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FILMFEST MÜNCHEN MAGAZIN 2019

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Weimarer Studentenzeit nach<br />

und nach aus dem engen Korsett<br />

ihrer bürgerlichen Herkunft<br />

befreite. „Sie war deshalb<br />

interessant, weil sie die störrischste<br />

von diesen Frauen war.<br />

Alles, was in der Serie zu sehen<br />

ist, haben wir an historischen<br />

Tatsachen angelehnt. Es gab<br />

lediglich Spekulationen darüber,<br />

wie weit Helms Affäre mit<br />

Gropius ging.“<br />

Nach dem fiktiven Interview<br />

setzt die Serie im Jahr 1919 an,<br />

als das Staatliche Bauhaus<br />

durch Gropius gegründet wurde,<br />

und endet 1925, als die<br />

Schule aus politischen Gründen<br />

nach Dessau umziehen<br />

musste, weil die nationalistischen<br />

Kräfte in Weimar zu<br />

stark wurden. Es war alles in<br />

allem eine herausfordernde<br />

Zeit, in der die Kluft zwischen<br />

dem konservativen Bürgertum<br />

und den progressiven Ideen<br />

der Bauhaus-Anhänger die Öffentlichkeit<br />

in Atem hielt. Für<br />

den Filmemacher Kraume bietet<br />

der lange Atem einer Serie<br />

die Möglichkeit, größere Zeiträume<br />

leichter zu fassen: „Die<br />

Zeit nach dem Ersten Weltkrieg<br />

und der Beginn der Moderne<br />

ist durch eine so reichhaltige<br />

Kultur-, Kunst- und<br />

Zeitgeschichte geprägt, dass<br />

man das nur in einem solchen<br />

Format erzählen kann.“ Wie<br />

auch schon bei der staat gegen<br />

fritz bauer (2015) und das<br />

schweigende klassenzimmer<br />

(2018) nach der Biografie von<br />

Dietrich Garstka schrieb Kraume<br />

selbst das Drehbuch, diesmal<br />

zusammen mit der Autorin<br />

Judith Angerbauer und der<br />

Kunsthistorikerin Lena Kiessler.<br />

Die Anfangsjahre des Bauhaus<br />

in Weimar prägten schillernde<br />

Persönlichkeiten wie<br />

Johannes Itten, Marcel Breuer,<br />

Lyonel Feininger, Laszlo Moholy-Nagy,<br />

Oskar Schlemmer<br />

und Gunta Stölzl. Im Mittelpunkt<br />

der Serie steht Gropius,<br />

der als Visionär ein neues<br />

Kunstverständnis formte, dabei<br />

für seine Kunstakademie<br />

ein Konzept entwickelte, das<br />

die bisherigen Vorstellungen<br />

von Kunst und Lehre auf den<br />

Kopf stellte und gerade dadurch<br />

provozierte. „Er war ein<br />

Mitbegründer der Moderne.<br />

Nicht so sehr als Baumeister,<br />

sondern als denkender Geist<br />

der Moderne“, meint Kraume.<br />

„Wahrscheinlich ist seine größte<br />

Tat die Gründung eben dieser<br />

Schule, die wiederum eine<br />

Schule des Erfindens war und<br />

eine wahnsinnige Offenheit<br />

in diesen Studenten weckte.“<br />

Abgesehen von seinem großen<br />

politischen Geschick soll<br />

Gropius ein begabter Manager,<br />

Selbstdarsteller und Verkäufer<br />

gewesen sein. „Schon allein<br />

der Gedankengang, dieser<br />

Kunstakademie den Namen<br />

‚Staatliches Bauhaus‘ zu geben,<br />

zeichnet ihn als äußerst gewieften<br />

Geschäftsmann aus. Er<br />

fingierte damit eine neue Ära,<br />

kreierte ein neues Label, das er<br />

selbst als GmbH eintrug, um<br />

von den Tantiemen, die dort<br />

erwirtschaftet wurden, zu profitieren.“<br />

Auch die Widersprüche in<br />

Gropius’ Charakter zeigt die<br />

Serie auf, beleuchtet seine<br />

dunklen Seiten. Der in der fiktiven<br />

Rahmenhandlung formulierte<br />

Vorwurf, Gropius hätte<br />

Frauen an der Schule zwar zugelassen,<br />

aber konstant unterdrückt,<br />

zieht sich als roter Faden<br />

durch die Geschichte und<br />

findet sich auch in der Beziehung<br />

zwischen Gropius und<br />

Helm wieder. „Was Sie da sehen,<br />

ist eigentlich eine investigative<br />

Untersuchung in Sachen<br />

Frauenemanzipation des 20.<br />

Jahrhunderts“, so Kraume.<br />

August Diehl verleiht Gropius<br />

die nötige Mischung aus<br />

Charme, Witz und Durchtriebenheit;<br />

Anna Maria Mühe, der<br />

Kraume die Rolle der Dörte<br />

Helm auf den Leib geschrieben<br />

hat, entwickelt sich von Folge<br />

zu Folge zu einer emanzipierten<br />

Frau. Auch Trine Dyrholm<br />

ist in dem prominenten Cast<br />

als unnachgiebige Journalistin<br />

bestens besetzt.<br />

Natürlich spielt die Ausstattung<br />

bei einem solchen Filmprojekt<br />

über eine Schule, die die<br />

erfolgreichsten Exportartikel<br />

Deutschlands hervorbrachte,<br />

eine wichtige Rolle. Die Möbel<br />

von Breuer, die Webarbeiten<br />

von Stölzl und die Bilder von<br />

Feininger sind heimliche Protagonisten.<br />

„Es war wahnsinnig<br />

wichtig, dass diese Serie so aufwändig<br />

produziert wird“, so<br />

Kraume. „Wenn man versucht,<br />

diese Zeit wieder zum Leben<br />

zu erwecken, muss man auch<br />

kunsthistorisch genau sein.“<br />

Viele der Produkte und Kunstwerke,<br />

die im Film zu sehen<br />

sind, seien teils echt, teils seien<br />

sie genaue Rekonstruktionen,<br />

bei denen man wiederum sicherstellen<br />

müsse, dass sie<br />

nicht plötzlich auf irgendeiner<br />

Auktion auftauchen würden.<br />

Gerne würde Kraume auch eine<br />

zweite und dritte Staffel drehen,<br />

die sich an den jeweiligen<br />

Bauhaus-Direktoren orientiert.<br />

An dramatischem wie visuellem<br />

Potential mangelt es auf jeden<br />

Fall nicht.<br />

Anna Steinbauer<br />

DIE NEUE ZEIT<br />

Die sechsteilige Serie wird am Freitag,<br />

den 28. Juni, um 17 Uhr als „Binge-Watching-Session“<br />

am Stück (mit 30 Minuten<br />

Pause) in drei Sälen in der ASTOR LOUN-<br />

GE im ARRI gezeigt. Am Samstag, dem 29.<br />

Juni, findet zudem in der Black Box im<br />

Gasteig ein filmmakers live! mit Regisseur<br />

Lars Kraume sowie einigen Darstellern<br />

und Teammitgliedern statt. Geleitet<br />

wird die Diskussion von Filmfest-Programmerin<br />

Ulrike Frick. 141

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