Lebenslust Goettingen Sommer 2019
D A S M A G A Z I N F Ü R K U N S T & K U LT U R , S H O P P I N G , G E N U S S U N D M E H R
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lebenslust:gö KULTUR 45<br />
Der LogenPlatz<br />
Der Autor ist weder Germanist, noch gelernter Schauspieler<br />
oder gar Theaterkritiker, sondern einfach Jurist.<br />
Seine Überlegungen zu den Göttinger Theateraufführungen,<br />
die wir an dieser Stelle regelmäßig veröffentlichen, verstehen<br />
sich daher nicht als Expertise. Es handelt sich vielmehr um die<br />
persönlichen Eindrücke eines „ganz normalen Zuschauers“.<br />
❜❜<br />
Ich ging ins Blut<br />
❛❛<br />
Mit einer stark modifizierten Fassung von Shakespeares Macbeth hinterfragt<br />
Regisseur Christoph Mehler auf ironisierende Weise das Verhältnis des Menschen zur Macht und deren<br />
korrumpierende Wirkung. Die Inszenierung beeindruckt mit kraftvollen Bildern, einem genialen<br />
Licht- und Schattenspiel sowie vor allen Dingen mit einer fantastischen Leistung des Ensembles.<br />
Die ansonsten schmucklose Bühne wird<br />
beherrscht von einem blutroten Tuch,<br />
das, zuweilen zu riesigen Luftblasen<br />
aufgebläht, den Schauspielern als Requisite<br />
für Versteckspiel und Mordintrigen dient und<br />
gleichzeitig den hohlen Kern autoritärer Herrschaftssysteme<br />
symbolisiert. Vor diesem Hintergrund<br />
wirbeln die sechs Darsteller über<br />
die Bretter, mal clownesk überzeichnet ausgestattet<br />
mit zeitgenössischen Halskrausen<br />
oder wallend weißen Mähnen, mal im Stile<br />
eines Stagemanagers im Businessanzug und<br />
auch allzu häufig ganz ohne Verhüllung. Sicher,<br />
das Shakespeare’sche Theater war derb<br />
und wenn entblößte Geschlechtsteile überhaupt<br />
auf die Bühne gehören, dann hier. Ein<br />
wenig mehr Stoff an der einen oder anderen<br />
Stelle hätte die Aussage dieses Theaterabends<br />
jedoch sicherlich nicht verwässert.<br />
Doch zieht sich auch bei diesem Aspekt das<br />
Stilmittel der Übertreibung wie ein roter<br />
Faden durch den Abend. Sei es die Darstellung<br />
des Banquo durch Gabriel von Berlepsch,<br />
der wie ein liebestoller Primaner im<br />
Ecstasy-Rausch über Bühne und Zuschauerraum<br />
fegt, seien es die drei lüsternen Hexen,<br />
die kreidebleich angemalt ihre Prophezeiung<br />
zur Orgie geraten lassen oder sei es die mit<br />
strähnigem Haarschopf und Halbglatze ausstaffierte<br />
Lady Macbeth (Judith Strößenreuter),<br />
deren dämonische Ausstrahlung den<br />
Zuschauern Gänsehaut über den Körper jagt;<br />
in Mehlers Inszenierung ist alles gewaltig und<br />
vieles sarkastisch übersteuert.<br />
Passend dazu stehen die Darsteller auch zuweilen<br />
spöttisch lächelnd am Bühnenrand<br />
oder gehen ihren blutigen Geschäften mit<br />
knallroten Clownsnasen nach. Ist das testosteronstrotzende<br />
Streben des Menschen<br />
Volker Muthmann, Judith Strößenreuter,<br />
Christoph Türkay, Florian Donath<br />
Judith Strößenreuter, Volker Muthmann<br />
Daniel Mühe, Gabriel von Berlepsch<br />
Fotos: Thomas Müller<br />
nach Macht noch ernst zu nehmen und in<br />
welche Abgründe führt uns die Versuchung,<br />
die die Herrschaft über andere mit sich<br />
bringt? Diese Frage stellt das Treiben der Akteure<br />
auf der Bühne dem Publikum und be-<br />
antwortet sie gleichzeitig durch das Schicksal<br />
des brillant in Szene gesetzten Königspaars<br />
Macbeth.<br />
Mit herausragender Schauspielkunst verkörpert<br />
Judith Strößenreuter ihre Lady Macbeth<br />
als exaltierten Dämon, getrieben von Ehrgeiz<br />
und Machtgier. Das skrupellos Berechnende<br />
und die eiskalte Entschlossenheit, die Strößenreuter<br />
ihrer Figur einhaucht, trifft fast beängstigend<br />
ins Mark. Es ist ihr Gift, das die<br />
von den Hexen ausgebrachte Saat erst<br />
Früchte tragen und ihren Mann zum Königsmörder<br />
werden lässt. Mit tiefschwarz geschminkten<br />
Augen, roter Fusselmähne und<br />
im Outfit eines abgehalfterten Heavy Metal<br />
Rockers bringt Volker Muthmann diesen<br />
Macbeth als Getriebenen auf die Bühne, dem<br />
mit zunehmendem Aufstieg Gewissen und<br />
Anstand verloren gehen.<br />
In ihrem kongenialen Zusammenwirken und<br />
umrahmt von den ebenfalls überzeugenden,<br />
jeweils mehrere Rollen einnehmenden Nebendarstellern,<br />
fesseln Strößenreuter und<br />
Muthmann das Publikum und bringen Mehlers<br />
Botschaft punktgenau an den Mann.<br />
Dass dabei die charakterliche Entwicklung<br />
der einzelnen Figuren von Ehrgeiz zu Wahnsinn<br />
und vom Held zum Diktator etwas zu<br />
kurz kommt, liegt in der Blickrichtung des Regisseurs<br />
begründet und ist – schließt man<br />
sich dieser Interpretation an – durchaus vertretbar.<br />
Was bleibt ist ein temporeicher Theaterabend,<br />
eine interessante Interpretation,<br />
große Schauspielkunst und viele Szenen, die<br />
William Shakespeare sicherlich gefallen hätten.<br />
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