Stadtmagazin CLP Ausgabe 30
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Porträt<br />
Porträt<br />
Aufführung „Romeo und Julia“<br />
Bernd Kessens – mit Tragik<br />
und Humor für mehr Toleranz<br />
In einer Zeit, in der es aufgrund extremer<br />
Vorurteile, aufgrund von<br />
Hochmut und Engstirnigkeit kaum<br />
gelingt geflüchteten Menschen Platz<br />
in unserer Gesellschaft darzubieten, in<br />
einer solchen Zeit von Intoleranz und<br />
völkischem Gehabe hält Bernd Kessens<br />
aus Damme dem Publikum bei seinen<br />
Theateraufführungen den Spiegel vor.<br />
Mit wahren Geschichten und Wahrheiten,<br />
die niemanden unberührt lassen.<br />
Begeisterungsfähigkeit und die Fähigkeit<br />
zu begeistern, zeichnen Bernd<br />
Kessens aus. Der ehemalige Lehrer<br />
für Deutsch, Erdkunde und Sport am<br />
Gymnasium in Damme, der gebürtige<br />
aus Bunnen stammt, veröffentlichte<br />
bereits im Jahr 1985 seinen ersten<br />
Roman. Mit „Tatort Maisfeld“ sorgte<br />
der heute 71-Jährige für Schlagzeilen<br />
und heftige Diskussionen auch über<br />
das Oldenburger Münsterland hinaus.<br />
Darin thematisierte er bereits vor 27<br />
Jahren die noch heute brandaktuelle<br />
Gülle- und Nitratproblematik vor dem<br />
Hintergrund der allgegenwärtigen<br />
Maismonokulturen in der Region. Er<br />
beschränkte sich aber nicht nur auf die<br />
literarische Kritik, sondern engagiert<br />
sich auch in der Lokal- und Kreispolitik.<br />
Als kritischer Geist, der aber stets<br />
nach praktikablen Lösungen sucht<br />
und sich für die Stadt Damme sowie<br />
die Region engagiert, ist der überzeugte<br />
SPD-Mann seit mehr als <strong>30</strong> Jahren<br />
Ratsmitglied und war bis 2016 Kreistagsabgeordneter<br />
– davon viele Jahre<br />
als SPD-Fraktionsvorsitzender.<br />
Seine große Leidenschaft gehört der<br />
Literatur und dem Theater. In seinen<br />
zehn Romanen stehen zumeist die<br />
Geschichte der Region und die der<br />
hier lebenden Menschen im Fokus.<br />
Besonders fasziniert er die Leser mit<br />
den lokalhistorischen Roman-Trilogie<br />
„Rabenfluch“, „Freiheit und gebratener<br />
Speck“ sowie „Ein Stück Land“, in denen<br />
er das karge Leben der Heuerleute<br />
sowie die Hintergründe und Folgen<br />
der Massenauswanderung im frühen<br />
19. Jahrhundert und der Markenteilung<br />
einfühlsam und spannend thematisiert.<br />
Dabei basieren seine intensiv<br />
recherchierten Romane auf profunden<br />
Kenntnissen über die geschichtliche<br />
und gesellschaftliche Entwicklung des<br />
Oldenburger Münsterlandes sowie<br />
über die Lebenssituation der einstmals<br />
besitzlosen, unterbäuerlichen Schichten.<br />
Aber auch seine spanischen Geschichten<br />
„Getanzte Liebe – Flamenco“<br />
und „Die spanische Haut“ über leidenschaftliche<br />
Liebe, Stolz und Tradition<br />
sowie die alte Kunst des Tätowierens<br />
finden eine breite Leserschaft.<br />
Ein Schlaganfall im Jahr 2000 warf<br />
den sportlichen und eloquenten Pädagogen<br />
und Autoren zunächst aus der<br />
Bahn, aber mit großem Ehrgeiz und<br />
Bernd Kessens<br />
Disziplin brachte er sich das Sprechen<br />
wieder bei. So baute er sich ein eigenes<br />
kleines Tonstudio auf und sprach als<br />
Übung – zunächst sehr langsam und<br />
mühselig und dann immer flüssiger –<br />
seine eigenen Texte ein. Heute hält er<br />
wieder Vorträge und hat eine alte Leidenschaft<br />
neu für sich entdeckt: Das<br />
Theater!<br />
Im vergangenen Jahr sorgte die große<br />
Open-Air-Inszenierung seines Stückes<br />
„Romeo und Julia“ mit circa 3.500<br />
Besuchern für Furore. Frei nach Shakespeares<br />
Klassiker verlegte der Autor<br />
und Regisseur die wohl berühmteste<br />
Liebesgeschichte aus dem fernen Verona<br />
ins heimische Damme. Und der<br />
Hass zwischen den verfeindeten Parteien<br />
beruht – man kann es sich heute<br />
kaum noch vorstellen – allein auf ihrer<br />
Zugehörigkeit zur katholischen und<br />
evangelischen Konfession.<br />
Die Geschichte bewegt sich in den<br />
beiden Zeitebenen von 1947 und der<br />
Gegenwart, wobei verschiedene Handlungsstränge<br />
gekonnt miteinander<br />
verwoben werden. Kleine Filmsequenzen<br />
ergänzten die Inszenierung, die<br />
auf einer Bühne direkt vor dem Portal<br />
des „Dammer Doms“ St. Viktor aufgeführt<br />
wurde.<br />
Das Ensemble in ihren Räuber-Kostümen<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg flüchteten<br />
zahlreiche Vertriebene aus Ostpreußen<br />
auch ins Oldenburger Münsterland<br />
und hofften, hier eine neue<br />
Heimat zu finden. Sie stießen aber<br />
in der zutiefst katholisch verwurzelten<br />
Region vielfach auf Ablehnung<br />
und offene Ausgrenzung. In dieser<br />
Situation verliebten sich die junge,<br />
bildhübsche Julia und der nette, gutmütige<br />
Bauernsohn Robert. Aber statt<br />
eines Happy End zerbrach die Liebe<br />
an den Vorurteilen des katholischen<br />
Elternhauses, das keine evangelische<br />
Schwiegertochter duldete. Auch als<br />
Julia konvertierte, schlug ihr weiterhin<br />
offene Verachtung entgegen, an der<br />
die junge Liebe schließlich zerbrach.<br />
Die Geschichte basiert auf der Erzählung<br />
einer heute 90-jährigen Frau, die<br />
mit persönlichen und sehr ergreifenden<br />
Statements zu Beginn und zum<br />
Schluss die Bühne betrat. „Wir hatten<br />
alles verloren, außer unserem Glauben<br />
und unsere Hoffnung“, sprach sie<br />
auch den heutigen Flüchtlingen aus<br />
der Seele, denn auch dieser aktuelle<br />
Aspekt wird in der Inszenierung thematisiert.<br />
Zur Recherche der Hintergründe<br />
führte Bernd Kessens 38 Interviews<br />
mit Zeitzeugen. „Es ist wirklich erschütternd,<br />
mit welcher abgrundtiefen Verachtung<br />
die evangelischen Neubürger<br />
von einem Teil der alteingesessenen<br />
katholischen Bevölkerung behandelt<br />
wurden“, zeigt sich Bernd Kessens<br />
noch heute erschüttert über die zum<br />
Teil sehr emotionalen Lebensgeschichten.<br />
In kurzen Statements werden ihre<br />
Schicksale und bedrückenden Erlebnisse<br />
auf der Bühne vorgetragen. „Gerade<br />
diese Statements waren für viele<br />
ältere Zuschauer wie ein emotionaler<br />
Flashback und viele von ihnen hatten<br />
Tränen in den Augen“, erinnert sich der<br />
Autor an die sehr bewegenden Momente<br />
der Aufführung.<br />
Ein weiterer emotionaler Höhepunkt<br />
waren die Auftritte der achtjährigen<br />
Ägypterin Laura Shaer und des erwachsenen<br />
Marokkaners Nabil Rhiati.<br />
Die Schilderungen der beiden Flüchtlinge<br />
zeigten, dass sich seit der Geschichte<br />
von Julia und Robert nicht viel<br />
geändert hat. Auch sie haben in ihrer<br />
neuen Heimat mit Vorurteilen und Ablehnung<br />
zu kämpfen. Schließlich fragte<br />
die kleine Laura, wie lange es denn<br />
dauert, bis sie als Deutsche akzeptiert<br />
werde. Ihr antwortete ein Vertriebener<br />
aus dem Jahr 1947, dass es bei ihm gut<br />
70 Jahr gedauert habe, bis er für die<br />
Dammer nicht mehr der evangelische<br />
Zugezogene gewesen sei.<br />
Eine lange Zeit, um sich fremd und<br />
nicht voll akzeptiert zu fühlen!<br />
SIGRID LÜNNEMANN<br />
Seit Monaten laufen nun bereits die Proben<br />
für das neue Theaterprojekt. Am<br />
12. September feiert Bernd Kessens mit<br />
seinem Ensemble vor dem „Dammer Dom“<br />
erneut Premiere. Der Autor hat aus der alten<br />
Dammer Sage „Die Räuber vom Mordkuhlenberg“<br />
ein modernes Theaterstück geschaffen.<br />
In einer lockeren Szenenfolge und mit aufwendig<br />
gestalteten filmischen Einspielungen<br />
sowie der musikalischen Unterstützung<br />
durch die Mitglieder des Rüschendorfer Kolpingchors,<br />
die zugleich auch als Soldaten des<br />
Jahres 1750 auf Räuberjagd gehen, bringt er<br />
die Geschichte der jungen Anna Maria Wieferich<br />
auf die Bühne. Das Mädchen wird jahrelang<br />
von den Räubern Adlerauge, Gänsekiel,<br />
Eisenmann, Koch, Doofmann und dem raubeinigen<br />
Räuberhauptmann in einer Höhle<br />
auf dem Dammer Mordkuhlenberg gefangen<br />
gehalten. Nur mit einer List und ihrem unerschütterlichen<br />
Glauben gelang ihre Befreiung,<br />
ohne dass sie ihren Schwur gegenüber<br />
den Räubern brechen musste. Wie schon die<br />
Namen der Räuber erahnen lassen, kommt in<br />
der Aufführung bei aller Tragik auch die Komik<br />
nicht zu kurz.<br />
Aber wir wollen noch nicht zu viel verraten.<br />
Die Zuschauer können gespannt sein – lassen<br />
Sie sich begeistern!<br />
sil<br />
TERMINE:<br />
„DIE RÄUBER VOM MORDKUHLENBERG“<br />
jeweils um 19.<strong>30</strong> Uhr<br />
Donnerstag – Sonntag<br />
12.9.2019 –15.09.2019<br />
19.9.2019 – 22.09.2019<br />
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