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Leseprobe CONNEXI Diabetes und Adipositas Ausgabe 4-2019

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<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong><br />

4-<strong>2019</strong>


EDITORIAL<br />

Sehr geehrte Leserinnen <strong>und</strong> Leser,<br />

<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> − diese beiden eng verb<strong>und</strong>enen<br />

Erkrankungen betreffen einen großen<br />

Teil der Bevölkerung in Deutschland. Oft bedingt<br />

das eine das andere, es gibt viele Überschneidungen<br />

sowohl in der Versorgung <strong>und</strong> Schulung der<br />

Patienten als auch in der Gr<strong>und</strong>lagenforschung,<br />

Prävention <strong>und</strong> Behandlung. Nicht zufällig veranstalten<br />

DAG <strong>und</strong> DDG gemeinsame Tagungen, um<br />

Synergien zu nutzen.<br />

In dieser connexi-<strong>Ausgabe</strong> zeigt der Beitrag von<br />

Nina Meyer, Stefan Kabisch <strong>und</strong> Andreas Pfeiffer,<br />

dass eine deutliche <strong>und</strong> nachhaltige Gewichtsabnahme<br />

bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern<br />

mit einer Remission des <strong>Diabetes</strong> einhergehen<br />

kann <strong>und</strong> dass man so auch in der Therapie „zwei<br />

Fliegen mit einer Klappe schlagen“ kann.<br />

Außerdem finden Sie in dieser <strong>Ausgabe</strong> spannende<br />

neue Aspekte zum Thema Bewegung <strong>und</strong> Energiebilanz.<br />

Diesem Thema widmen sich Christiane Graf<br />

<strong>und</strong> Franziska Büsing.<br />

Jennifer Schmidt berichtet über Verfahren der Neuromodulation,<br />

die insbesondere bei stark übergewichtigen<br />

Patienten den Abnehmerfolg verbessern<br />

könnten – die Studien sind derzeit noch im Fluss.<br />

Aber wie Sie als Hausärzte, Internisten <strong>und</strong> Diabetologen<br />

aus Ihrer täglichen Praxis wissen: Abnehmen<br />

kann bei entsprechender Motivation <strong>und</strong><br />

Disziplin zwar gelingen, aber das damit erreichte<br />

Gewicht dauerhaft zu halten ist unendlich schwer.<br />

Deshalb reicht eine Lebensstilveränderung bei<br />

den meisten Patienten nicht aus, um den <strong>Diabetes</strong><br />

erfolgreich zu behandeln. Ohne Medikamente<br />

geht es nur selten. Glücklicherweise hat sich in<br />

diesem Bereich in den letzten Jahren viel getan.<br />

Neue Antidiabetika können erstmals nachweislich<br />

nicht nur den Blutzucker senken, sondern tatsächlich<br />

die Lebenserwartung erhöhen. Insbesondere<br />

die SGLT2-Hemmer finden derzeit viel Aufmerksamkeit<br />

– die Beiträge von Thomas Danne <strong>und</strong> Gert<br />

Gabriëls beleuchten dies aus unterschiedlichen<br />

Blickwinkeln.<br />

Martin Holder berichtet über den seltenen neonatalen<br />

<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> zeigt, dass eine frühzeitige<br />

Therapie die Stoffwechseleinstellung <strong>und</strong> das neurologische<br />

Outcome verbessern kann.<br />

Arthur Grünerbel schließlich fokussiert das diabetische<br />

Fußsyndrom als eine immer noch sehr häufige<br />

Komplikation bei langjährigem <strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong><br />

signalisiert Handlungsbedarf in der Versorgung.<br />

Mit dieser Gesamtschau verschiedenster Aspekte<br />

hoffen wir, Ihnen einige Anregungen für die Arbeit<br />

mit Ihren Patienten geben zu können.<br />

Wir wünschen Ihnen eine spannende <strong>und</strong> interessante<br />

Lektüre!<br />

Berlin, Mai <strong>2019</strong><br />

Anja Lamprecht<br />

anja.lamprecht@thepaideiagroup.com<br />

Herzlichst Anja Lamprecht<br />

Verlegerin<br />

3


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Editorial 3<br />

Anja Lamprecht<br />

Diabetologie in Deutschland <strong>2019</strong> 6<br />

Agieren ist mindestens genauso wichtig wie<br />

Reagieren<br />

Abschied vom „glykozentrischen Weltbild“ 27<br />

Paradigmenwechsel in der Therapie des<br />

Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />

Seltene <strong>Diabetes</strong>formen 10<br />

Neonataler <strong>Diabetes</strong> – auch für das<br />

Erwachsenenalter relevant<br />

Martin Holder<br />

Diabetisches Fußsyndrom 30<br />

Typische Läsionen beim DFS <strong>und</strong> deren<br />

Vermeidung<br />

Arthur Grünerbel<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong> 14<br />

Medikamentöse Add-on-Behandlung<br />

zusätzlich zu Insulin<br />

Thomas Danne<br />

Typ-2-<strong>Diabetes</strong> bei <strong>Adipositas</strong> 36<br />

<strong>Diabetes</strong>remission, (k)ein Hungerlohn<br />

Nina M. T. Meyer, Stefan Kabisch <strong>und</strong> Andreas F. H. Pfeiffer<br />

Neue Aufmerksamkeit für die Niere 20<br />

Die Niere als Faktor der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />

Gert Gabriëls<br />

4


Prävention <strong>und</strong> Behandlung 41<br />

Die Bedeutung körperlicher Aktivität bei<br />

<strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2<br />

Christine Graf<br />

Lebensstil <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong>risiko 45<br />

Einfluss des Energieumsatzes auf den<br />

Glukosestoffwechsel<br />

Franziska Büsing<br />

Zukunft 52<br />

<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> digitaler Wandel –<br />

Veränderungen in der Therapie<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong> 54<br />

Awareness-Kampagne soll zu neuen<br />

Tests ermutigen<br />

Lebensstil <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> 48<br />

Neuromodulation bei <strong>Adipositas</strong> –<br />

eine Übersicht<br />

Jennifer Schmidt<br />

Biomarker 56<br />

Neuer Marker gibt Einblicke in die Entstehung<br />

des Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />

Impressum/Pro domo 58<br />

5


DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

Agieren ist mindestens genauso wichtig<br />

wie Reagieren<br />

<strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2 ist in Deutschland eine Volkskrankheit – die Zahl der B<strong>und</strong>esbürger mit dieser Erkrankung,<br />

meist mit <strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> weiteren Komorbiditäten des metabolischen Syndroms assoziiert, wächst von<br />

Jahr zu Jahr. Seit nunmehr 55 Jahren setzt sich die Deutsche <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft (DDG) für die Belange<br />

von Millionen Betroffenen sowie der ca. 350.000 Typ-1-Patienten in Deutschland ein. Die Therapien werden<br />

optimiert, DMP-Programme sollen die Versorgung verbessern, es wird intensiv geforscht. Um die steigende<br />

Inzidenz aufzuhalten, müsste jedoch nicht das Ende der Kaskade, die mit unges<strong>und</strong>em Lebensstil beginnt<br />

<strong>und</strong> fatale Folgen hat, im Mittelpunkt aller Anstrengungen stehen. Bei der Prävention gibt es allerdings in<br />

Deutschland noch einiges zu tun.<br />

CONFERENCES<br />

In den 50er-Jahren des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

waren weniger als eine Million B<strong>und</strong>esbürger<br />

an <strong>Diabetes</strong> erkrankt. Aktuell sind fast sieben Millionen<br />

Menschen in Deutschland betroffen. Nach<br />

Berechnungen des Deutschen <strong>Diabetes</strong>-Zentrums<br />

(DDZ) <strong>und</strong> des Robert Koch-Instituts (RKI) werden<br />

es bis zum Jahr 2040 etwa zwölf Millionen Menschen<br />

sein. Woran liegt das? Wie können wir dem<br />

begegnen? Was können wir den Patienten anbieten?<br />

Diesen <strong>und</strong> unzähligen weiteren Fragen zum<br />

<strong>Diabetes</strong> mellitus widmet sich die Deutsche <strong>Diabetes</strong><br />

Gesellschaft (DDG). Sie begeht in diesem Jahr<br />

im Rahmen des <strong>Diabetes</strong> Kongresses <strong>2019</strong> in Berlin<br />

<strong>und</strong> der Herbsttagung am 8. <strong>und</strong> 9. November <strong>2019</strong><br />

in Leipzig ein „Semi“-Jubiläum: das 55. Jahr ihres<br />

Bestehens.<br />

Wir brauchen eine nationale<br />

<strong>Diabetes</strong>-Strategie<br />

Auf der Agenda der heute mehr als 9.000 Mitglieder<br />

zählenden Fachgesellschaft stehen zahlreiche<br />

Aktivitäten, die hier nur unvollständig aufgezählt<br />

werden können: Regelmäßige Erarbeitung <strong>und</strong><br />

Aktualisierung von Leitlinien – die nächste ist<br />

2020 zu erwarten –, ständige Verbesserung der<br />

Aus-, Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung von Diabetologen<br />

<strong>und</strong> vielen an der Diabetikerversorgung beteiligten<br />

Berufsgruppen, Zertifizierungen zur Qualitätssicherung<br />

sowie intensive Forschung u. a. am Deutschen<br />

Zentrum für <strong>Diabetes</strong>forschung (DZD) e.V.<br />

Zudem setzt die DDG für die Zukunft stark auf die<br />

digitale Transformation, um Forschung <strong>und</strong> Therapie<br />

weiter voranzubringen. Digital unterstützte<br />

Versorgungsstrukturen sollen eine flächendeckende<br />

Versorgung von Menschen mit <strong>Diabetes</strong><br />

auf höchstem Niveau erleichtern <strong>und</strong> Folgeerkrankungen<br />

<strong>und</strong> Komplikationen minimieren – <strong>und</strong><br />

damit Kosten. Der flächendeckende Netzausbau<br />

<strong>und</strong> die zügige Umsetzung des E-Health-Gesetzes<br />

dienen Forschungsförderung <strong>und</strong> Versorgung<br />

gleichermaßen. „Der Netzausbau wird uns in die<br />

Lage versetzen, telemedizinische Diagnostik <strong>und</strong><br />

Beratung auch in ländlichen Regionen mit geringerer<br />

Arztdichte anzubieten <strong>und</strong> das für eine verbesserte<br />

Therapie notwendige <strong>Diabetes</strong>-Register<br />

aufzubauen“, so DDG-Präsident Professor Dr. med.<br />

Dirk Müller-Wieland. Das stärke die einheitliche,<br />

flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau.<br />

Nicht zuletzt die engagierte Beteiligung an<br />

ges<strong>und</strong>heitspolitischen Diskussionen, z. B. zu aktuellen<br />

Nutzenbewertungen des IQWiG oder zu Verbesserungen<br />

bei geplanten Gesetzesvorhaben ist<br />

ein wichtiges Anliegen der DDG. Um die Diabetologie<br />

zukunftsfähig zu machen, hat eine Taskforce<br />

Diabetologie 2025 ein Strategiepapier erarbeitet.<br />

„Die steigende Zahl neuer Diagnosen zeigt,<br />

dass die DDG heute wichtiger ist denn je“, betont<br />

Müller-Wieland. „Um die Herausforderungen zu<br />

meistern, brauchen wir eine nationale <strong>Diabetes</strong>-<br />

Strategie auf breiter Basis, für die sich die DDG<br />

auf allen politischen Ebenen einsetzt“, fordert<br />

6


DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. So geht<br />

es beispielsweise um eine bessere sektorenübergreifende<br />

medizinische Versorgung, ein flächendeckendes<br />

Versorgungsnetz durch niedergelassene<br />

Haus- <strong>und</strong> Fachärztinnen <strong>und</strong> -ärzte, sowie ein<br />

deutschlandweites <strong>Diabetes</strong>register. „Zudem muss<br />

der Beruf der <strong>Diabetes</strong>beraterin <strong>und</strong> -beraters b<strong>und</strong>esweit<br />

einheitlich anerkannt werden“, so Bitzer.<br />

„Ernährungsberatung <strong>und</strong> Bewegung sollten als<br />

feste Therapiebausteine in die Regelversorgung<br />

eingehen“, ergänzt der DDG Präsident.<br />

Fortschritte in der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />

Orale Therapie für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> am Start<br />

Zwar steht angesichts der Inzidenzzahlen <strong>und</strong><br />

des damit zunehmenden Bedarfs zur Behandlung<br />

des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> seiner Folgeerkrankungen<br />

der Typ 2 im Fokus von Forschung <strong>und</strong> Entwicklung,<br />

aber auch für <strong>Diabetes</strong>-Typ-1-Patienten sind<br />

in naher Zukunft neue Entwicklungen verfügbar:<br />

So hat vor kurzem die Europäische Kommission das<br />

erste orale Antidiabetikum als Add-on-Therapie für<br />

den Einsatz bei erwachsenen Patienten mit Typ-1-<br />

Dia betes, deren Blutzuckerspiegel mit Insulin allein<br />

nicht ausreichend gesenkt wird, genehmigt [1]. Mit<br />

dem SGLT2-Hemmer Dapagliflozin (Handelsname<br />

Forxiga, Astra Zeneca) steht nun bald ein orales<br />

Medikament für Patienten zur Verfügung, die bislang<br />

nur auf Insulin angewiesen waren.<br />

Typ 2 – Prävention <strong>und</strong> Lebensstiländerung<br />

vor Therapie<br />

Beim Kampf gegen den Typ-2-<strong>Diabetes</strong> ist es aus<br />

Sicht der DDG entscheidend, die Erkrankung vor<br />

ihrer Entstehung zu vermeiden. Aber in Bezug auf<br />

Prävention <strong>und</strong> Entscheidungsfreude zur Gestaltung<br />

gesünderer Lebenswelten gibt es in Deutschland<br />

sowohl individuell bei jedem einzelnen als<br />

auch gesellschaftspolitisch noch Defizite. Und<br />

so sind es auch <strong>und</strong> vor allem die behandelnden<br />

Ärzte, die medizinische Forschung <strong>und</strong> die Pharmaindustrie,<br />

die zurzeit immer noch auf den steigenden<br />

Dia betes-Typ-2-Versorgungsbedarf reagieren<br />

müssen, um die Patienten optimal <strong>und</strong> möglichst<br />

individuell zu versorgen. Zuerst mit Motivation zur<br />

Lebensstiländerung in Bezug auf Ernährung <strong>und</strong><br />

Bewegung – meistens schwerer getan als gesagt<br />

– danach mit zahlreichen medikamentösen Therapiestrategien,<br />

deren Spektrum immer breiter wird.<br />

Bereits auf der DDG-Herbsttagung konstatierte<br />

Prof. Dr. Jens Aberle, Hamburg: „Nach Etablierung<br />

neuer Substanzklassen wie SGLT2-Inhibitoren oder<br />

GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die nicht nur den Blutzucker<br />

senken, sondern auch die kardiovaskuläre<br />

Ereignisrate reduzieren, wird die diabetologische<br />

Behandlung auf ein neues Level gehoben“.<br />

Aktuellste wissenschaftliche Ergebnisse:<br />

DDG-Kongress <strong>2019</strong><br />

Auch die Themen des diesjährigen <strong>Diabetes</strong>-<br />

Kongresses unter dem Motto „<strong>Diabetes</strong> – nicht nur<br />

eine Typ-Frage“ spiegeln die Forschungsergebnisse<br />

<strong>und</strong> Produktentwicklungen eindrucksvoll wider:<br />

„Kommen wir der ,Heilung' (Remission) bei <strong>Diabetes</strong><br />

Typ 2 näher?“, fragt Kongresspräsident Prof. Dr.<br />

Michael Roden, Düsseldorf, <strong>und</strong> gibt den Impuls zu<br />

einer neuen Sichtweise: „Neue Studien unterstellen,<br />

dass man allein mit diätetischen Maßnahmen<br />

den <strong>Diabetes</strong> heilen könnte“. „Wie lange <strong>und</strong> bei<br />

wem?“ sind die offenen Fragen. Weitere Studien<br />

weisen darauf hin, dass die klassische Einteilung<br />

in <strong>Diabetes</strong>typen möglicherweise einer Revision<br />

bedarf. Durch Identifizierung von Subphänotypen<br />

oder Clustern ergeben sich vielleicht neue Möglichkeiten<br />

für eine maßgeschneiderte Therapie,<br />

erklärt Roden. Ein weiterer Schwerpunkt widmet<br />

sich genderbezogenen Aspekten <strong>und</strong> geschlechtssensibel<br />

zu betrachtenden Begleiterkrankungen,<br />

zu denen es ebenfalls aktuelle Forschungsergeb-<br />

CONFERENCES<br />

7


DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

nisse zu diskutieren gibt. Univ.-Prof. Dr. Matthias<br />

Tschöp, München, stellt „Poly-Agonisten – Synthetische<br />

Hormone zur individualisierten Behandlung<br />

bei Typ-2-<strong>Diabetes</strong>“ vor. Bei diesem neuen Therapieansatz,<br />

der auf die Kombination verschiedener<br />

Rezeptoragonisten in einem Peptid setzt, werden<br />

unimolekulare Peptidmoleküle synthetisiert, die<br />

bis zu drei Rezeptoren mit vergleichbarer Affinität<br />

aktivieren. In der präklinischen Forschung zeichneten<br />

sich hierbei günstige Effekte bezüglich einer<br />

Senkung des Körpergewichts <strong>und</strong> des Blutzuckerspiegels<br />

ab [2].<br />

Zu wenig gesellschaftspolitischer<br />

Konsens<br />

In der <strong>Diabetes</strong>therapie ist viel „Bewegung“.<br />

Die Präventions-, Aufklärungs- bzw. Motivationserfolge<br />

<strong>und</strong> gesetzgeberischen Maßnahmen resp.<br />

der ges<strong>und</strong>heitsfördernde Einfluss der politisch<br />

Verantwortlichen auf die Lebensmittel- <strong>und</strong> Landwirtschaft<br />

sind dagegen eher mäßig. Die Förderung<br />

von Aufklärungsfilmen <strong>und</strong> -kampagnen,<br />

Daten erhebungen sowie die Verkündung, dass man<br />

sich im Koalitionsvertrag 2018 verpflichtet habe,<br />

gezielt Volkskrankheiten zu bekämpfen, <strong>Diabetes</strong><br />

ganz oben auf der politischen Agenda stehe <strong>und</strong><br />

dass eine Nationale <strong>Diabetes</strong>strategie 2030 jetzt<br />

zügig <strong>und</strong> patienten orientiert umzusetzen sei,<br />

reicht nicht aus. „Wir fordern seit Jahren eine wirkungsvolle<br />

Verhältnisprävention, die es den Menschen<br />

erleichtert, gesünder zu leben“, so Barbara<br />

Bitzer. Dazu zählen ges<strong>und</strong>heitsfördernde Steueranpassungen,<br />

also eine Steuer entlastung ges<strong>und</strong>er<br />

Lebensmittel bei gleichzeitig erhöhter Steuer auf<br />

hochkalorische Produkte. Als dringend notwendig<br />

erachtet die DDG eine transparente Lebensmittelkennzeichnung.<br />

Zudem sollten ein Verbot von<br />

Werbung für unges<strong>und</strong>e Lebensmittel, die sich an<br />

Kinder richtet, verbindliche Standards für die Verpflegung<br />

in Kitas <strong>und</strong> Schulen sowie eine tägliche<br />

verpflichtende St<strong>und</strong>e Bewegung etabliert werden.<br />

Die Realität sieht anders aus.<br />

So profiliert sich, obwohl die Lebensmittelindustrie<br />

eigentlich Teil der Lösung sein sollte, der Spitzenverband<br />

der deutschen Lebensmittelwirtschaft BLL<br />

(B<strong>und</strong> für Lebensmittelrecht <strong>und</strong> Lebensmittelk<strong>und</strong>e<br />

e. V.) eher als Verhinderer vieler wissenschaftlich<br />

empfohlener Maßnahmen zur Eindämmung von<br />

Übergewicht durch ges<strong>und</strong>e Ernährung. Dies wurde<br />

zuletzt deutlich bei der Diskussion um den Nutri-<br />

Score, der nicht vom BLL unterstützt wird.<br />

CONFERENCES<br />

8


DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />

Das Urteil des Landgerichts Hamburg, nach dem<br />

die Verwendung der Lebensmittelkennzeichnung<br />

„Nutri-Score“ in Deutschland wettbewerbsrechtlich<br />

nicht zulässig ist, „zeigt, dass die deutsche Politik<br />

die Entwicklung im Lebensmittelmarkt verschlafen<br />

hat. Verbraucher <strong>und</strong> Hersteller wünschen sich eine<br />

klarere Nährwertkennzeichnung, wie sie durch den<br />

wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Nutri-Score gewährleistet<br />

ist. Innovative Hersteller dürfen diesen aber<br />

in Deutschland nicht verwenden, auch weil das<br />

Ernährungsministerium sich weigert, den Nutri-<br />

Score einzuführen – vermutlich aus Rücksicht auf<br />

die Hersteller unges<strong>und</strong>er Produkte. Stattdessen<br />

hat Frau Klöckner nun angekündigt, ein ganz neues<br />

Kennzeichnungssystem entwickeln zu wollen… Wir<br />

fordern Frau Klöckner auf, wie im Koalitionsvertrag<br />

angekündigt, noch in diesem Sommer eine neue<br />

Kennzeichnung für Deutschland vorzulegen. Aufgr<strong>und</strong><br />

des Berichts des Max-Rubner-Instituts kann<br />

dies nur der Nutri-Score sein. Frau Klöckner muss<br />

den notwendigen Rahmen schaffen, damit Hersteller<br />

ihren K<strong>und</strong>en diesen Mehrwert bieten können“,<br />

kommentiert Barbara Bitzer, Sprecherin der<br />

Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten<br />

(DANK) – ein Bündnis von 22 großen wissenschaftlich-medizinischen<br />

Fachgesellschaften, Verbänden<br />

<strong>und</strong> Forschungseinrichtungen.<br />

Auch angesichts solcher politischen Entwicklungen<br />

treibt die DDG ihr Engagement gemeinsam mit<br />

diabetesDE <strong>und</strong> DANK voran.<br />

Positionspapier zur nationalen<br />

Strategie – die Zeit drängt<br />

CDU/CSU <strong>und</strong> SPD haben im Koalitionsvertrag<br />

2018 eine Nationale <strong>Diabetes</strong>strategie beschlossen,<br />

um die Volkskrankheit gezielt zu bekämpfen.<br />

Bis heute sind jedoch sowohl die Inhalte als auch<br />

die politische Umsetzung unklar − dabei drängt die<br />

Zeit: Wie aus dem B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsministerium<br />

verlautet, soll die Strategie bis Jahresende <strong>2019</strong><br />

stehen. Deutsche <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft (DDG),<br />

diabetesDE – Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Hilfe – <strong>und</strong> der<br />

Verband der <strong>Diabetes</strong>-Beratungs- <strong>und</strong> Schulungsberufe<br />

in Deutschland e.V. (VDBD) haben sich jetzt<br />

proaktiv auf ein Positionspapier geeinigt, das den<br />

Handlungsbedarf detailliert darlegt. Mit diesem<br />

Papier stellen wir sicher, dass politische Entscheider<br />

auf allen Ebenen den Bedarf aus Sicht der <strong>Diabetes</strong>behandler<br />

<strong>und</strong> -patienten kennen <strong>und</strong> mithilfe<br />

der geplanten Strategie implementieren können“,<br />

erläutert Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von<br />

diabetesDE – Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Hilfe.<br />

Nach dem Willen der <strong>Diabetes</strong>experten <strong>und</strong><br />

‐pa tienten bedarf es eines nationalen Rahmenplans,<br />

wenn die Umsetzung auf Länderebene erfolgen<br />

sollte – nur so könne einem Flickenteppich unterschiedlicher<br />

Versorgungsqualitäten vorgebeugt<br />

werden. Ein Steuerungsgremium sollte medizinische<br />

Fach- <strong>und</strong> Patientenkompetenz einbeziehen,<br />

die B<strong>und</strong>-Länder-Koordinierung sicherstellen, klare<br />

Zuständigkeiten benennen <strong>und</strong> für eine entsprechende<br />

Budgetierung sorgen, so das Positionspapier.<br />

Es gibt also noch viel zu tun in der deutschen<br />

Diabetologie. Bleibt zu hoffen, dass in fünf Jahren,<br />

zum 60-jährigen Jubiläum der Deutschen <strong>Diabetes</strong>gesellschaft<br />

von einem Rückgang der Inzidenz<br />

des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> in Deutschland zu berichten<br />

sein wird. Dafür müssen sich alle im doppelten<br />

Wortsinn bewegen.<br />

Elke Klug, Redaktion<br />

Quellen:<br />

1. https://arznei-news.de/dapagliflozin/#news<br />

2. Götz A et al. Der Diabetologe 13(7): 505-513 (2017)<br />

3. Pressematerial DDG April <strong>und</strong> Mai <strong>2019</strong>, https://www.<br />

deutsche-diabetes-gesellschaft.de/presse/ddg-pressemeldungen.html<br />

4. Presseinformationen DDG Herbsttagung 2018<br />

5. https://www.diabetologie-online.de/a/urteil-zum-nutriscore-innovative-lebensmittelhersteller-werden-auchdurch-ministerin-kloeckner-ausgebremst-1994564<br />

CONFERENCES<br />

9


SELTENE DIABETESFORMEN<br />

Neonataler <strong>Diabetes</strong> – auch für das<br />

Erwachsenenalter relevant<br />

Martin Holder, Stuttgart<br />

Tritt bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen ein <strong>Diabetes</strong> auf, so handelt es sich in den allermeisten Fällen um einen<br />

insulinpflichtigen Typ-1-<strong>Diabetes</strong>. Erfreulicherweise kommt es bisher nur bei 1–3 % zu einem Typ-2-<strong>Diabetes</strong>.<br />

Ungefähr gleich häufig treten monogene <strong>Diabetes</strong>formen als Ursachen auf. Dabei unterscheiden wir<br />

zwischen Defekten der Betazellfunktion sowie der Betazellaktion. Bei den Defekten der Betazellfunktion<br />

handelt es sich um den neonatalen <strong>Diabetes</strong>, MODY <strong>und</strong> den mitochondrialen <strong>Diabetes</strong> mellitus (siehe<br />

Abbildung 1) [1].<br />

CONFERENCES<br />

Die Inzidenz des neonatalen <strong>Diabetes</strong> beträgt ca.<br />

1:90.000 bis 1:260.000. Klinisch wird die Erkrankung<br />

definiert durch eine persistierende Hyperglykämie<br />

über zwei Wochen in den ersten sechs<br />

Lebensmonaten, in der Regel mit Insulinpflichtigkeit.<br />

Betroffene Kleinkinder sind häufig Small for<br />

Gestational Age (SGA), d. h. sie sind für ihr Alter<br />

zu klein <strong>und</strong> zu leicht. Bedingt ist dies durch eine<br />

reduzierte Insulinsekretion im Fetus. Weitere klinische<br />

Auffälligkeiten sind ein Gewichtsverlust,<br />

Volumenmangel, die deutliche Hyperglykämie<br />

sowie eine Glukosurie mit oder ohne Ketonbildung<br />

bzw. Ketoazidose. Es gibt transiente, also vorübergehende<br />

bzw. permanente Verlaufsformen.<br />

10


SELTENE DIABETESFORMEN<br />

T1D<br />

96–99 %<br />

T2D<br />

0–3 %<br />

Monogener <strong>Diabetes</strong><br />

1–4 %<br />

Defekte der Betazellfunktion<br />

Neonataler DM MODY Mitochondrialer<br />

DM<br />

Defekte der Betazellaktion<br />

Monogenes<br />

Insulinresistenzsyndrom<br />

TNDM<br />

PNDM<br />

Abbildung 1: Übersicht über <strong>Diabetes</strong>erkrankungen bei jungen Menschen (modifiziert nach [1])<br />

Klinische Parameter des neonatalen<br />

<strong>Diabetes</strong><br />

••<br />

Persistierende Hyperglykämie > zwei Wochen in<br />

den ersten sechs Lebensmonaten<br />

••<br />

Small for Gestational Age (SGA)<br />

••<br />

Transient/Permanent<br />

Ursachen des neonatalen <strong>Diabetes</strong><br />

Die Ursachen für einen neonatalen <strong>Diabetes</strong> sind<br />

sehr heterogen. Deshalb wird auch von einigen<br />

Autoren aufgr<strong>und</strong> der genetischen Bef<strong>und</strong>e eine<br />

neue Klassifikation gefordert [2]. Am häufigsten<br />

tritt ein neonataler <strong>Diabetes</strong> aufgr<strong>und</strong> einer uniparentalen<br />

paternalen Disomie auf dem langen<br />

Arm des Chromosoms 6 (6q24) auf. Dabei stammen<br />

beide Chromosomen eines homologen Chromosomenpaares<br />

von einem Elternteil, in diesem Fall vom<br />

Vater. Diese Form des neonatalen <strong>Diabetes</strong> verläuft<br />

immer transient. Typische klinische Symptome<br />

sind bei Manifestation eine schwere intrauterine<br />

Wachstumsretardierung <strong>und</strong> frühe Hyperglykämien,<br />

teilweise ab den ersten Lebenstagen. In ca.<br />

einem Drittel der Fälle kann zusätzlich eine Makroglossie<br />

<strong>und</strong> selten eine Nabelhernie auftreten.<br />

Diese transienten Fälle eines neonatalen <strong>Diabetes</strong><br />

haben eine hohe <strong>Diabetes</strong>rezidivrate von 50–60 %,<br />

meistens um die Pubertät herum, aber auch noch<br />

im Erwachsenenalter.<br />

Ca. 40 % der Kinder mit einem neonatalen<br />

<strong>Diabetes</strong> haben aktivierende Mutationen in den<br />

ATP-sensitiven K + -Kanälen der Betazelle (KCNJ11<br />

à Kir6.2, ABCC8 à SUR), die zu einem permanenten<br />

<strong>Diabetes</strong> führen (Abbildung 2) [3]. Neben<br />

dem <strong>Diabetes</strong> können betroffene Kinder eine psychomotorische<br />

Retardierung, Muskelhypotonie<br />

<strong>und</strong> Epilepsie entwickeln. Ganz selten kann eine<br />

Pankreasagenesie oder -hypoplasie zu einem neonatalen<br />

<strong>Diabetes</strong> führen.<br />

Therapie<br />

Bahnbrechend in der Therapie der Kinder mit<br />

einem neonatalen <strong>Diabetes</strong> war die Entdeckung<br />

im Jahre 2006, dass ca. 90 % der Patienten mit<br />

CONFERENCES<br />

11


SELTENE DIABETESFORMEN<br />

KIR6.2<br />

SUR1<br />

Sulfonylharnstoffe<br />

GLUT2<br />

Glukose-<br />

Transporter<br />

Glukose<br />

K ATP<br />

Kanal<br />

Glukose-6-<br />

Phosphat<br />

Glukokinase<br />

Ca 2+<br />

Membrandepolarisation<br />

K +<br />

ATP-Erhöhung<br />

Mg-ADP-Verminderung<br />

Erhöhung des<br />

intrazellulären<br />

Ca 2+<br />

Spannungsabhängiger<br />

Ca 2+ -Kanal<br />

(L-Typ)<br />

Insulin<br />

Metabolismus<br />

Betazelle<br />

Abbildung 2: Darstellung der ATP-sensitiven K + -Kanälen bei der Insulin-Sekretion in der Betazelle [3].<br />

CONFERENCES<br />

aktivierenden Mutationen in den ATP-sensitiven<br />

K + -Kanälen von Insulin auf Sulfonylharnstoffe<br />

(SU) umgestellt werden können [4]. Durch die<br />

SU-Gabe können die veränderten, mutierten <strong>und</strong><br />

dadurch funktionslosen ATP-sensitiven K + -Kanäle<br />

wieder geschlossen werden. Dies führt zu einer<br />

Membrandepolarisation <strong>und</strong> Calcium-Einstrom<br />

in die Betazelle, welche dann entsprechend dem<br />

aktuellen Glukosewert wieder Insulin sezernieren<br />

kann. Die Arbeitsgruppe stellte fest, dass der<br />

Transfer von Insulin zu SU die Stoffwechseleinstellung<br />

ohne erhöhtes Risiko von Hypoglykämien<br />

verbessert. Gleichzeitig können SU die Blut-Hirn-<br />

Schranke passieren <strong>und</strong> die neurologische Symptomatik<br />

der betroffenen Kinder verbessern. Diese<br />

hochdosierte SU-Therapie wird sehr gut von den<br />

Kindern vertragen, sie ist sicher <strong>und</strong> im Langzeitverlauf<br />

sehr effektiv: Nach zehn Jahren sind von<br />

den untersuchten Patienten in einer internationalen<br />

Kohortenstudie 93 % insulinfrei [5].<br />

In unserer Klinik behandeln wir die Kinder mit<br />

neonatalem <strong>Diabetes</strong> unter stationären Bedingungen<br />

direkt mit SU in rasch ansteigender Dosis, um<br />

möglichst eine Insulintherapie zu vermeiden. Dies<br />

12


SELTENE DIABETESFORMEN<br />

wird dadurch ermöglicht, dass wir in der Regel<br />

innerhalb von zwei Wochen das Ergebnis des genetischen<br />

Bef<strong>und</strong>es erhalten. Wichtig ist, dass die Kinder<br />

unter SU-Therapie keine Ketoazidose entwickeln,<br />

ausreichend trinken <strong>und</strong> kein Gewicht abnehmen.<br />

Sind die Kinder klinisch unter hochdosierter SU-<br />

Therapie nicht stabil <strong>und</strong> sprechen trotz nachgewiesener<br />

Mutation in einem ATP-sensitiven K + -Kanal<br />

auf die SU-Gaben nicht an, müssen sie mit Insulin<br />

behandelt werden, in der Regel mit einer Insulinpumpentherapie.<br />

Außerdem hat sich gezeigt, dass<br />

eine SU-Therapie von Manifestation an die neurologische<br />

<strong>und</strong> psychomotorische Funktion dieser Kinder<br />

deutlich verbessern kann [6]. SU-Rezeptoren sind im<br />

Gehirn <strong>und</strong> im Muskel weit verteilt. Untersuchungen<br />

12–18 Monate nach Umstellung auf eine SU-<br />

Therapie haben gezeigt, dass es durch die Gaben von<br />

SU zu einer Verbesserung der motorischen Koordination,<br />

besonders bei jungen Kindern kommen kann.<br />

Außerdem sind Effekte auf die Funktionen spezifischer<br />

Hirnareale wie Kleinhirn <strong>und</strong> Thalamus, z. B.<br />

Klang, Gebärden, räumliche Integration, Lateralisation<br />

<strong>und</strong> visuelle Konstruktion nachzuweisen [6].<br />

Fazit<br />

Tritt bei Kindern im Alter unter sechs Monate<br />

ein <strong>Diabetes</strong> auf, ist ein monogener <strong>Diabetes</strong> als<br />

Ursache sehr wahrscheinlich. Eine frühe Diagnosestellung<br />

verbessert die Therapie <strong>und</strong> hilft, das<br />

weitere Vorgehen besser zu planen. Ca. 50 % der<br />

Kinder mit einem neonatalen <strong>Diabetes</strong> haben einen<br />

transienten Verlauf. Die <strong>Diabetes</strong>rezidivrate dieser<br />

Kinder liegt bei ca. 50–60 %. Zirka 40 % der Kinder<br />

mit einem neonatalen <strong>Diabetes</strong> haben aktivierende<br />

Mutationen in den ATP-abhängigen K + -Kanälen,<br />

die zu einem permanenten <strong>Diabetes</strong> führen. Eine<br />

frühzeitige Therapie dieser Kinder mit Sulfonylharnstoffen<br />

kann die Stoffwechseleinstellung <strong>und</strong><br />

das neurologische Outcome verbessern.<br />

Referenzen:<br />

1. Forst T. <strong>Diabetes</strong>-R<strong>und</strong>umblick: Epidemiologie, MODY-<br />

<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> Interpretation von CGM-/FGM-Daten. <strong>Diabetes</strong>-Congress-Report<br />

3/2018;12–18<br />

2. Murphy R, Ellard S, Hattersley AT. Clinical implications of<br />

a molecular genetic classification of monogenic -cell diabetes.<br />

Nature Clinical Practice Endocrinology Metabolism<br />

2008;200–213<br />

3. Gloyn AL, Pearson ER, Antcliff JF et al. Activating mutations<br />

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channel subunit Kir6.2 and permanent neonatal <strong>Diabetes</strong>.<br />

NEJM 2004;350:1838–1849<br />

4. Pearson ER, Flechtner I, Njolstad PR et al. Switching from<br />

Insulin to oral Sulfonylureas in patients with diabetes due<br />

to Kir6.2 mutations. NEJM 2006;355:467 –477<br />

5. Bowman P, Sulen A, Barbetti F et al. Effectiveness and<br />

safety of long-term treatment with sulfonylureas in patients<br />

with neonatal diabetes due to KCNJ11 mutations: an<br />

international cohort study. Lancet <strong>Diabetes</strong> Endocrinol<br />

2018;637–46<br />

6. Beltrand J, Elie C, Busiah K et al. Sulfoylurea therapy benefits<br />

neurological and psychomotor functions in patients<br />

with neonatal diabetes owing potassium channel mutations.<br />

<strong>Diabetes</strong> Care 2015;2033–2041<br />

Dr. Martin Holder<br />

Klinikum Stuttgart, Olgahospital<br />

Kriegsbergstr. 62, 70174 Stuttgart<br />

Dr. Martin Holder<br />

M.Holder@klinikum-stuttgart.de<br />

CONFERENCES<br />

13


TYP-1-DIABETES<br />

Medikamentöse Add-on-Behandlung<br />

zusätzlich zu Insulin<br />

Thomas Danne, Hannover<br />

empagliflozin<br />

canagliflozin<br />

dapagliflozin<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong> zeichnet sich durch einen absoluten Insulinmangel aus, der durch Autoimmunzerstörung von<br />

-Zellen verursacht wird [1]. Seit 1922 ist Insulin die einzige zugelassene Therapie bei der Behandlung von<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong>. Im Laufe der Jahre haben Verbesserungen des Insulins (z. B. rekombinante Formulierungen<br />

gegenüber Schweine- oder Rinderinsulin) in Verbindung mit Blutzuckerselbstkontrolle, <strong>Diabetes</strong>schulung<br />

<strong>und</strong> einer intensivierten Insulintherapie zu einer Verringerung der mikrovaskulären Langzeitkomplikationen<br />

mit verbesserter Prognose geführt [2, 3]. Das Risiko für frühzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist jedoch<br />

weiterhin erheblich erhöht [4]. Dabei erreichen auch in Deutschland immer noch über die Hälfte besonders<br />

der jüngeren Patienten nicht die Therapieziele <strong>und</strong> sind zudem durch Nebenwirkungen der Insulintherapie<br />

wie Hypoglykämien <strong>und</strong> Entwicklung von Übergewicht bedroht [3]. Es besteht also trotz aller Fortschritte<br />

weiterhin ein großer Bedarf an Therapieverbesserung beim Typ-1-<strong>Diabetes</strong>.<br />

CONFERENCES<br />

Wirkung der SGLT-Hemmer auch bei<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />

Bislang war die Substanzgruppe der sogenannten<br />

SGLT2-Hemmer (z. B. Canagliflozin (Invokana®,<br />

Dapagliflozin (Forxiga®) oder Empagliflozin<br />

(Jardiance ®) zur Behandlung eines Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />

zugelassen. Dies sind blutzuckersenkende Wirkstoffe,<br />

die zu einer verstärkten Ausscheidung der<br />

Glukose über den Harn führen. Ihre Wirkungen sind<br />

im Unterschied zu anderen Antidiabetika von Insulin<br />

unabhängig. Die Effekte beruhen auf der Hemmung<br />

des Natrium-Glukose-Cotransporters 2 (SGLT2) an<br />

der Niere, welcher für die Wiederaufnahme der<br />

14


TYP-1-DIABETES<br />

Niere<br />

Lumen des<br />

proximalen<br />

Tubulus<br />

Glukose<br />

Intestinales<br />

Lumen<br />

Dünndarm<br />

SGLT2<br />

SGLT1<br />

Blut<br />

Blut<br />

SGLT2-Hemmung reduziert Glukose-Reabsorption <strong>und</strong> senkt damit<br />

Blutglukose<br />

SGLT1-Hemmung verzögert Glukose-Absorption <strong>und</strong> reduziert<br />

postprandiale Glukose (PPG) Exkursionen<br />

Abbildung 1: Effekte einer SGLT-Hemmung bei <strong>Diabetes</strong><br />

Glukose aus dem Harn in den Blutkreislauf verantwortlich<br />

ist. Schon seit Längerem wurde darüber<br />

nachgedacht, SGLT2-Hemmer auch bei Menschen<br />

mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> einzusetzen. Während SGLT2<br />

wie bei den für Typ-2-Dia betes zugelassenen<br />

Me dikamenten für die Glukosereabsorption durch<br />

die Niere zuständig ist, hemmt Sotagliflozin lokal<br />

auch SGLT1, welches dort für die Glukoseabsorption<br />

im Magen-Darm-Trakt verantwortlich ist. Da beim<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong> besonders auch die Blutzuckeranstiege<br />

nach dem Essen schwierig zu behandeln<br />

sind, könnte sich ein dualer SGLT1- <strong>und</strong> SGLT2-<br />

Hemmer bei dieser Patientengruppe besonders eignen.<br />

Schließlich ist SGLT1 ein wichtiger Transporter<br />

für die Absorption von Glukose <strong>und</strong> Galactose im<br />

Magendarmtrakt, <strong>und</strong> eine langsamere Zuckeraufnahme<br />

im Darm könnte einen besseren Blutzuckerverlauf<br />

bewirken (Abbildung 1) [5, 6].<br />

Eine Tablette zusätzlich zum Insulin<br />

beim Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ?<br />

Bereits 2017 hatten die ersten Forschungsergebnisse<br />

bei Erwachsenen für Aufsehen gesorgt.<br />

Inzwischen liegen vergleichbare Studienergebnisse<br />

für drei Substanzen vor (Tabelle) [7–12]. Mitte<br />

Februar <strong>2019</strong> titelte die europäische Zulassungsbehörde<br />

EMA in ihrer Presseerklärung: „Erste orale<br />

Zusatzbehandlung mit Insulin zur Behandlung<br />

bestimmter Patienten mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong>“ [13].<br />

Dabei ging es um den SGLT2-Hemmer Dapagliflozin.<br />

Dieser wurde inzwischen unter dem Markennamen<br />

Forxiga® <strong>2019</strong> in der EU für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> zugelassen.<br />

Ende Februar <strong>2019</strong> wurde eine vergleichbare<br />

Empfehlung für Sotagliflozin (Zynquista®)<br />

ausgesprochen [14], <strong>und</strong> auch diese Substanz<br />

hat inzwischen die Zulassung für <strong>Diabetes</strong> Typ 1<br />

CONFERENCES<br />

15


TYP-1-DIABETES<br />

Tabelle 1: HbA1c bei Screening, Baseline <strong>und</strong> Studienende<br />

SOTAGLIFLOZIN (Zynquista®) DAPAGLIFLOZIN (Forxiga®) EMPAGLIFLOZIN (Jardiance®)<br />

in Tandem1 1 in Tandem2 2 in Tandem3 3 DEPICT-1 4 DEPICT-2 5 EASE-2 6 EASE-3 6<br />

PBO 200<br />

mg<br />

400<br />

mg<br />

PBO 200<br />

mg<br />

400<br />

mg<br />

PBO 400<br />

mg<br />

PBO 5 mg 10 mg PBO 5 mg 10 mg PBO 10 mg 25 mg PBO<br />

2,5<br />

mg<br />

10 mg 25 mg<br />

N (Typ-1-<br />

<strong>Diabetes</strong> )<br />

268 263 262 258 261 263 703 699 260 259 259 272 271 270 239 243 241 238 237 244 242<br />

HbA1c bei<br />

Screening, %<br />

8,21 8,26 8,26 8,42 8,35 8,38 - - 8,79 8,82 8,76 - - - - - - - - - -<br />

Insulinoptimierung<br />

sechs Wochen Insulinoptimierung<br />

mit einem Insulin-Dosis-Monitoring-<br />

Komitee<br />

Keine<br />

Insulinoptimierung<br />

achtwöchige Phase mit Insulinan passung<br />

nach klinischer Notwendigkeit<br />

sechswöchige Dosisanpassung durch<br />

Studienärzte<br />

HbA1c Baseline,<br />

%<br />

HbA1c-Reduktion<br />

in Woche<br />

24 oder 26<br />

vs. PBO † , %<br />

HbA1c-Reduktion<br />

in Woche<br />

52 vs. PBO † , %<br />

7,54 7,61 7,56 7,79 7,74 7,71 8,21 8,26 8,53 8,53 8,52 8,40 8,45 8,39 8,13 8,10 8,06 8,19 8,14 8,19 8,19<br />

N/A -0,36 -0,41 N/A -0,37 -0,35 N/A -0,46 N/A -0,42 -0,45 N/A -0,37 -0,42 N/A -0,54 -0,53 N/A -0,28 -0,45 -0,52<br />

N/A -0,25 -0,31 N/A -0,21 -0,32 - - N/A -0,33 -0,36 N/A N/A N/A N/A -0,39 -0,45 - - - -<br />

†Alle Werte sind statistisch signifikant<br />

1. Buse B, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018;41:1970−80 & Supplementary Appendix; 2. Danne T, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018;41:1981−1990 & Supplementary Appendix. 3. Garg SK et al. NEJM<br />

2017;377:2337–2348; 4. Dandona P, et al. Lancet <strong>Diabetes</strong> Endocrinol 2017;5:864−876; 5. Mathieu C, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018;41:1938−1946; 6. Rosenstock J, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018; doi.<br />

org/10.2337/dc18-1749.<br />

CONFERENCES<br />

erhalten. Natürlich kann eine solche Behandlung<br />

bei Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nur ergänzend zum Insulin<br />

erfolgen, <strong>und</strong> die Insulintherapie muss immer<br />

trotz einer Behandlung mit SGLT-Inhibitoren fortgesetzt<br />

werden. Nach einer Bewertung der Daten<br />

aus neuen klinischen Studien wurde die Zulassung<br />

nun auf bestimmte Patienten mit Typ‐1-<strong>Diabetes</strong><br />

erweitert, wenn bei ihnen das Insulin allein trotz<br />

optimaler Insulintherapie keine ausreichende Kontrolle<br />

des Blutzuckerspiegels bietet. Patienten, die<br />

für diese Behandlung in Betracht gezogen werden,<br />

sollten bestimmte Anforderungen erfüllen <strong>und</strong> keinen<br />

Body-Mass-Index (Gewicht in kg/Länge in m²,<br />

BMI) unter 27 kg/m² aufweisen.<br />

Behandlung birgt erhöhtes<br />

Ketoazidoserisiko<br />

Bereits Ende letzten Jahres war in Japan das nicht<br />

in Europa erhältliche Ipragliflozin aus der gleichen<br />

Substanzgruppe von der dortigen Behörde PMDA<br />

für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> zugelassen worden, während<br />

die Anhörung für Sotagliflozin bei der amerikanischen<br />

Zulassungsbehörde FDA zu einem Patt bei der<br />

16


TYP-1-DIABETES<br />

Abstimmung über die Abwägung von Nutzen <strong>und</strong><br />

Risiko geführt hat <strong>und</strong> somit Unklarheit herrscht.<br />

Ein Blick auf die Studiendaten zeigt, warum sich<br />

die Zulassungsbehörden schwer tun. Die Einnahme<br />

dieser Tablette führt bei vielen Patienten zu einer<br />

Erhöhung der Ketonwerte im Blut. Kommt es zum<br />

Beispiel im Rahmen eines Katheterproblems bei<br />

der Pumpentherapie oder einem relativen Insulinmangel<br />

im Rahmen eines Infekts zu einem Anstieg<br />

der Ketonwerte, steigt der Blutzucker gleichzeitig<br />

durch die SGLT2-Hemmerbehandlung nicht wie<br />

gewohnt stark an. Somit kann die übliche Warnung,<br />

dass eine Ketoazidose droht, fehlen. Weil bei<br />

Auftreten von weiteren Ketoazidose-Risikofaktoren<br />

(z. B. Reduktion der Insulindosis, Krankheit,<br />

„low-carb“-Diäten, körperliche Belastung, Pumpenkatheterprobleme)<br />

schneller einer Ketoazidose<br />

entsteht, ist es wichtig, bereits vor einer solchen<br />

Behandlung über mindestens eine Woche Blutketone<br />

zu messen , damit man später den Behandlungseffekt<br />

eines SGLT-Hemmers zusätzlich zum<br />

Insulin beurteilen kann. Die Ketoazidosegefahr<br />

lässt sich nur durch eine Bestimmung der Ketonwerte<br />

mit einer Blut- oder Urinmessung erkennen,<br />

die bei Durchführung einer solchen Therapie immer<br />

rasch verfügbar sein muss. Tatsächlich zeigte<br />

sich in den Studien ein bis zu achtfach erhöhtes<br />

Ketoazidoserisiko [15].<br />

Insulin kann es zu einer euglykämischen Ketoazidose<br />

kommen – einer „verdeckten“ Ketoazidose<br />

bei normalen oder nur wenig erhöhten Glukosespiegeln,<br />

weil die Glukosespiegel durch eine Steigerung<br />

der Zucker ausscheidung durch den Urin<br />

insulinunabhängig gesenkt werden. Eine Schulung<br />

zur Ketoazidose findet zwar am Anfang der <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />

statt, Streifen zur Messung von<br />

Urin- oder Blutketonwerten sind auch meistens<br />

vorhanden, aber im entscheidenden Moment wird<br />

die Ketonbestimmung nicht oder zu spät durchgeführt.<br />

Denn wenn erst einmal Erbrechen eingesetzt<br />

hat, ist meistens ein Krankenhausaufenthalt unvermeidlich.<br />

Bei Menschen mit <strong>Diabetes</strong> ist daher die<br />

Ketonmessung wichtiger als eine Flash-Glukose-,<br />

CGM- oder Blutzuckermessung, um einen gefährlichen<br />

Insulinmangel festzustellen. Die Urinketonmessung<br />

zeigt eine Ketoazidose später an <strong>und</strong> weist<br />

nur mit Verzögerung eine erfolgreiche Behandlung<br />

nach. Insbesondere für Menschen, die durch eine<br />

Insulin pumpenbehandlung durch ein Katheterproblem<br />

rasch in einen Insulinmangel kommen können<br />

oder durch eine Behandlung mit einem SGTL-Inhibitor<br />

zusätzlich zum Insulin ein erhöhtes Risiko für<br />

eine Ketoazidose haben, sollten daher Ketonkörper<br />

vorzugsweise im Blut bestimmen, weil das eine<br />

Echtzeiterfassung der relevanten Veränderungen<br />

der Ketonspiegel ermöglicht.<br />

SGLT-Hemmer: Ketoazidose trotz<br />

fast normalem Blutzucker<br />

Die meisten Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong>, die<br />

mit einer Ketoazidose im Krankenhaus landen,<br />

haben im entscheidenden Moment nicht daran<br />

gedacht. Die klassischen Zeichen Übelkeit, Bauchschmerzen,<br />

trockener M<strong>und</strong>, vertiefte Atmung<br />

werden oft mit anderen Ursachen als Insulinmangel<br />

bei <strong>Diabetes</strong> in Verbindung gebracht. Mit einer<br />

zusätzlichen Einnahme von SGLT-Hemmern zum<br />

Warum eine eingeschränkte<br />

Zulassung?<br />

Patienten, die an den Studien teilnahmen,<br />

berichteten insbesondere über wesentlich weniger<br />

Glukoseschwankungen [16]. Insgesamt zeigten<br />

sich mit der Zusatzbehandlung beim kontinuierlichen<br />

Glukosemonotoring bis zu drei St<strong>und</strong>en mehr<br />

Zeit im Zielbereich. Das EMA-Komitee schränkte<br />

seine Empfehlung als Zusatztherapie zur Insulinbehandlung<br />

auf übergewichtige Erwachsene mit<br />

CONFERENCES<br />

17


TYP-1-DIABETES<br />

Das „STICH“-Protokoll<br />

Tritt eine Situation mit erhöhten Keton-Werten<br />

während einer Behandlung mit SGLT-Hemmern<br />

auf, sollte das „STICH“-Protokoll [15, 17] verfolgt<br />

werden:<br />

Stoppen: im Zweifel den SGLT-Hemmer nicht<br />

nehmen, damit die Ketonbildung reduziert wird.<br />

CONFERENCES<br />

Prof. Dr. Thomas Danne<br />

E-Mail: danne@hka.de<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong> mit einem BMI über 27 kg/m²<br />

ein. Nach Einschätzung der Experten der Behörde<br />

ergeben sich in dieser Patientengruppe bei der<br />

Abwägung zwischen dem durch diese Behandlung<br />

beobachteten höheren Risiko für eine Ketoazidose<br />

<strong>und</strong> den möglichen positiven Behandlungseffekten,<br />

wie größerer Zeit der Glukosewerte im Zielbereich,<br />

niedrigerem HbA1c-Wert ohne erhöhte<br />

Hypoglykämierate, Gewichtsabnahme oder auch<br />

besseren Blutdruckwerten bei Bluthochdruck<br />

Vorteile durch die Zusatzbehandlung. Mit der<br />

eingeschränkten Zulassung für Patienten mit<br />

Übergewicht bezwecken die Zulassungsbehörden<br />

wahrscheinlich ein Signal, dass diese Medikamentengruppe<br />

wegen des erhöhten Ketoazidoserisikos<br />

nicht für alle Patienten mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> in<br />

Frage kommt. Übergewichtige haben im Allgemeinen<br />

eine höhere Insulindosis <strong>und</strong> könnten daher<br />

weniger schnell in einen Insulinmangel kommen.<br />

Der Empfehlung liegt möglicherweise auch die<br />

Überlegung zu Gr<strong>und</strong>e, dass bei höherem BMI die<br />

positiven Effekte auf das Gewicht besonders zum<br />

Tragen kommen.<br />

Insulin: auch bei nicht deutlich erhöhtem Zucker<br />

braucht man Insulin, damit die erhöhten Ketone<br />

im Stoffwechsel „verbrannt“ werden.<br />

C(K)ohlenhydrate: 15–30 g schnell resorbierbare<br />

Kohlenhydrate zum Insulin aufnehmen,<br />

auch wenn man wegen Übelkeit keinen richtigen<br />

Appetit hat, sonst können die Ketonwerte nicht<br />

verstoffwechselt werden.<br />

Hydratation: Flüssigkeitsaufnahme<br />

(300–500 ml) pro St<strong>und</strong>e.<br />

Ein Kontrolle der Ketonwerte zeigt insbesondere<br />

bei der Blutketonmessung rasch an, ob die<br />

Maßnahmen Erfolg haben. Tritt Erbrechen auf oder<br />

sinken die Ketonwerte nicht ab, sollte Kontakt mit<br />

dem <strong>Diabetes</strong>team aufgenommen werden.<br />

Ausblick<br />

Nach der gerade erfolgten Zulassung durch die<br />

Kommission werden nun Entscheidungen über<br />

Preis <strong>und</strong> Erstattung auf Ebene jedes Mitgliedstaats<br />

getroffen. Abzuwarten sind auch die Materialien,<br />

die zur Patienteninformation <strong>und</strong> Schulung<br />

bei einer Markteinführung vom Hersteller zur Verfügung<br />

gestellt werden, um eine größtmögliche<br />

Sicherheit der Behandlung sicherzustellen. Der<br />

Erfolg der oralen Zusatztherapie des Typ-1-Diabe-<br />

18


TYP-1-DIABETES<br />

tes mit SGLT-Hemmern wird entscheidend davon<br />

abhängen, inwieweit es gelingt, das Ketoazidoserisiko<br />

durch Auswahl der geeigneten Patienten <strong>und</strong><br />

intensive Schulung zur Ketoazidoseprävention zu<br />

minimieren, damit die Patienten vom unbestrittenen<br />

Nutzen profitieren können – insbesondere der<br />

Reduktion von Glukoseschwankungen, mehr Zeit<br />

im Zielbereich <strong>und</strong> einer langfristig möglicherweise<br />

verbesserten kardiovaskulären Prognose.<br />

Dies müssen jetzt weitere Studien zeigen.<br />

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13. https://www.ema.europa.eu/en/news/first-oral-add-<br />

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14. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/summaries-opinion/zynquista<br />

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<strong>Diabetes</strong> Technol Ther 2018;20:571–575.<br />

Prof. Dr. Thomas Danne<br />

<strong>Diabetes</strong>-Zentrum, Kinder- <strong>und</strong> Jugendkrankenhaus<br />

„AUF DER BULT“<br />

Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover<br />

CONFERENCES<br />

19


NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />

Die Niere als Faktor der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />

Gert Gabriëls, Münster<br />

Die Niere ist einer der Hauptorte der Glukoseproduktion <strong>und</strong> hat zusätzlich eine Bedeutung für Glukosefiltration<br />

<strong>und</strong> -reabsorption. Bei chronischer Niereninsuffizienz (CN) ist der Insulin-Metabolismus verändert<br />

<strong>und</strong> die Insulindosen sowie auch die Dosen oraler <strong>und</strong> anderer injizierter glukosesenkender Substanzen<br />

müssen meist reduziert werden. Große Bedeutung hat, dass die CN das Risiko von Hypoglykämien erhöht.<br />

Wegen der veränderten Blutbildung bei CN muss das Monitoring des Glukosestoffwechsels z. B. durch<br />

Bestimmung des HbA1c mit Vorsicht bewertet werden. Große kardiovaskuläre Studien deuten darauf, dass<br />

der Einsatz von GLP-1-Rezeptoragonisten, DPP4-Inhibitoren <strong>und</strong> SGLT2-Inhibitoren über die Bedeutung<br />

der Besserung des Glukosestoffwechsels hinaus bei <strong>Diabetes</strong> mellitus nicht nur renoprotektiv sind, sondern<br />

auch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen reduzieren.<br />

CONFERENCES<br />

Die Nieren haben sowohl eine Bedeutung für die<br />

Produktion <strong>und</strong> Ausscheidung von Glukose als auch<br />

für den Abbau des Insulins. Die ges<strong>und</strong>en Nieren<br />

stellen im Nüchternzustand durch Neogenese etwa<br />

40 % der Glukose zur Verfügung. 30–80 % des systemischen<br />

Insulins werden durch die Nieren abgebaut.<br />

Die Nieren sind Hauptorte des Abbaus von<br />

außen zugeführten Insulins. Etwa zwei Drittel des<br />

Insulins werden im Glomerulum filtriert sowie von<br />

Zellen des proximalen Tubulus reabsorbiert <strong>und</strong><br />

abgebaut. Etwa ein Drittel des Insulins diff<strong>und</strong>iert<br />

in peritubuläre Kapillaren <strong>und</strong> bindet an Zellen des<br />

distalen Tubulus wo es an der Reabsorption von<br />

Natrium, Phosphat <strong>und</strong> Glukose beteiligt ist. Exogen<br />

zugeführtes Insulin wird nicht durch die Leber<br />

verstoffwechselt, was die Bedeutung der Nieren für<br />

den Abbau des Insulins unterstreicht [1].<br />

Einfluss der chronischen<br />

Niereninsuffizienz auf den<br />

Glukosestoffwechsel<br />

Abbildung 1 zeigt, wie die chronische Niereninsuffizienz<br />

den Glukosestoffwechsel beeinflusst.<br />

Wenn die GFR auf weniger als 20 ml/min sinkt,<br />

ist die Insulin-Clearance durch die Nieren deutlich<br />

20


NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />

Urämie<br />

Entzündungmediatoren<br />

metabolische Azidose<br />

Insulinresistenz<br />

Fitness<br />

chronische<br />

Nierenerkrankung<br />

sek<strong>und</strong>ärer<br />

Hyperparathyreodismus<br />

Insulinsekrektion<br />

kaum vorhersehbare<br />

Insulinwirkung <strong>und</strong><br />

Glukosekonzentration<br />

maximale Glukose-<br />

Reabsorbtionskapazität<br />

Glukose-Reabsorption<br />

Clearance des Insulins<br />

Halbwertzeit<br />

des Insulins verlängert<br />

renale Glukoneogenese<br />

Glukoseproduktion<br />

Abbildung 1: Einfluss der chronischen Niereninsuffizienz auf den Glukosestoffwechsel (mod. nach [1]).<br />

reduziert, <strong>und</strong> der Insulinabbau in anderen Geweben<br />

wie Leber <strong>und</strong> Muskel sinkt. Das Risiko ausgeprägter,<br />

symptomatischer Hypoglykämien steigt<br />

dramatisch an. Je häufiger Hypoglykämien auftreten,<br />

desto wahrscheinlicher ist eine Wahrnehmungsstörung<br />

der Hypoglykämien. Hypoglykämien<br />

gehören zu den bedeutendsten Hindernissen, die<br />

dem Erreichen einer angemessenen Glukosestoffwechselsituation<br />

im Wege stehen. Die CN ist ein<br />

unabhängiger Risikofaktor für Hypoglykämien <strong>und</strong><br />

das Risiko der Sterblichkeit ist bei Hypoglykämien<br />

erhöht [1].<br />

Bei CN fördern zahlreiche Faktoren die Neigung<br />

zu Hypoglykämien: verminderte Sekretion gegenregulatorischer<br />

Hormone, verminderte renale Glukoneogenese,<br />

verminderte Insulin-Clearance. Die<br />

Glukagon-Antwort auf eine Hypoglykämie bleibt<br />

eher aus als die durch Katecholamine [2]. Das<br />

Risiko einer Hypoglykämie bei der Hämodialyse ist<br />

höher als das einer Hyperglykämie. Bei Peritonealdialyse<br />

ist je nach Glukosegehalt der Dialyselösung<br />

das Risiko einer Hypoglykämie geringer.<br />

Information, Schulung <strong>und</strong> Bildung des Patienten<br />

hinsichtlich des <strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> der CN sind entscheidende<br />

Faktoren für das Gelingen der Therapie.<br />

Bei chronischer Niereninsuffizienz ist die<br />

Lebensdauer der Erythrozyten um 30–70 % reduziert,<br />

<strong>und</strong> der Einsatz von Erythropoetin-Analoga<br />

führt zum Eintritt junger Erythrozyten in die Zirkulation,<br />

welche weniger glykosyliert sind, sodass der<br />

HbA1c-Wert niedriger ist, als dem tatsächlichen<br />

Glukoseniveau entspräche [3].<br />

Bei Neigung zu Hypoglykämien sollten Medikamente<br />

mit höherem Risiko der Induktion von<br />

Hypoglykämien wie Sulfonylharnstoffe der ersten<br />

Generation vermieden werden.<br />

Einfluss Glucagon-like peptide<br />

(GLP)1-abhängiger Mechanismen<br />

Abhängig von der Glukosezufuhr stimuliert das<br />

Incretin-Hormon GLP-1 die Insulinsekretion, steigert<br />

die -Zellmasse <strong>und</strong> hemmt die Sekretion des<br />

Glukagon. Es ist der physiologische Ausgangspunkt<br />

einer Gruppe von Medikamenten zur Behandlung<br />

des <strong>Diabetes</strong> mellitus. Obwohl GLP-1 durch die<br />

Nieren ausgeschieden wird, hängt die Halbwertzeit<br />

hauptsächlich von dem Abbau durch das ubiquitär<br />

vorhandene Enzym Dipeptidyl-Peptidase-4<br />

(DPP-4) ab.<br />

Die DPP-4 wird in verschiedenen Geweben,<br />

besonders aber in den Nieren exprimiert [4]. DPP-4<br />

ist auf kapillären Endothelzellen <strong>und</strong> in der apikalen<br />

Brush-Border-Membran des proximalen<br />

CONFERENCES<br />

21


NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />

CONFERENCES<br />

GLP-1<br />

ANG2<br />

Mahlzeit<br />

GLP-1<br />

ANP<br />

Natriurese<br />

GLP-1/<br />

neural<br />

neural<br />

Abbildung 2: Weiterleitung der GLP-1-vermittelten renalen<br />

Mechanismen (mod. nach [6]).<br />

Tubulus exprimiert sowie dort mit dem Natrium-<br />

Protonen-Austauscher Typ 3 (NHE3) verb<strong>und</strong>en [5].<br />

GLP-1 löst auch außerhalb des Pankreas einige<br />

Wirkungen aus, zu denen solche auf die Nierenfunktion<br />

gehören. Es wurden GLP-1-Rezeptoren in<br />

der Niere gef<strong>und</strong>en. Die GFR wird durch GLP-1 über<br />

komplexe Mechanismen reguliert <strong>und</strong> ist mutmaßlich<br />

abhängig von den aktuellen Bedingungen des<br />

Glukosestoffwechsels [6]. Das atriale natriuretische<br />

Peptid (ANP) <strong>und</strong> das Renin-Angiotensin-System<br />

(RAS) haben eine Bedeutung für die Weiterleitung<br />

der GLP-1-vermittelten renalen Mechanismen<br />

(Abbildung 2). GLP-1 scheint ein Mediator einer<br />

anzunehmenden, schnell reagierenden Darm–<br />

Nieren–Achse zu sein, welche die postprandiale<br />

Flüssigkeits- <strong>und</strong> Elektrolythomeostase reguliert.<br />

GLP-1 steigert die Natriurese durch Hemmung des<br />

NHE3 im proximalen Tubulus der Niere, was erklären<br />

könnte, dass GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP1-<br />

RA) blutdrucksenkende Wirkungen haben.<br />

Bei <strong>Diabetes</strong> kommt es zu einer Senkung des<br />

Tonus der in das Glomerulum führenden afferenten<br />

Arteriole, einer Zunahme des Tonus der efferenten<br />

Arteriole, einer Senkung des hydraulischen Druckes<br />

in der Bowman-Kapsel (PBOW) sowie hierdurch zur<br />

Zunahme des glomerulären hydraulischen Druckes<br />

in den Kapillaren des Glomerulum (PGLO) <strong>und</strong> der<br />

glomerulären Filtrationsrate des einzelnen Nephrons<br />

(SNGFR) (Abbildung 3) [7].<br />

GLP-1-Rezeptoragonisten haben sowohl eine<br />

direkt durch den GLP-1-Rezeptor vermittelte <strong>und</strong><br />

zumindest teilweise, NO-abhängige Vasodilatation<br />

der afferenten Arteriole als auch eine indirekte<br />

Hemmung von vaskulären <strong>und</strong> tubulären Faktoren<br />

zur Folge, welche die glomeruläre Hyperfiltration<br />

bei <strong>Diabetes</strong> vermitteln [7].<br />

Nach einer stark eiweißhaltigen Mahlzeit steigert<br />

eine physiologische Zunahme des renalen Blutflusses<br />

die GFR unabhängig vom arteriellen Druck,<br />

was zur Zunahme der Filtration gelöster Teilchen<br />

führt. Diese postprandiale Zunahme der GFR ist von<br />

Bedeutung, da der Protein-Stoffwechsel zu Stickstoff-Abfallprodukten<br />

wie Harnstoff, Harnsäure,<br />

Ammoniak <strong>und</strong> Kreatinin sowie anderen Metaboliten<br />

wie Phosphaten, Sulphaten <strong>und</strong> Protonen führt,<br />

die über die Niere ausgeschieden werden müssen.<br />

Die postprandiale Hyperfiltration könnte also ein<br />

sinnvoller Mechanismus zur schnellen Ausscheidung<br />

überschüssiger oder potenziell schädlicher,<br />

durch den Darm absorbierter Stoffe <strong>und</strong> von Stoffwechselprodukten<br />

sein. Wenn die totale Kapazität<br />

des Nephron bereits im Nüchternzustand maximal<br />

22


NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />

?<br />

GLP-1 oder<br />

GLP-1RA<br />

↑Insulin<br />

GLP-1 oder<br />

GLP-1RA<br />

↑ANP<br />

↑N-OX<br />

↑ET1<br />

Afferente<br />

Arteriole<br />

Vasodilatation<br />

<strong>Diabetes</strong>-assoziierte<br />

glomeruläre<br />

Hyperfiltration<br />

Vasokonstriktion<br />

Efferente<br />

Arteriole<br />

↑P GLO<br />

↓TGF<br />

↓P BOW<br />

↑Proximale Reabsorption von Natrium<br />

↑SLGT1/2<br />

↑NHE3<br />

↑Glukagon<br />

↑Aminosäuren<br />

↑ROS<br />

GLP-1 oder<br />

GLP-1RA<br />

↑ANG-II<br />

↑ANG-I<br />

↑Glukose<br />

GLP-1 oder<br />

GLP-1RA<br />

Mahlzeit<br />

↑Glukose<br />

Renin<br />

↑ATG<br />

Abbildung 3: Wirkungen des GLP-1 <strong>und</strong> der GLP-1 Rezeptoragonisten auf die renale Hämodynamik bei <strong>Diabetes</strong> mellitus (mod. nach [7]).<br />

strapaziert ist, d.h. eine glomeruläre Hyperfiltration<br />

vorliegt, wie das bei Typ-2-<strong>Diabetes</strong> mellitus<br />

<strong>und</strong>/oder fortgeschrittener Niereninsuffizienz der<br />

Fall ist, um den Ausfall geschädigter Nephrone zu<br />

kompensieren, ist der Beitrag der durch den Darm<br />

vermittelten, postprandialen hämodynamischen<br />

Veränderungen in der Niere auf die akute Ausscheidung<br />

von gelösten Teilchen wahrscheinlich gering.<br />

GLP1-RA hemmen Glukagon, steigern das Sättigungsgefühl,<br />

hemmen die Magenentleerung<br />

<strong>und</strong> führen zur Gewichtsreduktion [8]. Klinische<br />

Bef<strong>und</strong>e zusammengefasster Zulassungsstudien<br />

<strong>und</strong> Resultate großer kardiovaskulärer Studien<br />

deuten darauf, dass der Einsatz von GLP1-RA <strong>und</strong><br />

DPP4-Inhibitoren (DPP4-I) über die Bedeutung der<br />

Besserung des Glukosestoffwechsels hinaus die<br />

Albuminurie bessern <strong>und</strong> renoprotektiv sind, was<br />

auf die Hemmung von Inflammation in der Niere<br />

<strong>und</strong> des oxidativen Stresses zurückzuführen sein<br />

<strong>und</strong> zur Abschwächung des GFR-Verlustes bei<br />

Pa tienten mit <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2 sowie hohem<br />

Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen <strong>und</strong> Nierenschäden<br />

beitragen könnte [7].<br />

Einmal wöchentlich injiziertes Exenatid [9]<br />

ist kardiovaskulär sicher, <strong>und</strong> das lang wirksame<br />

Liraglutid [10] reduziert kardiovaskuläre Ereignisse<br />

(MACE-3). In der LEADER-Studie, die 25 %<br />

Pa tienten mit einer Niereninsuffizienz ≥ Stadium 3<br />

aufwies, wurde bei Behandlung mit Liraglutid eine<br />

22%ige relative Reduktion des kombinierten rena-<br />

CONFERENCES<br />

23


NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />

SGLT2<br />

Reabsorption<br />

von Na + <strong>und</strong><br />

Glukose<br />

Normal weite<br />

Afferente<br />

Arteriole<br />

Macula densa<br />

5‘NT<br />

ADO<br />

ADO<br />

Macula Lumen des<br />

densa-Zellen distalen Tubulus<br />

ATP<br />

Tubuläres<br />

Na + -<br />

Angebot<br />

ADP/<br />

AMP<br />

3Na + Na +<br />

2K + K +<br />

2CI -<br />

NaCI<br />

NaCI<br />

Abbildung 4: Glukosereabsorption unter Normalbedingungen (mod. nach [14])<br />

len Endpunktes erreicht [10]. Liraglutid wird nur<br />

minimal über die Nieren ausgeschieden [11]. Exenatid<br />

wird vor allem renal eliminiert [12].<br />

Die Hemmstoffe der DPP4 steigern durch Behinderung<br />

des Abbaus von GLP1 die Insulinsekretion.<br />

Sie senken die Freisetzung des Glukagon, steigern<br />

das Sättigungsgefühl <strong>und</strong> verzögern die Magenentleerung.<br />

Sita- <strong>und</strong> Saxagliptin werden durch die<br />

Nieren ausgeschieden, sodass ihre Dosis bei Niereninsuffizienz<br />

reduziert werden muss [13].<br />

SGLT2<br />

Vermehrte<br />

Reabsorption von<br />

Na + <strong>und</strong> Glukose<br />

SGLT2-Inhibition<br />

vermindert die<br />

Hyperfiltration<br />

über tubuloglomeruläres<br />

Feedback (TGF)<br />

Afferente<br />

Vasodilatation<br />

Afferente<br />

Vasokonstriktion<br />

Vermindertes<br />

Na + -Angebot an<br />

der Macula densa<br />

Erhöhtes Na + -<br />

Angebot an der<br />

Macula densa<br />

Glucosurie<br />

Natriurese<br />

Afferente<br />

Vasodilatation<br />

Normal weite<br />

Extraglormulär<br />

afferente Arteriole<br />

VSMC MC<br />

Extraglormulär<br />

VSMC MC<br />

Extraglormulär<br />

Afferente<br />

Vasokonstriktion<br />

VSMC MC<br />

Tubuläres<br />

Na + -<br />

Angebot<br />

Abbildung 6: SGLT2-Hemmung vermindert die Hyperfiltration via TGF (mod. nach [14])<br />

5‘NT<br />

Macula Lumen des<br />

densa-Zellen distalen Tubulus<br />

Abbildung 5: Hyperfiltration im Frühstadium der diabetischen Nephropathie<br />

(mod. nach [14]<br />

Ca 2+ Ca 2+<br />

5‘NT<br />

ADO<br />

ADO<br />

Na +<br />

K +<br />

2CI -<br />

Macula Lumen des<br />

densa-Zellen distalen Tubulus<br />

ADP/<br />

AMP<br />

ATP<br />

Tubuläres<br />

Na + -<br />

Angebot<br />

Ca2+ 3Na + Na +<br />

K<br />

2K + +<br />

2CI -<br />

NaCI<br />

NaCI<br />

NaCI<br />

NaCI<br />

NaCI<br />

NaCI<br />

Einfluss Natrium-Glukose-<br />

Transporter Typ-2 (SGLT2)-<br />

abhängiger Mechanismen<br />

Im Glomerulum filtrierte Glukose, welche<br />

der Reabsorption durch den Natrium-Glukose-<br />

Transporter Typ 2 (SGLT2) im proximalen Tubulus<br />

entkommt, wird anschließend durch den Natrium-<br />

Glukose-Transporter Typ 1 (SGLT1) im weiter<br />

distalen proximalen Tubulus reabsorbiert. Unter<br />

normalen Bedingungen werden 97 % der filtrierten<br />

Glukose durch SGLT2 (Abbildung 4) <strong>und</strong> die restlichen<br />

3 % durch SGLT1 reabsorbiert [14].<br />

Unter normalen (nichtdiabetischen) Bedingungen<br />

führt das NaCl, welches bis zur Macula<br />

densa gelangt, zu einer Spaltung von Adenosin-Triphosphat<br />

(ATP) zu Adenosin, welches ein<br />

Va sokonstriktor ist <strong>und</strong> damit zu einem Gr<strong>und</strong>tonus<br />

des Vas afferens führt (Abbildung 4). Kommt<br />

es unter normalen Bedingungen zu Hypotension,<br />

wird das Angebot von NaCl an die Macula densa<br />

sowie die Spaltung von ATP zu Adenosin reduziert<br />

<strong>und</strong> durch die Reduktion des Vasokonstriktors<br />

Adenosin das glomeruläre Vas afferens weniger<br />

konstringiert. Daraufhin nehmen renale Perfusion<br />

<strong>und</strong> GFR zu [14].<br />

Bei Diabetikern mit normaler Nierenfunktion findet<br />

im proximalen Tubulus wegen des dort höheren<br />

Glukoseangebots eine verstärkte Aktivität des<br />

24


NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />

SGLT2 mit Reabsorption von Natrium <strong>und</strong> Glukose<br />

aus dem Urin statt, was zu einem verminderten<br />

Angebot an Natrium an die Macula densa <strong>und</strong><br />

folglich zu einer Dilatation des in das Glomerulum<br />

ziehenden Vas afferens führt (Abbildung 5).<br />

Inhibitoren des Natrium-Glukose-<br />

Kotransporters Typ-2 (SGLT2-I)<br />

Durch Blockade des SGLT2 im proximalen Tubulus<br />

der Niere hat die Therapie mit SGLT2-I eine<br />

verminderte Glukosereabsorption <strong>und</strong> damit eine<br />

Glukosurie, einen Energieverlust sowie eine osmotische<br />

Diurese zur Folge. Außer zu einem Gewichtsverlust<br />

kommt es zu einem Verlust von Natrium<br />

<strong>und</strong> damit zur Senkung des Blutdrucks sowie des<br />

bei Niereninsuffizienten deutlich gesteigerten kardiovaskulären<br />

Risikos [8].<br />

Die Ausscheidung von Glukose mit dem Urin<br />

ist nicht nur abhängig von der Serum-Glukosekonzentration,<br />

sondern auch von der GFR. Deshalb<br />

ist der Effekt der SGLT2-I bei Einschränkung<br />

der Nierenfunktion reduziert. Es ist anzunehmen,<br />

dass bei Therapie mit SGLT2-I die höhere Natrium-<br />

Konzen tration im Urin über die Macula densa <strong>und</strong><br />

den tubuloglomerulären Feedback (TGF) zu einer<br />

Engstellung des glomerulären Vas afferens <strong>und</strong><br />

damit zur Protektion der Nieren führt [15] (Abbildung<br />

6).<br />

Bei Beginn der Therapie mit SGLT2-I kann es zu<br />

einer vorübergehenden Einschränkung der Nierenfunktion<br />

kommen, welche außer mit der Engstellung<br />

des glomerulären Vas afferens auch mit der durch<br />

die SGLT2-Inhibition induzierten osmotischen<br />

Diurese <strong>und</strong> der folgenden Reduktion des Plasmavolumens<br />

assoziiert ist. Deshalb sollte die Nierenfunktion<br />

vor <strong>und</strong> nach Beginn dieser Behandlung<br />

bestimmt werden. Bei Patienten, deren eGFR auf<br />


NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />

CONFERENCES<br />

Die Hemmung des SGLT2 auf -Zellen des Pankreas<br />

fördert Glukagon-Hypersekretion, welche eine<br />

gr<strong>und</strong>legende Komponente der Ketoazidose ist.<br />

Durch vermehrtes Erscheinen von Natrium im distalen<br />

Tubulus (z. B. bei Therapie mit SGLT2-I) kann<br />

es über den tubulären Natrium-Monocarboxylat-<br />

Transporter-1 zur vermehrten Keton-Reabsorption<br />

aus dem Urin kommen.<br />

Die Kombination einer incretinbasierten Therapie<br />

mit SGLT2-I könnte zu einer Besserung des<br />

Glukosestoffwechsels <strong>und</strong> der Nierenfunktion führen,<br />

die über die Vorteile der einzelnen Medikamentengruppen<br />

hinaus reichen: GLP1-RA könnten<br />

eine vermehrte Nahrungsaufnahme infolge langdauernder<br />

Therapie mit SGLT2-I unterdrücken <strong>und</strong><br />

so Folgen für renale Hämodynamik, Natriurese,<br />

Blutdruck <strong>und</strong> LDL-Cholesterin aufweisen.<br />

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2016;375:323–334.<br />

Prof. Dr. med. Gert Gabriëls<br />

Universitätsklinikum Münster<br />

Medizinische Klinik D, Nephrologie <strong>und</strong> Rheumatologie<br />

Albert-Schweitzer-Straße 33, 48149 Münster<br />

26


ABSCHIED VOM „GLYKOZENTRISCHEN WELTBILD“<br />

Paradigmenwechsel in der Therapie des<br />

Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />

Der Typ-2-<strong>Diabetes</strong> verdoppelt (bis vervierfacht) das Risiko für Herz-/Kreislauf-Erkrankungen – oder anders<br />

ausgedrückt, etwa 45 % der Typ-2-Diabetiker haben zusätzlich bereits eine manifeste koronare Herzerkrankung<br />

oder eine Herzinsuffizienz; dies ist seit Jahrzehnten bekannt. Der <strong>Diabetes</strong> allein vermindert<br />

die durchschnittliche Lebenserwartung des Patienten um etwa sechs Jahre – bei gleichzeitiger koronarer<br />

Herzkrankheit ist die Lebenserwartung sogar um zwölf Jahre geringer als bei Stoffwechselges<strong>und</strong>en.<br />

Die Inzidenz des <strong>Diabetes</strong> Typ 2 nimmt dramatisch<br />

zu: Derzeit haben 415 Millionen Menschen<br />

weltweit diese Erkrankung, <strong>und</strong> die International<br />

<strong>Diabetes</strong> Federation rechnet in den nächsten<br />

20 Jahren mit einem weiteren Anstieg um etwa<br />

50 %, auf 640 Millionen.<br />

In Deutschland leben derzeit etwa 6,5 Millionen<br />

Menschen mit Typ-2-<strong>Diabetes</strong>, etwa drei Millionen<br />

dieser Patienten haben zusätzlich eine diabetesassoziierte<br />

Gefäßerkrankung.<br />

In der Therapie des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> zeichnet<br />

sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel<br />

ab, eingeleitet interessanterweise von den Zulassungsbehörden.<br />

Bis vor wenigen Jahren konnten Antidiabetika<br />

dann eine Zulassung bekommen, wenn sie den Blutzucker<br />

<strong>und</strong> das HbA1c signifikant senkten. Heute<br />

verlangen die Arzneimittelbehörden zusätzlich den<br />

Nachweis, dass die kardiovaskulären Outcomes<br />

ebenfalls positiv beeinflusst werden. Letztlich geht<br />

es nicht nur um einen niedrigeren Blutzuckerspiegel,<br />

sondern eine verbesserte Lebenserwartung <strong>und</strong><br />

Lebensqualität der Patienten <strong>und</strong> eine Senkung der<br />

Krankenhausaufenthalte.<br />

Outcome-Effekte der SGLT2-<br />

Hemmung<br />

Professor Helmut Schühlen, Kardiologe am Vivantes<br />

Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin, berichtete<br />

auf einer Pressekonferenz der Unternehmen<br />

Boehringer Ingelheim <strong>und</strong> Lilly über die Ergebnisse<br />

der EMPA-REG OUTCOME-Studie. In dieser Studie<br />

wurden die Patienten zusätzlich zur Standardtherapie<br />

des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> – Lebensstilinterventionen<br />

wie Gewichtsabnahme <strong>und</strong> mehr Bewegung, bei<br />

Bedarf zusätzlich Metformin – entweder mit Empagliflozin<br />

(Jardiance®) oder mit Plazebo behandelt.<br />

Neue Auswertungen der Studie zeigen: Empagliflozin<br />

konnte sowohl die kardiovaskulären Todesfälle<br />

als auch die Gesamtmortalität im Vergleich<br />

zu Plazebo um etwa ein Drittel vermindern. Umgerechnet<br />

auf die Lebenserwartung ergibt sich damit<br />

je nach Alter der Patienten eine Verlängerung<br />

der Lebenszeit um bis zu 4,5 Jahre. Eine weitere<br />

positive Wirkung: Die Patienten mussten signifikant<br />

seltener wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert<br />

werden.<br />

Empagliflozin gehört zur Gruppe der SGLT2-<br />

Hemmstoffe, es fördert die Glukoseausscheidung<br />

über die Nieren. Dadurch ergibt sich einerseits eine<br />

Diurese, was außer dem Blutzucker auch den Blutdruck<br />

senkt, andererseits verlieren die Patienten<br />

auch Kalorien über den Urin. Das kommt dem Körpergewicht<br />

bzw. dessen Reduktion zugute – etwa<br />

2 kg weniger brachten die Patienten im Durchschnitt<br />

auf die Waage.<br />

Gleichzeitig konnte für Empagliflozin eine<br />

schützende Wirkung auf die Nierenfunktion nachgewiesen<br />

werden: Die Verschlechterung der Nierenfunktion,<br />

die durch den <strong>Diabetes</strong> entsteht <strong>und</strong><br />

sich über die Jahre in einer stetigen Verminderung<br />

der eGFR bemerkbar macht, konnte unter der<br />

Therapie mit Empagliflozin gestoppt werden. Nach<br />

dem Absetzen der Substanz ging der krankheitsbedingte<br />

Prozess weiter, daher ist dieser renoprotektive<br />

Effekt vermutlich direkt auf das Medikament<br />

zurückzuführen.<br />

INDUSTRY News<br />

27


ABSCHIED VOM „GLYKOZENTRISCHEN WELTBILD“<br />

14 % RRR<br />

p


ABSCHIED VOM „GLYKOZENTRISCHEN WELTBILD“<br />

Angesichts einer nachgewiesenen Senkung der<br />

kardiovaskulären Mortalität um 38 %, der Gesamtmortalität<br />

um 32 %, der Hospitalisierungsraten<br />

wegen Herzinsuffizienz um 35 % <strong>und</strong> des Fortschreitens<br />

der Niereninsuffizienz um 39 % spricht<br />

Vieles für den Einsatz von Empagliflozin, mindestens<br />

bei Patienten mit gleichzeitig bestehenden<br />

kardiovaskulären Erkrankungen.<br />

Management in der hausärztlichen<br />

Praxis<br />

Wirtschaftlichkeit<br />

Dr. Petra Sandow, niedergelassene Hausärztin<br />

in Berlin, berichtete über das Spannungsfeld der<br />

Hausärzte zwischen Kosteneinsparung <strong>und</strong> moderner<br />

Therapie. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass<br />

Hausärzte eigene Leitlinien haben. Diese Leitlinien<br />

empfehlen allerdings bevorzugt „altbewährte“ Arzneimittel,<br />

die das Budget möglichst wenig belasten.<br />

Andererseits sind auch Hausärzte verpflichtet,<br />

nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

zu therapieren.<br />

„Wenn ein findiger Anwalt mir einen Strick daraus<br />

drehen will, dass ich seinem Vater ein Medikament<br />

nicht verordnet habe, was dessen Leben um<br />

einige Jahre hätte verlängern können, dann stehe<br />

ich schlecht da“, erklärte Sandow. Im Gr<strong>und</strong>e müsste<br />

jeder Hausarzt, der einen <strong>Diabetes</strong> Typ 2 behandelt,<br />

sich in diesem Augenblick als Diabetologen sehen <strong>und</strong><br />

demzufolge die entsprechenden Leitlinien beachten.<br />

Zumal bei Patienten mit bereits bestehenden<br />

kardiovaskulären Erkrankungen die Verordnung<br />

von Empagliflozin als Praxisbesonderheit anerkannt<br />

ist <strong>und</strong> daher das Budget nicht belastet.<br />

Allerdings muss dies entsprechend codiert werden.<br />

Patientenaufklärung<br />

Eine häufige <strong>und</strong> äußerst lästige Nebenwirkung<br />

der SGLT2-Inhibitoren sind genitale Infektionen,<br />

oft durch Pilze, bedingt durch die (gewollte) Glucosurie.<br />

„Darüber muss man die Patienten gut<br />

aufklären, <strong>und</strong> ihnen die entsprechenden hygienischen<br />

Maßnahmen ans Herz legen“, erklärte Sandow.<br />

Wichtig ist außerdem eine Behandlung des<br />

Partners, da genitale Mykosen sexuell übertragbar<br />

sind <strong>und</strong> der Partner ansonsten als ständiges Erregerreservoir<br />

zu immer neuen Rezidiven beiträgt.<br />

Ein Absetzen des Medikaments ist deswegen aber<br />

selten notwendig.<br />

Kardiovaskuläres Risiko frühzeitig behandeln<br />

Zuletzt bleibt noch die Frage, ob nicht der <strong>Diabetes</strong><br />

Typ 2 per se als kardiovaskuläre Erkrankung<br />

angesehen werden muss. Der Typ-2-<strong>Diabetes</strong> wird<br />

immer häufiger <strong>und</strong> tritt in immer jüngerem Lebensalter<br />

auf. Sandow berichtete von ihrem jüngsten<br />

Patienten – einem stark übergewichtigen 18-Jährigen,<br />

den sie zunächst wegen Verdachts auf <strong>Diabetes</strong><br />

Typ 1 zum Diabetologen überwiesen hatte,<br />

weil sie nicht glauben konnte, dass sich bereits in<br />

diesem jungen Alter ein Typ 2 manifestiert haben<br />

konnte. Ein solcher Patient muss jahrzehntelang<br />

behandelt werden; seine Gefäße, sein Herz <strong>und</strong><br />

seine Nieren sind massiv gefährdet. Eine Therapie,<br />

die nachweislich Herz <strong>und</strong> Nieren schützt, sollte<br />

für diese Klientel da selbstverständlich sein.<br />

Bericht: Dr. med. Friederike Günther<br />

Referenzen:<br />

1. Zinman B, et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes<br />

and Mortality in Type-2 <strong>Diabetes</strong>, NEJM 2015;373:2117–<br />

2128.<br />

2. Wanner C, Inzucchi SE, Lachin JM, et al. Empagliflozin and<br />

progression of kidney disease in type 2 diabetes, NEJM<br />

2016;375:323-334.<br />

3. Fitchett D, Zinman B, Wanner C et al. Eur Heart J<br />

2016;37:1526-1534.<br />

Quelle: Pressekonferenz „Innovationen in der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />

– Jardiance® richtungsweisend in seiner Disziplin“ am<br />

02.04.<strong>2019</strong> in Berlin, Veranstalter: Boehringer Ingelheim<br />

Deutschland GmbH <strong>und</strong> Lilly Parma GmbH.<br />

INDUSTRY News<br />

29


DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />

Typische Läsionen beim DFS <strong>und</strong> deren<br />

Vermeidung<br />

Arthur Grünerbel, München<br />

Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine häufige Komplikation bei langjährigem <strong>Diabetes</strong>. Es tritt bei<br />

2–10 % aller Diabetiker auf. Die Behandlung ist oft langwierig, die Lebensqualität der Patienten ist deutlich<br />

eingeschränkt, <strong>und</strong> die Prognose für die Patienten ist nicht gut. Typische Fußläsionen beim diabetischen<br />

Fußsyndrom zu erkennen hilft, deren Entstehung zu vermeiden.<br />

CONFERENCES<br />

Folgende Faktoren sind verantwortlich:<br />

••<br />

Die Polyneuropathie ist immer beteiligt,<br />

••<br />

unbemerkter Druck spielt ebenfalls eine zentrale<br />

Rolle,<br />

••<br />

hinzu kommt eine schlechte Perfusion sowie oft<br />

auch pathologische Knochenumbauten.<br />

Polyneuropathie<br />

Welche Faktoren begünstigen die Entwicklung<br />

einer PNP? Vermutet haben wir schon immer eine<br />

schlechte <strong>Diabetes</strong>einstellung <strong>und</strong> Glukosespitzen<br />

als Ursache.<br />

Welche Faktoren begünstigen noch die Entwicklung<br />

einer PNP? Diesem Sachverhalt ging<br />

eine schottische Studie nach [1]. Hier wurde<br />

an einer Klientel von 6.127 Typ-1-Diabetikern,<br />

die zwischen 2010 <strong>und</strong> 2013 rekrutiert wurden,<br />

untersucht, welche Risikofaktoren die Entstehung<br />

einer Neuropathie fördern. Die Patienten wurden<br />

in zwei Gruppen aufgeteilt <strong>und</strong> altersgematcht<br />

untersucht.<br />

30


DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />

Hierbei ergab sich wie erwartet, dass das Risiko<br />

für eine Neuropathie signifikant steigt mit dem<br />

Lebensalter <strong>und</strong> der <strong>Diabetes</strong>dauer. Zusätzlich<br />

konnten aber auch ein jemals erfolgter Nikotinkonsum,<br />

Hba1c über 9 %, bestehende Micro- oder<br />

Makroalbuminurie sowie eine niedrigere soziale<br />

Stellung als weitere Risikofaktoren nachgewiesen<br />

werden. Auch ein niedriges HDL-Cholesterin <strong>und</strong><br />

höhere Triglyceride (87,5 versus 130 mg/dl) waren<br />

beteiligt. Dies, so folgern die Autoren, befindet<br />

sich in Übereinstimmung mit der internationalen<br />

Literatur <strong>und</strong> zeigt, dass weiterhin Risikofaktoren<br />

bestehen, an denen gearbeitet werden kann, um<br />

die Entstehung einer Neuropathie signifikant zu<br />

reduzieren.<br />

So gibt es auch Fortschritte beim Erkennen einer<br />

Polyneuropathie [2], die mit einer Prävalenz von<br />

5–8 % in der erwachsenen älteren Bevölkerung<br />

die häufigste Erkrankung des peripheren Nervensystems<br />

darstellt.<br />

Daneben spielt auch Ursachenbekämpfung<br />

eine große Rolle, denn auch eine nutritive Mangelversorgung<br />

der Nerven durch Verringerung der<br />

kapillären arteriellen Perfusion könnte eine Rolle<br />

spielen. Dies kann auch bei vielleicht bereits<br />

therapierter pAVK bedingt durch den kreislaufphysiologisch<br />

bekannten venoarteriellen Reflex<br />

stattfinden, der unter Immobilisation im Sitzen<br />

am Vorfuß zu einer Abnahme der messbaren<br />

Sauer stoffsättigung im Gewebe [3] von 40–50 %<br />

auf Werte um etwa 10 % führt. Dieser Effekt<br />

kann bereits 2–4 Minuten nach Beginn einer<br />

Ruhephase eintreten [4] <strong>und</strong> persistiert bis zum<br />

Eintritt längerer Bewegungsabschnitte. Daher ist<br />

auch eine Neuromalnutrition, gerade heutzutage<br />

durch vermehrte sitzende Tätigkeit zum Beispiel<br />

an Bildschirmarbeitsplätzen, durchaus als Ursache<br />

mit zu bedenken. Hier lassen sich einfache<br />

Maßnahmen wie Zehen- <strong>und</strong> Fußgymnastik zur<br />

Prophylaxe einführen.<br />

Typische Läsionen: bedingt durch<br />

unbemerkten Druck<br />

Häufig ist zu enges Schuhwerk oder eine falsche<br />

Versorgung mit Einlagen eine Ursache für Ulcera<br />

(Abbildungen 1 <strong>und</strong> 2).<br />

Abbildung 1: Typische Läsion durch zu viel plantaren Druck<br />

Abbildung 2: Einlagencheck: fehlende Polsterung<br />

Abbildung 3: Einlagencheck: Die können nie passen …<br />

CONFERENCES<br />

31


DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />

CONFERENCES<br />

Patienten mit diabetischer Neuropathie <strong>und</strong><br />

rezidivierend auftretenden Läsionen an der Fußunterseite<br />

sollten regelmäßig mit einer diabetesadaptierten<br />

Fußbettung versorgt werden. Hierbei<br />

haben sie auch Anspruch auf ein Wechselpaar<br />

sowie eine Erneuerung der Bettung alle Jahre<br />

<strong>und</strong> die Versorgung eines Hausschuhes mit Bettung.<br />

Damit kann unbemerkter Druck an der<br />

Fuß unterseite vermieden werden. Auch diese maßgefertigten<br />

Einlagen müssen bei Wiedervorstellung<br />

überprüft werden, da sie leider nicht immer passen<br />

(Abbildung 3).<br />

Zudem muss natürlich immer ein passendes<br />

Schuhwerk getragen werden, das auch Raum für<br />

die Zehen bietet. Hier können wir nicht oft genug<br />

die Patienten schulen, beispielsweise auch im<br />

Urlaub unbedingt die <strong>Diabetes</strong>schutzschuhe zu tragen.<br />

Wenn dies im Urlaub nicht durchgeführt wird,<br />

zeigen sich sofort entsprechende Läsionen. Abbildung<br />

4 zeigt, was geschieht, wenn der Schutzschuh<br />

beim Urlaub auf Gran Canaria zuhause gelassen<br />

wird <strong>und</strong> stattdessen die Slippers eingepackt werden<br />

(Abbildung 4).<br />

Abbildung 4: Typische Läsion durch zu viel Druck bei zu engem<br />

Schuhwerk<br />

Beim diabetischen Fußsyndrom sind immer<br />

folgende Besonderheiten zu berücksichtigen<br />

(Tabelle 1), die man tagtäglich bei der Behandlung<br />

im Hinterkopf haben muss.<br />

Tabelle 1: Besonderheiten beim DFS<br />

<strong>Diabetes</strong>bedingte PNP<br />

Autonome Neuropathie<br />

pAVK : Minderversorgung<br />

veränderte pathophysiologische Prozesse im W<strong>und</strong>gebiet<br />

W<strong>und</strong>behandlung<br />

Stoffwechselentgleisung<br />

Viele Begleiterkrankungen<br />

Anatomische Veränderungen<br />

Abbildung 5: Chopart-Stumpf mit typischer Läsion<br />

Ein Beispiel für weniger bekannte anatomische<br />

Veränderungen ist das nach Chopart-Amputation<br />

oft auftretende Problem des dorsalen Sehnenzuges<br />

der Achillessehne (Abbildung 5).<br />

Der Wegfall der Fußheber <strong>und</strong> das Belassen der<br />

Achillessehne führt zwangsläufig zum Spitzfuß.<br />

Die Ferse wird weiter nach dorsal gezogen. Im Verlauf<br />

drückt der Processus anterius des Calcaneus<br />

die Haut kaputt. Dem muss abgeholfen werden,<br />

zumindest durch die „Minimaltherapie“ in Form<br />

der Durchtrennung der Achillessehne in Lokalanästhesie.<br />

Maximaltherapie wäre zusätzlich die Abtragung<br />

des plantaren Anteils des Processus. Dies kann<br />

minimalinvasiv erfolgen.<br />

Bevor Sie an eine Operation denken: Was ist bei<br />

Abbildung 6 das Wichtigste für einen konservativen<br />

Heilversuch? Antwort: Vollständige Entlastung<br />

32


DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />

Sauerstoffmessung den TcpO 2 an der Großzehe.<br />

Zwei Drittel der gemessenen der unteren Extremitäten<br />

hatten einen offensichtlich normalen ABI,<br />

über 50 % der Patienten in diesem Bereich zeigten<br />

allerdings bereits eine signifikante Minderperfusion,<br />

die dann auch die W<strong>und</strong>heilung behindert<br />

durch Verringerung des TcpO 2 . Daher sollte bei<br />

Zweifeln bezüglich der Durchblutungssituation bei<br />

einem unauffälligen ABI unbedingt der Zehendruck<br />

gemessen werden.<br />

Typische Läsionen durch knöcherne<br />

Umbauten<br />

Abbildung 6: Was ist hier das Wichtigste?<br />

mittels Zweischalenorthese oder Total Contact<br />

Cast.<br />

Typische Läsionen durch schlechte<br />

Perfusion<br />

Typische Läsionen entstehen natürlich auch<br />

durch schlechte Perfusion. Daher ist als Minimalmaßnahme<br />

die ABI–Testung (Messung des<br />

ankulobrachialen Index) auch beim beschwerdefreien<br />

Diabetiker mit Polyneuropathie erforderlich.<br />

Wenn dies wegen Mediasklerose kein verwertbares<br />

Ergebnis gibt oder ein pathologischer Bef<strong>und</strong><br />

entsteht, muss sofort eine Doppler-<strong>und</strong> Duplex-<br />

Untersuchung angeschlossen werden, außerdem<br />

ein angiologisches <strong>und</strong> eventuell gefäßchirurgisches<br />

Konsil.<br />

Leider ist die alleinige ABI-Bestimmung manchmal<br />

nicht ausreichend, wie Manu <strong>und</strong> Kollegen<br />

vom Kings College Hospital beschrieben haben [5].<br />

Sie evaluierten pAVK mittels der ABI-Messung <strong>und</strong><br />

untersuchten bei Patienten mit einem eigentlich<br />

unauffälligen ABI (0,9–1,3) mittels transkutaner<br />

Typische Läsionen sind oft auch bedingt durch<br />

knöcherne Umbauten. Dies entsteht bei Menschen<br />

mit Polyneuropathie am ehesten durch die<br />

Charcot-Arthropathie. Sie ist definiert durch einen<br />

spontanen Knochenverlust auf dem Boden einer<br />

Polyneuropathie, unabhängig von Traumen oder<br />

Malignomen, wenngleich ein blandes Trauma wohl<br />

die Manifestation beschleunigen kann.<br />

Abbildung 7: Typisches Ulcus bei Charcot Arthropathie<br />

CONFERENCES<br />

33


DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />

werden. Immer gilt es auch auf mögliche Infektionen<br />

zu achten.<br />

Zusammenfassend beginnt der Charcot-Fuß<br />

meist durch eine Fehlstimulation von Osteoklasten,<br />

so dass auch die Bezeichnung Neuropathische<br />

Osteopathie (mündliche Mitteilung Professor<br />

Sigurd Kessler) sinnvoll wäre. Da die Zerstörung des<br />

Fußes droht, ist die Erhaltung der Stabilität wichtig,<br />

so dass bei Aktivität der Charcot-Arthropathie<br />

(Abbildung 8) zwingend eine oft 6–9 Monate dauernde<br />

Entlastung erfolgen muss. Die Betroffenen<br />

davon zu überzeugen, ist oft mühsam. Nach Abheilung<br />

ist unbedingt die Versorgung mit orthopädischen<br />

Maßschuhen angezeigt.<br />

Vermeidung von typischen Läsionen<br />

CONFERENCES<br />

Abbildung 8: Aktive Charcot Arthropathie von plantar<br />

Die möglichen Folgen sind Fehlstellungen, Knochenneubildung,<br />

Knochendestruktion, Ulcerationen<br />

<strong>und</strong> Infektionen. Wichtig ist vor allem das<br />

Denken an diese Möglichkeit, wie sie bei diesem<br />

Ulcus schon evident ist (Abbildung 7).<br />

Eine beginnende Charcot-Arthropathie ist am<br />

Periostödem zu erkennen, bereits diese verlangt<br />

nach einer zwingenden Entlastung. Da momentan<br />

der TCC (Total Contact Cast) nicht in unseren<br />

Versorgungsumfang genehmigt ist, wenngleich er<br />

den internationalen Standard darstellt, muss derzeit<br />

auf eine Zweischalenorthese zur Entlastung<br />

ausgewichen werden. Wir arbeiten deshalb daran,<br />

diese Versorgung wieder erstattbar zu machen.<br />

Falls die Endfertigung zu lange dauert, kann<br />

übergangsweise auch eine Vakuumentlastung<br />

mit einem kniehohen Vakuumstiefel durchgeführt<br />

Typische Läsionen lassen sich durch regelmäßige<br />

Fußuntersuchung vermeiden. Diese sollten bei<br />

Menschen mit stattgehabten Ulcera oder Charcot-<br />

Artopathie vierteljährlich erfolgen. Zudem sollte<br />

podologische Behandlung verordnet werden, so<br />

dass geschulte Augen den Fuß regelmäßig überwachen<br />

können.<br />

Hyperkeratosen müssen rechtzeitig abgetragen<br />

werden, die Patienten <strong>und</strong> ihre Angehörigen<br />

müssen bezüglich der Selbstbeobachtung geschult<br />

werden.<br />

Die podologische Therapie ist weiterhin vor allem<br />

in Regionen mit hohen Mietpreisen unterfinanziert<br />

(es werden 32 Euro für 50 Minuten Therapie<br />

gezahlt) so dass es weiterhin zu wenig Podologen<br />

gibt. Dies ist als Aufgabe der DDG sowie der<br />

Ges<strong>und</strong>heitsbehörden zu sehen, eine verbesserte<br />

Ausgangsbasis für podologische Therapie <strong>und</strong> Niederlassung<br />

neuer Podologen zu schaffen. Dies stellt<br />

eine Schnittstelle zur Reduktion der Amputationszahlen<br />

dar.<br />

Auch Selbstbeobachtung im Rahmen der Patientenschulung<br />

ist in dieser Gesamtsituation wichtig.<br />

34


DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />

In Gegenden mit in der Fläche weniger Fußambulanzen,<br />

aber auch in Ballungsräumen mit<br />

vielen alleine lebenden Menschen, die keine Transportmöglichkeit<br />

zum Arzt haben, müssen bereits<br />

entwickelte <strong>und</strong> erprobte telemedizinische Konzepte<br />

wie die des „Fußnetz Bayern“, die startbereit<br />

vorhanden sind, endlich kassenfinanziert umgesetzt<br />

werden. Erst dann können wir mittelfristig<br />

erreichen, dass die aktuell 40.000 diabetesbedingten<br />

Amputationen pro Jahr (Deutscher <strong>Diabetes</strong>bericht<br />

2018), was letztlich alle 13,4 Minuten eine<br />

Amputation bedeutet, reduziert werden können.<br />

Dr. med. Arthur Grünerbel<br />

gruenerbel@diabeteszentrum-muenchen-sued.de<br />

Um dies auch in der Bevölkerung stärker publik zu<br />

machen, sollte das Thema „Diabetischer Fuß“ auch<br />

vermehrt in den Medien präsent sein, schließlich<br />

ist die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Menschen<br />

mit diabetischen Fußsyndrom geringer als nach der<br />

Diagnose <strong>und</strong> Therapie von beispielsweise Colon–<br />

oder Mammakarzinom.<br />

Problemfüße müssen häufiger in der Fußambulanz<br />

der <strong>Diabetes</strong>schwerpunktpraxis vorgestellt<br />

<strong>und</strong> untersucht werden, die neue DMP-Richtlinie<br />

mit intensivierten Fußkontrollen muss weiter<br />

bekanntgemacht werden.<br />

Referenzen:<br />

1. Jeyam A, et al. Prevalenve of and risk factors accociated<br />

with diustal syymetric diabetioc polyneuropathy in the<br />

SDRNT1BIO cohort; SDRNT1BIO Investigators, University<br />

of Edinburgh; Poster EASD 2018<br />

2. Sommer C, , Geber C, Young P, et al. Polyneuropathies etiology,<br />

diagnosis and treatment options. Dtsch Ärztebl Int<br />

2018;115:83–90<br />

3. Henriksen O, Sejrsen P. Local reflex in microcirculation in<br />

human skeletal muscle. Acta Physiol Scand 1977;99:19<br />

–25<br />

4. Brandl R.; DOI 10.3238/arztebl.2018.0295a<br />

5. Manu CA, et aL. Arterial Diesase below the ankle in the<br />

diabetic foot: the final frontier; King's College Hospitaln<br />

London, NHS fo<strong>und</strong>ation trust Poster EASD 2018<br />

Dr. med. Arthur Grünerbel<br />

<strong>Diabetes</strong>zentrum München-Süd<br />

Stockmannstraße 47, 81477 München<br />

CONFERENCES<br />

35


TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />

<strong>Diabetes</strong>remission, (k)ein Hungerlohn<br />

Nina M. T. Meyer, Stefan Kabisch <strong>und</strong> Andreas F. H. Pfeiffer, Berlin<br />

<strong>Diabetes</strong> wird häufig noch mit Dicksein <strong>und</strong> dem übermäßigen Konsum von Schokoriegeln verb<strong>und</strong>en. Es ist<br />

auch etwas dran: Nicht nur, dass <strong>Diabetes</strong> eng mit <strong>Adipositas</strong> assoziiert ist, auch spielt die Nahrungsqualität<br />

in der Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle. Ganz so einfach ist es trotzdem nicht. So gibt es sowohl<br />

schlanke Menschen mit, als auch Dicke ohne <strong>Diabetes</strong> – <strong>und</strong> das sind keine Raritäten [1].<br />

CONFERENCES<br />

Gewichtszunahme ist eine typische Ursache für<br />

die Manifestation von Typ-2-<strong>Diabetes</strong>; Gewichtsverlust<br />

drängt die Krankheit oftmals zurück. Dies<br />

zeigt eine aktuelle Studie an britischen Patienten<br />

mit relativ frischer <strong>Diabetes</strong>diagnose. Gewichtsreduktion<br />

um etwa 15 kg führte bei etwa 85 %<br />

dieser Patienten zu einer Remission des <strong>Diabetes</strong>.<br />

<strong>Diabetes</strong>remission ist definiert durch einen HbA1c-<br />

Wert von unter 6,5 % ohne <strong>Diabetes</strong>medikation,<br />

mindestens ein Jahr nach Gewichtsreduktion. Das<br />

Ausgangsgewicht erschien hierbei unerheblich [2].<br />

Ähnliche Ergebnisse zeigte eine unabhängige Studie,<br />

in der auf kohlenhydratarme Ernährung kombiniert<br />

mit erheblicher Gewichtsreduktion gesetzt<br />

wurde [3].<br />

Ebenso wichtig wie das absolute Gewicht scheint<br />

also die Gewichtsdynamik zu sein. In der Nurses<br />

Health Study war ein BMI von 23,4 kg/m² mit einem<br />

verdoppelten <strong>Diabetes</strong>risiko gegenüber einem BMI<br />

von 21 kg/m² assoziiert [4]; Gewichtszunahme von<br />

etwa 4–5 kg verdoppelte das <strong>Diabetes</strong>risiko erneut.<br />

In Kombination erklärt sich das potenzierte <strong>Diabetes</strong>risiko<br />

bei massivem Übergewicht.<br />

Doch wodurch passiert das? Gewichtszunahme<br />

beruht wesentlich auf der Fettmasse. Dabei ist aber<br />

die Speicherkapazität des physiologischen Unterhautfettgewebes<br />

limitiert [5]. Zusätzliches Fett<br />

lagert sich ektop ab: in Leber, Pankreas, Muskulatur,<br />

aber auch in Endothelzellen. Diese Gewebe<br />

werden dadurch in ihrer Funktion beeinträchtigt.<br />

Die Lokalisation des Fetts ist also relevant: im<br />

Bereich der unteren Körperhälfte stellt es wahrscheinlich<br />

eher einen metabolischen Schutzfaktor<br />

dar [5], oft zu finden beim Phänotyp der „ges<strong>und</strong>en<br />

Dicken“ (Metabolically Healthy Obese, kurz MHO).<br />

Abdominelles oder viszerales Fett dagegen führt<br />

36


TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />

zu unges<strong>und</strong>er <strong>Adipositas</strong> [6]. Diese ist – durch<br />

teils noch unklare Mechanismen – mit den Komponenten<br />

des metabolischen Syndroms assoziiert:<br />

Bluthochdruck, Hyperglykämie, Dyslipidämie, subklinische<br />

Inflammation, Hyperurikämie. Jüngere<br />

Frauen erfüllen häufiger den MHO-Phänotyp, aber<br />

selbst diese Personengruppe hat ein deutlich höheres<br />

kardiovaskuläres Risikoprofil im Vergleich zu<br />

Schlanken [4].<br />

Nina Marie Tosca Meyer<br />

nina.meyer@dife.de<br />

Wie genau kommt es zu <strong>Diabetes</strong> bei<br />

unges<strong>und</strong>er <strong>Adipositas</strong>?<br />

Ektope Fettspeicherung führt zur Insulinresistenz,<br />

schwächt also die Glukoseaufnahme in die<br />

Zelle <strong>und</strong> entfesselt die hepatische Glukoneogenese.<br />

Zudem werden die -Zellen des Pankreas<br />

dabei eingeschränkt, Insulin zu produzieren [1, 7].<br />

Der hierdurch steigende Blutzucker wirkt nicht<br />

nur direkt gewebstoxisch, sondern fördert auch<br />

die weitere Einlagerung von Fett: ein Teufelskreis<br />

also [7]. Wer aber durch Gewichtsabnahme sein<br />

Organfett stark absenkt, profitiert oftmals besonders<br />

stark hinsichtlich des Blutzuckers [8, 9].<br />

Warum einige einen BMI von über 30 erreichen<br />

können, bis sie diabetisch werden, andere das<br />

aber schon bei 25 tun, ist jedoch weiterhin nicht<br />

geklärt. Entscheidend ist wohl, wie empfindlich<br />

man gegenüber den biochemischen Effekten ist,<br />

die durch den Fettüberschuss auf die Gewebe ausgeübt<br />

werden. Eine Theorie ist daher, dass jeder<br />

Mensch eine individuelle „Fett-Schwelle“ hat, ab<br />

der er Insulinresistenz <strong>und</strong> damit <strong>Diabetes</strong> entwickelt<br />

[1]. Wie bei allem spielt also Genetik auch<br />

hier eine große Rolle [10]. Dennoch ist man selbst<br />

bei genetisch „ungünstiger“ Ausgangssituation<br />

seinem Schicksal nicht machtlos ergeben, denn<br />

Genetik <strong>und</strong> Umwelteinflüsse interagieren. Ein<br />

ges<strong>und</strong>er Lebensstil – körperliche Aktivität, ausgewogene<br />

Ernährung – kann die Ausprägung einer<br />

Dr. med. Stefan Kabisch<br />

stefan.kabisch@dife.de<br />

Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer<br />

afhp@charite.de<br />

CONFERENCES<br />

37


TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />

CONFERENCES<br />

ungünstigen genetischen Variation unterdrücken<br />

[1, 11, 12].<br />

Aus gutem Gr<strong>und</strong> stellt daher eine Lebensstilverbesserung<br />

die Gr<strong>und</strong>lage der metabolischen Therapie<br />

dar. Erst bei Versagen dieses Ansatzes soll auf<br />

medikamentöse Regime zurückgegriffen werden:<br />

von oralen Antidiabetika bis hin zu Insulingaben.<br />

Ähnlich verhalten sich die Eskalationsstufen in der<br />

<strong>Adipositas</strong>therapie, der als Ultima Ratio der operative<br />

Eingriff offensteht. So jedenfalls lauten die<br />

Leitlinien.<br />

Leitlinien empfehlen<br />

Lebensstiländerung<br />

Paradoxerweise erfahren allerdings gerade die<br />

beiden letztgenannten Therapie-Arme immer mehr<br />

Zulauf: sowohl in der Praxis als auch in der Forschung.<br />

In den wenigsten Fällen der alltäglichen<br />

ärztlichen Praxis wird wirklich erst der Weg über<br />

eine Lebensstiländerung gegangen [13]. Gründe<br />

dafür mögen – sowohl auf Arzt als auch auf Patientenseite<br />

– mannigfaltig sein.<br />

Letztlich ist es wohl zum großen Teil eine Frage<br />

des Komforts: eine Umstellung des Lebensstils<br />

ist anstrengend, erfordert Mühe <strong>und</strong> Ausdauer –<br />

sowohl für Arzt, als auch für Patient. Pharmakotherapie<br />

<strong>und</strong> metabolische Chirurgie dagegen<br />

passieren eher passiv. Das ist einerseits für beide<br />

Parteien bequemer, andererseits für weitere Beteiligte<br />

zusätzlich lukrativer.<br />

Natürlich haben aber auch diese Therapien ihre<br />

Vorteile <strong>und</strong> Berechtigungen: Die derzeit favorisiert<br />

eingesetzten Antidiabetika, Metformin, GLP-1-<br />

Analoga <strong>und</strong> SGLT2-Hemmer, gelten als besonders<br />

effektiv in der Blutzuckersenkung. Darüber<br />

hinaus haben sie nicht nur gewichtsreduzierende<br />

Aspekte, sondern auch kardiovaskuläre Vorteile. In<br />

puncto <strong>Diabetes</strong>remission sind sie zudem besonders<br />

interessant, da sie einer Leberverfettung<br />

entgegenwirken. Die gerade in Deutschland sehr<br />

extensive Nutzung von Insulin wird dagegen immer<br />

mehr in Zweifel gezogen. Jede akute Senkung des<br />

Blut zuckerspiegels wird mit verstärkter Fettspeicherung<br />

erkauft, also Gewichtszunahme <strong>und</strong> verstärkter<br />

Insulinresistenz.<br />

Derzeit wird intensiv an neuen Präparaten<br />

geforscht, die Insulinsekretion <strong>und</strong> -sensitivität<br />

gleichzeitig verstärken sollen, sogenannte Multitaskers<br />

[14].<br />

Bariatrische Chirurgie führt über eine stark<br />

gedrosselte Kalorienzufuhr sowie ein verändertes<br />

Inkretinmuster zur Verbesserung der -Zellfunktion<br />

sowie Erhöhung der Insulinsensitivität <strong>und</strong> wirkt<br />

auf diese Weise einem gestörten Zuckerstoffwechsel<br />

entgegen [9, 14].<br />

Gänzlich ungeeignet zur <strong>Diabetes</strong>remission dagegen<br />

ist die Fettabsaugung. Während eine bariatrische<br />

Operation mitunter den Rückgang von Organfett<br />

verursacht, wird bei der Liposuction isoliert das<br />

Unterhautfettgewebe entfernt. Verloren gehen also<br />

ausgerechnet die physiologischen Fettdepots, die der<br />

Organverfettung entgegenwirken; somit steigt letztlich<br />

sogar das <strong>Diabetes</strong>risiko [5, 10].<br />

Letztlich ahmen sowohl <strong>Diabetes</strong>medikamente<br />

als auch restriktive Magen-Darm-Operationen<br />

nur das nach, was ebenso allein durch Lebensstiltherapie<br />

erreicht werden könnte – zu deutlich<br />

höheren Kosten, wenn auch mit höherer Compliance<br />

[13, 15]. Das jedoch könnte sich ändern.<br />

Wie genau wirkt eine<br />

Lebensstilveränderung?<br />

Die Gr<strong>und</strong>pfeiler einer Lebensstiltherapie sind<br />

allgemeinhin bekannt: „richtige“ Ernährung, körperliche<br />

Aktivität <strong>und</strong> Verzicht auf Tabakkonsum.<br />

Was genau jedoch eine Lifestyle-Intervention so<br />

effektiv macht, das kristallisiert sich nun immer<br />

mehr heraus.<br />

38


TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />

Very Low Calorie Diet [VLCD]<br />

Bei nutritiven Ansätzen gilt der Leitsatz: weniger<br />

ist mehr. Diäten mit besonders niedrigem Kaloriengehalt<br />

erweisen sich als sehr effektiv. Im Tiermodell<br />

wie auch beim Menschen ist hypokalorische Diät<br />

zur <strong>Diabetes</strong>remission wirksam [2, 16], bei Ratten<br />

sogar unabhängig von Gewichtsreduktion [16]!<br />

Drei molekulare Mechanismen werden hierfür<br />

diskutiert:<br />

••<br />

verminderter Abbau von Glykogen,<br />

••<br />

gedrosselte Glukoneogenese sowie<br />

••<br />

reduzierte Fettanreicherung in der Leber.<br />

Demnach läge der Erfolg von jeglichen Diäten<br />

an deren Eigenschaft, Leberfett zu reduzieren,<br />

wodurch sich die hepatische <strong>und</strong> globale Insulinempfindlichkeit<br />

deutlich steigern ließe [16].<br />

Gr<strong>und</strong>voraussetzung der <strong>Diabetes</strong>remission ist<br />

aber die noch intakte Sekretionsfähigkeit der pankreatischen<br />

-Zellen [17].<br />

Naheliegend ist daher die Frage, ob Diäten abseits<br />

von Hypokalorie das Organfett reduzieren oder gar<br />

die -Zellen stärken können. Reduktion von Kohlenhydraten<br />

[3, 13, 18, 19] <strong>und</strong> vermehrte Proteinaufnahme<br />

könnten dies möglicherweise leisten;<br />

Daten zur Leberfettreduktion stimmen hoffnungsvoll<br />

[20]. Dies liegt am ehesten an der verminderten<br />

Synthese von Triglyceriden unter dieser Diät<br />

[19, 21, 22]. Was die -Zellen betrifft, so könnten<br />

vielleicht auch sie besonders auf diesen Mechanismus<br />

ansprechen. Denn wie gezeigt werden konnte,<br />

wird die Funktion der -Zellen insbesondere durch<br />

einen Überschuss an freien Fettsäuren herabgesetzt<br />

[9, 14]. Interessanterweise erwiesen sich die<br />

genannten Diätformen auch protektiv in Hinblick<br />

auf kardiovaskuläre Mortalität zumindest unter<br />

pflanzenbasierter Kost [23–25].<br />

Was die Compliance angeht, so stellen sich derzeit<br />

gerade die Low-Carb-Diäten als besonders vorteilhaft<br />

heraus [13]: insbesondere durch den hohen<br />

Sättigungseffekt einer gesteigerten Proteinzufuhr.<br />

Diese wiederum kommt auch dem zweiten Gr<strong>und</strong>pfeiler<br />

der Lebensstiltherapie zugute:<br />

Exercise<br />

Bewegung trägt nicht nur zur negativen Energiebilanz<br />

bei, sondern wirkt ebenfalls unabhängig<br />

von Gewichtsverlust stark protektiv bezüglich<br />

Typ-2-<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> kardiovaskulären Erkrankungen<br />

[26–30]. Speziell das High Intensity Interval-<br />

Training erweist sich derzeit als vielversprechend<br />

in Hinblick auf Effektivität <strong>und</strong> Effizienz [31]. Vor<br />

allem Letzteres macht es insbesondere bezüglich<br />

Compliance interessant.<br />

In jedem Falle fördert Muskelaktivität per se die<br />

Insulinsensitivität [32] <strong>und</strong> induziert darüber hinaus<br />

weitreichende epigenetische Veränderungen [14].<br />

Lebensstilmaßnahmen sollten in der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />

also nach wie vor Mittel der ersten Wahl<br />

sein. Durch strukturierte Programme <strong>und</strong> aktuelle<br />

evidenzbasierte Konzepte könnte sowohl Patienten<br />

als auch Therapeuten geholfen werden es einzusetzen.<br />

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Dr. med. Stefan Kabisch<br />

Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-<br />

Rehbrücke<br />

Außenstandort Charité CBF (Studienambulanz)<br />

Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin<br />

<strong>und</strong><br />

Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-<br />

Rehbrücke<br />

(Deutsches Zentrum für <strong>Diabetes</strong>forschung e.V.)<br />

Abteilung Klinische Ernährung, Studienambulanz<br />

Arthur-Scheunert-Allee 155, 14558 Nuthetal<br />

40


PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />

Die Bedeutung körperlicher Aktivität bei<br />

<strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2<br />

Christine Graf, Köln<br />

Die Zahl der übergewichtigen, vor allem der adipösen Menschen hat weltweit epidemische Ausmaße erreicht.<br />

So stieg die Prävalenz von <strong>Adipositas</strong> in einer Analyse aus 200 Staaten von 3,2 % im Jahr 1975 auf 10,8 %<br />

2014 bei Männern <strong>und</strong> von 6,4 % auf 14,9 % bei Frauen [1]. 2,3 % sind morbid adipös (definiert in diesem<br />

Fall als BMI ≥35 kg/m 2 ). Auch in Deutschland zeichnet sich ein entsprechender Trend ab. Im Rahmen<br />

des B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurveys 1998 waren noch 18,9 % der Männer <strong>und</strong> 22,5 % der Frauen adipös, im<br />

DEGS1 waren es 23,3 % der Männer <strong>und</strong> 23,9 % der Frauen [2]. Die deutliche Zunahme der <strong>Adipositas</strong> in<br />

Deutschland zeigt sich besonders bei jungen Erwachsenen, d. h. zwischen 35 <strong>und</strong> 54 Jahren.<br />

Damit verb<strong>und</strong>en sind zahlreiche Komorbiditäten,<br />

u. a. der <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2. Weltweit<br />

sind 9 % betroffen, mit einem steigenden<br />

Trend an <strong>Diabetes</strong> Typ 2 bzw. Gestationsdiabetes.<br />

Wegen der ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen werden die<br />

Kosten sich von 1,3 Billionen US-Dollar in 2015<br />

auf 2,5 Billionen US-Dollar im Jahr 2030 steigern<br />

[3]. Aus diesem Gr<strong>und</strong> spielen präventive Maßnahmen,<br />

sowohl im Kontext <strong>Diabetes</strong>, wie auch<br />

der <strong>Adipositas</strong> eine immer wichtigere Rolle. Neben<br />

einer ausgewogenen Ernährung kommt in diesem<br />

Zusammenhang insbesondere der Steigerung der<br />

körperlichen Aktivität eine große Bedeutung zu<br />

[4, 5]. So führt das Erreichen der Bewegungsempfehlungen<br />

von 150 Minuten moderater Aktivität<br />

pro Woche bei inaktiven Personen zu einer Senkung<br />

der kardiovaskulären Sterblichkeit um 23 %,<br />

der Inzidenz von KHK um 17 % <strong>und</strong> des Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />

um 26 % [6]. Allerdings wird dieses Ziel<br />

kaum erreicht; im Rahmen des GEDA (Ges<strong>und</strong>heit<br />

in Deutschland) als Teil des Ges<strong>und</strong>heitsmonitorings<br />

des Robert Koch-Instituts wurden die Empfehlungen<br />

von Kraft <strong>und</strong> Ausdauer nur von 20,5 %<br />

der Frauen <strong>und</strong> 24,7 % der Männer erreicht [7].<br />

Im Rahmen dieses Beitrags sollen daher neben<br />

ausgewählten zugr<strong>und</strong>eliegenden Mechanismen<br />

<strong>und</strong> den aktuellen Empfehlungen auch praktische<br />

Hinweise gegeben werden.<br />

CONFERENCES<br />

41


PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />

Bewegung <strong>und</strong><br />

Bewegungsempfehlungen<br />

CONFERENCES<br />

Allgemein wird körperliche Aktivität als jede<br />

Bewegungsform definiert, die mit einer Steigerung<br />

des Energieverbrauchs in Alltag, Freizeit <strong>und</strong> Beruf<br />

einhergeht [8]. Sport ist definiert als geplante,<br />

strukturierte, wiederholte Aktivität mit dem Ziel,<br />

die Fitness zu verbessern bzw. zu erhalten. Denn<br />

schon lange gilt die Fitness als Schutzfaktor <strong>und</strong><br />

wichtiger Prädiktor für die kardio-metabolische<br />

Morbidität <strong>und</strong> Mortalität, auch im Kontext von<br />

Übergewicht/<strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong> mellitus<br />

Typ 2 [9]. Neben der körperlichen bzw. kardiopulmonalen<br />

Leistungsfähigkeit zählt zur Fitness auch<br />

die Muskelkraft <strong>und</strong> damit Körperkomposition <strong>und</strong><br />

Flexibilität [10]. Als „Dosis” wird der Energieaufwand,<br />

die Intensität als Rate des Energieverbrauchs<br />

im Rahmen ausgewählter Aktivitäten, meist ausgedrückt<br />

als VO 2 max (oder relativ bezogen auf<br />

das individuelle Körpergewicht) bzw. metabolische<br />

Einheiten verstanden. Allerdings wird die Fitness<br />

als Surrogatparameter nur selten berücksichtigt;<br />

die Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf<br />

den Umfängen, die moderat (150 min/Woche bzw.<br />

30 Minuten an mindestens fünf Tagen in der Prävention<br />

bzw. mindestens 200 bis 300 min/Woche<br />

in der Therapie der <strong>Adipositas</strong> [4, 5]; Tabelle 1)<br />

erreicht werden sollen – sicherlich auch mit dem<br />

Ziel, „fitter“ zu werden. Insbesondere bei bewegungsarmen<br />

bzw. sportungewohnten Personen<br />

kommt es rasch zu einer Steigerung der Fitness,<br />

wenn sie beginnen. Anders ausgedrückt haben sie<br />

den höchsten ges<strong>und</strong>heitlichen Nutzen; aus motivationalen<br />

Gründen sollte dies in der Beratung<br />

stets betont werden.<br />

Nicht immer ganz eindeutig ist die Trennung<br />

von Sporttreiben <strong>und</strong> Alltagsaktivitäten, deren<br />

tägliches Ziel zumeist mit 10.000 Schritten angegeben<br />

wird. Um 1.000 Schritte zu absolvieren, sind<br />

etwa zehn Minuten nötig; die empfohlenen 10.000<br />

Schritte umfassen daher 100 Minuten am Tag!<br />

Diese Differenzierung ist für die Praxis von Bedeutung,<br />

um die „wirksame“ Dosierung von Bewegung<br />

auch tatsächlich zu erreichen. Dies muss nicht von<br />

einem auf den anderen Tag geschehen, die Steigerung<br />

sollte im wahrsten Sinn des Wortes schrittweise<br />

erfolgen.<br />

Körperliche Inaktivität<br />

Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Graf<br />

graf@dshs-koeln.de<br />

Im wissenschaftlichen Fokus steht im Moment<br />

die körperliche Inaktivität bzw. vor allem die Sitzbzw.<br />

Liegezeit [11]. So scheint ein „übermäßiges<br />

Sitzen“, v. a. vor Bildschirmen/TV, mit der Entwicklung<br />

von Übergewicht, <strong>Diabetes</strong>, kardiovaskulären<br />

Ereignissen, aber auch höheren Spiegeln<br />

an inflammatorischen Markern in Verbindung zu<br />

stehen. Die „aktive“ Reduktion der Sitzzeit führt<br />

u. a. zu einer Steigerung der Telomerlänge im Sinne<br />

der verlangsamten Zellalterung bei Älteren [12]<br />

etc. Selbst Stehen wurde als „gesünder“ bewertet<br />

als sitzen [13]. Übertragen in die Praxis geht es<br />

42


PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />

letztlich darum, unnötige Phasen der Inaktivität zu<br />

meiden oder zumindest durch aktives Bewegen zu<br />

unterbrechen (Tabelle 1).<br />

Ausgewählte Effekte des<br />

ges<strong>und</strong>heitlichen Nutzens von<br />

körperlicher Aktivität<br />

Der ges<strong>und</strong>heitliche Nutzen von körperlicher<br />

Aktivität ist heutzutage nahezu für alle Altersgruppen<br />

sowie in der Prävention <strong>und</strong> Rehabilitation/Therapie<br />

unumstritten. Die zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />

Mechanismen sind vielfältig; im Zentrum stehen<br />

u. a. die Adipozytokine <strong>und</strong> Myokine. Das viszerale<br />

Fettgewebe ist inzwischen als ein endokrines<br />

Organ bekannt, das eine Vielzahl bioaktiver Faktoren<br />

produziert. Diese spielen eine mehr oder minder<br />

wichtige Rolle in der Regulierung des Fett- <strong>und</strong> Kohlenhydratstoffwechsels<br />

(zusammengefasst in [14])<br />

<strong>und</strong> tragen zu den bereits genannten Folgeerkrankungen<br />

bei. Zu diesen Adipozytokinen zählen u. a.<br />

Leptin, Adiponectin, Interleukin-6 (IL-6), Resistin,<br />

Fibroblasten-Wachstumsfaktor 21 (FGF21), Angiotensinogen,<br />

Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) alpha,<br />

Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 etc.<br />

Auf der anderen Seite gilt das Muskelgewebe<br />

ebenfalls als hormonaktives Organ. Das erste Zytokin,<br />

von dem ein belastungsinduzierter Anstieg<br />

beschrieben wurde, war IL-6. Dabei zeigte sich<br />

ein bis zu 100facher Anstieg bzw. ein Abfall nach<br />

der Belastung [15, 16], was wiederum die Lipolyse<br />

sowie die Fettoxidation steigert <strong>und</strong> den<br />

Effekten von TNF-alpha – Förderung der Insulinresistenz<br />

– bzw. der IL-1-Produktion gegensteuert.<br />

Antiinflammatorische Wirkung zeigt auch der in<br />

der Adipogenese zentral diskutierte Peroxisom-<br />

Proliferator-aktivierte Rezeptor Gamma (PPARy).<br />

Dessen Aktivierung wirkt sich zusätzlich positiv<br />

auf den Glukosestoffwechsel <strong>und</strong> die Insulinsensitivität,<br />

auf die Aufnahme freier Fettsäuren <strong>und</strong> die<br />

Tabelle 1: Empfehlungen für körperliche Aktivität bei <strong>Diabetes</strong> sowie im Kontext von<br />

<strong>Adipositas</strong> [4, 5] (in Klammern stehen die jeweiligen Evidenzgrade)<br />

Erwachsene mit Typ-1-(C)- <strong>und</strong> Typ-2-(B)-<strong>Diabetes</strong> sollten sich 150 Minuten oder mehr<br />

in moderater bis intensiver Intensität pro Woche aerob bewegen, verteilt auf wenigstens<br />

drei Tage/Woche, mit nicht mehr als zwei aufeinanderfolgenden Tagen ohne Bewegung.<br />

Kürzere Dauer (mindestens 75 Minuten/Woche) mit intensiver Aktivität oder Intervalltraining<br />

mag effizient für jüngere <strong>und</strong> fittere Individuen sein.<br />

Erwachsene mit Typ-1-(C)- <strong>und</strong> Typ-2-(B)-<strong>Diabetes</strong> sollten an 2–3 Sessions/Woche<br />

Krafttraining durchführen; nicht an aufeinanderfolgenden Tagen.<br />

Alle Erwachsenen, besonders die mit Typ-2-<strong>Diabetes</strong>, sollten die Umfänge an (vermeidbarer)<br />

Sitzzeit am Tag reduzieren (B) „Langanhaltende“ Sitzphasen sollten alle 30 Minuten<br />

unterbrochen werden, dies gilt besonders für Erwachsene mit Typ-2-<strong>Diabetes</strong> (C).<br />

2–3x/Woche wird Flexibilitäts- <strong>und</strong> Gleichgewichtstraining für ältere Erwachsene mit<br />

<strong>Diabetes</strong> empfohlen. Yoga <strong>und</strong> Tai Chi kann – je nach individueller Neigung – ebenfalls<br />

durchgeführt werden, um Beweglichkeit, Muskelkraft <strong>und</strong> Gleichgewicht zu steigern (C).<br />

Im Kontext <strong>Adipositas</strong>: Bewegungsumfänge von 200–300 Minuten (A) <strong>und</strong> Energiedefizit<br />

von 500 bis 700 kcal (A) anstreben.<br />

Differenzierung von Adipozyten aus [17]. Auf der<br />

Ebene der Mitochondrien scheinen beispielsweise<br />

Defekte in der Regulierung durch den PPAR Coactivator-1<br />

(PGC1) eine Rolle in der Entstehung des<br />

<strong>Diabetes</strong> Typ 2 zu spielen. Man findet ihn downreguliert<br />

in der insulinresistenten Skelettmuskulatur;<br />

umgekehrt steigt er infolge von Bewegung<br />

– u. a. durch eine Zunahme der Mitochondriendichte<br />

<strong>und</strong> der gesteigerten Expression von GLUT4-<br />

Transportern [18]. Diese Studien spiegeln letztlich<br />

nur einen minimalen Ausschnitt der Forschung<br />

<strong>und</strong> vor allem der Komplexität dieses Themenfeldes<br />

wider. Inwiefern es wirklich möglich ist, die<br />

Vielfalt sämtlicher akuten, also belastungsinduzierten<br />

<strong>und</strong> chronischen, d.h. trainingsbedingten<br />

Einflüsse unter Berücksichtigung der individuellen<br />

Ausgangslage, der weiteren Einflussfaktoren wie<br />

Ernährung komplett zu erfassen, kann aktuell gar<br />

nicht beantwortet werden.<br />

Transfer in die Praxis<br />

Durch das Wissen um diese komplexen Wechselwirkungen<br />

wird immer deutlicher, dass es vermutlich<br />

weniger um die Frage der richtigen Sportart<br />

oder Bewegungsform geht, sondern vielmehr um<br />

ein „Hauptsache, es wird gemacht!“. Der Einstieg<br />

über eine Steigerung der Alltagsaktivität ist sicher-<br />

CONFERENCES<br />

43


PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />

CONFERENCES<br />

lich immer mit den geringsten Hürden verb<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> kann über den Einsatz von Schrittzählern oder<br />

entsprechenden Messbändern überprüft <strong>und</strong> gefördert<br />

werden. Die in der Praxis häufig gestellte Frage<br />

nach Art <strong>und</strong> Intensität ist letztlich typenabhängig.<br />

Sicher ist, dass höhere Intensitäten einen anderen<br />

Reiz darstellen als „nur“ moderate Belastungen,<br />

Ausdauer ist anders als Kraft, die Förderung von<br />

Koordination <strong>und</strong> Flexibilität hat wiederum ganz<br />

andere Vorteile.<br />

Somit ist es eine Frage von Vorerfahrungen, Neigungen<br />

<strong>und</strong> der Berücksichtigung des individuellen<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustands. Jede Bewegungsart bietet<br />

Vorteile <strong>und</strong> fördert nicht nur die Ges<strong>und</strong>heit,<br />

sondern steigert insbesondere auch die Lebensqualität.<br />

Referenzen<br />

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body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a<br />

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on epigenetic modifications of PGC1: The impact on<br />

type 2 diabetes. Med Hypotheses 2014;82:748–753.<br />

Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Graf<br />

Deutsche Sporthochschule Köln<br />

Institut für Bewegungs- <strong>und</strong> Neurowissenschaft<br />

Abteilung für Bewegungs- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln<br />

44


LEBENSSTIL UND DIABETESRISIKO<br />

Einfluss des Energieumsatzes auf den<br />

Glukosestoffwechsel<br />

Franziska Büsing, Kiel<br />

Eine höhere postprandiale Glykämie bereits innerhalb des Normalbereichs hat sich als Risikofaktor für Herz-<br />

Kreislauf-Erkrankungen erwiesen [1, 2]. Darüber hinaus war in einer Meta-Analyse prospektiver Kohortenstudien<br />

eine höhere glykämische Last positiv mit dem Risiko für Typ-2-<strong>Diabetes</strong> assoziiert [3]. Ein höherer<br />

Energieumsatz könnte sich positiv auf die postprandialen Glukosespiegel auswirken.<br />

Der Energieumsatz ist definiert als Niveau der<br />

Energiebilanz, das heißt ein hoher Energieumsatz<br />

wird durch ein hohes Energieverbrauchsniveau<br />

(hohe körperliche Aktivität) <strong>und</strong> eine korrespondierend<br />

hohe Energieaufnahme erreicht. Ein niedriger<br />

Energieumsatz, das heißt eine geringe Energieaufnahme<br />

bei ebenfalls geringem Energieverbrauch<br />

entspricht einem inaktiven Lebensstil. Eine Veränderung<br />

des Energieumsatzes ist daher unabhängig<br />

von Veränderungen der Energiebilanz. Ziel dieser<br />

Studie war es, die Auswirkungen verschiedener<br />

Energieumsatzniveaus (niedrig, mittel <strong>und</strong> hoch)<br />

auf den Glukosestoffwechsel bei ausgeglichener<br />

Energiebilanz, kontrollierter Kalorienrestriktion<br />

<strong>und</strong> Überernährung zu untersuchen.<br />

Studiendesign<br />

16 ges<strong>und</strong>e Personen (drei Frauen <strong>und</strong> 13 Männer)<br />

im Alter von 25,1 ±3,9 Jahren mit einem BMI<br />

von 24,0 ±3,2 kg/m² wurden in diese Human studie<br />

eingeschlossen. Nach WHO-Kriterien waren zehn<br />

CONFERENCES<br />

45


LEBENSSTIL UND DIABETESRISIKO<br />

1 Tag<br />

niedriger<br />

Energieumsatz<br />

1 Tag<br />

mittlerer<br />

Energieumsatz<br />

1 Tag<br />

hoher<br />

Energieumsatz<br />

3x55 min<br />

3x110 min<br />

Voruntersuchungen<br />

3 Tage Eingangsphase Kalorienrestriktion* 1 Tag<br />

Washout<br />

ausgegl. Energiebilanz<br />

Voruntersuchungen<br />

Kalorienrestriktion*<br />

ausgegl. Energiebilanz<br />

1 Tag<br />

Washout<br />

Voruntersuchungen<br />

Kalorienrestriktion*<br />

ausgegl. Energiebilanz<br />

Überernährung*<br />

Überernährung*<br />

Überernährung*<br />

ausgegl.=ausgeglichen; *randomisierte Reihenfolge<br />

Abbildung 1: Schematische Darstellung des Studienprotokolls<br />

CONFERENCES<br />

Probanden/-innen normalgewichtig, fünf übergewichtig<br />

<strong>und</strong> eine/r fettleibig. Die randomisierte<br />

Interventionsstudie wurde im Cross-Over-Design<br />

durchgeführt. Für diese Untersuchungen war die<br />

exakte Erfassung von Energieaufnahme <strong>und</strong> Energieverbrauch<br />

über Zeiträume bis zu 36 St<strong>und</strong>en<br />

erforderlich. Diese erfolgte in speziellen Stoffwechselräumen,<br />

bei denen die Atemgase des Körpers<br />

(Sauerstoffverbrauch <strong>und</strong> CO 2 -Produktion) kontinuierlich<br />

gemessen <strong>und</strong> Energieverbrauch <strong>und</strong> Energieaufnahme<br />

vorgegeben <strong>und</strong> kontrolliert wurden.<br />

Die Probanden/-innen durchliefen 3x3 Interventionstage<br />

<strong>und</strong> hielten sich hierfür für jeweils<br />

24 St<strong>und</strong>en in einem Raumkalorimeter auf (schematisches<br />

Studienprotokoll in Abbildung 1). Drei<br />

unterschiedliche Niveaus von körperlicher Aktivität<br />

(Physical Activity Level: niedrig 1,3; mittel 1,5<br />

<strong>und</strong> hoch 1,7, erreicht durch Gehen mit 4 km/h für<br />

0 Minuten, 3×55 Minuten oder 3×110 Minuten)<br />

wurden jeweils unter drei verschiedenen Energiebilanzen<br />

(ausgeglichene Energiebilanz: 100 %<br />

des Energiebedarfs, Kalorienrestriktion, 75 % des<br />

Energiebedarfs <strong>und</strong> Überernährung: 125 % des<br />

Energiebedarfs) verglichen. In Voruntersuchungen<br />

in der ersten Woche wurde der individuelle Energieverbrauch<br />

bei den unterschiedlichen Niveaus an<br />

körperlicher Aktivität unter Ad-libitum-Ernährung<br />

erfasst.<br />

Die Tagesglykämie wurde kontinuierlich mittels<br />

Glukose-Monitoring (continous glucose monitoring)<br />

aufgezeichnet, die Insulinsekretion via<br />

C-Peptid-Ausscheidung im 24-St<strong>und</strong>en-Sammelurin<br />

analysiert <strong>und</strong> die basale Insulinsensitivität<br />

mittels HOMA-IR berechnet. Es wurden außerdem<br />

die postprandialen Glukose- <strong>und</strong> Insulinspiegel<br />

gemessen.<br />

46


LEBENSSTIL UND DIABETESRISIKO<br />

M.Sc. Franziska Büsing<br />

fbuesing@nutrition.uni-kiel.de<br />

Antwort führt [4]. Diese niedrigere postprandiale<br />

Glykämie könnte bei Nygaard et al. aber auch durch<br />

einen höheren Energieverbrauch <strong>und</strong> ein dadurch<br />

entstandenes Kaloriendefizit erklärt sein. Allein<br />

eine negative Energiebilanz könnte die Verbesserung<br />

der Glykämie erklären. Da das Prinzip des<br />

Energieumsatzes unabhängig von der Energiebilanz<br />

ist, sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie<br />

davon nicht beeinflusst.<br />

Die Ergebnisse zeigen, dass eine körperliche<br />

Aktivität mit niedriger Intensität die postprandiale<br />

Regulation des Glukosestoffwechsels bei ges<strong>und</strong>en<br />

Personen verbessert <strong>und</strong> die negativen Auswirkungen<br />

einer Überernährung auf die postprandiale<br />

Glykämie verhindern kann.<br />

Ergebnisse<br />

Die Tagesglykämie stieg bei höherem Energieumsatz<br />

trotz einer entsprechend höheren Kohlenhydrat-Aufnahmemenge<br />

(niedriger vs. hoher<br />

Energieumsatz: +86 -135 g Kohlenhydrate/Tag)<br />

unter keiner der drei verschiedenen Bedingungen<br />

der Energiebilanz an. Bei Kalorienrestriktion waren<br />

die Tagesglykämie <strong>und</strong> die Insulinsekretion über<br />

24 St<strong>und</strong>en bei einem höheren Energieumsatz im<br />

Vergleich zu einem niedrigen Energieumsatz sogar<br />

reduziert (p


LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />

Neuromodulation bei <strong>Adipositas</strong> –<br />

eine Übersicht<br />

Jennifer Schmidt, Köln<br />

In den vergangenen Jahren betonten Forscher vermehrt die Problematik steigender Prävalenzen von Übergewicht<br />

<strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> weltweit. So mussten 2017 in Deutschland 43,1 % der Frauen <strong>und</strong> 62,1 % der<br />

Männer als übergewichtig eingestuft werden. Bei der <strong>Adipositas</strong>, also der „Fettsucht“, liegen die aktuellen<br />

Zahlen bei 14,6 <strong>und</strong> 18,1 % [1]. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt einen konstanten Anstieg der<br />

Prävalenzen bei Erwachsenen wie auch Kindern, der nicht länger auf westliche Industrienationen beschränkt<br />

ist [2]. Dieser Trend setzt sich in Prognosen fort, nach denen im Jahr 2030 weltweit 42 % der Menschen<br />

adipös sein werden [3].<br />

CONFERENCES<br />

Bedrohlich sind diese Entwicklungen aufgr<strong>und</strong><br />

starker Ges<strong>und</strong>heitsrisiken <strong>und</strong> hoher gesamtgesellschaftlicher<br />

Kosten, die mit Übergewicht <strong>und</strong><br />

<strong>Adipositas</strong> einhergehen [4]. Dies gilt umso mehr,<br />

da ein Großteil der konservativen Therapien (z. B.<br />

Diäten) langfristig wenig effektiv ist [5]. Selbst<br />

die erfolgreichsten Maßnahmen bei schwerer <strong>Adipositas</strong><br />

– bariatrische Operationen – weisen in<br />

Bezug auf die Gewichtsentwicklung Rückfälle <strong>und</strong><br />

Non-Responder auf [6]. Entsprechend stehen Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Praxis vor der gemeinsamen Herausforderung,<br />

neue Möglichkeiten zur Optimierung<br />

der Behandlung von Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong><br />

zu identifizieren <strong>und</strong> zu evaluieren.<br />

Eine aktuelle Entwicklung besteht in therapeutischen<br />

Ansätzen, die gezielt neuronale Veränderungen<br />

des Gehirns bei <strong>Adipositas</strong> adressieren. Diese<br />

Techniken können unter dem Begriff der Neuro-<br />

48


LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />

Tiefe<br />

Hirnstimulation<br />

Neurofeedback<br />

Transkranielle<br />

Magnetstimulation<br />

Transkranielle<br />

Direktstromstimulation<br />

Vagus-Nerv-Stimulation<br />

Präfrontaler Cortex<br />

N. accumbens<br />

Hypothalamus<br />

Amygdala<br />

Abbildung 1: Verfahren zur Neuromodulation bei Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> ihre Zielregionen im Gehirn.<br />

modulation zusammengefasst werden. Ziel dieser<br />

Maßnahmen ist es, pathologische Veränderungen<br />

der Gehirnaktivität zu behandeln, um dysfunktionales<br />

Verhalten an der Wurzel verändern zu können<br />

[7]. Hierbei werden insbesondere neuronale Prozesse<br />

adressiert, welche mit erhöhter Impulsivität,<br />

Belohnungssensitivität <strong>und</strong> verringerten Selbstregulationskapazitäten<br />

bei <strong>Adipositas</strong> einhergehen.<br />

Diese sind vorwiegend in präfrontalen <strong>und</strong><br />

limbischen Gehirnarealen lokalisiert [8].<br />

Den eingesetzten Neuromodulationsmethoden<br />

ist gemeinsam, dass diese durch technisches Equipment<br />

appliziert werden, welches gezielt spezifische<br />

Aktivität des Nervensystems verändert. Ihr Einsatz<br />

ist in der Regel reversibel <strong>und</strong> erfordert eine fortlaufende<br />

Behandlung [9]. Zu unterscheiden sind<br />

non-invasive <strong>und</strong> invasive Verfahren, deren Einsatz<br />

je nach Schweregrad <strong>und</strong> Symptombild abzuwägen<br />

ist (Abbildung 1) [7].<br />

Nichtinvasive Verfahren<br />

Neurofeedback bezeichnet ein non-invasives Verfahren,<br />

mit dem Personen die aktive Kontrolle der<br />

eigenen Gehirnaktivität erlernen. Mithilfe entsprechender<br />

Messapparaturen wird die Gehirnaktivität<br />

CONFERENCES<br />

49


LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />

CONFERENCES<br />

(z. B. auf Basis der Elektroenzephalographie [EEG]<br />

oder funktionellen Magnetresonanztomographie<br />

[fMRT]) erfasst <strong>und</strong> in Echtzeit an den oder die Trainierende<br />

zurückgemeldet. Dieses Feedback erlaubt,<br />

dass die trainierende Person durch operante Konditionierung<br />

individuelle Strategien entwickelt, um<br />

die Gehirnaktivität zu optimieren. Während per<br />

EEG-Neurofeedback primär Aktivitätsmuster der<br />

kortikalen Aktivität beeinflusst werden können,<br />

erlaubt fMRT-Neurofeedback auch die Veränderung<br />

subkortikaler Aktivität [10, 11].<br />

Die Verfahren der nichtinvasiven Hirnstimulation<br />

erfordern kein aktives Trainieren der behandelten<br />

Person. Die Veränderung der Gehirnaktivität<br />

wird hier durch die Applikation elektrischer oder<br />

magnetischer Felder erzielt. Bei der repetitiven<br />

transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) werden<br />

Gehirnregionen durch elektromagnetische<br />

Induktion gezielt stimuliert oder gehemmt. Die<br />

wiederholte Stimulation kann langfristige Veränderungen<br />

der Gehirnaktivität herbeiführen [11].<br />

Die transkranielle Direktstrom-Stimulation (tDCS)<br />

ist technisch weniger aufwendig. Hierbei werden<br />

eine Anode <strong>und</strong> eine Kathode an der Kopfhaut der<br />

zu behandelnden Person angebracht, über die ein<br />

milder Strom (1–2 mA) appliziert wird. Die resultierende<br />

De- <strong>und</strong> Hyperpolarisation der neuronalen<br />

Membranpotenziale kann die synaptische Aktivität<br />

verändern [7].<br />

Invasive Verfahren<br />

Prof. Dr. Jennifer Schmidt<br />

j.schmidt@hs-doepfer.de<br />

Insbesondere bei schweren Ausprägungen der<br />

<strong>Adipositas</strong>, die mit komorbiden psychischen Störungen<br />

einhergehen, stellen invasive Neuromodulationsverfahren<br />

eine weitere therapeutische Option<br />

dar. Eines dieser Verfahren ist die Vagus-Nerv-<br />

Stimulation, bei der eine Sonde implantiert wird,<br />

die den afferenten Vagus-Nerv stimuliert. Diese<br />

Stimulation geht unter anderem mit einer Verminderung<br />

des Appetits einher <strong>und</strong> kann dadurch die<br />

Nahrungsaufnahme reduzieren [12]. Eine weitere<br />

Methode stellt die tiefe Hirnstimulation dar, bei der<br />

im Rahmen einer stereotaktischen Operation eine<br />

Elektrode in subkortikale Hirnregionen (z. B. Hypothalamus,<br />

N. accumbens) implantiert wird. Diese<br />

Regionen werden dann durch extern gesteuerte<br />

Schrittmacher gezielt elektrisch stimuliert [13].<br />

Ein Blick auf den Forschungsstand zur Neuromodulation<br />

bei Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> zeigt eine<br />

relativ dünne Datenlage, so dass finale Schlüsse<br />

zur Wirksamkeit dieser Verfahren verfrüht wären.<br />

Erste Meta-Analysen weisen auf eine signifikante<br />

Reduktion des subjektiven Heißhungererlebens<br />

durch rTMS <strong>und</strong> tDCS hin [14, 15]. Für die<br />

Anwendung des EEG-Neurofeedback zeigen erste<br />

Studien Erfolge in der Reduktion von Essanfällen<br />

[10]. Bef<strong>und</strong>e zur langfristigen Gewichtsentwicklung<br />

nach Behandlung mit diesen Verfahren stehen<br />

jedoch noch aus. Für die Behandlung der <strong>Adipositas</strong><br />

mittels invasiver Hirnstimulation mangelt es aktuell<br />

insgesamt an Humanstudien, die über Fallberichte<br />

hinausgehen [12, 13].<br />

50


LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />

Ein Blick auf klinische Register zeigt jedoch eine<br />

große Zahl an Studien zur Neuromodulation bei<br />

Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong>, die aktuell durchgeführt<br />

werden [11, 12]. In den nächsten Jahren wird<br />

sich dadurch ein Wissenszuwachs ergeben, durch<br />

den die Effektivität von Neuromodulation in diesem<br />

Anwendungsfeld evaluiert werden kann. Hierdurch<br />

wird sich zeigen, ob ein gezieltes Adressieren neuronaler<br />

Veränderungen den Entwicklungen in Hinblick<br />

auf die Prävalenzen von Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong><br />

entgegenwirken kann <strong>und</strong> sich die neuen Interventionen<br />

in der klinischen Praxis etablieren.<br />

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Med 2017;839–842.<br />

Prof. Dr. Jennifer Schmidt<br />

HSD Hochschule Döpfer University of<br />

Applied Sciences GmbH<br />

Waidmarkt 3 <strong>und</strong> 9, 50676 Köln<br />

Welchen Mehrwert hat es, die Behandlung von Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> um Neuromodulation zu erweitern?<br />

1. Die Behandlung kann vom Patienten selbst kostengünstig zuhause durchgeführt werden.<br />

2. Die Ursachen dysfunktionalen Verhaltens können direkt an ihrem neuronalen Ursprung behandelt werden.<br />

3. Die Zahl <strong>und</strong> Dauer der ärztlichen Konsultationen wird deutlich reduziert.<br />

4. Die Neuromodulation führt zu dauerhaften Veränderungen pathologischer Hirnstrukturen der betroffenen<br />

Personen.<br />

Die Lösung finden Sie auf Seite 58.<br />

CONFERENCES<br />

51


ZUKUNFT<br />

<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> digitaler Wandel –<br />

Veränderungen in der Therapie<br />

Der digitale Wandel hat längst alle Bereiche unseres Lebens ergriffen. Die Art, wie wir heute kommunizieren,<br />

wie wir einkaufen, wie wir uns informieren <strong>und</strong> uns eine Meinung bilden, wie wir arbeiten <strong>und</strong> sogar wie<br />

wir unseren Partner kennenlernen, hat nichts mehr mit dem Leben vor 30 Jahren gemeinsam. Auch in der<br />

Medizin hat die Digitalisierung enorme Fortschritte <strong>und</strong> neue Herausforderungen gebracht – für Menschen<br />

mit chronischen Krankheiten noch weit mehr als für durchschnittliche „Gelegenheitspatienten“. Auf einer<br />

Pressekonferenz in Berlin informierte die Deutsche <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft (DDG) über verschiedene Aspekte<br />

des digitalen Wandels im Bereich <strong>Diabetes</strong>.<br />

CONFERENCES News<br />

Digitalisierung im Ges<strong>und</strong>heitswesen kann<br />

einerseits ganz praktisch die Patientenversorgung<br />

verbessern, sie kann aber auch die Kommunikation<br />

zwischen verschiedenen ärztlichen Spezialisten<br />

verbessern, sie kann Kosten einsparen <strong>und</strong> sie<br />

kann nicht zuletzt auch die weitere Erforschung<br />

von Krankheiten erleichtern.<br />

Elektronische Patientenakte<br />

Ab spätestens Anfang 2021 soll die elektronische<br />

Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten<br />

in Deutschland eingeführt werden. Sie speichert<br />

Diagnosen <strong>und</strong> Untersuchungsergebnisse <strong>und</strong> kann<br />

von behandelnden Ärzten abgerufen werden. Die<br />

Daten sind auf zentralen Servern gespeichert. Die<br />

Krankenkassen haben keinen Zugriff auf die Daten;<br />

die Pa tienten selbst entscheiden, wem sie Zugang<br />

gewähren.<br />

In der Patientenversorgung hat die elektronische<br />

Patientenakte große Vorteile. Die derzeit in<br />

der Testphase befindliche „TK-Safe“ der Techniker-<br />

Krankenkasse beispielsweise enthält die Anamnese,<br />

Arzt- <strong>und</strong> Zahnarztbesuche der letzten Jahre, ver-<br />

52


ZUKUNFT<br />

ordnete Medikamente, aber auch Untersuchungs<strong>und</strong><br />

Laborergebnisse. Mehrfachuntersuchungen<br />

innerhalb kurzer Zeit können vermieden werden,<br />

<strong>und</strong> ein Blick auf die Liste der eingenommenen<br />

Medikamente kann unerwünschte Wechselwirkungen<br />

vermindern.<br />

Bei einem Typ-2-Diabetiker, der vielleicht bei<br />

verschiedenen Fachärzten gleichzeitig in Behandlung<br />

ist, ermöglicht die elektronische Akte, dass<br />

alle behandelnden Ärzte auf demselben Informationsstand<br />

sind. In Zukunft sollen auch die Ergebnisse<br />

des täglichen Blutzucker-Monitorings über<br />

diese Akte abrufbar sein.<br />

Selbstverständlich muss die Sicherheit der<br />

Daten gewährleistet sein, <strong>und</strong> die elektronischen<br />

Akten müssen systemübergreifend für alle Krankenkassen<br />

gelten. Wenn jemand die Krankenkasse<br />

wechselt, muss er seine Daten mitnehmen können.<br />

<strong>Diabetes</strong>register <strong>und</strong> Forschung<br />

Denkt man einen Schritt weiter, so lassen sich<br />

auf digitalem Weg auch die Untersuchungsergebnisse<br />

vieler Patienten anonymisiert zusammenfassen.<br />

Daraus kann man Schlüsse über die<br />

aktuelle Versorgung <strong>und</strong> Verbesserungsmöglichkeiten<br />

ziehen. In einem solchen Register können<br />

Daten aus dem stationären Sektor, aus der ambulanten<br />

Versorgung sowie aus Präventionsprogrammen<br />

<strong>und</strong> Studien zusammengeführt werden. Auf<br />

diese Weise lassen sich Trends in der Versorgung<br />

erkennen: Wer profitiert am besten von welchen<br />

Interventionen, von Schulungen oder Arzneimitteln?<br />

Gibt es bestimmte Patienten, die gar nicht<br />

profitieren, <strong>und</strong> welche Charakteristika weisen sie<br />

auf? Die Datenbank würde weiterhin die aktuellen<br />

Leitlinien <strong>und</strong> die aktuelle Literatur umfassen,<br />

aber ergänzt um konkrete Handlungsempfehlungen<br />

für bestimmte Patientengruppen.<br />

Digitale Technik in der praktischen<br />

Versorgung: Beispiel Insulinpumpe<br />

Etwa 30.000 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche unter 19<br />

Jahren leben in Deutschland mit einem Typ-1-<strong>Diabetes</strong>.<br />

Sie sind lebenslang auf die bedarfsgerechte<br />

Zufuhr von Insulin angewiesen.<br />

Hier nimmt die Insulinpumpe eine immer wichtigere<br />

Stellung ein. Mit diesen über eine App<br />

gesteuerten Pumpen lässt sich die Insulinzufuhr<br />

sehr fein regeln, <strong>und</strong> man kann auf Blutzuckerschwankungen<br />

rasch reagieren. Etwa die Hälfte<br />

aller Typ-1-Diabetiker unter 19 nutzt die Pumpe,<br />

bei kleinen Kindern unter fünf Jahren sind es sogar<br />

über 90 %. Die Erwachsenen hinken noch etwas<br />

hinterher: Nur etwa ein Drittel der Erwachsenen<br />

mit <strong>Diabetes</strong> Typ 1 trägt eine Pumpe.<br />

Studien haben gezeigt: Die Pumpe gibt den<br />

Eltern von neu diagnostizierten Typ-1-Diabetikern<br />

mehr Selbstvertrauen <strong>und</strong> lässt den „Schock“ der<br />

Diagnose schneller abklingen. Auch Betreuungspersonen<br />

in Kindergärten <strong>und</strong> Schulen sind zuversichtlicher,<br />

dass die Kinder mit ihrer chronischen<br />

Krankheit gut umgehen können.<br />

Die Pumpen sind kombiniert mit ebenfalls automatisierten<br />

Blutzuckermessungen. Diese werden in<br />

der App gespeichert <strong>und</strong> können bei dem Termin<br />

mit den Diabetologen besprochen werden.<br />

Letztliches Ziel ist natürlich eine „closed loop“-<br />

Pumpe, die selbsttätig <strong>und</strong> flexibel auf die ständig<br />

gemessenen Blutzuckerwerte reagiert. Erste<br />

Modelle gibt es bereits in den USA, aber noch<br />

nicht in Europa. Einige Patienten haben allerdings<br />

bereits in Eigenregie ihre Insulinpumpen entsprechend<br />

umgebaut. Das Ende der technologischen<br />

Entwicklung ist hier noch lange nicht erreicht.<br />

Bericht: Dr. med. Friederike Günther<br />

Quelle: Pressekonferenz der Deutschen <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft<br />

(DDG) am 12.02.<strong>2019</strong> in Berlin<br />

CONFERENCES News<br />

53


TYP-1-DIABETES<br />

Awareness-Kampagne soll zu neuen<br />

Tests ermutigen<br />

In Deutschland sind über 350.000 Menschen von <strong>Diabetes</strong> Typ 1 betroffen, 32.000 von ihnen sind jünger<br />

als 20. Oder anders ausgedrückt: Eines von 250 Kindern hat Typ-1-<strong>Diabetes</strong>, pro zehn Schulklassen eines.<br />

Damit ist der Typ 1 die häufigste Stoffwechselkrankheit im Kindesalter. Und die Inzidenz nimmt zu – pro<br />

Jahr um etwa 4 %. Damit verdoppelt sich die Zahl der Betroffenen alle zwölf Jahre. Erhöhte Aufmerksamkeit<br />

für den Typ-1-<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> Bereitschaft zur Teilnahme an aktuellen Studien mit innovativen Forschungsansätzen<br />

– das versprechen sich die Initiatoren der Kampagne „A World Without 1“.<br />

EDUCATION News<br />

Screening auf Risiko-Gene:<br />

Die Freder1k-Studie<br />

Bestimmte Risikogene prädisponieren für den<br />

<strong>Diabetes</strong> Typ 1. Kinder, bei denen ein Elternteil<br />

einen Typ-1-<strong>Diabetes</strong> hat, tragen ein Risiko von<br />

3–8 %, selbst zu erkranken. Sind beide Elternteile<br />

betroffen, liegt das Risiko bei 25 %.<br />

Die Risiko-Gene kommen bei etwa 1 % der<br />

Bevölkerung vor, <strong>und</strong> diese Kinder tragen ein etwa<br />

zehnprozentiges Risiko, noch vor ihrem sechsten<br />

Lebensjahr eine frühe Form des Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />

zu entwickeln.<br />

In der Freder1k-Studie (kleine Verbeugung vor<br />

dem Kanadier Frederick Banting, der 1921 das<br />

Insulin entdeckte <strong>und</strong> dafür 1923 im Alter von nur<br />

32 Jahren den Medizin-Nobelpreis erhielt) werden<br />

Kinder durch einen Bluttest im Rahmen des<br />

Neugeborenenscreenings auf solche Risiko-Gene<br />

untersucht. Diese Möglichkeit besteht in Bayern,<br />

Niedersachsen <strong>und</strong> Sachsen, <strong>und</strong> zwar direkt in<br />

der Geburtsklinik. In Bayern <strong>und</strong> Niedersachsen<br />

können Eltern ihre Kinder auch noch bis zum<br />

Alter von vier Monaten beim Kinderarzt auf die<br />

Risiko-Gene testen lassen. Sofern ein Elternteil<br />

oder Geschwisterkind bereits Typ-1-<strong>Diabetes</strong> hat,<br />

ist eine Teilnahme an der Freder1k-Studie auch<br />

in allen anderen B<strong>und</strong>esländern beim Kinderarzt<br />

möglich. Bisher haben bereits 85.000 Kinder weltweit<br />

an der Freder1k-Studie teilgenommen, davon<br />

35.000 in Sachsen.<br />

Wird beim Test eine Risikokonstellation festgestellt,<br />

dann erhalten die Eltern eine Nachricht. Sie<br />

haben dann die Möglichkeit, an einer Interventionsstudie<br />

teilzunehmen.<br />

POInT-Studie: „Hyposensibilisierung“<br />

für Kinder mit Risiko-Genen<br />

Schon Jahre vor der klinischen Manifestation<br />

des Typ-1-<strong>Diabetes</strong> lassen sich Auto-Antikörper<br />

nachweisen.<br />

54


TYP-1-DIABETES<br />

In der plazebokontrollierten, doppelblinden Präventionsstudie<br />

POInT (Primary Oral Insulin Trial)<br />

des Instituts für <strong>Diabetes</strong>forschung am Helmholtz-Zentrum<br />

in München erhalten Kinder mit<br />

Risikogenen, die innerhalb der Freder1k-Studie<br />

identifiziert wurden, Insulin als Pulver täglich mit<br />

einer Mahlzeit. Ziel ist es, die Toleranz gegenüber<br />

Insulin zu verbessern. Eine unerwünschte blutzuckersenkende<br />

Wirkung des oral aufgenommenen<br />

Insulinpulvers ist nicht zu befürchten, denn<br />

Insulin muss ja gespritzt werden, um den Blutzucker<br />

wirksam zu senken. Kinder im Alter zwischen<br />

vier <strong>und</strong> sieben Monaten können in die<br />

POInT-Studie aufgenommen werden, die Gabe des<br />

Prüfpräparats (Insulin oder Plazebo) wird bis zum<br />

Alter von drei Jahren fortgesetzt. Danach werden<br />

die Kinder noch bis zum Alter von 7,5 Jahren nachbeobachtet.<br />

Die Plazebokontrolle ist unbedingt erforderlich,<br />

denn noch ist ja keineswegs belegt, dass orales<br />

Insulin tatsächlich eine positive Wirkung hat. Mit<br />

entsprechender Aufklärung sind die Eltern der Risikokinder<br />

dennoch meist bereit, mit ihren Kindern<br />

an der Studie teilzunehmen. Sie wird die Medizin<br />

ein gutes Stück weiterbringen. 50 Kinder in Dresden<br />

nehmen derzeit an der POInT-Studie teil, aber<br />

die Teilnahme ist in ganz Deutschland möglich.<br />

<strong>und</strong> fünf (bzw. sechs) Jahren teilnehmen, entweder<br />

begleitend zu einer der „U-Untersuchungen“<br />

oder jederzeit beim Kinderarzt. Die Eltern von über<br />

90.000 Kindern haben diese Möglichkeit bereits<br />

genutzt. Wenn tatsächlich Auto-Antikörper gef<strong>und</strong>en<br />

werden, können Kinder aus der Fr1da-Studie<br />

an einer plazebokontrollierten Interventionsstudie<br />

ähnlich der bereits beschriebenen POInT-Studie<br />

teilnehmen, die dann bis zum Alter von zwölf<br />

Jahren weitergeführt werden kann. Auch die Teilnahme<br />

an anderen Studien zur Verhinderung der<br />

Manifestation des Typ 1 wird angeboten.<br />

Natürlich werden die Eltern von Kindern mit<br />

Risikogenen oder gar Auto-Antikörpern nicht<br />

alleingelassen. Im Rahmen der Studien erhalten<br />

sie umfassende Informationen <strong>und</strong> Betreuung.<br />

Sollte es tatsächlich zu einer Manifestation des<br />

Typ-1-<strong>Diabetes</strong> bei ihrem Kind kommen, sind sie<br />

bestens vorbereitet.<br />

Bericht: Dr. med. Friederike Günther<br />

Quelle: Pressekonferenz des Helmholtz Zentrums München am<br />

22.01.<strong>2019</strong> in Berlin<br />

Kontaktadresse für nähere Informationen zu den Studien:<br />

https://www.gppad.org/de/studienzentren/<br />

Fr1da <strong>und</strong> Fr1dolin: Identifikation<br />

<strong>und</strong> Behandlung von Risikokindern<br />

Auch nach dem Säuglingsalter besteht die Möglichkeit,<br />

das Risiko für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> bei Kindern<br />

zu untersuchen. Hier wird nicht nach Risiko-Genen<br />

gefahndet, sondern direkt nach Auto-Antikörpern.<br />

Bei 80 % der Kinder, die später an Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />

erkrankten, fanden sich schon vor dem Alter von<br />

fünf Jahren solche Auto-Antikörper.<br />

An den Studien Fr1da (Bayern) <strong>und</strong> Fr1dolin<br />

(Niedersachsen) können Kinder zwischen zwei<br />

EDUCATION News<br />

55


BIOMARKER<br />

Neuer Marker gibt Einblicke in die<br />

Entstehung des Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />

EDUCATION News<br />

Kleine – wahrscheinlich von Lebensstilfaktoren<br />

beeinflussbare – chemische Änderungen der<br />

DNA-Bausteine können die Menge des wichtigen<br />

Bindungsproteins IGFBP2 vermindern. Ein DIfE/<br />

DZD-Forschungsteam hat nun im Fachjournal<br />

<strong>Diabetes</strong> publiziert, dass diese sogenannten<br />

epigenetischen Veränderungen das Risiko für<br />

Typ-2-<strong>Diabetes</strong> erhöhen. Menschen mit hohen<br />

Konzentrationen von IGFBP2 im Blut erkranken<br />

zudem seltener an dieser Stoffwechselerkrankung.<br />

Die Veränderungen im Blut sind bereits<br />

einige Jahre vor Beginn der Krankheit nachweisbar.<br />

„Unsere Ergebnisse könnten künftig dazu beitragen,<br />

Risikopotenziale für Typ-2-<strong>Diabetes</strong> noch<br />

früher zu erkennen <strong>und</strong> der Krankheit präventiv<br />

entgegenzuwirken“, sagt Professorin Annette<br />

Schürmann, Leiterin der Abteilung Experimentelle<br />

Diabetologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung<br />

Potsdam-Rehbrücke (DIfE) <strong>und</strong><br />

Sprecherin des Deutschen Zentrums für <strong>Diabetes</strong>forschung<br />

(DZD).<br />

Molekularen Mechanismen auf der<br />

Spur<br />

Neben Insulin ist auch IGF-1 (Insulin-like growth<br />

factor 1) am Zucker- <strong>und</strong> Fettstoffwechsel beteiligt.<br />

Die Wirkung dieses Wachstumsfaktors wird<br />

durch die Bindung an das IGF-bindende Protein 2<br />

(IGFBP2) abgeschwächt. Das Forschungsteam ging<br />

deshalb der Frage nach, wie die verminderte Wirkung<br />

des IGFBP2-Gens die Entwicklung von Typ-<br />

2-<strong>Diabetes</strong> beeinflussen könnte.<br />

Humanstudien zeigen, dass Menschen, die an<br />

einer Fettleber leiden, weniger IGFBP2 produzieren<br />

<strong>und</strong> freisetzen. Ähnliche Effekte beobachtete das<br />

Team von Schürmann in früheren Mausversuchen,<br />

die zeigten, dass die IGFBP2-Spiegel bereits vor der<br />

Lebererkrankung vermindert sind.<br />

Ursächlich dafür ist die Übertragung von Methylgruppen<br />

an bestimmten Stellen der IGFBP2-DNA-<br />

Sequenz, die das Gen in der Leber hemmten. Diese<br />

epigenetischen Veränderungen kommen unter<br />

anderem durch den Lebenswandel zustande. Auch<br />

in Blutzellen übergewichtiger Menschen mit einer<br />

56


BIOMARKER<br />

gestörten Glucosetoleranz wurden derartige Modifikationen<br />

der DNA im IGFBP2-Gen bereits nachgewiesen.<br />

Von Mäusen <strong>und</strong> Menschen<br />

Das interdisziplinäre Forschungsteam um Schürmann<br />

<strong>und</strong> Schulze nutzte Erkenntnisse aus Klinik<br />

<strong>und</strong> Labor für die Auswertung von Blutproben<br />

<strong>und</strong> Daten aus der Potsdamer EPIC-Studie. „Diese<br />

Arbeit zeigt sehr schön, wie translationale Forschung<br />

funktioniert: Ein Bef<strong>und</strong> aus der Klinik<br />

wird aufgegriffen, im Labor mechanistisch analysiert<br />

<strong>und</strong> schließlich in einer bevölkerungsweiten<br />

Studie untersucht“, sagt Schürmann.<br />

Die aktuellen Analysen der Forscher weisen<br />

darauf hin, dass die Hemmung des IGFBP2-Gens<br />

Typ-2-<strong>Diabetes</strong> begünstigt. Zudem beobachtete<br />

das Wissenschaftlerteam, dass schlankere Studienteilnehmer<br />

<strong>und</strong> Studienteilnehmer mit geringeren<br />

Leberfettanteilen höhere Konzentrationen<br />

des schützenden Bindungsproteins im Blut haben.<br />

Höhere Plasmakonzentrationen von IGFBP2 waren<br />

mit einem geringeren Risiko verb<strong>und</strong>en, in den<br />

Folgejahren an Typ-2-<strong>Diabetes</strong> zu erkranken. „Mit<br />

unserer Studie erhärtet sich die Annahme, dass der<br />

IGF-1-Signalweg auch beim Menschen eine wichtige<br />

Rolle für die Entstehung von Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />

spielt“, ergänzt Dr. Clemens Wittenbecher, wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter der Abteilung Molekulare<br />

Epidemiologie am DIfE <strong>und</strong> Erstautor der Studie.<br />

Referenz<br />

1. Wittenbecher C, Ouni M, Kuxhaus O, Jähnert, M, Gottmann<br />

P, Teichmann, A, Meidtner, K, Kriebel, J, Grallert, H, Pischon,<br />

T, Boeing, H, Schulze, MB, Schürmann, A. Insulin-like growth<br />

factor binding protein 2 (IGFBP-2) and the risk of developing<br />

type 2 diabetes. <strong>Diabetes</strong> 2018 (https://doi.org/10.2337/<br />

db18-0620)<br />

Quelle: Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-<br />

Rehbrücke (DIfE), Pressemitteilung vom 5. November 2018<br />

Epigenetik<br />

Die Epigenetik ist ein relativ junges Forschungsgebiet.<br />

Es untersucht veränderte<br />

Gen-Funktionen, die nicht auf eine Änderung<br />

der DNA-Sequenz zurückzuführen sind, aber<br />

dennoch vererbt werden können. Studien<br />

der letzten Zeit weisen verstärkt darauf hin,<br />

dass auch die Ernährung als Umweltfaktor<br />

den Aktivitätszustand von Genen nachhaltig<br />

beeinflussen kann, z. B. durch chemische<br />

(epigenetische) Veränderungen der DNA-<br />

Bausteine. Hierzu zählen auch Methylierungen.<br />

Diese entstehen, wenn Methylgruppen an die<br />

DNA binden. Diese kann die Aktivierung der<br />

Gene entweder erschweren oder erleichtern.<br />

Die direkte Methylierung der DNA verändert<br />

dann dauerhaft die Genexpression, wenn sie in<br />

Steuerbereichen von Genen erfolgt (sogenannten<br />

CpG-Inseln), die durch die Modifikation der<br />

Histone zugänglich gemacht wurden.<br />

EPIC-Potsdam-Studie<br />

Die European Prospective Investigation into<br />

Cancer and Nutrition (EPIC)-Potsdam-Studie<br />

ist eine prospektive Kohortenstudie. Zwischen<br />

1994 <strong>und</strong> 1998 wurden 27.548 Frauen <strong>und</strong><br />

Männer zwischen 35 <strong>und</strong> 65 Jahren rekrutiert.<br />

Sie haben Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten,<br />

ihrem Lebensstil sowie ihrem<br />

ges<strong>und</strong>heitlichen Status ausgefüllt. Diese<br />

Befragung wurde ca. alle drei Jahre wiederholt.<br />

Die EPIC-Potsdam-Studie ist Teil einer der<br />

größten Langzeitstudien weltweit mit insgesamt<br />

ca. 521.000 Studienteilnehmern aus zehn<br />

europäischen Ländern. Ziel ist, den Einfluss der<br />

Ernährung auf die Entstehung von Krebs <strong>und</strong><br />

anderen chronischen Erkrankungen zu erforschen.<br />

EDUCATION News<br />

57


IMPRESSUM<br />

Herausgeber <strong>und</strong> Verlag<br />

The Paideia Group GmbH<br />

Dammsmühlerstr. 35, 13158 Berlin<br />

Tel.: 030 / 40 30 36 92<br />

Fax: 030 / 40 30 36 96<br />

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Publishing Director<br />

Anja Lamprecht<br />

publishing@thepaideiagroup.com<br />

Redaktion<br />

Dr. med. Friederike Günther<br />

editorial@thepaideiagroup.com<br />

Redaktionelle Mitarbeit<br />

Elke Klug<br />

editorial@thepaideiagroup.com<br />

Haftungsausschluss<br />

Diese Dokumentation enthält alle Veranstaltungsbeiträge,<br />

die bis Redaktionsschluss vorlagen. Verantwortlich<br />

für den Inhalt der im The Paideia Group<br />

Verlag veröffentlichten Beiträge ist der jeweils in<br />

den einzelnen Beiträgen genannte Autor. Die in den<br />

Beiträgen zum Ausdruck gebrachte Meinung gibt in<br />

erster Linie die Auffassung der Autoren <strong>und</strong> nicht<br />

in jedem Fall die Meinung des The Paideia Group<br />

Verlages wieder. Soweit die Beiträge Dosierungen,<br />

Indikationen <strong>und</strong> Applikationsformen benennen,<br />

sollte — trotz einer sorgfältigen Recherche von<br />

Autoren, Herausgeber <strong>und</strong> Verlag — in jedem Fall<br />

vor Gebrauch oder Verordnung der genannten<br />

Medikamente der Beipackzettel mit den dort angegebenen<br />

Dosierungs- <strong>und</strong> Einnahmeempfehlungen<br />

<strong>und</strong> Hinweisen auf Kontraindikationen verglichen<br />

werden. Für etwaige Abweichungen oder Unrichtigkeiten<br />

übernehmen Herausgeber <strong>und</strong> Verlag<br />

keine Haftung.<br />

Art Director<br />

Sigrid Lessing<br />

print@thepaideiagroup.com<br />

Gestaltung Cover<br />

Jens Vogelsang, Aachen<br />

Infografiken, Abbildungen<br />

Sigrid Lessing<br />

Lektorat<br />

Olaf Mertensacker<br />

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Anzeigen <strong>und</strong> Industriemitteilungen<br />

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<strong>und</strong> die im Bereich „Industry“ der Dokumentation<br />

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Nr. 4, 7. Jahrgang, Mai <strong>2019</strong><br />

Copyrights<br />

Titelbild: mauritius images / Science Source / Don<br />

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Fotos: S. 3 Martin Adam, S. 9 Shutterstock® alexskopje,<br />

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– MAGAZIN<br />

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ADDENDUM<br />

••<br />

präsentiert Highlights von Veranstaltungen verschiedener<br />

medizinischer Fachgebiete themenspezifisch auf der Basis<br />

von Referenten beiträgen in deutscher beziehungsweise<br />

englischer Sprache,<br />

••<br />

erscheint pro Thema jeweils ein- bis zweimal pro Jahr,<br />

••<br />

verbindet die Interessen von Kongressveranstaltern, Teilnehmern<br />

<strong>und</strong> Industrie,<br />

••<br />

ist nicht mit Honorar zahlungen verb<strong>und</strong>en,<br />

••<br />

regt durch Cogitatio-Fragen zum Nachdenken „über den<br />

Tellerrand“ hinaus an,<br />

••<br />

reflektiert wissenschaftliche Inhalte in den drei Rubriken<br />

Conference, Education <strong>und</strong> Industry,<br />

••<br />

finanziert sich über Anzeigen, Sponsoring <strong>und</strong> Abonnements<br />

,<br />

••<br />

wird in zielgruppenspezifischer Auflage per Post versandt<br />

<strong>und</strong> ist mit allen <strong>Ausgabe</strong>n für medizinische Fachkreise auch<br />

digital auf www.con-nexi.de verfügbar.<br />

CONFERENCES<br />

Beiträge <strong>und</strong> Berichte von Konferenzen wie z. B. Präsidenten-<br />

<strong>und</strong> Experten-Interviews, Statements von ausgesuchten<br />

Referenten, Basic Science, From Bench to Bedside, Arbeitsgruppensitzungen,<br />

Preisverleihungen sowie Regulatory Affairs.<br />

EDUCATION<br />

Berichte von industrieunterstützten Veranstaltungen wie z. B.<br />

Satelliten-Symposien oder Fachpressekonferenzen zu neuen<br />

Entwicklungen in der pharmazeutischen Industrie, Pro- <strong>und</strong><br />

Contra-Debatten sowie unser Feuilleton „The Story Behind“,<br />

LeseZeichen (Kommentare zu aktuellen Studien ergebnissen),<br />

Fortbildung (Kalender) <strong>und</strong> Lösungen zu Cogitatio-Fragen der<br />

Autoren.<br />

INDUSTRY<br />

Markt- <strong>und</strong> Produktinformationen aus der pharma zeutischen<br />

<strong>und</strong> Medizintechnik-Industrie.<br />

58


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