Das Kirchenbuch für die Gemeinde
S?4 Woche des - s. Sonntags nach Trinitatis zum Wesen der Lirche gehört wie die 8rucht zum Baume. Der Lampf der Reformation gegen die Werkgerechtigkeit, also gegen den Versuch, aus menschlichem Wert und menschlicher Leistung vor Gott einen Anspruch auf Gnade herzuleiten, — dieser Lampf hat nichts zu tun mit irgendeiner Geringschätzung der guten Werke. Ls ist richtig: Gemeinschaft mit Gott empfangen wir nicht auf Grund unserer Werke. Aber wo ein Mensch im Glauben an Gottes Barmherzigkeit lebt, da wird er zu Werken getrieben. Die Gnade macht nicht untätig, sondern tätig. Im Epheserbrief sagt der Apostel: Denn wir sind Sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, daß wir darinnen wandeln sollen. Lpheser r, s» So hat man mit Recht gesagt, daß die Liebe als „die der Welt zugewandte Seite des Glaubens" zu verstehen sei. Sie ist das Zeichen der Entschlossenheit und Echtheit unseres Glaubens. So müssen wir auch das Gleichnis Jesu vom Jüngsten Gericht (Match, rs, sz—46) verstehen. Und darum sagt das lutherische Bekenntnis in der Apologie der Augsburgischen Lonfession, daß gute Werk« notwendig zum Leben des Christen gehören. Sie sind nötig, j. weil Gott sie fordert, r. damit wir uns durch sie im Glaube» üben, 8. als Zeichen unserer Dankbarkeit gegenüber Gott, 4. als Mittel des Bekcnnens. In jener Armenordnung gibt Luther an anderer Stelle die treffliche Erläuterung: „Wo der Glaube im Menschen ist, da kann er nicht verborgen bleiben, sondern bricht offen heraus, und alles, was er wirkt und tut, das richtet er zu des Nächsten Nutzen, um demselben tätlich und behilflich zu sein, wie er sieht, daß ihm Christus getan hat. Und wo die Liebe und die Werke nicht herausbrechen, da ist der Glaube gewißlich nicht echt. Denn die Werke der Liebe sind Zeugnis des Glaubens". So gehört denn auch dies zum Zeugenamt der Gemeinde Christi, daß sie das tut, was Stephanus und den andern (Ap. Gesch. d) aufgetragen wurde, daß sie das Mahnwort Jesu (Match, rs, 40) beherzigt und daß der Dienst der Barmherzigkeit in ihren Reihen lebendig sei. w ir sehe», wie sich schon die urchristlichcn Gemeinden darum bemühen. Die Apostel berufen Männer in ihre Reihen, die „zu Tische dienen". Auch Witwen mit gutem Ruf werden mit ähnlichem Dienst beauftragt. Der Diakon und die Diakonisse stellen mit dem, was sie zu tun haben, eine Arbeit der Gemeinde Christi dar, die wesensnotwcndig zu ihr gehört. Ls hat Zeiten in der Geschichte unserer Lirche gegeben, in welchen der Sinn
Die christliche Liebestätigkeit b/5 für die Diakonie, die der Gemeinde Christi aufgetragen ist, verkümmerte. Daß die Werke der Liebe zum Leben der Gemeinde gehören wie die Rebe zum Weinstock, daß sie Zeugnis des Glaubens, Bekenntnis, Mission zu werden vermögen, wenn Gott die Gnade dazu gibt, das hatte man weithin vergessen, oder man legt« dem kein Gewicht bei. Natürlich hat es auch in diesen Zeiten immer wieder einzelne gegeben, — auch hervorragende Gestalten des kirchlichen Lebens wie jener Hallesche waisenvater August Hermann Francke — die den Sinn für das Amt der Barmherzigkeit, zu dem wir im Dienste Christi berufen sind, wach erhielten. Aber daß das die Ganzheit der Gemeinde berührt, daß die Rieche ohne den Dienst am Amt der Diakoni« nicht leben kann, daß ihr Wort ohne diesen Dienst unglaubhaft, ihre Verkündigung leer zu werden droht, diese Erkenntnis wurde unserer Lirche erneut erst durch eine Bewegung geschenkt, die zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Deutschland wie ein neuer Frühling in unserer Lirche aufbrach. Die ersten Ansätze liegen schon in der Zeit nach den Freiheitskriegen. Da ist ein Mann in der Stadt Weimar, Johannes Falk, der mit Goethe, Herder und wieland verkehrte, auch ein Dichter, wenn auch kein großer, ja, ein kleinerer Geist in dem Areis der ganz großen, aber ein fröhlicher und gutherziger — das Lied ,,C) du fröhliche, o du selige gnadcnbringend« Weihnachtszeit" ist von ihm —, bis ihn, in wenigen Wochen von sechs Lindern vier wegstarben und die Not nach der Schlacht bei Leipzig beim Rückzug die Flüchtigen in Scharen in sein Haus führt«: da gründete er die Gesellschaft der Freunde in der Not. „Ich war «in Lump", sagt« er in seiner geraden Natur von sich, „mit tausend anderen Lumpen in der deutschen Literatur, die dachten, wenn sie an ihrem Schreibtisch säßen, so wäre der Welt geholfen. Es war eine große Gnade Gottes, daß Er anstatt wie die anderen mich zu Schreibpapier zu verarbeiten, mich als Lharpie (d. i. gezupftes Leinen) benützte und in die offene Wunde der Zeit legt«. Da wird nun freilich den ganzen Tag an mir gezupft und gerupft, Senn die wund« ist groß, und sie stopfen zu, solange «in Fäserchen an mir ist". Er hat jrjb in die Goethestadt einen Lutherhof gesetzt, über die Tür die Inschrift: „Nach der Schlacht von Jena, Lützen und Leipzig erbauten die Freunde in der Not durch roo gerettet« Lnaben dieses Haus, dem Herrn zu einem Dankaltar". Und er spannt seine Verskunst in die neue Arbeit ein: „Heraus, ihr fröhlichen Jungen, heraus ins tauige Feld!" jsss gründet dann Johann Hinrich wiehern das Rauh« Haus in Horn bei Hamburg. Zur gleichen Zeit beginnt Theodor Fliedner seine Arbeit in Laiserswerth. wenig« Jahre später sehen wir Wilhelm Löhc in Neuendettelsau in Franken am Werk«, wem gilt ihr Dienst? Den Gefährdeten, Gestrandeten, den Armen, den Rranken, den verlorenen. Rettungsarbeit nennen sie ihr Werk oder Dienst am Elend. Sie sehen sich nicht nur der einzelnen Not gegenüber, Massennöt« ballen sich zusammen und in ihnen zerstörende Mächte, die wiederum auflösend auf die Gemeinde zurückwirken. Hier ist die gesamte Lirche zum
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Die christliche Liebestätigkeit b/5<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Diakonie, <strong>die</strong> der <strong>Gemeinde</strong> Christi aufgetragen ist, verkümmerte. Daß<br />
<strong>die</strong> Werke der Liebe zum Leben der <strong>Gemeinde</strong> gehören wie <strong>die</strong> Rebe zum<br />
Weinstock, daß sie Zeugnis des Glaubens, Bekenntnis, Mission zu werden vermögen,<br />
wenn Gott <strong>die</strong> Gnade dazu gibt, das hatte man weithin vergessen,<br />
oder man legt« dem kein Gewicht bei. Natürlich hat es auch in <strong>die</strong>sen Zeiten<br />
immer wieder einzelne gegeben, — auch hervorragende Gestalten des kirchlichen<br />
Lebens wie jener Hallesche waisenvater August Hermann Francke —<br />
<strong>die</strong> den Sinn <strong>für</strong> das Amt der Barmherzigkeit, zu dem wir im Dienste Christi<br />
berufen sind, wach erhielten. Aber daß das <strong>die</strong> Ganzheit der <strong>Gemeinde</strong> berührt,<br />
daß <strong>die</strong> Rieche ohne den Dienst am Amt der Diakoni« nicht leben kann,<br />
daß ihr Wort ohne <strong>die</strong>sen Dienst unglaubhaft, ihre Verkündigung leer zu<br />
werden droht, <strong>die</strong>se Erkenntnis wurde unserer Lirche erneut erst durch eine<br />
Bewegung geschenkt, <strong>die</strong> zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in Deutschland<br />
wie ein neuer Frühling in unserer Lirche aufbrach.<br />
Die ersten Ansätze liegen schon in der Zeit nach den Freiheitskriegen. Da ist ein<br />
Mann in der Stadt Weimar, Johannes Falk, der mit Goethe, Herder und<br />
wieland verkehrte, auch ein Dichter, wenn auch kein großer, ja, ein kleinerer<br />
Geist in dem Areis der ganz großen, aber ein fröhlicher und gutherziger —<br />
das Lied ,,C) du fröhliche, o du selige gnadcnbringend« Weihnachtszeit" ist von<br />
ihm —, bis ihn, in wenigen Wochen von sechs Lindern vier wegstarben und<br />
<strong>die</strong> Not nach der Schlacht bei Leipzig beim Rückzug <strong>die</strong> Flüchtigen in Scharen<br />
in sein Haus führt«: da gründete er <strong>die</strong> Gesellschaft der Freunde in der Not.<br />
„Ich war «in Lump", sagt« er in seiner geraden Natur von sich, „mit tausend<br />
anderen Lumpen in der deutschen Literatur, <strong>die</strong> dachten, wenn sie an ihrem<br />
Schreibtisch säßen, so wäre der Welt geholfen. Es war eine große Gnade<br />
Gottes, daß Er anstatt wie <strong>die</strong> anderen mich zu Schreibpapier zu verarbeiten,<br />
mich als Lharpie (d. i. gezupftes Leinen) benützte und in <strong>die</strong> offene Wunde der<br />
Zeit legt«. Da wird nun freilich den ganzen Tag an mir gezupft und gerupft,<br />
Senn <strong>die</strong> wund« ist groß, und sie stopfen zu, solange «in Fäserchen an mir<br />
ist". Er hat jrjb in <strong>die</strong> Goethestadt einen Lutherhof gesetzt, über <strong>die</strong> Tür<br />
<strong>die</strong> Inschrift: „Nach der Schlacht von Jena, Lützen und Leipzig erbauten <strong>die</strong><br />
Freunde in der Not durch roo gerettet« Lnaben <strong>die</strong>ses Haus, dem Herrn<br />
zu einem Dankaltar". Und er spannt seine Verskunst in <strong>die</strong> neue Arbeit ein:<br />
„Heraus, ihr fröhlichen Jungen, heraus ins tauige Feld!"<br />
jsss gründet dann Johann Hinrich wiehern das Rauh« Haus in Horn bei<br />
Hamburg. Zur gleichen Zeit beginnt Theodor Fliedner seine Arbeit in Laiserswerth.<br />
wenig« Jahre später sehen wir Wilhelm Löhc in Neuendettelsau in<br />
Franken am Werk«, wem gilt ihr Dienst? Den Gefährdeten, Gestrandeten,<br />
den Armen, den Rranken, den verlorenen. Rettungsarbeit nennen sie ihr Werk<br />
oder Dienst am Elend. Sie sehen sich nicht nur der einzelnen Not gegenüber,<br />
Massennöt« ballen sich zusammen und in ihnen zerstörende Mächte, <strong>die</strong> wiederum<br />
auflösend auf <strong>die</strong> <strong>Gemeinde</strong> zurückwirken. Hier ist <strong>die</strong> gesamte Lirche zum