FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2019
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FR 28.6. 20.00 UHR<br />
FILMMUSEUM<br />
SO 30.6. 22.00 UHR<br />
ATELIER 2<br />
RETROSPEKTIVE MADS BRÜGGER<br />
54<br />
Ein geheimes Treffen in einem abgelegenen<br />
Haus in Coimbra, Portugal. Flirrende<br />
Hitze. Ein muskulöser Security-Mann<br />
bewacht das Anwesen. Verwackelte<br />
Aufnahmen einer versteckten Kamera<br />
zeigen, wie der Filmemacher ins dunkle<br />
Innere geleitet wird. An den Wänden<br />
hängen großformatige Fotos afrikanischer<br />
Staatsträger und einige bunte Flaggen.<br />
Der Gastgeber fordert den Besucher auf,<br />
seine Jacke und sein Mobiltelefon abzugeben.<br />
„Ich möchte nicht, dass unsere<br />
Konversation aufgenommen wird“, sagt<br />
der Mann im Anzug. „Dieses Gespräch<br />
hat niemals stattgefunden.“<br />
Der ominöse Hausherr ist der britische<br />
Freelance-Diplomat Colin Evans.<br />
Für viel Geld kann man bei ihm afrikanische<br />
Diplomatenpässe kaufen, mit<br />
denen selbst Normalsterbliche uneingeschränkte<br />
Immunität und Zugang zu<br />
einer in sich geschlossenen Welt erlangen.<br />
Gerade in Afrika bedeutet dies für<br />
den Käufer: jenseits aller moralischen<br />
Grenzen tun und lassen können, was<br />
er will, und am Ende womöglich mit<br />
einem Koffer voller Diamanten das<br />
Land verlassen. Die heimliche Unterhaltung<br />
mit Colin Evans legt die Brisanz<br />
DIE ROTE KAPELLE<br />
DET RØDE KAPEL<br />
Dänemark 2009 • Regie Mads Brügger • Mit Mads Brügger, Jacob Nossell,<br />
Simon Jul Jørgensen • Länge 88 Min. • OmeU<br />
und den Wagemut des Filmprojekts<br />
the ambassador gleich zu Beginn offen:<br />
Die Warnungen des zwielichtigen<br />
Händlers halten den unerschrockenen<br />
Investigativ-Journalisten und Filmemacher<br />
Mads Brügger nicht von seinem<br />
riskanten Vorhaben ab. Für 135.000<br />
Dollar kauft er sich einen afrikanischen<br />
Diplomatenpass und steigt als liberianischer<br />
Honorarkonsul in den Handel<br />
mit Blutdiamanten in der Zentralafrikanischen<br />
Republik ein. Dieser Handel ist<br />
ein lukratives Nebengeschäft für viele<br />
Diplomaten in der Hauptstadt Bangui.<br />
Nach einigen Treffen mit korrupten<br />
Politikern, ausländischen Legionären<br />
und undurchsichtigen Kriminellen wird<br />
schnell klar: In dieser Gegend, in der es<br />
vor schwerbewaffneten Rebellen und<br />
brutalen Gangsterbanden nur so wimmelt,<br />
läuft ohne Schmiergeld gar nichts.<br />
„Wenn der Kongo das Herz der Finsternis<br />
ist, dann ist die Zentralafrikanische<br />
Republik der Blinddarm“, sagt Brügger<br />
im Film über das vom Bürgerkrieg gebeutelte<br />
Gebiet, das so groß wie Texas<br />
ist, eine Analphabeten-Rate von 75 %<br />
aufweist und zu den ärmsten Ländern<br />
der Welt zählt.<br />
the ambassador, für den Brügger<br />
den wichtigsten dänischen Filmpreis,<br />
den Robert, für den besten Dokumentarfilm<br />
erhielt, zeigt exemplarisch die<br />
ungewöhnliche Arbeitsweise des 1972<br />
geborenen Dänen: Er betreibt in diesem,<br />
wie auch in all seinen anderen Filmen,<br />
eine neuartige Form des performativen<br />
Gonzo-Journalismus. So spielt er nicht<br />
einfach nur den Konsul, der korrupte Geschäfte<br />
mit Politikern und Besitzern von<br />
Diamantenminen eingeht — er nimmt<br />
diese Identität tatsächlich vollständig<br />
an. Als Mr. Cortzen verkörpert Brügger<br />
das lebende Klischee eines europäischen<br />
Kolonialisten aus dem 19. Jahrhundert,<br />
trägt Lederstiefel und maßgeschneiderte<br />
Anzüge, raucht Zigarre und wirft<br />
mit rassistischen Kommentaren und Bestechungsgeldern<br />
nur so um sich. Sein<br />
Verhalten bewegt sich offensiv zwischen<br />
Zynismus, Ironie und moralischer Skrupellosigkeit,<br />
ohne jegliche Form von Political<br />
Correctness.<br />
Durch die Konfrontation dieser Figur<br />
mit einer korrupten Umwelt legt Brügger<br />
tiefsitzende koloniale Strukturen<br />
bloß. Dabei überschreitet er sämtliche<br />
Grenzen, bringt sich selbst in Gefahr.