Gammablitze - Todesstrahlen aus dem All - Leseprobe
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Was, wenn die Erde von einem intensiven<br />
Gammablitz getroffen wird?<br />
Jetzt etwas Science Fiction. Was würde also passieren,<br />
wenn es in der Umgebung unserer Sonne (d. h. in einem<br />
Raumbereich mit einem Durchmesser von ~6000 Lichtjahren)<br />
zu einem kosmischen Ereignis der beschriebenen<br />
Art kommen würde und die Erde unglücklicherweise genau<br />
in dessen Strahlungskegel liegt? Dabei gehen wir im<br />
Folgenden eher von einem moderaten Ereignis <strong>aus</strong>, also<br />
einem, welches an der oberen Grenze des genannten<br />
Raumbereichs liegt.<br />
Von einer Sekunde zur anderen würde ohne Vorwarnung<br />
die hochenergetische Gammastrahlung auf die obere<br />
Erdatmosphäre treffen, die sie aber nicht durchdringen.<br />
Die gesamte Strahlung wird bereits in den obersten Atmosphärenschichten<br />
absorbiert und entfaltet erst einmal<br />
nur dort seine unglückbringende Wirkung. Optisch wäre<br />
wahrscheinlich für einige Sekunden bis Minuten ein greller<br />
„Blitz“ am Himmel wahrzunehmen, der die Helligkeit<br />
der Sonne durch<strong>aus</strong> um das Mehrfache übersteigen kann.<br />
Würde man in diesem Moment hinschauen, wäre die Gefahr<br />
gegeben, sofort zu erblinden. Auf jeden Fall ist in<br />
diesem Moment so etwas wie ein „Hitzschlag“ zu bemerken,<br />
der u. U. an<br />
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Typischer „Air Shower“ von Sekundärteilchen, der entsteht,<br />
wenn hochenergetische kosmische Strahlung – z. B.<br />
in Form eines Gamma-Quants – auf die Hochatmosphäre<br />
trifft. Quelle: A. Chantelauze, S. Staffi und L. Bret<br />
unbedeckten Hautstellen einen Sonnenbrand oder zumindest<br />
eine Rötung verursacht.<br />
Die Energie der Gammaquanten wird bei ihrem Eintritt in<br />
die Erdatmosphäre zuerst einmal über viele Stufen durch<br />
Stöße mit den Luftmolekülen bei deren Dissoziation und<br />
Ionisation verbraucht sowie in Teilchenschauer umgewandelt,<br />
die mit fast Lichtgeschwindigkeit in die tieferen<br />
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Schichten der Erdatmosphäre rasen und dabei entlang<br />
ihres Weges eine intensiv blau leuchtenden Kegel <strong>aus</strong><br />
Tscherenkow-Strahlung erzeugen. Am Himmel könnte<br />
man deshalb besonders nachts in Richtung der Gammastrahlenquelle<br />
für eine gewisse Zeit einen etwa doppelt<br />
vollmondgroßen und auch etwa gleich hellen runden<br />
blauen Fleck wahrnehmen (in erster Linie durch die <strong>dem</strong><br />
Gammablitz nachfolgenden relativistischen Teilchen verursacht).<br />
Obwohl die Gammastrahlung nicht bis zum<br />
Erdboden vordringen kann, wäre ihre Wirkung bereits<br />
jetzt fatal: Durch photochemische Prozesse (<strong>aus</strong>gelöst<br />
durch die ionisierende und Moleküle zerstörende Wirkung<br />
der Gammastrahlung) würde innerhalb kürzester<br />
Zeit ein Umbau in der Chemie der oberen Atmosphäre<br />
erfolgen und zwar derart, dass die Ozonschicht weitgehend<br />
verlorengeht und riesige Mengen von Stickoxiden<br />
entstehen. Sie sind in der Lage, sich an Aerosole zu binden,<br />
die wiederum sehr effektiv Sonnenlicht im optischen<br />
Spektralbereich absorbieren (Stichwort Smog). Auch bedingen<br />
sie einen weiteren Ozonabbau und verhindern<br />
dessen Regeneration für viele Jahre ( katalysiert den<br />
Ozonabbau). Damit wird sich kurzfristig der Strahlungsh<strong>aus</strong>halt<br />
der Erde ändern, was letztendlich zu einer globalen<br />
Abkühlung gemäß <strong>dem</strong> Szenario des „nuklearen Winters“<br />
und damit zu einem völligen, nicht vorhersagbaren<br />
Umbau der Wettersysteme<br />
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Man muss sich das Ergebnis der Einwirkung einer intensiven<br />
sekundären kosmischen Strahlung auf Pflanzen<br />
ähnlich vorstellen wie die Wirkung des Entlaubungsmittels<br />
„Agent Orange“ auf Wälder (hier Vietnam, wo die<br />
US Air Force dieses Mittel während des Vietnam-Krieges<br />
mit bis heute nachwirkenden Folgen als Kriegswaffe eingesetzt<br />
hat).<br />
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führt. Der Grund dafür ist, dass die Erdatmosphäre von<br />
„unten“ erwärmt wird, d. h. die optische Strahlung der<br />
Sonne geht quasi ungehindert durch die für diese Strahlung<br />
durchsichtige Lufthülle und wird erst vom Erdboden<br />
oder den oberen Meeresschichten absorbiert, die sich<br />
dadurch erwärmen. Und diese „Wärme“ führt zu „Wärmestrahlung“<br />
im infraroten Spektralbereich, die wiederum<br />
von den Luftmolekülen absorbiert wird. Kann das<br />
Sonnenlicht nicht mehr bis zum Erdboden durchdringen,<br />
weil sie vom Stratosphärensmog davon abgehalten wird,<br />
dann wird es kalt auf der Erde… Das nennt man dann<br />
globale Abkühlung.<br />
Damit aber nicht genug. Wenn die Aerosole in der unteren<br />
Troposphäre <strong>aus</strong>gewaschen werden, entsteht Salpetersäure<br />
und damit saurer Regen mit all seinen fatalen<br />
Folgen für die Pflanzenwelt. Saurer Regen, Verlust des<br />
Schutzschildes gegenüber der UV-Strahlung der Sonne<br />
sowie ein rapider Temperaturabfall würden allein schon<br />
die meisten Ökosysteme an Land zusammen brechen lassen.<br />
Aber es kommt noch schlimmer. Die ultimative Gefahr<br />
für das Leben auf der Erde ist die intensive und extrem<br />
energiereiche Partikelstrahlung, die <strong>dem</strong> Gammastrahlungsimpuls<br />
ein paar Stunden oder Tage später folgt<br />
und viele Monate anhalten wird sowie die UV-Strahlung<br />
der Sonne, die durch die zerstörte Ozonschicht nicht mehr<br />
von der Erdoberfläche ferngehalten wird. Die Energie der<br />
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<strong>dem</strong> Gammablitz folgenden Teilchen (insbesondere Protonen)<br />
ist so gewaltig, dass (was die geladene Komponente<br />
betrifft) die Teilchenströme das Erdmagnetfeld mühelos<br />
überwinden können. Abgebremst in der Erdatmosphäre<br />
entwickeln sie gewaltige Schauer von Sekundärteilchen<br />
(z. B. Myonen), die je nach Intensität einige Hundert<br />
Meter des Erdbodens und vielleicht sogar einige<br />
T<strong>aus</strong>end Meter der Ozeane durchdringen können und dort<br />
alles höhere Leben töten oder zumindest stark schädigen<br />
würde. Außer<strong>dem</strong> käme es durch Kernwechselwirkungen<br />
zur Bildung von einer Vielzahl von radioaktiven Stoffen<br />
mit unterschiedlicher Halbwertszeit, die allein schon für<br />
Jahrt<strong>aus</strong>ende die Erdoberfläche unbewohnbar machten.<br />
Sehr wesentlich dafür, ob das Leben auf der Erde einen<br />
solchen Ausbruch überleben kann, hängt auch von der<br />
Richtung der einfallenden Partikelstrahlung (und natürlich<br />
in erster Linie von deren Intensität respektive Entfernung<br />
der Quelle) ab. Wenn sich der Ort des Gammastrahlen<strong>aus</strong>bruchs<br />
über eine der beiden Pole der Erde befindet,<br />
dann könnte der Erdkörper selbst die jeweils andere Hemisphäre<br />
zumindest teilweise abschirmen. Befindet sich<br />
dagegen die Gammastrahlenquelle im Bereich des Himmelsäquators,<br />
dann spielte die Erde die Rolle eines Brathähnchens,<br />
das am Spieß drehend von allen Seiten<br />
gleichmäßig gegrillt wird … Keine wirklich beruhigende<br />
Aussicht.<br />
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Das ist also das ungefähre Szenario, wenn sich ein Gammastrahlungs<strong>aus</strong>bruch<br />
in unmittelbarer galaktischer Umgebung<br />
unserer Sonne ereignen würde. Wissenschaftler<br />
haben nun versucht, dieses hier mehr qualitativ und verkürzt<br />
dargestellte Bild mittels Simulationsrechnungen<br />
sowie Atmosphären- und Klimamodellen weiter zu quantifizieren.<br />
Die Motivation ergab sich dabei dar<strong>aus</strong>, eine<br />
alternative Erklärung für das Massen<strong>aus</strong>sterben am Ende<br />
des Ordoviziums vor 443 Millionen Jahren zu finden.<br />
Darüber soll im folgenden Kapitel berichtet werden.<br />
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