Leseprobe CONNEXI Diabetes und Adipositas Ausgabe 4-2019
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<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong><br />
4-<strong>2019</strong>
EDITORIAL<br />
Sehr geehrte Leserinnen <strong>und</strong> Leser,<br />
<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> − diese beiden eng verb<strong>und</strong>enen<br />
Erkrankungen betreffen einen großen<br />
Teil der Bevölkerung in Deutschland. Oft bedingt<br />
das eine das andere, es gibt viele Überschneidungen<br />
sowohl in der Versorgung <strong>und</strong> Schulung der<br />
Patienten als auch in der Gr<strong>und</strong>lagenforschung,<br />
Prävention <strong>und</strong> Behandlung. Nicht zufällig veranstalten<br />
DAG <strong>und</strong> DDG gemeinsame Tagungen, um<br />
Synergien zu nutzen.<br />
In dieser connexi-<strong>Ausgabe</strong> zeigt der Beitrag von<br />
Nina Meyer, Stefan Kabisch <strong>und</strong> Andreas Pfeiffer,<br />
dass eine deutliche <strong>und</strong> nachhaltige Gewichtsabnahme<br />
bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern<br />
mit einer Remission des <strong>Diabetes</strong> einhergehen<br />
kann <strong>und</strong> dass man so auch in der Therapie „zwei<br />
Fliegen mit einer Klappe schlagen“ kann.<br />
Außerdem finden Sie in dieser <strong>Ausgabe</strong> spannende<br />
neue Aspekte zum Thema Bewegung <strong>und</strong> Energiebilanz.<br />
Diesem Thema widmen sich Christiane Graf<br />
<strong>und</strong> Franziska Büsing.<br />
Jennifer Schmidt berichtet über Verfahren der Neuromodulation,<br />
die insbesondere bei stark übergewichtigen<br />
Patienten den Abnehmerfolg verbessern<br />
könnten – die Studien sind derzeit noch im Fluss.<br />
Aber wie Sie als Hausärzte, Internisten <strong>und</strong> Diabetologen<br />
aus Ihrer täglichen Praxis wissen: Abnehmen<br />
kann bei entsprechender Motivation <strong>und</strong><br />
Disziplin zwar gelingen, aber das damit erreichte<br />
Gewicht dauerhaft zu halten ist unendlich schwer.<br />
Deshalb reicht eine Lebensstilveränderung bei<br />
den meisten Patienten nicht aus, um den <strong>Diabetes</strong><br />
erfolgreich zu behandeln. Ohne Medikamente<br />
geht es nur selten. Glücklicherweise hat sich in<br />
diesem Bereich in den letzten Jahren viel getan.<br />
Neue Antidiabetika können erstmals nachweislich<br />
nicht nur den Blutzucker senken, sondern tatsächlich<br />
die Lebenserwartung erhöhen. Insbesondere<br />
die SGLT2-Hemmer finden derzeit viel Aufmerksamkeit<br />
– die Beiträge von Thomas Danne <strong>und</strong> Gert<br />
Gabriëls beleuchten dies aus unterschiedlichen<br />
Blickwinkeln.<br />
Martin Holder berichtet über den seltenen neonatalen<br />
<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> zeigt, dass eine frühzeitige<br />
Therapie die Stoffwechseleinstellung <strong>und</strong> das neurologische<br />
Outcome verbessern kann.<br />
Arthur Grünerbel schließlich fokussiert das diabetische<br />
Fußsyndrom als eine immer noch sehr häufige<br />
Komplikation bei langjährigem <strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong><br />
signalisiert Handlungsbedarf in der Versorgung.<br />
Mit dieser Gesamtschau verschiedenster Aspekte<br />
hoffen wir, Ihnen einige Anregungen für die Arbeit<br />
mit Ihren Patienten geben zu können.<br />
Wir wünschen Ihnen eine spannende <strong>und</strong> interessante<br />
Lektüre!<br />
Berlin, Mai <strong>2019</strong><br />
Anja Lamprecht<br />
anja.lamprecht@thepaideiagroup.com<br />
Herzlichst Anja Lamprecht<br />
Verlegerin<br />
3
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Editorial 3<br />
Anja Lamprecht<br />
Diabetologie in Deutschland <strong>2019</strong> 6<br />
Agieren ist mindestens genauso wichtig wie<br />
Reagieren<br />
Abschied vom „glykozentrischen Weltbild“ 27<br />
Paradigmenwechsel in der Therapie des<br />
Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />
Seltene <strong>Diabetes</strong>formen 10<br />
Neonataler <strong>Diabetes</strong> – auch für das<br />
Erwachsenenalter relevant<br />
Martin Holder<br />
Diabetisches Fußsyndrom 30<br />
Typische Läsionen beim DFS <strong>und</strong> deren<br />
Vermeidung<br />
Arthur Grünerbel<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong> 14<br />
Medikamentöse Add-on-Behandlung<br />
zusätzlich zu Insulin<br />
Thomas Danne<br />
Typ-2-<strong>Diabetes</strong> bei <strong>Adipositas</strong> 36<br />
<strong>Diabetes</strong>remission, (k)ein Hungerlohn<br />
Nina M. T. Meyer, Stefan Kabisch <strong>und</strong> Andreas F. H. Pfeiffer<br />
Neue Aufmerksamkeit für die Niere 20<br />
Die Niere als Faktor der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />
Gert Gabriëls<br />
4
Prävention <strong>und</strong> Behandlung 41<br />
Die Bedeutung körperlicher Aktivität bei<br />
<strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2<br />
Christine Graf<br />
Lebensstil <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong>risiko 45<br />
Einfluss des Energieumsatzes auf den<br />
Glukosestoffwechsel<br />
Franziska Büsing<br />
Zukunft 52<br />
<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> digitaler Wandel –<br />
Veränderungen in der Therapie<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong> 54<br />
Awareness-Kampagne soll zu neuen<br />
Tests ermutigen<br />
Lebensstil <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> 48<br />
Neuromodulation bei <strong>Adipositas</strong> –<br />
eine Übersicht<br />
Jennifer Schmidt<br />
Biomarker 56<br />
Neuer Marker gibt Einblicke in die Entstehung<br />
des Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />
Impressum/Pro domo 58<br />
5
DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />
Agieren ist mindestens genauso wichtig<br />
wie Reagieren<br />
<strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2 ist in Deutschland eine Volkskrankheit – die Zahl der B<strong>und</strong>esbürger mit dieser Erkrankung,<br />
meist mit <strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> weiteren Komorbiditäten des metabolischen Syndroms assoziiert, wächst von<br />
Jahr zu Jahr. Seit nunmehr 55 Jahren setzt sich die Deutsche <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft (DDG) für die Belange<br />
von Millionen Betroffenen sowie der ca. 350.000 Typ-1-Patienten in Deutschland ein. Die Therapien werden<br />
optimiert, DMP-Programme sollen die Versorgung verbessern, es wird intensiv geforscht. Um die steigende<br />
Inzidenz aufzuhalten, müsste jedoch nicht das Ende der Kaskade, die mit unges<strong>und</strong>em Lebensstil beginnt<br />
<strong>und</strong> fatale Folgen hat, im Mittelpunkt aller Anstrengungen stehen. Bei der Prävention gibt es allerdings in<br />
Deutschland noch einiges zu tun.<br />
CONFERENCES<br />
In den 50er-Jahren des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
waren weniger als eine Million B<strong>und</strong>esbürger<br />
an <strong>Diabetes</strong> erkrankt. Aktuell sind fast sieben Millionen<br />
Menschen in Deutschland betroffen. Nach<br />
Berechnungen des Deutschen <strong>Diabetes</strong>-Zentrums<br />
(DDZ) <strong>und</strong> des Robert Koch-Instituts (RKI) werden<br />
es bis zum Jahr 2040 etwa zwölf Millionen Menschen<br />
sein. Woran liegt das? Wie können wir dem<br />
begegnen? Was können wir den Patienten anbieten?<br />
Diesen <strong>und</strong> unzähligen weiteren Fragen zum<br />
<strong>Diabetes</strong> mellitus widmet sich die Deutsche <strong>Diabetes</strong><br />
Gesellschaft (DDG). Sie begeht in diesem Jahr<br />
im Rahmen des <strong>Diabetes</strong> Kongresses <strong>2019</strong> in Berlin<br />
<strong>und</strong> der Herbsttagung am 8. <strong>und</strong> 9. November <strong>2019</strong><br />
in Leipzig ein „Semi“-Jubiläum: das 55. Jahr ihres<br />
Bestehens.<br />
Wir brauchen eine nationale<br />
<strong>Diabetes</strong>-Strategie<br />
Auf der Agenda der heute mehr als 9.000 Mitglieder<br />
zählenden Fachgesellschaft stehen zahlreiche<br />
Aktivitäten, die hier nur unvollständig aufgezählt<br />
werden können: Regelmäßige Erarbeitung <strong>und</strong><br />
Aktualisierung von Leitlinien – die nächste ist<br />
2020 zu erwarten –, ständige Verbesserung der<br />
Aus-, Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung von Diabetologen<br />
<strong>und</strong> vielen an der Diabetikerversorgung beteiligten<br />
Berufsgruppen, Zertifizierungen zur Qualitätssicherung<br />
sowie intensive Forschung u. a. am Deutschen<br />
Zentrum für <strong>Diabetes</strong>forschung (DZD) e.V.<br />
Zudem setzt die DDG für die Zukunft stark auf die<br />
digitale Transformation, um Forschung <strong>und</strong> Therapie<br />
weiter voranzubringen. Digital unterstützte<br />
Versorgungsstrukturen sollen eine flächendeckende<br />
Versorgung von Menschen mit <strong>Diabetes</strong><br />
auf höchstem Niveau erleichtern <strong>und</strong> Folgeerkrankungen<br />
<strong>und</strong> Komplikationen minimieren – <strong>und</strong><br />
damit Kosten. Der flächendeckende Netzausbau<br />
<strong>und</strong> die zügige Umsetzung des E-Health-Gesetzes<br />
dienen Forschungsförderung <strong>und</strong> Versorgung<br />
gleichermaßen. „Der Netzausbau wird uns in die<br />
Lage versetzen, telemedizinische Diagnostik <strong>und</strong><br />
Beratung auch in ländlichen Regionen mit geringerer<br />
Arztdichte anzubieten <strong>und</strong> das für eine verbesserte<br />
Therapie notwendige <strong>Diabetes</strong>-Register<br />
aufzubauen“, so DDG-Präsident Professor Dr. med.<br />
Dirk Müller-Wieland. Das stärke die einheitliche,<br />
flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau.<br />
Nicht zuletzt die engagierte Beteiligung an<br />
ges<strong>und</strong>heitspolitischen Diskussionen, z. B. zu aktuellen<br />
Nutzenbewertungen des IQWiG oder zu Verbesserungen<br />
bei geplanten Gesetzesvorhaben ist<br />
ein wichtiges Anliegen der DDG. Um die Diabetologie<br />
zukunftsfähig zu machen, hat eine Taskforce<br />
Diabetologie 2025 ein Strategiepapier erarbeitet.<br />
„Die steigende Zahl neuer Diagnosen zeigt,<br />
dass die DDG heute wichtiger ist denn je“, betont<br />
Müller-Wieland. „Um die Herausforderungen zu<br />
meistern, brauchen wir eine nationale <strong>Diabetes</strong>-<br />
Strategie auf breiter Basis, für die sich die DDG<br />
auf allen politischen Ebenen einsetzt“, fordert<br />
6
DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />
DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. So geht<br />
es beispielsweise um eine bessere sektorenübergreifende<br />
medizinische Versorgung, ein flächendeckendes<br />
Versorgungsnetz durch niedergelassene<br />
Haus- <strong>und</strong> Fachärztinnen <strong>und</strong> -ärzte, sowie ein<br />
deutschlandweites <strong>Diabetes</strong>register. „Zudem muss<br />
der Beruf der <strong>Diabetes</strong>beraterin <strong>und</strong> -beraters b<strong>und</strong>esweit<br />
einheitlich anerkannt werden“, so Bitzer.<br />
„Ernährungsberatung <strong>und</strong> Bewegung sollten als<br />
feste Therapiebausteine in die Regelversorgung<br />
eingehen“, ergänzt der DDG Präsident.<br />
Fortschritte in der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />
Orale Therapie für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> am Start<br />
Zwar steht angesichts der Inzidenzzahlen <strong>und</strong><br />
des damit zunehmenden Bedarfs zur Behandlung<br />
des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> seiner Folgeerkrankungen<br />
der Typ 2 im Fokus von Forschung <strong>und</strong> Entwicklung,<br />
aber auch für <strong>Diabetes</strong>-Typ-1-Patienten sind<br />
in naher Zukunft neue Entwicklungen verfügbar:<br />
So hat vor kurzem die Europäische Kommission das<br />
erste orale Antidiabetikum als Add-on-Therapie für<br />
den Einsatz bei erwachsenen Patienten mit Typ-1-<br />
Dia betes, deren Blutzuckerspiegel mit Insulin allein<br />
nicht ausreichend gesenkt wird, genehmigt [1]. Mit<br />
dem SGLT2-Hemmer Dapagliflozin (Handelsname<br />
Forxiga, Astra Zeneca) steht nun bald ein orales<br />
Medikament für Patienten zur Verfügung, die bislang<br />
nur auf Insulin angewiesen waren.<br />
Typ 2 – Prävention <strong>und</strong> Lebensstiländerung<br />
vor Therapie<br />
Beim Kampf gegen den Typ-2-<strong>Diabetes</strong> ist es aus<br />
Sicht der DDG entscheidend, die Erkrankung vor<br />
ihrer Entstehung zu vermeiden. Aber in Bezug auf<br />
Prävention <strong>und</strong> Entscheidungsfreude zur Gestaltung<br />
gesünderer Lebenswelten gibt es in Deutschland<br />
sowohl individuell bei jedem einzelnen als<br />
auch gesellschaftspolitisch noch Defizite. Und<br />
so sind es auch <strong>und</strong> vor allem die behandelnden<br />
Ärzte, die medizinische Forschung <strong>und</strong> die Pharmaindustrie,<br />
die zurzeit immer noch auf den steigenden<br />
Dia betes-Typ-2-Versorgungsbedarf reagieren<br />
müssen, um die Patienten optimal <strong>und</strong> möglichst<br />
individuell zu versorgen. Zuerst mit Motivation zur<br />
Lebensstiländerung in Bezug auf Ernährung <strong>und</strong><br />
Bewegung – meistens schwerer getan als gesagt<br />
– danach mit zahlreichen medikamentösen Therapiestrategien,<br />
deren Spektrum immer breiter wird.<br />
Bereits auf der DDG-Herbsttagung konstatierte<br />
Prof. Dr. Jens Aberle, Hamburg: „Nach Etablierung<br />
neuer Substanzklassen wie SGLT2-Inhibitoren oder<br />
GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die nicht nur den Blutzucker<br />
senken, sondern auch die kardiovaskuläre<br />
Ereignisrate reduzieren, wird die diabetologische<br />
Behandlung auf ein neues Level gehoben“.<br />
Aktuellste wissenschaftliche Ergebnisse:<br />
DDG-Kongress <strong>2019</strong><br />
Auch die Themen des diesjährigen <strong>Diabetes</strong>-<br />
Kongresses unter dem Motto „<strong>Diabetes</strong> – nicht nur<br />
eine Typ-Frage“ spiegeln die Forschungsergebnisse<br />
<strong>und</strong> Produktentwicklungen eindrucksvoll wider:<br />
„Kommen wir der ,Heilung' (Remission) bei <strong>Diabetes</strong><br />
Typ 2 näher?“, fragt Kongresspräsident Prof. Dr.<br />
Michael Roden, Düsseldorf, <strong>und</strong> gibt den Impuls zu<br />
einer neuen Sichtweise: „Neue Studien unterstellen,<br />
dass man allein mit diätetischen Maßnahmen<br />
den <strong>Diabetes</strong> heilen könnte“. „Wie lange <strong>und</strong> bei<br />
wem?“ sind die offenen Fragen. Weitere Studien<br />
weisen darauf hin, dass die klassische Einteilung<br />
in <strong>Diabetes</strong>typen möglicherweise einer Revision<br />
bedarf. Durch Identifizierung von Subphänotypen<br />
oder Clustern ergeben sich vielleicht neue Möglichkeiten<br />
für eine maßgeschneiderte Therapie,<br />
erklärt Roden. Ein weiterer Schwerpunkt widmet<br />
sich genderbezogenen Aspekten <strong>und</strong> geschlechtssensibel<br />
zu betrachtenden Begleiterkrankungen,<br />
zu denen es ebenfalls aktuelle Forschungsergeb-<br />
CONFERENCES<br />
7
DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />
nisse zu diskutieren gibt. Univ.-Prof. Dr. Matthias<br />
Tschöp, München, stellt „Poly-Agonisten – Synthetische<br />
Hormone zur individualisierten Behandlung<br />
bei Typ-2-<strong>Diabetes</strong>“ vor. Bei diesem neuen Therapieansatz,<br />
der auf die Kombination verschiedener<br />
Rezeptoragonisten in einem Peptid setzt, werden<br />
unimolekulare Peptidmoleküle synthetisiert, die<br />
bis zu drei Rezeptoren mit vergleichbarer Affinität<br />
aktivieren. In der präklinischen Forschung zeichneten<br />
sich hierbei günstige Effekte bezüglich einer<br />
Senkung des Körpergewichts <strong>und</strong> des Blutzuckerspiegels<br />
ab [2].<br />
Zu wenig gesellschaftspolitischer<br />
Konsens<br />
In der <strong>Diabetes</strong>therapie ist viel „Bewegung“.<br />
Die Präventions-, Aufklärungs- bzw. Motivationserfolge<br />
<strong>und</strong> gesetzgeberischen Maßnahmen resp.<br />
der ges<strong>und</strong>heitsfördernde Einfluss der politisch<br />
Verantwortlichen auf die Lebensmittel- <strong>und</strong> Landwirtschaft<br />
sind dagegen eher mäßig. Die Förderung<br />
von Aufklärungsfilmen <strong>und</strong> -kampagnen,<br />
Daten erhebungen sowie die Verkündung, dass man<br />
sich im Koalitionsvertrag 2018 verpflichtet habe,<br />
gezielt Volkskrankheiten zu bekämpfen, <strong>Diabetes</strong><br />
ganz oben auf der politischen Agenda stehe <strong>und</strong><br />
dass eine Nationale <strong>Diabetes</strong>strategie 2030 jetzt<br />
zügig <strong>und</strong> patienten orientiert umzusetzen sei,<br />
reicht nicht aus. „Wir fordern seit Jahren eine wirkungsvolle<br />
Verhältnisprävention, die es den Menschen<br />
erleichtert, gesünder zu leben“, so Barbara<br />
Bitzer. Dazu zählen ges<strong>und</strong>heitsfördernde Steueranpassungen,<br />
also eine Steuer entlastung ges<strong>und</strong>er<br />
Lebensmittel bei gleichzeitig erhöhter Steuer auf<br />
hochkalorische Produkte. Als dringend notwendig<br />
erachtet die DDG eine transparente Lebensmittelkennzeichnung.<br />
Zudem sollten ein Verbot von<br />
Werbung für unges<strong>und</strong>e Lebensmittel, die sich an<br />
Kinder richtet, verbindliche Standards für die Verpflegung<br />
in Kitas <strong>und</strong> Schulen sowie eine tägliche<br />
verpflichtende St<strong>und</strong>e Bewegung etabliert werden.<br />
Die Realität sieht anders aus.<br />
So profiliert sich, obwohl die Lebensmittelindustrie<br />
eigentlich Teil der Lösung sein sollte, der Spitzenverband<br />
der deutschen Lebensmittelwirtschaft BLL<br />
(B<strong>und</strong> für Lebensmittelrecht <strong>und</strong> Lebensmittelk<strong>und</strong>e<br />
e. V.) eher als Verhinderer vieler wissenschaftlich<br />
empfohlener Maßnahmen zur Eindämmung von<br />
Übergewicht durch ges<strong>und</strong>e Ernährung. Dies wurde<br />
zuletzt deutlich bei der Diskussion um den Nutri-<br />
Score, der nicht vom BLL unterstützt wird.<br />
CONFERENCES<br />
8
DIABETOLOGIE IN DEUTSCHLAND <strong>2019</strong><br />
Das Urteil des Landgerichts Hamburg, nach dem<br />
die Verwendung der Lebensmittelkennzeichnung<br />
„Nutri-Score“ in Deutschland wettbewerbsrechtlich<br />
nicht zulässig ist, „zeigt, dass die deutsche Politik<br />
die Entwicklung im Lebensmittelmarkt verschlafen<br />
hat. Verbraucher <strong>und</strong> Hersteller wünschen sich eine<br />
klarere Nährwertkennzeichnung, wie sie durch den<br />
wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Nutri-Score gewährleistet<br />
ist. Innovative Hersteller dürfen diesen aber<br />
in Deutschland nicht verwenden, auch weil das<br />
Ernährungsministerium sich weigert, den Nutri-<br />
Score einzuführen – vermutlich aus Rücksicht auf<br />
die Hersteller unges<strong>und</strong>er Produkte. Stattdessen<br />
hat Frau Klöckner nun angekündigt, ein ganz neues<br />
Kennzeichnungssystem entwickeln zu wollen… Wir<br />
fordern Frau Klöckner auf, wie im Koalitionsvertrag<br />
angekündigt, noch in diesem Sommer eine neue<br />
Kennzeichnung für Deutschland vorzulegen. Aufgr<strong>und</strong><br />
des Berichts des Max-Rubner-Instituts kann<br />
dies nur der Nutri-Score sein. Frau Klöckner muss<br />
den notwendigen Rahmen schaffen, damit Hersteller<br />
ihren K<strong>und</strong>en diesen Mehrwert bieten können“,<br />
kommentiert Barbara Bitzer, Sprecherin der<br />
Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten<br />
(DANK) – ein Bündnis von 22 großen wissenschaftlich-medizinischen<br />
Fachgesellschaften, Verbänden<br />
<strong>und</strong> Forschungseinrichtungen.<br />
Auch angesichts solcher politischen Entwicklungen<br />
treibt die DDG ihr Engagement gemeinsam mit<br />
diabetesDE <strong>und</strong> DANK voran.<br />
Positionspapier zur nationalen<br />
Strategie – die Zeit drängt<br />
CDU/CSU <strong>und</strong> SPD haben im Koalitionsvertrag<br />
2018 eine Nationale <strong>Diabetes</strong>strategie beschlossen,<br />
um die Volkskrankheit gezielt zu bekämpfen.<br />
Bis heute sind jedoch sowohl die Inhalte als auch<br />
die politische Umsetzung unklar − dabei drängt die<br />
Zeit: Wie aus dem B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsministerium<br />
verlautet, soll die Strategie bis Jahresende <strong>2019</strong><br />
stehen. Deutsche <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft (DDG),<br />
diabetesDE – Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Hilfe – <strong>und</strong> der<br />
Verband der <strong>Diabetes</strong>-Beratungs- <strong>und</strong> Schulungsberufe<br />
in Deutschland e.V. (VDBD) haben sich jetzt<br />
proaktiv auf ein Positionspapier geeinigt, das den<br />
Handlungsbedarf detailliert darlegt. Mit diesem<br />
Papier stellen wir sicher, dass politische Entscheider<br />
auf allen Ebenen den Bedarf aus Sicht der <strong>Diabetes</strong>behandler<br />
<strong>und</strong> -patienten kennen <strong>und</strong> mithilfe<br />
der geplanten Strategie implementieren können“,<br />
erläutert Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von<br />
diabetesDE – Deutsche <strong>Diabetes</strong>-Hilfe.<br />
Nach dem Willen der <strong>Diabetes</strong>experten <strong>und</strong><br />
‐pa tienten bedarf es eines nationalen Rahmenplans,<br />
wenn die Umsetzung auf Länderebene erfolgen<br />
sollte – nur so könne einem Flickenteppich unterschiedlicher<br />
Versorgungsqualitäten vorgebeugt<br />
werden. Ein Steuerungsgremium sollte medizinische<br />
Fach- <strong>und</strong> Patientenkompetenz einbeziehen,<br />
die B<strong>und</strong>-Länder-Koordinierung sicherstellen, klare<br />
Zuständigkeiten benennen <strong>und</strong> für eine entsprechende<br />
Budgetierung sorgen, so das Positionspapier.<br />
Es gibt also noch viel zu tun in der deutschen<br />
Diabetologie. Bleibt zu hoffen, dass in fünf Jahren,<br />
zum 60-jährigen Jubiläum der Deutschen <strong>Diabetes</strong>gesellschaft<br />
von einem Rückgang der Inzidenz<br />
des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> in Deutschland zu berichten<br />
sein wird. Dafür müssen sich alle im doppelten<br />
Wortsinn bewegen.<br />
Elke Klug, Redaktion<br />
Quellen:<br />
1. https://arznei-news.de/dapagliflozin/#news<br />
2. Götz A et al. Der Diabetologe 13(7): 505-513 (2017)<br />
3. Pressematerial DDG April <strong>und</strong> Mai <strong>2019</strong>, https://www.<br />
deutsche-diabetes-gesellschaft.de/presse/ddg-pressemeldungen.html<br />
4. Presseinformationen DDG Herbsttagung 2018<br />
5. https://www.diabetologie-online.de/a/urteil-zum-nutriscore-innovative-lebensmittelhersteller-werden-auchdurch-ministerin-kloeckner-ausgebremst-1994564<br />
CONFERENCES<br />
9
SELTENE DIABETESFORMEN<br />
Neonataler <strong>Diabetes</strong> – auch für das<br />
Erwachsenenalter relevant<br />
Martin Holder, Stuttgart<br />
Tritt bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen ein <strong>Diabetes</strong> auf, so handelt es sich in den allermeisten Fällen um einen<br />
insulinpflichtigen Typ-1-<strong>Diabetes</strong>. Erfreulicherweise kommt es bisher nur bei 1–3 % zu einem Typ-2-<strong>Diabetes</strong>.<br />
Ungefähr gleich häufig treten monogene <strong>Diabetes</strong>formen als Ursachen auf. Dabei unterscheiden wir<br />
zwischen Defekten der Betazellfunktion sowie der Betazellaktion. Bei den Defekten der Betazellfunktion<br />
handelt es sich um den neonatalen <strong>Diabetes</strong>, MODY <strong>und</strong> den mitochondrialen <strong>Diabetes</strong> mellitus (siehe<br />
Abbildung 1) [1].<br />
CONFERENCES<br />
Die Inzidenz des neonatalen <strong>Diabetes</strong> beträgt ca.<br />
1:90.000 bis 1:260.000. Klinisch wird die Erkrankung<br />
definiert durch eine persistierende Hyperglykämie<br />
über zwei Wochen in den ersten sechs<br />
Lebensmonaten, in der Regel mit Insulinpflichtigkeit.<br />
Betroffene Kleinkinder sind häufig Small for<br />
Gestational Age (SGA), d. h. sie sind für ihr Alter<br />
zu klein <strong>und</strong> zu leicht. Bedingt ist dies durch eine<br />
reduzierte Insulinsekretion im Fetus. Weitere klinische<br />
Auffälligkeiten sind ein Gewichtsverlust,<br />
Volumenmangel, die deutliche Hyperglykämie<br />
sowie eine Glukosurie mit oder ohne Ketonbildung<br />
bzw. Ketoazidose. Es gibt transiente, also vorübergehende<br />
bzw. permanente Verlaufsformen.<br />
10
SELTENE DIABETESFORMEN<br />
T1D<br />
96–99 %<br />
T2D<br />
0–3 %<br />
Monogener <strong>Diabetes</strong><br />
1–4 %<br />
Defekte der Betazellfunktion<br />
Neonataler DM MODY Mitochondrialer<br />
DM<br />
Defekte der Betazellaktion<br />
Monogenes<br />
Insulinresistenzsyndrom<br />
TNDM<br />
PNDM<br />
Abbildung 1: Übersicht über <strong>Diabetes</strong>erkrankungen bei jungen Menschen (modifiziert nach [1])<br />
Klinische Parameter des neonatalen<br />
<strong>Diabetes</strong><br />
••<br />
Persistierende Hyperglykämie > zwei Wochen in<br />
den ersten sechs Lebensmonaten<br />
••<br />
Small for Gestational Age (SGA)<br />
••<br />
Transient/Permanent<br />
Ursachen des neonatalen <strong>Diabetes</strong><br />
Die Ursachen für einen neonatalen <strong>Diabetes</strong> sind<br />
sehr heterogen. Deshalb wird auch von einigen<br />
Autoren aufgr<strong>und</strong> der genetischen Bef<strong>und</strong>e eine<br />
neue Klassifikation gefordert [2]. Am häufigsten<br />
tritt ein neonataler <strong>Diabetes</strong> aufgr<strong>und</strong> einer uniparentalen<br />
paternalen Disomie auf dem langen<br />
Arm des Chromosoms 6 (6q24) auf. Dabei stammen<br />
beide Chromosomen eines homologen Chromosomenpaares<br />
von einem Elternteil, in diesem Fall vom<br />
Vater. Diese Form des neonatalen <strong>Diabetes</strong> verläuft<br />
immer transient. Typische klinische Symptome<br />
sind bei Manifestation eine schwere intrauterine<br />
Wachstumsretardierung <strong>und</strong> frühe Hyperglykämien,<br />
teilweise ab den ersten Lebenstagen. In ca.<br />
einem Drittel der Fälle kann zusätzlich eine Makroglossie<br />
<strong>und</strong> selten eine Nabelhernie auftreten.<br />
Diese transienten Fälle eines neonatalen <strong>Diabetes</strong><br />
haben eine hohe <strong>Diabetes</strong>rezidivrate von 50–60 %,<br />
meistens um die Pubertät herum, aber auch noch<br />
im Erwachsenenalter.<br />
Ca. 40 % der Kinder mit einem neonatalen<br />
<strong>Diabetes</strong> haben aktivierende Mutationen in den<br />
ATP-sensitiven K + -Kanälen der Betazelle (KCNJ11<br />
à Kir6.2, ABCC8 à SUR), die zu einem permanenten<br />
<strong>Diabetes</strong> führen (Abbildung 2) [3]. Neben<br />
dem <strong>Diabetes</strong> können betroffene Kinder eine psychomotorische<br />
Retardierung, Muskelhypotonie<br />
<strong>und</strong> Epilepsie entwickeln. Ganz selten kann eine<br />
Pankreasagenesie oder -hypoplasie zu einem neonatalen<br />
<strong>Diabetes</strong> führen.<br />
Therapie<br />
Bahnbrechend in der Therapie der Kinder mit<br />
einem neonatalen <strong>Diabetes</strong> war die Entdeckung<br />
im Jahre 2006, dass ca. 90 % der Patienten mit<br />
CONFERENCES<br />
11
SELTENE DIABETESFORMEN<br />
KIR6.2<br />
SUR1<br />
Sulfonylharnstoffe<br />
GLUT2<br />
Glukose-<br />
Transporter<br />
Glukose<br />
K ATP<br />
Kanal<br />
Glukose-6-<br />
Phosphat<br />
Glukokinase<br />
Ca 2+<br />
Membrandepolarisation<br />
K +<br />
ATP-Erhöhung<br />
Mg-ADP-Verminderung<br />
Erhöhung des<br />
intrazellulären<br />
Ca 2+<br />
Spannungsabhängiger<br />
Ca 2+ -Kanal<br />
(L-Typ)<br />
Insulin<br />
Metabolismus<br />
Betazelle<br />
Abbildung 2: Darstellung der ATP-sensitiven K + -Kanälen bei der Insulin-Sekretion in der Betazelle [3].<br />
CONFERENCES<br />
aktivierenden Mutationen in den ATP-sensitiven<br />
K + -Kanälen von Insulin auf Sulfonylharnstoffe<br />
(SU) umgestellt werden können [4]. Durch die<br />
SU-Gabe können die veränderten, mutierten <strong>und</strong><br />
dadurch funktionslosen ATP-sensitiven K + -Kanäle<br />
wieder geschlossen werden. Dies führt zu einer<br />
Membrandepolarisation <strong>und</strong> Calcium-Einstrom<br />
in die Betazelle, welche dann entsprechend dem<br />
aktuellen Glukosewert wieder Insulin sezernieren<br />
kann. Die Arbeitsgruppe stellte fest, dass der<br />
Transfer von Insulin zu SU die Stoffwechseleinstellung<br />
ohne erhöhtes Risiko von Hypoglykämien<br />
verbessert. Gleichzeitig können SU die Blut-Hirn-<br />
Schranke passieren <strong>und</strong> die neurologische Symptomatik<br />
der betroffenen Kinder verbessern. Diese<br />
hochdosierte SU-Therapie wird sehr gut von den<br />
Kindern vertragen, sie ist sicher <strong>und</strong> im Langzeitverlauf<br />
sehr effektiv: Nach zehn Jahren sind von<br />
den untersuchten Patienten in einer internationalen<br />
Kohortenstudie 93 % insulinfrei [5].<br />
In unserer Klinik behandeln wir die Kinder mit<br />
neonatalem <strong>Diabetes</strong> unter stationären Bedingungen<br />
direkt mit SU in rasch ansteigender Dosis, um<br />
möglichst eine Insulintherapie zu vermeiden. Dies<br />
12
SELTENE DIABETESFORMEN<br />
wird dadurch ermöglicht, dass wir in der Regel<br />
innerhalb von zwei Wochen das Ergebnis des genetischen<br />
Bef<strong>und</strong>es erhalten. Wichtig ist, dass die Kinder<br />
unter SU-Therapie keine Ketoazidose entwickeln,<br />
ausreichend trinken <strong>und</strong> kein Gewicht abnehmen.<br />
Sind die Kinder klinisch unter hochdosierter SU-<br />
Therapie nicht stabil <strong>und</strong> sprechen trotz nachgewiesener<br />
Mutation in einem ATP-sensitiven K + -Kanal<br />
auf die SU-Gaben nicht an, müssen sie mit Insulin<br />
behandelt werden, in der Regel mit einer Insulinpumpentherapie.<br />
Außerdem hat sich gezeigt, dass<br />
eine SU-Therapie von Manifestation an die neurologische<br />
<strong>und</strong> psychomotorische Funktion dieser Kinder<br />
deutlich verbessern kann [6]. SU-Rezeptoren sind im<br />
Gehirn <strong>und</strong> im Muskel weit verteilt. Untersuchungen<br />
12–18 Monate nach Umstellung auf eine SU-<br />
Therapie haben gezeigt, dass es durch die Gaben von<br />
SU zu einer Verbesserung der motorischen Koordination,<br />
besonders bei jungen Kindern kommen kann.<br />
Außerdem sind Effekte auf die Funktionen spezifischer<br />
Hirnareale wie Kleinhirn <strong>und</strong> Thalamus, z. B.<br />
Klang, Gebärden, räumliche Integration, Lateralisation<br />
<strong>und</strong> visuelle Konstruktion nachzuweisen [6].<br />
Fazit<br />
Tritt bei Kindern im Alter unter sechs Monate<br />
ein <strong>Diabetes</strong> auf, ist ein monogener <strong>Diabetes</strong> als<br />
Ursache sehr wahrscheinlich. Eine frühe Diagnosestellung<br />
verbessert die Therapie <strong>und</strong> hilft, das<br />
weitere Vorgehen besser zu planen. Ca. 50 % der<br />
Kinder mit einem neonatalen <strong>Diabetes</strong> haben einen<br />
transienten Verlauf. Die <strong>Diabetes</strong>rezidivrate dieser<br />
Kinder liegt bei ca. 50–60 %. Zirka 40 % der Kinder<br />
mit einem neonatalen <strong>Diabetes</strong> haben aktivierende<br />
Mutationen in den ATP-abhängigen K + -Kanälen,<br />
die zu einem permanenten <strong>Diabetes</strong> führen. Eine<br />
frühzeitige Therapie dieser Kinder mit Sulfonylharnstoffen<br />
kann die Stoffwechseleinstellung <strong>und</strong><br />
das neurologische Outcome verbessern.<br />
Referenzen:<br />
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with neonatal diabetes owing potassium channel mutations.<br />
<strong>Diabetes</strong> Care 2015;2033–2041<br />
Dr. Martin Holder<br />
Klinikum Stuttgart, Olgahospital<br />
Kriegsbergstr. 62, 70174 Stuttgart<br />
Dr. Martin Holder<br />
M.Holder@klinikum-stuttgart.de<br />
CONFERENCES<br />
13
TYP-1-DIABETES<br />
Medikamentöse Add-on-Behandlung<br />
zusätzlich zu Insulin<br />
Thomas Danne, Hannover<br />
empagliflozin<br />
canagliflozin<br />
dapagliflozin<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong> zeichnet sich durch einen absoluten Insulinmangel aus, der durch Autoimmunzerstörung von<br />
-Zellen verursacht wird [1]. Seit 1922 ist Insulin die einzige zugelassene Therapie bei der Behandlung von<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong>. Im Laufe der Jahre haben Verbesserungen des Insulins (z. B. rekombinante Formulierungen<br />
gegenüber Schweine- oder Rinderinsulin) in Verbindung mit Blutzuckerselbstkontrolle, <strong>Diabetes</strong>schulung<br />
<strong>und</strong> einer intensivierten Insulintherapie zu einer Verringerung der mikrovaskulären Langzeitkomplikationen<br />
mit verbesserter Prognose geführt [2, 3]. Das Risiko für frühzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist jedoch<br />
weiterhin erheblich erhöht [4]. Dabei erreichen auch in Deutschland immer noch über die Hälfte besonders<br />
der jüngeren Patienten nicht die Therapieziele <strong>und</strong> sind zudem durch Nebenwirkungen der Insulintherapie<br />
wie Hypoglykämien <strong>und</strong> Entwicklung von Übergewicht bedroht [3]. Es besteht also trotz aller Fortschritte<br />
weiterhin ein großer Bedarf an Therapieverbesserung beim Typ-1-<strong>Diabetes</strong>.<br />
CONFERENCES<br />
Wirkung der SGLT-Hemmer auch bei<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />
Bislang war die Substanzgruppe der sogenannten<br />
SGLT2-Hemmer (z. B. Canagliflozin (Invokana®,<br />
Dapagliflozin (Forxiga®) oder Empagliflozin<br />
(Jardiance ®) zur Behandlung eines Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />
zugelassen. Dies sind blutzuckersenkende Wirkstoffe,<br />
die zu einer verstärkten Ausscheidung der<br />
Glukose über den Harn führen. Ihre Wirkungen sind<br />
im Unterschied zu anderen Antidiabetika von Insulin<br />
unabhängig. Die Effekte beruhen auf der Hemmung<br />
des Natrium-Glukose-Cotransporters 2 (SGLT2) an<br />
der Niere, welcher für die Wiederaufnahme der<br />
14
TYP-1-DIABETES<br />
Niere<br />
Lumen des<br />
proximalen<br />
Tubulus<br />
Glukose<br />
Intestinales<br />
Lumen<br />
Dünndarm<br />
SGLT2<br />
SGLT1<br />
Blut<br />
Blut<br />
SGLT2-Hemmung reduziert Glukose-Reabsorption <strong>und</strong> senkt damit<br />
Blutglukose<br />
SGLT1-Hemmung verzögert Glukose-Absorption <strong>und</strong> reduziert<br />
postprandiale Glukose (PPG) Exkursionen<br />
Abbildung 1: Effekte einer SGLT-Hemmung bei <strong>Diabetes</strong><br />
Glukose aus dem Harn in den Blutkreislauf verantwortlich<br />
ist. Schon seit Längerem wurde darüber<br />
nachgedacht, SGLT2-Hemmer auch bei Menschen<br />
mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> einzusetzen. Während SGLT2<br />
wie bei den für Typ-2-Dia betes zugelassenen<br />
Me dikamenten für die Glukosereabsorption durch<br />
die Niere zuständig ist, hemmt Sotagliflozin lokal<br />
auch SGLT1, welches dort für die Glukoseabsorption<br />
im Magen-Darm-Trakt verantwortlich ist. Da beim<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong> besonders auch die Blutzuckeranstiege<br />
nach dem Essen schwierig zu behandeln<br />
sind, könnte sich ein dualer SGLT1- <strong>und</strong> SGLT2-<br />
Hemmer bei dieser Patientengruppe besonders eignen.<br />
Schließlich ist SGLT1 ein wichtiger Transporter<br />
für die Absorption von Glukose <strong>und</strong> Galactose im<br />
Magendarmtrakt, <strong>und</strong> eine langsamere Zuckeraufnahme<br />
im Darm könnte einen besseren Blutzuckerverlauf<br />
bewirken (Abbildung 1) [5, 6].<br />
Eine Tablette zusätzlich zum Insulin<br />
beim Typ-1-<strong>Diabetes</strong> ?<br />
Bereits 2017 hatten die ersten Forschungsergebnisse<br />
bei Erwachsenen für Aufsehen gesorgt.<br />
Inzwischen liegen vergleichbare Studienergebnisse<br />
für drei Substanzen vor (Tabelle) [7–12]. Mitte<br />
Februar <strong>2019</strong> titelte die europäische Zulassungsbehörde<br />
EMA in ihrer Presseerklärung: „Erste orale<br />
Zusatzbehandlung mit Insulin zur Behandlung<br />
bestimmter Patienten mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong>“ [13].<br />
Dabei ging es um den SGLT2-Hemmer Dapagliflozin.<br />
Dieser wurde inzwischen unter dem Markennamen<br />
Forxiga® <strong>2019</strong> in der EU für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> zugelassen.<br />
Ende Februar <strong>2019</strong> wurde eine vergleichbare<br />
Empfehlung für Sotagliflozin (Zynquista®)<br />
ausgesprochen [14], <strong>und</strong> auch diese Substanz<br />
hat inzwischen die Zulassung für <strong>Diabetes</strong> Typ 1<br />
CONFERENCES<br />
15
TYP-1-DIABETES<br />
Tabelle 1: HbA1c bei Screening, Baseline <strong>und</strong> Studienende<br />
SOTAGLIFLOZIN (Zynquista®) DAPAGLIFLOZIN (Forxiga®) EMPAGLIFLOZIN (Jardiance®)<br />
in Tandem1 1 in Tandem2 2 in Tandem3 3 DEPICT-1 4 DEPICT-2 5 EASE-2 6 EASE-3 6<br />
PBO 200<br />
mg<br />
400<br />
mg<br />
PBO 200<br />
mg<br />
400<br />
mg<br />
PBO 400<br />
mg<br />
PBO 5 mg 10 mg PBO 5 mg 10 mg PBO 10 mg 25 mg PBO<br />
2,5<br />
mg<br />
10 mg 25 mg<br />
N (Typ-1-<br />
<strong>Diabetes</strong> )<br />
268 263 262 258 261 263 703 699 260 259 259 272 271 270 239 243 241 238 237 244 242<br />
HbA1c bei<br />
Screening, %<br />
8,21 8,26 8,26 8,42 8,35 8,38 - - 8,79 8,82 8,76 - - - - - - - - - -<br />
Insulinoptimierung<br />
sechs Wochen Insulinoptimierung<br />
mit einem Insulin-Dosis-Monitoring-<br />
Komitee<br />
Keine<br />
Insulinoptimierung<br />
achtwöchige Phase mit Insulinan passung<br />
nach klinischer Notwendigkeit<br />
sechswöchige Dosisanpassung durch<br />
Studienärzte<br />
HbA1c Baseline,<br />
%<br />
HbA1c-Reduktion<br />
in Woche<br />
24 oder 26<br />
vs. PBO † , %<br />
HbA1c-Reduktion<br />
in Woche<br />
52 vs. PBO † , %<br />
7,54 7,61 7,56 7,79 7,74 7,71 8,21 8,26 8,53 8,53 8,52 8,40 8,45 8,39 8,13 8,10 8,06 8,19 8,14 8,19 8,19<br />
N/A -0,36 -0,41 N/A -0,37 -0,35 N/A -0,46 N/A -0,42 -0,45 N/A -0,37 -0,42 N/A -0,54 -0,53 N/A -0,28 -0,45 -0,52<br />
N/A -0,25 -0,31 N/A -0,21 -0,32 - - N/A -0,33 -0,36 N/A N/A N/A N/A -0,39 -0,45 - - - -<br />
†Alle Werte sind statistisch signifikant<br />
1. Buse B, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018;41:1970−80 & Supplementary Appendix; 2. Danne T, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018;41:1981−1990 & Supplementary Appendix. 3. Garg SK et al. NEJM<br />
2017;377:2337–2348; 4. Dandona P, et al. Lancet <strong>Diabetes</strong> Endocrinol 2017;5:864−876; 5. Mathieu C, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018;41:1938−1946; 6. Rosenstock J, et al. <strong>Diabetes</strong> Care 2018; doi.<br />
org/10.2337/dc18-1749.<br />
CONFERENCES<br />
erhalten. Natürlich kann eine solche Behandlung<br />
bei Typ-1-<strong>Diabetes</strong> nur ergänzend zum Insulin<br />
erfolgen, <strong>und</strong> die Insulintherapie muss immer<br />
trotz einer Behandlung mit SGLT-Inhibitoren fortgesetzt<br />
werden. Nach einer Bewertung der Daten<br />
aus neuen klinischen Studien wurde die Zulassung<br />
nun auf bestimmte Patienten mit Typ‐1-<strong>Diabetes</strong><br />
erweitert, wenn bei ihnen das Insulin allein trotz<br />
optimaler Insulintherapie keine ausreichende Kontrolle<br />
des Blutzuckerspiegels bietet. Patienten, die<br />
für diese Behandlung in Betracht gezogen werden,<br />
sollten bestimmte Anforderungen erfüllen <strong>und</strong> keinen<br />
Body-Mass-Index (Gewicht in kg/Länge in m²,<br />
BMI) unter 27 kg/m² aufweisen.<br />
Behandlung birgt erhöhtes<br />
Ketoazidoserisiko<br />
Bereits Ende letzten Jahres war in Japan das nicht<br />
in Europa erhältliche Ipragliflozin aus der gleichen<br />
Substanzgruppe von der dortigen Behörde PMDA<br />
für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> zugelassen worden, während<br />
die Anhörung für Sotagliflozin bei der amerikanischen<br />
Zulassungsbehörde FDA zu einem Patt bei der<br />
16
TYP-1-DIABETES<br />
Abstimmung über die Abwägung von Nutzen <strong>und</strong><br />
Risiko geführt hat <strong>und</strong> somit Unklarheit herrscht.<br />
Ein Blick auf die Studiendaten zeigt, warum sich<br />
die Zulassungsbehörden schwer tun. Die Einnahme<br />
dieser Tablette führt bei vielen Patienten zu einer<br />
Erhöhung der Ketonwerte im Blut. Kommt es zum<br />
Beispiel im Rahmen eines Katheterproblems bei<br />
der Pumpentherapie oder einem relativen Insulinmangel<br />
im Rahmen eines Infekts zu einem Anstieg<br />
der Ketonwerte, steigt der Blutzucker gleichzeitig<br />
durch die SGLT2-Hemmerbehandlung nicht wie<br />
gewohnt stark an. Somit kann die übliche Warnung,<br />
dass eine Ketoazidose droht, fehlen. Weil bei<br />
Auftreten von weiteren Ketoazidose-Risikofaktoren<br />
(z. B. Reduktion der Insulindosis, Krankheit,<br />
„low-carb“-Diäten, körperliche Belastung, Pumpenkatheterprobleme)<br />
schneller einer Ketoazidose<br />
entsteht, ist es wichtig, bereits vor einer solchen<br />
Behandlung über mindestens eine Woche Blutketone<br />
zu messen , damit man später den Behandlungseffekt<br />
eines SGLT-Hemmers zusätzlich zum<br />
Insulin beurteilen kann. Die Ketoazidosegefahr<br />
lässt sich nur durch eine Bestimmung der Ketonwerte<br />
mit einer Blut- oder Urinmessung erkennen,<br />
die bei Durchführung einer solchen Therapie immer<br />
rasch verfügbar sein muss. Tatsächlich zeigte<br />
sich in den Studien ein bis zu achtfach erhöhtes<br />
Ketoazidoserisiko [15].<br />
Insulin kann es zu einer euglykämischen Ketoazidose<br />
kommen – einer „verdeckten“ Ketoazidose<br />
bei normalen oder nur wenig erhöhten Glukosespiegeln,<br />
weil die Glukosespiegel durch eine Steigerung<br />
der Zucker ausscheidung durch den Urin<br />
insulinunabhängig gesenkt werden. Eine Schulung<br />
zur Ketoazidose findet zwar am Anfang der <strong>Diabetes</strong>erkrankung<br />
statt, Streifen zur Messung von<br />
Urin- oder Blutketonwerten sind auch meistens<br />
vorhanden, aber im entscheidenden Moment wird<br />
die Ketonbestimmung nicht oder zu spät durchgeführt.<br />
Denn wenn erst einmal Erbrechen eingesetzt<br />
hat, ist meistens ein Krankenhausaufenthalt unvermeidlich.<br />
Bei Menschen mit <strong>Diabetes</strong> ist daher die<br />
Ketonmessung wichtiger als eine Flash-Glukose-,<br />
CGM- oder Blutzuckermessung, um einen gefährlichen<br />
Insulinmangel festzustellen. Die Urinketonmessung<br />
zeigt eine Ketoazidose später an <strong>und</strong> weist<br />
nur mit Verzögerung eine erfolgreiche Behandlung<br />
nach. Insbesondere für Menschen, die durch eine<br />
Insulin pumpenbehandlung durch ein Katheterproblem<br />
rasch in einen Insulinmangel kommen können<br />
oder durch eine Behandlung mit einem SGTL-Inhibitor<br />
zusätzlich zum Insulin ein erhöhtes Risiko für<br />
eine Ketoazidose haben, sollten daher Ketonkörper<br />
vorzugsweise im Blut bestimmen, weil das eine<br />
Echtzeiterfassung der relevanten Veränderungen<br />
der Ketonspiegel ermöglicht.<br />
SGLT-Hemmer: Ketoazidose trotz<br />
fast normalem Blutzucker<br />
Die meisten Menschen mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong>, die<br />
mit einer Ketoazidose im Krankenhaus landen,<br />
haben im entscheidenden Moment nicht daran<br />
gedacht. Die klassischen Zeichen Übelkeit, Bauchschmerzen,<br />
trockener M<strong>und</strong>, vertiefte Atmung<br />
werden oft mit anderen Ursachen als Insulinmangel<br />
bei <strong>Diabetes</strong> in Verbindung gebracht. Mit einer<br />
zusätzlichen Einnahme von SGLT-Hemmern zum<br />
Warum eine eingeschränkte<br />
Zulassung?<br />
Patienten, die an den Studien teilnahmen,<br />
berichteten insbesondere über wesentlich weniger<br />
Glukoseschwankungen [16]. Insgesamt zeigten<br />
sich mit der Zusatzbehandlung beim kontinuierlichen<br />
Glukosemonotoring bis zu drei St<strong>und</strong>en mehr<br />
Zeit im Zielbereich. Das EMA-Komitee schränkte<br />
seine Empfehlung als Zusatztherapie zur Insulinbehandlung<br />
auf übergewichtige Erwachsene mit<br />
CONFERENCES<br />
17
TYP-1-DIABETES<br />
Das „STICH“-Protokoll<br />
Tritt eine Situation mit erhöhten Keton-Werten<br />
während einer Behandlung mit SGLT-Hemmern<br />
auf, sollte das „STICH“-Protokoll [15, 17] verfolgt<br />
werden:<br />
Stoppen: im Zweifel den SGLT-Hemmer nicht<br />
nehmen, damit die Ketonbildung reduziert wird.<br />
CONFERENCES<br />
Prof. Dr. Thomas Danne<br />
E-Mail: danne@hka.de<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong> mit einem BMI über 27 kg/m²<br />
ein. Nach Einschätzung der Experten der Behörde<br />
ergeben sich in dieser Patientengruppe bei der<br />
Abwägung zwischen dem durch diese Behandlung<br />
beobachteten höheren Risiko für eine Ketoazidose<br />
<strong>und</strong> den möglichen positiven Behandlungseffekten,<br />
wie größerer Zeit der Glukosewerte im Zielbereich,<br />
niedrigerem HbA1c-Wert ohne erhöhte<br />
Hypoglykämierate, Gewichtsabnahme oder auch<br />
besseren Blutdruckwerten bei Bluthochdruck<br />
Vorteile durch die Zusatzbehandlung. Mit der<br />
eingeschränkten Zulassung für Patienten mit<br />
Übergewicht bezwecken die Zulassungsbehörden<br />
wahrscheinlich ein Signal, dass diese Medikamentengruppe<br />
wegen des erhöhten Ketoazidoserisikos<br />
nicht für alle Patienten mit Typ-1-<strong>Diabetes</strong> in<br />
Frage kommt. Übergewichtige haben im Allgemeinen<br />
eine höhere Insulindosis <strong>und</strong> könnten daher<br />
weniger schnell in einen Insulinmangel kommen.<br />
Der Empfehlung liegt möglicherweise auch die<br />
Überlegung zu Gr<strong>und</strong>e, dass bei höherem BMI die<br />
positiven Effekte auf das Gewicht besonders zum<br />
Tragen kommen.<br />
Insulin: auch bei nicht deutlich erhöhtem Zucker<br />
braucht man Insulin, damit die erhöhten Ketone<br />
im Stoffwechsel „verbrannt“ werden.<br />
C(K)ohlenhydrate: 15–30 g schnell resorbierbare<br />
Kohlenhydrate zum Insulin aufnehmen,<br />
auch wenn man wegen Übelkeit keinen richtigen<br />
Appetit hat, sonst können die Ketonwerte nicht<br />
verstoffwechselt werden.<br />
Hydratation: Flüssigkeitsaufnahme<br />
(300–500 ml) pro St<strong>und</strong>e.<br />
Ein Kontrolle der Ketonwerte zeigt insbesondere<br />
bei der Blutketonmessung rasch an, ob die<br />
Maßnahmen Erfolg haben. Tritt Erbrechen auf oder<br />
sinken die Ketonwerte nicht ab, sollte Kontakt mit<br />
dem <strong>Diabetes</strong>team aufgenommen werden.<br />
Ausblick<br />
Nach der gerade erfolgten Zulassung durch die<br />
Kommission werden nun Entscheidungen über<br />
Preis <strong>und</strong> Erstattung auf Ebene jedes Mitgliedstaats<br />
getroffen. Abzuwarten sind auch die Materialien,<br />
die zur Patienteninformation <strong>und</strong> Schulung<br />
bei einer Markteinführung vom Hersteller zur Verfügung<br />
gestellt werden, um eine größtmögliche<br />
Sicherheit der Behandlung sicherzustellen. Der<br />
Erfolg der oralen Zusatztherapie des Typ-1-Diabe-<br />
18
TYP-1-DIABETES<br />
tes mit SGLT-Hemmern wird entscheidend davon<br />
abhängen, inwieweit es gelingt, das Ketoazidoserisiko<br />
durch Auswahl der geeigneten Patienten <strong>und</strong><br />
intensive Schulung zur Ketoazidoseprävention zu<br />
minimieren, damit die Patienten vom unbestrittenen<br />
Nutzen profitieren können – insbesondere der<br />
Reduktion von Glukoseschwankungen, mehr Zeit<br />
im Zielbereich <strong>und</strong> einer langfristig möglicherweise<br />
verbesserten kardiovaskulären Prognose.<br />
Dies müssen jetzt weitere Studien zeigen.<br />
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Prof. Dr. Thomas Danne<br />
<strong>Diabetes</strong>-Zentrum, Kinder- <strong>und</strong> Jugendkrankenhaus<br />
„AUF DER BULT“<br />
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover<br />
CONFERENCES<br />
19
NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />
Die Niere als Faktor der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />
Gert Gabriëls, Münster<br />
Die Niere ist einer der Hauptorte der Glukoseproduktion <strong>und</strong> hat zusätzlich eine Bedeutung für Glukosefiltration<br />
<strong>und</strong> -reabsorption. Bei chronischer Niereninsuffizienz (CN) ist der Insulin-Metabolismus verändert<br />
<strong>und</strong> die Insulindosen sowie auch die Dosen oraler <strong>und</strong> anderer injizierter glukosesenkender Substanzen<br />
müssen meist reduziert werden. Große Bedeutung hat, dass die CN das Risiko von Hypoglykämien erhöht.<br />
Wegen der veränderten Blutbildung bei CN muss das Monitoring des Glukosestoffwechsels z. B. durch<br />
Bestimmung des HbA1c mit Vorsicht bewertet werden. Große kardiovaskuläre Studien deuten darauf, dass<br />
der Einsatz von GLP-1-Rezeptoragonisten, DPP4-Inhibitoren <strong>und</strong> SGLT2-Inhibitoren über die Bedeutung<br />
der Besserung des Glukosestoffwechsels hinaus bei <strong>Diabetes</strong> mellitus nicht nur renoprotektiv sind, sondern<br />
auch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen reduzieren.<br />
CONFERENCES<br />
Die Nieren haben sowohl eine Bedeutung für die<br />
Produktion <strong>und</strong> Ausscheidung von Glukose als auch<br />
für den Abbau des Insulins. Die ges<strong>und</strong>en Nieren<br />
stellen im Nüchternzustand durch Neogenese etwa<br />
40 % der Glukose zur Verfügung. 30–80 % des systemischen<br />
Insulins werden durch die Nieren abgebaut.<br />
Die Nieren sind Hauptorte des Abbaus von<br />
außen zugeführten Insulins. Etwa zwei Drittel des<br />
Insulins werden im Glomerulum filtriert sowie von<br />
Zellen des proximalen Tubulus reabsorbiert <strong>und</strong><br />
abgebaut. Etwa ein Drittel des Insulins diff<strong>und</strong>iert<br />
in peritubuläre Kapillaren <strong>und</strong> bindet an Zellen des<br />
distalen Tubulus wo es an der Reabsorption von<br />
Natrium, Phosphat <strong>und</strong> Glukose beteiligt ist. Exogen<br />
zugeführtes Insulin wird nicht durch die Leber<br />
verstoffwechselt, was die Bedeutung der Nieren für<br />
den Abbau des Insulins unterstreicht [1].<br />
Einfluss der chronischen<br />
Niereninsuffizienz auf den<br />
Glukosestoffwechsel<br />
Abbildung 1 zeigt, wie die chronische Niereninsuffizienz<br />
den Glukosestoffwechsel beeinflusst.<br />
Wenn die GFR auf weniger als 20 ml/min sinkt,<br />
ist die Insulin-Clearance durch die Nieren deutlich<br />
20
NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />
Urämie<br />
Entzündungmediatoren<br />
metabolische Azidose<br />
Insulinresistenz<br />
Fitness<br />
chronische<br />
Nierenerkrankung<br />
sek<strong>und</strong>ärer<br />
Hyperparathyreodismus<br />
Insulinsekrektion<br />
kaum vorhersehbare<br />
Insulinwirkung <strong>und</strong><br />
Glukosekonzentration<br />
maximale Glukose-<br />
Reabsorbtionskapazität<br />
Glukose-Reabsorption<br />
Clearance des Insulins<br />
Halbwertzeit<br />
des Insulins verlängert<br />
renale Glukoneogenese<br />
Glukoseproduktion<br />
Abbildung 1: Einfluss der chronischen Niereninsuffizienz auf den Glukosestoffwechsel (mod. nach [1]).<br />
reduziert, <strong>und</strong> der Insulinabbau in anderen Geweben<br />
wie Leber <strong>und</strong> Muskel sinkt. Das Risiko ausgeprägter,<br />
symptomatischer Hypoglykämien steigt<br />
dramatisch an. Je häufiger Hypoglykämien auftreten,<br />
desto wahrscheinlicher ist eine Wahrnehmungsstörung<br />
der Hypoglykämien. Hypoglykämien<br />
gehören zu den bedeutendsten Hindernissen, die<br />
dem Erreichen einer angemessenen Glukosestoffwechselsituation<br />
im Wege stehen. Die CN ist ein<br />
unabhängiger Risikofaktor für Hypoglykämien <strong>und</strong><br />
das Risiko der Sterblichkeit ist bei Hypoglykämien<br />
erhöht [1].<br />
Bei CN fördern zahlreiche Faktoren die Neigung<br />
zu Hypoglykämien: verminderte Sekretion gegenregulatorischer<br />
Hormone, verminderte renale Glukoneogenese,<br />
verminderte Insulin-Clearance. Die<br />
Glukagon-Antwort auf eine Hypoglykämie bleibt<br />
eher aus als die durch Katecholamine [2]. Das<br />
Risiko einer Hypoglykämie bei der Hämodialyse ist<br />
höher als das einer Hyperglykämie. Bei Peritonealdialyse<br />
ist je nach Glukosegehalt der Dialyselösung<br />
das Risiko einer Hypoglykämie geringer.<br />
Information, Schulung <strong>und</strong> Bildung des Patienten<br />
hinsichtlich des <strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> der CN sind entscheidende<br />
Faktoren für das Gelingen der Therapie.<br />
Bei chronischer Niereninsuffizienz ist die<br />
Lebensdauer der Erythrozyten um 30–70 % reduziert,<br />
<strong>und</strong> der Einsatz von Erythropoetin-Analoga<br />
führt zum Eintritt junger Erythrozyten in die Zirkulation,<br />
welche weniger glykosyliert sind, sodass der<br />
HbA1c-Wert niedriger ist, als dem tatsächlichen<br />
Glukoseniveau entspräche [3].<br />
Bei Neigung zu Hypoglykämien sollten Medikamente<br />
mit höherem Risiko der Induktion von<br />
Hypoglykämien wie Sulfonylharnstoffe der ersten<br />
Generation vermieden werden.<br />
Einfluss Glucagon-like peptide<br />
(GLP)1-abhängiger Mechanismen<br />
Abhängig von der Glukosezufuhr stimuliert das<br />
Incretin-Hormon GLP-1 die Insulinsekretion, steigert<br />
die -Zellmasse <strong>und</strong> hemmt die Sekretion des<br />
Glukagon. Es ist der physiologische Ausgangspunkt<br />
einer Gruppe von Medikamenten zur Behandlung<br />
des <strong>Diabetes</strong> mellitus. Obwohl GLP-1 durch die<br />
Nieren ausgeschieden wird, hängt die Halbwertzeit<br />
hauptsächlich von dem Abbau durch das ubiquitär<br />
vorhandene Enzym Dipeptidyl-Peptidase-4<br />
(DPP-4) ab.<br />
Die DPP-4 wird in verschiedenen Geweben,<br />
besonders aber in den Nieren exprimiert [4]. DPP-4<br />
ist auf kapillären Endothelzellen <strong>und</strong> in der apikalen<br />
Brush-Border-Membran des proximalen<br />
CONFERENCES<br />
21
NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />
CONFERENCES<br />
GLP-1<br />
ANG2<br />
Mahlzeit<br />
GLP-1<br />
ANP<br />
Natriurese<br />
GLP-1/<br />
neural<br />
neural<br />
Abbildung 2: Weiterleitung der GLP-1-vermittelten renalen<br />
Mechanismen (mod. nach [6]).<br />
Tubulus exprimiert sowie dort mit dem Natrium-<br />
Protonen-Austauscher Typ 3 (NHE3) verb<strong>und</strong>en [5].<br />
GLP-1 löst auch außerhalb des Pankreas einige<br />
Wirkungen aus, zu denen solche auf die Nierenfunktion<br />
gehören. Es wurden GLP-1-Rezeptoren in<br />
der Niere gef<strong>und</strong>en. Die GFR wird durch GLP-1 über<br />
komplexe Mechanismen reguliert <strong>und</strong> ist mutmaßlich<br />
abhängig von den aktuellen Bedingungen des<br />
Glukosestoffwechsels [6]. Das atriale natriuretische<br />
Peptid (ANP) <strong>und</strong> das Renin-Angiotensin-System<br />
(RAS) haben eine Bedeutung für die Weiterleitung<br />
der GLP-1-vermittelten renalen Mechanismen<br />
(Abbildung 2). GLP-1 scheint ein Mediator einer<br />
anzunehmenden, schnell reagierenden Darm–<br />
Nieren–Achse zu sein, welche die postprandiale<br />
Flüssigkeits- <strong>und</strong> Elektrolythomeostase reguliert.<br />
GLP-1 steigert die Natriurese durch Hemmung des<br />
NHE3 im proximalen Tubulus der Niere, was erklären<br />
könnte, dass GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP1-<br />
RA) blutdrucksenkende Wirkungen haben.<br />
Bei <strong>Diabetes</strong> kommt es zu einer Senkung des<br />
Tonus der in das Glomerulum führenden afferenten<br />
Arteriole, einer Zunahme des Tonus der efferenten<br />
Arteriole, einer Senkung des hydraulischen Druckes<br />
in der Bowman-Kapsel (PBOW) sowie hierdurch zur<br />
Zunahme des glomerulären hydraulischen Druckes<br />
in den Kapillaren des Glomerulum (PGLO) <strong>und</strong> der<br />
glomerulären Filtrationsrate des einzelnen Nephrons<br />
(SNGFR) (Abbildung 3) [7].<br />
GLP-1-Rezeptoragonisten haben sowohl eine<br />
direkt durch den GLP-1-Rezeptor vermittelte <strong>und</strong><br />
zumindest teilweise, NO-abhängige Vasodilatation<br />
der afferenten Arteriole als auch eine indirekte<br />
Hemmung von vaskulären <strong>und</strong> tubulären Faktoren<br />
zur Folge, welche die glomeruläre Hyperfiltration<br />
bei <strong>Diabetes</strong> vermitteln [7].<br />
Nach einer stark eiweißhaltigen Mahlzeit steigert<br />
eine physiologische Zunahme des renalen Blutflusses<br />
die GFR unabhängig vom arteriellen Druck,<br />
was zur Zunahme der Filtration gelöster Teilchen<br />
führt. Diese postprandiale Zunahme der GFR ist von<br />
Bedeutung, da der Protein-Stoffwechsel zu Stickstoff-Abfallprodukten<br />
wie Harnstoff, Harnsäure,<br />
Ammoniak <strong>und</strong> Kreatinin sowie anderen Metaboliten<br />
wie Phosphaten, Sulphaten <strong>und</strong> Protonen führt,<br />
die über die Niere ausgeschieden werden müssen.<br />
Die postprandiale Hyperfiltration könnte also ein<br />
sinnvoller Mechanismus zur schnellen Ausscheidung<br />
überschüssiger oder potenziell schädlicher,<br />
durch den Darm absorbierter Stoffe <strong>und</strong> von Stoffwechselprodukten<br />
sein. Wenn die totale Kapazität<br />
des Nephron bereits im Nüchternzustand maximal<br />
22
NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />
?<br />
GLP-1 oder<br />
GLP-1RA<br />
↑Insulin<br />
GLP-1 oder<br />
GLP-1RA<br />
↑ANP<br />
↑N-OX<br />
↑ET1<br />
Afferente<br />
Arteriole<br />
Vasodilatation<br />
<strong>Diabetes</strong>-assoziierte<br />
glomeruläre<br />
Hyperfiltration<br />
Vasokonstriktion<br />
Efferente<br />
Arteriole<br />
↑P GLO<br />
↓TGF<br />
↓P BOW<br />
↑Proximale Reabsorption von Natrium<br />
↑SLGT1/2<br />
↑NHE3<br />
↑Glukagon<br />
↑Aminosäuren<br />
↑ROS<br />
GLP-1 oder<br />
GLP-1RA<br />
↑ANG-II<br />
↑ANG-I<br />
↑Glukose<br />
GLP-1 oder<br />
GLP-1RA<br />
Mahlzeit<br />
↑Glukose<br />
Renin<br />
↑ATG<br />
Abbildung 3: Wirkungen des GLP-1 <strong>und</strong> der GLP-1 Rezeptoragonisten auf die renale Hämodynamik bei <strong>Diabetes</strong> mellitus (mod. nach [7]).<br />
strapaziert ist, d.h. eine glomeruläre Hyperfiltration<br />
vorliegt, wie das bei Typ-2-<strong>Diabetes</strong> mellitus<br />
<strong>und</strong>/oder fortgeschrittener Niereninsuffizienz der<br />
Fall ist, um den Ausfall geschädigter Nephrone zu<br />
kompensieren, ist der Beitrag der durch den Darm<br />
vermittelten, postprandialen hämodynamischen<br />
Veränderungen in der Niere auf die akute Ausscheidung<br />
von gelösten Teilchen wahrscheinlich gering.<br />
GLP1-RA hemmen Glukagon, steigern das Sättigungsgefühl,<br />
hemmen die Magenentleerung<br />
<strong>und</strong> führen zur Gewichtsreduktion [8]. Klinische<br />
Bef<strong>und</strong>e zusammengefasster Zulassungsstudien<br />
<strong>und</strong> Resultate großer kardiovaskulärer Studien<br />
deuten darauf, dass der Einsatz von GLP1-RA <strong>und</strong><br />
DPP4-Inhibitoren (DPP4-I) über die Bedeutung der<br />
Besserung des Glukosestoffwechsels hinaus die<br />
Albuminurie bessern <strong>und</strong> renoprotektiv sind, was<br />
auf die Hemmung von Inflammation in der Niere<br />
<strong>und</strong> des oxidativen Stresses zurückzuführen sein<br />
<strong>und</strong> zur Abschwächung des GFR-Verlustes bei<br />
Pa tienten mit <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2 sowie hohem<br />
Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen <strong>und</strong> Nierenschäden<br />
beitragen könnte [7].<br />
Einmal wöchentlich injiziertes Exenatid [9]<br />
ist kardiovaskulär sicher, <strong>und</strong> das lang wirksame<br />
Liraglutid [10] reduziert kardiovaskuläre Ereignisse<br />
(MACE-3). In der LEADER-Studie, die 25 %<br />
Pa tienten mit einer Niereninsuffizienz ≥ Stadium 3<br />
aufwies, wurde bei Behandlung mit Liraglutid eine<br />
22%ige relative Reduktion des kombinierten rena-<br />
CONFERENCES<br />
23
NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />
SGLT2<br />
Reabsorption<br />
von Na + <strong>und</strong><br />
Glukose<br />
Normal weite<br />
Afferente<br />
Arteriole<br />
Macula densa<br />
5‘NT<br />
ADO<br />
ADO<br />
Macula Lumen des<br />
densa-Zellen distalen Tubulus<br />
ATP<br />
Tubuläres<br />
Na + -<br />
Angebot<br />
ADP/<br />
AMP<br />
3Na + Na +<br />
2K + K +<br />
2CI -<br />
NaCI<br />
NaCI<br />
Abbildung 4: Glukosereabsorption unter Normalbedingungen (mod. nach [14])<br />
len Endpunktes erreicht [10]. Liraglutid wird nur<br />
minimal über die Nieren ausgeschieden [11]. Exenatid<br />
wird vor allem renal eliminiert [12].<br />
Die Hemmstoffe der DPP4 steigern durch Behinderung<br />
des Abbaus von GLP1 die Insulinsekretion.<br />
Sie senken die Freisetzung des Glukagon, steigern<br />
das Sättigungsgefühl <strong>und</strong> verzögern die Magenentleerung.<br />
Sita- <strong>und</strong> Saxagliptin werden durch die<br />
Nieren ausgeschieden, sodass ihre Dosis bei Niereninsuffizienz<br />
reduziert werden muss [13].<br />
SGLT2<br />
Vermehrte<br />
Reabsorption von<br />
Na + <strong>und</strong> Glukose<br />
SGLT2-Inhibition<br />
vermindert die<br />
Hyperfiltration<br />
über tubuloglomeruläres<br />
Feedback (TGF)<br />
Afferente<br />
Vasodilatation<br />
Afferente<br />
Vasokonstriktion<br />
Vermindertes<br />
Na + -Angebot an<br />
der Macula densa<br />
Erhöhtes Na + -<br />
Angebot an der<br />
Macula densa<br />
Glucosurie<br />
Natriurese<br />
Afferente<br />
Vasodilatation<br />
Normal weite<br />
Extraglormulär<br />
afferente Arteriole<br />
VSMC MC<br />
Extraglormulär<br />
VSMC MC<br />
Extraglormulär<br />
Afferente<br />
Vasokonstriktion<br />
VSMC MC<br />
Tubuläres<br />
Na + -<br />
Angebot<br />
Abbildung 6: SGLT2-Hemmung vermindert die Hyperfiltration via TGF (mod. nach [14])<br />
5‘NT<br />
Macula Lumen des<br />
densa-Zellen distalen Tubulus<br />
Abbildung 5: Hyperfiltration im Frühstadium der diabetischen Nephropathie<br />
(mod. nach [14]<br />
Ca 2+ Ca 2+<br />
5‘NT<br />
ADO<br />
ADO<br />
Na +<br />
K +<br />
2CI -<br />
Macula Lumen des<br />
densa-Zellen distalen Tubulus<br />
ADP/<br />
AMP<br />
ATP<br />
Tubuläres<br />
Na + -<br />
Angebot<br />
Ca2+ 3Na + Na +<br />
K<br />
2K + +<br />
2CI -<br />
NaCI<br />
NaCI<br />
NaCI<br />
NaCI<br />
NaCI<br />
NaCI<br />
Einfluss Natrium-Glukose-<br />
Transporter Typ-2 (SGLT2)-<br />
abhängiger Mechanismen<br />
Im Glomerulum filtrierte Glukose, welche<br />
der Reabsorption durch den Natrium-Glukose-<br />
Transporter Typ 2 (SGLT2) im proximalen Tubulus<br />
entkommt, wird anschließend durch den Natrium-<br />
Glukose-Transporter Typ 1 (SGLT1) im weiter<br />
distalen proximalen Tubulus reabsorbiert. Unter<br />
normalen Bedingungen werden 97 % der filtrierten<br />
Glukose durch SGLT2 (Abbildung 4) <strong>und</strong> die restlichen<br />
3 % durch SGLT1 reabsorbiert [14].<br />
Unter normalen (nichtdiabetischen) Bedingungen<br />
führt das NaCl, welches bis zur Macula<br />
densa gelangt, zu einer Spaltung von Adenosin-Triphosphat<br />
(ATP) zu Adenosin, welches ein<br />
Va sokonstriktor ist <strong>und</strong> damit zu einem Gr<strong>und</strong>tonus<br />
des Vas afferens führt (Abbildung 4). Kommt<br />
es unter normalen Bedingungen zu Hypotension,<br />
wird das Angebot von NaCl an die Macula densa<br />
sowie die Spaltung von ATP zu Adenosin reduziert<br />
<strong>und</strong> durch die Reduktion des Vasokonstriktors<br />
Adenosin das glomeruläre Vas afferens weniger<br />
konstringiert. Daraufhin nehmen renale Perfusion<br />
<strong>und</strong> GFR zu [14].<br />
Bei Diabetikern mit normaler Nierenfunktion findet<br />
im proximalen Tubulus wegen des dort höheren<br />
Glukoseangebots eine verstärkte Aktivität des<br />
24
NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />
SGLT2 mit Reabsorption von Natrium <strong>und</strong> Glukose<br />
aus dem Urin statt, was zu einem verminderten<br />
Angebot an Natrium an die Macula densa <strong>und</strong><br />
folglich zu einer Dilatation des in das Glomerulum<br />
ziehenden Vas afferens führt (Abbildung 5).<br />
Inhibitoren des Natrium-Glukose-<br />
Kotransporters Typ-2 (SGLT2-I)<br />
Durch Blockade des SGLT2 im proximalen Tubulus<br />
der Niere hat die Therapie mit SGLT2-I eine<br />
verminderte Glukosereabsorption <strong>und</strong> damit eine<br />
Glukosurie, einen Energieverlust sowie eine osmotische<br />
Diurese zur Folge. Außer zu einem Gewichtsverlust<br />
kommt es zu einem Verlust von Natrium<br />
<strong>und</strong> damit zur Senkung des Blutdrucks sowie des<br />
bei Niereninsuffizienten deutlich gesteigerten kardiovaskulären<br />
Risikos [8].<br />
Die Ausscheidung von Glukose mit dem Urin<br />
ist nicht nur abhängig von der Serum-Glukosekonzentration,<br />
sondern auch von der GFR. Deshalb<br />
ist der Effekt der SGLT2-I bei Einschränkung<br />
der Nierenfunktion reduziert. Es ist anzunehmen,<br />
dass bei Therapie mit SGLT2-I die höhere Natrium-<br />
Konzen tration im Urin über die Macula densa <strong>und</strong><br />
den tubuloglomerulären Feedback (TGF) zu einer<br />
Engstellung des glomerulären Vas afferens <strong>und</strong><br />
damit zur Protektion der Nieren führt [15] (Abbildung<br />
6).<br />
Bei Beginn der Therapie mit SGLT2-I kann es zu<br />
einer vorübergehenden Einschränkung der Nierenfunktion<br />
kommen, welche außer mit der Engstellung<br />
des glomerulären Vas afferens auch mit der durch<br />
die SGLT2-Inhibition induzierten osmotischen<br />
Diurese <strong>und</strong> der folgenden Reduktion des Plasmavolumens<br />
assoziiert ist. Deshalb sollte die Nierenfunktion<br />
vor <strong>und</strong> nach Beginn dieser Behandlung<br />
bestimmt werden. Bei Patienten, deren eGFR auf<br />
NEUE AUFMERKSAMKEIT FÜR DIE NIERE<br />
CONFERENCES<br />
Die Hemmung des SGLT2 auf -Zellen des Pankreas<br />
fördert Glukagon-Hypersekretion, welche eine<br />
gr<strong>und</strong>legende Komponente der Ketoazidose ist.<br />
Durch vermehrtes Erscheinen von Natrium im distalen<br />
Tubulus (z. B. bei Therapie mit SGLT2-I) kann<br />
es über den tubulären Natrium-Monocarboxylat-<br />
Transporter-1 zur vermehrten Keton-Reabsorption<br />
aus dem Urin kommen.<br />
Die Kombination einer incretinbasierten Therapie<br />
mit SGLT2-I könnte zu einer Besserung des<br />
Glukosestoffwechsels <strong>und</strong> der Nierenfunktion führen,<br />
die über die Vorteile der einzelnen Medikamentengruppen<br />
hinaus reichen: GLP1-RA könnten<br />
eine vermehrte Nahrungsaufnahme infolge langdauernder<br />
Therapie mit SGLT2-I unterdrücken <strong>und</strong><br />
so Folgen für renale Hämodynamik, Natriurese,<br />
Blutdruck <strong>und</strong> LDL-Cholesterin aufweisen.<br />
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Prof. Dr. med. Gert Gabriëls<br />
Universitätsklinikum Münster<br />
Medizinische Klinik D, Nephrologie <strong>und</strong> Rheumatologie<br />
Albert-Schweitzer-Straße 33, 48149 Münster<br />
26
ABSCHIED VOM „GLYKOZENTRISCHEN WELTBILD“<br />
Paradigmenwechsel in der Therapie des<br />
Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />
Der Typ-2-<strong>Diabetes</strong> verdoppelt (bis vervierfacht) das Risiko für Herz-/Kreislauf-Erkrankungen – oder anders<br />
ausgedrückt, etwa 45 % der Typ-2-Diabetiker haben zusätzlich bereits eine manifeste koronare Herzerkrankung<br />
oder eine Herzinsuffizienz; dies ist seit Jahrzehnten bekannt. Der <strong>Diabetes</strong> allein vermindert<br />
die durchschnittliche Lebenserwartung des Patienten um etwa sechs Jahre – bei gleichzeitiger koronarer<br />
Herzkrankheit ist die Lebenserwartung sogar um zwölf Jahre geringer als bei Stoffwechselges<strong>und</strong>en.<br />
Die Inzidenz des <strong>Diabetes</strong> Typ 2 nimmt dramatisch<br />
zu: Derzeit haben 415 Millionen Menschen<br />
weltweit diese Erkrankung, <strong>und</strong> die International<br />
<strong>Diabetes</strong> Federation rechnet in den nächsten<br />
20 Jahren mit einem weiteren Anstieg um etwa<br />
50 %, auf 640 Millionen.<br />
In Deutschland leben derzeit etwa 6,5 Millionen<br />
Menschen mit Typ-2-<strong>Diabetes</strong>, etwa drei Millionen<br />
dieser Patienten haben zusätzlich eine diabetesassoziierte<br />
Gefäßerkrankung.<br />
In der Therapie des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> zeichnet<br />
sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel<br />
ab, eingeleitet interessanterweise von den Zulassungsbehörden.<br />
Bis vor wenigen Jahren konnten Antidiabetika<br />
dann eine Zulassung bekommen, wenn sie den Blutzucker<br />
<strong>und</strong> das HbA1c signifikant senkten. Heute<br />
verlangen die Arzneimittelbehörden zusätzlich den<br />
Nachweis, dass die kardiovaskulären Outcomes<br />
ebenfalls positiv beeinflusst werden. Letztlich geht<br />
es nicht nur um einen niedrigeren Blutzuckerspiegel,<br />
sondern eine verbesserte Lebenserwartung <strong>und</strong><br />
Lebensqualität der Patienten <strong>und</strong> eine Senkung der<br />
Krankenhausaufenthalte.<br />
Outcome-Effekte der SGLT2-<br />
Hemmung<br />
Professor Helmut Schühlen, Kardiologe am Vivantes<br />
Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin, berichtete<br />
auf einer Pressekonferenz der Unternehmen<br />
Boehringer Ingelheim <strong>und</strong> Lilly über die Ergebnisse<br />
der EMPA-REG OUTCOME-Studie. In dieser Studie<br />
wurden die Patienten zusätzlich zur Standardtherapie<br />
des Typ-2-<strong>Diabetes</strong> – Lebensstilinterventionen<br />
wie Gewichtsabnahme <strong>und</strong> mehr Bewegung, bei<br />
Bedarf zusätzlich Metformin – entweder mit Empagliflozin<br />
(Jardiance®) oder mit Plazebo behandelt.<br />
Neue Auswertungen der Studie zeigen: Empagliflozin<br />
konnte sowohl die kardiovaskulären Todesfälle<br />
als auch die Gesamtmortalität im Vergleich<br />
zu Plazebo um etwa ein Drittel vermindern. Umgerechnet<br />
auf die Lebenserwartung ergibt sich damit<br />
je nach Alter der Patienten eine Verlängerung<br />
der Lebenszeit um bis zu 4,5 Jahre. Eine weitere<br />
positive Wirkung: Die Patienten mussten signifikant<br />
seltener wegen Herzinsuffizienz hospitalisiert<br />
werden.<br />
Empagliflozin gehört zur Gruppe der SGLT2-<br />
Hemmstoffe, es fördert die Glukoseausscheidung<br />
über die Nieren. Dadurch ergibt sich einerseits eine<br />
Diurese, was außer dem Blutzucker auch den Blutdruck<br />
senkt, andererseits verlieren die Patienten<br />
auch Kalorien über den Urin. Das kommt dem Körpergewicht<br />
bzw. dessen Reduktion zugute – etwa<br />
2 kg weniger brachten die Patienten im Durchschnitt<br />
auf die Waage.<br />
Gleichzeitig konnte für Empagliflozin eine<br />
schützende Wirkung auf die Nierenfunktion nachgewiesen<br />
werden: Die Verschlechterung der Nierenfunktion,<br />
die durch den <strong>Diabetes</strong> entsteht <strong>und</strong><br />
sich über die Jahre in einer stetigen Verminderung<br />
der eGFR bemerkbar macht, konnte unter der<br />
Therapie mit Empagliflozin gestoppt werden. Nach<br />
dem Absetzen der Substanz ging der krankheitsbedingte<br />
Prozess weiter, daher ist dieser renoprotektive<br />
Effekt vermutlich direkt auf das Medikament<br />
zurückzuführen.<br />
INDUSTRY News<br />
27
ABSCHIED VOM „GLYKOZENTRISCHEN WELTBILD“<br />
14 % RRR<br />
p
ABSCHIED VOM „GLYKOZENTRISCHEN WELTBILD“<br />
Angesichts einer nachgewiesenen Senkung der<br />
kardiovaskulären Mortalität um 38 %, der Gesamtmortalität<br />
um 32 %, der Hospitalisierungsraten<br />
wegen Herzinsuffizienz um 35 % <strong>und</strong> des Fortschreitens<br />
der Niereninsuffizienz um 39 % spricht<br />
Vieles für den Einsatz von Empagliflozin, mindestens<br />
bei Patienten mit gleichzeitig bestehenden<br />
kardiovaskulären Erkrankungen.<br />
Management in der hausärztlichen<br />
Praxis<br />
Wirtschaftlichkeit<br />
Dr. Petra Sandow, niedergelassene Hausärztin<br />
in Berlin, berichtete über das Spannungsfeld der<br />
Hausärzte zwischen Kosteneinsparung <strong>und</strong> moderner<br />
Therapie. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass<br />
Hausärzte eigene Leitlinien haben. Diese Leitlinien<br />
empfehlen allerdings bevorzugt „altbewährte“ Arzneimittel,<br />
die das Budget möglichst wenig belasten.<br />
Andererseits sind auch Hausärzte verpflichtet,<br />
nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
zu therapieren.<br />
„Wenn ein findiger Anwalt mir einen Strick daraus<br />
drehen will, dass ich seinem Vater ein Medikament<br />
nicht verordnet habe, was dessen Leben um<br />
einige Jahre hätte verlängern können, dann stehe<br />
ich schlecht da“, erklärte Sandow. Im Gr<strong>und</strong>e müsste<br />
jeder Hausarzt, der einen <strong>Diabetes</strong> Typ 2 behandelt,<br />
sich in diesem Augenblick als Diabetologen sehen <strong>und</strong><br />
demzufolge die entsprechenden Leitlinien beachten.<br />
Zumal bei Patienten mit bereits bestehenden<br />
kardiovaskulären Erkrankungen die Verordnung<br />
von Empagliflozin als Praxisbesonderheit anerkannt<br />
ist <strong>und</strong> daher das Budget nicht belastet.<br />
Allerdings muss dies entsprechend codiert werden.<br />
Patientenaufklärung<br />
Eine häufige <strong>und</strong> äußerst lästige Nebenwirkung<br />
der SGLT2-Inhibitoren sind genitale Infektionen,<br />
oft durch Pilze, bedingt durch die (gewollte) Glucosurie.<br />
„Darüber muss man die Patienten gut<br />
aufklären, <strong>und</strong> ihnen die entsprechenden hygienischen<br />
Maßnahmen ans Herz legen“, erklärte Sandow.<br />
Wichtig ist außerdem eine Behandlung des<br />
Partners, da genitale Mykosen sexuell übertragbar<br />
sind <strong>und</strong> der Partner ansonsten als ständiges Erregerreservoir<br />
zu immer neuen Rezidiven beiträgt.<br />
Ein Absetzen des Medikaments ist deswegen aber<br />
selten notwendig.<br />
Kardiovaskuläres Risiko frühzeitig behandeln<br />
Zuletzt bleibt noch die Frage, ob nicht der <strong>Diabetes</strong><br />
Typ 2 per se als kardiovaskuläre Erkrankung<br />
angesehen werden muss. Der Typ-2-<strong>Diabetes</strong> wird<br />
immer häufiger <strong>und</strong> tritt in immer jüngerem Lebensalter<br />
auf. Sandow berichtete von ihrem jüngsten<br />
Patienten – einem stark übergewichtigen 18-Jährigen,<br />
den sie zunächst wegen Verdachts auf <strong>Diabetes</strong><br />
Typ 1 zum Diabetologen überwiesen hatte,<br />
weil sie nicht glauben konnte, dass sich bereits in<br />
diesem jungen Alter ein Typ 2 manifestiert haben<br />
konnte. Ein solcher Patient muss jahrzehntelang<br />
behandelt werden; seine Gefäße, sein Herz <strong>und</strong><br />
seine Nieren sind massiv gefährdet. Eine Therapie,<br />
die nachweislich Herz <strong>und</strong> Nieren schützt, sollte<br />
für diese Klientel da selbstverständlich sein.<br />
Bericht: Dr. med. Friederike Günther<br />
Referenzen:<br />
1. Zinman B, et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes<br />
and Mortality in Type-2 <strong>Diabetes</strong>, NEJM 2015;373:2117–<br />
2128.<br />
2. Wanner C, Inzucchi SE, Lachin JM, et al. Empagliflozin and<br />
progression of kidney disease in type 2 diabetes, NEJM<br />
2016;375:323-334.<br />
3. Fitchett D, Zinman B, Wanner C et al. Eur Heart J<br />
2016;37:1526-1534.<br />
Quelle: Pressekonferenz „Innovationen in der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />
– Jardiance® richtungsweisend in seiner Disziplin“ am<br />
02.04.<strong>2019</strong> in Berlin, Veranstalter: Boehringer Ingelheim<br />
Deutschland GmbH <strong>und</strong> Lilly Parma GmbH.<br />
INDUSTRY News<br />
29
DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />
Typische Läsionen beim DFS <strong>und</strong> deren<br />
Vermeidung<br />
Arthur Grünerbel, München<br />
Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine häufige Komplikation bei langjährigem <strong>Diabetes</strong>. Es tritt bei<br />
2–10 % aller Diabetiker auf. Die Behandlung ist oft langwierig, die Lebensqualität der Patienten ist deutlich<br />
eingeschränkt, <strong>und</strong> die Prognose für die Patienten ist nicht gut. Typische Fußläsionen beim diabetischen<br />
Fußsyndrom zu erkennen hilft, deren Entstehung zu vermeiden.<br />
CONFERENCES<br />
Folgende Faktoren sind verantwortlich:<br />
••<br />
Die Polyneuropathie ist immer beteiligt,<br />
••<br />
unbemerkter Druck spielt ebenfalls eine zentrale<br />
Rolle,<br />
••<br />
hinzu kommt eine schlechte Perfusion sowie oft<br />
auch pathologische Knochenumbauten.<br />
Polyneuropathie<br />
Welche Faktoren begünstigen die Entwicklung<br />
einer PNP? Vermutet haben wir schon immer eine<br />
schlechte <strong>Diabetes</strong>einstellung <strong>und</strong> Glukosespitzen<br />
als Ursache.<br />
Welche Faktoren begünstigen noch die Entwicklung<br />
einer PNP? Diesem Sachverhalt ging<br />
eine schottische Studie nach [1]. Hier wurde<br />
an einer Klientel von 6.127 Typ-1-Diabetikern,<br />
die zwischen 2010 <strong>und</strong> 2013 rekrutiert wurden,<br />
untersucht, welche Risikofaktoren die Entstehung<br />
einer Neuropathie fördern. Die Patienten wurden<br />
in zwei Gruppen aufgeteilt <strong>und</strong> altersgematcht<br />
untersucht.<br />
30
DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />
Hierbei ergab sich wie erwartet, dass das Risiko<br />
für eine Neuropathie signifikant steigt mit dem<br />
Lebensalter <strong>und</strong> der <strong>Diabetes</strong>dauer. Zusätzlich<br />
konnten aber auch ein jemals erfolgter Nikotinkonsum,<br />
Hba1c über 9 %, bestehende Micro- oder<br />
Makroalbuminurie sowie eine niedrigere soziale<br />
Stellung als weitere Risikofaktoren nachgewiesen<br />
werden. Auch ein niedriges HDL-Cholesterin <strong>und</strong><br />
höhere Triglyceride (87,5 versus 130 mg/dl) waren<br />
beteiligt. Dies, so folgern die Autoren, befindet<br />
sich in Übereinstimmung mit der internationalen<br />
Literatur <strong>und</strong> zeigt, dass weiterhin Risikofaktoren<br />
bestehen, an denen gearbeitet werden kann, um<br />
die Entstehung einer Neuropathie signifikant zu<br />
reduzieren.<br />
So gibt es auch Fortschritte beim Erkennen einer<br />
Polyneuropathie [2], die mit einer Prävalenz von<br />
5–8 % in der erwachsenen älteren Bevölkerung<br />
die häufigste Erkrankung des peripheren Nervensystems<br />
darstellt.<br />
Daneben spielt auch Ursachenbekämpfung<br />
eine große Rolle, denn auch eine nutritive Mangelversorgung<br />
der Nerven durch Verringerung der<br />
kapillären arteriellen Perfusion könnte eine Rolle<br />
spielen. Dies kann auch bei vielleicht bereits<br />
therapierter pAVK bedingt durch den kreislaufphysiologisch<br />
bekannten venoarteriellen Reflex<br />
stattfinden, der unter Immobilisation im Sitzen<br />
am Vorfuß zu einer Abnahme der messbaren<br />
Sauer stoffsättigung im Gewebe [3] von 40–50 %<br />
auf Werte um etwa 10 % führt. Dieser Effekt<br />
kann bereits 2–4 Minuten nach Beginn einer<br />
Ruhephase eintreten [4] <strong>und</strong> persistiert bis zum<br />
Eintritt längerer Bewegungsabschnitte. Daher ist<br />
auch eine Neuromalnutrition, gerade heutzutage<br />
durch vermehrte sitzende Tätigkeit zum Beispiel<br />
an Bildschirmarbeitsplätzen, durchaus als Ursache<br />
mit zu bedenken. Hier lassen sich einfache<br />
Maßnahmen wie Zehen- <strong>und</strong> Fußgymnastik zur<br />
Prophylaxe einführen.<br />
Typische Läsionen: bedingt durch<br />
unbemerkten Druck<br />
Häufig ist zu enges Schuhwerk oder eine falsche<br />
Versorgung mit Einlagen eine Ursache für Ulcera<br />
(Abbildungen 1 <strong>und</strong> 2).<br />
Abbildung 1: Typische Läsion durch zu viel plantaren Druck<br />
Abbildung 2: Einlagencheck: fehlende Polsterung<br />
Abbildung 3: Einlagencheck: Die können nie passen …<br />
CONFERENCES<br />
31
DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />
CONFERENCES<br />
Patienten mit diabetischer Neuropathie <strong>und</strong><br />
rezidivierend auftretenden Läsionen an der Fußunterseite<br />
sollten regelmäßig mit einer diabetesadaptierten<br />
Fußbettung versorgt werden. Hierbei<br />
haben sie auch Anspruch auf ein Wechselpaar<br />
sowie eine Erneuerung der Bettung alle Jahre<br />
<strong>und</strong> die Versorgung eines Hausschuhes mit Bettung.<br />
Damit kann unbemerkter Druck an der<br />
Fuß unterseite vermieden werden. Auch diese maßgefertigten<br />
Einlagen müssen bei Wiedervorstellung<br />
überprüft werden, da sie leider nicht immer passen<br />
(Abbildung 3).<br />
Zudem muss natürlich immer ein passendes<br />
Schuhwerk getragen werden, das auch Raum für<br />
die Zehen bietet. Hier können wir nicht oft genug<br />
die Patienten schulen, beispielsweise auch im<br />
Urlaub unbedingt die <strong>Diabetes</strong>schutzschuhe zu tragen.<br />
Wenn dies im Urlaub nicht durchgeführt wird,<br />
zeigen sich sofort entsprechende Läsionen. Abbildung<br />
4 zeigt, was geschieht, wenn der Schutzschuh<br />
beim Urlaub auf Gran Canaria zuhause gelassen<br />
wird <strong>und</strong> stattdessen die Slippers eingepackt werden<br />
(Abbildung 4).<br />
Abbildung 4: Typische Läsion durch zu viel Druck bei zu engem<br />
Schuhwerk<br />
Beim diabetischen Fußsyndrom sind immer<br />
folgende Besonderheiten zu berücksichtigen<br />
(Tabelle 1), die man tagtäglich bei der Behandlung<br />
im Hinterkopf haben muss.<br />
Tabelle 1: Besonderheiten beim DFS<br />
<strong>Diabetes</strong>bedingte PNP<br />
Autonome Neuropathie<br />
pAVK : Minderversorgung<br />
veränderte pathophysiologische Prozesse im W<strong>und</strong>gebiet<br />
W<strong>und</strong>behandlung<br />
Stoffwechselentgleisung<br />
Viele Begleiterkrankungen<br />
Anatomische Veränderungen<br />
Abbildung 5: Chopart-Stumpf mit typischer Läsion<br />
Ein Beispiel für weniger bekannte anatomische<br />
Veränderungen ist das nach Chopart-Amputation<br />
oft auftretende Problem des dorsalen Sehnenzuges<br />
der Achillessehne (Abbildung 5).<br />
Der Wegfall der Fußheber <strong>und</strong> das Belassen der<br />
Achillessehne führt zwangsläufig zum Spitzfuß.<br />
Die Ferse wird weiter nach dorsal gezogen. Im Verlauf<br />
drückt der Processus anterius des Calcaneus<br />
die Haut kaputt. Dem muss abgeholfen werden,<br />
zumindest durch die „Minimaltherapie“ in Form<br />
der Durchtrennung der Achillessehne in Lokalanästhesie.<br />
Maximaltherapie wäre zusätzlich die Abtragung<br />
des plantaren Anteils des Processus. Dies kann<br />
minimalinvasiv erfolgen.<br />
Bevor Sie an eine Operation denken: Was ist bei<br />
Abbildung 6 das Wichtigste für einen konservativen<br />
Heilversuch? Antwort: Vollständige Entlastung<br />
32
DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />
Sauerstoffmessung den TcpO 2 an der Großzehe.<br />
Zwei Drittel der gemessenen der unteren Extremitäten<br />
hatten einen offensichtlich normalen ABI,<br />
über 50 % der Patienten in diesem Bereich zeigten<br />
allerdings bereits eine signifikante Minderperfusion,<br />
die dann auch die W<strong>und</strong>heilung behindert<br />
durch Verringerung des TcpO 2 . Daher sollte bei<br />
Zweifeln bezüglich der Durchblutungssituation bei<br />
einem unauffälligen ABI unbedingt der Zehendruck<br />
gemessen werden.<br />
Typische Läsionen durch knöcherne<br />
Umbauten<br />
Abbildung 6: Was ist hier das Wichtigste?<br />
mittels Zweischalenorthese oder Total Contact<br />
Cast.<br />
Typische Läsionen durch schlechte<br />
Perfusion<br />
Typische Läsionen entstehen natürlich auch<br />
durch schlechte Perfusion. Daher ist als Minimalmaßnahme<br />
die ABI–Testung (Messung des<br />
ankulobrachialen Index) auch beim beschwerdefreien<br />
Diabetiker mit Polyneuropathie erforderlich.<br />
Wenn dies wegen Mediasklerose kein verwertbares<br />
Ergebnis gibt oder ein pathologischer Bef<strong>und</strong><br />
entsteht, muss sofort eine Doppler-<strong>und</strong> Duplex-<br />
Untersuchung angeschlossen werden, außerdem<br />
ein angiologisches <strong>und</strong> eventuell gefäßchirurgisches<br />
Konsil.<br />
Leider ist die alleinige ABI-Bestimmung manchmal<br />
nicht ausreichend, wie Manu <strong>und</strong> Kollegen<br />
vom Kings College Hospital beschrieben haben [5].<br />
Sie evaluierten pAVK mittels der ABI-Messung <strong>und</strong><br />
untersuchten bei Patienten mit einem eigentlich<br />
unauffälligen ABI (0,9–1,3) mittels transkutaner<br />
Typische Läsionen sind oft auch bedingt durch<br />
knöcherne Umbauten. Dies entsteht bei Menschen<br />
mit Polyneuropathie am ehesten durch die<br />
Charcot-Arthropathie. Sie ist definiert durch einen<br />
spontanen Knochenverlust auf dem Boden einer<br />
Polyneuropathie, unabhängig von Traumen oder<br />
Malignomen, wenngleich ein blandes Trauma wohl<br />
die Manifestation beschleunigen kann.<br />
Abbildung 7: Typisches Ulcus bei Charcot Arthropathie<br />
CONFERENCES<br />
33
DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />
werden. Immer gilt es auch auf mögliche Infektionen<br />
zu achten.<br />
Zusammenfassend beginnt der Charcot-Fuß<br />
meist durch eine Fehlstimulation von Osteoklasten,<br />
so dass auch die Bezeichnung Neuropathische<br />
Osteopathie (mündliche Mitteilung Professor<br />
Sigurd Kessler) sinnvoll wäre. Da die Zerstörung des<br />
Fußes droht, ist die Erhaltung der Stabilität wichtig,<br />
so dass bei Aktivität der Charcot-Arthropathie<br />
(Abbildung 8) zwingend eine oft 6–9 Monate dauernde<br />
Entlastung erfolgen muss. Die Betroffenen<br />
davon zu überzeugen, ist oft mühsam. Nach Abheilung<br />
ist unbedingt die Versorgung mit orthopädischen<br />
Maßschuhen angezeigt.<br />
Vermeidung von typischen Läsionen<br />
CONFERENCES<br />
Abbildung 8: Aktive Charcot Arthropathie von plantar<br />
Die möglichen Folgen sind Fehlstellungen, Knochenneubildung,<br />
Knochendestruktion, Ulcerationen<br />
<strong>und</strong> Infektionen. Wichtig ist vor allem das<br />
Denken an diese Möglichkeit, wie sie bei diesem<br />
Ulcus schon evident ist (Abbildung 7).<br />
Eine beginnende Charcot-Arthropathie ist am<br />
Periostödem zu erkennen, bereits diese verlangt<br />
nach einer zwingenden Entlastung. Da momentan<br />
der TCC (Total Contact Cast) nicht in unseren<br />
Versorgungsumfang genehmigt ist, wenngleich er<br />
den internationalen Standard darstellt, muss derzeit<br />
auf eine Zweischalenorthese zur Entlastung<br />
ausgewichen werden. Wir arbeiten deshalb daran,<br />
diese Versorgung wieder erstattbar zu machen.<br />
Falls die Endfertigung zu lange dauert, kann<br />
übergangsweise auch eine Vakuumentlastung<br />
mit einem kniehohen Vakuumstiefel durchgeführt<br />
Typische Läsionen lassen sich durch regelmäßige<br />
Fußuntersuchung vermeiden. Diese sollten bei<br />
Menschen mit stattgehabten Ulcera oder Charcot-<br />
Artopathie vierteljährlich erfolgen. Zudem sollte<br />
podologische Behandlung verordnet werden, so<br />
dass geschulte Augen den Fuß regelmäßig überwachen<br />
können.<br />
Hyperkeratosen müssen rechtzeitig abgetragen<br />
werden, die Patienten <strong>und</strong> ihre Angehörigen<br />
müssen bezüglich der Selbstbeobachtung geschult<br />
werden.<br />
Die podologische Therapie ist weiterhin vor allem<br />
in Regionen mit hohen Mietpreisen unterfinanziert<br />
(es werden 32 Euro für 50 Minuten Therapie<br />
gezahlt) so dass es weiterhin zu wenig Podologen<br />
gibt. Dies ist als Aufgabe der DDG sowie der<br />
Ges<strong>und</strong>heitsbehörden zu sehen, eine verbesserte<br />
Ausgangsbasis für podologische Therapie <strong>und</strong> Niederlassung<br />
neuer Podologen zu schaffen. Dies stellt<br />
eine Schnittstelle zur Reduktion der Amputationszahlen<br />
dar.<br />
Auch Selbstbeobachtung im Rahmen der Patientenschulung<br />
ist in dieser Gesamtsituation wichtig.<br />
34
DIABETISCHES FUSSSYNDROM<br />
In Gegenden mit in der Fläche weniger Fußambulanzen,<br />
aber auch in Ballungsräumen mit<br />
vielen alleine lebenden Menschen, die keine Transportmöglichkeit<br />
zum Arzt haben, müssen bereits<br />
entwickelte <strong>und</strong> erprobte telemedizinische Konzepte<br />
wie die des „Fußnetz Bayern“, die startbereit<br />
vorhanden sind, endlich kassenfinanziert umgesetzt<br />
werden. Erst dann können wir mittelfristig<br />
erreichen, dass die aktuell 40.000 diabetesbedingten<br />
Amputationen pro Jahr (Deutscher <strong>Diabetes</strong>bericht<br />
2018), was letztlich alle 13,4 Minuten eine<br />
Amputation bedeutet, reduziert werden können.<br />
Dr. med. Arthur Grünerbel<br />
gruenerbel@diabeteszentrum-muenchen-sued.de<br />
Um dies auch in der Bevölkerung stärker publik zu<br />
machen, sollte das Thema „Diabetischer Fuß“ auch<br />
vermehrt in den Medien präsent sein, schließlich<br />
ist die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Menschen<br />
mit diabetischen Fußsyndrom geringer als nach der<br />
Diagnose <strong>und</strong> Therapie von beispielsweise Colon–<br />
oder Mammakarzinom.<br />
Problemfüße müssen häufiger in der Fußambulanz<br />
der <strong>Diabetes</strong>schwerpunktpraxis vorgestellt<br />
<strong>und</strong> untersucht werden, die neue DMP-Richtlinie<br />
mit intensivierten Fußkontrollen muss weiter<br />
bekanntgemacht werden.<br />
Referenzen:<br />
1. Jeyam A, et al. Prevalenve of and risk factors accociated<br />
with diustal syymetric diabetioc polyneuropathy in the<br />
SDRNT1BIO cohort; SDRNT1BIO Investigators, University<br />
of Edinburgh; Poster EASD 2018<br />
2. Sommer C, , Geber C, Young P, et al. Polyneuropathies etiology,<br />
diagnosis and treatment options. Dtsch Ärztebl Int<br />
2018;115:83–90<br />
3. Henriksen O, Sejrsen P. Local reflex in microcirculation in<br />
human skeletal muscle. Acta Physiol Scand 1977;99:19<br />
–25<br />
4. Brandl R.; DOI 10.3238/arztebl.2018.0295a<br />
5. Manu CA, et aL. Arterial Diesase below the ankle in the<br />
diabetic foot: the final frontier; King's College Hospitaln<br />
London, NHS fo<strong>und</strong>ation trust Poster EASD 2018<br />
Dr. med. Arthur Grünerbel<br />
<strong>Diabetes</strong>zentrum München-Süd<br />
Stockmannstraße 47, 81477 München<br />
CONFERENCES<br />
35
TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />
<strong>Diabetes</strong>remission, (k)ein Hungerlohn<br />
Nina M. T. Meyer, Stefan Kabisch <strong>und</strong> Andreas F. H. Pfeiffer, Berlin<br />
<strong>Diabetes</strong> wird häufig noch mit Dicksein <strong>und</strong> dem übermäßigen Konsum von Schokoriegeln verb<strong>und</strong>en. Es ist<br />
auch etwas dran: Nicht nur, dass <strong>Diabetes</strong> eng mit <strong>Adipositas</strong> assoziiert ist, auch spielt die Nahrungsqualität<br />
in der Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle. Ganz so einfach ist es trotzdem nicht. So gibt es sowohl<br />
schlanke Menschen mit, als auch Dicke ohne <strong>Diabetes</strong> – <strong>und</strong> das sind keine Raritäten [1].<br />
CONFERENCES<br />
Gewichtszunahme ist eine typische Ursache für<br />
die Manifestation von Typ-2-<strong>Diabetes</strong>; Gewichtsverlust<br />
drängt die Krankheit oftmals zurück. Dies<br />
zeigt eine aktuelle Studie an britischen Patienten<br />
mit relativ frischer <strong>Diabetes</strong>diagnose. Gewichtsreduktion<br />
um etwa 15 kg führte bei etwa 85 %<br />
dieser Patienten zu einer Remission des <strong>Diabetes</strong>.<br />
<strong>Diabetes</strong>remission ist definiert durch einen HbA1c-<br />
Wert von unter 6,5 % ohne <strong>Diabetes</strong>medikation,<br />
mindestens ein Jahr nach Gewichtsreduktion. Das<br />
Ausgangsgewicht erschien hierbei unerheblich [2].<br />
Ähnliche Ergebnisse zeigte eine unabhängige Studie,<br />
in der auf kohlenhydratarme Ernährung kombiniert<br />
mit erheblicher Gewichtsreduktion gesetzt<br />
wurde [3].<br />
Ebenso wichtig wie das absolute Gewicht scheint<br />
also die Gewichtsdynamik zu sein. In der Nurses<br />
Health Study war ein BMI von 23,4 kg/m² mit einem<br />
verdoppelten <strong>Diabetes</strong>risiko gegenüber einem BMI<br />
von 21 kg/m² assoziiert [4]; Gewichtszunahme von<br />
etwa 4–5 kg verdoppelte das <strong>Diabetes</strong>risiko erneut.<br />
In Kombination erklärt sich das potenzierte <strong>Diabetes</strong>risiko<br />
bei massivem Übergewicht.<br />
Doch wodurch passiert das? Gewichtszunahme<br />
beruht wesentlich auf der Fettmasse. Dabei ist aber<br />
die Speicherkapazität des physiologischen Unterhautfettgewebes<br />
limitiert [5]. Zusätzliches Fett<br />
lagert sich ektop ab: in Leber, Pankreas, Muskulatur,<br />
aber auch in Endothelzellen. Diese Gewebe<br />
werden dadurch in ihrer Funktion beeinträchtigt.<br />
Die Lokalisation des Fetts ist also relevant: im<br />
Bereich der unteren Körperhälfte stellt es wahrscheinlich<br />
eher einen metabolischen Schutzfaktor<br />
dar [5], oft zu finden beim Phänotyp der „ges<strong>und</strong>en<br />
Dicken“ (Metabolically Healthy Obese, kurz MHO).<br />
Abdominelles oder viszerales Fett dagegen führt<br />
36
TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />
zu unges<strong>und</strong>er <strong>Adipositas</strong> [6]. Diese ist – durch<br />
teils noch unklare Mechanismen – mit den Komponenten<br />
des metabolischen Syndroms assoziiert:<br />
Bluthochdruck, Hyperglykämie, Dyslipidämie, subklinische<br />
Inflammation, Hyperurikämie. Jüngere<br />
Frauen erfüllen häufiger den MHO-Phänotyp, aber<br />
selbst diese Personengruppe hat ein deutlich höheres<br />
kardiovaskuläres Risikoprofil im Vergleich zu<br />
Schlanken [4].<br />
Nina Marie Tosca Meyer<br />
nina.meyer@dife.de<br />
Wie genau kommt es zu <strong>Diabetes</strong> bei<br />
unges<strong>und</strong>er <strong>Adipositas</strong>?<br />
Ektope Fettspeicherung führt zur Insulinresistenz,<br />
schwächt also die Glukoseaufnahme in die<br />
Zelle <strong>und</strong> entfesselt die hepatische Glukoneogenese.<br />
Zudem werden die -Zellen des Pankreas<br />
dabei eingeschränkt, Insulin zu produzieren [1, 7].<br />
Der hierdurch steigende Blutzucker wirkt nicht<br />
nur direkt gewebstoxisch, sondern fördert auch<br />
die weitere Einlagerung von Fett: ein Teufelskreis<br />
also [7]. Wer aber durch Gewichtsabnahme sein<br />
Organfett stark absenkt, profitiert oftmals besonders<br />
stark hinsichtlich des Blutzuckers [8, 9].<br />
Warum einige einen BMI von über 30 erreichen<br />
können, bis sie diabetisch werden, andere das<br />
aber schon bei 25 tun, ist jedoch weiterhin nicht<br />
geklärt. Entscheidend ist wohl, wie empfindlich<br />
man gegenüber den biochemischen Effekten ist,<br />
die durch den Fettüberschuss auf die Gewebe ausgeübt<br />
werden. Eine Theorie ist daher, dass jeder<br />
Mensch eine individuelle „Fett-Schwelle“ hat, ab<br />
der er Insulinresistenz <strong>und</strong> damit <strong>Diabetes</strong> entwickelt<br />
[1]. Wie bei allem spielt also Genetik auch<br />
hier eine große Rolle [10]. Dennoch ist man selbst<br />
bei genetisch „ungünstiger“ Ausgangssituation<br />
seinem Schicksal nicht machtlos ergeben, denn<br />
Genetik <strong>und</strong> Umwelteinflüsse interagieren. Ein<br />
ges<strong>und</strong>er Lebensstil – körperliche Aktivität, ausgewogene<br />
Ernährung – kann die Ausprägung einer<br />
Dr. med. Stefan Kabisch<br />
stefan.kabisch@dife.de<br />
Prof. Dr. med. Andreas F. H. Pfeiffer<br />
afhp@charite.de<br />
CONFERENCES<br />
37
TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />
CONFERENCES<br />
ungünstigen genetischen Variation unterdrücken<br />
[1, 11, 12].<br />
Aus gutem Gr<strong>und</strong> stellt daher eine Lebensstilverbesserung<br />
die Gr<strong>und</strong>lage der metabolischen Therapie<br />
dar. Erst bei Versagen dieses Ansatzes soll auf<br />
medikamentöse Regime zurückgegriffen werden:<br />
von oralen Antidiabetika bis hin zu Insulingaben.<br />
Ähnlich verhalten sich die Eskalationsstufen in der<br />
<strong>Adipositas</strong>therapie, der als Ultima Ratio der operative<br />
Eingriff offensteht. So jedenfalls lauten die<br />
Leitlinien.<br />
Leitlinien empfehlen<br />
Lebensstiländerung<br />
Paradoxerweise erfahren allerdings gerade die<br />
beiden letztgenannten Therapie-Arme immer mehr<br />
Zulauf: sowohl in der Praxis als auch in der Forschung.<br />
In den wenigsten Fällen der alltäglichen<br />
ärztlichen Praxis wird wirklich erst der Weg über<br />
eine Lebensstiländerung gegangen [13]. Gründe<br />
dafür mögen – sowohl auf Arzt als auch auf Patientenseite<br />
– mannigfaltig sein.<br />
Letztlich ist es wohl zum großen Teil eine Frage<br />
des Komforts: eine Umstellung des Lebensstils<br />
ist anstrengend, erfordert Mühe <strong>und</strong> Ausdauer –<br />
sowohl für Arzt, als auch für Patient. Pharmakotherapie<br />
<strong>und</strong> metabolische Chirurgie dagegen<br />
passieren eher passiv. Das ist einerseits für beide<br />
Parteien bequemer, andererseits für weitere Beteiligte<br />
zusätzlich lukrativer.<br />
Natürlich haben aber auch diese Therapien ihre<br />
Vorteile <strong>und</strong> Berechtigungen: Die derzeit favorisiert<br />
eingesetzten Antidiabetika, Metformin, GLP-1-<br />
Analoga <strong>und</strong> SGLT2-Hemmer, gelten als besonders<br />
effektiv in der Blutzuckersenkung. Darüber<br />
hinaus haben sie nicht nur gewichtsreduzierende<br />
Aspekte, sondern auch kardiovaskuläre Vorteile. In<br />
puncto <strong>Diabetes</strong>remission sind sie zudem besonders<br />
interessant, da sie einer Leberverfettung<br />
entgegenwirken. Die gerade in Deutschland sehr<br />
extensive Nutzung von Insulin wird dagegen immer<br />
mehr in Zweifel gezogen. Jede akute Senkung des<br />
Blut zuckerspiegels wird mit verstärkter Fettspeicherung<br />
erkauft, also Gewichtszunahme <strong>und</strong> verstärkter<br />
Insulinresistenz.<br />
Derzeit wird intensiv an neuen Präparaten<br />
geforscht, die Insulinsekretion <strong>und</strong> -sensitivität<br />
gleichzeitig verstärken sollen, sogenannte Multitaskers<br />
[14].<br />
Bariatrische Chirurgie führt über eine stark<br />
gedrosselte Kalorienzufuhr sowie ein verändertes<br />
Inkretinmuster zur Verbesserung der -Zellfunktion<br />
sowie Erhöhung der Insulinsensitivität <strong>und</strong> wirkt<br />
auf diese Weise einem gestörten Zuckerstoffwechsel<br />
entgegen [9, 14].<br />
Gänzlich ungeeignet zur <strong>Diabetes</strong>remission dagegen<br />
ist die Fettabsaugung. Während eine bariatrische<br />
Operation mitunter den Rückgang von Organfett<br />
verursacht, wird bei der Liposuction isoliert das<br />
Unterhautfettgewebe entfernt. Verloren gehen also<br />
ausgerechnet die physiologischen Fettdepots, die der<br />
Organverfettung entgegenwirken; somit steigt letztlich<br />
sogar das <strong>Diabetes</strong>risiko [5, 10].<br />
Letztlich ahmen sowohl <strong>Diabetes</strong>medikamente<br />
als auch restriktive Magen-Darm-Operationen<br />
nur das nach, was ebenso allein durch Lebensstiltherapie<br />
erreicht werden könnte – zu deutlich<br />
höheren Kosten, wenn auch mit höherer Compliance<br />
[13, 15]. Das jedoch könnte sich ändern.<br />
Wie genau wirkt eine<br />
Lebensstilveränderung?<br />
Die Gr<strong>und</strong>pfeiler einer Lebensstiltherapie sind<br />
allgemeinhin bekannt: „richtige“ Ernährung, körperliche<br />
Aktivität <strong>und</strong> Verzicht auf Tabakkonsum.<br />
Was genau jedoch eine Lifestyle-Intervention so<br />
effektiv macht, das kristallisiert sich nun immer<br />
mehr heraus.<br />
38
TYP-2-DIABETES BEI ADIPOSITAS<br />
Very Low Calorie Diet [VLCD]<br />
Bei nutritiven Ansätzen gilt der Leitsatz: weniger<br />
ist mehr. Diäten mit besonders niedrigem Kaloriengehalt<br />
erweisen sich als sehr effektiv. Im Tiermodell<br />
wie auch beim Menschen ist hypokalorische Diät<br />
zur <strong>Diabetes</strong>remission wirksam [2, 16], bei Ratten<br />
sogar unabhängig von Gewichtsreduktion [16]!<br />
Drei molekulare Mechanismen werden hierfür<br />
diskutiert:<br />
••<br />
verminderter Abbau von Glykogen,<br />
••<br />
gedrosselte Glukoneogenese sowie<br />
••<br />
reduzierte Fettanreicherung in der Leber.<br />
Demnach läge der Erfolg von jeglichen Diäten<br />
an deren Eigenschaft, Leberfett zu reduzieren,<br />
wodurch sich die hepatische <strong>und</strong> globale Insulinempfindlichkeit<br />
deutlich steigern ließe [16].<br />
Gr<strong>und</strong>voraussetzung der <strong>Diabetes</strong>remission ist<br />
aber die noch intakte Sekretionsfähigkeit der pankreatischen<br />
-Zellen [17].<br />
Naheliegend ist daher die Frage, ob Diäten abseits<br />
von Hypokalorie das Organfett reduzieren oder gar<br />
die -Zellen stärken können. Reduktion von Kohlenhydraten<br />
[3, 13, 18, 19] <strong>und</strong> vermehrte Proteinaufnahme<br />
könnten dies möglicherweise leisten;<br />
Daten zur Leberfettreduktion stimmen hoffnungsvoll<br />
[20]. Dies liegt am ehesten an der verminderten<br />
Synthese von Triglyceriden unter dieser Diät<br />
[19, 21, 22]. Was die -Zellen betrifft, so könnten<br />
vielleicht auch sie besonders auf diesen Mechanismus<br />
ansprechen. Denn wie gezeigt werden konnte,<br />
wird die Funktion der -Zellen insbesondere durch<br />
einen Überschuss an freien Fettsäuren herabgesetzt<br />
[9, 14]. Interessanterweise erwiesen sich die<br />
genannten Diätformen auch protektiv in Hinblick<br />
auf kardiovaskuläre Mortalität zumindest unter<br />
pflanzenbasierter Kost [23–25].<br />
Was die Compliance angeht, so stellen sich derzeit<br />
gerade die Low-Carb-Diäten als besonders vorteilhaft<br />
heraus [13]: insbesondere durch den hohen<br />
Sättigungseffekt einer gesteigerten Proteinzufuhr.<br />
Diese wiederum kommt auch dem zweiten Gr<strong>und</strong>pfeiler<br />
der Lebensstiltherapie zugute:<br />
Exercise<br />
Bewegung trägt nicht nur zur negativen Energiebilanz<br />
bei, sondern wirkt ebenfalls unabhängig<br />
von Gewichtsverlust stark protektiv bezüglich<br />
Typ-2-<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> kardiovaskulären Erkrankungen<br />
[26–30]. Speziell das High Intensity Interval-<br />
Training erweist sich derzeit als vielversprechend<br />
in Hinblick auf Effektivität <strong>und</strong> Effizienz [31]. Vor<br />
allem Letzteres macht es insbesondere bezüglich<br />
Compliance interessant.<br />
In jedem Falle fördert Muskelaktivität per se die<br />
Insulinsensitivität [32] <strong>und</strong> induziert darüber hinaus<br />
weitreichende epigenetische Veränderungen [14].<br />
Lebensstilmaßnahmen sollten in der <strong>Diabetes</strong>therapie<br />
also nach wie vor Mittel der ersten Wahl<br />
sein. Durch strukturierte Programme <strong>und</strong> aktuelle<br />
evidenzbasierte Konzepte könnte sowohl Patienten<br />
als auch Therapeuten geholfen werden es einzusetzen.<br />
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Dr. med. Stefan Kabisch<br />
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-<br />
Rehbrücke<br />
Außenstandort Charité CBF (Studienambulanz)<br />
Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin<br />
<strong>und</strong><br />
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-<br />
Rehbrücke<br />
(Deutsches Zentrum für <strong>Diabetes</strong>forschung e.V.)<br />
Abteilung Klinische Ernährung, Studienambulanz<br />
Arthur-Scheunert-Allee 155, 14558 Nuthetal<br />
40
PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />
Die Bedeutung körperlicher Aktivität bei<br />
<strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2<br />
Christine Graf, Köln<br />
Die Zahl der übergewichtigen, vor allem der adipösen Menschen hat weltweit epidemische Ausmaße erreicht.<br />
So stieg die Prävalenz von <strong>Adipositas</strong> in einer Analyse aus 200 Staaten von 3,2 % im Jahr 1975 auf 10,8 %<br />
2014 bei Männern <strong>und</strong> von 6,4 % auf 14,9 % bei Frauen [1]. 2,3 % sind morbid adipös (definiert in diesem<br />
Fall als BMI ≥35 kg/m 2 ). Auch in Deutschland zeichnet sich ein entsprechender Trend ab. Im Rahmen<br />
des B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurveys 1998 waren noch 18,9 % der Männer <strong>und</strong> 22,5 % der Frauen adipös, im<br />
DEGS1 waren es 23,3 % der Männer <strong>und</strong> 23,9 % der Frauen [2]. Die deutliche Zunahme der <strong>Adipositas</strong> in<br />
Deutschland zeigt sich besonders bei jungen Erwachsenen, d. h. zwischen 35 <strong>und</strong> 54 Jahren.<br />
Damit verb<strong>und</strong>en sind zahlreiche Komorbiditäten,<br />
u. a. der <strong>Diabetes</strong> mellitus Typ 2. Weltweit<br />
sind 9 % betroffen, mit einem steigenden<br />
Trend an <strong>Diabetes</strong> Typ 2 bzw. Gestationsdiabetes.<br />
Wegen der ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen werden die<br />
Kosten sich von 1,3 Billionen US-Dollar in 2015<br />
auf 2,5 Billionen US-Dollar im Jahr 2030 steigern<br />
[3]. Aus diesem Gr<strong>und</strong> spielen präventive Maßnahmen,<br />
sowohl im Kontext <strong>Diabetes</strong>, wie auch<br />
der <strong>Adipositas</strong> eine immer wichtigere Rolle. Neben<br />
einer ausgewogenen Ernährung kommt in diesem<br />
Zusammenhang insbesondere der Steigerung der<br />
körperlichen Aktivität eine große Bedeutung zu<br />
[4, 5]. So führt das Erreichen der Bewegungsempfehlungen<br />
von 150 Minuten moderater Aktivität<br />
pro Woche bei inaktiven Personen zu einer Senkung<br />
der kardiovaskulären Sterblichkeit um 23 %,<br />
der Inzidenz von KHK um 17 % <strong>und</strong> des Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />
um 26 % [6]. Allerdings wird dieses Ziel<br />
kaum erreicht; im Rahmen des GEDA (Ges<strong>und</strong>heit<br />
in Deutschland) als Teil des Ges<strong>und</strong>heitsmonitorings<br />
des Robert Koch-Instituts wurden die Empfehlungen<br />
von Kraft <strong>und</strong> Ausdauer nur von 20,5 %<br />
der Frauen <strong>und</strong> 24,7 % der Männer erreicht [7].<br />
Im Rahmen dieses Beitrags sollen daher neben<br />
ausgewählten zugr<strong>und</strong>eliegenden Mechanismen<br />
<strong>und</strong> den aktuellen Empfehlungen auch praktische<br />
Hinweise gegeben werden.<br />
CONFERENCES<br />
41
PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />
Bewegung <strong>und</strong><br />
Bewegungsempfehlungen<br />
CONFERENCES<br />
Allgemein wird körperliche Aktivität als jede<br />
Bewegungsform definiert, die mit einer Steigerung<br />
des Energieverbrauchs in Alltag, Freizeit <strong>und</strong> Beruf<br />
einhergeht [8]. Sport ist definiert als geplante,<br />
strukturierte, wiederholte Aktivität mit dem Ziel,<br />
die Fitness zu verbessern bzw. zu erhalten. Denn<br />
schon lange gilt die Fitness als Schutzfaktor <strong>und</strong><br />
wichtiger Prädiktor für die kardio-metabolische<br />
Morbidität <strong>und</strong> Mortalität, auch im Kontext von<br />
Übergewicht/<strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> <strong>Diabetes</strong> mellitus<br />
Typ 2 [9]. Neben der körperlichen bzw. kardiopulmonalen<br />
Leistungsfähigkeit zählt zur Fitness auch<br />
die Muskelkraft <strong>und</strong> damit Körperkomposition <strong>und</strong><br />
Flexibilität [10]. Als „Dosis” wird der Energieaufwand,<br />
die Intensität als Rate des Energieverbrauchs<br />
im Rahmen ausgewählter Aktivitäten, meist ausgedrückt<br />
als VO 2 max (oder relativ bezogen auf<br />
das individuelle Körpergewicht) bzw. metabolische<br />
Einheiten verstanden. Allerdings wird die Fitness<br />
als Surrogatparameter nur selten berücksichtigt;<br />
die Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf<br />
den Umfängen, die moderat (150 min/Woche bzw.<br />
30 Minuten an mindestens fünf Tagen in der Prävention<br />
bzw. mindestens 200 bis 300 min/Woche<br />
in der Therapie der <strong>Adipositas</strong> [4, 5]; Tabelle 1)<br />
erreicht werden sollen – sicherlich auch mit dem<br />
Ziel, „fitter“ zu werden. Insbesondere bei bewegungsarmen<br />
bzw. sportungewohnten Personen<br />
kommt es rasch zu einer Steigerung der Fitness,<br />
wenn sie beginnen. Anders ausgedrückt haben sie<br />
den höchsten ges<strong>und</strong>heitlichen Nutzen; aus motivationalen<br />
Gründen sollte dies in der Beratung<br />
stets betont werden.<br />
Nicht immer ganz eindeutig ist die Trennung<br />
von Sporttreiben <strong>und</strong> Alltagsaktivitäten, deren<br />
tägliches Ziel zumeist mit 10.000 Schritten angegeben<br />
wird. Um 1.000 Schritte zu absolvieren, sind<br />
etwa zehn Minuten nötig; die empfohlenen 10.000<br />
Schritte umfassen daher 100 Minuten am Tag!<br />
Diese Differenzierung ist für die Praxis von Bedeutung,<br />
um die „wirksame“ Dosierung von Bewegung<br />
auch tatsächlich zu erreichen. Dies muss nicht von<br />
einem auf den anderen Tag geschehen, die Steigerung<br />
sollte im wahrsten Sinn des Wortes schrittweise<br />
erfolgen.<br />
Körperliche Inaktivität<br />
Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Graf<br />
graf@dshs-koeln.de<br />
Im wissenschaftlichen Fokus steht im Moment<br />
die körperliche Inaktivität bzw. vor allem die Sitzbzw.<br />
Liegezeit [11]. So scheint ein „übermäßiges<br />
Sitzen“, v. a. vor Bildschirmen/TV, mit der Entwicklung<br />
von Übergewicht, <strong>Diabetes</strong>, kardiovaskulären<br />
Ereignissen, aber auch höheren Spiegeln<br />
an inflammatorischen Markern in Verbindung zu<br />
stehen. Die „aktive“ Reduktion der Sitzzeit führt<br />
u. a. zu einer Steigerung der Telomerlänge im Sinne<br />
der verlangsamten Zellalterung bei Älteren [12]<br />
etc. Selbst Stehen wurde als „gesünder“ bewertet<br />
als sitzen [13]. Übertragen in die Praxis geht es<br />
42
PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />
letztlich darum, unnötige Phasen der Inaktivität zu<br />
meiden oder zumindest durch aktives Bewegen zu<br />
unterbrechen (Tabelle 1).<br />
Ausgewählte Effekte des<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Nutzens von<br />
körperlicher Aktivität<br />
Der ges<strong>und</strong>heitliche Nutzen von körperlicher<br />
Aktivität ist heutzutage nahezu für alle Altersgruppen<br />
sowie in der Prävention <strong>und</strong> Rehabilitation/Therapie<br />
unumstritten. Die zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
Mechanismen sind vielfältig; im Zentrum stehen<br />
u. a. die Adipozytokine <strong>und</strong> Myokine. Das viszerale<br />
Fettgewebe ist inzwischen als ein endokrines<br />
Organ bekannt, das eine Vielzahl bioaktiver Faktoren<br />
produziert. Diese spielen eine mehr oder minder<br />
wichtige Rolle in der Regulierung des Fett- <strong>und</strong> Kohlenhydratstoffwechsels<br />
(zusammengefasst in [14])<br />
<strong>und</strong> tragen zu den bereits genannten Folgeerkrankungen<br />
bei. Zu diesen Adipozytokinen zählen u. a.<br />
Leptin, Adiponectin, Interleukin-6 (IL-6), Resistin,<br />
Fibroblasten-Wachstumsfaktor 21 (FGF21), Angiotensinogen,<br />
Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) alpha,<br />
Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 etc.<br />
Auf der anderen Seite gilt das Muskelgewebe<br />
ebenfalls als hormonaktives Organ. Das erste Zytokin,<br />
von dem ein belastungsinduzierter Anstieg<br />
beschrieben wurde, war IL-6. Dabei zeigte sich<br />
ein bis zu 100facher Anstieg bzw. ein Abfall nach<br />
der Belastung [15, 16], was wiederum die Lipolyse<br />
sowie die Fettoxidation steigert <strong>und</strong> den<br />
Effekten von TNF-alpha – Förderung der Insulinresistenz<br />
– bzw. der IL-1-Produktion gegensteuert.<br />
Antiinflammatorische Wirkung zeigt auch der in<br />
der Adipogenese zentral diskutierte Peroxisom-<br />
Proliferator-aktivierte Rezeptor Gamma (PPARy).<br />
Dessen Aktivierung wirkt sich zusätzlich positiv<br />
auf den Glukosestoffwechsel <strong>und</strong> die Insulinsensitivität,<br />
auf die Aufnahme freier Fettsäuren <strong>und</strong> die<br />
Tabelle 1: Empfehlungen für körperliche Aktivität bei <strong>Diabetes</strong> sowie im Kontext von<br />
<strong>Adipositas</strong> [4, 5] (in Klammern stehen die jeweiligen Evidenzgrade)<br />
Erwachsene mit Typ-1-(C)- <strong>und</strong> Typ-2-(B)-<strong>Diabetes</strong> sollten sich 150 Minuten oder mehr<br />
in moderater bis intensiver Intensität pro Woche aerob bewegen, verteilt auf wenigstens<br />
drei Tage/Woche, mit nicht mehr als zwei aufeinanderfolgenden Tagen ohne Bewegung.<br />
Kürzere Dauer (mindestens 75 Minuten/Woche) mit intensiver Aktivität oder Intervalltraining<br />
mag effizient für jüngere <strong>und</strong> fittere Individuen sein.<br />
Erwachsene mit Typ-1-(C)- <strong>und</strong> Typ-2-(B)-<strong>Diabetes</strong> sollten an 2–3 Sessions/Woche<br />
Krafttraining durchführen; nicht an aufeinanderfolgenden Tagen.<br />
Alle Erwachsenen, besonders die mit Typ-2-<strong>Diabetes</strong>, sollten die Umfänge an (vermeidbarer)<br />
Sitzzeit am Tag reduzieren (B) „Langanhaltende“ Sitzphasen sollten alle 30 Minuten<br />
unterbrochen werden, dies gilt besonders für Erwachsene mit Typ-2-<strong>Diabetes</strong> (C).<br />
2–3x/Woche wird Flexibilitäts- <strong>und</strong> Gleichgewichtstraining für ältere Erwachsene mit<br />
<strong>Diabetes</strong> empfohlen. Yoga <strong>und</strong> Tai Chi kann – je nach individueller Neigung – ebenfalls<br />
durchgeführt werden, um Beweglichkeit, Muskelkraft <strong>und</strong> Gleichgewicht zu steigern (C).<br />
Im Kontext <strong>Adipositas</strong>: Bewegungsumfänge von 200–300 Minuten (A) <strong>und</strong> Energiedefizit<br />
von 500 bis 700 kcal (A) anstreben.<br />
Differenzierung von Adipozyten aus [17]. Auf der<br />
Ebene der Mitochondrien scheinen beispielsweise<br />
Defekte in der Regulierung durch den PPAR Coactivator-1<br />
(PGC1) eine Rolle in der Entstehung des<br />
<strong>Diabetes</strong> Typ 2 zu spielen. Man findet ihn downreguliert<br />
in der insulinresistenten Skelettmuskulatur;<br />
umgekehrt steigt er infolge von Bewegung<br />
– u. a. durch eine Zunahme der Mitochondriendichte<br />
<strong>und</strong> der gesteigerten Expression von GLUT4-<br />
Transportern [18]. Diese Studien spiegeln letztlich<br />
nur einen minimalen Ausschnitt der Forschung<br />
<strong>und</strong> vor allem der Komplexität dieses Themenfeldes<br />
wider. Inwiefern es wirklich möglich ist, die<br />
Vielfalt sämtlicher akuten, also belastungsinduzierten<br />
<strong>und</strong> chronischen, d.h. trainingsbedingten<br />
Einflüsse unter Berücksichtigung der individuellen<br />
Ausgangslage, der weiteren Einflussfaktoren wie<br />
Ernährung komplett zu erfassen, kann aktuell gar<br />
nicht beantwortet werden.<br />
Transfer in die Praxis<br />
Durch das Wissen um diese komplexen Wechselwirkungen<br />
wird immer deutlicher, dass es vermutlich<br />
weniger um die Frage der richtigen Sportart<br />
oder Bewegungsform geht, sondern vielmehr um<br />
ein „Hauptsache, es wird gemacht!“. Der Einstieg<br />
über eine Steigerung der Alltagsaktivität ist sicher-<br />
CONFERENCES<br />
43
PRÄVENTION UND BEHANDLUNG<br />
CONFERENCES<br />
lich immer mit den geringsten Hürden verb<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> kann über den Einsatz von Schrittzählern oder<br />
entsprechenden Messbändern überprüft <strong>und</strong> gefördert<br />
werden. Die in der Praxis häufig gestellte Frage<br />
nach Art <strong>und</strong> Intensität ist letztlich typenabhängig.<br />
Sicher ist, dass höhere Intensitäten einen anderen<br />
Reiz darstellen als „nur“ moderate Belastungen,<br />
Ausdauer ist anders als Kraft, die Förderung von<br />
Koordination <strong>und</strong> Flexibilität hat wiederum ganz<br />
andere Vorteile.<br />
Somit ist es eine Frage von Vorerfahrungen, Neigungen<br />
<strong>und</strong> der Berücksichtigung des individuellen<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustands. Jede Bewegungsart bietet<br />
Vorteile <strong>und</strong> fördert nicht nur die Ges<strong>und</strong>heit,<br />
sondern steigert insbesondere auch die Lebensqualität.<br />
Referenzen<br />
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body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a<br />
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type 2 diabetes. Med Hypotheses 2014;82:748–753.<br />
Prof. Dr. med. Dr. Sportwiss. Christine Graf<br />
Deutsche Sporthochschule Köln<br />
Institut für Bewegungs- <strong>und</strong> Neurowissenschaft<br />
Abteilung für Bewegungs- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />
Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln<br />
44
LEBENSSTIL UND DIABETESRISIKO<br />
Einfluss des Energieumsatzes auf den<br />
Glukosestoffwechsel<br />
Franziska Büsing, Kiel<br />
Eine höhere postprandiale Glykämie bereits innerhalb des Normalbereichs hat sich als Risikofaktor für Herz-<br />
Kreislauf-Erkrankungen erwiesen [1, 2]. Darüber hinaus war in einer Meta-Analyse prospektiver Kohortenstudien<br />
eine höhere glykämische Last positiv mit dem Risiko für Typ-2-<strong>Diabetes</strong> assoziiert [3]. Ein höherer<br />
Energieumsatz könnte sich positiv auf die postprandialen Glukosespiegel auswirken.<br />
Der Energieumsatz ist definiert als Niveau der<br />
Energiebilanz, das heißt ein hoher Energieumsatz<br />
wird durch ein hohes Energieverbrauchsniveau<br />
(hohe körperliche Aktivität) <strong>und</strong> eine korrespondierend<br />
hohe Energieaufnahme erreicht. Ein niedriger<br />
Energieumsatz, das heißt eine geringe Energieaufnahme<br />
bei ebenfalls geringem Energieverbrauch<br />
entspricht einem inaktiven Lebensstil. Eine Veränderung<br />
des Energieumsatzes ist daher unabhängig<br />
von Veränderungen der Energiebilanz. Ziel dieser<br />
Studie war es, die Auswirkungen verschiedener<br />
Energieumsatzniveaus (niedrig, mittel <strong>und</strong> hoch)<br />
auf den Glukosestoffwechsel bei ausgeglichener<br />
Energiebilanz, kontrollierter Kalorienrestriktion<br />
<strong>und</strong> Überernährung zu untersuchen.<br />
Studiendesign<br />
16 ges<strong>und</strong>e Personen (drei Frauen <strong>und</strong> 13 Männer)<br />
im Alter von 25,1 ±3,9 Jahren mit einem BMI<br />
von 24,0 ±3,2 kg/m² wurden in diese Human studie<br />
eingeschlossen. Nach WHO-Kriterien waren zehn<br />
CONFERENCES<br />
45
LEBENSSTIL UND DIABETESRISIKO<br />
1 Tag<br />
niedriger<br />
Energieumsatz<br />
1 Tag<br />
mittlerer<br />
Energieumsatz<br />
1 Tag<br />
hoher<br />
Energieumsatz<br />
3x55 min<br />
3x110 min<br />
Voruntersuchungen<br />
3 Tage Eingangsphase Kalorienrestriktion* 1 Tag<br />
Washout<br />
ausgegl. Energiebilanz<br />
Voruntersuchungen<br />
Kalorienrestriktion*<br />
ausgegl. Energiebilanz<br />
1 Tag<br />
Washout<br />
Voruntersuchungen<br />
Kalorienrestriktion*<br />
ausgegl. Energiebilanz<br />
Überernährung*<br />
Überernährung*<br />
Überernährung*<br />
ausgegl.=ausgeglichen; *randomisierte Reihenfolge<br />
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Studienprotokolls<br />
CONFERENCES<br />
Probanden/-innen normalgewichtig, fünf übergewichtig<br />
<strong>und</strong> eine/r fettleibig. Die randomisierte<br />
Interventionsstudie wurde im Cross-Over-Design<br />
durchgeführt. Für diese Untersuchungen war die<br />
exakte Erfassung von Energieaufnahme <strong>und</strong> Energieverbrauch<br />
über Zeiträume bis zu 36 St<strong>und</strong>en<br />
erforderlich. Diese erfolgte in speziellen Stoffwechselräumen,<br />
bei denen die Atemgase des Körpers<br />
(Sauerstoffverbrauch <strong>und</strong> CO 2 -Produktion) kontinuierlich<br />
gemessen <strong>und</strong> Energieverbrauch <strong>und</strong> Energieaufnahme<br />
vorgegeben <strong>und</strong> kontrolliert wurden.<br />
Die Probanden/-innen durchliefen 3x3 Interventionstage<br />
<strong>und</strong> hielten sich hierfür für jeweils<br />
24 St<strong>und</strong>en in einem Raumkalorimeter auf (schematisches<br />
Studienprotokoll in Abbildung 1). Drei<br />
unterschiedliche Niveaus von körperlicher Aktivität<br />
(Physical Activity Level: niedrig 1,3; mittel 1,5<br />
<strong>und</strong> hoch 1,7, erreicht durch Gehen mit 4 km/h für<br />
0 Minuten, 3×55 Minuten oder 3×110 Minuten)<br />
wurden jeweils unter drei verschiedenen Energiebilanzen<br />
(ausgeglichene Energiebilanz: 100 %<br />
des Energiebedarfs, Kalorienrestriktion, 75 % des<br />
Energiebedarfs <strong>und</strong> Überernährung: 125 % des<br />
Energiebedarfs) verglichen. In Voruntersuchungen<br />
in der ersten Woche wurde der individuelle Energieverbrauch<br />
bei den unterschiedlichen Niveaus an<br />
körperlicher Aktivität unter Ad-libitum-Ernährung<br />
erfasst.<br />
Die Tagesglykämie wurde kontinuierlich mittels<br />
Glukose-Monitoring (continous glucose monitoring)<br />
aufgezeichnet, die Insulinsekretion via<br />
C-Peptid-Ausscheidung im 24-St<strong>und</strong>en-Sammelurin<br />
analysiert <strong>und</strong> die basale Insulinsensitivität<br />
mittels HOMA-IR berechnet. Es wurden außerdem<br />
die postprandialen Glukose- <strong>und</strong> Insulinspiegel<br />
gemessen.<br />
46
LEBENSSTIL UND DIABETESRISIKO<br />
M.Sc. Franziska Büsing<br />
fbuesing@nutrition.uni-kiel.de<br />
Antwort führt [4]. Diese niedrigere postprandiale<br />
Glykämie könnte bei Nygaard et al. aber auch durch<br />
einen höheren Energieverbrauch <strong>und</strong> ein dadurch<br />
entstandenes Kaloriendefizit erklärt sein. Allein<br />
eine negative Energiebilanz könnte die Verbesserung<br />
der Glykämie erklären. Da das Prinzip des<br />
Energieumsatzes unabhängig von der Energiebilanz<br />
ist, sind die Ergebnisse der vorliegenden Studie<br />
davon nicht beeinflusst.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass eine körperliche<br />
Aktivität mit niedriger Intensität die postprandiale<br />
Regulation des Glukosestoffwechsels bei ges<strong>und</strong>en<br />
Personen verbessert <strong>und</strong> die negativen Auswirkungen<br />
einer Überernährung auf die postprandiale<br />
Glykämie verhindern kann.<br />
Ergebnisse<br />
Die Tagesglykämie stieg bei höherem Energieumsatz<br />
trotz einer entsprechend höheren Kohlenhydrat-Aufnahmemenge<br />
(niedriger vs. hoher<br />
Energieumsatz: +86 -135 g Kohlenhydrate/Tag)<br />
unter keiner der drei verschiedenen Bedingungen<br />
der Energiebilanz an. Bei Kalorienrestriktion waren<br />
die Tagesglykämie <strong>und</strong> die Insulinsekretion über<br />
24 St<strong>und</strong>en bei einem höheren Energieumsatz im<br />
Vergleich zu einem niedrigen Energieumsatz sogar<br />
reduziert (p
LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />
Neuromodulation bei <strong>Adipositas</strong> –<br />
eine Übersicht<br />
Jennifer Schmidt, Köln<br />
In den vergangenen Jahren betonten Forscher vermehrt die Problematik steigender Prävalenzen von Übergewicht<br />
<strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> weltweit. So mussten 2017 in Deutschland 43,1 % der Frauen <strong>und</strong> 62,1 % der<br />
Männer als übergewichtig eingestuft werden. Bei der <strong>Adipositas</strong>, also der „Fettsucht“, liegen die aktuellen<br />
Zahlen bei 14,6 <strong>und</strong> 18,1 % [1]. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt einen konstanten Anstieg der<br />
Prävalenzen bei Erwachsenen wie auch Kindern, der nicht länger auf westliche Industrienationen beschränkt<br />
ist [2]. Dieser Trend setzt sich in Prognosen fort, nach denen im Jahr 2030 weltweit 42 % der Menschen<br />
adipös sein werden [3].<br />
CONFERENCES<br />
Bedrohlich sind diese Entwicklungen aufgr<strong>und</strong><br />
starker Ges<strong>und</strong>heitsrisiken <strong>und</strong> hoher gesamtgesellschaftlicher<br />
Kosten, die mit Übergewicht <strong>und</strong><br />
<strong>Adipositas</strong> einhergehen [4]. Dies gilt umso mehr,<br />
da ein Großteil der konservativen Therapien (z. B.<br />
Diäten) langfristig wenig effektiv ist [5]. Selbst<br />
die erfolgreichsten Maßnahmen bei schwerer <strong>Adipositas</strong><br />
– bariatrische Operationen – weisen in<br />
Bezug auf die Gewichtsentwicklung Rückfälle <strong>und</strong><br />
Non-Responder auf [6]. Entsprechend stehen Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Praxis vor der gemeinsamen Herausforderung,<br />
neue Möglichkeiten zur Optimierung<br />
der Behandlung von Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong><br />
zu identifizieren <strong>und</strong> zu evaluieren.<br />
Eine aktuelle Entwicklung besteht in therapeutischen<br />
Ansätzen, die gezielt neuronale Veränderungen<br />
des Gehirns bei <strong>Adipositas</strong> adressieren. Diese<br />
Techniken können unter dem Begriff der Neuro-<br />
48
LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />
Tiefe<br />
Hirnstimulation<br />
Neurofeedback<br />
Transkranielle<br />
Magnetstimulation<br />
Transkranielle<br />
Direktstromstimulation<br />
Vagus-Nerv-Stimulation<br />
Präfrontaler Cortex<br />
N. accumbens<br />
Hypothalamus<br />
Amygdala<br />
Abbildung 1: Verfahren zur Neuromodulation bei Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> <strong>und</strong> ihre Zielregionen im Gehirn.<br />
modulation zusammengefasst werden. Ziel dieser<br />
Maßnahmen ist es, pathologische Veränderungen<br />
der Gehirnaktivität zu behandeln, um dysfunktionales<br />
Verhalten an der Wurzel verändern zu können<br />
[7]. Hierbei werden insbesondere neuronale Prozesse<br />
adressiert, welche mit erhöhter Impulsivität,<br />
Belohnungssensitivität <strong>und</strong> verringerten Selbstregulationskapazitäten<br />
bei <strong>Adipositas</strong> einhergehen.<br />
Diese sind vorwiegend in präfrontalen <strong>und</strong><br />
limbischen Gehirnarealen lokalisiert [8].<br />
Den eingesetzten Neuromodulationsmethoden<br />
ist gemeinsam, dass diese durch technisches Equipment<br />
appliziert werden, welches gezielt spezifische<br />
Aktivität des Nervensystems verändert. Ihr Einsatz<br />
ist in der Regel reversibel <strong>und</strong> erfordert eine fortlaufende<br />
Behandlung [9]. Zu unterscheiden sind<br />
non-invasive <strong>und</strong> invasive Verfahren, deren Einsatz<br />
je nach Schweregrad <strong>und</strong> Symptombild abzuwägen<br />
ist (Abbildung 1) [7].<br />
Nichtinvasive Verfahren<br />
Neurofeedback bezeichnet ein non-invasives Verfahren,<br />
mit dem Personen die aktive Kontrolle der<br />
eigenen Gehirnaktivität erlernen. Mithilfe entsprechender<br />
Messapparaturen wird die Gehirnaktivität<br />
CONFERENCES<br />
49
LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />
CONFERENCES<br />
(z. B. auf Basis der Elektroenzephalographie [EEG]<br />
oder funktionellen Magnetresonanztomographie<br />
[fMRT]) erfasst <strong>und</strong> in Echtzeit an den oder die Trainierende<br />
zurückgemeldet. Dieses Feedback erlaubt,<br />
dass die trainierende Person durch operante Konditionierung<br />
individuelle Strategien entwickelt, um<br />
die Gehirnaktivität zu optimieren. Während per<br />
EEG-Neurofeedback primär Aktivitätsmuster der<br />
kortikalen Aktivität beeinflusst werden können,<br />
erlaubt fMRT-Neurofeedback auch die Veränderung<br />
subkortikaler Aktivität [10, 11].<br />
Die Verfahren der nichtinvasiven Hirnstimulation<br />
erfordern kein aktives Trainieren der behandelten<br />
Person. Die Veränderung der Gehirnaktivität<br />
wird hier durch die Applikation elektrischer oder<br />
magnetischer Felder erzielt. Bei der repetitiven<br />
transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) werden<br />
Gehirnregionen durch elektromagnetische<br />
Induktion gezielt stimuliert oder gehemmt. Die<br />
wiederholte Stimulation kann langfristige Veränderungen<br />
der Gehirnaktivität herbeiführen [11].<br />
Die transkranielle Direktstrom-Stimulation (tDCS)<br />
ist technisch weniger aufwendig. Hierbei werden<br />
eine Anode <strong>und</strong> eine Kathode an der Kopfhaut der<br />
zu behandelnden Person angebracht, über die ein<br />
milder Strom (1–2 mA) appliziert wird. Die resultierende<br />
De- <strong>und</strong> Hyperpolarisation der neuronalen<br />
Membranpotenziale kann die synaptische Aktivität<br />
verändern [7].<br />
Invasive Verfahren<br />
Prof. Dr. Jennifer Schmidt<br />
j.schmidt@hs-doepfer.de<br />
Insbesondere bei schweren Ausprägungen der<br />
<strong>Adipositas</strong>, die mit komorbiden psychischen Störungen<br />
einhergehen, stellen invasive Neuromodulationsverfahren<br />
eine weitere therapeutische Option<br />
dar. Eines dieser Verfahren ist die Vagus-Nerv-<br />
Stimulation, bei der eine Sonde implantiert wird,<br />
die den afferenten Vagus-Nerv stimuliert. Diese<br />
Stimulation geht unter anderem mit einer Verminderung<br />
des Appetits einher <strong>und</strong> kann dadurch die<br />
Nahrungsaufnahme reduzieren [12]. Eine weitere<br />
Methode stellt die tiefe Hirnstimulation dar, bei der<br />
im Rahmen einer stereotaktischen Operation eine<br />
Elektrode in subkortikale Hirnregionen (z. B. Hypothalamus,<br />
N. accumbens) implantiert wird. Diese<br />
Regionen werden dann durch extern gesteuerte<br />
Schrittmacher gezielt elektrisch stimuliert [13].<br />
Ein Blick auf den Forschungsstand zur Neuromodulation<br />
bei Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> zeigt eine<br />
relativ dünne Datenlage, so dass finale Schlüsse<br />
zur Wirksamkeit dieser Verfahren verfrüht wären.<br />
Erste Meta-Analysen weisen auf eine signifikante<br />
Reduktion des subjektiven Heißhungererlebens<br />
durch rTMS <strong>und</strong> tDCS hin [14, 15]. Für die<br />
Anwendung des EEG-Neurofeedback zeigen erste<br />
Studien Erfolge in der Reduktion von Essanfällen<br />
[10]. Bef<strong>und</strong>e zur langfristigen Gewichtsentwicklung<br />
nach Behandlung mit diesen Verfahren stehen<br />
jedoch noch aus. Für die Behandlung der <strong>Adipositas</strong><br />
mittels invasiver Hirnstimulation mangelt es aktuell<br />
insgesamt an Humanstudien, die über Fallberichte<br />
hinausgehen [12, 13].<br />
50
LEBENSSTIL UND ADIPOSITAS<br />
Ein Blick auf klinische Register zeigt jedoch eine<br />
große Zahl an Studien zur Neuromodulation bei<br />
Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong>, die aktuell durchgeführt<br />
werden [11, 12]. In den nächsten Jahren wird<br />
sich dadurch ein Wissenszuwachs ergeben, durch<br />
den die Effektivität von Neuromodulation in diesem<br />
Anwendungsfeld evaluiert werden kann. Hierdurch<br />
wird sich zeigen, ob ein gezieltes Adressieren neuronaler<br />
Veränderungen den Entwicklungen in Hinblick<br />
auf die Prävalenzen von Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong><br />
entgegenwirken kann <strong>und</strong> sich die neuen Interventionen<br />
in der klinischen Praxis etablieren.<br />
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Med 2017;839–842.<br />
Prof. Dr. Jennifer Schmidt<br />
HSD Hochschule Döpfer University of<br />
Applied Sciences GmbH<br />
Waidmarkt 3 <strong>und</strong> 9, 50676 Köln<br />
Welchen Mehrwert hat es, die Behandlung von Übergewicht <strong>und</strong> <strong>Adipositas</strong> um Neuromodulation zu erweitern?<br />
1. Die Behandlung kann vom Patienten selbst kostengünstig zuhause durchgeführt werden.<br />
2. Die Ursachen dysfunktionalen Verhaltens können direkt an ihrem neuronalen Ursprung behandelt werden.<br />
3. Die Zahl <strong>und</strong> Dauer der ärztlichen Konsultationen wird deutlich reduziert.<br />
4. Die Neuromodulation führt zu dauerhaften Veränderungen pathologischer Hirnstrukturen der betroffenen<br />
Personen.<br />
Die Lösung finden Sie auf Seite 58.<br />
CONFERENCES<br />
51
ZUKUNFT<br />
<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> digitaler Wandel –<br />
Veränderungen in der Therapie<br />
Der digitale Wandel hat längst alle Bereiche unseres Lebens ergriffen. Die Art, wie wir heute kommunizieren,<br />
wie wir einkaufen, wie wir uns informieren <strong>und</strong> uns eine Meinung bilden, wie wir arbeiten <strong>und</strong> sogar wie<br />
wir unseren Partner kennenlernen, hat nichts mehr mit dem Leben vor 30 Jahren gemeinsam. Auch in der<br />
Medizin hat die Digitalisierung enorme Fortschritte <strong>und</strong> neue Herausforderungen gebracht – für Menschen<br />
mit chronischen Krankheiten noch weit mehr als für durchschnittliche „Gelegenheitspatienten“. Auf einer<br />
Pressekonferenz in Berlin informierte die Deutsche <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft (DDG) über verschiedene Aspekte<br />
des digitalen Wandels im Bereich <strong>Diabetes</strong>.<br />
CONFERENCES News<br />
Digitalisierung im Ges<strong>und</strong>heitswesen kann<br />
einerseits ganz praktisch die Patientenversorgung<br />
verbessern, sie kann aber auch die Kommunikation<br />
zwischen verschiedenen ärztlichen Spezialisten<br />
verbessern, sie kann Kosten einsparen <strong>und</strong> sie<br />
kann nicht zuletzt auch die weitere Erforschung<br />
von Krankheiten erleichtern.<br />
Elektronische Patientenakte<br />
Ab spätestens Anfang 2021 soll die elektronische<br />
Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten<br />
in Deutschland eingeführt werden. Sie speichert<br />
Diagnosen <strong>und</strong> Untersuchungsergebnisse <strong>und</strong> kann<br />
von behandelnden Ärzten abgerufen werden. Die<br />
Daten sind auf zentralen Servern gespeichert. Die<br />
Krankenkassen haben keinen Zugriff auf die Daten;<br />
die Pa tienten selbst entscheiden, wem sie Zugang<br />
gewähren.<br />
In der Patientenversorgung hat die elektronische<br />
Patientenakte große Vorteile. Die derzeit in<br />
der Testphase befindliche „TK-Safe“ der Techniker-<br />
Krankenkasse beispielsweise enthält die Anamnese,<br />
Arzt- <strong>und</strong> Zahnarztbesuche der letzten Jahre, ver-<br />
52
ZUKUNFT<br />
ordnete Medikamente, aber auch Untersuchungs<strong>und</strong><br />
Laborergebnisse. Mehrfachuntersuchungen<br />
innerhalb kurzer Zeit können vermieden werden,<br />
<strong>und</strong> ein Blick auf die Liste der eingenommenen<br />
Medikamente kann unerwünschte Wechselwirkungen<br />
vermindern.<br />
Bei einem Typ-2-Diabetiker, der vielleicht bei<br />
verschiedenen Fachärzten gleichzeitig in Behandlung<br />
ist, ermöglicht die elektronische Akte, dass<br />
alle behandelnden Ärzte auf demselben Informationsstand<br />
sind. In Zukunft sollen auch die Ergebnisse<br />
des täglichen Blutzucker-Monitorings über<br />
diese Akte abrufbar sein.<br />
Selbstverständlich muss die Sicherheit der<br />
Daten gewährleistet sein, <strong>und</strong> die elektronischen<br />
Akten müssen systemübergreifend für alle Krankenkassen<br />
gelten. Wenn jemand die Krankenkasse<br />
wechselt, muss er seine Daten mitnehmen können.<br />
<strong>Diabetes</strong>register <strong>und</strong> Forschung<br />
Denkt man einen Schritt weiter, so lassen sich<br />
auf digitalem Weg auch die Untersuchungsergebnisse<br />
vieler Patienten anonymisiert zusammenfassen.<br />
Daraus kann man Schlüsse über die<br />
aktuelle Versorgung <strong>und</strong> Verbesserungsmöglichkeiten<br />
ziehen. In einem solchen Register können<br />
Daten aus dem stationären Sektor, aus der ambulanten<br />
Versorgung sowie aus Präventionsprogrammen<br />
<strong>und</strong> Studien zusammengeführt werden. Auf<br />
diese Weise lassen sich Trends in der Versorgung<br />
erkennen: Wer profitiert am besten von welchen<br />
Interventionen, von Schulungen oder Arzneimitteln?<br />
Gibt es bestimmte Patienten, die gar nicht<br />
profitieren, <strong>und</strong> welche Charakteristika weisen sie<br />
auf? Die Datenbank würde weiterhin die aktuellen<br />
Leitlinien <strong>und</strong> die aktuelle Literatur umfassen,<br />
aber ergänzt um konkrete Handlungsempfehlungen<br />
für bestimmte Patientengruppen.<br />
Digitale Technik in der praktischen<br />
Versorgung: Beispiel Insulinpumpe<br />
Etwa 30.000 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche unter 19<br />
Jahren leben in Deutschland mit einem Typ-1-<strong>Diabetes</strong>.<br />
Sie sind lebenslang auf die bedarfsgerechte<br />
Zufuhr von Insulin angewiesen.<br />
Hier nimmt die Insulinpumpe eine immer wichtigere<br />
Stellung ein. Mit diesen über eine App<br />
gesteuerten Pumpen lässt sich die Insulinzufuhr<br />
sehr fein regeln, <strong>und</strong> man kann auf Blutzuckerschwankungen<br />
rasch reagieren. Etwa die Hälfte<br />
aller Typ-1-Diabetiker unter 19 nutzt die Pumpe,<br />
bei kleinen Kindern unter fünf Jahren sind es sogar<br />
über 90 %. Die Erwachsenen hinken noch etwas<br />
hinterher: Nur etwa ein Drittel der Erwachsenen<br />
mit <strong>Diabetes</strong> Typ 1 trägt eine Pumpe.<br />
Studien haben gezeigt: Die Pumpe gibt den<br />
Eltern von neu diagnostizierten Typ-1-Diabetikern<br />
mehr Selbstvertrauen <strong>und</strong> lässt den „Schock“ der<br />
Diagnose schneller abklingen. Auch Betreuungspersonen<br />
in Kindergärten <strong>und</strong> Schulen sind zuversichtlicher,<br />
dass die Kinder mit ihrer chronischen<br />
Krankheit gut umgehen können.<br />
Die Pumpen sind kombiniert mit ebenfalls automatisierten<br />
Blutzuckermessungen. Diese werden in<br />
der App gespeichert <strong>und</strong> können bei dem Termin<br />
mit den Diabetologen besprochen werden.<br />
Letztliches Ziel ist natürlich eine „closed loop“-<br />
Pumpe, die selbsttätig <strong>und</strong> flexibel auf die ständig<br />
gemessenen Blutzuckerwerte reagiert. Erste<br />
Modelle gibt es bereits in den USA, aber noch<br />
nicht in Europa. Einige Patienten haben allerdings<br />
bereits in Eigenregie ihre Insulinpumpen entsprechend<br />
umgebaut. Das Ende der technologischen<br />
Entwicklung ist hier noch lange nicht erreicht.<br />
Bericht: Dr. med. Friederike Günther<br />
Quelle: Pressekonferenz der Deutschen <strong>Diabetes</strong> Gesellschaft<br />
(DDG) am 12.02.<strong>2019</strong> in Berlin<br />
CONFERENCES News<br />
53
TYP-1-DIABETES<br />
Awareness-Kampagne soll zu neuen<br />
Tests ermutigen<br />
In Deutschland sind über 350.000 Menschen von <strong>Diabetes</strong> Typ 1 betroffen, 32.000 von ihnen sind jünger<br />
als 20. Oder anders ausgedrückt: Eines von 250 Kindern hat Typ-1-<strong>Diabetes</strong>, pro zehn Schulklassen eines.<br />
Damit ist der Typ 1 die häufigste Stoffwechselkrankheit im Kindesalter. Und die Inzidenz nimmt zu – pro<br />
Jahr um etwa 4 %. Damit verdoppelt sich die Zahl der Betroffenen alle zwölf Jahre. Erhöhte Aufmerksamkeit<br />
für den Typ-1-<strong>Diabetes</strong> <strong>und</strong> Bereitschaft zur Teilnahme an aktuellen Studien mit innovativen Forschungsansätzen<br />
– das versprechen sich die Initiatoren der Kampagne „A World Without 1“.<br />
EDUCATION News<br />
Screening auf Risiko-Gene:<br />
Die Freder1k-Studie<br />
Bestimmte Risikogene prädisponieren für den<br />
<strong>Diabetes</strong> Typ 1. Kinder, bei denen ein Elternteil<br />
einen Typ-1-<strong>Diabetes</strong> hat, tragen ein Risiko von<br />
3–8 %, selbst zu erkranken. Sind beide Elternteile<br />
betroffen, liegt das Risiko bei 25 %.<br />
Die Risiko-Gene kommen bei etwa 1 % der<br />
Bevölkerung vor, <strong>und</strong> diese Kinder tragen ein etwa<br />
zehnprozentiges Risiko, noch vor ihrem sechsten<br />
Lebensjahr eine frühe Form des Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />
zu entwickeln.<br />
In der Freder1k-Studie (kleine Verbeugung vor<br />
dem Kanadier Frederick Banting, der 1921 das<br />
Insulin entdeckte <strong>und</strong> dafür 1923 im Alter von nur<br />
32 Jahren den Medizin-Nobelpreis erhielt) werden<br />
Kinder durch einen Bluttest im Rahmen des<br />
Neugeborenenscreenings auf solche Risiko-Gene<br />
untersucht. Diese Möglichkeit besteht in Bayern,<br />
Niedersachsen <strong>und</strong> Sachsen, <strong>und</strong> zwar direkt in<br />
der Geburtsklinik. In Bayern <strong>und</strong> Niedersachsen<br />
können Eltern ihre Kinder auch noch bis zum<br />
Alter von vier Monaten beim Kinderarzt auf die<br />
Risiko-Gene testen lassen. Sofern ein Elternteil<br />
oder Geschwisterkind bereits Typ-1-<strong>Diabetes</strong> hat,<br />
ist eine Teilnahme an der Freder1k-Studie auch<br />
in allen anderen B<strong>und</strong>esländern beim Kinderarzt<br />
möglich. Bisher haben bereits 85.000 Kinder weltweit<br />
an der Freder1k-Studie teilgenommen, davon<br />
35.000 in Sachsen.<br />
Wird beim Test eine Risikokonstellation festgestellt,<br />
dann erhalten die Eltern eine Nachricht. Sie<br />
haben dann die Möglichkeit, an einer Interventionsstudie<br />
teilzunehmen.<br />
POInT-Studie: „Hyposensibilisierung“<br />
für Kinder mit Risiko-Genen<br />
Schon Jahre vor der klinischen Manifestation<br />
des Typ-1-<strong>Diabetes</strong> lassen sich Auto-Antikörper<br />
nachweisen.<br />
54
TYP-1-DIABETES<br />
In der plazebokontrollierten, doppelblinden Präventionsstudie<br />
POInT (Primary Oral Insulin Trial)<br />
des Instituts für <strong>Diabetes</strong>forschung am Helmholtz-Zentrum<br />
in München erhalten Kinder mit<br />
Risikogenen, die innerhalb der Freder1k-Studie<br />
identifiziert wurden, Insulin als Pulver täglich mit<br />
einer Mahlzeit. Ziel ist es, die Toleranz gegenüber<br />
Insulin zu verbessern. Eine unerwünschte blutzuckersenkende<br />
Wirkung des oral aufgenommenen<br />
Insulinpulvers ist nicht zu befürchten, denn<br />
Insulin muss ja gespritzt werden, um den Blutzucker<br />
wirksam zu senken. Kinder im Alter zwischen<br />
vier <strong>und</strong> sieben Monaten können in die<br />
POInT-Studie aufgenommen werden, die Gabe des<br />
Prüfpräparats (Insulin oder Plazebo) wird bis zum<br />
Alter von drei Jahren fortgesetzt. Danach werden<br />
die Kinder noch bis zum Alter von 7,5 Jahren nachbeobachtet.<br />
Die Plazebokontrolle ist unbedingt erforderlich,<br />
denn noch ist ja keineswegs belegt, dass orales<br />
Insulin tatsächlich eine positive Wirkung hat. Mit<br />
entsprechender Aufklärung sind die Eltern der Risikokinder<br />
dennoch meist bereit, mit ihren Kindern<br />
an der Studie teilzunehmen. Sie wird die Medizin<br />
ein gutes Stück weiterbringen. 50 Kinder in Dresden<br />
nehmen derzeit an der POInT-Studie teil, aber<br />
die Teilnahme ist in ganz Deutschland möglich.<br />
<strong>und</strong> fünf (bzw. sechs) Jahren teilnehmen, entweder<br />
begleitend zu einer der „U-Untersuchungen“<br />
oder jederzeit beim Kinderarzt. Die Eltern von über<br />
90.000 Kindern haben diese Möglichkeit bereits<br />
genutzt. Wenn tatsächlich Auto-Antikörper gef<strong>und</strong>en<br />
werden, können Kinder aus der Fr1da-Studie<br />
an einer plazebokontrollierten Interventionsstudie<br />
ähnlich der bereits beschriebenen POInT-Studie<br />
teilnehmen, die dann bis zum Alter von zwölf<br />
Jahren weitergeführt werden kann. Auch die Teilnahme<br />
an anderen Studien zur Verhinderung der<br />
Manifestation des Typ 1 wird angeboten.<br />
Natürlich werden die Eltern von Kindern mit<br />
Risikogenen oder gar Auto-Antikörpern nicht<br />
alleingelassen. Im Rahmen der Studien erhalten<br />
sie umfassende Informationen <strong>und</strong> Betreuung.<br />
Sollte es tatsächlich zu einer Manifestation des<br />
Typ-1-<strong>Diabetes</strong> bei ihrem Kind kommen, sind sie<br />
bestens vorbereitet.<br />
Bericht: Dr. med. Friederike Günther<br />
Quelle: Pressekonferenz des Helmholtz Zentrums München am<br />
22.01.<strong>2019</strong> in Berlin<br />
Kontaktadresse für nähere Informationen zu den Studien:<br />
https://www.gppad.org/de/studienzentren/<br />
Fr1da <strong>und</strong> Fr1dolin: Identifikation<br />
<strong>und</strong> Behandlung von Risikokindern<br />
Auch nach dem Säuglingsalter besteht die Möglichkeit,<br />
das Risiko für Typ-1-<strong>Diabetes</strong> bei Kindern<br />
zu untersuchen. Hier wird nicht nach Risiko-Genen<br />
gefahndet, sondern direkt nach Auto-Antikörpern.<br />
Bei 80 % der Kinder, die später an Typ-1-<strong>Diabetes</strong><br />
erkrankten, fanden sich schon vor dem Alter von<br />
fünf Jahren solche Auto-Antikörper.<br />
An den Studien Fr1da (Bayern) <strong>und</strong> Fr1dolin<br />
(Niedersachsen) können Kinder zwischen zwei<br />
EDUCATION News<br />
55
BIOMARKER<br />
Neuer Marker gibt Einblicke in die<br />
Entstehung des Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />
EDUCATION News<br />
Kleine – wahrscheinlich von Lebensstilfaktoren<br />
beeinflussbare – chemische Änderungen der<br />
DNA-Bausteine können die Menge des wichtigen<br />
Bindungsproteins IGFBP2 vermindern. Ein DIfE/<br />
DZD-Forschungsteam hat nun im Fachjournal<br />
<strong>Diabetes</strong> publiziert, dass diese sogenannten<br />
epigenetischen Veränderungen das Risiko für<br />
Typ-2-<strong>Diabetes</strong> erhöhen. Menschen mit hohen<br />
Konzentrationen von IGFBP2 im Blut erkranken<br />
zudem seltener an dieser Stoffwechselerkrankung.<br />
Die Veränderungen im Blut sind bereits<br />
einige Jahre vor Beginn der Krankheit nachweisbar.<br />
„Unsere Ergebnisse könnten künftig dazu beitragen,<br />
Risikopotenziale für Typ-2-<strong>Diabetes</strong> noch<br />
früher zu erkennen <strong>und</strong> der Krankheit präventiv<br />
entgegenzuwirken“, sagt Professorin Annette<br />
Schürmann, Leiterin der Abteilung Experimentelle<br />
Diabetologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung<br />
Potsdam-Rehbrücke (DIfE) <strong>und</strong><br />
Sprecherin des Deutschen Zentrums für <strong>Diabetes</strong>forschung<br />
(DZD).<br />
Molekularen Mechanismen auf der<br />
Spur<br />
Neben Insulin ist auch IGF-1 (Insulin-like growth<br />
factor 1) am Zucker- <strong>und</strong> Fettstoffwechsel beteiligt.<br />
Die Wirkung dieses Wachstumsfaktors wird<br />
durch die Bindung an das IGF-bindende Protein 2<br />
(IGFBP2) abgeschwächt. Das Forschungsteam ging<br />
deshalb der Frage nach, wie die verminderte Wirkung<br />
des IGFBP2-Gens die Entwicklung von Typ-<br />
2-<strong>Diabetes</strong> beeinflussen könnte.<br />
Humanstudien zeigen, dass Menschen, die an<br />
einer Fettleber leiden, weniger IGFBP2 produzieren<br />
<strong>und</strong> freisetzen. Ähnliche Effekte beobachtete das<br />
Team von Schürmann in früheren Mausversuchen,<br />
die zeigten, dass die IGFBP2-Spiegel bereits vor der<br />
Lebererkrankung vermindert sind.<br />
Ursächlich dafür ist die Übertragung von Methylgruppen<br />
an bestimmten Stellen der IGFBP2-DNA-<br />
Sequenz, die das Gen in der Leber hemmten. Diese<br />
epigenetischen Veränderungen kommen unter<br />
anderem durch den Lebenswandel zustande. Auch<br />
in Blutzellen übergewichtiger Menschen mit einer<br />
56
BIOMARKER<br />
gestörten Glucosetoleranz wurden derartige Modifikationen<br />
der DNA im IGFBP2-Gen bereits nachgewiesen.<br />
Von Mäusen <strong>und</strong> Menschen<br />
Das interdisziplinäre Forschungsteam um Schürmann<br />
<strong>und</strong> Schulze nutzte Erkenntnisse aus Klinik<br />
<strong>und</strong> Labor für die Auswertung von Blutproben<br />
<strong>und</strong> Daten aus der Potsdamer EPIC-Studie. „Diese<br />
Arbeit zeigt sehr schön, wie translationale Forschung<br />
funktioniert: Ein Bef<strong>und</strong> aus der Klinik<br />
wird aufgegriffen, im Labor mechanistisch analysiert<br />
<strong>und</strong> schließlich in einer bevölkerungsweiten<br />
Studie untersucht“, sagt Schürmann.<br />
Die aktuellen Analysen der Forscher weisen<br />
darauf hin, dass die Hemmung des IGFBP2-Gens<br />
Typ-2-<strong>Diabetes</strong> begünstigt. Zudem beobachtete<br />
das Wissenschaftlerteam, dass schlankere Studienteilnehmer<br />
<strong>und</strong> Studienteilnehmer mit geringeren<br />
Leberfettanteilen höhere Konzentrationen<br />
des schützenden Bindungsproteins im Blut haben.<br />
Höhere Plasmakonzentrationen von IGFBP2 waren<br />
mit einem geringeren Risiko verb<strong>und</strong>en, in den<br />
Folgejahren an Typ-2-<strong>Diabetes</strong> zu erkranken. „Mit<br />
unserer Studie erhärtet sich die Annahme, dass der<br />
IGF-1-Signalweg auch beim Menschen eine wichtige<br />
Rolle für die Entstehung von Typ-2-<strong>Diabetes</strong><br />
spielt“, ergänzt Dr. Clemens Wittenbecher, wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter der Abteilung Molekulare<br />
Epidemiologie am DIfE <strong>und</strong> Erstautor der Studie.<br />
Referenz<br />
1. Wittenbecher C, Ouni M, Kuxhaus O, Jähnert, M, Gottmann<br />
P, Teichmann, A, Meidtner, K, Kriebel, J, Grallert, H, Pischon,<br />
T, Boeing, H, Schulze, MB, Schürmann, A. Insulin-like growth<br />
factor binding protein 2 (IGFBP-2) and the risk of developing<br />
type 2 diabetes. <strong>Diabetes</strong> 2018 (https://doi.org/10.2337/<br />
db18-0620)<br />
Quelle: Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-<br />
Rehbrücke (DIfE), Pressemitteilung vom 5. November 2018<br />
Epigenetik<br />
Die Epigenetik ist ein relativ junges Forschungsgebiet.<br />
Es untersucht veränderte<br />
Gen-Funktionen, die nicht auf eine Änderung<br />
der DNA-Sequenz zurückzuführen sind, aber<br />
dennoch vererbt werden können. Studien<br />
der letzten Zeit weisen verstärkt darauf hin,<br />
dass auch die Ernährung als Umweltfaktor<br />
den Aktivitätszustand von Genen nachhaltig<br />
beeinflussen kann, z. B. durch chemische<br />
(epigenetische) Veränderungen der DNA-<br />
Bausteine. Hierzu zählen auch Methylierungen.<br />
Diese entstehen, wenn Methylgruppen an die<br />
DNA binden. Diese kann die Aktivierung der<br />
Gene entweder erschweren oder erleichtern.<br />
Die direkte Methylierung der DNA verändert<br />
dann dauerhaft die Genexpression, wenn sie in<br />
Steuerbereichen von Genen erfolgt (sogenannten<br />
CpG-Inseln), die durch die Modifikation der<br />
Histone zugänglich gemacht wurden.<br />
EPIC-Potsdam-Studie<br />
Die European Prospective Investigation into<br />
Cancer and Nutrition (EPIC)-Potsdam-Studie<br />
ist eine prospektive Kohortenstudie. Zwischen<br />
1994 <strong>und</strong> 1998 wurden 27.548 Frauen <strong>und</strong><br />
Männer zwischen 35 <strong>und</strong> 65 Jahren rekrutiert.<br />
Sie haben Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten,<br />
ihrem Lebensstil sowie ihrem<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Status ausgefüllt. Diese<br />
Befragung wurde ca. alle drei Jahre wiederholt.<br />
Die EPIC-Potsdam-Studie ist Teil einer der<br />
größten Langzeitstudien weltweit mit insgesamt<br />
ca. 521.000 Studienteilnehmern aus zehn<br />
europäischen Ländern. Ziel ist, den Einfluss der<br />
Ernährung auf die Entstehung von Krebs <strong>und</strong><br />
anderen chronischen Erkrankungen zu erforschen.<br />
EDUCATION News<br />
57
IMPRESSUM<br />
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von Referenten beiträgen in deutscher beziehungsweise<br />
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erscheint pro Thema jeweils ein- bis zweimal pro Jahr,<br />
••<br />
verbindet die Interessen von Kongressveranstaltern, Teilnehmern<br />
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••<br />
ist nicht mit Honorar zahlungen verb<strong>und</strong>en,<br />
••<br />
regt durch Cogitatio-Fragen zum Nachdenken „über den<br />
Tellerrand“ hinaus an,<br />
••<br />
reflektiert wissenschaftliche Inhalte in den drei Rubriken<br />
Conference, Education <strong>und</strong> Industry,<br />
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wird in zielgruppenspezifischer Auflage per Post versandt<br />
<strong>und</strong> ist mit allen <strong>Ausgabe</strong>n für medizinische Fachkreise auch<br />
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CONFERENCES<br />
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