FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2019
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Im Wettbewerb CineVision sind erste und<br />
zweite Werke von Regisseur*innen aus aller<br />
Welt zu sehen<br />
Der internationale Regie-Nachwuchs<br />
ist bekanntlich mutig, denkt um immer<br />
neue Ecken und weiß andere<br />
Perspektiven einzunehmen. Doch<br />
‚Neuland‘ muss nicht unbedingt das<br />
Reiseziel Nummer eins sein. Die aufstrebenden<br />
Filmemacher*innen<br />
probieren sich nicht nur darin aus,<br />
Genrekonventionen aus den Angeln<br />
zu heben und Inszenierungen zu<br />
schaffen, die es bis dato nie gegeben<br />
hat – sie besinnen sich auch auf filmische<br />
Traditionen, führen Bestehendes<br />
fort. Sie treten in die Fußstapfen<br />
von Altmeistern und formen sie zu<br />
eigenen Spuren um.<br />
In diesem Jahr zieht sich das Hinterfragen<br />
der abstrakten Konzepte<br />
von ‚fremd‘ und ‚dazugehörig‘ durch<br />
einige der CineVision-Award-Anwärter.<br />
angelo etwa bettet ein Stück<br />
Kolonialgeschichte in feinabgestimmte<br />
Tableaux Vivants ein und<br />
bebildert mit theatralem Pomp die<br />
perverse Faszination am scheinbar<br />
Andersartigen. Klassische Stilmittel<br />
abstrahieren die Geschichte von<br />
erzwungenem Exotismus und fragiler<br />
Menschlichkeit. Letztere zeigt sich<br />
auch, wenn manta ray in melancholisch-realistischer<br />
Art von der Urangst<br />
mancher Menschen erzählt,<br />
dass ein Eindringling ihnen den persönlichen<br />
Besitz streitig machen<br />
könnte. Das Fremde wird hier zur<br />
Bedrohung – nicht obwohl, sondern<br />
weil der Flüchtende das Leben seines<br />
Retters adaptiert.<br />
Diese Furcht vor dem Außen kann<br />
schließlich das Innen erschüttern<br />
und Schutzmaßnahmen ad absurdum<br />
führen. Etwa, wenn in winter after<br />
winter die Invasion des Kriegsfeindes<br />
ein Familienoberhaupt dazu veranlasst,<br />
seine Söhne ihre eigene Schwägerin<br />
schwängern zu lassen, damit die<br />
Blutlinie gesichert ist. Oder wenn in<br />
the man who surprised everyone<br />
eine tödliche Krankheit den Befallenen<br />
in eine andere Persönlichkeit<br />
zwingt und so die heimische Harmonie<br />
gefährdet.<br />
Familie, Tradition, Kontrollverlust<br />
– diese Motive klingen immer wieder<br />
in den Filmen des CineVision Wettbewerbs<br />
<strong>2019</strong> an. Mal in der mystischen<br />
Welt eines englischen Dorfes<br />
zwischen Hexenverfolgung und Puppenspiel<br />
(judy and punch), mal in<br />
der Ästhetik des Farblosen. So entfaltet<br />
canción sin nombre in<br />
schwarz-weißen Bildern die Geschichte<br />
einer Peruanerin, die sich mit<br />
Hilfe eines Journalisten auf die Suche<br />
nach ihrem vom korrupten Staat<br />
entführten Kind begibt. Die Verzweiflung<br />
der kinderlosen Mutter<br />
findet ihr Gegenstück in der dreizehnjährigen<br />
Selva. Die Protagonistin<br />
in ceniza negra sieht sich mit zwei<br />
Mutterfiguren konfrontiert: der leiblichen,<br />
die ihr als Geist erscheint, und<br />
der unliebsamen, in Gestalt der<br />
Freundin ihres Großvaters.<br />
Aufwachsen, erwachsen und<br />
schließlich über sich hinauswachsen:<br />
Zu dem werden, was wir sind, ist eine<br />
der schwersten Aufgaben. Wieder ist<br />
es die Bedrohung durch das Außen,<br />
die innere Angst davor, die uns blockiert.<br />
Sich selbst zu überwinden,<br />
klappt manchmal nur mit Hilfe anderer.<br />
Beispielsweise mit der eines<br />
charismatischen Sensei, der seinem<br />
ängstlichen Schüler die Kunst der<br />
Selbstverteidigung (the art of selfdefense)<br />
lehrt. Hinter viel Humor<br />
steckt da noch mehr Ernst. Wieder<br />
werden etablierte Gesellschaftskonzepte<br />
hinterfragt: Was erwarten wir<br />
von sogenannter ‚Männlichkeit‘?<br />
Gestählte Muskeln, Furchtlosigkeit,<br />
Death Metal im Auto? Und wie ist<br />
dann die moderne Frau gestrickt?<br />
Für eine emanzipierte Feministin<br />
jedenfalls ist das traditionelle, domestizierte<br />
Leben scheinbar tabu. Da<br />
bröckelt schon mal eine langjährige<br />
Freundschaft, wenn sich eine von<br />
beiden Frauen doch dazu hinreißen<br />
lässt zu heiraten und somit in den<br />
Augen der Anderen ihre Werte verrät<br />
(animals). Und auch in the climb wird<br />
das Band zwischen zwei Freunden auf<br />
die Probe gestellt, wenn einer dem<br />
anderen gesteht, eine Romanze mit<br />
dessen Verlobter begonnen zu haben<br />
– und das, während er ihn gerade mit<br />
dem Fahrrad eine Berg-Etappe hochtreibt.<br />
Immer wieder wird in den Filmen<br />
der neuen Kino-Visionäre das Humane<br />
im Menschen herausgefordert.<br />
Wie bewahren wir unsere Menschlichkeit<br />
in Zeiten der Krise? Eine Frage,<br />
die gegenwärtig nicht oft genug<br />
gestellt werden kann.<br />
Nina Kühne<br />
CINEVISION – SPONSORED BY MPLC<br />
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