ocean7 4/2019

Hausboot/Burgund / Ich schüttle den Kopf. „Okay“,
grinst er – und ordert eine Kiste.
Champes-sur-Yonne, Vincelotte,
dann Mailly-la-Ville und
schließlich hoch über einer Flussschleife
Mailly-le-Château mit
seinem Schloss – alle diese verträumten
Orte sind eine Rolle
rückwärts in die Entdeckung der
Langsamkeit.Den optischen
Höhepunkt setzen die Roches du
Saussois. Wie von Homers sagenumwobenen
Riesen dahingewürfelt,
schießen ein paar Schraubendrehungen
hinter Mailly- le-
Château schroffe Kalksteinklippen
in den Himmel. Wir stehen
auf der Fly und staunen über die
Freikletterer in den steilen Wänden.
Immerhin bringen diese
knapp 60 Meter hohen Felsen mit
Schwierigkeitsgraden von bis 10+
(UIAA-Skala) selbst gestandene
Profis ans Limit ihrer Künste.
„Ihr habt Glück“, schmunzelt
Renaud Cavelan, „zehn Minuten
später und der Schleusenwärter
wäre nach Hause gegangen. Dann
hättet ihr nicht in unserer tollen
Marina übernachten können.“
Freundlich legt er uns den Besuch
des 700-Seelen-Dörfchens Châtel-
Censoir hoch über dem Canal du
Nivernais ans Herz und fragt, ob
wir morgen Vézelay besuchen
wollen. Wir haben von der romanischen
UNESCO-Weltkulturerbe-Kirche
und den Kreuzritter-
Legenden dort gehört und nicken.
„Gut“, sagt er, „dann bestelle ich
für zehn Uhr ein Taxi. Okay?“
„D’accord“, antwortet Franz.
Zwei Tage später liegt unsere
Vincelottes in der kleinen Stadtmarina
von Clamecy. Wir
haben uns im Museum d‘Art et
d‘Histoire über die Yonne als historischen
Transportweg von
Brennholz ins 200 Kilometer
entfernte Paris informiert, die
hübschen Bürgerhäuser des
4.000-Seelen-Örtchens in Augenschein
genommen, sitzen jetzt zu
Füßen der gotischen Prachtkirche
Saint-Martin im Restaurant Mar-
„Zehn Minuten später und der
Schleusen wärter wäre nach
Hause gegangen.“
rakech und lassen uns orientalische
Genüsse schmecken.
Morgen stehen 36 Flusskilometer
und 21 Schleusen – die
meisten von hilfreichen Geistern
per Hand bedient – entlang
augengefälliger Beschaulichkeit
auf dem Programm.
Doch morgen ist morgen und
heute ist hier und jetzt.
„Wie wär‘s mit einem Wein“,
fragt Franz. „Gute Idee“, antworte
ich, „mal schauen, was
der Kellner empfiehlt.“ Der
lacht, dreht sich um und …
zack, steht eine Flasche Chablis
auf dem Tisch. Na dann, à la
santé! Auf unseren letzten
Törntag morgen. Und den flüsterleisen
E-Antrieb unserer
Vincelottes, den zehn Meter
langen 8-Tonnen-Verdränger
aus gutem Haus: der Linssen-
Yachtschmiede in Holland.
Die Rochers du Saussois
sind schroffe
Kalksteinfelsen mit
höchsten Kletterschwierigkeitsgraden.
30 4/2019
In Clamecy erinnert eine
Brückenstatue an die
harte Arbeit der Flößer.