Lebenslust Goettingen Sommer 2019
D A S M A G A Z I N F Ü R K U N S T & K U LT U R , S H O P P I N G , G E N U S S U N D M E H R
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lebenslust:gö KULTUR 47<br />
„Brundibár“<br />
Schulorchester gibt es viele – Jugendorchester,<br />
die eine Oper begleiten dürfen,<br />
sind dagegen rar: eins in Kassel, ein<br />
zweites in Münster. Seit 15 Jahren hat das<br />
Staatstheater Kassel mit seinem Theater-Jugendorchesters<br />
(TJO) Jahr für Jahr eine Oper<br />
oder ein Musical aufgeführt. Die jungen Musikerinnen<br />
und Musiker im Alter zwischen<br />
zwölf und 20 Jahren kommen aus Schulen in<br />
Kassel und der Region. Das TJO bietet Jugendlichen<br />
die Möglichkeit, unmittelbar an<br />
einer Musiktheaterproduktion mitzuwirken,<br />
von der ersten Orchesterprobe bis zu den<br />
Aufführungen mit Sängern, Szene, Bühnenbild,<br />
Kostüm, Licht und allem, was sonst noch<br />
dazu gehört. Bei der Probenarbeit werden<br />
die Jugendlichen von Musikern des Staatsorchesters<br />
unterstützt.<br />
In diesem Jahr steht die Kinderoper „Brundibár“<br />
von Hans Krása auf dem Programm.<br />
Krása (1899-1944) ist ein tschechischer Musiker,<br />
der unter anderem bei Alexander von<br />
Zemlinsky in Wien und bei Albert Roussel in<br />
Paris ausgebildet wurde und in den 1920-er<br />
Jahren als Komponist in Prag hervorzutreten<br />
begann. 1933 wurde dort seine Oper „Verlobung<br />
im Traum“ uraufgeführt.<br />
1938 beteiligte er sich mit der Kinderoper<br />
„Brundibár“ an einem Kompositionswettbewerb<br />
des tschechischen Bildungsministeriums,<br />
eine der ersten speziell für Kinder<br />
komponierten Opern, die auch von Kindern<br />
aufgeführt werden. Doch infolge des Kriegsausbruchs<br />
1939 wurde der Wettbewerb nicht<br />
weiter durchgeführt. Zudem war Krása als<br />
Sohn einer deutsch-jüdischen Mutter bald<br />
Oper von Kindern<br />
für Kinder in Kassel<br />
Szene aus der Kasseler „Brundibár“-<br />
Aufführung 2017.<br />
Foto: Nils Klinger<br />
schon der Verfolgung durch die Nationalsozialisten<br />
ausgesetzt. Im Dezember 1942 kam<br />
es zu einer heimlichen Uraufführung von<br />
„Brundibár“ im jüdischen Waisenhaus in Prag<br />
– in Abwesenheit des Komponisten, der<br />
schon im August 1942 ins KZ Ghetto Theresienstadt<br />
(tschechischer Name: Terezín) deportiert<br />
worden war. Dort war Krása als Leiter<br />
der Musiksektion für die „Freizeitgestaltung“<br />
der Lagerinsassen zuständig und erstellte<br />
eine Neufassung von „Brundibár“, die er mit<br />
Kindern im KZ einstudierte und dort 55-mal<br />
aufführte. Zynischerweise wurde die Musikpflege<br />
im KZ unter Krása von den Nazis 1944<br />
in ihrem Propagandafilm „Der Führer schenkt<br />
den Juden eine Stadt“ als Beispiel für die angeblich<br />
guten Lebensverhältnisse im KZ vorgeführt.<br />
In einer Nazi-Wochenschau wurde<br />
eine Szene aus dem Film gezeigt und vom<br />
Sprecher mit den Worten kommentiert: „Während<br />
in Theresienstadt Juden bei Kaffee und<br />
Kuchen sitzen und tanzen, tragen unsere Soldaten<br />
alle Lasten eines furchtbaren Krieges,<br />
Not und Entbehrungen, um die Heimat zu<br />
verteidigen.“ Ende September 1944, unmittelbar<br />
nach Fertigstellung des Films, wurde<br />
das gesamte Brundibár-Ensemble in das Vernichtungslager<br />
Auschwitz gebracht. Nur wenige<br />
Kinder überlebten. Krása wurde am 18.<br />
Oktober 1944 in der Gaskammer ermordet.<br />
In der Oper geht es um zwei Kinder, Aninka<br />
und Pepiček, die für ihre kranke Mutter Milch<br />
kaufen wollen. Doch ihnen fehlt es an Geld.<br />
Sie wollen daher wie Leierkastenmann Brundibár<br />
mit Musizieren Geld verdienen. Doch<br />
niemand hört ihnen zu. Schlimmer noch:<br />
Brundibár verscheucht die beiden. In der<br />
Nacht jedoch erscheinen ein Spatz, eine<br />
Katze sowie ein Hund und bieten ihre Hilfe<br />
an. Am nächsten Morgen werden alle Kinder<br />
der Nachbarschaft zusammengetrommelt.<br />
Gemeinsam wehren sie sich erfolgreich, als<br />
Brundibár ihnen das Geld stehlen will, und<br />
vertreiben ihn. Mit „Brundibár“ (auf Deutsch<br />
„Die Hummel“ oder „Der Brummer“) hat Krása<br />
der Nachwelt ein Werk von besonderer Bedeutung<br />
hinterlassen, ein zeitloses Plädoyer<br />
für Freiheit, Freundschaft und Gerechtigkeit,<br />
frei nach dem Leitgedanken: Nur gemeinsam<br />
ist man stark, nur in der Gemeinschaft lässt<br />
sich das Böse überwinden.<br />
Bereits vor zwei Jahren konnte „Brundibár“<br />
mit dem Kasseler Theater-Jugendorchester<br />
einen Riesenerfolg feiern. Nun kommt die bezaubernd<br />
kindgerechte, humorvolle Inszenierung<br />
von Franziska Schumacher mit neuer<br />
Besetzung und neuem TJO wieder zur Aufführung,<br />
geeignet auch schon für Grundschulkinder.<br />
Allen Vorstellungen vorangestellt<br />
wird das eigens hierfür komponierte<br />
neue Stück „Children of Terezín – Die Kinder<br />
von Terezín“ von Larissa Kofman. Es spielen<br />
und singen Mitglieder des CANTAMUS-Chores,<br />
des Kinder- und Jugendchores am Staatstheater<br />
Kassel, begleitet vom Theater-<br />
Jugendorchester (TJO) <strong>2019</strong>. Das Bühnenbild<br />
stammt von Sibylle Pfeiffer. Die musikalische<br />
Leitung hat Maria Radzikhovskiy. Premiere ist<br />
am Sonnabend, 15. Juni, um 19.30 Uhr im<br />
Schauspielhaus des Staatstheaters Kassel.<br />
■ Nikolaus Hansmann<br />
Weitere Aufführungstermine: Sonnabend,<br />
22. Juni, um 18 Uhr (eventuell<br />
Restkarten an der Abendkasse), Sonntag,<br />
23. Juni, um 16 Uhr, Montag, 24.<br />
Juni, um 11 Uhr (eventuell Restkarten an<br />
der Tageskasse), Dienstag, 25. Juni, um<br />
11 Uhr sowie zum letzten Mal am Donnerstag,<br />
27. Juni, um 19.30 Uhr.<br />
Karten online unter<br />
www.staatstheater-kassel.de oder unter<br />
Telefon 0561-1094-222.