50 Jahre Kunsteisbahn Königssee
Kunsteisbahn-Jubiläum - © Hans Bittner
Kunsteisbahn-Jubiläum - © Hans Bittner
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Natur- &Chronik<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong><br />
www.eisarena-königssee.de
<strong>Kunsteisbahn</strong><br />
Chronik<br />
Vorwort<br />
Landrat Georg Grabner<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
Liebe Freunde der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong>,<br />
sehr geehrte Damen und Herren,<br />
Georg Grabner<br />
Landrat<br />
wir freuen uns sehr, in diesem Jahr das <strong>50</strong>-jährige Bestehen<br />
der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> feiern zu können.<br />
1959 – 1969 – 2019: Drei wichtige Wegmarken in der Geschichte<br />
der heutigen <strong>Kunsteisbahn</strong>, mit der der Rennrodel-, Bobund<br />
Skeletonsport insgesamt wesentlich mitgeprägt wurde.<br />
1959 mit der Errichtung der Kunstbahn, 1969 mit der Durchführung<br />
der ersten Weltmeisterschaften auf der weltweit ersten<br />
kombinierten <strong>Kunsteisbahn</strong> und <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> später mit einer<br />
der modernsten, sichersten und beliebtesten Eisarenen der<br />
Welt.<br />
Das Jubiläumsjahr ist ein schöner Anlass, die großartige Geschichte<br />
der Bahn Revue passieren zu lassen und die Gründungsväter,<br />
aber auch unsere erfolgreichen heimischen Sportlerinnen<br />
und Sportler mit ihren Geschichten und Erlebnissen<br />
zu Wort kommen zu lassen. Darüber hinaus gibt das Jubiläum<br />
einerseits die Möglichkeit, die Bedeutung der Sportstätte für<br />
die regionale Wirtschaft und den Tourismus und andererseits<br />
den Landkreis als Sportregion für den Breiten- und den Spitzensport<br />
darzustellen.<br />
Informieren Sie sich über ein schönes Kapitel Wintersportgeschichte,<br />
die vor unserer Haustüre stattfindet und lassen Sie<br />
sich bei den bevorstehenden Weltcupveranstaltungen anstecken<br />
von der begeisternden Rennatmosphäre.<br />
Ich wünsche Ihnen dabei interessante Rennläufe und viel Spaß<br />
in der Eisarena. Der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> wünsche ich weiterhin<br />
eine erfolgreiche Zukunft mit vielen Wettkämpfen und<br />
Veranstaltungen, die sowohl eine Werbung für den rasanten<br />
Kufensport sind als auch für das Berchtesgadener Land!
1959<br />
1969<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong><br />
Jubiläum<br />
eine<br />
Chronik<br />
Eine Betonröhre feiert in dieser Bob-, Rodel- und<br />
Skeleton-Saison 2018/19 Geburtstag, zwei Jubiläen<br />
sind es ganz genau: 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn mit Natureis,<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> mit einem<br />
künstlich geschaffenen Untergrund für die Kufensportler.<br />
Wir veröffentlichen in dieser Broschüre<br />
eine mehrteilige Chronik, aufgelockert mit Geschichten,<br />
Interviews, Interessantem und Wissenswertem,<br />
vielen Aufnahmen aus der jeweiligen Zeit,<br />
Daten und Fakten zur spektakulären Sportstätte im<br />
Berchtesgadener Land, der ersten und somit ältesten<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt am <strong>Königssee</strong>.<br />
Rodellegende Sepp Lenz aus der Schönau<br />
unterstützte uns dabei mit Aufzeichnungen,<br />
Eindrücken in Bildern und letztlich – mit am<br />
wichtigsten – seinen unschätzbar wertvollen<br />
Erinnerungen.<br />
Bob- und Schlittenverband für Deutschland e. V. (BSD)
1959 1969<br />
Eine Sandgrube stellte die Weiche<br />
Bahn-Chronik:<br />
Teil 1<br />
Zwei Geburtstage am <strong>Königssee</strong><br />
Einige Zufälle halfen mit – Sepp Lenz erinnert sich<br />
Sepp Lenz unterstützte den BSD bei der Erstellung einer Chronik zur Anfangszeit der<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> – die Erinnerungen des 83-Jährigen besitzen unschätzbaren Wert.<br />
In die Grundschule <strong>Königssee</strong> ging‘s im<br />
Winter mit den zwei Alpinbrettern oder<br />
dem Schlitten. Schnee lag früher meist genug.<br />
Josef Lenz – niemand nennt ihn so, er<br />
ist schon immer der Sepp – war „vorbelastet“,<br />
mit einem mehrfachen Bayerischen Meister als<br />
Papa, dem Lorenz. Und doch war der kleine<br />
Sepp zunächst erst einmal ein richtig guter<br />
Skifahrer, so dass sich eine Sportkarriere „auf<br />
der Piste“ abzeichnete. Erst recht als Sieger<br />
der „Berchtsgoner Landesschülermeisterschaft<br />
1949“ – wenn der Sepp das langsam und betont<br />
ausspricht, klingt es wie aus einem bedächtig-romantischen<br />
Geschichtsbuch.<br />
Mit 19 erzielte er bei der „Goldenen Gondel“<br />
am Obersalzberg unter 360 Teilnehmern die<br />
absolute Tagesbestzeit. Erst zwei <strong>Jahre</strong> später,<br />
1956, gab‘s die ersten richtigen Ski mit Belag.<br />
Auf einem Hang am Berchtesgadener Krankenhaus<br />
wurden sie sofort getestet. „Meistens am<br />
Abend, tagsüber hatten wir selbst als Jugendliche<br />
kaum Zeit dafür“, erinnert sich Sepp Lenz.<br />
Einmal zu Fuß rauf, gleich hinterm Elternhaus auf den Jenner,<br />
und mit den Skiern wieder runter, im Tiefschnee –<br />
„schon war der Sonntag rum“, lacht der Senior. An richtige<br />
Pisten war damals freilich noch nicht zu denken, darum<br />
sah Sepp Lenz das letztlich weichenstellende Malheur nicht<br />
kommen: Als er einmal in Vorderbrand, nur ein paar Meter<br />
von daheim entfernt, bei einer der unzähligen rasanten Abfahrten<br />
vom Kleinen Jenner in eine Sandgrube rauschte,<br />
sich „blöd das Knie verdrehte“ und erstmal liegenblieb,<br />
war rasch klar: Der 1935 im Elternhaus geborene Bub wird<br />
Rodler, endgültig – ein richtig guter: Europameister 1962,<br />
der sportliche Höhepunkt zweifellos. Und: Wer weiß, ob<br />
heute Bob-Piloten, Rodler und Skeletoni in einer Betonröhre<br />
am <strong>Königssee</strong> zu Tal rasen würden, wäre Sepp Lenz<br />
eines schönen Wintertages nicht in dieses Loch gefallen...<br />
Noch erfolgreicher gestaltete sich seine Trainer-Laufbahn im<br />
Anschluss. Ab 1966 beim damaligen Deutschen Bob- und<br />
Schlitten-Sportverband (DBSV), nachdem ihn eine erneute<br />
Verletzung zum Aufhören zwang. Das Drama ereignete sich<br />
bei den Olympischen Spielen 1964 in Innsbruck, gleich im<br />
ersten Trainingslauf. Der linke Arm lag in Trümmern, eineinhalb<br />
<strong>Jahre</strong> konnte und durfte sich Sepp Lenz auf keinen
Schlitten setzen. „Das war‘s dann“, sagt er im Gespräch<br />
über eine völlig andere Zeit. Der zweite „Lebensabschnitt“<br />
als Coach der besten deutschen Rodler begann... – die unbeschreibliche<br />
Karriere eines Schorsch Hackl ist bis heute<br />
untrennbar mit Trainer Sepp Lenz verbunden. Der damalige<br />
DBSV-Präsident Klaus Kotter, 2010 verstorben, lobte Lenz<br />
einst als „fleißigsten Bundestrainer“ und „Mann der leisen<br />
Worte“.<br />
es hakt und klemmt. Dabei kommen ihm so viele Ideen in<br />
den Kopf, wie es besser funktionieren könnte – mit dem<br />
Kunsteis. Er hat von der Stunde Null an „Hand angelegt“,<br />
im wahrsten Sinn des Wortes. Sepp Lenz hat mit seinen<br />
beiden Händen angepackt, gegraben, aufgeschüttet, begradigt,<br />
gemauert, geeist, geformt, gehobelt und geschliffen.<br />
Die Kunstbahn und später die erste <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />
war, ist und bleibt „sein Baby“. Im „echten“ Leben hat er<br />
„Dreimal Sepp“: Ehrungskarte für die erfolgreichen Rodler<br />
Josef Fleischmann, Josef Hasenknopf und Josef Lenz 1962.<br />
Mit einem knallroten VW-Käfer ging‘s zu den Rennen.<br />
An Rennanzüge war in den 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong>n noch nicht zu<br />
denken: Sepp Lenz mit Stehkragen-Hemd, Pullover<br />
und dem Bundesadler auf der Brust.<br />
Ein Tag ohne Besuch an<br />
der Bahn ist nicht komplett<br />
Wir haben den heute 83-Jährigen jedoch nicht getroffen,<br />
um in erster Linie über seine eigene sportliche Laufbahn<br />
zu sprechen, sondern im Rahmen einer Chronik über die<br />
Anfänge der <strong>Königssee</strong>r Bahn, die in dieser Saison zwei<br />
Jubiläen feiert: 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn, <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong>.<br />
Sepp Lenz war von der ersten Idee an nicht nur mit dabei,<br />
sondern maßgebend beteiligt. Und bis heute ist ein<br />
Tag für ihn nicht komplett, hat er nicht wenigstens kurz an<br />
ihr vorbeigeschaut, an „seiner“ Bahn, die dem Landkreis<br />
Berchtesgadener Land gehört.<br />
So oft es geht, macht er sich von seinem Elternhaus oberhalb<br />
der Schönau auf den Weg. Vier Kilometer sind‘s knapp<br />
über eine meist enge und steile Straße runter an den <strong>Königssee</strong>.<br />
Sepp Lenz fährt noch mit dem Auto. „Solange es<br />
geht“, sagt er, kann er hier oben gut mit seiner Frau Annelies,<br />
die ebenfalls bereits 83 <strong>Jahre</strong> alt ist, leben.<br />
Wenn der Sepp dann an der Bahn steht, ist es viel mehr<br />
als ein „Vorbeischauen“, weil er nach wie vor mit Rat und<br />
Tat zur Seite steht. Er sieht immer noch ganz genau, wo<br />
drei Töchter, sechs Enkel und seit diesem Jahr einen Urenkel<br />
– „eine wunderbare Sache“, freut er sich, das sei etwas<br />
so Schönes.<br />
Los ging alles nach 1945: Eine Rodelgruppe von Vorderbrand,<br />
die es bereits zwischen den beiden Weltkriegen gab,<br />
ist laut Sepp Lenz „scho lang a bisserl umananda gfahr‘n“.<br />
1935 wurden Thekla Rasp und Lorenz Lenz mit bereits richtigen<br />
Rennschlitten Bayerische Meister auf der Garmischer<br />
Bobbahn, einem künstlich erbauten Konstrukt aus Natureis.<br />
Die heimischen Rodler aus dem Berchtesgadener Raum fuhren,<br />
ja trainierten, damals noch auf den Loipler Wegen, am<br />
Obersalzberg und in Vorderbrand – freilich nicht auf Eis,<br />
sondern auf Schnee. Auch darauf gab es bereits Rennen<br />
mit ganz normalen Holzschlitten. „Rasch entwickelten sich<br />
aber zwei Klassen“, erinnert sich Sepp Lenz. Jene, die mit<br />
Rennschlitten schon etwas professioneller unterwegs waren,<br />
und jene für ganz normale Rodler „mit de Berchtsgoner<br />
Bockschlitt‘n“, lacht er.<br />
Bald traten allerdings erste „Probleme“ auf: „Es dauerte<br />
nicht lange, bis fast alle Familien – selbst die, die oben
1959 1969<br />
Sepp Lenz, geboren 1935 in der Schönau, in den Anfangsjahren des Berchtesgadener Rodelns.<br />
am Berg wohnten – ein Auto hatten. Die fuhren<br />
natürlich auf den Forstwegen, auf denen<br />
wir gerodelt sind“, erzählt der Sepp. „Das war<br />
schon ein bisserl gefährlich“. Die Autos machten<br />
die Rodelbahn jedoch nicht kaputt, eher<br />
ein Landwirt, der „mit seine Roß Holz abtransportierte.“<br />
20.000 Mark wie aus dem Nichts<br />
1959 fand die Deutsche Rodelmeisterschaft in<br />
Triberg im Schwarzwald statt. Hans Plenk vom<br />
RC Berchtesgaden holte sich den Titel im Einsitzer<br />
und zusammen mit Sepp Lenz auf dem<br />
Doppelsitzer-Schlitten.<br />
Die beiden Sportler wurden zusammen mit den<br />
Berchtesgadener Rodlern Gertraude und Nepomuk<br />
Beer im Rahmen eines Heimatabends in<br />
den Bahnhofsgaststätten empfangen und geehrt.<br />
Mit dabei: Der Landrat des damaligen<br />
Landkreises Berchtesgaden, Karl Theodor Jacob<br />
– verstorben 1980 in der Ramsau.<br />
Er war zugleich Vorsitzender des Fremdenverkehrsverbandes<br />
und interessierte sich sehr<br />
für die Belange der hiesigen Rodler. Denn die<br />
waren mittlerweile nicht nur im eigenen Land<br />
– beispielsweise im niedersächsischen Hahnenklee-Bockswiese<br />
– sondern bereits international<br />
auf Kunstbahnen in Imst in Tirol, in Rapperswil<br />
in der Schweiz, Grenoble in Frankreich oder im polnischen<br />
Krynica-Zdrój unterwegs. In Davos gab es sogar eine 3<strong>50</strong>0<br />
Meter lange Kunstbahn mit 36 ausgebauten Kurven bis zu<br />
zwei Metern Höhe. 1957 fand in Frankreich die Weltmeisterschaft<br />
statt, die Hans Schaller vom Schliersee gewann.<br />
Landrat Jacob erkundigte sich nun, beim Empfang in Berchtesgaden,<br />
wo den heimischen Rodlern der Schuh drücke.<br />
Sepp Lenz machte den Lokalpolitiker mit seinen Sportkameraden<br />
kurzerhand darauf aufmerksam, dass es auf den<br />
heimischen Wald- und Wiesen-Wegen immer schwieriger<br />
werde zu rodeln. Die Sportler hatten hier bereits drei, vier<br />
künstliche Kurven eingebaut, der zunehmende Autoverkehr<br />
machte die Sache allerdings immer gefährlicher.<br />
Die Lage am <strong>Königssee</strong> schwebte Lorenz Lenz senior schon<br />
einige Zeit im Kopf für eine künstliche Bahn im Kopf umher.<br />
„Ja, wenn Ihr ein Grundstück habt, dann bauen wir halt so<br />
eine Bahn“, lautete die spontane Antwort des CSU-Mannes,<br />
der sogleich mit einem finanziellen Angebot um die Ecke<br />
kam: „20.000 Mark könnt Ihr dafür erstmal haben“. Sepp<br />
Lenz lacht heute, wenn er sich an dieses Gespräch erinnert:<br />
„Wir haben uns angeschaut und gefragt, was wir mit<br />
20.000 Mark sollen?“<br />
Das war keineswegs ein unmoralisches,<br />
eher ein sensationelles Angebot...
Keine Olympia-Hoffnung mehr<br />
FIL-Präsident Sepp Fendt seit<br />
bald 25 <strong>Jahre</strong>n im Amt<br />
Weitere Kandidatur ausgeschlossen –<br />
Bahn-Erinnerungen<br />
Sie ist spektakulär. Sie ist einzigartig. Sie ist höchst<br />
anspruchsvoll. Für viele Exoten des Sports sogar zu<br />
schwierig. Und doch ist die <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong>,<br />
die älteste weltweit, eine der sichersten, weil perfekt<br />
ausgebaut und Jahr für Jahr mit einem Eis zum Niederknien<br />
ausgestattet. Die Bahn-Mitarbeiter wissen genau, was sie<br />
zu tun haben, feilen an der Röhre, bis sie perfekt passt<br />
– egal ob für die „leichten“ Skeleton-Schlitten oder die<br />
schweren Viererbobs. Lediglich höhere Wettermächte wie<br />
am 19. Januar letzten <strong>Jahre</strong>s, beim Weltcupfinale, als zu starker<br />
Schneefall den Abbruch des ersten Durchgangs der Skeleton-Damen<br />
heraufbeschwor, sind die Menschen machtlos.<br />
Die nun <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> alte Bahn ist also eine der besten der<br />
Welt. Und doch wird sie womöglich nie den höchstmöglichen<br />
sportlichen Höhepunkt erleben: Olympische Spiele.<br />
„Diese Hoffnung habe ich ehrlich gesagt aufgegeben“, sagt<br />
sogar Sepp Fendt, sonst stets optimistischer Präsident des<br />
Rennrodel-Weltverbandes FIL mit Sitz in Berchtesgaden. In<br />
seinem neuen Büro im Nonntal hängen noch nicht einmal<br />
die Bilder an der Wand, am Boden steht ein eingerahmtes<br />
Trikot mit der Nummer 70, welches der Jubilar letztes<br />
Jahr im Oktober zu seinem runden Geburtstag bekam. Erst<br />
im September 2017 wurden die großzügigen, hellen und<br />
freundlich gestalteten Räumlichkeiten feierlich eingeweiht.<br />
Ein paar Meter weiter am anderen Ende des Ganges entsteht<br />
eine hochinteressante „Hall of Fame“ des Rodelsports.<br />
Sepp Fendts Original-Schlitten, mit dem er 1976 in<br />
Innsbruck olympisches Silber einfuhr, steht in einer Ecke,<br />
drumherum alles zur Geschichte des Sports aus dem Blickwinkel<br />
der fünf Ringe. „Wir sind noch nicht ganz fertig, aber<br />
es wird“. Die Dauerausstellung soll nach ihrer Fertigstellung<br />
der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht<br />
werden.<br />
Gegen eine Fußball-WM<br />
hat niemand etwas<br />
In der Neuzeit bestanden bereits mehrfach Chancen für<br />
Olympische Spiele im Berchtesgadener Land: Die Bewerbungen<br />
für 1992 und 2018 scheiterten, Albertville und<br />
Pyeongchang machten letztlich das Rennen. In Frankreich<br />
holte Schorsch Hackl vor 26 <strong>Jahre</strong>n seine erste von drei<br />
Goldmedaillen. Keine Frage: Er hätte sie auch gern auf der<br />
Heimbahn am <strong>Königssee</strong> eingefahren.<br />
Für die Spiele 2022 platzte Münchens Olympia-Projekt<br />
bereits im Vorfeld, ein Bürger-Votum hatte Erfolg, <strong>Königssee</strong><br />
wäre mit im Boot gewesen. Die Gegner werteten ihren<br />
Erfolg als „Zeichen gegen die Profitgier des IOC“. Zuletzt<br />
gab es eine latente Möglichkeit für 2026, doch Graz und<br />
Schladming zogen ihre Bewerbungsgedanken aufgrund<br />
des Fehlens eines klaren politischen Bekenntnisses beziehungsweise<br />
einer entsprechenden Unterstützung durch<br />
„Von Aerodynamik hatten wir damals noch keine Ahnung“,<br />
sagt Sepp Fendt. Erst 1976 ging‘s los, in diese Richtung zu denken.<br />
Für Olympia Innsbruck – unser Bild zeigt den FIL-Präsidenten mit<br />
seinem damaligen Schlitten – bekam er einen „dynamischen“<br />
Helm in Ei-Form. Heute kann er über diese Optik lachen.<br />
die Landesregierung vorzeitig zurück. Die Steirer hätten<br />
die BGL-<strong>Kunsteisbahn</strong> für die drei Kufensportarten vorgesehen.<br />
Eine mögliche Bewerbung Tirols um Innsbruck<br />
war zuvor am massiven Bürger-Votum gescheitert. „Ich<br />
bin wirklich ein Demokrat, aber warum muss überhaupt<br />
öffentlich darüber abgestimmt werden? Das gab es früher<br />
nicht und war auch nicht nötig. Bei einer Fußball-WM<br />
oder -EM ist das keineswegs üblich, das sind ebenfalls<br />
sehr große Sport-Events“, so Fendt. Heute würden sich die<br />
Gegner besser organisieren als die Befürworter, das sei das<br />
Hauptproblem.<br />
Sepp Fendts erste Erinnerungen an die <strong>Kunsteisbahn</strong> gehen<br />
ins Jahr 1964 zurück: „Schon bis dahin habe ich meine<br />
Kindheit im Winter rodelnd verbracht, auf der Naturbahn<br />
am Obersalzberg. Da gab es bereits erste Kinderrennen, das
sind schöne Erinnerungen“. Mit dem Schlitten<br />
ging es in die Schule, vom „Haus Alpenglühen“,<br />
dort wuchs der heute 71-Jährige auf.<br />
1959 1969<br />
Sepp Lenz wie ein Maurer<br />
1964 ging Sepp Fendt zum RC Berchtesgaden<br />
und begann mit dem Leistungssport. Mit<br />
dem Bus oder den Nachbarn und Spezln Hans<br />
Brandner und Hans Wimmer, die ebenfalls rodelten,<br />
kam Fendt, mit 18 <strong>Jahre</strong>n damals noch<br />
nicht volljährig, zum Training an die Bahn.<br />
„Die haben sich die Autos von ihren Vätern<br />
ausgeliehen“. „Anfangs war es recht mühsam,<br />
ich trug einige Blessuren davon und war nicht<br />
besonders erfolgreich“, erinnert sich der gebürtige<br />
Berchtesgadener. Bahnerbauer Sepp<br />
Lenz bewunderte er schon damals: „Wie der<br />
das alles aufgeschichtet hat, wie ein Maurer<br />
mit den Eisblöcken hantierte und das Ganze<br />
mit Schnee sozusagen ausmatschte, das hat<br />
mir schon sehr imponiert“. Fendt ist heute<br />
froh, das alles von Anfang an miterlebt zu haben:<br />
„Das war irgendwo schon pionierhaft. Wir<br />
hatten freilich damals fast nur unseren Sport<br />
im Kopf, aber ich schau darauf mit purer Freude<br />
zurück“.<br />
Die Qualifikation für Olympia 1968 in Grenoble<br />
verpasste er knapp, die anderen waren einfach<br />
besser, sagt er heute mit einem Lächeln. „Doch<br />
plötzlich kam der Umschwung, auf einmal lief<br />
es richtig gut“. Fendts erste besondere Erinnerung<br />
bezieht sich auf den Winter 1968/69,<br />
als er den Sprung in die Nationalmannschaft<br />
schaffte und bei der Heim-WM zur Eröffnung<br />
der <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> zwar nur auf<br />
Rang 13 landete, aber diese Erfahrung eines<br />
ersten Großereignisses für die ganze weitere<br />
Karriere nutzen konnte. Nur ein Jahr drauf hing<br />
um Sepp Fendts Hals die Goldmedaille, nachdem<br />
die WM 1970 ebenfalls daheim im Berchtesgadener<br />
Land stattgefunden hatte.<br />
Durch DBSV-Präsident Richard Hartmann begann<br />
langsam so etwas wie Konditionstraining.<br />
Der Schulrektor ermöglichte den Rodlern<br />
Gymnastik-Übungen in der <strong>Königssee</strong>r Halle.<br />
Am Rodel-Stil, sagt Fendt, habe sich gar nicht<br />
so viel geändert: „Freilich hat sich das Material<br />
und die Technik, vor allem die Schienen-Geometrie<br />
gewaltig entwickelt. Diesbezüglich war<br />
der Hackl Schorsch führend, er hat diesen<br />
Sport in vielen Punkten revolutioniert“. Die<br />
meisten Veränderungen erfuhren die Bahnen:<br />
„Heute sind sie schon sehr sicher“, sagt Fendt.<br />
Gleichwohl ist und bleibt es ein Rennsport, der<br />
immer ein Restrisiko behalten werde.<br />
Sepp Fendt war einer der letzten Riemenfahrer:<br />
„Ich konnte mich einfach nicht mehr<br />
umstellen. Ein Norddeutscher war für uns der<br />
Erste, der beide Hände seitlich in den Rodel<br />
steckte. Das war 1976. Die DDR-Piloten haben<br />
das aber vermutlich schon eher gemacht.“ Der<br />
neue Stil, der bis heute Bestand hat, zielt mehr<br />
Aus den Anfangsjahren der ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />
am <strong>Königssee</strong>. Sepp Fendt war beim Startschuss<br />
mit der WM 1969 als Aktiver dabei.<br />
auf die komplette Körperspannung ab, um zu lenken. Früher<br />
erfolgte dies mit dem Riemen in einer Hand und noch<br />
stärker mit den Füßen. Sepp Fendt nutzte als einer der<br />
„alten Garde“ seine „letzte Chance“ mit der Olympia-Silbermedaille<br />
1976 in Innsbruck, zwei <strong>Jahre</strong> zuvor gewann er am<br />
<strong>Königssee</strong> sein zweites WM-Gold.<br />
Nach der erfolgreichen Karriere, die lediglich einmal, durch<br />
die Silbermedaille in Igls, ein Preisgeld abwarf – „10.000<br />
Mark waren für mich damals eine Riesensumme“ – arbeitete<br />
Fendt ganz normal als Verwaltungsbeamter und Geschäftsleiter<br />
bei der Gemeinde Berchtesgaden weiter. Ein<br />
Profi-Rodler konnte damals mit seinem Sport keine großen<br />
Reichtümer anhäufen. Irgendwann gab’s für die besten<br />
Rodler – an Werbeverträge dachte damals noch niemand<br />
– 100 Mark Ernährungszuschuss von der 1967 gegründeten<br />
Deutschen Sporthilfe. „Das hat uns schon ein wenig geholfen“,<br />
so Fendt.
FIL-Büro im Wohnzimmer<br />
Der Weltverband FIL bestand damals aus einem Präsidenten<br />
aus Österreich und einem Generalsekretär, der in Marseille<br />
saß. Es gab nicht einmal ein Büro, alles spielte sich<br />
im Wohnzimmer von Bert Isatitsch in Rottenmann in der<br />
Steiermark ab. Mit einer Schreibmaschine, einem Faxgerät<br />
und einem Telefon. Sepp Fendt blieb dem Sport verbunden<br />
und arbeitete bereits acht <strong>Jahre</strong> als Vizepräsident neben<br />
Isatitsch, als dieser im Februar 1994 unerwartet verstarb.<br />
Der Berchtesgadener übernahm zunächst kommissarisch<br />
dessen Amtsgeschäfte, ehe er am 25. Juni beim 43. FIL-Kongress<br />
in Rom zum Präsidenten des Rennrodel-Weltverbandes<br />
gewählt wurde. Er hatte schon zuvor dafür gesorgt,<br />
dass die „primitiven“ Verhältnisse – letztlich ohne richtigen<br />
FIL-Sitz – so nicht weitergehen konnten. „Wir hätten den<br />
Anschluss an die anderen Sportverbände verloren. Ich war<br />
der Meinung, dass wir ein richtiges FIL-Büro brauchen.“<br />
Gleich gegenüber des Berchtesgadener Rathauses boten<br />
sich schließlich Räumlichkeiten an. Sepp Fendt richtete<br />
diese mit der Adresse „Rathausplatz 9“ bereits vor seiner<br />
Präsidentschaft – als Vizepräsident Sport – Ende 1992 ein.<br />
Die offizielle FIL-Büro-Eröffnung erfolgte schließlich am 22.<br />
Januar 1993.<br />
„Wir hatten zuvor keine TV- oder Sponsoren-Verträge, keine<br />
Werberechte, nichts war abgesichert. Um all diese Fragen<br />
zu klären und den Verband strukturell und logistisch in<br />
ordentliche Bahnen zu lenken, benötigten wir vernünftige<br />
Arbeitsverhältnisse. Ich habe mit einer Halbtageskraft angefangen,<br />
heute haben wir fünf Festangestellte und zahlreiche<br />
externe Mitarbeiter, die uns von draußen zuarbeiten.“<br />
Im Rahmen des 46. FIL-Kongresses im vergangenen Juni in<br />
Bratislava wurde Fendt ein weiteres Mal im Amt bestätigt.<br />
Dennoch denkt er bereits an seinen Abschied. „Eine neue<br />
Kandidatur schließe ich aus“. Schon heuer hatte Fendt mit<br />
seinem Amtsende kokettiert. „Sie haben mich aber nochmal<br />
überreden können“, lacht er im Gespräch mit dem Bobund<br />
Schlittenverband. Er wolle selbstbestimmt aufhören,<br />
sagt er, und „nicht erst, wenn alle fragen, wann ich denn<br />
endlich abtrete“.<br />
Postkarten-Ansichten der <strong>Königssee</strong>r Kunstbahn mit Natureis<br />
in den 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong>n aus dem Verlag T. Brandner.<br />
Mit Kapitän und Rodel-Team-Kamerad Sepp Lenz (links)<br />
auf einem <strong>Königssee</strong>-Motorschiff: Sepp Fendt (rechts)<br />
in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n. In der Mitte Christa Schmuck,<br />
Olympia-Silbermedaillen-Gewinnerin von Grenoble 1968.<br />
„Das FIL-Büro in Berchtesgaden? Die Skepsis war anfangs<br />
groß“, erinnert sich Fendt. Der deutsche Verband war schon<br />
damals stark, es wurde befürchtet, dass er nun die komplette<br />
Kontrolle erhalten würde. „Darum wurde Berchtesgaden<br />
zunächst nur mit dem Beiwort ,vorübergehend‘ FIL-<br />
Sitz“, erzählt Fendt. Doch rasch etablierte sich die neue<br />
Anlaufstelle, und Funktionäre, Sportler, Trainer sowie Betreuer<br />
rannten Fendt regelrecht die Bude ein, endlich gab<br />
es einen greifbaren Ansprechpartner – „und der wurde nun<br />
intensiv genutzt“, schmunzelt der FIL-Chef über die Anfänge.<br />
Dabei bewährte er sich so gut, dass der FIL-Sitz dauerhaft<br />
im Berchtesgadener Land blieb. „Heute hat niemand<br />
mehr Sorge, wir würden in Deutschland zu stark werden.<br />
Weil wir wirklich sehr bemüht sind, alle gleich zu behandeln<br />
und uns für die Belange eines jeden nationalen Verbandes<br />
einsetzen“, sagt Fendt. Das Kuriose: Mit dem Rodel-Weltverband<br />
FIL, dem Bob- und Skeleton-Weltverband IBSF in<br />
Großgmain und der IBU, der Internationalen Biathlon-Union<br />
in Salzburg, sind gleich drei große Sportverbände in einem<br />
Umkreis von nur 30 Kilometern beheimatet.<br />
Sepp Fendt lässt es – dem zunehmenden Alter geschuldet<br />
– schrittweise ganz bewusst immer ruhiger angehen, fährt<br />
nicht mehr zu jedem Weltcup-Rennen. Ein großes Herz hat<br />
er für die nach wie vor im Schatten der populären Sportarten<br />
stehenden Naturbahnrodler: „Schließlich bin ich aus<br />
dieser Art unseres Sports gekommen“, sagt der Träger des<br />
Bundesverdienstkreuzes, welches ihm 2008 verliehen wurde.<br />
Privat pflegt Fendt seine gute Freundschaft zu Hans<br />
Plenk aus der Schönau, einem sportlichen Weggefährten.<br />
Mit den früheren Konkurrenten Walter Plaikner aus Südtirol,<br />
dem Österreicher Josef Feistmandl oder den ostdeutschen<br />
Hans Rinn und Klaus-Michael Bonsack telefoniert<br />
Sepp Fendt hin und wieder. „Das sind im Lauf der Zeit alles<br />
Freunde geworden“.
Warum die Gerade<br />
Bahn-Chronik:<br />
Teil 2<br />
keine Gerade ist<br />
Die Geschichte dahinter – Erste Rennen im Januar 1960<br />
In der S-Kurven-Kombination zu Beginn der Kunstbahn mit Natureis.<br />
1959 1969<br />
Sepp Lenz kannte den Weg. Die Linienführung<br />
hatte er schon lange im Kopf. Sie<br />
war ihm vertraut. Heute steht die älteste<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt genau dort. Im Schatten<br />
des Grünsteins, unweit des Watzmanns, ganz<br />
nah am <strong>Königssee</strong>. Im Sommer hat der kleine<br />
Seppi dort oft mit seinem Bruder und seinen<br />
Freunden gespielt, im Winter sind sie hier gerodelt<br />
oder hatten andere Freuden im Schnee.<br />
Sepp Lenz und seine Sportkameraden machten<br />
Landrat Karl Theodor Jacob beim Empfang der<br />
Deutschen Meister in den Bahnhofsgaststätten<br />
von Berchtesgaden den Grundstücksvorschlag.<br />
„Ja“, meinte der Chef des damaligen Landkreises<br />
Berchtesgaden spontan. „Da könnt Ihr<br />
schon eine Bahn hinbauen. Wenn die Grundstücksbesitzer<br />
einverstanden sind“, schob er<br />
gleich eine Bedingung hinterher. Und eine Forderung<br />
sicherheitshalber: „Keine Bäume umschneiden“.<br />
Am Ende mussten doch ein paar<br />
weichen. Viel schwieriger war es, die Grundeigentümer<br />
von der Idee einer schon etwas<br />
professionelleren Rodelbahn zu überzeugen.<br />
Bevor es 1959 losgehen konnte, gab es ein<br />
„Specktreffen“ mit allen Beteiligten: „Es stellte<br />
sich heraus, dass es sage und schreibe 13<br />
waren“, erzählt Sepp Lenz. „Da sind wir erstmal richtig erschrocken.“<br />
Da saßen sie nun, die Graßls, Brandners, Hasenknopfs,<br />
Datzmanns, Kastners und wie sie alle hießen.<br />
Einige waren sofort für die Bahn, sahen sie als Chance für<br />
den Fremdenverkehr – ein Pensionsbesitzer hatte sogar zu<br />
dieser Zusammenkunft eingeladen. „Ein, zwei waren nicht<br />
so ganz einverstanden mit unseren Plänen“, erinnert sich<br />
Lenz.<br />
Der WSV <strong>Königssee</strong> als<br />
schlagendes Argument<br />
Bei der Frage, wer denn die Bahn bauen würde, kam rasch<br />
der WSV <strong>Königssee</strong> ins Spiel. „Mit Unterstützung der Kurdirektion“,<br />
so Lenz. Das schmeckte nicht allen: „Ah, Kurdirektion,<br />
gegen die hob i a bisserl wos“, meinte einer mit<br />
einem ablehnenden Kopfschütteln. Doch der im Dezember<br />
1951 gegründete Winter-Sport-Verein <strong>Königssee</strong>, für den<br />
Sepp Lenz rodelte, zog. Letztlich waren die zahlreichen Erfolge<br />
der heimischen Athleten ein „schlagendes Argument“.<br />
Gleich am Ende dieses ersten Treffens sagten alle „Ja“ zur<br />
Kunstbahn – im Vergleich zu heute eine unvergleichlich rasche<br />
Entscheidungsfindung und -freudigkeit. Mit ihrer Überzeugungsarbeit<br />
hatten zwei Männer maßgeblichen Anteil:<br />
August Stengle senior und Richard Hartmann, später Präsident<br />
des Deutschen Bob- und Schlitten-Sportverbandes<br />
(DBSV) und knapp ein Jahrzehnt drauf Mit-Erbauer der ers-
Probleme bereitete den Bahnbauern neben damals durchaus<br />
schon möglichen sehr warmen Winter-Halbjahren, in<br />
denen das Konstrukt in kurzer Zeit einfach wegschmolz,<br />
der begrenzte Platz. „In die Wiesen durften wir nicht rausbauen,<br />
die gehörten den Bauern“. Doch genau das war<br />
und ist bis heute ein „großes Glück“, weiß Sepp Lenz. „Wir<br />
mussten ganz am Waldrand bleiben. Der blieb den ganzen<br />
Winter über meist im Schatten. Somit können wir noch heute<br />
fast drei Monate ohne Sonnensegel fahren. Das ist natürlich<br />
gut für die Zuschauer“. Von Anfang an war es ohnehin<br />
das Ziel, die Bahn so anzulegen, dass Besucher die Piloten<br />
von vielen Stellen aus möglichst lange sehen können. Bis<br />
heute ist das ein großer <strong>Königssee</strong>-Pluspunkt: Wer im Turbodrom<br />
steht, sieht die Sportler so lange live wie auf sonst<br />
keiner anderen Bahn der Welt – bis zu 15 Sekunden, die<br />
ganze Gerade plus im Sepp Lenz-Kreisel selbst, wie er im<br />
Volksmund eher genannt wird. Die extreme Schattenlage<br />
verschaffte <strong>Königssee</strong> einen sehr guten Ruf.<br />
In den Anfangsjahren der Kunstbahn ging es im Tal des<br />
Start-Bereichs recht eng her.<br />
ten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt. Das Erstaunliche: „Wir haben<br />
das damals kostenfrei gemacht, niemand hat etwas dafür<br />
verlangt“, erzählt Sepp Lenz.<br />
Lorenz Lenz senior, Sepps Vater, hatte als mehrfacher Bayerischer<br />
Rennrodel-Meister reichlich Wissen angehäuft. Er<br />
entwickelte die bis heute nach wie vor vorhandene Streckenführung<br />
der Bahn, die sein Sohn, der als Technischer<br />
Leiter fungierte, schon lange im Kopf hatte. Dessen Bruder<br />
Lorenz junior übernahm die Vermessung und Planung,<br />
schließlich arbeitete er als Vermessungssteiger im Salzbergwerk.<br />
Somit lag die verantwortliche Arbeit vor Ort komplett<br />
in den Händen einer Familie. Sie besaßen durch die Ausbauten<br />
der Bahnen in Vorderbrand, am Obersalzberg oder<br />
in Loipl aus den frühen 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong>n sowie der Garmischer<br />
Bahn, die Jahr für Jahr mittels eines enormen Aufwands mit<br />
Eisblöcken aus dem Eibsee entstand, letztlich den größten<br />
Erfahrungsschatz.<br />
Im Juli 1959 konnte es losgehen. Die Trasse schob „der<br />
Schmölzl“ aus, berichtet Sepp Lenz. Die Reichenhaller Baufirma<br />
saß von Anfang an unterstützend mit im Boot. Aus<br />
dem ausgehobenen Erdreich samt der unzähligen zu Tage<br />
getretenen Steine sowie tausenden Ziegeln entstanden die<br />
Kurven. Mit einer breiten Planierraupe, die nicht überall<br />
durchkam, musste ein besonders großer Stein entfernt werden<br />
– prompt machte sich dieser plötzlich selbstständig,<br />
rollte rund <strong>50</strong> Meter über die Wiese zu Tal, richtete aber<br />
zum Glück keinen Schaden an. „Das war gleich mal ein erster<br />
Schock“, lacht Sepp Lenz heute darüber. Der Rodelstart<br />
war von Anfang an dort konzipiert, wo er sich fast heute<br />
noch befindet. „Früher war er noch ein kleines Stück weiter<br />
oben, mit einer extrem steilen Startrampe“, so Lenz. „Als<br />
später die ersten Rodler diese sahen, fürchteten sie sich<br />
schon ein wenig davor.“ Lenz sagt aber auch: „Wir Berchtesgadener<br />
haben das genau so geliebt.“<br />
Ein leichter Knick für die Bäume<br />
Sepp Lenz lüftet im Gespräch schließlich ein Geheimnis:<br />
Warum ist die lange Gerade keine richtige Gerade? „Wir<br />
haben die Bahn dort um ein paar Bäume herumgebaut“,<br />
lacht der 83-Jährige, die Forderung von Landrat Jacob immer<br />
noch im Ohr. Diese ist bis heute eine große technische<br />
Schwierigkeit, weil immer wieder viel darüber diskutiert<br />
wird, wie die Passage vor dem Kreisel, der erst 1976 dazukam,<br />
am Besten zu meistern ist. Früher hatte die Passage<br />
auch noch einen weitaus stärkeren Knick. Während die<br />
Die lange Gerade, die im Grunde keine ist und zunächst<br />
einen weitaus stärkeren „Knick“ hatte als heute.
Mit zehntausenden Eisblöcken aus dem Hintersee und dem Aschauerweiher wurde die Bahn aufgebaut.<br />
1959 1969<br />
Rodler auf ihren „Kanten“-Kufen ohne Bandenanschlag<br />
durchkommen können, die Skeletoni<br />
„vielleicht“ mit einmaligem Touchieren, sind<br />
es bei den Bobs mit ihren „runden“ Schienen<br />
oft bis zu dreimal, um „vermeintlich perfekt“ in<br />
die Jennerkurve und das kurze „Bergaufstück“<br />
ins Turbodrom zu rasen. „Dreimal ist aber zu<br />
viel“, so Sepp Lenz, einmal reiche seiner Meinung<br />
nach vollkommen.<br />
Angedacht war zunächst eine reine Rodelbahn.<br />
Ende der 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong> gab es ohnehin noch<br />
gar keine Bobfahrer in Berchtesgaden. „Wir<br />
wollten enge Kurvenkombinationen einbauen.<br />
Die Piloten der schweren Schlitten forderten<br />
jedoch immer gerade Passagen nach den Kurven“,<br />
weiß Lenz. Die ersten Bob-Versuche in<br />
der <strong>Königssee</strong>-Bahn folgten erst 1963 nach<br />
einem entsprechenden Ausbau im Jahr davor.<br />
Die Piloten schwärmten sofort, wenngleich<br />
„für sie schon ein paar harte Ecken und Kanten<br />
drin waren“, schmunzelt der Experte. Ihnen<br />
war die Eisrinne anfangs zu schnell, darum<br />
starteten sie erstmal weiter unten.<br />
Nach Weihnachten 1959 war die erste Kunstbahn<br />
fertig, freilich „sehr provisorisch“, sagt<br />
Sepp Lenz, aber bereits bis runter fast an den<br />
<strong>Königssee</strong>. Er selbst durfte und musste natürlich<br />
als Erster in die noch sehr unruhige Bahn.<br />
Er meisterte sie mit Bravour. Andere konnten<br />
den gewaltigen Schwung hinten raus nicht<br />
stoppen und landeten – letztlich unverletzt<br />
– im <strong>Königssee</strong>. Deshalb wurde im Jahr drauf<br />
die Zielkurve kurz vor dem Ufer als kompletter<br />
Halbkreis vollendet, quasi wieder bergauf führend – ähnlich<br />
der heutigen Echowand. Insgesamt erfuhr der Auslauf bis<br />
heute sage und schreibe sechs Verlängerungen, um den<br />
stetig steigenden Geschwindigkeiten Herr zu werden. Heute<br />
befindet sich die Zielzeitnahme gegenüber des Labyrinths,<br />
also rund 1<strong>50</strong> Meter oberhalb des tiefsten Bahnpunktes.<br />
Der Auslauf endet erst sehr viel später auf Höhe der Jennerkurve.<br />
10.000 Eisblöcke pro Saison aus dem Hintersee<br />
Die Eröffnung der Kunstbahn feierten die Rodler am 16.<br />
und 17. Januar 1960 mit der Süddeutschen Meisterschaft.<br />
In den Folgejahren verbesserte sich die Infrastruktur<br />
Stück für Stück, beispielsweise mit einer Beleuchtung, Beschallung,<br />
Wasserinstallation inklusive Bahnhydranten und<br />
vielem mehr.<br />
Vereist wurde meistens mit Schneematsch, aber auch mit<br />
bis zu 10.000 Eisblöcken aus dem Hintersee und vom<br />
Aschauerweiher. Der Schnee kam von den benachbarten<br />
Wiesen, der jedoch meist nicht ausreichte. „Wir sind ins<br />
Eisstadion nach Berchtesgaden gefahren, aber dort wurde<br />
damals nicht so früh vereist.“ Sepp Lenz und sein Team<br />
wurde schließlich in Salzburg fündig, der Abrieb aus der<br />
dortigen Eishalle war bestens geeignet: „Ein hervorragender<br />
kompakter Schnee, die Eissplitter waren perfekt für<br />
unsere Bahn“. Selbst vom Roßfeld holten die Bahnbauer<br />
oft das nötige Weiß herunter, <strong>50</strong> bis 60 Kubikmeter wurden<br />
für die Eisrinne benötigt. Alles mit Schaufeln, Hobeln und<br />
den eigenen Händen in Form gebracht – heutzutage eine<br />
unvorstellbare Arbeit über Wochen hinweg. Aktuell benötigen<br />
Bahnchef Markus Aschauer und sein Team nicht einmal<br />
eine Woche für die Vereisung jeweils Anfang Oktober...
„Vor dieser Bahn habe ich<br />
höchsten Respekt“<br />
Selbst nie gerodelt:<br />
Bürgermeister Franz Rasp schätzt<br />
die Sportstätte in anderer Art und Weise<br />
Franz Rasp ist erstaunlicherweise nie gerodelt, wie so<br />
viele Berchtesgadener Kinder, Schüler und Jugendliche<br />
im Rahmen des Unterrichts. Seine früheste Erinnerung<br />
an die Bahn geht zurück in einen heißen Sommer seiner<br />
Kindheit. „Ich war völlig fasziniert von dieser Betonröhre“.<br />
Mit dem Papa ging es auf den Grünstein, vom <strong>Königssee</strong><br />
weg, zunächst nicht entlang der Bahn, sondern „in“ ihr.<br />
„Keine Ahnung, ob das erlaubt war“, schmunzelt der Bürgermeister<br />
der Marktgemeinde.<br />
Unumwunden gibt Franz Rasp zu, warum er sich selbst nie<br />
auf Eis, also in ihrer Bestimmung, in die Bahn gewagt hat<br />
– kurz und knackig mit einem Wort: „Angst“. Das Schlittenfahren<br />
auf blankem Eis sei nicht seins. „Sie haben mich<br />
mal in einen Sommerbob gesetzt, das hat mir schon gereicht.<br />
Ich habe vor dieser Bahn gehörigen Respekt – das<br />
muss man auch mal zugeben können“. Gleichwohl ist er<br />
glücklich, eine solche Sportstätte im eigenen Wirkungskreis<br />
zu wissen. Ihrer Bedeutung verleiht Franz Rasp mit drei<br />
schlagkräftigen Stichwörtern Ausdruck: „Sportstätte, Wirtschaftsfaktor,<br />
touristischer Leuchtturm“. Detailliert: „Wenn<br />
man sich die Bahn als Sportstätte anschaut, was hier alles<br />
an Olympiasiegern herausgekommen ist... – das ist nur<br />
möglich, weil es diese Einrichtung hier gibt“. Die Sportler<br />
fänden vor Ort herausragende Trainingsmöglichkeiten, dadurch<br />
seien diese Erfolge erst möglich, genauso wie eine<br />
konsequente Vereinsarbeit.“ Das Schulrodeln leiste sein<br />
Übriges, damit werde in einer gewissen Breite für den Sport<br />
begeistert. Die enge Verknüpfung von Leistungs- und Nachwuchssport<br />
bilde eine perfekte Symbiose.<br />
Der Wirtschaftsfaktor: Die Bahn bietet Arbeitsplätze und ist<br />
so gut ausgelastet wie keine zweite auf dieser Welt. „Die<br />
Teams, die auf ihr trainieren, müssen hier übernachten, essen<br />
und so weiter.“ Diese Wertschöpfung für die Region sei<br />
keineswegs zu vernachlässigen. „Und das genau in einer<br />
Zeit, die touristisch nicht einfach ist – vor und nach den<br />
Weihnachtsferien“, so Rasp. Punkt drei, der touristische<br />
Leuchtturm: „Die hohe Präsenz in den Medien, vor allem<br />
die guten Weltcup-Termine zu Beginn des <strong>Jahre</strong>s, wenn die<br />
Bilder vom <strong>Königssee</strong> um die Welt gehen – das hilft uns hier<br />
in der Region natürlich schon weiter“, so der Vorsitzende<br />
der TRBK, der Tourismusregion Berchtesgaden-<strong>Königssee</strong>.<br />
Olympische Spiele kritisch diskutieren<br />
Zum Thema Olympia sagt Franz Rasp: „Man kann natürlich<br />
geteilter Meinung sein, ob Olympische Spiele noch<br />
zeitgemäß sind – in der derzeitigen Verfassung des Internationalen<br />
Olympischen Komitees. Das kann man kritisch<br />
diskutieren. Wir sollten uns jedoch einig darüber sein, dass<br />
die Spiele in Regionen durchgeführt werden sollten, in<br />
denen die nötige Infrastruktur bereits vorhanden ist. Der<br />
Alpen-Nordrand wäre in dieser Frage ideal geeignet, um mit<br />
minimalen Eingriffen in Natur und Landschaft solche Spiele<br />
Franz Rasp – hier in seinem<br />
Bürgermeister-Büro –<br />
geht mit Freude und Begeisterung<br />
alles Berufliche an.<br />
Die <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong><br />
ist für ihn eine „frühe<br />
Sommer-Erinnerung“.<br />
durchzuführen. Eine Großstadt ist dafür heutzutage natürlich<br />
ebenfalls nötig“. Geradezu grotesk ist für Franz Rasp<br />
die Vorstellung, dass nagelneue Sportstätten nach den<br />
jeweiligen Spielen nicht mehr genutzt werden. Grundsätzlich<br />
habe Olympia für den Berchtesgadener Marktchef ein<br />
„gesellschaftliches Problem“. Der sportliche Wert sei sicher<br />
immer noch vorhanden, die Ausstrahlung der Veranstaltung<br />
insgesamt verblasse jedoch zunehmend. „Was bei der Vergabe<br />
und rundherum passiert, macht einen schon stutzig“.<br />
Bei uns wäre alles vorhanden gewesen, unter anderem mit<br />
Biathlon in Ruhpolding, Eisschnelllauf in Inzell, Rodel, Bob<br />
und Skeleton am <strong>Königssee</strong> – „also ideal“, sagt Rasp.<br />
Der Bürgermeister selbst ist ebenfalls sehr sportlich unterwegs:<br />
„Ich brauche das. Das ist mein körperlicher und geistiger<br />
Ausgleich“, sagt der 46-jährige gebürtige Berchtesgadener.<br />
Er verrät, dass er sämtliche Reden und Grußworte<br />
beim Sport vorbereite. „Da habe ich meine Ruhe, da kann<br />
ich abschalten, bekomme den Kopf frei und somit zusammen,<br />
was ich sagen möchte“. Somit könne er seine Argumente<br />
besser und vernünftig vermitteln.<br />
Durch Wettkämpfe konsequenter werden<br />
Auf die Frage, wieviele Stunden pro Woche Franz Rasp sportlich<br />
ist, kommt spontan: „Zu wenig“. Er macht Triathlon,<br />
nahm dieses Jahr „mit einer für mich ordentlichen Vorstellung“<br />
am Frankfurter Ironman teil und bewältigte die 3,8 Kilometer<br />
Schwimmen, 185 Kilometer Radfahren und den abschließenden<br />
Marathonlauf über 42,195 Kilometer in gut elf<br />
beachtenswerten Stunden. Allerdings muss er sich künftig<br />
mehr auf Bewegungen konzentrieren, die knieschonender<br />
sind. Darum tendiert er momentan eher Richtung Radfahren<br />
– „das mach ich sehr gern“ – und Schwimmen. „Altersentsprechend<br />
das bestreiten, was geht“, schmunzelt Rasp. Skifahren<br />
sei noch immer eine Leidenschaft, aber das müsse er<br />
dosieren, Skitourengehen und Langlaufen „sind gelenkschonender“.<br />
Wettkämpfe müssen dabei schon ab und an sein:<br />
Die Teilnahme am Ötztaler Radmarathon ist ein sportliches<br />
Ziel für Franz Rasp, der alles, was er beruflich macht, mit<br />
Begeisterung angeht – selbst, wenn es mal unpopulär ist:<br />
„Wichtig ist Klarheit und Eindeutigkeit.“ Als er im März 1993<br />
mit einem Bundeswehr-Kameraden von einem Schneebrett<br />
am Lattenberg voll verschüttet und gerettet wurde, hat er<br />
gelernt, mehr zu machen und weniger aufzuschieben.
Ein Zwei-Mann-Deal für die<br />
1959 1969<br />
Bahn-Chronik:<br />
Teil 3<br />
Ein Eis, welches für alle perfekt passt, gibt<br />
es nicht, sagt Sepp Lenz, <strong>Königssee</strong>-Zeitzeuge<br />
der ersten Stunde. Darum sei eine<br />
kombinierte Bahn – also für die drei Kufensportarten<br />
Rodeln, Bob und Skeleton – stets<br />
ein Kompromiss. Die entsprechenden Schrägen<br />
in der <strong>Königssee</strong>-Geraden werden heutzutage<br />
mit einem Hobel, der auf Stahlrohren<br />
aufsitzt, erzeugt.<br />
Ab 1959 halfen die jungen Sportler ab der 8.<br />
Klasse beim Aufbau des Eises mit: „Das war<br />
damals eine Selbstverständlichkeit“, erinnert<br />
sich Sepp Lenz. Am Bahnbau selbst waren unter<br />
anderem fünf Mitarbeiter der Kurdirektion<br />
beteiligt, dazu kamen rund 20 Sportler. Darunter<br />
das damalige deutsche Aushängeschild<br />
Hans Plenk, 1965 Weltmeister von Davos, oder<br />
Leonhard Nagenrauft vom RC Berchtesgaden,<br />
Europameister 1967 am <strong>Königssee</strong>.<br />
Im Januar 1960 war die erste Kunstbahn mit<br />
Natureis nahe Berchtesgaden fertiggestellt.<br />
Ein abenteuerlich anmutendes Konstrukt, zum<br />
Großteil mit der Hand aufgebaut. Der Untergrund<br />
für die Sportler aus Schneematsch und<br />
zehntausenden Eisblöcken geformt – zum<br />
<strong>Königssee</strong>-Kurven<br />
Das Wort „<strong>Kunsteisbahn</strong>“ musste erstmal<br />
verarbeitet werden<br />
Sepp Lenz modellierte, ehe eine Kurve ihre finale Umsetzung erfuhr,<br />
erst mittels Bretterwand und Schneematsch, fotografierte alles<br />
und zeichnete den gewünschten Radius ein.<br />
Großteil aus dem Hintersee und dem Aschauerweiher herausgeschnitten<br />
und die wenigen Kilometer zum Fuße des<br />
Grünsteins transportiert. Die Eröffnung erlebte gleich einen<br />
sportlichen Höhepunkt: Die Internationale Süddeutsche<br />
Rennrodel-Meisterschaft (siehe auch Teil 2 unserer Chronik).<br />
Die WSV <strong>Königssee</strong>-Rodler Sepp Lenz und Nepomuk<br />
Beer junior gewannen den Doppelsitzer-Bewerb. Die ersten<br />
Rennen – damals gab es noch keinen Weltcup – besaßen<br />
meist schon internationalen Charakter, beispielsweise<br />
der Alpenländer-Pokal oder das Graf Landsberg-Rennen.<br />
Das Debüt am <strong>Königssee</strong> wurde mit dem Landrat-Pokal<br />
gefeiert.<br />
Links die Linienführung der Kunstbahn am <strong>Königssee</strong><br />
1958/59, rechts jene der ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />
von 1968/69. Beide noch ohne Kreisel, der erst 1976<br />
dazukam. Gut zu erkennen: Der erste Auslauf (linke<br />
Skizze), der noch dafür sorgte, dass zahlreiche Schlitten<br />
im <strong>Königssee</strong> landeten. Das war ein Jahr drauf Vergangenheit,<br />
als die Echowand einen Halbkreis bildete,<br />
der wieder nach oben führte.<br />
Weggeschmolzen an nur einem Tag<br />
In den Folgejahren erfuhr die Bahn eine schrittweise Modernisierung,<br />
um einerseits die Sicherheit der Sportler zu<br />
erhöhen, andererseits verbesserte Verfahren der Eispräparation<br />
zu ermöglichen. Eine Beleuchtung wurde genauso installiert<br />
wie eine Beschallung, die Wasserinstallation inklusive<br />
Bahnhydranten folgte. Die verbesserte Logistik und ein<br />
neues Zielhaus erleichterte Kampfrichtern, Pressevertretern<br />
und Sanitätern die Arbeit. Ab und an mussten Trainingseinheiten<br />
oder Rennen jedoch kurzfristig abgesagt werden:<br />
„Die mühsam aufgebaute Eisspur schmolz uns schon mal
Den Besuchern zu Zeiten der <strong>Königssee</strong>r Kunstbahn war es noch möglich, den Rodlern auf den Kurven stehend zuzuschauen.<br />
innerhalb nur eines Tages zusammen“, erinnert sich Sepp<br />
Lenz. Dahin war die wochenlange Arbeit, sie rann schnurstracks<br />
in den <strong>Königssee</strong>, niemand konnte etwas dagegen<br />
tun.<br />
Aus Bonn, der damaligen Bundeshauptstadt, kam bald die<br />
entscheidende Anregung: <strong>Königssee</strong> müsse – mit seinem<br />
mittlerweile europaweit enorm guten Ruf – Bundesleistungszentrum<br />
(BLZ) werden, womit schließlich eine <strong>Kunsteisbahn</strong><br />
gerechtfertigt werden konnte. Der damalige Präsident<br />
des Deutschen Bob- und Schlittensportverbandes<br />
(DBSV), der gebürtige Münchner Richard Hartmann, wurde<br />
ins Hohe Haus nach Bonn eingeladen.<br />
Die Frage war: Garmisch oder <strong>Königssee</strong>?<br />
Uwe Deyle vom gleichnamigen Ingenieur-Büro aus Stuttgart<br />
meinte im politischen Zentrum der Bundesrepublik: „Wir<br />
müssen eine <strong>Kunsteisbahn</strong> bauen“. Das Wort „<strong>Kunsteisbahn</strong>“<br />
musste in der Runde erst einmal verarbeitet werden.<br />
So recht konnte sich kaum jemand etwas darunter vorstellen,<br />
bislang gab es sowas schließlich noch nicht. Weltweit<br />
wäre <strong>Königssee</strong> ein Novum. „Doch Garmisch-Partenkirchen<br />
redete ein gehöriges Wort mit“, erzählt Sepp Lenz. Dort<br />
nahm die Kunstbahn ebenfalls immer professionellere Formen<br />
an. „Aber wir hatten seitens der Sportler den besseren<br />
Ruf“, erinnert er sich. Ein heißer Kampf war entfacht:<br />
Wer sollte das Bundesleistungszentrum (BLZ) bekommen?<br />
Und damit verbunden später die erste <strong>Kunsteisbahn</strong> der<br />
Welt. Die Entscheidung fiel. Auf <strong>Königssee</strong>. 1965 erfolgte<br />
die Ernennung zum BLZ. Die heimische Kunstanlage mit<br />
Natureis und damit die Rennen erfuhren noch einmal eine<br />
Steigerung – an Qualität, Niveau, Ansehen, internationalem<br />
Flair: Längst kamen Norweger und Schweden, bald sogar<br />
Kanadier und US-Amerikaner.<br />
Das Wort „<strong>Kunsteisbahn</strong>“ waberte weiter über den <strong>Königssee</strong><br />
und verfestigte sich 1967/68. Garmisch war aus dem<br />
Rennen, am Fuße der Zugspitze gab es Probleme mit den<br />
Grundstücken. Dabei war der Ort bereits 1936 für ein solches<br />
Projekt ernsthaft nicht nur im Gespräch: „Dort hatten<br />
sie bereits die entsprechenden Rohre für die Ammoniakleitungen<br />
angeliefert. Doch die wurden rasch als Wasserleitungen<br />
für die Häuslbauer verwendet“, weiß Lenz. Damit<br />
war eine <strong>Kunsteisbahn</strong> in Garmisch ad acta gelegt, der<br />
Bund war für <strong>Königssee</strong>. „Die Firma Deyle hatte Ahnung<br />
von der Eisbereitung, die hatten ja schon zuvor das Eisstadion<br />
in Inzell geplant.“<br />
Am <strong>Königssee</strong> befanden sich die Kurven mittlerweile in massiver<br />
Betonstein-Bauweise. „Deyle sah das und meinte, das<br />
Sepp Lenz auf den Kühlrohren der S-Kurven-Kombination<br />
während des <strong>Kunsteisbahn</strong>-Baus 1968.
1959 1969<br />
Bahnbau in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n: Die Kunstbahn-Kurven wurden noch aufgemauert,<br />
mussten später im Zuge des Baus der <strong>Kunsteisbahn</strong> jedoch wieder abgerissen werden.<br />
müssen wir alles wegreißen – gerade, als wir<br />
mit all dem fertig waren“, so Lenz. Die Möglichkeit,<br />
die Rohre auf diese Steine zu bauen,<br />
gab es nicht. „Das war ein Schlag ins Gesicht“.<br />
Keine schlechte Nachricht ohne gute: Die ursprüngliche<br />
Linienführung konnte beibehalten<br />
werden, das war Sepp Lenz und seinem Team<br />
wichtig. Ebenfalls klar: Eine reine Rodelbahn<br />
konnte es nicht werden, ein Bundesleistungszentrum<br />
sollte später allen Kufen-Athleten eine<br />
sportliche Heimat bieten. „Es musste ein kombiniertes<br />
Projekt werden, damit auch die Bobs<br />
bei uns starten können“. Sepp Lenz und seine<br />
Sportkameraden zeigten sich darüber nicht<br />
restlos zufrieden: „Wir hätten schon gern eine<br />
reine Rodelbahn gehabt. Ab diesem Zeitpunkt<br />
sind wir aber dann meistens auf den breiteren<br />
Bobbahnen gefahren“.<br />
funktionierte nicht. Die Kurven mussten mit Brettern –<br />
Dachlatten – eingeschalt werden. „Die große Frage war, wie<br />
da der Beton reinkommen soll? Von oben in eine vier Meter<br />
hohe Wand bis runter an die Sohle und auf der anderen<br />
Seite wieder ein Stück rauf, mit all den Rohren, der Bewährung<br />
aus Eisen und so weiter. Sie haben es hinbekommen,<br />
mit einer Schalung von oben bis unten, sogar auf den Geraden“,<br />
wundert sich der Lenz Sepp noch heute. Mal mit<br />
einem weicheren – nicht optimal –, mal mit normal hartem<br />
Beton. Die damalige Annahme, informiert der Experte, hohe<br />
Kurven seien sicher, war jedoch falsch. „Weil ich dabei unheimlich<br />
weit von der Ideallinie abkomme. Wir waren alle<br />
keine Ingenieure, mussten erst lernen, wie es am besten<br />
funktioniert.“ Die Kurven hatte unter anderem ein Straßenbau-Ingenieur<br />
konzipiert, der davon aber nicht viel Wissen<br />
besaß. Die Bobs gerieten oft in den Übergang, der sie<br />
regelrecht an die untere Innenwand der Kurve zurückschmiss.<br />
Kompromiss für die Bobfahrer<br />
Mit der Zeit gelang die Umstellung. Im Grunde<br />
liege der Unterschied im Kurvenradius,<br />
der bei den Rodlern enger ist, die Abfolge an<br />
sich erfolge rascher. „Die Bobpiloten wünschten<br />
sich damals noch nach jeder Kurve eine<br />
mindestens sechs Meter lange Gerade.“ Damit<br />
konnten die Rodler nichts anfangen und<br />
verweigerten zunächst. Die Kompromissfindung<br />
ergab: „Wir haben die S-Kurven so gebaut,<br />
dass die Bobs gut durchkamen. Da hat<br />
der Praktiker dann mal wieder recht gehabt“,<br />
meint Sepp Lenz augenzwinkernd. Rasch fand<br />
das berühmte „S“ im Berchtesgadener Land<br />
helle Begeisterung bei den anderen Nationen,<br />
die es nachbauen wollten. Aber bis heute hat<br />
es niemand so hinbekommen wie <strong>Königssee</strong>,<br />
das nicht nur in diesem Punkt Alleinstellungsmerkmal<br />
besitzt. „Alle fahren hier gern“, weiß<br />
Lenz. Das Labyrinth mit seinen Wellenlinien ist<br />
ebenfalls etwas ganz Besonderes: „Diese kurzen<br />
Wechsel mit ihren Drehungen sind nicht<br />
leicht hinzubekommen“, sagt er. „Die müssen<br />
in der Höhe exakt stimmen“.<br />
Der <strong>Kunsteisbahn</strong>-Bau begann im Sommer<br />
1968 mit der schwierigsten Kurve, der Echowand.<br />
Spritzbeton war angedacht, doch das<br />
Die ersten Winter waren eine Mogelpackung<br />
Die Kurven-Ein- und Ausfahrten stimmten anfangs genausowenig:<br />
„Ja mei, das war was“, erinnert sich Sepp Lenz<br />
mit Schaudern an die Bauzeit Ende der 1960er-<strong>Jahre</strong>. Es<br />
waren Buckel drin, mit regelrechten Sprüngen. Das hat er<br />
sofort gesehen und Richard Hartmann mitgeteilt. „Ob die<br />
Querneigungen passten, konnte ich nicht abschätzen“. Mit<br />
20 Zentimetern Extra-Eis musste Sepp Lenz die Buckel ausgleichen<br />
und durfte nichts sagen, das war der „Das machst<br />
Du schon, Sepp“-Deal mit Hartmann – „sonst wären wir bis<br />
Weihnachten nicht fertig geworden“.<br />
Nichts hat gestimmt, keine einzige Kurve, das Labyrinth,<br />
nichts. Damals war‘s mehr schlecht als recht. Somit haben<br />
wir wieder angefangen mit dem Schneematsch“, erzählt<br />
Lenz heute amüsiert. Ehe er etwas am Beton nach der Saison<br />
verändern konnte, probierte er es immer erst mit einem<br />
Modell aus Schnee aus – das war seine „Sicherheit“. Im<br />
Lauf der <strong>Jahre</strong> hat er Kurve für Kurve in mühsamer Sommer-Handarbeit<br />
neben seiner normalen beruflichen Anstellung<br />
als Schiffskapitän auf dem <strong>Königssee</strong> reguliert: „Somit<br />
hatten wir immer gut zu tun, das hörte eigentlich nie auf“.<br />
Dabei stieß Sepp Lenz durchaus auf Widerstände, massive<br />
mitunter: „Skepsis war immer mit dabei, ob das schon was<br />
Gescheites ist, was ich da mache“.<br />
Kurz nach Weihnachten 1968 war die erste <strong>Kunsteisbahn</strong><br />
der Welt fertig...
In Silber-„Plastik“ von 1992<br />
Schlittensport-Geschichte wird am <strong>Königssee</strong><br />
durch historische „Rennen“ erlebbar gemacht<br />
Bei den historischen Bewerben muss stets auch das Outfit<br />
der damaligen Zeit angemessen erscheinen.<br />
Im Rahmen historischer „Rennen“ wird die Schlittensport-Geschichte<br />
– in erster Linie des Bob- und Rodelsports<br />
– am <strong>Königssee</strong> immer wieder mal für alle Fans<br />
erlebbar gemacht. Beim Weltcup-Finale 2018 beispielsweise,<br />
als nach 2016 und 2017 zum dritten Mal ein dutzend<br />
historischer Gefährte die tausenden Besucher begeisterten.<br />
Dabei stehen die alten „Boliden“ nicht nur irgendwo herum,<br />
um bestaunt zu werden, sondern kommen aktiv in der<br />
Bahn zum Einsatz. Dem nicht genug: In den Schlitten sitzen<br />
prominente Sportler an den Lenkseilen, die „hinten drin“<br />
gleichfalls bekannte Persönlichkeiten – ehemalige Athleten,<br />
Politiker, TV-Stars oder Funktionäre – sicher zu Tal bringen.<br />
Der sportliche Ehrgeiz steht dabei nicht unbedingt im<br />
Vordergrund. Es geht eher darum, zwei gleichmäßige Läufe<br />
vom Jugendstart ins Ziel zu bringen. Da die Bobs aus einer<br />
rund 70-jährigen Zeitspanne stammen, macht eine Schnelligkeitswertung<br />
keinen Sinn – einige Schlitten erreichen<br />
schließlich gerade so die Zeitnahme.<br />
Die ältesten „Kisten“ stammen aus dem <strong>Jahre</strong> 1948, die<br />
jüngsten sind mittlerweile auch schon 18 <strong>Jahre</strong> alt. Mit<br />
von der Historic-Partie waren bereits Ex-Formel 1-Rennfahrer<br />
Heinz-Harald Frentzen, Bob-Legende Wolfgang Hoppe,<br />
Weltverbands-Präsident Ivo Ferriani (IBSF), BSD-Generalsekretär<br />
Thomas Schwab, der Bob-Weltmeister von 2013 und<br />
2015 Maximilian Arndt, Dr. Markus Herzog, Sohn des 2017<br />
verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog,<br />
„Dahoam is Dahoam“-Schauspieler Michael A. Grimm,<br />
der kanadische Bob-Fahrer Lyndon Rush sowie Rennfahrerin<br />
und TV-Moderatorin Christina Tomczyk-Surer, Ehefrau<br />
von Ex-DTM-Pilot Martin Tomczyk aus Rosenheim.<br />
Der Hornschlittenverein Partenkirchen präsentierte sich bei der<br />
46. FIL-Rodel-Weltmeisterschaft 2016 an der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong>.<br />
der <strong>Kunsteisbahn</strong> befahren werden. Dabei erreichten die<br />
Schlitten immerhin bis zu 35 km/h. Zum traditionellen Hornschlittenrennen,<br />
das stets am 6. Januar in Garmisch-Partenkirchen<br />
stattfindet, kommen rund 5.000 Zuschauer.<br />
Vor der Rodel-WM im Berchtesgadener Land begaben sich<br />
acht Weltklasse-Rodler zum Gasthaus Vorderbrand, um an<br />
der Sliding-Challenge eines Sponsors teilzunehmen. Am<br />
Ende ertönte die amerikanische Hymne: Erin Hamlin aus<br />
den USA hatte sich den Sieg geholt, war der „vorgelegten“<br />
Zeit von Schorsch Hackl bis auf drei Zehntel am nächsten<br />
gekommen. Auf der wegen der Plusgrade auf rund 1<strong>50</strong> Meter<br />
verkürzten und weichen, aber gut zu rodelnden Strecke<br />
inklusive „Lauf“-Kreisel oberhalb des Gasthauses, stand für<br />
Athleten wie Besucher der Spaß im Vordergrund.<br />
Neben Erin Hamlin und Schorsch Hackl waren Lokalmatador<br />
Felix Loch, Natalie Geisenberger, das heimische Spitzendoppel<br />
Tobias Wendl/Tobias Arlt sowie Chris Mazdzer,<br />
Semen Pavlichenko und Tatjana Ivanova aus Russland mit<br />
von der Partie.<br />
Hornschlitten mit 35 km/h unterwegs<br />
Der Hornschlittenverein Partenkirchen präsentierte sich bei<br />
der 46. FIL-Rodel-Weltmeisterschaft 2016 an der <strong>Kunsteisbahn</strong><br />
<strong>Königssee</strong>. Sechs Herren und zwei Damen boten<br />
Mitfahrgelegenheiten auf ihren traditionellen Gefährten in<br />
„Werdenfelser Bauart“ an. Trotz geringer Schneelage konnte<br />
die etwa 3<strong>50</strong> Meter lange Naturstrecke auf der Wiese neben<br />
Olympiasieger Felix Loch als Anschieber für die beiden Super-Tobis<br />
Wendl (vorn) und Arlt bei der Sliding-Challenge 2016 in den silbernen<br />
„Plastik“-Anzügen der Olympischen Spiele 1992 in Albertville.
<strong>Königssee</strong>-Zeitraffer:<br />
1968<br />
1970<br />
1972<br />
1999<br />
Juli 1959: Bau der Kunstrodelbahn durch den WSV<br />
<strong>Königssee</strong>, rund 1000 freiwillige Arbeitsstunden mit<br />
Unterstützung durch den Fremdenverkehrsverband<br />
Berchtesgaden sowie unter der Leitung von Lorenz<br />
Lenz senior, Vater des späteren Bundestrainers Sepp<br />
Lenz aus <strong>Königssee</strong>. Kosten: 15.000 Mark, Länge 1100<br />
Meter, Breite 2,5 Meter, 18 Kurven, durchschnittliches<br />
Gefälle elf Prozent.<br />
Januar 1960: Eröffnung der Kunstbahn mit der Internationalen<br />
Süddeutschen Rennrodelmeisterschaft. Alle<br />
Titel bei den Erwachsenen gingen nach Österreich:<br />
Hellmut Thaler gewann vor Lokalmatador Hans Plenk<br />
vom RC Berchtesgaden. Bei den Damen entführte Renate<br />
Reiter ebenfalls Platz 1 ins rot-weiß-rote Lager,<br />
für die heimischen Rodlerinnen gewann Zenzi Plenk<br />
(RCB) Bronze. Die Thaler-Brüder waren die schnellsten<br />
Doppelsitzer, vom WSV <strong>Königssee</strong> landeten Sepp Lenz<br />
und Nepomuk Beer junior knapp dahinter. Die Nachwuchsrennen<br />
gewannen mit Josef Fleischmann, Karin<br />
Kurz und dem Doppel Fleischmann/Nadless ausnahmslos<br />
<strong>Königssee</strong>-Athleten.<br />
März 1961: Erstes Kurgäste-Rodeln – bis heute ohne<br />
Unterbrechung im Angebot.<br />
1961 - 1963: Ausbau der Bahn mit einem Kostenrahmen<br />
von fast 1<strong>50</strong>.000 Mark, bezahlt vom Fremdenverkehrsverband<br />
Berchtesgaden. Die Kurven wurden verbessert,<br />
Wasserversorgung, Beleuchtung, Telefon- und<br />
Lautsprecher installiert. 1962 erfolgte der Ausbau für<br />
Zweierbobs.<br />
26./27. Januar 1963: Erstes Zweierbob-Rennen mit<br />
der Bayerischen Meisterschaft und den Siegern Franz<br />
Wörmann/Horst Wagner vom SC Rießersee.<br />
1963/64: Bau eines Zielhauses mit insgesamt 185<br />
Kubikmetern umbautem Raum für Kampfrichter, Presse,<br />
Sanitäter. Kosten: <strong>50</strong>.790 DM, übernommen vom<br />
Fremdenverkehrsverband. Er stellte zudem die Arbeitskräfte<br />
und die Fahrzeuge für den Transport der Eisblöcke<br />
vom Aschauerweiher in Bischofswiesen zur Bahn.<br />
März 1965: Ernennung zum Bundesleistungszentrum<br />
Rennrodeln.<br />
1966: Bau der Starthäuser und Asphaltierung der<br />
Bahnsohle – dadurch war fortan ein Sommertraining<br />
mit Räderschlitten möglich.<br />
28./29. Januar 1967: Rodel-Europameisterschaft<br />
mit den Titelträgern Leonhard Nagenrauft und Christa<br />
Schmuck vom RC Berchtesgaden sowie dem Doppel<br />
Feistmantl/Bichl aus Österreich.<br />
27./28. Januar 1968: Rodel-Junioren-EM – die Sieger:<br />
Dana Beldova (CSSR), Siegfried Müller und das<br />
Doppel Müller/Roßmann (alle DDR).<br />
Sommer bis <strong>Jahre</strong>sende 1968: Ausbau zur ersten<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt. Pläne und Bauleitung: Ingenieur-Büro<br />
Deyle Stuttgart. Kosten: 4,6 Millionen DM,<br />
getragen durch den Bund (80 Prozent) und das Land<br />
Bayern. Die Daten: 1114 Meter Länge, 16 Kurven, durchschnittliches<br />
Gefälle elf Prozent.<br />
1./2. Februar 1969: Eröffnung der Bahn mit der 11.<br />
Rodel-Weltmeisterschaft, 20.000 Zuschauer strömten<br />
an den <strong>Königssee</strong>, das Fernsehen übertrug live. Traurig:<br />
Der Pole Stanisĺaw Paczka wurde am 1. Februar<br />
während des zweiten Laufs aus der dritten S-Kurve<br />
getragen und prallte gegen einen Baum. Der damals<br />
23-Jährige erlag wenig später seinen schweren Verletzungen.<br />
Frühjahr 1969: Auf der Berchtesgadener Breitwiese<br />
entsteht das erste Mannschaftshaus des Bundesleistungszentrums<br />
Rodeln – später auch für den Bobsport.<br />
Kosten: rund eine Million DM (70 Prozent Bund, 20<br />
Prozent Bayern, 10 Prozent Landkreis). Das Gebäude<br />
umfasste Schlafräume für 35 Personen, einen Gemeinschaftsraum,<br />
Unterrichtsraum, eine Küche und eine<br />
Werkstatt, einen Massage- und einen Kraftraum. Landrat<br />
Dr. Rudolf Müller übergab das Gebäude Ende April<br />
1969 feierlich seiner Bestimmung. Kurz zuvor, am 15.<br />
März, hatte das erste Zweierbob-Rennen auf <strong>Königssee</strong>-Kunsteis<br />
stattgefunden.<br />
24. Januar 1975: Einweihung der Spiel- und Sporthalle<br />
beim Mannschaftshaus des Bundesleistungszentrums<br />
in Berchtesgaden. Die 24 mal 45 Meter große<br />
Halle kostete rund vier Millionen DM.<br />
11. Dezember 1975: Einweihung der ersten künstlich<br />
vereisbaren Anschubrampe der Welt. Der Bund<br />
übernahm die kompletten Kosten von 3<strong>50</strong>.000 DM.<br />
1976: Umbau der Bahn für Viererbobs, Kosten rund<br />
acht Millionen DM, durch den Einbau des Kreisels mit<br />
42 Metern Durchmesser. Die Bahn wurde auf die von<br />
der FIBT vorgeschriebene Mindestlänge von 1200 Metern<br />
gebracht. See- und Kehlsteinkurve erhielten ein<br />
neues Querprofil und die Kurvenränder zusätzliche<br />
Holzüberkragungen zur Verbesserung der Sicherheit.<br />
Bau eines neuen Zielhauses.<br />
22. Januar 1977: Erstes Viererbob-Rennen mit einer<br />
Deutschen Meisterschaft.<br />
1978: Umbau für die Rodel-WM 1979 sowie die erste<br />
im Zweier- und Viererbob am <strong>Königssee</strong>. Kosten für
...von 1959 bis heute<br />
2018<br />
2015<br />
2018<br />
die Verbesserung der Bob-Startanlage sowie die bergseitigen<br />
Zuschauerstege: 2,1 Millionen DM.<br />
Februar 1985: Umbau und Erweiterung des Zielhauses<br />
mit Räumen für die Presse, Ehrengäste, Dopingund<br />
Gewichtskontrollen. Errichtung einer Fußgängerunterführung<br />
an der alten Zielkurve, Kälteisolierung<br />
und Automatisierung der Bahnkühlung zur Energieeinsparung,<br />
Sanierung der Bahnflächen – Kosten insgesamt<br />
rund 3,6 Millionen DM.<br />
1991 - 1993: Verlängerung des Auslaufes zur Sicherheit<br />
der Sportler im Zuge der Errichtung der Kurve 19.<br />
1997 - 1999: Sanierung der kältetechnischen Einrichtungen<br />
im Maschinenhaus mittels zweier Bauabschnitte,<br />
um einerseits eine Energieoptimierung zu erzielen,<br />
andererseits den sicherheitstechnischen Anforderungen<br />
gerecht zu werden.<br />
2003: Mit Blick auf die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft<br />
2004 Neubau und Erweiterung des gesamten<br />
Startbereichs für den Bobsport, die Rodel-Damen, die<br />
Doppelsitzer und Skeletoni. In diesem Zuge mussten<br />
die Vorbereitungs-, Start- und Anlaufzone sowie das<br />
Funktionsgebäude den international geltenden Bestimmungen<br />
der IBSF angepasst werden. Baukosten<br />
rund drei Millionen Euro.<br />
Februar 2005: Das heutige Turbodrom erhält den Namen<br />
Sepp Lenz-Kreisel.<br />
23. November 2009: Trauriger Höhepunkt der Neuzeit<br />
am <strong>Königssee</strong>. Die Verkettung menschlicher Fehlentscheidungen<br />
führte zu einem tragischen Unglück.<br />
Dabei erlitt die damals 20-jährige Anschieberin Irina<br />
Skworzowa aus Russland schwerste Verletzungen mit<br />
zahlreichen offenen Brüchen. Sie musste daraufhin<br />
über <strong>50</strong> Mal operiert werden und leidet bis heute an<br />
den Folgen. Ein langer Gerichtsprozess war die Folge.<br />
2010/11: Im Vorfeld der Bob- und Skeleton-WM 2011<br />
wurde der gesamte untere Bereich der Bahn neu konzipiert.<br />
Der enge Radius der Echowand, der für Fliehkräfte<br />
von mehr als dem sechsfachen des eigenen Körpergewichts<br />
sorgte, sowie zu geringe räumliche Kapazitäten<br />
im Zielhaus und im Auslauf waren im Hinblick auf die<br />
Bewerbung der Olympischen Winterspiele 2018 hierfür<br />
ausschlaggebend. Rund 22 Millionen Euro waren im<br />
Vorfeld veranschlagt. Am 25. März 2010 geriet jedoch<br />
rund die Hälfte des Kreisels bei Demontagearbeiten in<br />
Brand, die WM 2011 geriet in Gefahr. Der Umbau wurde<br />
forciert, bis November wurde mit Hochdruck gearbeitet.<br />
Neben einigen Funktionsbauwerken, beispielsweise<br />
im Zielbereich, wurden der gesamte Startbereich bis<br />
zur Kurve 5 sowie der komplette untere Bahnteil ab<br />
Kurve 15 über die Zielkurve hinaus bis zum Auslauf<br />
neu gebaut und damit den aktuellen Anforderungen<br />
des IBSF-Reglements angepasst. Alles wurde rechtzeitig<br />
fertig, die Weltmeisterschaft konnte am 14. Februar<br />
2011 planmäßig beginnen – <strong>Königssee</strong> war für Cortina<br />
d‘Ampezzo eingesprungen, dort hatte es Probleme mit<br />
der Bahn und der Organisation gegeben.<br />
2011/12: Umbau des Herrenstarts sowie der Kurven 1<br />
und 2 mit Neubau des Startgebäudes durch den neuen<br />
Bahn-Sponsor Deutsche Post.<br />
2016: Von 29. bis 31. Januar geriet die Deutsche<br />
Post-Eisarena <strong>Königssee</strong> – diesen Namen erhielt sie<br />
im Oktober 2014 – in den Fokus der internationalen<br />
Sportszene, als die 46. FIL-Rennrodel-Weltmeisterschaft<br />
ausgetragen wurde. Genau 17 <strong>Jahre</strong> nach der<br />
letzten WM bot die 1968 erbaute und 1969 eröffnete<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> die ideale Plattform für 120 Sportlerinnen<br />
und Sportler aus 24 Nationen.<br />
15. September 2017: Eröffnung des hochmodernen<br />
Regionalzentrums Chiemgau / Berchtesgadener<br />
Land des Olympiastützpunktes Bayern, gleichzeitig<br />
BSD-Zentrum.<br />
2017: Für die 62. IBSF Bob- und Skeleton-WM war ursprünglich<br />
das für die Olympischen Winterspiele 2014<br />
erbaute Sliding Center Sanki in Krasnaja Poljana in<br />
der Nähe von Sotschi, Russland, vorgesehen. Aufgrund<br />
der Erkenntnisse des am 9. Dezember 2016 veröffentlichten<br />
McLaren-Reports zum systematischen Doping<br />
in Russland entzog der Weltverband dem Land kurzfristig<br />
die Austragung beider Veranstaltungen. Lettland<br />
und Südkorea hatten im Vorfeld angekündigt, an<br />
einer Weltmeisterschaft in Sotschi nicht teilnehmen zu<br />
wollen. Am 19. Dezember 2016 gab die IBSF bekannt,<br />
dass die Titelkämpfe 2017 am <strong>Königssee</strong> stattfinden<br />
werden. Der deutsche Verband hatte nur knapp sechs<br />
Wochen Zeit, die WM vorzubereiten. Alles klappte bestens<br />
und die Rennen avancierten zum vorerst letzten<br />
Sport-Großereignis in der Region.<br />
Januar 2018: Exakt ein Jahr später, Ende Januar<br />
2018, fand an drei Tagen das Bob- und Skeleton-Weltcupfinale<br />
am <strong>Königssee</strong> statt.<br />
3. - 6. Januar 2019: Am 3. Januar feiert der BSD in<br />
Bad Reichenhall 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn und <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> mit einem Festabend vor<br />
der Alten Saline in Bad Reichenhall. Am 5. und 6. Januar<br />
geht traditionell der Rodel-Weltcup als erstes Sportereignis<br />
eines neuen <strong>Jahre</strong>s über die Bühne.
Mit dem Ausweis<br />
zu Besuch beim Opa<br />
Richard Hartmann:<br />
Visionär, Macher, Ideengeber,<br />
Finanzbeschaffer, Funktionär<br />
1959 1969<br />
Richard Hartmann ist eine Gedenktafel<br />
an der Bahn gewidmet. Der Präsident des<br />
Deutschen Bob- und Schlittensportverbandes<br />
war Initiator der ersten kombinierten<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt.<br />
Wenn Bundespräsident Gustav Heinemann<br />
oder der Bayerische Ministerpräsident<br />
Franz-Josef Strauß zu<br />
Besuch waren, mussten die Enkel Gerald und<br />
Richard an der Gartentür ihre Ausweise herzeigen,<br />
wenn sie ihren Opa Richard Hartmann<br />
besuchen wollten. „Das Haus war dann immer<br />
rundum gesichert wie ein Staatsgebäude“, erinnert<br />
sich der heute 42-jährige Enkel Richard,<br />
Richard Hartmann erklärt Bundespräsident Gustav Heinemann<br />
im Rahmen der Einweihung des neuen Mannschaftshauses<br />
1969 die Feinheiten des Rodelsports.<br />
Richard Hartmann, der Enkel des großen Funktionärs<br />
mit dem gleichen Namen, erinnert sich noch gut an<br />
seinen Opa. Er ist Trainer der Kreisklassen-Fußballer<br />
des TSV Berchtesgaden.<br />
wie sein Großvater und sein Vater mit diesem Vornamen<br />
ausgestattet, Lehrer an der Bacheifeldschule in Berchtesgaden,<br />
seit 2008. Heute wohnt er im Haus seines bekannten<br />
Opas in <strong>Königssee</strong>, auf dem Dachboden lagern alte Baupläne,<br />
Skizzen, Aufzeichnungen, stapelweise Brief-Korrespondenz<br />
aus den 1960er- und 1970er-<strong>Jahre</strong>n, hunderte Fotos<br />
und vieles mehr – Zeitdokumente aus einer spannenden<br />
Epoche, als die erste <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> gebaut<br />
wurde. Sie steht seit <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n und bleibt, wie der Name<br />
Richard Hartmann, eng mit dem Visionär, Macher, Ideengeber,<br />
Finanzbeschaffer, Funktionär verbunden.<br />
Richard Hartmann senior verstarb am 15. September – auf<br />
den Tag genau zwei Monate nach seinem 70. Geburtstag<br />
– im Kreiskrankenhaus Berchtesgaden. Bei der Feier des<br />
runden Ehrentages hatten Gerald und Richard ihrem Opa<br />
noch ein Ständchen gebracht.<br />
Eine echte Erscheinung<br />
Der verdienstvolle Präsident des damaligen Deutschen Bobund<br />
Schlittensportverbandes (DBSV) hatte seit den Olym-
pischen Winterspielen 1984 in Sarajevo an einem schweren<br />
Leberleiden gelitten. Erst zwölf Stunden vor seinem Tod<br />
war er von einer Spezialklinik in Bad Kissingen nach Berchtesgaden<br />
verlegt worden.<br />
Hartmann hinterließ seine Frau und zwei Kinder. Enkel Richard<br />
war damals acht <strong>Jahre</strong> alt: „Ich erinnere mich an die<br />
große Anteilnahme während der Beisetzung – mit Fernsehen,<br />
Fotografen, sogar die BILD war da“. Der Großvater sei<br />
ein dominanter Mann gewesen, eine „echte Erscheinung“,<br />
sagt der aktuelle Fußball-Coach der Berchtesgadener Kreisklassen-Kicker.<br />
stand sich stets als Macher und bald als Funktionär. Nach<br />
seiner Pensionierung widmete sich Hartmann schließlich<br />
mit ganzer Kraft und Energie, unter anderem als Präsident<br />
des DBSV, Vizepräsident des Weltverbandes FIL und Präsidiumsmitglied<br />
des Nationalen Olympischen Komitees (NOK)<br />
dem Sport. Ab 1962 war er „Sportwart Rodeln“ im DBSV,<br />
ab 1968 und bis zu seinem Tode 1984 dessen Präsident.<br />
1977 überreichte ihm der Bayerische Kultusminister Hans<br />
Maier das Bundesverdienstkreuz am Bande.<br />
Mit großer Geduld und Leidenschaft<br />
Mit Akribie – für ihn gab es keine Arbeitszeit – großer Geduld<br />
und Leidenschaft verstand es Richard Hartmann, immer<br />
wieder die nötigen Finanzmittel in Bonn und München<br />
loszueisen. Bei Konflikten suchte er stets nachdenklich und<br />
leise den Ausgleich, stand stets hinter Trainern und Sportlern.<br />
Ohne ihn gäbe es heute wohl weder die <strong>Kunsteisbahn</strong><br />
noch das Bundesleistungszentrum.<br />
Der 70. Geburtstag wurde noch groß gefeiert, zahlreiche<br />
Repräsentanten des internationalen und nationalen Sports<br />
kamen, um zu gratulieren. Richard Hartmann war noch voller<br />
Pläne und Ideen. Seine geliebte <strong>Königssee</strong>r Bahn wäre<br />
perfekt, meinte er damals, nur das Zielhaus sei viel zu klein<br />
und müsse im Hinblick auf die Bob-WM 1986 unbedingt<br />
ausgebaut werden. Eine große Vision waren Olympische<br />
Spiele in seiner neuen Heimat, die Bewerbung für 1992<br />
unterstützte er mit all seiner Kraft. Die Entscheidung für<br />
Albertville und somit gegen Berchtesgaden erlebte Richard<br />
Hartmann nicht mehr mit. Er wurde am Bergfriedhof beigesetzt.<br />
Richard Hartmann bei der Weltmeisterschaft 1970 am <strong>Königssee</strong><br />
mit Sieger Sepp Fendt, dem heutigen FIL-Präsidenten.<br />
Richard Hartmann war von Beruf Lehrer, später Rektor und<br />
Schulrat. Am 15. Juli 1914 in Solln bei München geboren<br />
avancierte er in seiner langen Laufbahn zum engagierten<br />
Sportfunktionär – mehrfach ausgezeichnet und geehrt. Der<br />
deutsche Bob- und Rodelsport verlor mit ihm viel zu früh<br />
einen seiner Pioniere.<br />
1952 zählte der Familienvater zu den Gründern des WSV<br />
<strong>Königssee</strong> und gehörte zu jener Garde, die das Rodeln in<br />
Deutschland populär machte. Er gilt zusammen mit Sepp<br />
Lenz als „Vater der <strong>Kunsteisbahn</strong>“ am <strong>Königssee</strong>, heute ein<br />
Zentrum des internationalen Rennrodel-, Bob- und Skeletonsports.<br />
Auf Hartmanns Initiative entstand 1965 hier, im<br />
südlichen Berchtesgadener Land, obendrein das moderne<br />
Bundesleistungszentrum.<br />
1937 kam der Lehrer berufsbedingt nach Oberbayern, er<br />
war Schulleiter in <strong>Königssee</strong> und später bis 1978 Rektor in<br />
Bischofswiesen. Berchtesgaden avancierte zu seiner neuen<br />
Heimat mit einer zweiten Leidenschaft: Der Kufensport.<br />
Allerdings nicht als Aktiver. Denn Richard Hartmann saß<br />
nie auf einem Rodelschlitten, nie in einem Bob. Er ver-<br />
Der 70. Geburtstag: Richard Hartmann (links) mit seinen<br />
Enkelsöhnen Gerald (links/verstorben 2014) und Richard, die ihrem<br />
Opa ein Ständchen bringen. Das Mikrofon hält Günter Gscheidlinger,<br />
langjähriger Geschäftsführer des BSD, der im April dieses <strong>Jahre</strong>s mit<br />
79 <strong>Jahre</strong>n verstarb. Einen Monat nach diesem Bild erlag<br />
der große Funktionär Richard Hartmann seiner Erkrankung.
Jubel und Tränen zum Start<br />
Bahn-Chronik:<br />
Teil 4<br />
Millionen Zuschauer und ein Todesfall –<br />
Hans Plenk bestritt die Jungfernfahrt<br />
Der gebürtige Berchtesgadener Hans Plenk bestritt im<br />
Januar 1969 die mutige Jungfernfahrt in der neuen,<br />
ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt am <strong>Königssee</strong> – sofort<br />
von ganz oben, vom Herrenstart. Es ging gut.<br />
Januar 1971: Horst Floth und Bepi Bader vom SC Rießersee<br />
auf ihrer <strong>Königssee</strong>-Fahrt zum Europameistertitel.<br />
1959 1969<br />
Alles begann mit einer Weltmeisterschaft,<br />
der elften insgesamt. „Und wir mussten<br />
erst noch viel lernen“, sagt Sepp Lenz,<br />
Miterbauer der ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />
am <strong>Königssee</strong>. Weihnachten 1968 war sie nach<br />
nur vier Monaten Bauzeit fertig. Rodel- und<br />
sogar Bob-bereit. Doch das große Sportfest<br />
Anfang 1969 erhielt seinen Schatten: Der Pole<br />
Stanisĺaw Paczka wurde am 1. Februar während<br />
des zweiten Laufs aus der dritten S-Kurve<br />
getragen und prallte gegen einen Baum. Der<br />
damals 23-Jährige erlag wenig später seinen<br />
schweren Verletzungen.<br />
Die FIL, der Weltverband, ermittelte, und kam<br />
zur Erkenntnis beziehungsweise dem „offiziellen<br />
Ergebnis“, dass der Unfall nicht auf die zugegebenermaßen<br />
noch sehr schwierigen Bahnverhältnisse,<br />
sondern einen Fahrfehler des<br />
sonst so erfahrenen Sportlers zurückzuführen<br />
war. Die Wettkämpfe wurden fortgesetzt, der<br />
„Berchtesgadener Anzeiger“ titelte: „Millionen<br />
erlebten erste Weltmeisterschaft am <strong>Königssee</strong>“.<br />
Das Fernsehen übertrug viele Stunden<br />
lang und zeigte unter anderem die rasanten<br />
Abfahrten der heimischen Rodlerin Christa<br />
Schmuck, die WM-Dritte wurde.<br />
Über 20.000 Zuschauer strömten an die neue<br />
Bahn – für damalige Verhältnisse ein Meisterwerk<br />
– um 130 Sportler aus 14 Nationen zu beobachten.<br />
Im Jahr darauf fand auch die 12. WM<br />
am <strong>Königssee</strong> statt, der Berchtesgadener Sepp Fendt, der<br />
heutige FIL-Präsident, holte sich seinen ersten großen Titel.<br />
Kaputte Netze verhinderten Rennen<br />
Nach dem Todessturz des Polen 1969 schaute ein Professor<br />
aus Salzburg vorbei und forderte, dass die Kurven<br />
oben „zugemacht“ werden müssen. Er brachte Zäune ins<br />
Gespräch, die bereits auf den Autobahnen zum Einsatz<br />
kamen. Der Gelehrte rief Respekt hervor. Alle fünf Meter<br />
wurden Stützen errichtet und daran eine Art Hasengitter<br />
gehängt. Es folgte der nächste tödliche Unfall: „Ein Rodler<br />
fuhr in der Zielkurve zu weit nach oben und prallte mit dem<br />
Hinterkopf an eine der Stützen“, erzählt Lenz. Er erinnert<br />
sich, dass ohnehin viele gegen diese Netze waren, weil<br />
sie ständig von den Bob-Kufen aufgerissen wurden. „Ganze<br />
Mannschaften konnten tagelang nicht fahren, weil die Netze<br />
geflickt werden mussten – ein Chaos“.<br />
Letzte Arbeiten vor der Eröffnung der <strong>Kunsteisbahn</strong> 1969 an der Seekurve.
Mit der Zeit kehrten Verantwortliche und Sportler zurück zu<br />
den heute üblichen Brettern. Sie besitzen zudem den Vorteil<br />
einer Art Überdachung: „Es regnet nicht mehr direkt in<br />
die Bahn, die Sonnensegel können fast senkrecht gespannt<br />
werden. Darauf bleibt auch kein Schnee mehr liegen, der<br />
früher noch immer direkt in die Bahn fiel“. Sepp Lenz erinnert<br />
sich, dass es früher halt auch keine Bahn-Spezialisten<br />
wie heute gab. „Von normalen Handwerkern, Maurern und<br />
so weiter konnte nicht erwartet werden, dass sie wussten,<br />
was an der Bahn gemacht werden musste“.<br />
Sepp Lenz war zehn <strong>Jahre</strong> zuvor – als Ideengeber und Miterbauer<br />
konsequenter- und logischerweise – als erster in<br />
die neue Kunstbahn gestartet. „Das war schon aufregend<br />
und ein Wagnis, dieses komplette Neuland zu betreten.“<br />
Freilich ging‘s nicht gleich von ganz oben los, Stück für<br />
Stück arbeitete sich der Experte vom WSV <strong>Königssee</strong> nach<br />
oben. Es ging gut. 1969 rodelte Lenz nach seinem bösen<br />
Sturz im Rahmen der Olympischen Spiele von 1964 in Innsbruck<br />
nicht mehr. Jetzt war es Hans Plenk, 1965 Weltmeister<br />
von Davos, der die Jungfernfahrt in der nagelneuen <strong>Kunsteisbahn</strong><br />
bestritt – sofort von ganz oben, vom Herrenstart.<br />
Es ging wieder gut. Das ließ die DDR nicht lange auf sich<br />
sitzen. Rasch folgten weitere Bahnen in Oberhof und Altenberg,<br />
dazwischen das westdeutsche Winterberg...<br />
Die ersten Zweierbobs wagten sich ebenfalls bereits Anfang<br />
1969 in die neue Betonröhre mit Kunsteis. Am 15. März fand<br />
das Debüt-Rennen statt, die Rießerseer Horst Floth und<br />
Pepi Bader gewannen einen international ausgefahrenen<br />
Pokal-Bewerb, 1971 wurden sie <strong>Königssee</strong>-Europameister.<br />
Fingerspitzengefühl gefragt<br />
Das Erstaunliche: Der Beton hält jetzt schon seit <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n.<br />
„Da muss man schon aufpassen, wenn man da mit der<br />
Kälte zu schnell reingeht, damit da nichts reißt“, sagt Lenz.<br />
Einen richtigen Riss gab es zum Glück noch nie, dank des<br />
Fingerspitzengefühls der jeweiligen Bahnchefs und ihrer<br />
Mitarbeiter. Würde das passieren, müsste die entsprechende<br />
Kurve vermutlich komplett neu gebaut werden. Die ganze<br />
Bahn ist auf einem Brückensystem aufgebaut, vor allem<br />
in der Länge ist „Bewegung“ drin, berichtet Lenz, darum<br />
seien Trennfugen enthalten. Die Bahn steht auf Fundamenten,<br />
auf denen sie „gleiten“ kann. Am heutigen Auslauf<br />
sind diese gut zu sehen.<br />
1976 wurde der Kreisel eingefügt, um einerseits die Bahnlänge<br />
zu erweitern – von der IBSF ist für Viererbob-Rennen<br />
ein Mindestmaß von 1200 Metern vorgegeben –, andererseits<br />
den stetig steigenden Anforderungen gerecht zu werden.<br />
Außerdem wurde die Bahn immer schneller, vor allem<br />
für die Rodler: „Grenzwertig, ich hab mich kaum noch vom<br />
Spektakulärer Skeleton-Sport<br />
im Berchtesgadener Land<br />
Herrenstart in die Bahn getraut“, sagt beispielsweise Sepp<br />
Fendt. Der Kreisel nahm mittendrin „etwas Fahrt raus“. Der<br />
große Vorteil: Nun konnten Viererbobs am <strong>Königssee</strong> starten.<br />
Die Bahn gewann 175 Meter dazu, das heute Turbodrom<br />
genannte Meisterwerk mit einem Durchmesser von<br />
42 Metern ist genauso lang wie die lange Gerade – „das<br />
möchte man kaum glauben“, so Lenz. Rund acht Millionen<br />
Mark verschlang der Umbau.<br />
Der erste Wettkampf mit Kreisel führte am 22. Januar 1977<br />
durch den Eiskanal, eine Deutsche Rodel-Meisterschaft,<br />
die komplett an die WSV <strong>Königssee</strong>-Athleten Peter Hell,<br />
Hans Morant, Jürgen Kyre und Dieter Gebhardt ging. Sechs<br />
Wochen drauf wagten sich die ersten Viererbob-Piloten<br />
bewerbsmäßig in S-Kurven-Kombi, Kreisel und Labyrinth.<br />
Westdeutsche Piloten aus Winterberg gewannen die Junioren-Europameisterschaft.<br />
<strong>Königssee</strong> zuschauerfreundlich<br />
Spektakuläre Kreisel gibt es heute beispielsweise auch in<br />
Oberhof, Altenberg, Innsbruck oder Calgary. <strong>Königssee</strong> ist<br />
jedoch nach wie vor einer der zuschauerfreundlichsten:<br />
„Man kann fast überall direkt an die Bahn“, sagt Sepp Lenz.<br />
Im Gegensatz zu vielen neueren Projekten, die bereits „höher<br />
gestellt“ wurden und nur noch schwer einsehbar sind.<br />
Erste Skeleton-Piloten ließen sich mittlerweile ebenfalls am<br />
<strong>Königssee</strong> blicken, bis zur ersten großen Meisterschaft dauerte<br />
es aber noch über ein Jahrzehnt. Erst 1990 fand die<br />
Debüt-WM im Berchtesgadener Land statt, Österreich dominierte<br />
mit Michael Grünberger und Andreas Schmid vor dem<br />
Schweizer Gregor Staebli. Die Damen mussten bis zur Jahrtausendwende<br />
warten, ehe 2000 ihre erste WM überhaupt<br />
in Igls stattfand. Vier <strong>Jahre</strong> drauf war <strong>Königssee</strong> dran, Diana<br />
Sartor holte Gold für Deutschland, Kerstin Jürgens<br />
Bronze, dazwischen platzierte sich die<br />
Kanadierin Lindsay Alcock.<br />
Hautnah am Geschehen: Die Kufensport-Fans konnten<br />
schon damals direkt an die Bahn, um die waghalsigen<br />
Fahrten der Athleten zu beobachten – hier kurz nach der Zielkurve.
Als der Schlitten in<br />
den <strong>Königssee</strong> flog<br />
1959 1969<br />
Christa Schmuck gewann vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
Olympia-Silber in Grenoble –<br />
Ein Gespräch zum Bahn-Jubiläum<br />
Christa Schmuck in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n auf ihrem Schlitten, fotografiert von ihrer Freundin Anna Graßl in der Oberau.<br />
Bild oben: Christa Schmuck, mit ihrem ersten kleinen Silberpokal für den 3. Platz<br />
beim Internationalen Münchner Merkur-Pokal am <strong>Königssee</strong>, einem Nachtrennen im März 1963.<br />
Sie hat Bundespräsident Gustav Heinemann<br />
und Bundeskanzler Willy Brandt die<br />
Hand geschüttelt, lief mit dem Olympischen<br />
Feuer und Leonhard Nagenrauft durch<br />
Berchtesgaden, Journalist Guido Baumann erriet<br />
1968 bei „Was bin ich?“ mit Moderator Robert<br />
Lembke nach nur fünf „Nein“ ihren eigentlichen<br />
Beruf, sie war bei „Dalli Dalli“ mit Hans<br />
Rosenthal, 1970 bei Wim Thoelke im „Aktuellen<br />
Sportstudio“ am Mainzer Lerchenberg und<br />
kickte drei <strong>Jahre</strong> beim ESV Traunstein als Mittelläuferin<br />
unter anderem gegen die Bayern...<br />
– letztlich waren das alles jedoch nur Nebenschauplätze:<br />
Denn Christa Schmuck war Rodlerin<br />
in der Weltspitze und damit Profi-Sportlerin,<br />
wenngleich das in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n mit<br />
dem Tun heutiger Spitzenathleten nichts gemein<br />
hat. 1967 gewann sie auf der <strong>Königssee</strong>r<br />
Kunstbahn mit Natureis den Europameistertitel,<br />
1970 – dann bereits auf Kunsteis – Silber<br />
bei der Heim-WM.<br />
Die gebürtige Berchtesgadenerin berichtete<br />
uns anlässlich der anstehenden Jubiläen aus<br />
einem bewegten Leben, welches sie insgesamt jedoch stets<br />
bescheiden führte. 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn, <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong><br />
werden im Januar am <strong>Königssee</strong> gefeiert. Christa<br />
Schmuck begeht mit ihrem 75. Geburtstag am 26. des ersten<br />
<strong>Jahre</strong>smonats 2019 passend dazu einen ganz persönlichen<br />
Jubeltag – wer sie kennt, weiß jedoch, dass dieser<br />
in ruhigen Bahnen verlaufen wird. „Ich wollte nie im Mittelpunkt<br />
stehen“, sagt sie. Daran hat sich bis heute nichts<br />
geändert.<br />
Im Berchtesgadener Ortsteil Anzenbach in der Gemarkung<br />
Salzberg kam Christa Schmuck am 26. Januar 1944, also<br />
mitten im Zweiten Weltkrieg, zur Welt. Als Schülerin fuhr sie<br />
„a bisserl Ski“, lieber ging‘s jedoch am Salzberg zum „wilden“<br />
Rodeln. An richtige Rennen dachte sie damals aber<br />
noch lange nicht. Das konkretisierte sich erst, als sie in der<br />
katholischen Agnes-Gruppe – vergleichbar mit Kolping – auf<br />
die Tochter der Familie Metzenleitner stieß, deren Eltern<br />
eine Drogerie im Markt betrieben. Vater Albert war damals<br />
Vorstand des RC Berchtesgaden. Christa Schmuck besuchte<br />
die Kunstbahn mit Natureis am <strong>Königssee</strong>, war schwer beeindruckt<br />
und trat kurzerhand dem 1923 gegründeten RCB<br />
bei. Im Januar 1963 stand sie schließlich das erste Mal mit<br />
einem Rodel an der Eisbahn – und war „aus der Sicht von
oben“ gleich noch ein Stück weit beeindruckter. Den fahrbaren<br />
Untersatz erwarb sie von einem Arbeitskollegen, gebraucht<br />
für 20 Mark, österreichisches Gasser-Fabrikat. Ein<br />
Rodel komplett aus Holz mit Stahlschiene und Riemen,<br />
vom Vater einen Griff angeschweißt. „Den Rest hab ich mir<br />
dazugekauft: Helm, Brille, Handschuhe.“ Von der Mama bekam<br />
sie eine Windbluse mit Bund unten dran, dazu Seehundstiefel,<br />
bei denen das Fell innen schon abgewetzt war,<br />
und eine eng anliegende Steghose.<br />
Rodelnd runter zur Bushaltestelle<br />
„Vom Elternhaus in der Bischofswieser Steingasse bin ich<br />
runter zur Haltestelle an der Neuwirtsbrücke gerodelt und<br />
dort in den Bus gestiegen, der von Reichenhall kam und<br />
zum <strong>Königssee</strong>r Bahnhof fuhr“. Von dort ging‘s zu Fuß rüber<br />
an die Eisbahn, mit dem 20 Kilo schweren Schlitten<br />
auf dem Rücken: „Die Tragestangen haben ihre Spuren<br />
auf meinen Schultern hinterlassen“, erinnert sich Christa<br />
Schmuck. Durch ihre Neu-Mitgliedschaft beim RC Berchtesgaden<br />
durfte sie gleich mittrainieren, die erste Fahrt begann<br />
in der Jennerkurve. „Ich war sofort hin und weg“.<br />
Zügig wanderte ihr Startpunkt nach oben. „Das hat so viel<br />
Spaß gemacht, das war genau mein Ding“, lacht sie heute.<br />
Und als Sepp Lenz, damals ebenfalls noch Aktiver, nach ein<br />
paar Wochen ihren Schlitten im Schiffmeister-Keller erstmal<br />
so richtig herrichtete, war die Rodel-Karriere vorgezeichnet.<br />
„Ich hatte ja keine Ahnung von Schlittenbau und dergleichen“.<br />
Gleich bei einem ihrer ersten Rennen – dem Internationalen<br />
Münchner Merkur-Pokal –, einem Nachtlauf, fuhr Christa<br />
Schmuck im ausgehenden Winter 1962/63 auf den 3. Platz<br />
und nahm einen kleinen Silberpokal mit nach Hause, der<br />
seitdem immer wieder Schwarz anläuft. „Den behalte ich<br />
aber“, sagt sie, während sie viele andere Preise verschenkte.<br />
„Alles konnte ich nicht aufheben, das wurde irgendwann<br />
zu viel.“<br />
Ein Kaffee-Service für die Olympiamedaille<br />
In ihrer ganzen Karriere „verschliss“ Christa Schmuck nur<br />
drei Schlitten, zwei davon selbst bezahlt. Die erfolgreiche<br />
Sport-Karriere warf damals keinen Pfennig ab. „Für die<br />
Olympiamedaille 1968 bekam ich vom Landkreis ein zwölfteiliges<br />
Speise- und Kaffeeservice“. Für ihre Deutschen<br />
Meistertitel gab‘s einmal einen geflochteten Spiegel, ein<br />
andermal ein Brotzeitbrettl mit Besteck. Dennoch hadert<br />
Christa Schmuck nicht, wenn sie sieht, wie die heutigen<br />
Profi-Rodler leben. „Das ist der Lauf der Zeit, das ist schon<br />
in Ordnung. Ich hab immer positiv nach vorn geschaut“. Sie<br />
wollte gern Masseurin werden, hätte noch zwei <strong>Jahre</strong> rodeln<br />
müssen, um sich die Ausbildung dank der Sporthilfe leisten<br />
zu können. Doch sie musste mit der Leidenschaft auf dem<br />
Eis aufhören, weil sie keine Arbeit hatte – ein Teufelskreis.<br />
1<strong>50</strong> Mark verdiente Christa Schmuck damals im Monat,<br />
musste davon ihren Schlitten, das nötige Werkzeug wie<br />
Schmirgelpapier und -leinen, teures Wachs und Äther für<br />
die Kufen, einige Zeit die Buskarte zur Arbeit zahlen – zuerst<br />
auch jene an die Bahn. „Da blieb nichts übrig, um<br />
große Sprünge zu machen“. Sie war schon happy, dass<br />
der Verband die Reise- und Unterkunftskosten zu den Rennen<br />
bezahlte. Ihre Eltern Marianne und Josef unterstützten<br />
sie nach Kräften, hatten aber ebenfalls nicht viel. An ein<br />
Auto war für die Schmucks damals nicht zu denken. Im<br />
Sommer 1964 kaufte sich Christa dann einen hart erarbeiteten<br />
FIAT 600 – „da hat mein Schlitten gerade so auf<br />
den Vordersitz gepasst“, lacht sie. Nun fielen zumindest die<br />
zeitaufwändigen Busfahrten weg. Zu diesem Zeitpunkt war<br />
Schmuck schon schneller als die für Olympia qualifizierte<br />
Christa Matthias, der Sprung in die Nationalmannschaft war<br />
1964/65 unter Trainer Sepp Mayr obligatorisch.<br />
Und so arbeitete Christa Schmuck immer weiter und verdiente<br />
sich im Sommer, was sie im Winter, also während<br />
der Saison, benötigte. „Ich hab viel Überstunden angehäuft,<br />
die ich dann für die Ausübung des Sports dringend<br />
benötigte, genauso wie meinen ganzen <strong>Jahre</strong>surlaub. Für<br />
den Rest nahm ich unbezahlten Urlaub“. Von 1969 bis 1972<br />
war sie bei der ARWA, den Feinstrumpfwerken in Bischofswiesen<br />
als Einzelhandelskauffrau beschäftigt. Nach der Zeit<br />
an der Reichenhaller Mittelschule St. Zeno arbeitete sie jedoch<br />
zuerst in der Lohn- und Finanzbuchhaltung beim Sanitär-<br />
und Heizungsbetrieb von Hermann Reichlmeier.<br />
Die Herren „runtergefahren“<br />
Christa Schmuck setzte sich in einer harten Männerwelt<br />
durch und bewältigte die <strong>Königssee</strong>r Bahn, wenn es über<br />
In Aktion bei den Olympischen Winterspielen von 1972 im japanischen Sapporo. Zum Abschluss ihrer Karriere wurde Christa Schmuck Zehnte.
1959 1969<br />
Nacht stark geschneit hatte, schon mal vom<br />
Herrenstart. Prompt fuhr sie einige der starken<br />
Männer „runter“ – die hießen damals Stefan<br />
Hölzlwimmer, Hans Brandner, Balthasar<br />
Schwarm oder die schon verstorbenen Max<br />
Leo (2012), Leonhard Nagenrauft (2017), Toni<br />
Winkler (2016) und Hermann König, der im August<br />
dieses <strong>Jahre</strong>s im Alter von 79 <strong>Jahre</strong>n ging.<br />
Den Weltcup gab es damals noch nicht, internationale<br />
Rennen sehr wohl: „Dabei bestritten<br />
wir immer vier Läufe, drei am Tag, einen<br />
als Nachtlauf“, berichtet Christa Schmuck. Bei<br />
einem dieser Abenddurchgänge am 20. Januar<br />
1968 um den „Großen Preis von Deutschland“<br />
stürzte Christa Schmuck in der Zielkurve. Der<br />
Schlitten kam ihr im damals noch unbeleuchteten<br />
Auslauf abhanden und flog schnurstracks<br />
in den <strong>Königssee</strong>. „Mit einem herbeigeholten<br />
Motorboot der Staatlichen Schifffahrt haben<br />
wir dann in den See geleuchtet und den total<br />
aufgeweichten Schlitten rausgezogen. Wir hatten<br />
ja noch keine Kunststoffschalen sondern<br />
Schlitten aus Holz und Zeltstoff. Damit konnte<br />
ich die beiden restlichen Läufe am nächsten<br />
Tag nicht mehr bestreiten“. Mit dem Ersatzschlitten<br />
hatte sie keine Siegchance mehr,<br />
wurde aber trotzdem gute Vierte.<br />
Platz 5 belegte sie im Grunde bei den Olympischen<br />
Spielen 1968 in Grenoble – gut <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
ist das nun her, noch ein Jubiläum. Doch<br />
weil gleich drei DDR-Pilotinnen vor ihr disqualifiziert<br />
wurden, durfte Christa Schmuck<br />
als letztlich Zweite mit aufs Siegerpodest im<br />
Olympia-Eisstadion der französischen Wintersport-Metropole.<br />
Grenoble hatte für Christa<br />
Schmuck aber nicht viel mit dem Flair unter<br />
den fünf Ringen zu tun. Die mit Freude erwartete<br />
Stimmung fehlte komplett: „Die Sportler<br />
waren alle irgendwo verstreut“. Erst 1972,<br />
zum Abschluss ihrer Karriere, durfte die Berchtesgadenerin<br />
noch echte Olympia-Atmosphäre<br />
erleben, in Sapporo, Japan. Nach ihrem<br />
Rennen mit Platz 10 ging‘s noch für drei<br />
Tage nach Hongkong: „Das habe ich sehr genossen“.<br />
Autogramme schreiben und<br />
Strümpfe verkaufen<br />
Die Erfolge Christa Schmucks sprechen für<br />
sich: Neben Olympia-Silber, WM-Bronze 1969<br />
und -Silber 1970, jeweils am <strong>Königssee</strong> erzielt,<br />
EM-Gold 1967 ebenfalls daheim, Bronze 1970<br />
in Hammarstrand, viermal deutsche Meisterin<br />
zwischen 1966 und 1970. Zwei <strong>Jahre</strong> zuvor wurde<br />
Christa Schmuck jedoch vor eine harte Entscheidung<br />
gestellt: Sport oder Beruf. „Ich wollte<br />
noch nicht aufhören“. Von der ARWA war<br />
sie im Winter fürs Rodeln freigestellt worden.<br />
Das wurde jedoch zunehmend schwieriger.<br />
Kaufhausriese Josef Neckermann, später der<br />
erste Präsident der 1967 in Berlin gegründeten<br />
Deutschen Sporthilfe, kaufte seine benötigten<br />
Strumpfwaren in Bischofswiesen. Und Christa<br />
Bundespräsident Gustav Heinemann gratuliert Christa Schmuck<br />
nach einem Internationalen Rennen zur Einweihung des Mannschaftshauses<br />
1969 am <strong>Königssee</strong>. Gewonnen hat Christa Demleitner<br />
vom WSV Schlehdorf, Dritte wurde Gisela Otto vom SSV Passau.<br />
Schmuck ließ sich auf einen Deal ein, um weiter rodeln zu<br />
können: An den Sommer-Wochenenden stand sie tagelang<br />
an den ARWA-Ständen in Mönchengladbach, Frankfurt oder<br />
Nürnberg, um Autogramme zu schreiben und Strumpfhosen<br />
zu verkaufen. Das ging vier <strong>Jahre</strong> so dahin. Dann machten<br />
alle Werke in Deutschland dicht. „Ich hätte nach Südafrika<br />
gehen können. Das wollte ich nicht, somit stand ich am 30.<br />
September 1972 auf der Straße.“<br />
Die sportliche Laufbahn war von einem auf den anderen<br />
Tag Geschichte. Christa Schmuck hatte den Namen „Berchtesgaden“<br />
in die Welt hinausgetragen – für ihre berufliche<br />
Situation konnte sie daraus keinen Nutzen ziehen. Zwei<br />
Monate jobbte sie bei Sperrholz Flatscher, eineinhalb <strong>Jahre</strong><br />
in der Finanzbuchhaltung eines Dirndlgeschäfts, im Juli<br />
1974 fand sie eine feste Anstellung bei der AOK in Bad<br />
Reichenhall. In der Kurstadt und in Piding wohnte sie bis<br />
zur Rente 2008, ehe es zurück nach Berchtesgaden ging.<br />
Christa Schmuck blieb dem Sport, besonders dem Rodeln<br />
treu. Nicht als Funktionärin oder Trainerin, eher als Beobachterin,<br />
als Zuschauerin an der Bahn. Sie blieb stets auf<br />
dem Boden, wird erkannt, wenn sie durch Berchtesgaden<br />
geht. Und freut sich: Autogrammwünsche kommen immer<br />
noch aus ganz Deutschland...
Die <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> am südlichen Ende des<br />
Berchtesgadener Landes bricht Rekorde, besticht durch<br />
Einzigartigkeit, bietet reichlich Spektakuläres und erlebte<br />
zahllose Höhepunkte – wir haben einen Überblick über<br />
die sportlichen Großereignisse und die Bahn-Daten der<br />
Sportstätte mit Kunsteis, die 1968 gebaut und am 17.<br />
Januar 1969 in Betrieb genommen wurde, zusammengestellt:<br />
Rodeln<br />
Weltmeisterschaften fanden am <strong>Königssee</strong> 1969, 1970,<br />
1974, 1979, 1999 und zuletzt 2016 statt. Europäische Titelkämpfe<br />
gingen 1967, 1972, 1973, 1977, 1988 und 1994 über<br />
das heimische Eis.<br />
Bob<br />
Weltmeisterschaften gab es 1979, 1986, 2004, 2011 und<br />
2017, Europameisterschaften 1971, 1992, 1997 und 2001.<br />
Skeleton<br />
Weltmeister wurden 1990, 2004, 2011 und 2017 gekürt,<br />
Europameister 1982 und 2007.<br />
Höhepunkte,<br />
Daten, Zahlen<br />
und Fakten<br />
<strong>Königssee</strong> war 1977 der weltweit erste Austragungsort von<br />
Weltcuprennen, damals im Rodeln, seitdem gab es 37 Austragungen<br />
im Berchtesgadener Land. Bob-Weltcup-Sieger<br />
werden seit der Saison 1983/84 gekürt, die erste Bob-WM<br />
der Frauen – hier gibt es nur die Zweier-Konkurrenz – fand<br />
im Jahr 2000 in Winterberg statt. Die Liste der Gesamtweltcupsieger<br />
im Skeleton begann 1986/87 bei den Männern<br />
und 1996/97 bei den Frauen.<br />
Die Königsser Bahn-Daten<br />
Länge insgesamt: 1587 Meter, Rennrodeln Männer 1332<br />
Meter mit 16 Kurven und 10,35 Prozent Gefälle, Frauen/Doppelsitzer<br />
1216 Meter, Bob und Skeleton Männer/<br />
Frauen 1244 Meter mit je zwölf Kurven und 9,2 bis 9,3<br />
Prozent Gefälle, Höhendifferenz 135 Meter.<br />
Kälteleistung 2.600.000 Kilowatt-Stunden, vier Kälteaggregate,<br />
70 Kilometer Bahnberohrung, rund 7.000 Quadratmeter<br />
vereiste Fläche gesamt.<br />
Die Bahnrekorde<br />
Rodeln: Natalie Geisenberger 2014 in <strong>50</strong>,202 Sekunden,<br />
Felix Loch 2015 in 48,954, Tobias Wendl/Tobias<br />
Arlt 2016 in 49,311, Geisenberger/Loch/Wendl/Arlt<br />
(Teamstaffel) 2015 in 2:41,969 Minuten – alle aus<br />
Deutschland.<br />
Bob: Francesco Friedrich/Thorsten Margis 2017 in<br />
48,94 Sekunden, Johannes Lochner/Matthias Kagerhuber/Joshua<br />
Bluhm/Christian Rasp (alle Deutschland)<br />
2017 in 48,26, Elana Meyers Taylor/Cherrelle Garrett<br />
(USA) 2015 in <strong>50</strong>,28.<br />
Skeleton: Jacqueline Lölling 2017 in 51,28 Sekunden,<br />
Alexander Gassner (beide Deutschland) 2017 in <strong>50</strong>,01.<br />
Die Startrekorde<br />
Rodeln: Natalie Geisenberger 2011 in 2,946 Sekunden,<br />
Johannes Ludwig 2012 in 3,268, Tobias Wendl/Tobias<br />
Arlt 2014 in 2,819.<br />
Bob: Oskars Melbardis/Daumants Dreiskens (Lettland)<br />
2011 in 4,77 Sekunden, Oskars Melbardis/Daumants<br />
Dreiskens/Arvis Vilkaste/Janis Strenga 2017 in 4,73,<br />
Elana Meyers Taylor/Kehri Jones (USA) und Stephanie<br />
Schneider/Annika Drazek (Deutschland) 2017 in 5,11.<br />
Skeleton: Alexander Tretjakow 2016 in 4,53 Sekunden,<br />
Jelena Nikitina (beide Russland) 2017 in 4,83.
1959 1969<br />
Bald zwei Millionen Abfahrten<br />
Bahn-Chronik:<br />
Teil 5<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> nicht nur für Profi-Sportler interessant –<br />
Stefan Raab & Co. zu Gast<br />
2012 und 2014 gastierte die WOK-WM, initiiert von TV-Moderator Stefan Raab, an der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong>.<br />
Unser Bild zeigt (von links) Schorsch Hackl, Natalie Geisenberger, Stefan Raab, Felix Loch und Manuel Machata.<br />
Die <strong>Kunsteisbahn</strong> erreichte rasch Weltruhm<br />
und ist heute in der Eiszeit ab<br />
Ende Oktober und bis Anfang März komplett<br />
ausgelastet. Die Anzahl aller Abfahrten<br />
seit der mutigen Debütfahrt von Hans Plenk im<br />
Januar 1969 kann nur grob geschätzt werden,<br />
bewegt sich aber auf die zwei Millionen zu.<br />
Als eines der Rekordjahre bis zur deutschen<br />
Wende ging gleich die Saison 1989/90 in die<br />
Bahn-Geschichte ein, als 36.056 Abfahrten gezählt<br />
wurden. Bahnchef Markus Aschauer informiert,<br />
dass diese Marke im Winter 1994/95<br />
mit 37.851 Turns ordentlich getoppt wurde.<br />
Aktuell bewegt sich der Wert bei 32.000 bis<br />
33.000, der Tagesschnitt lag im November<br />
2018 bei 228 Abfahrten.<br />
Heute ist die Nachfrage größer als das Angebot,<br />
weshalb eine Prioritätenliste erstellt werden<br />
muss. Das Training der Kadermitglieder<br />
der Nationalmannschaften hat dabei Vorrang,<br />
abgesehen von den Weltcup-Rennen aller drei<br />
Kufensportarten – sie bilden Jahr für Jahr die<br />
Höhepunkte im <strong>Jahre</strong>sprogramm der <strong>Kunsteisbahn</strong>.<br />
Der Spitzensport nimmt überhaupt<br />
rund die Hälfte der Bahnnutzung ein, in <strong>Jahre</strong>n<br />
mit Olympischen Spielen ist es etwas weniger, da die<br />
Sportler dann verstärkt unterwegs sind. Einen enormen Bereich<br />
stellt nach wie vor das Schulrodeln dar, die Bildungsstätten<br />
des inneren Landkreises machen regen Gebrauch<br />
von diesem Angebot. Bis zu 6000 Abfahrten werden<br />
in dieser Sparte pro Saison registriert. Diese Zahl entspricht<br />
in etwa auch der Nutzung durch Gäste-Rodler und<br />
Taxi-Bob-Fahrer.<br />
<strong>Königssee</strong>-Bilder in die ganze Welt<br />
Für die Region ist die Bahn ein nicht zu unterschätzender<br />
Werbeträger, regelmäßig werden vor allem an den beiden<br />
Weltcup-Wochenenden – Rodel und Bob/Skeleton – traumhafte<br />
Bilder aus dem Berchtesgadener Land in die ganze<br />
Welt übertragen. Die beiden jüngsten Weltmeisterschaften<br />
2016 (Rodeln) und 2017 (Bob/Skeleton) sowie das Weltcupfinale<br />
2018 im IBSF-Bereich leisteten bei Traumwetter<br />
diesbezüglich ihr Übriges.<br />
Die Präsenz der <strong>Kunsteisbahn</strong> lässt den Bekanntheitsgrad<br />
des Berchtesgadener Landes weiter steigen und unterstützt<br />
somit den Fremdenverkehr nicht unerheblich. Im Rahmen<br />
des Kurgästerodelns, der Rennbob-Taxifahrten oder dem<br />
etwas „gemäßigteren“, weil schaumstoff-ummantelten Vucko-Bob,<br />
der „nur“ etwa 80 km/h schnell wird, steht die<br />
Kunstbahnröhre auch jedem „Freizeitsportler“ offen.
Einer, der die Fans des Bobsports auch am <strong>Königssee</strong> mit seiner exzellenten Fahrlinie begeisterte:<br />
Vierfach-Olympiasieger André Lange, hier 2008 kurz vor der Kreisel-Ausfahrt.<br />
Zweimal fand die WOK-WM von TV-Moderator Stefan Raab<br />
am <strong>Königssee</strong> statt – 2012 und 2014. Nicht nur in diesem<br />
Rahmen rauschten bereits unzählige Prominente wie Henry<br />
Maske, Axel Schulz oder Heinz-Harald Frentzen den Eiskanal<br />
runter, meist im Vucko-, aber auch in echten Bobs:<br />
Edmund Stoiber, die FC Bayern-Profis Paulo Sergio und<br />
Samuel Kuffour, Bremens Ex-Torjäger Ailton, Joey Kelly,<br />
Show-Praktikant Elton, Stabhochspringer Tim Lobinger, Michael<br />
„Eddie the Eagle“ Edwards, die Ski-Stars Michaela<br />
Dorfmeister und Fritz Strobl, Schauspieler Elyas M’Barek,<br />
Vierschanzentournee-Legende Sven Hannawald...<br />
Mit Motorrädern und Rollschuhen<br />
Die <strong>Kunsteisbahn</strong> wurde bereits im Rahmen besonderer Aktionen<br />
mit Skiern, Schlittschuhen, Motor- und Fahrrädern<br />
Der Skeleton-Sport bietet ganz besondere Momente...<br />
Am 15. September 2017 wurde das neue Regionalzentrum Chiemgau/<br />
Berchtesgadener Land eröffnet.<br />
sowie Rollschuhen bewältigt – doch ein zum „Bob“ umgebautes<br />
Sofa schlug alles. Interessierte können bei Führungen<br />
mehr als einen Blick hinter die Kulissen der ersten<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt werfen. Die Guides vermitteln den<br />
Besuchern Interessantes und Wissenswertes zur Geschichte<br />
und Technik der spektakulären Sportstätte im Berchtesgadener<br />
Land. Die rund 90-minütigen Touren werden auch<br />
in englisch und französisch sowie sogar auf russisch angeboten,<br />
dazu ist eine separate Terminvereinbarung nötig.<br />
Nähere Infos zu allen Angeboten gibt es auf der Online-Seite<br />
der <strong>Kunsteisbahn</strong> unter www.eisarena-königssee.<br />
de/events-angebote.<br />
Die <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> befindet sich im Besitz des<br />
Landkreises Berchtesgadener Land. Der Bob- und Schlittenverband<br />
für Deutschland (BSD) ist mit seinem Vorstandsvorsitzenden<br />
Thomas Schwab für die Geschäftsführung verantwortlich.<br />
Von seinem Standort in Berchtesgaden, einen<br />
Steinwurf von der Watzmann-Therme entfernt, agiert der<br />
BSD als Veranstalter hochkarätiger Sportveranstaltungen.<br />
Am 15. September 2017 wurde das neue Regionalzentrum<br />
Chiemgau/Berchtesgadener Land des Olympiastützpunktes<br />
Bayern, gleichzeitig BSD-Zentrale, offiziell eröffnet. Der<br />
u-förmige Bau beherbergt jedoch nicht nur Trainer und<br />
Sportler aus dem Rodel-, Bob- und Skeletonsport, sondern<br />
auch Snowboarder und Ski-Alpin-Aktive.
Stets mehr mit den Verlierern<br />
gelitten<br />
Sepp Lenz, die Auf‘s und Ab‘s eines Sportlerlebens<br />
und das Glück im Unglück<br />
Sepp Lenz als Bundestrainer mit seinem Elite-„Schüler“:<br />
Schorsch Hackl, der beste Rodler aller Zeiten,<br />
mit einem Sommer-Rollschlitten an der <strong>Königssee</strong>r Bahn.<br />
1959 1969<br />
Bei den Olympischen Winterspielen 1964<br />
in Innsbruck-Igls – Rodeln war zum ersten<br />
Mal dabei – schoss Sepp Lenz im Doppelsitzer<br />
mit dem Fleischmann Sepperl gleich im<br />
ersten Trainingslauf aus der hohen vorletzten<br />
Kurve. Sie flogen auf einen vereisten Treppenweg<br />
und landeten schließlich in einem zugefrorenen<br />
Eisbach. Glück im Unglück: „Wir segelten<br />
haarscharf an einer Seilbahnstütze vorbei“,<br />
erzählt Lenz. Einem Segen kam es gleich, dass<br />
sich den beiden Rodlern kein Baum in den<br />
Weg stellte – wie fünf <strong>Jahre</strong> später dem Polen<br />
Stanisĺaw Paczka, zur Eröffnung der ersten<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt am <strong>Königssee</strong>.<br />
Dennoch war die aktive Karriere des <strong>Königssee</strong>-Schiffskapitäns<br />
Sepp Lenz damit vorbei,<br />
wenngleich er das in den ersten Momenten nach<br />
dem Aufprall auf dem harten Boden der Realität<br />
freilich noch nicht ahnte. Der linke Oberarm<br />
lag in Trümmern, das bedeutete eineinhalb<br />
<strong>Jahre</strong> Sport-Abstinenz. Das war‘s, der Abschied<br />
nahte. „Es machte keinen Sinn, nach so langer<br />
Zeit die Fitness wieder aufzubauen. Ich hätte<br />
das womöglich ohnehin nicht mehr geschafft“,<br />
sagt Sepp Lenz heute, der zudem eine große<br />
Trauer in sich trug: Denn Sport-Kamerad Sepp<br />
Fleischmann verstarb aufgrund seiner schweren<br />
Gehirnverletzungen einige Zeit später. Ein am<br />
selben Tag verunglückter Exil-Pole namens Kazimierz Skrzypecki,<br />
der für Großbritannien startete, erlag am gleichen<br />
Abend seinen schweren Verletzungen. Damals riskierten<br />
die oft unbekümmerten Rodler bei ihrem Sport noch Kopf<br />
und Kragen – einige bezahlten diesen Mut mit ihrem Leben.<br />
Mentor und Vaterfigur<br />
Sepp Lenz, 1962 Europameister in Weißenbach bei Liezen<br />
in der Steiermark, erholte sich langsam von seinen schweren<br />
Blessuren und wurde rasch – 1966 – Trainer, am Ende<br />
der erfolgreichste aller Zeiten: 96 Medaillen fuhren die<br />
deutschen Rodler trotz großer Konkurrenz aus der damaligen<br />
DDR in den fast drei Jahrzehnten unter seiner Regie bei<br />
Olympischen Winterspielen, Welt- und Europameisterschaften<br />
ein, 31 davon in Gold. Und dennoch sagte Sepp Lenz<br />
einmal bescheiden: „Ich habe stets mehr mit den Verlierern<br />
gelitten als mich mit den Siegern gefreut.“ Das Rodeln ist<br />
bis heute seine große sportliche Liebe. Für den dreimaligen<br />
Olympiasieger Georg Hackl war der Sepp mehr als nur<br />
ein Trainer: Mentor, Vaterfigur, Motivator, ja unersetzlicher<br />
Freund.<br />
Bei einem Unfall auf der Winterberger Rodelbahn wurde<br />
Sepp Lenz am 16. Dezember 1993 der Unterschenkel<br />
des linken Beines unterhalb des Knies abgetrennt, als er<br />
beim Säubern der Bahn von der amerikanischen Rodlerin<br />
Bethany Calcaterra bei 110 km/h erfasst wurde. „Ich habe<br />
sie nicht gehört“, sagte der damals 58-Jährige. Und: „Das
Mit seinem Nachfolger Thomas Schwab (rechts), heute BSD-Vorstand, auf der neuen Zuschauertribüne im Ziel: Sepp Lenz, stets mit Hut<br />
unterwegs. Rechts vorn der ehemalige Berchtesgadener Polizeichef, Günther Adolph.<br />
Leben geht weiter, es hätte schlimmer kommen können.“<br />
Er schaute immer nach vorn, nie zurück. Nur zwei Monate<br />
später stand Lenz als Bundestrainer bei den Olympischen<br />
Spielen in Lillehammer an der Eisbahn und führte<br />
die deutschen Athleten zu drei Medaillen. Für ihn ein Erfolg<br />
der <strong>Königssee</strong>r Sportstätte: „Durch sie wurden die ganzen<br />
Medaillen unserer heimischen Athleten erst möglich.“ 1995<br />
gab Bahn-„Architekt“ und Eismeister Sepp Lenz den Trainerstab<br />
an seinen Co-Trainer Thomas Schwab ab, der wie<br />
er Erfolg um Erfolg verbuchte und inzwischen zum Sportdirektor<br />
beim Deutschen Bob- und Schlittenverband (BSD)<br />
aufstieg. Bis heute ist ein Rennen ohne den „Goldschmied<br />
vom <strong>Königssee</strong>“ Sepp Lenz, wie er oft genannt wird, nicht<br />
vorstellbar. „Zum Nachschau‘n“ weilt der 83-Jährige im<br />
Grunde täglich an der Bahn. Seine freie Zeit nutzt er noch<br />
heute gern zum Wandern mit seiner Ehefrau Annelies, die<br />
ebenfalls bereits 83 ist. Sein Elternhaus im <strong>Königssee</strong>r Ortsteil<br />
Schwöb, 1927 mit 700 Goldmark von seinem Vater Lorenz<br />
erbaut, bietet sich dafür als Ausgangspunkt bestens<br />
an. Da drei seiner sechs Enkel in Berchtesgaden ringen,<br />
schaut Sepp Lenz neuerdings stets auch bei den Kämpfen<br />
der TSV-Athleten im Markt vorbei.<br />
Georg Hackl<br />
Die <strong>Kunsteisbahn</strong> ist sein Wohnzimmer<br />
Der größte Rodler aller Zeiten ist ein Berchtesgadener: Georg Hackl – der Schorsch.<br />
Geboren am 9. September 1966, dreimal Olympia-Gold, zweimal -Silber, zehnmal WM-<br />
Gold. Unerreicht bislang.<br />
Durch den „differenzierten Sport“ bekam Hackl 1976, also mit gerade zehn <strong>Jahre</strong>n und<br />
kurz nach dem Einbau des Kreisels, das erste Mal Kontakt zur <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong>.<br />
„Mein Wohnzimmer“ sagt er heute liebevoll, gleichwohl mit allen Höhen und<br />
Tiefen, die sportlich möglich sind, behaftet: „Ausgerechnet bei meiner einzigen Heim-<br />
WM, 1999, hat‘s mich g‘schmissn“, kann er heute aber durchaus darüber schmunzeln.<br />
„Denn ich dachte, dass ich einen super-genialen Schlitten hatte“. Der Optimierung<br />
seines sportlichen Geräts widmete der Tüftler akribisch nahezu jede freie Minute.<br />
Mitte der 1970er-<strong>Jahre</strong>, als alles losging, fuhr Schorsch Hackl vom Kreisel das erste<br />
Mal los, dann gleich mal vom S1 – weil „mich die Trainer einfach da rauf geschickt<br />
haben“. Rasch wusste er: „Das ist super, das ist mein Sport“. Erste Rennen folgten<br />
im Rahmen des Schulrodelns mit Bezirks- und Landesentscheiden. Bis heute prägt<br />
das Leben des 52-jährigen gelernten Schlossers sein Sport, das Rodeln, aktuell als<br />
Stützpunkttrainer des BSD in Berchtesgaden.<br />
Schorsch Hackl entspannt im Interview als Trainer kurz vor der Heim-WM 2016 am <strong>Königssee</strong>.
Ein tragischer Unfall<br />
und ein Brand<br />
Menschliche Tragödien, enorme Sachschäden:<br />
Nicht nur Triumphe am <strong>Königssee</strong><br />
1959 1969<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> – die<br />
Sportstätte im Berchtesgadener Land erlebte<br />
zahllose Höhepunkte und damit verbunden<br />
sportliche Triumphe von Olympiasiegern,<br />
Welt- und Europameistern. Zwangsläufig<br />
zieht das gleichzeitig viele persönliche Niederlagen<br />
nach sich, die meist jedoch irgendwann<br />
verblassen oder beginnen, weniger zu schmerzen.<br />
Ein tragisches menschliches Schicksal der<br />
Neuzeit bleibt – neben zwei Todesstürzen in<br />
den Anfangszeiten der <strong>Kunsteisbahn</strong> – mit dem<br />
<strong>Königssee</strong> verbunden und wird zumindest für<br />
das Opfer kaum verblassen. Die seelischen wie<br />
körperlichen Wunden sind bis heute einfach zu<br />
groß. Am 23. November 2009 ereignete sich<br />
ein Unglück, das einen besonders tragischen<br />
Tiefpunkt in der nun <strong>50</strong>-jährigen Chronik hinterlässt.<br />
Dabei erlitt die damals 20-jährige Irina<br />
Skworzowa schwerste Verletzungen mit zahlreichen<br />
offenen Brüchen. Bis heute musste sie<br />
deshalb dutzende Male operiert werden, beim<br />
<strong>50</strong>. Mal habe sie aufgehört zu zählen, sagte<br />
die Russin einmal in einem Interview.<br />
Die Tragödie, so ermittelten die Polizei Berchtesgaden<br />
und die Staatsanwaltschaft Traunstein,<br />
war eine Verkettung vieler unglücklicher<br />
Umstände, in erster Linie menschlicher Fehlentscheidungen.<br />
Der Juniorinnen-Bob mit Irina<br />
Skworzowa als Anschieberin war im Training<br />
ohne Freigabe in den Eiskanal gefahren. Der<br />
Schlitten kippte im Schlussviertel der Bahn um<br />
und schlitterte verlangsamt weiter. Der danach<br />
von weiter oben gestartete Herrenbob krachte<br />
an der Echowand-Ausfahrt ungebremst in den<br />
Schlitten der beiden Damen. Er schob deren<br />
Gefährt noch rund <strong>50</strong> Meter vor sich her. Erst<br />
am Zielhaus kamen beide Bobs zum Stehen.<br />
Während die beiden Männer und die Pilotin<br />
des Frauenschlittens, Nadjeschda Filina, leichtere<br />
Verletzungen erlitten, wurde Anschieberin<br />
Irina Skworzowa mit schwersten Verletzungen<br />
von einem Hubschrauber ins Traunsteiner Klinikum<br />
gebracht.<br />
Keine Erinnerung an den Unfalltag<br />
Die Erinnerungen von Irina Skworzowa enden<br />
mit den Worten „Jetzt startet ihr“. Sie weiß<br />
nicht mehr, wie sie mit ihrer Pilotin Nadjeschda<br />
Filina in den Bob stieg, die ersten Meter bis<br />
in den Kreisel bewältigte, stürzte und es letztlich<br />
zur Tragödie kam. Die Erinnerung setzt<br />
Am 23. November 2009 fuhr ein russischer Herrenbob los, obwohl sich<br />
weiter unten ein Schlitten mit zwei Landsfrauen noch in der Bahn befand.<br />
erst wieder ein, als sie zwei Monate später im Münchner<br />
Klinikum Rechts der Isar aufwachte und neben sich ihre<br />
Mutter sah... – das berichtete Johannes Aumüller im Mai<br />
2010 in der „Süddeutschen Zeitung“.<br />
Zuvor hatte die Russin tagelang mit dem Tod gekämpft,<br />
wochenlang lag sie im künstlichen Koma, musste immer<br />
wieder in den Operationssaal geschoben werden. Erhebliche<br />
Bauch-, Rücken-, Hüft- und Beinbereiche waren verwundet,<br />
Teile der Haut verbrannt. In über 20 Eingriffen rekonstruierten<br />
die Ärzte Knochen, bekämpften Infektionen<br />
und schlossen offene Stellen. Eine Amputation des rechten<br />
Beines konnte verhindert werden. Heute geht Skworzowa<br />
mit Krücken und studiert Sportpsychologie in Moskau. Mit<br />
zwölf hatte sie mit Leichtathletik begonnen, 200 Meter-Läufe<br />
in erster Linie. Sie war schnell und wechselte mit 18 die<br />
Disziplin: Bob. In vier <strong>Jahre</strong>n wollte sie in der Weltspitze<br />
sein, passend zu den Olympischen Spielen in Sotschi 2014.<br />
Bei der Eröffnungsfeier war sie tatsächlich: Gezeichnet von<br />
einer schlimmen persönlichen Tragödie saß sie 25-Jährig<br />
neben Wladimir Putin auf der Tribüne.<br />
Der Ablauf wurde ermittelt<br />
Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft ergaben<br />
folgenden Ablauf: „Im Bobsport können unerfahrene<br />
Athleten im Training einen Zusatzlauf absolvieren. Der beginnt<br />
aber nicht am normalen Start, sondern rund 200 Meter<br />
weiter unten, am Jugendstart S1. Die russische Teamführersitzung<br />
entschied, dass an diesem Tag fünf Schlitten eine<br />
Extrafahrt bekommen sollten, darunter Filina/Skworzowa.<br />
Als Dritte waren sie dran, doch nach der Fahrt der beiden<br />
ersten Bobs erschienen die Russinnen nicht am Start. Sie<br />
waren versehentlich zum oberen Start gegangen, wurden
ausgerufen und liefen hektisch zum S1. Der vierte und der<br />
fünfte Schlitten waren mittlerweile gestartet. Als das Duo<br />
beim S1 auftauchte, hieß das Kommando trotz roter Ampel<br />
„Russland, Bahn frei“. Die Russinnen starteten. Zeitgleich<br />
vernahm am normalen Start ein russischer Männer-Bob, der<br />
dort nur stand, weil der geplante Bob kurzfristig passen<br />
musste, das Kommando – und weil das Signal auf Grün<br />
stand, fuhr er los. Die Katastrophe war unausweichlich.<br />
Denn anders als auf einer Formel 1-Strecke gibt es keine<br />
Möglichkeit, eine Gefahr zu signalisieren oder einer Gefahr<br />
auszuweichen.“ Wären die Russinnen nicht gestürzt, wäre<br />
es nicht zu diesem tragischen Unglück gekommen.<br />
Vier <strong>Jahre</strong> nach dem Unfall konnten sich Irina Skworzowa<br />
und der Bob- und Schlittenverband für Deutschland auf einen<br />
Vergleich einigen. Das gab das Oberlandesgericht München<br />
bekannt. Die junge Frau aus Russland bekam 6<strong>50</strong>.000<br />
Euro „Schadensersatz“. Der angeklagte Funktionär, der an<br />
diesem Tag als Starthelfer im Einsatz war, hatte zuvor privat<br />
20.000 Euro Schmerzensgeld an Skworzowa gezahlt.<br />
Aufgrund des Unfalls, der – gerichtlich bestätigt – durch<br />
menschliches Versagen verursacht wurde, zog der deutsche<br />
Verband Konsequenzen und veränderte die Sicherheitsvorkehrungen<br />
an der auch zuvor als sicher geltenden <strong>Königssee</strong>r<br />
Bahn. Zusätzlich zur Ampel wurde an jedem Startpunkt<br />
eine Schranke eingebaut, die als Barriere nun zusätzlich<br />
„überwunden“ werden muss.<br />
Großbrand im Eiskanal<br />
Vergleichsweise harmlos mutet angesichts des Schicksals<br />
der jungen Russin der Großbrand an der <strong>Königssee</strong>r Bahn<br />
im <strong>Jahre</strong> 2010 an. Die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft<br />
2011 geriet dadurch in Gefahr. Der gesamte untere Bereich<br />
der Bahn wurde gerade neu konzipiert. Der enge Radius der<br />
Echowand, der für Fliehkräfte von mehr als dem sechsfachen<br />
des eigenen Körpergewichts sorgte, sowie zu geringe<br />
räumliche Kapazitäten im Zielhaus und im Auslauf waren<br />
mit Blick auf die Bewerbung der Olympischen Winterspiele<br />
2018 ausschlaggebend. Am 25. März 2010 geriet gegen 16<br />
Uhr der erste Bereich des Kreisels bei Demontagearbeiten<br />
in Brand. Holzverschalung und Dämm-Material des halben<br />
Turbodroms hatten Feuer gefangen – ausgerechnet jener<br />
Teil, der nicht Bestandteil der laufenden Sanierung war. Die<br />
Feuerwehren des südlichen Landkreises hatten den Brand<br />
schnell im Griff. Mit Hilfe eines Baggers von der Baustelle<br />
konnte die Verschalung entfernt und die Glutnester darunter<br />
gelöscht werden. Eine Ausweitung wurde damit gebannt,<br />
verletzt wurde niemand, Brandstiftung oder Sabotage<br />
konnten ausgeschlossen werden.<br />
Durch den Brand entstanden im Zuge des Umbaus Mehrkosten<br />
in Höhe von rund 900.000 Euro. Das teilte Landrat<br />
Georg Grabner im März 2011 dem Kreistag mit. Ein Großteil<br />
wurde über Fördermaßnahmen finanziert. Der Landkreis<br />
musste 100.000 Euro selbst tragen. Zuvor konnte der<br />
Umbau rechtzeitig abgeschlossen werden, im Februar 2011<br />
ging die Bob- und Skeleton-WM planmäßig am <strong>Königssee</strong><br />
über die Bühne.<br />
Der Brand rief die Olympia-Gegner in der Region auf den<br />
Plan, die auf mögliche Gefahren und nachhaltige Schädigungen<br />
für die Natur durch die <strong>Kunsteisbahn</strong> hinwiesen.<br />
Auf der „Nolympia“-Seite wurde im Bezug auf die Olympia-Bewerbung<br />
Münchens für 2018 informiert, dass die<br />
Sportstätte am <strong>Königssee</strong> in einem Gebiet mit erhöhtem<br />
Georisk-Potenzial liege – durch den stetigen Ausbau könnten<br />
Felsabbrüche und Hangabgleitungen zu verstärkten Murenabgängen<br />
und Steinschlag führen. Der Erhalt des Schutzwaldes<br />
oberhalb der Bahn habe deshalb oberste Priorität.<br />
Am 25. März 2010 geriet zirka die Hälfte des Kreisels in Brand und verursachte erhebliche Umbau-Mehrkosten –<br />
denn das Turbodrom befand sich ursprünglich nicht im Sanierungsplan.
Hans Plenk - nicht nur<br />
auf dem Rodel schnell<br />
Der Allrounder feierte 2018 seinen<br />
80. Geburtstag – Die <strong>Kunsteisbahn</strong><br />
besucht er immer noch häufig<br />
1959 1969<br />
Hans Plenk war der erste, der sich die<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong> runter traute – das war<br />
im Januar 1969. Allein aufgrund dieser<br />
mutigen „Tat“ gebührt dem 80-jährigen ehemaligen<br />
Spitzenrodler höchster Respekt. Denn<br />
„erschwerend“ kam hinzu: Der gebürtige Berchtesgadener,<br />
aufgewachsen in Maria Gern, fuhr<br />
sofort von ganz oben weg, vom Herrenstart.<br />
Beweis für das Selbstbewusstsein des damals<br />
knapp 31-Jährigen, der sein Können nach zahlreichen<br />
Erfolgen bestens einschätzen konnte:<br />
Vier <strong>Jahre</strong> vor seinem Debüt-Ritt über das erste<br />
<strong>Königssee</strong>r Kunsteis hatte Hans Plenk vom RC<br />
Berchtesgaden seinen größten Erfolg gefeiert,<br />
bei der WM 1965 in Davos: Gold. Dazu kamen<br />
zwei Vize-Weltmeistertitel 1961 und ’63, zwei<br />
Bronzemedaillen sowie Olympia-Bronze gleich,<br />
als Rodeln 1964 in Innsbruck erstmals im Programm<br />
war. Insgesamt konnte Hans Plenk<br />
achtmal Edelmetall von Rodel-Großereignissen<br />
mit nach Hause nehmen, dazu fünf nationale<br />
Titel im Einzel und auf dem Doppelsitzer-Schlitten<br />
einfahren.<br />
Hans Plenk früher, 1964 mit 26 <strong>Jahre</strong>n kurz nach den<br />
Olympischen Spielen in Innsbruck...<br />
...und heute,<br />
als mittlerweile<br />
80-Jähriger beim<br />
Blättern in einem<br />
alten Fotoalbum –<br />
der Erinnerungen<br />
gibt es reichlich.<br />
Zuvor war Hans Plenk als Jugendlicher wie so viele ehemalige<br />
spätere Profis in Loipl, in Vorderbrand oder am<br />
Obersalzberg mit seinem Schlitten unterwegs: „Da gab es<br />
bereits Kinder-Rennen“. Der Sportler erlebte die <strong>Königssee</strong>r<br />
Bahn-Historie schließlich von der Stunde Null an live mit,<br />
also ab 1959, als 21-Jähriger, als es mit Natureis losging.<br />
„Alle halfen mit, Sportler, Gemeinde-Arbeiter, Freiwillige“,<br />
erinnert er sich – „Eisziegel für Eisziegel“. Wenn er zurückdenkt<br />
muss er lachen: „Wir waren dann von der vielen<br />
Arbeit oft so durchnässt und kaputt, dass die anderen,<br />
unsere Gäste, gewonnen haben.“<br />
Am 11. Dezember 1964 verlieh Bundespräsident Heinrich<br />
Lübke dem Rodler, der heute in der Schönau lebt und siebenfacher<br />
Großvater sowie zweifacher Uropa ist, das Silberne<br />
Lorbeerblatt für seinen Olympia-Medaillengewinn. Drei<br />
<strong>Jahre</strong> drauf schmolz die mühsam aufgebaute <strong>Königssee</strong>r<br />
Kunstbahn kurz vor der Europameisterschaft 1967 dahin.<br />
„Wir haben aber alle zusammengeholfen und sie wieder<br />
aufgebaut. Rechtzeitig zum Rennstart war alles fertig“.<br />
Christa Schmuck und Leo Nagenrauft holten die Einzelsiege<br />
für den heimischen RC Berchtesgaden. Eine Saison später<br />
trug Hans Plenk die westdeutsche Fahne ins Olympia-Eisstadion<br />
von Grenoble – „ein ergreifender Moment“ – und<br />
wurde im Einzelrennen Sechster. Bis heute besucht er die<br />
<strong>Kunsteisbahn</strong>-Rennen am <strong>Königssee</strong>. Lange <strong>Jahre</strong> nach seiner<br />
aktiven Zeit war Plenk Juniorentrainer und Funktionär,<br />
allein 22 <strong>Jahre</strong> als RC Berchtesgaden-Vorstand und zuletzt<br />
als Präsident des Bayerischen Bob- und Schlittenverbands.<br />
Heute ist er dessen Ehrenmitglied.<br />
Früher war Hans Plenk zudem ein exzellenter Skifahrer,<br />
im Grunde wie alle seine Schlittensport-Kollegen. Der Allrounder<br />
überzeugte allerdings auch auf dem Bergradl,<br />
beispielsweise beim Rennen auf den Obersalzberg in den<br />
1980er-<strong>Jahre</strong>n – dort, wo sich die Naturrodelbahn befindet<br />
und damit sein sportlicher Geburtsort. Auf dem gut drei<br />
Kilometer langen Weg hält er mit etwas über drei Minuten<br />
wohl einen Rekord für die Ewigkeit.
Die Berchtesgadener Trainingsgruppe „Sonnenschein“,<br />
eine der erfolgreichsten der Welt (von links):<br />
Georg Hackl, Tobias Wendl, Tobias Arlt, Patric Leitner,<br />
Felix Loch, Natalie Geisenberger und Norbert Loch.<br />
Impressionen aus<br />
dem letzten Jahrzehnt
UNSERE PREMIUMPARTNER<br />
BUCHBINDER<br />
UNSERE PARTNER<br />
UNSERE FÖRDERER<br />
AUF ERFOLGSKURS – DANK STARKER PARTNER<br />
Nur mithilfe eines engmaschigen Netzwerkes aus starken Partnern können wir unsere Arbeit überaus<br />
erfolgreich im Sinne der Athleten und unserer Kunden fortführen. Deshalb bedanken wir uns bei allen Förderern<br />
und Premiumpartnern, die uns über <strong>Jahre</strong> auf verlässlicher und vertrauensvoller Basis unterstützen<br />
und hoffen auch in Zukunft auf weiterhin so erfolgreiche Geschäftsbeziehungen.<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Bob- und Schlittenverband für Deutschland e. V. (BSD)<br />
– Vorstandsvorsitzender Thomas Schwab –<br />
An der Schießstätte 6 • 83471 Berchtesgaden<br />
Telefon: +49 (0) 8652/95880 • www.bsd-portal.de • www.eisarena-königssee.de<br />
Texte:<br />
Hans-Joachim Bittner, Bad Reichenhall<br />
Fotos:<br />
Archive Sepp Lenz • Christa Schmuck • Hans Plenk • Richard Hartmann<br />
Eisarena <strong>Königssee</strong> • BSD • Hans-Joachim Bittner<br />
Druck & Layout: www.druckhaus-bgd.de