zurück zu Mohoric, als er seinen<br />
letzten Vorstoß unternahm. Alaphilippe<br />
hatte seinen ersten Sieg bei einem Monument,<br />
aber sicher nicht den letzten.<br />
DAS ITALIENISCHE<br />
FRÜHJAHRS-DOUBLE<br />
Julian Alaphilippe war der dritte Mailand–San-Remo-<br />
Sieger, der im selben Jahr bereits die Strade Bianche<br />
gewonnen hatte. Er gesellte sich zu Fabian Cancellara,<br />
der die zweite Austragung der Strade Bianche 2008<br />
gewann, und Michał Kwiatkowski, der das italienische<br />
Frühjahrs-Double 2017 perfekt machte. Diese beiden<br />
Rennen mögen sehr verschieden sein in ihrem Terrain,<br />
aber sie sind Teil eines zusammenhängenden Blocks<br />
von Rennen, die den Wettbewerb auf Schotterstraßen<br />
zu einer guten Vorbereitung auf die „Primavera“<br />
machen. Zwischen den Rennen liegen zwei Wochen, in<br />
die Tirreno–Adriatico fällt. Alaphilippe, Cancellara und<br />
Kwiatkowski sind auch nicht die einzigen Fahrer, die<br />
beide Eintagesrennen angepeilt haben; Philippe Gilbert<br />
gewann die Strade Bianche 2011 und wurde dann<br />
Dritter bei San Remo.<br />
Alaphilippes Strade-Bianche-Sieg beruhte auf der<br />
überlegenen Stärke in der Tiefe seines Deceuninck-<br />
Teams. Als die letzte Selektion 14 Fahrer nach vorne<br />
spülte, waren drei aus der belgischen Mannschaft<br />
dabei: Alaphilippe, Yves Lampaert und Štybar.<br />
Lampaert hielt den Laden zusammen, und als Jakob<br />
Fuglsang attackierte und Alaphilippe mitzog, war<br />
dem Franzosen der Sieg praktisch sicher. Mit seinem<br />
überlegenen Bergaufsprint servierte er den Dänen in<br />
Siena ab, bevor er zwei Wochen später einen noch<br />
größeren Sieg feierte.<br />
STRADE BIANCHE<br />
NACH SAN REMO<br />
JAHR SIEGER STRADE BIANCHE PLATZ SAN REMO<br />
2008 Fabian Cancellara 1.<br />
2009 Thomas Löfkvist 107.<br />
2010 Maxim Iglinskiy 8.<br />
2011 Philippe Gilbert 3.<br />
2012 Fabian Cancellara 2.<br />
2013 Moreno Moser 45.<br />
2014 Michał Kwiatkowski DNF<br />
2015 Zdeněk Štybar 56.<br />
2016 Fabian Cancellara 31.<br />
2017 Michał Kwiatkowski 1.<br />
2018 Tiesj Benoot DNS<br />
2019 Julian Alaphilippe 1.<br />
© Kramon<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 79
NACHLESE<br />
GENT–WEVELGEM / 31.03.2019<br />
KRISTOFF ZU SCHNELL<br />
FÜR EIN ZERMÜRBTES<br />
PELOTON<br />
© Kramon, Gruber Images (groß)<br />
Die gute Nachricht für den Rest des<br />
Fahrerfelds ist, dass bei Gent–<br />
Wevelgem endlich eine Möglichkeit<br />
gefunden wurde, den Würgegriff von<br />
Deceuninck–Quick-Step um die belgischen<br />
Eintagesrennen zu lockern. Die<br />
schlechte Nachricht ist, dass die verwendete<br />
Methode war, das gesamte Rennen<br />
viel härter als sonst zu fahren.<br />
Plan A des belgischen Teams lautete,<br />
das Rennen zu kontrollieren, damit es zu<br />
einem Sprint kommen und ihr Vorjahres-<br />
Zweiter Elia Viviani punkten würde. Doch<br />
der Italiener war im Finale des Rennens<br />
zermürbt und nicht fähig, seine normalerweise<br />
atemberaubende Endgeschwindigkeit<br />
auch nur annähernd zu erreichen.<br />
Nutznießer war Alexander Kristoff, der<br />
nicht der schnellste Massensprinter der<br />
Welt ist, aber bei langen und schweren<br />
Rennen in seinem Element ist. Ex-Sprinter<br />
Robbie McEwen bemerkte, dass Kristoffs<br />
Teamkollege Fernando Gaviria im Sprint<br />
einen sehr guten Job als „Ausputzer“ des<br />
Norwegers gemacht hatte – sich an sein<br />
ERGEBNIS<br />
Hinterrad gehängt hatte, um zu verhindern,<br />
dass irgendjemand von seinem<br />
Windschatten profitieren konnte. Aber<br />
Kristoffs Beschleunigung und Spitzengeschwindigkeit<br />
war der aller anderen so<br />
überlegen, dass ohnehin niemand an ihm<br />
vorbeigekommen wäre.<br />
Velon, das Kollektiv einiger World-<br />
Tour-Teams, veröffentlichte die Wattzahlen<br />
des Siegers Kristoff, aus denen hervorging,<br />
dass der Norweger fünfeinhalb<br />
Stunden lang im Schnitt 345 Watt getreten<br />
hatte. Das entspricht der Leistung,<br />
die es erfordert, um bei einer schweren<br />
Ausgabe der Flandern-Rundfahrt konkurrenzfähig<br />
zu sein. George Hincapie veröffentlichte<br />
seine normalisierte Wattzahl<br />
für die Austragung der Ronde 2011, die<br />
339 Watt betrug. (Kristoff verbrannte in<br />
der Zeit auch 7.350 Kalorien, was 16 Portionen<br />
belgischen Pommes und 16 belgischen<br />
Bier entspricht – plus ein Energie-Gel.)<br />
Doch bevor Kristoff gewinnen konnte,<br />
mussten er und der Rest des Pelotons dafür<br />
sorgen, dass Deceuninck verlor. Ausnahmsweise<br />
einmal geriet das belgische<br />
Team früh ins Hintertreffen – Seitenwind<br />
zerlegte das Peloton, als noch 200 Kilometer<br />
zu fahren waren, und während einige<br />
Teams wie Jumbo-Visma und Trek-<br />
Segafredo viele Fahrer in die 20-köpfige<br />
Gruppe bekamen, die sich absetzte, war<br />
Deceuninck nur mit Tim Declercq vertreten.<br />
Das belgische Team hat viele starke<br />
Fahrer und Declercq ist ein zuverlässiges<br />
Arbeitspferd, aber es war klar, dass er aus<br />
einer Gruppe heraus, in der sich Peter Sagan,<br />
John Degenkolb, Wout Van Aert,<br />
Matteo Trentin und Niki Terpstra befanden,<br />
niemals würde gewinnen können.<br />
FAHRER TEAM ZEIT<br />
1 Alexander Kristoff UAE Team Emirates 5:26:08<br />
2 John Degenkolb Trek-Segafredo 0:00<br />
3 Oliver Naesen AG2R La Mondiale 0:00<br />
4 Mathieu Van Der Poel Corendon-Circus 0:00<br />
5 Danny Van Poppel Jumbo–Visma 0:00<br />
Ausgepumpt<br />
liegt Degenkolb am<br />
Boden, nachdem er<br />
Zweiter hinter Kristoff<br />
geworden ist.<br />
74<br />
Siege in<br />
Kristoffs<br />
Karriere<br />
Die Aufholjagd unter Führung von Lotto-<br />
Soudal und CCC dauerte fast den Rest<br />
des Rennens. Einige wenige Überlebende,<br />
darunter Trentin und Sagan, waren bei<br />
der letzten Passage des Kemmelbergs<br />
noch vorn; einige wenige fleißige andere<br />
wie Luke Rowe und Kristoff schafften den<br />
Anschluss. Als auf den letzten 20 Kilometern<br />
alles zusammenlief, war das Peloton<br />
auf 35 Fahrer geschrumpft, wovon die<br />
meisten erledigt waren, nachdem sie entweder<br />
den ganzen Tag in der Ausreißergruppe<br />
verbracht oder den ganzen Tag<br />
Nachführarbeit geleistet hatten.<br />
Deceunincks Plan A stand, gerade so<br />
eben. Trek begann sich zu formieren. Mit<br />
Degenkolb, Jasper Stuyven und Mads Pedersen<br />
hatten sie wohl die besten Op tionen<br />
für das Finale: einen Sprinter (Degenkolb),<br />
einen Klassiker-Spezialisten (Pe dersen)<br />
und einen Fahrer, der beides konnte (Stuy-<br />
80 PROCYCLING | MAI 2019
NACHLESE<br />
E3 BINCKBANK CLASSIC / 29.03.2019<br />
VERBESSERUNGEN<br />
IN DER TONART<br />
VON E3<br />
ven), wobei Pedersen im Finale<br />
besonders ag gressiv war.<br />
Während Trek sich behauptete,<br />
war De ceuninck<br />
defensiv; aber Vi viani<br />
muss gewusst haben, dass<br />
seine Chancen im Sprint<br />
nach einem so harten<br />
Rennen nicht glänzend<br />
waren.<br />
Treks Leistung<br />
wurde belohnt<br />
mit Degenkolbs<br />
zweitem Platz<br />
hinter Kristoff,<br />
aber letztlich konnte<br />
die ganze Teamarbeit<br />
nichts ausrichten<br />
gegen den<br />
brachialen Endspurt<br />
des Norwegers.<br />
Im Seitenwind<br />
riss das Rennen<br />
auseinander, was<br />
für ein brutales<br />
Tempo sorgte.<br />
Niemand beim E3<br />
BinckBank Classic<br />
kann behaupten, er<br />
sei nicht gewarnt worden.<br />
Indem es das Rennen in<br />
Flandern gewann, bot das<br />
Team Deceuninck–Quick-<br />
Step der Radsportwelt ein<br />
Potpourri ihrer bisher größten<br />
belgischen Frühjahrshits.<br />
Der Sieg war eine Kombination<br />
aus dem Fahrer und<br />
der Taktik, mit der sie Kuurne–Brüssel–Kuurne<br />
gewonnen<br />
hatten, und dem Fahrer<br />
und der Taktik, mit der sie Omloop Het<br />
Nieuwsblad gewonnen hatten.<br />
Bob Jungels, der bei Kuurne als Solist<br />
gesiegt hatte, unternahm beim E3 wieder<br />
eine lange Alleinfahrt vor dem Peloton.<br />
Er attackierte 60 Kilometer vor der Linie,<br />
schloss sich den Überbleibseln der Ausreißergruppe<br />
an, die sich darauf neu sortierte,<br />
bevor er 40 Kilometer vor der Linie<br />
wieder alleine losstiefelte. So weit, so gut.<br />
Aber dieses Mal gaben seine Rivalen nicht<br />
auf, und eine erlesene Gruppe, die sich am<br />
Oude Kwaremont abgesetzt hatte und<br />
Greg Van Avermaet, Wout Van Aert, Peter<br />
Sagan, Alberto Bettiol, Matteo Trentin,<br />
Jens Keukeleire und Oliver Naesen umfasste,<br />
nahm die Verfolgung auf. Es<br />
herrschte große Harmonie in der Gruppe,<br />
weil alle dasselbe Interesse hatten, Jungels<br />
abzufangen; einziger Missklang war die<br />
Anwesenheit von Jungels’ Teamkollegen<br />
Zdenek Štybar.<br />
Hier wechselte Deceuninck die Tonart<br />
und verlegte sich auf die Taktik des Omloop.<br />
Die Gruppe verringerte das Defizit und<br />
ERGEBNIS<br />
holte den Luxemburger schließlich sieben<br />
Kilometer vor der Linie ein; zu diesem<br />
Zeitpunkt waren Bettiol, Van Avermaet,<br />
Van Aert und Štybar übrig. Jungels hatte<br />
viel Pulver verschossen, doch die Nachführarbeit<br />
hatte auch die drei Nicht-<br />
Deceu ninck-Fahrer zermürbt.<br />
Auf dem Papier hätte sich Štybar normalerweise<br />
Sorgen um Van Avermaet<br />
machen müssen, aber er hatte viel frischere<br />
Beine im Finale, was jegliche Ungleichheit<br />
in ihrer Sprintgeschwindigkeit mehr<br />
als ausglich. Das hielt Štybar und Jungels<br />
nicht davon ab, zu versuchen, auf dem<br />
letzten Kilometer anzugreifen, aber es<br />
lief auf einen Sprint hinaus, den der<br />
Tscheche sehr einfach aussehen ließ.<br />
Der Kuurne-Sieger hatte den Boden bereitet,<br />
damit der Omloop-Sieger das E3<br />
BinckBank Classic gewann.<br />
Štybar holt seinen zweiten Frühjahrssieg<br />
für Deceuninck beim E3.<br />
FAHRER TEAM ZEIT<br />
1 Zdeněk Štybar Deceuninck–Quick-Step 4:46:05<br />
2 Wout Van Aert Jumbo–Visma 0:00<br />
3 Greg Van Avermaet CCC Team 0:00<br />
4 Alberto Bettiol EF Education First 0:00<br />
5 Bob Jungels Deceuninck–Quick-Step + 0:03<br />
© Getty Images<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 81
NACHLESE<br />
Astana<br />
Deceuninck–Quick-Step<br />
Mitchelton-Scott<br />
Bora–hansgrohe<br />
UAE Emirates<br />
Jumbo–Visma<br />
21<br />
20<br />
16<br />
11<br />
11<br />
9<br />
SIEGE<br />
PRO<br />
TEAM<br />
Direct Energie .................................. 7<br />
EF Education First ..............................6<br />
Lotto Soudal ...................................6<br />
Movistar .......................................6<br />
Team Sky. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
SIEGE<br />
PRO LAND<br />
22<br />
ITALIEN<br />
16<br />
KOLUMBIEN<br />
22<br />
FRANKREICH<br />
10<br />
SPANIEN<br />
Groupama-FDJ ................................. 5<br />
Cofidis .........................................4<br />
Team Sunweb .................................. 3<br />
Trek-Segafredo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Team CCC ...................................... 3<br />
5<br />
ALEXEY<br />
LUTSENKO<br />
ASTANA<br />
SIEGE<br />
PRO FAHRER<br />
7<br />
JULIAN<br />
ALAPHILIPPE<br />
DECEUNINCK–<br />
QUICK-STEP<br />
5<br />
DYLAN<br />
GROENEWEGEN<br />
JUMBO–VISMA<br />
Elia Viviani Deceuninck–Quick-Step 4<br />
Niccolò Bonifazio Direct Energie 4<br />
Daryl Impey Mitchelton-Scott 4<br />
Sam Bennett Bora–hansgrohe 4<br />
Miguel Á. López Astana 3<br />
Fernando Gaviria UAE Emirates 3<br />
Primož Roglič Jumbo–Visma 3<br />
Matteo Trentin Mitchelton-Scott 3<br />
Tim Wellens Lotto Soudal 3<br />
Christophe Laporte Cofidis 3<br />
Merhawi Kudus Astana 3<br />
Zdeněk Štybar Deceuninck–Quick-Step 3<br />
© Getty Images (Lutsenko), BettiniPhoto (Alaphilippe), Yuzuru Sunada (Groenewegen); Stand: 13. 04.2019<br />
PARIS–NIZZA / 10.–17.03.2019<br />
SKY GEWINNT<br />
SECHSTES PARIS–<br />
NIZZA<br />
Sky hat mit Egan Bernal sein sechstes Paris–<br />
Nizza der letzten acht Jahre gewonnen.<br />
Der Kolumbianer war der fünfte Fahrer des<br />
britischen Teams, der das Rennen seit 2012 gewann.<br />
Der Sieg war der größte in der bisherigen<br />
Karriere des 22-Jährigen, der jüngster Sieger des<br />
Rennens seit Stephen Roche 1981 wurde. Der<br />
Erfolg unterstrich auch Bernals Potenzial als Allrounder.<br />
Er und sein Sky-Team nutzten den Seitenwind<br />
auf den ersten Etappen, um einige seiner<br />
Rivalen früh zu distanzieren. Ein starkes Zeitfahren<br />
und eine gute Vorstellung bei der Bergankunft<br />
am Col de Turini brachten ihm das Leadertrikot;<br />
auch einen Angriff von Nairo Quintana in Nizza<br />
am letzten Tag wehrte Bernal ab.<br />
FAHRER<br />
TEAM<br />
1 Egan Bernal Team Sky<br />
2 Nairo Quintana Movistar<br />
3 Michał Kwiatkowski Team Sky<br />
TIRRENO–ADRIATICO / 13.–19.03.2019<br />
EINE SEKUNDE<br />
FÜR ROGLIČ<br />
Primož Roglic ging als einer der beständigsten<br />
Rundfahrer des Pelotons in die Saison<br />
2019 und gewann mit Tirreno–Adriatico<br />
seine zweite Gesamtwertung bei zwei Starts.<br />
Aber anders als bei der UAE Tour, wo Roglic vom<br />
ersten Tag an führte, musste er bis zur siebten<br />
und letzten Etappe warten, bis er das Spitzenreitertrikot<br />
gewann – und das mit dem denkbar<br />
knappsten Vorsprung. Obwohl er im Mannschaftszeitfahren<br />
zum Auftakt Zeit auf Adam<br />
Yates verlor und in den Anstiegen der 4. Etappe<br />
distanziert wurde, spielte Roglic seine Überlegenheit<br />
gegen die Uhr auf der 7. Etappe in San<br />
Benedetto del Tronto aus und schlug den Briten<br />
um eine Sekunde.<br />
FAHRER<br />
TEAM<br />
1 Primož Roglič Jumbo–Visma<br />
2 Adam Yates Mitchelton-Scott<br />
3 Jakob Fuglsang Astana<br />
RONDE VAN DRENTHE / 17.03.2019<br />
BASTIANELLIS<br />
STARKER START<br />
GEHT WEITER<br />
Das Team zu wechseln und zu Virtu Cycling<br />
zu gehen, ist eine Veränderung, die<br />
sich auszuzahlen scheint für Marta Bastianelli,<br />
die sich bei der Ronde van Drenthe ihren<br />
zweiten Saisonsieg gesichert hat. Er gehörte in<br />
eine Reihe von beständigen Resultaten der Italienerin,<br />
die sich in dieser Saison immer in den Top<br />
Ten platzieren konnte. Mit 165,7 Kilometern ist<br />
die Ronde van Drenthe zum längsten Rennen<br />
auf dem Kalender der Women’s WorldTour geworden.<br />
Die Europameisterin folgte einem Angriff<br />
von Ellen van Dijk auf den letzten neun Kilometern,<br />
bevor sie das holländische Duo van Dijk<br />
und Chantal Blaak im Sprint schlug.<br />
FAHRERIN<br />
TEAM<br />
1 Marta Bastianelli Team Virtu Cycling<br />
2 Chantal Blaak Boels-Dolmans<br />
3 Ellen van Dijk Trek-Segafredo<br />
82 PROCYCLING | MAI 2019
NACHLESE<br />
SIEGE<br />
PRO<br />
TEAM –<br />
FRAUEN<br />
Mitchelton-Scott<br />
Trek-Segafredo<br />
WNT-Rotor Pro Cycling<br />
Team Virtu Cycling<br />
Boels-Dolmans<br />
8<br />
AUSTRALIEN<br />
SIEGE PRO<br />
FAHRERIN<br />
Kirsten Wild WNT Pro Cycling 2<br />
Clara Koppenburg WNT-Rotor 2<br />
Marta Bastianelli Team Virtu Cycling 2<br />
Chloe Hosking Alé Cipollini 2<br />
Lotta Lepistö Trek-Segafredo 2<br />
SIEGE PRO LAND – FRAUEN<br />
TROFEO ALFREDO BINDA / 24.03.2019<br />
GESCHICHTS-<br />
SCHREIBERIN VOS<br />
STELLT REKORD EIN<br />
Mitte März stellte Marianne Vos Maria<br />
Canins’ Rekord von vier Siegen bei der<br />
Trofeo Alfredo Binda ein. Zuletzt hatte<br />
Vos den italienischen Klassiker in ihrem Zenit<br />
in der Saison 2012 gewonnen, doch obwohl sieben<br />
Jahre vergangen sind, erinnerte die Art ihres<br />
Sieges an einige ihrer besten Vorstellungen aller<br />
Zeiten. Nachdem sie es im Schlussanstieg des Tages<br />
mit ihrer Teamkollegin Ashleigh Moolman in<br />
die entscheidende Gruppe geschafft hatte, lieferte<br />
Vos den Sprint ab, der sie in der Vergangenheit zu<br />
zahllosen Siegen befördert hatte. Sie katapultierte<br />
sich auf der Zielgeraden vom sechsten auf den ersten<br />
Platz und hatte noch genug Zeit, um sich aufzurichten<br />
und zu jubeln.<br />
FAHRERIN<br />
2<br />
TEAM<br />
1 Marianne Vos CCC Liv<br />
2 Amanda Spratt Mitchelton-Scott<br />
3 Cecilie Uttrup Ludwig Bigla Pro Cycling<br />
2<br />
7<br />
8<br />
4<br />
NIEDERLANDE<br />
5<br />
2 2 2<br />
LUCY<br />
KENNEDY<br />
MITCHELTON-<br />
SCOTT<br />
3<br />
ITALIEN<br />
2<br />
DEUTSCHLAND<br />
KATALONIEN-RUNDFAHRT / 25.–31.03.2019<br />
LÓPEZ FÜHRT DIE<br />
NÄCHSTE RUNDFAHRER-<br />
GENERATION AN<br />
Miguel Ángel López hat die Serie von<br />
As tana fortgesetzt und bei der Volta a<br />
Catalunya für den 21. Sieg des Teams<br />
in diesem Jahr sowie seinen zweiten Gesamtsieg<br />
2019 gesorgt. In einem Kampf der Rundfahrer-<br />
Asse der nächsten Generation wehrte der 25 Jahre<br />
alte Kolumbianer einen Angriff der Yates-Brüder<br />
und Egan Bernal ab, um nach seinem Sieg<br />
beim Colombia 2.1 noch einen draufzusetzen.<br />
López fuhr bei der Bergankunft der 4. Etappe in<br />
La Molina ins Spitzenreitertrikot, aber obwohl die<br />
Mitchelton-Scott-Zwillinge am letzten Tag in die<br />
Offensive gingen, konnten sie Adams 14-Sekunden-Vorsprung<br />
nicht mehr wettmachen.<br />
FAHRER<br />
AMANDA<br />
SPRATT<br />
MITCHELTON-<br />
SCOTT<br />
TEAM<br />
1 Miguel Á. López Astana<br />
2 Adam Yates Mitchelton-Scott<br />
3 Egan Bernal Team Sky<br />
GRACE<br />
BROWN<br />
MITCHELTON-<br />
SCOTT<br />
WORLDTOUR-<br />
RANGLISTE<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
JULIAN ALAPHILIPPE<br />
Punkte: 3.665,95<br />
Deceuninck–Quick-Step, 26<br />
920 Punkte für San Remo,<br />
Strade Bianche und<br />
Etappensiege bei Tirreno<br />
ALEJANDRO VALVERDE<br />
Punkte: 3.482<br />
Movistar, Alter: 38<br />
Top-Ten-Plätze in San Remo<br />
und Katalonien zahlen sich<br />
aus für Valverde<br />
TOM DUMOULIN<br />
Punkte: 3.145,43<br />
Sunweb, Alter: 28<br />
275 Punkte als Vierter<br />
in Tirreno, 70 Zähler für<br />
Platz 11 in San Remo<br />
THIBAUT PINOT<br />
Punkte: 2.712<br />
Groupama-FDJ, Alter: 28<br />
5. bei Tirreno, 11. in Katalo nien<br />
bringen Pinot nach vorne<br />
PRIMOŽ ROGLIČ<br />
Punkte: 2.665,28<br />
Jumbo–Visma, Alter: 29<br />
Tirreno-Sieg bringt Roglič<br />
500 Punkte und eine solide<br />
Platzierung<br />
MICHAEL MATTHEWS<br />
Punkte: 2.611,86<br />
Team Sunweb, Alter: 28<br />
Zwei Tagessiege in Katalonien<br />
und Platz 6 in Flandern<br />
bringen ihn nach vorne<br />
ELIA VIVIANI<br />
Punkte: 2.574<br />
Deceuninck–Quick-Step, 30<br />
Dritter bei De Panne und ein<br />
Sieg bei Tirreno lassen das<br />
Punktekonto steigen<br />
GREG VAN AVERMAET<br />
Punkte: 2.570,9<br />
CCC Team, Alter: 33<br />
Top-Ten-Plätze bei den Klas -<br />
sikern bringen dem Belgier<br />
Punkte, trotzdem fällt er<br />
SIMON YATES<br />
Punkte: 2.537<br />
Mitchelton-Scott, Alter: 26<br />
Fällt in den Top Ten, doch<br />
für den Zeitfahrsieg bei<br />
Paris–Nizza gibt es Punkte<br />
MIGUEL ÁNGEL LÓPEZ<br />
Punkte: 2.522<br />
Astana, Alter: 25<br />
Fette 474 Punkte für den<br />
Gesamt- und einen Tagessieg<br />
in Katalonien<br />
11 Oliver Naesen AG2R La Mondiale 2.404<br />
12 Romain Bardet AG2R La Mondiale 2.373<br />
13 Tim Wellens Lotto Soudal 2.331<br />
14 Geraint Thomas Team Sky 2.285,82<br />
15 Alexander Kristoff UAE Emirates 2.246<br />
© Velofocus (Fahrerinnen), BettiniPhoto (Valverde), Yuzuru Sunada (Yates, Sagan, Viviani, López), Kramon (Avermaet), Getty Images (Dumoulin, Roglic, Pinot, Matthews); Stand: 13.04.2019<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 83
NACHLESE<br />
Fahrer im Fokus<br />
TOM DUMOULIN<br />
WAS WIR<br />
DIESEN MONAT<br />
GELERNT HABEN<br />
Deceuninck ist<br />
nicht unschlagbar<br />
© Getty Images<br />
Tom Dumoulin ist gut unterwegs. Er hat<br />
den Giro d’Italia 2017 gewonnen und war<br />
Zweiter des Giro und der Tour im letzten<br />
Jahr. Er ist wohl der größte Favorit für den diesjährigen<br />
Giro in einem gut besetzten Feld, und er<br />
hat verlauten lassen, dass er anschließend die<br />
Tour de France bestreiten will. Mit einem Regenbogentrikot<br />
im Zeitfahren liegt er voll auf Kurs<br />
und könnte seine Karriere sogar mit einem Gelben<br />
Trikot krönen.<br />
Doch Dumoulin ist mehr als ein starker Zeitfahrer,<br />
der in den Bergen mit den Besten mithalten<br />
kann. Er ist ein Rundfahrer und hat 20 seiner<br />
letzten 25 Etappenrennen in den Top Ten beendet.<br />
Aber er entwickelt auch Ambitionen bei Eintagesrennen.<br />
Er war Elfter bei Mailand–San Remo<br />
in diesem Frühjahr und Vierter des WM-Straßenrennens<br />
Ende 2018. Beide Male erreichte er das<br />
Finale in derselben Gruppe wie der Sieger.<br />
Dumoulin hat einiges zu tun, wenn er ein<br />
Eintagesrennen gewinnen will. Bei Mailand–<br />
San Remo und der Weltmeisterschaft musste er<br />
aus dem Peloton zur Spitzengruppe aufschließen.<br />
Die gute Nachricht ist, dass er am Ende extrem<br />
langer Rennen zu Weltklasseleistungen fähig ist;<br />
die schlechte ist: Wäre sein Timing besser gewesen<br />
oder wäre er aktiver gewesen, hätte er den<br />
Ausreißern sofort folgen oder den Angriff selbst<br />
anzetteln und sich damit in eine bessere Lage<br />
bringen können.<br />
Diese Rennen haben uns daran erinnert, dass<br />
er kein Sprinter ist. Nichtsprinter können Ein-<br />
tagesrennen gewinnen – sie müssen nur dafür<br />
sorgen, dass sie das Finale in einer einköpfigen<br />
Gruppe erreichen. Dumoulin ist fähig, am Ende<br />
eines Monuments – besonders eines hügeligen<br />
– oder eines langen Klassikers eine höhere Geschwindigkeit<br />
aufrechtzuerhalten als fast jeder<br />
andere. Er wird sich wahrscheinlich in den nächsten<br />
Jahren auf sein Hauptziel, die großen Rundfahrten,<br />
konzentrieren, aber seien Sie nicht überrascht,<br />
wenn er gelegentlich mit einem Resultat<br />
bei einem Eintagesrennen auftaucht.<br />
DUMOULINS<br />
EIN TAGES-TOP-15<br />
Mailand–San Remo 2019 11.<br />
Straßenweltmeisterschaft 2018 4.<br />
Lüttich–Bastogne–Lüttich 2018 15.<br />
Clásica San Sebastián 2017 4.<br />
Strade Bianche 2017 5.<br />
Straßenweltmeisterschaft 2015 11.<br />
GP de Montréal 2014 6.<br />
GP de Québec 2014 2.<br />
Strade Bianche 2014 12.<br />
GP de Wallonie 2013 6.<br />
Rund um Köln 2012 5.<br />
Deceuninck startete genau so in die Saison<br />
2019, wie das Team das ganze 2018 verbracht<br />
hatte: mit dem Gewinn von Eintagesrennen.<br />
Es hielt sich dran: Omloop, Kuurne,<br />
Samyn, Strade Bianche, San Remo, E3 …<br />
Aber es gab Risse in der Rüstung. De Panne,<br />
Gent–Wevelgem und Dwars door Vlaanderen entglitten<br />
der Mannschaft, und Zdenek Štybar war<br />
sich beim E3 seines Sprints nicht sicher genug,<br />
um nicht zuerst zu versuchen, die Spitzengruppe<br />
anzugreifen (er hätte sich keine Sorgen machen<br />
müssen – die Körner, die seine Rivalen bei der<br />
Verfolgung des Solo-Angriffs durch Deceuninck-<br />
Fahrer Bob Jungels verschossen hatten, hatten sie<br />
genügend geschwächt, damit sein Sprintsieg eine<br />
Formalität war).<br />
Die Rivalen von Deceuninck wird ermutigt<br />
haben, dass Elia Viviani bei De Panne und Gent–<br />
Wevelgem den Sprint verlor. Dylan Groenewegen<br />
war bei De Panne einfach schneller, während Viviani<br />
bei Gent–Wevelgem nach einem schnellen,<br />
aggressiven Rennen, das ständig eine neue Form<br />
annahm, im Finale ebenfalls ausgepowert war.<br />
Der Italiener mag in einem kürzeren, flacheren<br />
Rennen sehr schnell sein, doch in einer verzweifelt<br />
erschöpften Gruppe am Ende eines windigen<br />
Kopfsteinpflaster-Klassikers konnte er der Härte<br />
eines Alexander Kristoffs nichts entgegensetzen.<br />
Beim Dwars door Vlaanderen wurde der Fahrer,<br />
der in diesem Jahr einer von Deceunincks stärksten<br />
Kopfsteinpflaster-Fahrern war, Bob Jungels,<br />
im Sprint einer Fünfergruppe geschlagen.<br />
Die wirkungsvollsten Waffen von Deceuninck<br />
sind – in dieser Reihenfolge – Julian Alaphilippe<br />
und Stärke in der Tiefe. Alaphilippe hat bei Mailand–San<br />
Remo gezeigt, dass er in den kommenden<br />
Jahren eine Klassiker-Macht sein wird. Aber<br />
außer ihm sind ihre jetzigen Fahrer schlagbar,<br />
selbst wenn sie zusammen eine formidable Einheit<br />
bilden. Ihre Rivalen finden gerade heraus, wie<br />
man das ausnutzen kann.<br />
84 PROCYCLING | MAI 2019
NACHLESE<br />
TAKTIK-TIPPS: MOVISTARS PLAN<br />
BEI PARIS–NIZZA GEHT NICHT AUF<br />
Vor der letzten Etappe von Paris–<br />
Nizza war Nairo Quintana Gesamt-Dritter<br />
mit 46 Sekunden<br />
Rückstand auf seinen Landsmann Egan<br />
Bernal (Sky). Die Route des Tages in den<br />
Hügeln bei Nizza war nicht ganz das<br />
Hochgebirgsterrain, in dem Quintana am<br />
meisten zu Hause ist, aber es gab genug,<br />
womit er arbeiten konnte, um zu versuchen,<br />
den Spitzenreiter zu entthronen.<br />
Quintana und sein Movistar-Team<br />
machten alles richtig. Sie schickten Hector<br />
Carretero, Winner Anacona und Titelverteidiger<br />
Marc Soler in eine große Gruppe,<br />
die sich früh absetzte. Dann griff<br />
Quintana an der Côte de Peille 50 Kilometer<br />
vor dem Ziel aus dem Feld heraus<br />
an. Carretero ließ sich aus der Ausreißergruppe<br />
zurückfallen, um sich vor Quintana<br />
zu spannen, und dann legte das Movistar-Quartett<br />
vorne ein<br />
Mannschaftszeitfahren hin. Carretero<br />
und Anacona hielten nicht lange durch,<br />
aber Soler fuhr eine gewaltige Ablösung,<br />
um Quintana ins virtuelle Spitzenreitertrikot<br />
zu befördern. Aber Sky hatte ein so<br />
starkes Klettererteam, dass sogar, als sie<br />
den Col d’Èze 30 Kilometer vor dem Ziel<br />
Movistar gab<br />
alles, um Bernal<br />
und Sky am letzten<br />
Tag von Paris–<br />
Nizza unter Druck<br />
zu setzen.<br />
erreichten, noch fünf Sky-Fahrer als Leutnants<br />
von Bernal das Peloton anführten.<br />
Als Soler einbrach, war Quintana alleine<br />
an der Spitze einer zehnköpfigen Gruppe.<br />
Wenn er irgendwelche Verbündeten gehabt<br />
hätte, hätte er vielleicht eine Chance<br />
gehabt, aber die anderen Fahrer waren<br />
entweder nicht in der Lage oder nicht willens,<br />
ihm zu helfen, und die meisten hatten<br />
mehr Interesse am Etappensieg.<br />
Quintana rettete sich vor Bernal ins Ziel<br />
in Nizza, hatte aber nur eine Handvoll Sekunden<br />
gewonnen. Sein couragierter Versuch,<br />
Sky zu schlagen, war gescheitert.<br />
© Getty Images<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 85
NACHLESE<br />
DIE BESTEN<br />
RUNDFAHRER<br />
GRAND-TOUR-TOP-TEN<br />
Ein Rekord ist für Alejandro Valverde zum Greifen nah: Er<br />
hat zurzeit 17 Top-Ten-Plätze bei großen Rundfahrten.<br />
Die Bestmarke von 18 wurde von Gino Bartali, Pedro Delgado<br />
und Felice Gimondi erreicht. Wer wollte dagegen wetten,<br />
dass er mit einem guten Giro und einer guten Vuelta am Ende des<br />
Jahres alleiniger Rekordhalter ist?<br />
GIRO TOUR VUELTA TOTAL<br />
1 Gino Bartali 13 5 0 18<br />
1 Pedro Delgado 1 8 9 18<br />
1 Felice Gimondi 12 5 1 18<br />
4 Alejandro Valverde 1 6 10 17<br />
5 Eddy Merckx 7 7 1 15<br />
5 Raymond Poulidor 0 11 4 15<br />
5 Carlos Sastre 2 6 7 15<br />
8 Joop Zoetemelk 0 12 2 14<br />
8 Lucien Van Impe 3 10 1 14<br />
10 Jacques Anquetil 6 6 1 13<br />
© Getty Images, Offside/L’Equipe (Bartali); Stand: 13.04.2019<br />
Vor dem Giro ist es Zeit zu sehen, welche Fahrer unter den aktuellen World-<br />
Tour-Teams die beste Bilanz bei den großen Rundfahrten haben. Es ist keine<br />
Überraschung, dass Chris Froome die Liste anführt, hat er doch sechs Grand-<br />
Tour-Siege und vier zweite Plätze zu Buche stehen.<br />
FAHRER 1. 2. 3. 4.–5. 6.–10.<br />
1 Chris Froome 6 4 1 1 0<br />
2 Vincenzo Nibali 4 3 3 1 2<br />
3 Nairo Quintana 2 3 1 1 2<br />
4 Alejandro Valverde 1 2 5 5 4<br />
5 Tom Dumoulin 1 2 0 0 1<br />
6 Fabio Aru 1 1 1 2 0<br />
7 Simon Yates 1 0 0 0 2<br />
8 Geraint Thomas 1 0 0 0 0<br />
9 Rigoberto Urán 0 3 0 0 3<br />
10 Esteban Chaves 0 1 1 1 0<br />
11 Romain Bardet 0 1 1 0 3<br />
12 Enric Mas 0 1 0 0 0<br />
13 Miguel Ángel López 0 0 2 0 1<br />
14 Thibaut Pinot 0 0 1 1 2<br />
15 Mikel Landa 0 0 1 1 1<br />
16 Rafał Majka 0 0 1 1 2<br />
17 Ilnur Zakarin 0 0 1 1 1<br />
18 Thomas De Gendt 0 0 1 0 0<br />
19 Steven Kruijswijk 0 0 0 3 3<br />
20 Bauke Mollema 0 0 0 1 4<br />
BESTÄNDIGKEIT<br />
BEI GROSSEN<br />
RUNDFAHRTEN<br />
Wir haben uns angeschaut, welche heutigen Fahrer den<br />
besten Durchschnittsplatz bei großen Rundfahrten<br />
haben, wobei wir die nicht zu Ende gefahrenen ausgeklammert<br />
haben. Chris Froome hat zwar die meisten Siege, aber<br />
der beständigste Fahrer ist Miguel Ángel López. Wenn man die<br />
Gesamtwertungsplätze des Kolumbianers addiert – dritte Plätze<br />
beim Giro und der Vuelta plus ein achter bei der Vuelta 2017 –,<br />
ist er jedes Mal im Schnitt in die Top Five gefahren. Der überaus<br />
beständige Valverde kommt im Schnitt auf den sechsten Platz.<br />
FAHRER<br />
1 Miguel Ángel López 4,67<br />
2 Alejandro Valverde 6<br />
3 Nairo Quintana 7,36<br />
4 Thibaut Pinot 7,67<br />
5 Romain Bardet 8,29<br />
6 Vincenzo Nibali 9,72<br />
7 Chris Froome 10<br />
8 Fabio Aru 11,89<br />
9 Tom Dumoulin 14,17<br />
10 Egan Bernal 15<br />
POSITION<br />
86 PROCYCLING | MAI 2019
NACHLESE<br />
Froome im Anstieg<br />
zum Colle Delle Fi -<br />
nestre. Sein 80 Kilo -<br />
meter langer Soloritt<br />
sicherte ihm im letzten<br />
Jahr den Sieg.<br />
© Tim de Waele/Getty Images<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 87
GESCHMEIDIG<br />
IM FAHRTWIND<br />
„Road Aero“ ist längst zu einer eigenen Kategorie im<br />
Rennradsegment geworden – eine, die heute wichtiger<br />
ist als die der auf Diät gesetzten Superleichtbauräder.<br />
Denn wenn es darum geht, schneller zu sein, hat der<br />
Luftwiderstand einen deutlich größeren Einfluss als<br />
Trägheit und Hangabtriebskraft. Sechs aktuelle Rennmaschinen<br />
zeigen Aerodynamik von dezent bis extrem.<br />
Text Caspar Gebel<br />
Fotografie Andreas Meyer<br />
88 PROCYCLING | MAI 2019
MAI 2019 | PROCYCLING 89
RADTEST<br />
CANNONDALE SYSTEMSIX HI-MOD DURA-ACE DI2<br />
10.499 € // www.cannondale.com<br />
Das SystemSix markiert den derzeitigen<br />
Stand der Technik in Sachen<br />
Aerodynamik und erweitert bewährte<br />
Modelle wie das CAAD12 und das<br />
SuperSix, deren Geometrie es teilt, um<br />
eine weitere Dimension. Das windschnittige<br />
Geschoss nimmt sofort Fahrt auf; zur<br />
handlichen Lenkung gesellt sich eine Laufruhe,<br />
die ihresgleichen sucht. Die tiefen<br />
Felgen stabilisieren das Rad; der Fahrtwind<br />
FAZIT<br />
Die Amerikaner<br />
gehen im Wind -<br />
kanal an die Grenzen<br />
des Machbaren<br />
und stellen eine<br />
Rennmaschine hin,<br />
wie sie schneller<br />
kaum sein kann.<br />
Leitungen und<br />
Di2-Komponenten<br />
sind perfekt inte -<br />
griert, Geometrie<br />
und Sitzhaltung<br />
bewährt.<br />
umströmt sanft die im Windkanal optimierten<br />
Formen. Zu diesen gehören die<br />
Abrisskanten im Bereich von Steuerkopf/<br />
Unterrohr und Sitzstreben/Sitzrohr, die<br />
man ähnlich auch an anderen Bikes sieht<br />
– ein Zeichen dafür, dass inzwischen nicht<br />
mehr viele unterschiedliche Wege zum<br />
Ziel minimalen Luftwiderstands führen.<br />
Für die innen verlegten Leitungen hat<br />
sich Cannondale etwas ganz Besonderes<br />
ausgedacht: Vor dem eigentlichen Steuerrohr<br />
befindet sich ein Tunnel, dessen Eingang<br />
von den speziellen Spacern verdeckt<br />
wird. Damit das funktionieren kann, ist<br />
der Lenk einschlag auf 50 Grad nach jeder<br />
Seite begrenzt. Der aus zwei Teilen bestehende<br />
Vorbau führt die Leitungen nach<br />
innen, die neuartige Verschraubung des<br />
flächigen Lenkers am Vorbau erlaubt eine<br />
Winkelverstellung um acht Grad, was<br />
deutlich flexibler ist als eine fixe Lenker-<br />
Vorbau-Einheit.<br />
Verbaut ist hier die Dura-Ace Di2 in der<br />
zeitgemäßen Disc-Version, kombiniert mit<br />
der hauseigenen SISL2-Kurbel, deren integriertes<br />
Powermeter nur noch darauf wartet,<br />
für 490 Euro freigeschaltet zu werden.<br />
Das 52er-FSA-Blatt sieht am stromlinienförmigen<br />
Renner etwas rustikal aus; mit<br />
Aero-Stütze und 23er-Reifen ist das SystemSix<br />
außerdem kein Komfortwunder.<br />
SPECS<br />
Rahmen BallisTec<br />
Hi-MOD Carbon<br />
Gabel<br />
BallisTec<br />
Hi-MOD Carbon<br />
Schaltung<br />
Shimano<br />
Dura-Ace Di2<br />
Kurbelsatz<br />
Cannondale<br />
HollowGram SiSL2<br />
Laufradsatz<br />
Cannondale Hollow-<br />
Gram KNØT64<br />
Bereifung<br />
Vittoria Rubino Pro<br />
Speed 23 mm<br />
Vorbau/Lenker<br />
Cannondale KNØT<br />
SystemBar<br />
Sattel Prologo<br />
Dimension NACK<br />
Stütze Cannondale<br />
KNØT Carbon<br />
Gewicht<br />
7,78/1,26/1,56 kg<br />
(kpl. o. P./VR/HR)<br />
90 PROCYCLING | MAI 2019
RADTEST<br />
CANYON AEROAD CF SL DISC 8.0 DI2<br />
4.699 € // www.canyon.com<br />
SPECS<br />
Rahmen<br />
Canyon Aeroad<br />
CF SL Disc<br />
Gabel Canyon<br />
FK0041 CF SLX Disc<br />
Schaltung<br />
Shimano<br />
Ultegra Di2<br />
Kurbelsatz<br />
Shimano Ultegra<br />
Laufradsatz DT<br />
Swiss ARC 1400 DB<br />
Bereifung<br />
Continental Grand<br />
Prix Force/Attack<br />
23/25 mm<br />
Vorbau/Lenker<br />
Canyon H36<br />
Aerocockpit C<br />
Sattel Fizik<br />
Arione R5<br />
Stütze Canyon<br />
S27 Aero VCLS CF<br />
Gewicht<br />
7,67/1,22/1,64 kg<br />
(kpl. o. P./VR/HR)<br />
Canyon bietet mit dem Aeroad bewährt<br />
windschnittige Performance<br />
zum attraktiven Preis. Was die<br />
Performance angeht, lässt sich die Ultegra<br />
Di2 nicht wirklich von der edlen Dura-Ace<br />
unterscheiden; der Rahmen ist ohnehin<br />
identisch mit dem der teureren Aeroad-<br />
Modelle: leicht und steif, dabei auf Handlichkeit<br />
getrimmt und sehr komfortabel.<br />
Letzteres ist vor allem der Stütze zu verdanken,<br />
die weniger flächig ausfällt als an<br />
manch anderem Aero-Renner. Ebenfalls<br />
sehr angenehm ist die Lenker-Vorbau-Einheit,<br />
deren Proportionen gut aufeinander<br />
abgestimmt sind. Eine komplette Innenverlegung<br />
der Bremsleitungen spart sich<br />
der Hersteller bislang, was man als Zeichen<br />
dafür deuten kann, dass das Aeroad<br />
nicht mehr den allerletzten Stand der<br />
Aero-Technik repräsentiert. Auch die eleganten<br />
flächigen Formen des Rahmens<br />
unterscheiden sich von den markanteren<br />
Konturen mancher Mitbewerber – wie sich<br />
das gegen den Wind auswirkt, ist jedoch<br />
in der Praxis kaum zu beantworten. Auf<br />
der Straße jedenfalls erweist sich das Aeroad<br />
als antrittsstark, agil und schnell. Zur<br />
flächig-eleganten Optik des Canyon tragen<br />
auch die 62 Millimeter tiefen DT-Felgen<br />
bei. Der hochwertige Carboradsatz ist mit<br />
Continentals Force/Attack-Reifenkombi<br />
ausgestattet, die sehr leicht ist, wobei der<br />
Vorderreifen mit 23 Millimetern für heutige<br />
Verhält nisse schmal wirkt.Canyon sieht<br />
für jedes seiner drei Straßenmodelle eine<br />
eigene Sitzgeometrie vor; bei gleicher Rahmengröße<br />
wird der Fahrer auf dem Aeroad<br />
mit deutlich mehr Überhöhung und etwas<br />
gestreckter positioniert als auf Endurace<br />
und Ultimate. Wer die Spacer demontiert,<br />
gelangt zu einer sehr sportlichen Haltung.<br />
FAZIT<br />
Das glattflächige<br />
Canyon begeistert<br />
mit viel Vortrieb<br />
und hochwertiger<br />
Ausstattung. Di2<br />
und Hydraulikbremsen<br />
lassen<br />
keinen Unterschied<br />
zu teurerem<br />
Material erkennen.<br />
Zur Perfektion<br />
fehlen bestenfalls<br />
durchs Cockpit<br />
laufende Leitungen.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 91
RADTEST<br />
FUJI TRANSONIC 2.1<br />
4.499 € // www.fujibikes.com<br />
Die US-Firma fing früh mit der Entwicklung<br />
von Aero-Roadbikes an<br />
und hat mit dem aktuellen Transonic<br />
einen weiten Weg zurückgelegt. Im<br />
Vergleich zur alten Version präsentiert<br />
sich das 2019er-Modell deutlich kantiger<br />
und filigraner; mit breit bauenden Sitzstreben<br />
und der charakteristischen Abrisskante<br />
im oberen Bereich des Unterrohrs<br />
ist es aerodynamisch auf aktuellem Stand.<br />
FAZIT<br />
Aerodynamisch ist<br />
das Fuji weit vorne,<br />
doch die klassischen<br />
Komponenten<br />
verhindern den<br />
letzten Schritt. Auf<br />
der Straße gefällt<br />
das Rad als klas -<br />
sische Rennmaschine<br />
im Aero-<br />
Trimm – handlich,<br />
schnell und<br />
ziemlich leicht.<br />
Auch der flächige Vorbau mit tropfenförmigen<br />
Spacern (und integriertem Garmin-<br />
Halter) ist zeitgemäß. Allerdings geht Fuji<br />
mit dieser Version des Transonic nicht<br />
aufs Ganze: Felgenbremsen und mechanische<br />
Schaltung vertragen sich nun mal<br />
nicht mit optimierter Aerodynamik. Gerade<br />
die ins Unterrohr laufenden Schaltzüge<br />
fallen aus dem Rahmen, wo extrem ausgefeilte<br />
Disc/Di2-Renner der Maßstab sind.<br />
Windschlüpfiger als Standardmaterial<br />
dürfte das Transonic dennoch sein, nicht<br />
zuletzt wegen der interessanten Laufräder:<br />
Beim leichten Oval 950F wird eine Tubeless-kompatible<br />
Alufelge mit einer Carbonverkleidung<br />
versehen. Gebremst wird<br />
per Direct-Mount mit ordentlich Platz unter<br />
Gabel und Hinterbausteg – ein breiterer<br />
Reifen als der nicht unbedingt rollwiderstandsarme<br />
Vittoria Rubino Pro kann also<br />
durchaus montiert werden.<br />
Angesichts des moderaten Preises freut<br />
man sich ob der kompletten Dura-Ace, die<br />
in der mechanischen Variante einen spürbaren<br />
Unterschied zur entsprechenden<br />
Ultegra ergibt. So bewahrt sich das handliche,<br />
vergleichsweise leichte Rad den Charme<br />
eines klassischen Renners. Deutlich moderner<br />
und 500 Euro teurer ist die Ultegra-<br />
Di2/Disc-Version mit Vollcarbonlaufrädern<br />
und komplett integrierten Leitungen.<br />
SPECS<br />
Rahmen C10<br />
High-modulus<br />
Carbon<br />
Gabel<br />
FC-440 Carbon<br />
monocoque<br />
Schaltung<br />
Shimano<br />
Dura-Ace<br />
Kurbelsatz<br />
Shimano<br />
Dura-Ace<br />
Laufradsatz Oval<br />
Concepts 950F<br />
Bereifung<br />
Vittoria Rubino<br />
Pro 25 mm<br />
Vorbau/Lenker<br />
Oval Concepts 790<br />
Sattel Oval<br />
Concepts X38<br />
Stütze Oval<br />
Transonic Aero<br />
Gewicht<br />
7,62/1,16/1,56 kg<br />
(kpl. o. P./VR/HR)<br />
92 PROCYCLING | MAI 2019
RADTEST<br />
SPECIALIZED S-WORKS VENGE DI2<br />
11.299 € // www.specialized.com<br />
SPECS<br />
Rahmen S-Works<br />
FACT 11r Carbon<br />
Gabel S-Works<br />
FACT 11r Carbon<br />
Schaltung<br />
Shimano<br />
Dura-Ace Di2<br />
Kurbelsatz<br />
S-Works<br />
Power Cranks<br />
Laufradsatz Roval<br />
CLX 64 Disc<br />
Bereifung<br />
Specialized Turbo<br />
Cotton 26 mm<br />
Vorbau/Lenker<br />
S-Works Aerofly II<br />
Sattel S-Works<br />
Power 143 mm<br />
Stütze<br />
Specialized Venge<br />
Gewicht<br />
7,24/1,22/1,53 kg<br />
(kpl. o. P./VR/HR)<br />
Als „schnellstes Rennrad auf dem<br />
Planeten“ bezeichnet Specialized<br />
das Venge. In der Tat fühlt man sich<br />
förmlich mitgerissen von diesem Renn gerät.<br />
Ähnlich positioniert wie auf dem Cannondale<br />
oder Canyon, nimmt der Fahrer angesichts<br />
hoher Steifigkeit und sehr geringen<br />
Gewichts sofort Fahrt auf. Die angenehmen,<br />
26 Millimeter breiten Baumwollreifen mit<br />
fein gesponnener 320-TPI-Karkasse rollen<br />
extrem geschmeidig ab, wozu sich ein erwiesenermaßen<br />
geringer Rollwiderstand<br />
gesellt – laut Hersteller lassen sich bis zu<br />
32 Millimeter breite Pneus montieren. Die<br />
64 Millimeter tiefen Felgen des Roval-Rad -<br />
satzes fallen mit knapp 21 Millimeter Innenweite<br />
extrem breit aus, was den Rollund<br />
Luftwiderstand reduziert – so passt<br />
sich der Reifen der extremen, 30 Millimeter<br />
breiten Felge optimal an. Das Vorderrad ist<br />
im Verhältnis 2:1 eingespeicht; so können<br />
die Bremskräfte optimal vom linken Nabenflansch<br />
an die Felge weitergeleitet werden.<br />
Der im firmeneigenen Windkanal entwickelte<br />
Rahmen weist alle aktuellen Merkmale<br />
der Gattung auf: die breit anliegenden,<br />
flachen Sitzstreben und natürlich komplett<br />
innen verlegte Leitungen. Diese laufen durch<br />
den Gabelschaft, was praktisch in Sachen<br />
Lenkeinschlag ist. Auf ein einteiliges Cockpit<br />
wird verzichtet, sodass sich die Lenker-<br />
stellung individuell anpassen lässt. Und natürlich<br />
werden dem flächigen Carbonbügel<br />
beste aerodynamische Werte bescheinigt.<br />
Shimano steuert zum mattschwarzen<br />
Boliden mit „Silver Holo“-Dekor nur Schaltung<br />
und Bremsen bei; der Antriebsstrang<br />
besteht dazu aus S-Works-Kurbeln mit<br />
beidseitiger Leistungsmessung. So kann<br />
man sofort feststellen, wie viel Power man<br />
mit dem leichten Aero-Bike spart.<br />
FAZIT<br />
Das fahrfertig nur<br />
7,5 Kilo leichte Rad<br />
beschleunigt furios<br />
und bietet ein fühl -<br />
bares Geschwindigkeitsplus<br />
dank<br />
optimierter Aero -<br />
dynamik und leicht<br />
rollender Bereifung.<br />
Ein schönes<br />
Extra ist die integ -<br />
rierte Leistungsmessung.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 93
RADTEST<br />
STORCK AERFAST PRO G2 ULTEGRA DI2<br />
6.398 € // www.storckworld.com<br />
Bei seiner Vorstellung vor vier Jahren<br />
war das Road-Aero-Modell der Hessen<br />
mit glatten Flächen und speziell<br />
ausgeformten Sitzstreben zukunftsweisend;<br />
inzwischen wirkt das Aerfast beinahe klassisch<br />
mit konventionellem Vorbau und Felgenbremsen.<br />
Dies ist der Allrounder unter<br />
den Aero-Rennmaschinen, ein Rad, das<br />
dank geringen Gewichts und sportlicher<br />
Geometrie leichtfüßig beschleunigt und<br />
FAZIT<br />
Das Storck vereint<br />
die Vorzüge einer<br />
klassischen Renn -<br />
maschine mit<br />
zeitgemäßen<br />
Aero-Merkmalen.<br />
Angenehm leicht,<br />
agil und hübsch<br />
anzuschauen, ist<br />
dies die richtige<br />
Wahl für Touren<br />
in Gegenden mit<br />
vielen Anstiegen<br />
und mäßigem Wind.<br />
überaus handlich ist, dabei aber aufgrund<br />
der eher kompakten Bauweise eine angenehme,<br />
weniger gestreckte Sitzhaltung bietet.<br />
Schnell fühlt sich das Aerfast ohnehin<br />
an; auf hügeligem Terrain spielen die nur<br />
zweieinhalb Kilo leichten DT-Carbonlaufräder<br />
ihre Stärken aus und erfreuen mit großer<br />
Agilität. Das Trockenbremsverhalten ist top,<br />
wobei die Tretlagerbremse gegenüber dem<br />
normalen Ultegra-Stopper etwas abfällt.<br />
Die breit bauende Gabel soll Interferenzen<br />
mit dem Laufrad vermeiden und dazu<br />
etwas stärker stoßdämpfend wirken; sie<br />
baut außerdem recht hoch, sodass viel<br />
Platz für breitere Reifen ist – ein wichtiger<br />
Punkt bei einem echten Allrounder. Der<br />
leicht zum Fahrer hin orientierte Carbonlenker<br />
lässt sich angenehm greifen; ein<br />
typischer Kritikpunkt ist dagegen die<br />
Festlegung auf die Monolink-Sättel von<br />
Selle Italia – etwas anderes lässt sich auf<br />
die Aero-Stütze nicht montieren.<br />
Wie bei Storck üblich, sind die Rahmen<br />
in mehreren Qualitätsstufen und damit<br />
Gewichtsklassen verfügbar. Das superleichte<br />
Topmodell mit einem Rahmengewicht<br />
unter 1.000 Gramm treibt den Preis<br />
nach oben; wer mit einem rund 200 Gramm<br />
schwereren Rahmenset leben kann, bekommt<br />
das Aerfast Comp G2 in exakt<br />
gleicher Ausstattung für 4.000 Euro.<br />
SPECS<br />
Rahmen Storck<br />
Aerfast Pro<br />
Gabel<br />
Storck Aerfast<br />
F.3 Pro<br />
Schaltung<br />
Shimano<br />
Ultegra Di2<br />
Kurbelsatz<br />
Shimano<br />
Ultegra<br />
Laufradsatz DT<br />
Swiss PRC 1400<br />
Bereifung<br />
Schwalbe One<br />
25 mm<br />
Vorbau/Lenker<br />
Storck ST 115/<br />
RBC 220 Carbon<br />
Sattel Selle Italia<br />
Monolink SLS<br />
Stütze Aerfast<br />
Monolink Post<br />
Gewicht<br />
7,22/1,04/1,47 kg<br />
(kpl. o. P./VR/HR)<br />
94 PROCYCLING | MAI 2019
RADTEST<br />
TREK MADONE SLR 9 DISC<br />
11.499 € // www.trekbikes.com<br />
SPECS<br />
Rahmen<br />
700 Series<br />
OCLV Carbon<br />
Gabel Madone<br />
Disc Vollcarbon<br />
Schaltung<br />
Shimano<br />
Dura-Ace Di2<br />
Kurbelsatz<br />
Shimano Dura-Ace<br />
Laufradsatz<br />
Bontrager<br />
Aeolus XXX 6<br />
Bereifung<br />
Bontrager<br />
R4 320 25 mm<br />
Vorbau/Lenker<br />
Trek Madone<br />
Sattel Bontrager<br />
Montrose Pro<br />
Stütze Trek<br />
Madone<br />
Gewicht<br />
k. A.<br />
Tests im Windkanal werden bei einer<br />
simulierten Geschwindigkeit von<br />
45 km/h durchgeführt, was einem<br />
hoch vorkommen mag. Schaut man sich jedoch<br />
die heutigen Durchschnittsgeschwindigkeiten<br />
bei Eintagesrennen an, stellt man<br />
fest: Die Profis, für die Maschinen wie das<br />
Trek Madone SLR 9 Disc gemacht sind, sind<br />
permanent mit solchem Tempo unterwegs.<br />
Aerodynamik ist also längst nicht mehr nur<br />
beim Zeitfahren relevant. Ein Rennrad muss<br />
heute windschnittig sein, aber auch komfortabel,<br />
damit der Fahrer etwa bei den Klassikern<br />
lange ein hohes Tempo halten kann.<br />
Beim Madone gelingt dies durch die Integration<br />
der Iso-Speed-Technik in den Aerorahmen<br />
mit seinen glatten Kammtail-Rohrprofilen.<br />
Durch das Gelenk im Übergang von<br />
den schmalen Sitzstreben zum Oberrohr<br />
kann das Sitzrohr auf ganzer Länge sichtund<br />
spürbar flexen, was freilich nicht nur<br />
bei groben Stößen hilft: Auch ermüdende<br />
Dauervibrationen werden so gedämpft. Am<br />
Cockpit hat das dick gepolsterte Lenkerband<br />
eine ähnliche Funktion, wobei das Highlight<br />
an dieser Stelle etwas anderes ist: Kabel und<br />
Leitungen sind perfekt integriert, der flächige<br />
Lenker ist neigungsverstellbar.<br />
Mit tiefen Tubeless-Carbonfelgen optimal<br />
ergänzt, steht das Trek seinen Konkurrenten<br />
in nichts nach, wenn es Fahrt aufnimmt,<br />
zumal es ebenfalls mit geschmeidigen, rollwiderstandsarmen<br />
Baumwollreifen ausgestattet<br />
ist. Das Handling ist ausgewogen,<br />
die Sitzposition auf dem Testrad nicht zu<br />
extrem. Ohnehin fällt auf, dass das Trek in<br />
den vier Größen von 56 bis 62 zwar um fast<br />
sechs Zentimeter in der Bauhöhe wächst<br />
(„Stack“), aber nur zwölf Millimeter in der<br />
Länge („Reach“). Große Fahrer sitzen also<br />
vergleichsweise kompakt.<br />
FAZIT<br />
Bei Trek hat<br />
moderne Aerodynamik<br />
ein<br />
glatteres Gesicht;<br />
dazu kommt<br />
die innovative<br />
IsoSpeed-Federung,<br />
die Komfort<br />
und Vibrationsdämpfung<br />
bringt.<br />
Ein edles Rad für<br />
hohes Tempo auch<br />
auf rauem Belag.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 95
96 PROCYCLING | MAI 2019
RETRO<br />
1982<br />
GOODWOOD:<br />
WO ALLES ANFING<br />
Bevor Yorkshire im kommenden September Gastgeber<br />
der Weltmeisterschaften sein wird, wurde das Ereignis<br />
zuletzt 1982 in Großbritannien ausgerichtet: in Goodwood.<br />
Und die Landschaft für den britischen Radsport hätte sich<br />
in den letzten 37 Jahren nicht stärker ändern können.<br />
Text William Fotheringham Fotografie John Pierce<br />
Am 5. September 1982 fuhr ich mit dem<br />
Fahrrad von North Devon zu einem<br />
Freund südlich von Exeter, um mir die<br />
Straßenweltmeisterschaft der Profis am Fernseher<br />
seiner Eltern anzuschauen. Wir hatten keinen<br />
Fernseher zu Hause, außerdem brauchte ich das<br />
Training. Dann radelte ich wieder nach Hause.<br />
Wenn ich mich richtig erinnere, drehten mein<br />
Schulfreund und ich eine kleine Runde, bevor wir<br />
uns das Rennen in der BBC-Sendung Grandstand<br />
anschauten, weil wir die 100 Meilen für den Tag<br />
abspulen wollen. Wenn man den Kids das heute<br />
erzählt, würden sie es nicht glauben.<br />
37 Jahre später richtet Großbritannien wieder<br />
die Straßen-Weltmeisterschaft aus: in Harrogate,<br />
Yorkshire, in einer Radsportumgebung, die sich<br />
radikal geändert hat. Man vergisst leicht, wie abgeschnitten<br />
vom europäischen Radsport Großbritannien<br />
einst war; inzwischen leben wir in einer<br />
Ära, in der Giro d’Italia und Tour de France England<br />
und Nordirland dreimal in sieben Jahren besucht<br />
haben, ganz zu schweigen von Rennen wie<br />
der Tour de Yorkshire und dem Surrey Classic, die<br />
daraus erwuchsen. Doch damals, in den frühen<br />
1980ern, war alles ganz anders.<br />
Ein paar Wochen, bevor die Elite des internationalen<br />
Radsports 1982 in Sussex auftauchte,<br />
hielt einer der Organisatoren der Weltmeisterschaft<br />
das britische Vereinsvolk zum Zuschauen<br />
an. „Wir wollen, dass die Leute ausnahmsweise<br />
einmal ihre Local 10-Nachrichten sausen lassen<br />
und Straßenarbeiter, die über die Preise meckern,<br />
ihre Fish and Chips vergessen“, sagte Ian Emmerson,<br />
der später Vorsitzende des britischen Radsportverbands<br />
wurde. Sein Totschlagargument<br />
folgte: „Es ist die letzte Chance in diesem Jahrzehnt,<br />
dass sie ihre Helden vom Kontinent leibhaftig<br />
in diesem Land sehen können.“<br />
Emmerson irrte sich, denn fünf Jahre später<br />
gründete Alan Rushton, der Mann, der die Weltmeisterschaft<br />
1982 organisierte, die Kellogg’s<br />
Tour of Britain für Profis. Aber in einem hatte er<br />
recht: Die Prominenz des Straßenradsports kam<br />
seinerzeit selten nach Großbritannien. Vor der<br />
Weltmeisterschaft 1982 hatte die Tour de France<br />
1974 einen kurzen, fast verstohlenen Besuch in<br />
Plymouth gemacht, und Leicester hatte die Weltmeisterschaft<br />
1970 ausgerichtet. Eddy Merckx<br />
und ein paar andere waren 1977 über den Eastway<br />
Cycle Circuit in London gesaust, und das war<br />
es so ungefähr.<br />
Das fast völlig fehlende Profil des Radsports auf<br />
nationaler Ebene erklärt, warum die Weltmeisterschaft<br />
1982 in sportlicher Hinsicht ein Erfolg,<br />
aber in finanzieller Hinsicht ein Mühlstein war.<br />
Die Zeitungen handelten die US-Brauerei Michelob<br />
im Januar 1982 als Titelsponsor, doch der Vertrag<br />
kam nicht zustande. Der britische Radsportverband<br />
trennte sich im März vom Promoter John Burns,<br />
fünf Monate, bevor die Bahnrennen auf der nicht<br />
überdachten Radrennbahn von Leicester stattfinden<br />
sollten.<br />
Es wurde noch schlimmer, als der Verband<br />
und Burns ein juristisches Gezerre darüber anfingen,<br />
wie viel Geld man dem ehemaligen Chef<br />
der Titelkämpfe schuldete. Ein neuer Promoter<br />
musste von heute auf morgen gefunden werden;<br />
der Mann, der einsprang, war Rushton – relativ<br />
unerfahren, aber früherer PR-Mann für Viking<br />
Cycles. Klugerweise spielte er die Erwartungen<br />
herunter, machte klar, dass in der Zeit kein Titelsponsor<br />
gewonnen werden konnte, und konzentrierte<br />
sich auf kleinere Verträge.<br />
Schließlich zählten zu den Sponsoren Campagnolo,<br />
das verstaatlichte Fährunternehmen Sealink,<br />
Longines und Le Coq Sportif, während die<br />
Universität Leicester ihre Studentenwohnheime<br />
als Unterkunft für die Fahrer bereitstellte. Die<br />
Stadt Leicester ließ 78.000 Pfund springen, aber<br />
der größte Beitrag kam vom Sportministerium mit<br />
120.000 Pfund. Der offizielle Begleitwagen war<br />
der unsägliche Austin Allegro; die Materialwagen<br />
waren Ladas in klassischer Kastenform.<br />
Der Kurs des Straßenrennens von 1970 im<br />
Mallory Park war heftig dafür kritisiert worden, zu<br />
leicht gewesen zu sein; 1982 entschied sich der<br />
britische Verband für einen Rundkurs, der auf<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 97
RETRO<br />
1982<br />
EIN ITALIENISCHER FAN<br />
WURDE FESTGENOMMEN,<br />
WEIL ER DIE STRASSE VOR<br />
DEM RENNEN ANGEMALT<br />
HATTE; ER WOLLTE ZWEI<br />
AMERIKANER<br />
UNTERSTÜTZEN.<br />
einer Autorennstrecke in Goodwood in Suffolk<br />
basierte. Die Acht, die der Kurs in Goodwood<br />
beschrieb, sollte von den Profis 17-mal, von den<br />
Amateuren zwölfmal und von den Frauen nur<br />
viermal absolviert werden, während das 100-Kilometer-Mannschaftszeitfahren<br />
der Amateure<br />
weitgehend auf dem Straßenrundkurs beruhte.<br />
Wie sich später herausstellte, hätte es, wenn<br />
das Profirennen sieben Minuten länger gedauert<br />
hätte, keine Bilder aus der Luft gegeben, weil der<br />
Hubschrauber alle 45 Minute auftanken musste<br />
und ihm gerade der Sprit auszugehen drohte –<br />
eine passende Metapher für eine Weltmeisterschaft,<br />
die mitunter auf gut Glück zu laufen<br />
schien. Zwei Geschichten illustrieren das Aufeinanderprallen<br />
der Kulturen: Ein italienischer Fan<br />
wurde von der Polizei festgenommen, weil er die<br />
Straße vor dem Rennen angemalt hatte; er hatte<br />
versucht, zwei Amerikanern zu unterstützen,<br />
„LeMond“ zu schreiben, und kam nicht dazu, das<br />
letzte „d“ zu malen. Er wurde wegen Sachbeschädigung<br />
zwei Tage und Nächte eingesperrt und<br />
musste 99 Pfund Strafe zahlen. Die andere Geschichte<br />
handelt von einem Vereinsfahrer, der mit<br />
dem Rad aus dem Norden gekommen war. Man<br />
sagte ihm, er müsse drei Pfund Eintritt für die<br />
Rundstrecke bezahlen; da drehte er sich auf dem<br />
Absatz um und fuhr nach Hause.<br />
DAS WETTER SPIELTE NICHT MIT<br />
Amateurfunktionäre arbeiteten Tag und Nacht,<br />
um die Weltmeisterschaft 1982 auf die Beine<br />
zu stellen, was den Radsportjournalisten Martin<br />
Ayres dazu veranlasste, zu schreiben: „Es gab<br />
einflussreiche Leute im britischen Verband, die<br />
glaubten, dass es sich einfach nicht lohnt, die<br />
Weltmeisterschaften auszurichten, so hoch war<br />
der menschliche Preis.“ Damals war der Sport noch<br />
relativ klein und große internationale Radrennen<br />
waren eine Seltenheit in Großbritannien. Das sehr<br />
erfolgreiche Milk Race war die Ausnahme, aber<br />
der Verband war unwillig oder unfähig, sich diese<br />
offenkundige Expertise zunutze zu machen.<br />
Als die Titelkämpfe losgegangen waren, war die<br />
erste Sorge das Wetter. Es hatte in den 1970ern<br />
vergebliche Versuche gegeben, ein dauerhaft überdachtes<br />
Velodrom in Großbritannien zu bauen –<br />
in Leeds und Birmingham waren die Pläne am<br />
weitesten fortgeschritten –, und die Organisatoren<br />
mussten die offene Bahn in Leicester nutzen und<br />
teuer dafür bezahlen: Zwei Renntage gingen<br />
durch den Augustregen verloren, 850 Pfund Eintrittsgelder<br />
wurden erstattet und 500 Pfund für<br />
Plastikplanen ausgegeben, damit die Bahn sich<br />
nicht vollsaugte.<br />
Natürlich kam in dem Moment, als die Planen<br />
verlegt waren, die Sonne raus. Das Gute war, dass<br />
es keinen Druck durch Liveübertragungen gab,<br />
da die Berichterstattung auf die Highlights beschränkt<br />
war, welche die BBC spät abends zeigte;<br />
nur die Straßenrennen am Wochenende liefen live<br />
in Grandstand. Schließlich reichten die insgesamt<br />
25.000 Zuschauer in Leicester an den sechs Tagen,<br />
darunter 6.000 am Sonntag, um die Organisatoren<br />
zufriedenzustellen.<br />
Das Highlight in Leicester sollte der „Verfolgungskampf<br />
des Jahrhunderts“ sein – der frühere<br />
britische Meister Sean Yates gegen den Weltmeister<br />
von 1980, Tony Doyle, den Franzosen Alain<br />
Bondue und den Dänen Hans-Henrik Ørsted. Die<br />
Enttäuschung war groß, als sich Bondue vor Ørsted<br />
durchsetzte, während der Italiener Maurizio Bidinost<br />
Doyle die Bronzemedaille wegschnappte.<br />
Der Japaner Koichi Nakano gewann seinen<br />
sechsten Profititel im Sprint, während der Kanadier<br />
Gordon Singleton auf der letzten Runde einen<br />
spektakulären Crash hinlegte; die Ostdeutschen<br />
dominierten das Amateurgeschehen, und die<br />
Russen gewannen die Mannschaftsverfolgung<br />
Mandy Jones gewann als<br />
einzige Britin eine Goldmedaille.<br />
Tony Doyle verpasste in der Verfolgung<br />
knapp eine Bronzemedaille.<br />
98 PROCYCLING | MAI 2019
RETRO<br />
1982<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 99
mit 4:23 Minuten, nur 33 Sekunden langsamer<br />
als der heutige Weltrekord. Der britische Profi Phil<br />
Thomas musste 750 Pfund Strafe zahlen, weil er<br />
zwei Zeilen Werbung auf der Shorts hatte, während<br />
der russische Goldmedaillengewinner im<br />
Sprint, Sergej Kopylow, vom amerikanischen<br />
Team aus dem Hotel geschmuggelt und in eine<br />
Disco mitgenommen wurde, wo er sich amüsierte<br />
und den Abend auf der Tanzfläche verbrachte, bis<br />
ihn seine KGB-Aufpasser abholten.<br />
In Goodwood hatte es die unvermeidliche Panik<br />
unter den Anwohnern gegeben, die anfangs<br />
nicht wussten, in welchem Umfang die Straßen<br />
gesperrt werden sollten. Als sie es begriffen, fingen<br />
die Einwohner an, Geschäfte zu machen, indem<br />
sie Tee und Erfrischungsgetränke verkauften.<br />
Einer verlangte 100 Pfund, damit die Ordner bei<br />
ihm auf die Toilette gehen konnten, und versuchte,<br />
Werbefläche auf seinem Haus für mehrere<br />
Tausend Pfund zu vermieten. Das Finale entsprach<br />
nicht dem Reglement, das vorsah, dass<br />
es einen geraden Kilometer geben musste, also<br />
wurde es ein paar Tage vor dem Rennen noch einmal<br />
umgebaut – für 1.000 Pfund.<br />
Es gab jedoch dieses Mal keine Beschwerden,<br />
dass der Kurs zu leicht sei. Das Mannschaftszeitfahren<br />
am Dienstag, dem 1. September, wurde<br />
zum Glücksspiel, als starker Regen Steinchen auf<br />
die Straße spülte und jede Menge Reifenschäden<br />
und Stürze verursachte. Die Polen hatten sechs<br />
Plattfüße, die Briten sieben, die USA fünf. Zu den<br />
Teams, die immun waren, gehörte das holländische<br />
Quartett, von denen zwei Fahrer – Gerrit<br />
Solleveld und Maarten Ducrot – später die Hauptrollen<br />
im Superconfex-Team unter Jan Raas spielten.<br />
Zu dem Schweizer Quartett, das Silbermedaillen<br />
gewann, gehörte der spätere Tour-Star<br />
Urs Zimmermann, während das ostdeutsche<br />
Team, das Vierter wurde, das spätere Grüne Trikot<br />
der Tour, Olaf Ludwig, umfasste.<br />
Am Samstag wurde das Straßenrennen der<br />
Amateure von einem erschöpften Bernd Drogan<br />
aus Ostdeutschland gewonnen, während der britische<br />
Held Pete Sanders sich in der entscheidenden<br />
Ausreißergruppe hervortat, sein blaurotes<br />
Trikot schweißnass an einem glühend heißen Tag<br />
in Sussex. Der Vormittag war der Höhepunkt für<br />
die heimischen Fans, als Mandy Jones aus Lancashire<br />
das Straßenrennen der Frauen gewann.<br />
Es war ein vorausgesagter Titel für Jones, die erst<br />
20 Jahre alt war und zwei Jahre zuvor auf dem<br />
schweren alpinen Rundkurs von Sallanches Bronze<br />
geholt hatte. In jener Saison gewann sie den<br />
Circuit du Loiret, aber aus britischer Sicht hatte<br />
sie vor allem Beryl Burton endlich menschlich<br />
erscheinen lassen, nachdem sie ein Vierteljahrhundert<br />
lang alle Zeitfahren in Großbritannien<br />
dominiert hatte.<br />
Burton, die einzige Britin, die vor Jones einen<br />
Weltmeistertitel gewonnen hatte, wurde von der<br />
BBC während einer regenbedingten Pause in<br />
Leicester interviewt und brachte ihre Enttäuschung<br />
über ihre Nichtnominierung zum Ausdruck,<br />
obwohl sie 45 Jahre alt war. Doch in jenem<br />
Im Finale waren Boyer, Zoetemelk, Kelly,<br />
LeMond und der spätere Sieger Saronni vorne.<br />
Sommer brachte Jones der Frau aus Yorkshire<br />
beim Zeitfahren sowohl über zehn als auch über<br />
50 Meilen Niederlagen bei – das erste Mal in<br />
20 Jahren, dass Burton bei einer Meisterschaft<br />
in einem direkten Duell geschlagen wurde.<br />
Am großen Tag gewann Jones im Burton-Stil,<br />
indem sie sich auf der 38 Meilen kurzen Strecke<br />
acht Meilen vor dem Ziel als Solistin absetzte. Sie<br />
startete eine erste Attacke in der Abfahrt in der<br />
zweiten von vier Runden und fuhr 30 Sekunden<br />
heraus, bevor sie von einem Verfolgerinnentrio<br />
um Maria Canins, Gerda Sierens aus Belgien und<br />
der Deutschen Sandra Schumacher eingeholt<br />
wurde. Darauf folgte eine letzte Attacke an der<br />
Kuppe des Anstiegs vor dem Ziel, als noch eine<br />
Runde zu fahren war.<br />
Das Straßenrennen der Profis wurde von Jimmy<br />
Kain gestartet, einem der Gründerväter der British<br />
League of Racing Cyclists, 98 Jahre alt, der im folgenden<br />
Frühjahr starb. Es war brutal – „ein Abbrand<br />
von einer Wildheit, die nie zuvor in Britannien<br />
gesehen wurde“, berichtete Cycling – mit<br />
einer auf 26 Fahrer geschrumpften Spitzengruppe,<br />
die das Finale bestritt. Den ersten Angriff lancierte<br />
Bernard Vallet, vermeintlich, um den Boden<br />
für Bernard Hinault zu bereiten, aber der vierfache<br />
Toursieger war im Finale von der Rolle, nachdem<br />
100 PROCYCLING | MAI 2019
RETRO<br />
1982<br />
Der Franzose Vallet sollte<br />
mit einer frühen Attacke<br />
Bernard Hinault den Boden bereiten.<br />
er das Giro-Tour-Double perfekt gemacht hatte.<br />
Er gab auf, zusammen mit dem Titelverteidiger<br />
Freddy Maertens, der eine seiner vielen Form- und<br />
Vertrauenskrisen durchlitt.<br />
„Die bleibende Erinnerung wird die an sich<br />
plagende Fahrer sein, die alles geben mussten,<br />
um den Kontakt zu den Männern an der Spitze<br />
zu halten: Saronni, Kelly, Raas und Co., die mit<br />
erstaunlicher Geschwindigkeit auf dem großen<br />
Kettenblatt kletterten“, hieß es in einem Bericht.<br />
„Sie fuhren mit hohem Tempo von der Autorennstrecke<br />
weg, um als Erste den Anstieg zu<br />
erreichen. Wenn man nicht als Erster in dem<br />
Anstieg war, fiel man hinten gnadenlos heraus;<br />
auf der Autorennstrecke eröffneten sie das Rennen<br />
und nahmen den Hügel in Angriff“, sagte<br />
der britische Profi Phil Bayton.<br />
Der damalige britische Meister John Herety<br />
blies in dasselbe Horn: „Ich erinnere mich nur,<br />
dass es wirklich hart war. Es gab die Geschichte,<br />
dass alle auf den ersten Runden locker fuhren und<br />
es schneller und schneller wurde, aber es war von<br />
der ersten Runde an zu schnell, um angenehm zu<br />
sein. Der Rundkurs war nicht schwer, aber es war<br />
windig auf der Autorennstrecke, und es tat weh.“<br />
Wie bei Jones war der Sieger bei den Profis,<br />
Giuseppe Saronni, vorher als Favorit gehandelt<br />
worden. Der „Buster Keaton des Radsports“ war<br />
mit 24 auf dem Höhepunkt seiner Kräfte, hatte in<br />
der Saison bereits Tirreno–Adriatico, den Giro del<br />
Trentino und die Tour de Suisse sowie drei Etappen<br />
des Giro gewonnen. Seine Rivalität mit Francesco<br />
Moser war auf ihrem Höhepunkt, während<br />
die Kräfte des „Sheriffs“ langsam nachließen. An<br />
jenem Tag schob Moser die Rivalität beiseite und<br />
spannte sich als Zugpferd vor Saronni, was zu dem<br />
Sprint führte, der als la fucilata di Goodwood – der<br />
Gewehrschuss von Goodwood – bekannt wurde.<br />
In der letzten Runde kamen die Hauptangriffe<br />
von Kelly, der gerade die erste Punktewertung der<br />
Tour seiner Karriere gewonnen hatte. Der Ire<br />
DIE AUSRICHTER DER RAD-WM<br />
INKLUSIVE YORKSHIRE 2019<br />
AUSTRAGUNGEN<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
Italien<br />
LAND<br />
Belgien<br />
Schweiz<br />
Frankreich<br />
Deutschland *<br />
Niederlande<br />
Spanien<br />
Dänemark<br />
Österreich<br />
Großbritannien<br />
Kanada<br />
Norwegen<br />
USA<br />
Australien,<br />
Kolumbien,<br />
Tschechische<br />
Republik **,<br />
Ungarn, Japan<br />
Luxemburg,<br />
Portugal, Katar,<br />
Venezuela<br />
* West- und Ostdeutschland 1945–1989, ** Tschechoslowakei 1981<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 101
102 PROCYCLING | MAI 2019
RETRO<br />
1982<br />
Für den jungen Greg LeMond<br />
markierte Goodwood den Anfang<br />
seiner großen Karriere.<br />
Roche und Kelly waren die einzigen<br />
Iren im Feld und kämpften gegen<br />
große Teams.<br />
AM ENDE BLIEB DER<br />
VERBAND AUF DEN KOSTEN<br />
SITZEN. DIE VERLUSTE<br />
WURDEN MIT 26.000<br />
PFUND BEZIFFERT.<br />
attackierte zweimal, einmal mit Hennie Kuiper<br />
und ein weiteres Mal mit René Martens, Anderson<br />
und Moreno Argentin. Dahinter taten die<br />
Holländer und die Italiener alles, um Fahrer wie<br />
Kelly zu eliminieren, der vier Runden vor Schluss<br />
einen Plattfuß hatte und später klagte, dass er<br />
und sein einziger Teamkollege Stephen Roche es<br />
mit Zwölf-Mann-Teams aus Holland und Italien<br />
zu tun hatten.<br />
Saronni behielt Kelly in der letzten Runde im<br />
Auge, aber er verdankte seinen Sieg auch LeMond,<br />
der im Anstieg eine furiose und umstrittene Verfolgungsjagd<br />
hinlegte, um seinen Landsmann<br />
Jonathan Boyer abzufangen, der vor dem letzten<br />
Kilometer angegriffen hatte. Rund 500 Meter vor<br />
der Linie ging LeMond: „Ich attackierte und holte<br />
Boyer einfach so ein. Es war ein Kinderspiel, was<br />
zeigte, wie stark ich war und wie viel schwächer<br />
er wurde.“ Aber Saronni hatte sich an LeMonds<br />
Hinterrad geheftet, und der Amerikaner war der<br />
perfekte Anfahrer für ihn, daher der furiose Sprint<br />
des Italieners und sein dramatischer Vorsprung<br />
im Ziel. Es war ein perfektes Beispiel für die alte<br />
Trainingshandbuch-Maxime für einen Bergaufsprint:<br />
Gehe spät, gewinne in großer Manier.<br />
LeMond hatte die Kraft, sich an Saronnis Hinterrad<br />
zu heften, als er an ihm vorbeizog, aber<br />
musste sich nachher scharfe Kritik anhören –<br />
Boyer warf ihm unfaires Verhalten vor, obwohl<br />
die beiden vor dem Rennen vereinbart hatten,<br />
jeder solle auf eigene Rechnung fahren. Damals<br />
sagte LeMond: „Wir sind nicht im selben Team<br />
und wir sind keine Freunde; ich möchte ihn nicht<br />
als Weltmeister sehen.“<br />
Die Zuschauer beim Rennen der Profis wurden<br />
auf 60.000 geschätzt, was auf 20.000 korrigiert<br />
wurde. Es hieß, die Hälfte sei umsonst<br />
reingekommen. „Wir verkauften die Idee mit<br />
Goodwood auf der Grundlage, dass es sicher<br />
war, und das stellte sich als falsch heraus“, sagte<br />
der Finanzchef der Weltmeisterschaften, Norman<br />
Shelmerdine.<br />
Ein Kontingent aus Lincolnshire gehörte zu<br />
den vielen, die am Vorabend im Zelt übernachteten,<br />
unter ihnen ein junger Bursche namens Rod<br />
Ellingworth.<br />
Saronni erwies sich als würdiger Weltmeister:<br />
In den folgenden neun Monaten gewann er die<br />
Lombardei-Rundfahrt, Mailand–San Remo und<br />
den Giro. Ellingworth, der vor der Tribüne mit<br />
einer Sean-Kelly-Kappe fotografiert wurde, wurde<br />
später Trainer bei der britischen U23-Akademie<br />
und gilt als maßgeblich für den Auf -<br />
stieg Großbritanniens zur Radsportnation im<br />
21. Jahrhundert. Auch ein weiterer späterer britischer<br />
und Team-Sky-Coach war anwesend:<br />
Shane Sutton aus Australien kam als Letzter ins<br />
Ziel, 12:20 Minuten hinter Saronni. Für LeMond<br />
wie für Kelly markierte Goodwood den Beginn<br />
ihrer besten Jahre.<br />
Maertens’ Karriere auf höchstem Niveau endete<br />
am 5. September 1982. Jones beendete ihre<br />
Karriere Ende 1983, nachdem sie bei der Verteidigung<br />
ihres Regenbogentrikots Vierte geworden<br />
war, und gab dann zwei Jahre später ein Comeback.<br />
Die Silbermedaillengewinnerin Canins, eine<br />
Novizin mit erst zwei Monaten Rennerfahrung,<br />
sollte in den 1990ern weiter von sich reden machen;<br />
sie gewann sowohl den Giro als auch die<br />
Tour de France der Frauen. Zudem kombinierte<br />
sie weitere drei Jahre Radsport und Skilanglauf<br />
auf höchstem Niveau.<br />
Die finanziellen Nachwirkungen waren beträchtlich.<br />
Der britische Verband stritt sich noch<br />
zwei Jahre später mit der UCI ums Geld, aber am<br />
Ende blieb der Verband auf den Kosten sitzen. Die<br />
Verluste wurden schließlich mit 26.000 Pfund<br />
beziffert; die Rücklagen des Verbands mussten<br />
herhalten, um die Schulden teilweise zu begleichen,<br />
und bei der Jahresvollversammlung Ende<br />
1983 war die Wut auf die Direktoren groß. Ende<br />
des Jahres wurde vereinbart, sich um die Weltmeisterschaft<br />
1988 zu bewerben.<br />
Der große Gewinner war Rushton, der Promoter,<br />
der in letzter Minute eingesprungen war, um<br />
sich um die kommerzielle Seite des Rennens zu<br />
kümmern. Nachdem er sich mit der Weltmeisterschaft<br />
international einen Namen gemacht hatte,<br />
legte Rushton ein Jahr später die erste Serie der<br />
von Kelloggs gesponserten Rundstreckenrennen<br />
auf, die 1987 zur ersten voll professionellen Großbritannien-Rundfahrt<br />
führen sollte. 1985 war er<br />
der Promoter des ersten Nissan Classic in Irland.<br />
Die Wurzeln des heutigen britischen Radsportbooms<br />
liegen in diesen Veranstaltungen – und es<br />
war Goodwood, wo alles begann.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 103
WUNSCHLISTE<br />
DIE PRODUKT-HIGHLIGHTS DES MONATS<br />
104 PROCYCLING | MAI 2019
FUJI<br />
TRAN SONIC 1.1<br />
7.499 €<br />
www.fujibikes.com<br />
Am Topmodell der Baureihe Tran -<br />
sonic zeigt Fuji, dass die Sram eTap<br />
auch mit elf Ritzeln nicht zum alten<br />
Eisen gehört, sondern mit klaren<br />
Linien und bewährter Funktion zu<br />
überzeugen weiß. An einen aero -<br />
dynamisch hochaktuellen Rahmen<br />
mit komplett integrierten Bremsleitungen<br />
montiert, passt die Gruppe<br />
optisch perfekt und erleichtert<br />
dank Funkschaltung zudem die<br />
Montage. Tiefe Felgen und leicht<br />
laufende Reifen holen in Sachen<br />
Luft- und Rollwiderstand alles he -<br />
raus; auch bergauf ist das fahrfertig<br />
knapp acht Kilo wiegende Rad in<br />
seinem Element – das perfekte<br />
Upgrade zum weiter vorn im Heft<br />
präsentierten Transonic mit<br />
Felgenbremsen.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 105
WUNSCHLISTE<br />
OAKLEY FLIGHT<br />
JACKET<br />
212 €<br />
www.oakley.com<br />
Das neue Modell der US-Amerikaner ist<br />
voll auf Aerodynamik abgestimmt. Der<br />
Verzicht auf einen oberen Rand bedeutet,<br />
dass der Fahrer den Kopf stärker gesenkt<br />
halten kann; der „Advancer“-Nasensteg<br />
lässt Frischluft ein. Diverse Gestellfarben<br />
und Scheibenvarianten stehen zur<br />
Auswahl, und mit zwei unterschiedlichen<br />
Bügellängen kann die Brille optimal<br />
an den Helm angepasst werden.<br />
OAKLEY ARO3<br />
180 €<br />
www.oakley.com<br />
Hier im Look des Teams Dimension<br />
Data gezeigt, wurde der Aro3 für<br />
besonders heiße Tage auf dem Rad<br />
entwickelt. Trotz großflächiger<br />
Belüftungsöffnungen ist er glatt<br />
und windschnittig; mit MIPS-Innenschale<br />
bietet er hohen Schutz und<br />
ein BOA-Verstellsystem erleichtert<br />
die Anpassung. Oakley bietet den<br />
Helm in drei Größen an.<br />
106 PROCYCLING | MAI 2019
WUNSCHLISTE<br />
BONTRAGER<br />
XXX WAVECEL<br />
249,99 €<br />
www.trekbikes.com<br />
Das Risiko einer Gehirnerschütterung<br />
ist im Radsport in letzter Zeit<br />
stärker in den Fokus gerückt. Mit<br />
der WaveCel-Technologie integriert<br />
Bontrager nun ein Material in seine<br />
Helme, das Rotationsbeschleunigungen<br />
beim Aufprall entgegenwirkt.<br />
Die Schicht zwischen Kopf<br />
und Außenschale ist in sich<br />
beweglich und reduziert damit die<br />
schädigende Wirkung von<br />
Drehbewegungen. Das Material,<br />
das zudem die Belüftung verbessert,<br />
kommt unter anderem im<br />
Teamhelm von Trek-Segafredo mit<br />
BOA-Kopfring zum Einsatz, der in<br />
Größe L freilich 399 Gramm wiegt.<br />
JULBO<br />
AEROSPEED<br />
175 €<br />
www.julbo.com<br />
Das französische Unternehmen bietet<br />
Rennradfahrern und Mountainbikern mit<br />
dieser photochromen Brille beste Sicht und<br />
guten Augenschutz dank großflächiger<br />
Abdeckung. Mit rahmenloser Konstruktion<br />
ist das Gesichtsfeld der leichten Brille<br />
riesig; andere Gestellfarben und Scheibenvarianten<br />
sind zu teils deutlich günstigeren<br />
Preisen verfügbar.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 107
WUNSCHLISTE<br />
MICHAEL<br />
OSTERMANN:<br />
DOMINIK NERZ<br />
– GESTÜRZT<br />
16,80 €<br />
www.covadonga.de<br />
„Was hätte sein können?“, werden sich<br />
nicht nur Protagonist und Autor dieses<br />
Radsportbuchs fragen. Auch dem Leser<br />
will das Pech des jungen Rennfahrers Nerz<br />
nicht so schnell aus dem Kopf gehen.<br />
Radsportkenner Ostermann kontaktierte<br />
zahlreiche Insider, um ein umfassendes<br />
Bild der kurzen und schmerzhaften<br />
Karriere des Allgäuers zu zeichnen – und<br />
Nerz selbst muss man Anerkennung dafür<br />
zollen, dass er hinter diesem in Teilen<br />
keineswegs schmeichelhaften Buch steht.<br />
Sicher gehört es zu seinem Weg, all die<br />
Härten und Enttäuschungen des Radsports<br />
zu verarbeiten, die ihm in den Weg gelegt<br />
wurden, und seinen eigenen Anteil daran,<br />
sein Potenzial wohl nicht genutzt zu haben.<br />
PHIL GAIMON:<br />
ZUGTIERE IN<br />
TRÄGERHOSEN<br />
16,80 €<br />
www.covadonga.de<br />
Spätestens seit der Sache mit Fabian<br />
Cancellaras angeblichem Motordoping<br />
hat Exprofi Gaimon den Ruf der Nervensäge<br />
weg. Doch eines muss man ihm<br />
mindestens lassen: Er schreibt interessant,<br />
geistreich und kein bisschen eingebildet<br />
über seine Karriere als Berufsfahrer,<br />
erzählt von den Höhen und Tiefen des<br />
Rennfahrerlebens, von Freundschaften,<br />
Beziehungen und familiären Problemen.<br />
Und nicht zuletzt geht es um Kekse. Dies<br />
ist sicher eines der intelligenteren<br />
Radsportbücher der letzten Jahre.<br />
108 PROCYCLING | MAI 2019
WUNSCHLISTE<br />
TUNE<br />
DC 100/130<br />
105 €<br />
www.tune.de<br />
Mit Titanachse und Carbonhebelchen<br />
holen die Spann -<br />
achsen von Tune alles aus<br />
dem wichtigen Bauteil heraus:<br />
Nur 18 bzw. 19 Gramm wiegen<br />
die filigranen Teile. Wer sein<br />
Rad auf Diät setzen will,<br />
kommt nicht um sie herum.<br />
CITEC<br />
ULTRA 8000 / 63<br />
2.999 €<br />
www.citec.de<br />
Die Laufradmanufaktur verabschiedet<br />
sich mit diesem Radsatz vom klassischen<br />
Aufbau, stattdessen werden Felge und<br />
Nabe mit flächigen Speichen (vorne 16,<br />
hinten 21) zusammenlaminiert. Was<br />
bleibt, ist die bekannte Verbundfelge, die<br />
gutes Bremsverhalten und lange Halt -<br />
barkeit bietet. Mit seinem 63 Millimeter<br />
tiefen Felgen ist der Clincher-Radsatz<br />
dennoch erstaunlich leicht: 697 Gramm<br />
brachte das Vorderrad auf die Redaktionswaage,<br />
830 Gramm das Hinterrad.<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 109
-AUSLAGE<br />
PLZ 20000 PLZ 10000<br />
PLZ 00000<br />
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Gerichtsstand ist Deggendorf.<br />
<strong>Procycling</strong> erscheint in Lizenz der<br />
englischen Originalausgabe von<br />
Immediate Media Co., London, UK.<br />
112 PROCYCLING | MAI 2019
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DAS LETZTE WORT<br />
JENS VOIGT<br />
Die Frühjahrsklassiker sind in vollem Gange und Jens gibt sein erstes Feedback.<br />
© Getty Images<br />
Auch in diesem Frühjahr<br />
konnte das Quick-Step-<br />
Team sich wieder dominat<br />
präsentieren. (Seid nachsichtig, ich<br />
gewöhne mich immer noch daran,<br />
dass sie eigentlich Deceuninck–<br />
Quick-Step heißen!) Der Name mag<br />
neu sein, aber die Art und Weise,<br />
wie sie Rennen fahren, ist es nicht.<br />
Fast jedes Jahr beginnt das Team die<br />
Saison mit einer Reihe von Siegen.<br />
Diese Liste wird bisher von Julian<br />
Alaphilippe bei Mailand–San Remo<br />
angeführt. Wir alle sollten ihm etwas<br />
Respekt zollen – seit Jahren<br />
ist es im Frühjahr eines der besten<br />
Teams. Außerdem wäre es einfach<br />
unwahr zu sagen, dass das Team<br />
nach den Klassikern von der Bildfläche<br />
verschwindet. Es strebt nach wie<br />
vor Etappensiege bei der Tour de<br />
France an und tritt das ganze Jahr<br />
über auf höchstem Niveau an. Man<br />
kann mit Sicherheit sagen, dass Fahrer<br />
wie Alaphilippe oder Bob Jungels<br />
auch bei den kommenden großen<br />
Rennen ein Wort mitzure den haben.<br />
Und mit Elia Viviani hat Deceuninck<br />
einen der erfolgreichsten Sprinter der<br />
letzten zwei Jahre. Daher führt in<br />
keinem Rennen der Weg an diesen<br />
Fahrern vorbei.<br />
Auch wenn sie bisher ein tolles<br />
Jahr hatten, war ein weiteres großes<br />
Team, Sky (bzw. ab Mai Ineos), bei<br />
den Klassikern bisher weniger sichtbar.<br />
Es setzte nicht zu viel aufs Spiel<br />
bei den Eintagesrennen, und es ist<br />
schwer zu erkennen, dass sich das<br />
bei den gepflasterten Veranstaltungen<br />
ändern wird.<br />
Es ist lustig, dass Deceuninck,<br />
kurz, nachdem ich darüber geschrieben<br />
hatte, wie dominant das Team<br />
war, im letzten Test vor Flandern –<br />
Gent–Wevelgem, keinen einzigen<br />
Fahrer in den Top Ten hatte. Es gab<br />
wirklich starke Leistungen von anderen<br />
Teams wie Jumbo-Visma und<br />
Trek-Segafredo. Das ist ein gutes<br />
Zeichen, denn es zeigt, dass sie<br />
nicht geschlagen sind und erkannt<br />
haben, dass sie nicht warten dürfen,<br />
bis Deceuninck seinen eigenen Plan<br />
für das Rennen durchsetzt, sondern<br />
versuchen, früh zu gehen und ihr<br />
eigenes Glück zu suchen. Wir stehen<br />
vor offeneren und unberechenbareren<br />
Rennen – sobald jeder merkt,<br />
dass ein Team oder Fahrer besiegbar<br />
ist, wollen sie es alle versuchen.<br />
Wir hatten die Gelegenheit, auch<br />
bei den Klassikern einige ziemlich<br />
spannende und fantastische Frauenrennen<br />
zu erleben, zum Beispiel<br />
Dwars door Vlaanderen, wo Ellen<br />
van Dijk nach einem 15-Kilometer-Solo<br />
gewann. Fabian Cancellara<br />
hätte es nicht besser machen können.<br />
Chapeau, Ellen!<br />
„ES GAB WIRKLICH STARKE LEISTUNGEN VON<br />
ANDEREN TEAMS WIE JUMBO-VISMA UND<br />
TREK-SEGAFREDO. DAS IST EIN GUTES<br />
ZEICHEN, DENN ES ZEIGT, DASS SIE NICHT<br />
GESCHLAGEN SIND UND ERKANNT HABEN,<br />
DASS SIE NICHT WARTEN DÜRFEN.“<br />
Ein weiterer Fahrer, der mich in<br />
diesem Frühjahr fasziniert hat, ist<br />
Mathieu van der Poel. Am 5. Januar<br />
holte er sich seinen 100. Karrieresieg<br />
beim Gullegem-Cyclo-Cross,<br />
blieb aber nicht stehen – er wurde<br />
Vierter in Gent–Wevelgem und<br />
krönte dies mit einem spektakulären<br />
Sieg bei der Dwars door Vlaanderen.<br />
Auf diesen Jungen muss man in Zukunft<br />
achten – er könnte Weltmeister<br />
im Cyclo-Cross, Mountainbike<br />
oder Straßenrennen werden, weil er<br />
in allem richtig gut ist.<br />
Auch ihm habe ich die Daumen<br />
gedrückt, aber Weltmeister Alejandro<br />
Valverde hat es bei seinem ersten<br />
Auftritt bei der Flandern-Rundfahrt<br />
nicht geschafft. Dafür konnten<br />
Mathieu van der Poels Allround-<br />
Talent zieht Jens’ Aufmerksamkeit<br />
auf sich.<br />
wir den sagenhaften Ritt und ersten<br />
Profisieg von Alberto Bettiol bestaunen.<br />
Wir sind gespannt, was der<br />
25-jährige Fahrer von EF Education<br />
First–Drapac noch zu seinem Palmares<br />
zufügen wird.<br />
Jens Voigt beendete seine Profi -<br />
karriere 2014 nach 18 Jahren.<br />
Der Berliner war einer der angriffslustigsten<br />
und beliebtesten Fahrer<br />
im Peloton. Unter anderem hielt er<br />
für 42 Tage den Stundenweltrekord.<br />
114 PROCYCLING | MAI 2019
TERMINE<br />
28.04.2019 Mörbisch (B)<br />
Neusiedler See Radmarathon<br />
ÖSTERREICHS<br />
GRÖSSTE<br />
RADMARATHON-<br />
SERIE<br />
02.06.2019 St. Pölten (NÖ)<br />
St. Pöltner Radmarathon<br />
09.06.2019 Lienz (T)<br />
Dolomitenrundfahrt und SuperGiroDolomiti<br />
30.06.2019 Mondsee (OÖ)<br />
Mondsee 5-Seen-Radmarathon<br />
13.07.2019 Bad Goisern (OÖ)<br />
Salzkammergut Trophy<br />
19./20.07.2019 Kaindorf (ST)<br />
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