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Branchenspiegel GastroSuisse 2019

Kennzahlen, Statistiken, Gastromarkt, jährlich

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2.1 Selbermachen: ein Trend der Zukunft?<br />

2. Spezialthema<br />

Wir sind geprägt durch ein stetiges Angebot an Lebensmitteln, 24 Stunden, 365 Tage im Jahr. Doch trotz<br />

der Vielfalt an verfügbaren Lebensmitteln im Detailhandel sind Bewegungen wie «Do-it-yourself» derzeit<br />

beobachtbar. Da wird beispielsweise selbst Wurst hergestellt, Bier gebraut, Lebensmittel fer mentiert,<br />

eingekocht, getrocknet oder Wildkräuter für den Hausgebrauch gesammelt. Haben Menschen nicht seit<br />

Urzeiten eine Vereinfachung der mühseligen Nahrungsproduktion und -verarbeitung gesucht? Wie ist<br />

also solch eine Entwicklung zu erklären?<br />

Wie entsteht Ernährungsverhalten?<br />

Essen ist eine notwendige Voraussetzung unseres Lebens.<br />

Georg Simmel, ein Soziologe, bezeichnete das<br />

«essen und trinken müssen» als kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner, den alle Menschen miteinander teilen. Menschen<br />

haben kaum Instinkte, die ihnen helfen können<br />

zu entscheiden, welche Lebensmittel gegessen werden<br />

können, wie diese Nahrung zubereitet und in welcher<br />

Weise verzehrt werden sollte. Wir müssen erst erlernen,<br />

was essbar ist bzw. was nicht, und wie, wann, was und<br />

in welcher Abfolge gegessen werden soll. Daher ist<br />

«essen lernen» immer kulturspezifisch und in jeder Kultur<br />

und Zeitepoche unterschiedlich.<br />

Die Industrialisierung separierte für viele Menschen<br />

ihren Wohn- und Arbeitsort, denn die hungrigen Fabriken<br />

verlangten nach Arbeitskräften, die meist nicht am<br />

selben Ort wohnten, wo die Arbeit stattfand. Im Zuge<br />

der industriellen Entwicklung wurden auch die Lebensmittel<br />

revolutioniert: Es entstanden neue Lebensmittel,<br />

die sich mit weniger Aufwand und in kürzerer Zeit zubereiten<br />

liessen. Neue Herstellungsprozesse wie z. B.<br />

das «Pasteurisieren» oder seit Ende des 19. Jahrhunderts<br />

das Kühlen ermöglichten es, viele Menschen mit<br />

vergleichsweise günstigen Lebensmitteln zu versorgen.<br />

Durch die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft<br />

und den Einsatz von Düngemitteln konnten<br />

die Erträge gesteigert werden und langfristig sanken<br />

die Lebensmittelpreise.<br />

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden<br />

die ersten grossindustriellen Lebensmittelbetriebe,<br />

welche die steigende Nachfrage in den städtischen<br />

Gebieten abdecken und die Bedürfnisse nach<br />

vorverarbeiteten Lebensmitteln befriedigen konnten.<br />

Die jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

schufen und schaffen die Verhältnisse, die den Umgang,<br />

die Handhabung mit und Bedeutung von Lebensmitteln<br />

beeinflussen. So sind Essen und Trinken immer eingebettet<br />

in einen sozialen und kulturellen und zeitlichen<br />

Rahmen.<br />

Raus aus der Unüberschaubarkeit<br />

Durch die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion,<br />

die Trennung von Arbeit und Wohnen, fand neben<br />

einer Anonymisierung der Lebensmittelproduktion auch<br />

eine zunehmende Entfremdung von den handwerklichen<br />

Traditionen der Lebensmittel statt. Die Anzahl an<br />

verarbeiteten Lebensmitteln nahm enorm zu. Gleichzeitig<br />

entstand ein Massenmarkt an Lebensmitteln, der<br />

heute durch Werbung, Globalisierung und mediale Vermarktungsstrategien<br />

gekennzeichnet ist: Das Essen<br />

und vor allem die Herstellungsprozesse entziehen sich<br />

dem unmittelbaren Erleben, es wird unüberschaubar,<br />

woher Lebensmittel oder deren Zutaten kommen, wie<br />

diese verarbeitet werden oder was an Zutaten in den<br />

Lebensmitteln enthalten ist.<br />

Durch diese zunehmende Komplexität entstehen Unsicherheiten,<br />

die den Wunsch nach Klarheit, Einfachheit<br />

oder auch Transparenz fördern. Mehr Auswahl bedeutet<br />

eben auch den Zwang zur Wahl, welche paradoxerweise<br />

zu Verunsicherung führt, weil es schwieriger wird, sich<br />

zu entscheiden. So ist zwar bei uns eine Nahrungssicherheit<br />

vorhanden, gleichzeitig fühlen sich immer mehr<br />

Konsumentinnen und Konsumenten verunsichert. Sie<br />

fühlen sich unzureichend informiert und wissen nicht,<br />

nach welchen Kriterien sie sich entscheiden sollen. Die<br />

«neue Unüberschaubarkeit» führt zu einem gefühlten<br />

Unbehagen in Bezug auf industrielle Lebensmittelherstellung.<br />

Lebensmittel, die eine geringe Verarbeitungsstufe<br />

haben, die aus der eigenen Region stammen,<br />

werden meist eher als «authentisch», «sicher» und eben<br />

auch «natürlich» eingeschätzt. Solchen Lebensmitteln<br />

wird Vertrauen geschenkt, sie werden als «schmackhafter»<br />

und «gesünder» beurteilt. Selbst hergestelltes<br />

Essen wie auch der eigene Anbau von Nahrungsmitteln<br />

vermitteln ein Gefühl der Kontrolle, eben zu wissen,<br />

was drin ist, was auf dem Teller ist und was man isst.<br />

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