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18 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 26. Mai 2019<br />
Psychosoziale Beratung im Krankenhaus Herat.<br />
Noch mehr Hilfs-Stationen sollen folgen.<br />
lienhättensichdannvondenrevoltierenden<br />
Frauendistanziert<br />
oder sie verleugnet, oder sie<br />
konnten sie nicht beschützen.<br />
Denn viele seieninFrauenhäusern<br />
gelandet, die Gefängnissen<br />
glichen, in Polizeistellen vergewaltigt<br />
worden oder bei Gericht<br />
missbraucht worden. „Ich sage<br />
nicht, dass Frauendie Zustände<br />
hätten akzeptieren sollen –ich<br />
sage,dassunsereRegierung, die<br />
Polizei, das Justizsystem darauf<br />
hättenvorbereitet seinsollen.“<br />
Aminselbst hat jeden Tag mit<br />
den Opferndieses beschleunigten<br />
Wandels zu tun, dem „absoluten<br />
psychologischen Chaos“,<br />
das dieser mit sichbrachte. Vor<br />
allem Männer wünschen sich<br />
einen langsameren Wandel in<br />
Afghanistan, einen sanfteren<br />
Übergang.<br />
Der Großteil der Frauen wiederum<br />
sehnt sich nach einer<br />
weiteren Beschleunigung.„Wir<br />
haben doch wie Vieh gelebt,bevor<br />
wir von unseren Rechten erfuhren“,ist<br />
von ihnen zu hören.<br />
Das Chaos und psychischeBelastungen<br />
treffen auchdie Konservativen.<br />
Sie erzählenvon der<br />
Angst vor dem Verlust ihrer Autorität,<br />
wenn ihre Vorgaben<br />
nicht mehr geschätzt wurden.<br />
ÄltereMännersagen, es sei beschämend<br />
für sie, Kinder aufgezogen<br />
zu haben, die ihnen widersprechen.<br />
Sie fürchten das<br />
Urteil der Gesellschaft, die ihnen<br />
unterstellen könnte, ihre<br />
Familie nicht im Griff und als<br />
Eltern versagt zu haben.<br />
Und viele von ihnen leiden<br />
unter Ängsten,<br />
dass ihre Kinder<br />
sich nicht mehr<br />
um sie kümmern<br />
werden, wennsie<br />
alt sind. Als Einzelner<br />
ist man in<br />
Die Älteren sprechen<br />
über die gute, alte Zeit.<br />
Kinder beschäftigen<br />
sich mehr<br />
mit Facebook.<br />
der Gesellschaft<br />
kaum überlebensfähig.Zudemerhalten<br />
in Afghanistan<br />
nur die allerwenigsten<br />
Menschen eine Rente.<br />
Akhgar Abdul, Angestellter<br />
aus dem nordöstlichen Faizabad,<br />
ist im Ältestenrat seiner<br />
Nachbarschaft und besucht jeden<br />
Freitag die Moschee. Er<br />
hörtdortständig,dass die Älteren<br />
nicht glücklich darüber<br />
sind, wie sich die Dinge entwickeln<br />
und sie die Kontrolle über<br />
vieles verlieren. „Einmal sprachensie<br />
über die gute alte Zeit,<br />
in der man dem Vaternicht widersprechen<br />
konnte“, erzählt<br />
Abdul.<br />
Die Kinder sollten nicht ständig<br />
Facebook nutzen, sondern<br />
sichmit der Religion beschäftigen.„Auf<br />
viele Arten sind sie deprimiertund<br />
merken,<br />
dass sie den<br />
Kampf um die<br />
Tradition verlieren.“<br />
Im afghanischen<br />
Gesundheitsministerium<br />
ist man sich der<br />
Herausforderungen bewusst.<br />
Der Direktor der Abteilung für<br />
mentale Gesundheit und Substanzmissbrauch,<br />
Bashir Ahmad Sarwari, sitzt<br />
am äußeren Ende des durch dicke<br />
Sprengschutzwände geschützten<br />
Ministeriums mit<br />
fünf weiteren Kollegen in einem<br />
äußerst überschaubaren<br />
Raum. Seit Gründung<br />
der Abteilung<br />
2005 hat er<br />
fünf technische<br />
und acht administrative<br />
Mitarbeiter.<br />
Mit hohem<br />
Tempo zählt<br />
der Psychiater<br />
auf, was schon erreichtwurde:<br />
Nebenden bald700 psychosozialen<br />
Beratern gibt es heute<br />
Psychiatrie-Einheiten in Provinzkrankenhäusern,<br />
psychiatrische<br />
Stationen in Regionalkrankenhäusern.<br />
Tausende Ärzte hätten im<br />
Laufe der Jahre Trainings für<br />
Basis-Counseling erhalten, genauso<br />
wie Tausende Hebammen<br />
und Krankenschwestern<br />
Sarwari: „Esgibt<br />
viele Geldgeber in<br />
Afghanistan, aber kaum<br />
einer investiertin<br />
mentale Gesundheit.“<br />
Ausbildungen durchliefen.<br />
Waren es vor fünf Jahren noch<br />
800 000 Menschen, die diese<br />
Dienstleistungen nutzten, waren<br />
es 2017 bereits 1,7 Millionen.<br />
Doch er weiß, dass das Angebot<br />
nicht reicht. „Für das Gesundheitssystem,<br />
wie es jetzt<br />
gesetzlich aufgestellt ist, haben<br />
wir genug Berater“,<br />
sagt er. „Für<br />
das Land insgesamt<br />
aber nicht.“<br />
Da es etwainden<br />
vierhundertländlichen<br />
Kliniken<br />
nur jeweils einen<br />
Berater gebe, falle<br />
immer ein Geschlecht durch<br />
den Rost. Beraterwürden aber<br />
auchanderswo gebraucht, im<br />
Ministerium für Drogenbekämpfung,<br />
im Frauenministerium,<br />
in Gefängnissen,<br />
Frauenhäusern oder im Bildungsministerium.<br />
Das sei aberalles eine Frage<br />
der Ressourcen. Und an diesen<br />
mangele es ständig. „Es<br />
gibt viele Geldgeber in Afghanistan,<br />
aber kaum einer<br />
investiert in mentale Gesundheit.“<br />
Dabei wären Programme<br />
geradejetzt wichtig,<br />
sagt Sarwari. „Denn heute ist<br />
in unserem Land alles inBe-