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FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2019

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CINEMERIT AWARD – RALPH FIENNES<br />

24<br />

schma le, haarlose Gestalt mit Schlitzen<br />

im flachen Gesicht statt einer Nase,<br />

einem Totenkopf ähnlich, der sowieso<br />

keine Luft mehr zum Atmen braucht. Als<br />

ob es die Verse eines Shakespeare-Bösewichts<br />

sind, spricht Fiennes die Worte<br />

Voldemorts mit kalter Distinguiertheit.<br />

Die Noblesse, die Fiennes ausstrahlt,<br />

machte ihn vor und nach Voldemort immer<br />

wieder zur Idealbesetzung für romantische<br />

Helden, eben wie den Grafen<br />

Almásy oder den melancholischen onegin<br />

(1999, Regie: seine Schwester Martha<br />

Fiennes). Er kann damit aber auch kauzig<br />

wirken: Der raffinierte, ältere Damen<br />

beglückende Gustave, Concierge des<br />

grand budapest hotel (2014), ist eine<br />

von Fiennes hintergründig komischen<br />

Figuren, genauso wie Batmans Butler<br />

Alfred, den er in the lego batman movie<br />

(2017) spricht.<br />

Seine Stimme leiht Fiennes regelmäßig<br />

Figuren in Animationsfilmen und arbeitet<br />

auch im Hörbuch-Bereich – er kann<br />

sich in andere Körper mühelos hineindenken,<br />

kann sie allein mit dem gesprochenen<br />

Wort evozieren. Gleichzeitig ist<br />

er auf der Leinwand ein sehr physischer<br />

Schauspieler, der die Emotionen nach Belieben<br />

zurückhalten kann — oder explodieren<br />

lässt. Wer Fiennes für einen notorisch<br />

höflichen Briten hält, sollte sich nur<br />

mal anschauen, wie er als Gangsterboss in<br />

brügge sehen... und sterben? (2008) eine<br />

schlechte Nachricht per Anruf bekommt,<br />

wie er dann auflegt, kurz nachdenkt und<br />

das Telefon in seine Einzelteile zerhaut.<br />

HERZENS­<br />

PROJEKTE<br />

Parallel zu seinen Filmprojekten verfolgte<br />

Fiennes seine Theaterkarriere<br />

konsequent weiter. Bereits 1995 gewann<br />

er einen Tony Award für seine Interpretation<br />

von Hamlet in einer Broadway-Produktion<br />

und ging danach immer wieder<br />

auf die Bühne, um seiner Vorliebe für<br />

Shakespeares Figuren nachzugehen. Im<br />

Jahr 2000 spielte er die Titelrolle in einer<br />

Theaterinszenierung von Shakespeares<br />

„Coriolanus“. In einem Interview, das<br />

mitsamt des Drehbuches von John Logan<br />

als Buchveröffentlichung vorliegt,<br />

verrät Fiennes, dass er schon damals<br />

daran glaubte, dass in diesem Stoff die<br />

Grundlage für einen zeitgemäßen politischen<br />

Thriller liegt. Eine Dekade später<br />

nahm er die Idee wieder auf und drehte<br />

2009 in der serbischen Hauptstadt Belgrad<br />

coriolanus, seinen ersten Spielfilm<br />

als Regisseur.<br />

Aus dem römischen General Caius<br />

Martius macht Fiennes einen Söldner<br />

heutigen Formats, der in der Bürgerkriegskulisse<br />

des ehemaligen Jugoslawiens<br />

seine Truppen entschlossen gegen<br />

die Feinde Roms, die Volsker, anführt.<br />

Nachdem er die volskische Stadt Corioli<br />

erobert hat, wird er zum römischen<br />

Konsul ernannt. Fiennes selbst spielt<br />

den Kriegshelden: mit kahl geschorenem<br />

Kopf, das Gesicht vernarbt, der Körper<br />

ein straffer Panzer. Dem Feldherrn fehlt<br />

es an sozialen Umgangsformen: Er kann<br />

seine Aggressionen nicht regulieren und<br />

hat einen narzisstischen Drive, der zwar<br />

zum Sieg führt, ihn aber zunehmend vom<br />

Volk und seiner eigenen Familie entfremdet.<br />

Als erstmaliger Anführer einer Filmcrew<br />

umgab sich Fiennes mit einem beachtlichen<br />

Heer an erfahrenen Profis,<br />

die sich mit dem antiken Rom und diversen<br />

Kriegsschauplätzen zuvor schon<br />

beschäftigt hatten. Drehbuchautor<br />

John Logan schrieb gladiator (2000)<br />

für Ridley Scott, Kameramann Barry<br />

Ackroyd lernte Fiennes auf dem Set zu<br />

Kathrin Bigelows Irakkriegsdrama the<br />

hurt locker (2008) kennen. Eine der<br />

Produzent*innen, Gabrielle Tana, schlug<br />

ihm schon kurze Zeit nach Vollendung<br />

des Films eine zweite Regiearbeit vor:<br />

the invisible woman (2013) basiert auf<br />

dem Buch von Claire Tomalin und handelt<br />

von der zunächst heimlichen, durch<br />

die Presse öffentlich gemachten Affäre<br />

des berühmten englischen Schriftstellers<br />

Charles Dickens mit der Schauspielerin<br />

Ellen „Nelly“ Ternan.<br />

Fiennes konnte sich für diese Geschichte<br />

begeistern und übernahm selbst<br />

die Rolle von Dickens, nachdem sich keine<br />

andere Besetzung für den berühmten<br />

Literaten fand. In seiner Darstellung erscheint<br />

Dickens als fröhlicher Lebemann<br />

und kreativer Allrounder, der einige seiner<br />

Theaterstücke auch selbst inszeniert.<br />

Bei einer Probe lernt der Mittvierziger<br />

die 18-jährige Ternan kennen und fühlt<br />

sich zu ihr hingezogen. Dabei gerät er<br />

in Konflikt mit seiner Gattin, folgt aber<br />

rücksichtslos seinem Gefühl. Fiennes Historiendrama<br />

balanciert die weiblichen<br />

und männlichen Perspektiven spannend<br />

aus, erzählt von zwei Menschen, die im<br />

Gegenüber seelischen Anklang finden,<br />

aber nicht rückhaltlos zusammen sein<br />

können. Trotz aller Gefängnisse kann<br />

Ternan sich jedoch innerlich befreien,<br />

zeigt Fiennes – und setzte sich in nurejew<br />

– the white crow erneut mit den<br />

Freiheitsbestrebungen eines Künstlers<br />

auseinander. Als Ballett-Star Nurejew,<br />

ständig beobachtet vom russischen Geheimdienst,<br />

nicht ins kommunistische<br />

Moskau zurück will, wird aus Fiennes'<br />

Biopic ein spannender Politthriller.<br />

In a bigger splash steckt Harry zwar<br />

im Gefängnis alter Leidenschaften, aber<br />

er gibt sich libertinär und freizügig. In einer<br />

der besten Szenen des Films legt er<br />

eine alte Schallplatte auf: Zu „Emotional<br />

Rescue“ der Rolling Stones beginnt Harry<br />

ausgelassen zu tanzen, das Hemd offen,<br />

der Bauch frei. Er durchquert den Raum,<br />

in dem seine Ex-Frau, ihr Lover, eine alte<br />

Mutter und deren junge Tochter sind und<br />

sich von ihm mitreißen lassen. Fiennes<br />

versteckt sich kurz hinter einem Vorhang,<br />

bricht durch ihn durch, sein Blick direkt<br />

in die Kamera, auf uns gerichtet. Er tanzt<br />

hinaus auf die Terrasse, in einer Choreographie,<br />

die er, ganz kontrolliert, mit einer<br />

Tanzlehrerin einstudiert hat. Während<br />

seine Tochter im Pool liegt, groovt er<br />

weiter, steht unter freiem Himmel, unter<br />

der Sonne, strahlt selbst, breitet die<br />

Arme aus: ein Mann, der die Zügel loslässt,<br />

sich frei macht. Ein Tänzer auf dem<br />

Vulkan, der er selbst ist.<br />

Michael Stadler<br />

PREISVERLEIHUNG &<br />

FILMMAKERS LIVE!<br />

Am Montag, den 1.7., um 18 Uhr wird Ralph Fiennes der CineMerit Award<br />

im Carl-Orff-Saal, Gasteig, verliehen. Im Anschluss daran wird<br />

seine neue Regiearbeit nurejew – the white crow als Deutschlandpremiere<br />

gezeigt. Die Gala-Preisverleihung ist öffentlich zugänglich,<br />

die Karten sind im freien Verkauf erhältlich.<br />

Außerdem ist Ralph Fiennes zuvor zu Gast bei FILMMAKERS LIVE!<br />

am Montag, 1.7., um 16 Uhr in der Black Box, Gasteig.

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