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50 Jahre Kunsteisbahn Königssee

Kunsteisbahn-Jubiläum - © Hans Bittner

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Natur- &Chronik<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong><br />

www.eisarena-königssee.de


<strong>Kunsteisbahn</strong><br />

Chronik<br />

Vorwort<br />

Landrat Georg Grabner<br />

<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />

Liebe Freunde der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong>,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Georg Grabner<br />

Landrat<br />

wir freuen uns sehr, in diesem Jahr das <strong>50</strong>-jährige Bestehen<br />

der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> feiern zu können.<br />

1959 – 1969 – 2019: Drei wichtige Wegmarken in der Geschichte<br />

der heutigen <strong>Kunsteisbahn</strong>, mit der der Rennrodel-, Bobund<br />

Skeletonsport insgesamt wesentlich mitgeprägt wurde.<br />

1959 mit der Errichtung der Kunstbahn, 1969 mit der Durchführung<br />

der ersten Weltmeisterschaften auf der weltweit ersten<br />

kombinierten <strong>Kunsteisbahn</strong> und <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> später mit einer<br />

der modernsten, sichersten und beliebtesten Eisarenen der<br />

Welt.<br />

Das Jubiläumsjahr ist ein schöner Anlass, die großartige Geschichte<br />

der Bahn Revue passieren zu lassen und die Gründungsväter,<br />

aber auch unsere erfolgreichen heimischen Sportlerinnen<br />

und Sportler mit ihren Geschichten und Erlebnissen<br />

zu Wort kommen zu lassen. Darüber hinaus gibt das Jubiläum<br />

einerseits die Möglichkeit, die Bedeutung der Sportstätte für<br />

die regionale Wirtschaft und den Tourismus und andererseits<br />

den Landkreis als Sportregion für den Breiten- und den Spitzensport<br />

darzustellen.<br />

Informieren Sie sich über ein schönes Kapitel Wintersportgeschichte,<br />

die vor unserer Haustüre stattfindet und lassen Sie<br />

sich bei den bevorstehenden Weltcupveranstaltungen anstecken<br />

von der begeisternden Rennatmosphäre.<br />

Ich wünsche Ihnen dabei interessante Rennläufe und viel Spaß<br />

in der Eisarena. Der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> wünsche ich weiterhin<br />

eine erfolgreiche Zukunft mit vielen Wettkämpfen und<br />

Veranstaltungen, die sowohl eine Werbung für den rasanten<br />

Kufensport sind als auch für das Berchtesgadener Land!


1959<br />

1969<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong><br />

Jubiläum<br />

eine<br />

Chronik<br />

Eine Betonröhre feiert in dieser Bob-, Rodel- und<br />

Skeleton-Saison 2018/19 Geburtstag, zwei Jubiläen<br />

sind es ganz genau: 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn mit Natureis,<br />

<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> mit einem<br />

künstlich geschaffenen Untergrund für die Kufensportler.<br />

Wir veröffentlichen in dieser Broschüre<br />

eine mehrteilige Chronik, aufgelockert mit Geschichten,<br />

Interviews, Interessantem und Wissenswertem,<br />

vielen Aufnahmen aus der jeweiligen Zeit,<br />

Daten und Fakten zur spektakulären Sportstätte im<br />

Berchtesgadener Land, der ersten und somit ältesten<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt am <strong>Königssee</strong>.<br />

Rodellegende Sepp Lenz aus der Schönau<br />

unterstützte uns dabei mit Aufzeichnungen,<br />

Eindrücken in Bildern und letztlich – mit am<br />

wichtigsten – seinen unschätzbar wertvollen<br />

Erinnerungen.<br />

Bob- und Schlittenverband für Deutschland e. V. (BSD)


1959 1969<br />

Eine Sandgrube stellte die Weiche<br />

Bahn-Chronik:<br />

Teil 1<br />

Zwei Geburtstage am <strong>Königssee</strong><br />

Einige Zufälle halfen mit – Sepp Lenz erinnert sich<br />

Sepp Lenz unterstützte den BSD bei der Erstellung einer Chronik zur Anfangszeit der<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> – die Erinnerungen des 83-Jährigen besitzen unschätzbaren Wert.<br />

In die Grundschule <strong>Königssee</strong> ging‘s im<br />

Winter mit den zwei Alpinbrettern oder<br />

dem Schlitten. Schnee lag früher meist genug.<br />

Josef Lenz – niemand nennt ihn so, er<br />

ist schon immer der Sepp – war „vorbelastet“,<br />

mit einem mehrfachen Bayerischen Meister als<br />

Papa, dem Lorenz. Und doch war der kleine<br />

Sepp zunächst erst einmal ein richtig guter<br />

Skifahrer, so dass sich eine Sportkarriere „auf<br />

der Piste“ abzeichnete. Erst recht als Sieger<br />

der „Berchtsgoner Landesschülermeisterschaft<br />

1949“ – wenn der Sepp das langsam und betont<br />

ausspricht, klingt es wie aus einem bedächtig-romantischen<br />

Geschichtsbuch.<br />

Mit 19 erzielte er bei der „Goldenen Gondel“<br />

am Obersalzberg unter 360 Teilnehmern die<br />

absolute Tagesbestzeit. Erst zwei <strong>Jahre</strong> später,<br />

1956, gab‘s die ersten richtigen Ski mit Belag.<br />

Auf einem Hang am Berchtesgadener Krankenhaus<br />

wurden sie sofort getestet. „Meistens am<br />

Abend, tagsüber hatten wir selbst als Jugendliche<br />

kaum Zeit dafür“, erinnert sich Sepp Lenz.<br />

Einmal zu Fuß rauf, gleich hinterm Elternhaus auf den Jenner,<br />

und mit den Skiern wieder runter, im Tiefschnee –<br />

„schon war der Sonntag rum“, lacht der Senior. An richtige<br />

Pisten war damals freilich noch nicht zu denken, darum<br />

sah Sepp Lenz das letztlich weichenstellende Malheur nicht<br />

kommen: Als er einmal in Vorderbrand, nur ein paar Meter<br />

von daheim entfernt, bei einer der unzähligen rasanten Abfahrten<br />

vom Kleinen Jenner in eine Sandgrube rauschte,<br />

sich „blöd das Knie verdrehte“ und erstmal liegenblieb,<br />

war rasch klar: Der 1935 im Elternhaus geborene Bub wird<br />

Rodler, endgültig – ein richtig guter: Europameister 1962,<br />

der sportliche Höhepunkt zweifellos. Und: Wer weiß, ob<br />

heute Bob-Piloten, Rodler und Skeletoni in einer Betonröhre<br />

am <strong>Königssee</strong> zu Tal rasen würden, wäre Sepp Lenz<br />

eines schönen Wintertages nicht in dieses Loch gefallen...<br />

Noch erfolgreicher gestaltete sich seine Trainer-Laufbahn im<br />

Anschluss. Ab 1966 beim damaligen Deutschen Bob- und<br />

Schlitten-Sportverband (DBSV), nachdem ihn eine erneute<br />

Verletzung zum Aufhören zwang. Das Drama ereignete sich<br />

bei den Olympischen Spielen 1964 in Innsbruck, gleich im<br />

ersten Trainingslauf. Der linke Arm lag in Trümmern, eineinhalb<br />

<strong>Jahre</strong> konnte und durfte sich Sepp Lenz auf keinen


Schlitten setzen. „Das war‘s dann“, sagt er im Gespräch<br />

über eine völlig andere Zeit. Der zweite „Lebensabschnitt“<br />

als Coach der besten deutschen Rodler begann... – die unbeschreibliche<br />

Karriere eines Schorsch Hackl ist bis heute<br />

untrennbar mit Trainer Sepp Lenz verbunden. Der damalige<br />

DBSV-Präsident Klaus Kotter, 2010 verstorben, lobte Lenz<br />

einst als „fleißigsten Bundestrainer“ und „Mann der leisen<br />

Worte“.<br />

es hakt und klemmt. Dabei kommen ihm so viele Ideen in<br />

den Kopf, wie es besser funktionieren könnte – mit dem<br />

Kunsteis. Er hat von der Stunde Null an „Hand angelegt“,<br />

im wahrsten Sinn des Wortes. Sepp Lenz hat mit seinen<br />

beiden Händen angepackt, gegraben, aufgeschüttet, begradigt,<br />

gemauert, geeist, geformt, gehobelt und geschliffen.<br />

Die Kunstbahn und später die erste <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />

war, ist und bleibt „sein Baby“. Im „echten“ Leben hat er<br />

„Dreimal Sepp“: Ehrungskarte für die erfolgreichen Rodler<br />

Josef Fleischmann, Josef Hasenknopf und Josef Lenz 1962.<br />

Mit einem knallroten VW-Käfer ging‘s zu den Rennen.<br />

An Rennanzüge war in den 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong>n noch nicht zu<br />

denken: Sepp Lenz mit Stehkragen-Hemd, Pullover<br />

und dem Bundesadler auf der Brust.<br />

Ein Tag ohne Besuch an<br />

der Bahn ist nicht komplett<br />

Wir haben den heute 83-Jährigen jedoch nicht getroffen,<br />

um in erster Linie über seine eigene sportliche Laufbahn<br />

zu sprechen, sondern im Rahmen einer Chronik über die<br />

Anfänge der <strong>Königssee</strong>r Bahn, die in dieser Saison zwei<br />

Jubiläen feiert: 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn, <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong>.<br />

Sepp Lenz war von der ersten Idee an nicht nur mit dabei,<br />

sondern maßgebend beteiligt. Und bis heute ist ein<br />

Tag für ihn nicht komplett, hat er nicht wenigstens kurz an<br />

ihr vorbeigeschaut, an „seiner“ Bahn, die dem Landkreis<br />

Berchtesgadener Land gehört.<br />

So oft es geht, macht er sich von seinem Elternhaus oberhalb<br />

der Schönau auf den Weg. Vier Kilometer sind‘s knapp<br />

über eine meist enge und steile Straße runter an den <strong>Königssee</strong>.<br />

Sepp Lenz fährt noch mit dem Auto. „Solange es<br />

geht“, sagt er, kann er hier oben gut mit seiner Frau Annelies,<br />

die ebenfalls bereits 83 <strong>Jahre</strong> alt ist, leben.<br />

Wenn der Sepp dann an der Bahn steht, ist es viel mehr<br />

als ein „Vorbeischauen“, weil er nach wie vor mit Rat und<br />

Tat zur Seite steht. Er sieht immer noch ganz genau, wo<br />

drei Töchter, sechs Enkel und seit diesem Jahr einen Urenkel<br />

– „eine wunderbare Sache“, freut er sich, das sei etwas<br />

so Schönes.<br />

Los ging alles nach 1945: Eine Rodelgruppe von Vorderbrand,<br />

die es bereits zwischen den beiden Weltkriegen gab,<br />

ist laut Sepp Lenz „scho lang a bisserl umananda gfahr‘n“.<br />

1935 wurden Thekla Rasp und Lorenz Lenz mit bereits richtigen<br />

Rennschlitten Bayerische Meister auf der Garmischer<br />

Bobbahn, einem künstlich erbauten Konstrukt aus Natureis.<br />

Die heimischen Rodler aus dem Berchtesgadener Raum fuhren,<br />

ja trainierten, damals noch auf den Loipler Wegen, am<br />

Obersalzberg und in Vorderbrand – freilich nicht auf Eis,<br />

sondern auf Schnee. Auch darauf gab es bereits Rennen<br />

mit ganz normalen Holzschlitten. „Rasch entwickelten sich<br />

aber zwei Klassen“, erinnert sich Sepp Lenz. Jene, die mit<br />

Rennschlitten schon etwas professioneller unterwegs waren,<br />

und jene für ganz normale Rodler „mit de Berchtsgoner<br />

Bockschlitt‘n“, lacht er.<br />

Bald traten allerdings erste „Probleme“ auf: „Es dauerte<br />

nicht lange, bis fast alle Familien – selbst die, die oben


1959 1969<br />

Sepp Lenz, geboren 1935 in der Schönau, in den Anfangsjahren des Berchtesgadener Rodelns.<br />

am Berg wohnten – ein Auto hatten. Die fuhren<br />

natürlich auf den Forstwegen, auf denen<br />

wir gerodelt sind“, erzählt der Sepp. „Das war<br />

schon ein bisserl gefährlich“. Die Autos machten<br />

die Rodelbahn jedoch nicht kaputt, eher<br />

ein Landwirt, der „mit seine Roß Holz abtransportierte.“<br />

20.000 Mark wie aus dem Nichts<br />

1959 fand die Deutsche Rodelmeisterschaft in<br />

Triberg im Schwarzwald statt. Hans Plenk vom<br />

RC Berchtesgaden holte sich den Titel im Einsitzer<br />

und zusammen mit Sepp Lenz auf dem<br />

Doppelsitzer-Schlitten.<br />

Die beiden Sportler wurden zusammen mit den<br />

Berchtesgadener Rodlern Gertraude und Nepomuk<br />

Beer im Rahmen eines Heimatabends in<br />

den Bahnhofsgaststätten empfangen und geehrt.<br />

Mit dabei: Der Landrat des damaligen<br />

Landkreises Berchtesgaden, Karl Theodor Jacob<br />

– verstorben 1980 in der Ramsau.<br />

Er war zugleich Vorsitzender des Fremdenverkehrsverbandes<br />

und interessierte sich sehr<br />

für die Belange der hiesigen Rodler. Denn die<br />

waren mittlerweile nicht nur im eigenen Land<br />

– beispielsweise im niedersächsischen Hahnenklee-Bockswiese<br />

– sondern bereits international<br />

auf Kunstbahnen in Imst in Tirol, in Rapperswil<br />

in der Schweiz, Grenoble in Frankreich oder im polnischen<br />

Krynica-Zdrój unterwegs. In Davos gab es sogar eine 3<strong>50</strong>0<br />

Meter lange Kunstbahn mit 36 ausgebauten Kurven bis zu<br />

zwei Metern Höhe. 1957 fand in Frankreich die Weltmeisterschaft<br />

statt, die Hans Schaller vom Schliersee gewann.<br />

Landrat Jacob erkundigte sich nun, beim Empfang in Berchtesgaden,<br />

wo den heimischen Rodlern der Schuh drücke.<br />

Sepp Lenz machte den Lokalpolitiker mit seinen Sportkameraden<br />

kurzerhand darauf aufmerksam, dass es auf den<br />

heimischen Wald- und Wiesen-Wegen immer schwieriger<br />

werde zu rodeln. Die Sportler hatten hier bereits drei, vier<br />

künstliche Kurven eingebaut, der zunehmende Autoverkehr<br />

machte die Sache allerdings immer gefährlicher.<br />

Die Lage am <strong>Königssee</strong> schwebte Lorenz Lenz senior schon<br />

einige Zeit im Kopf für eine künstliche Bahn im Kopf umher.<br />

„Ja, wenn Ihr ein Grundstück habt, dann bauen wir halt so<br />

eine Bahn“, lautete die spontane Antwort des CSU-Mannes,<br />

der sogleich mit einem finanziellen Angebot um die Ecke<br />

kam: „20.000 Mark könnt Ihr dafür erstmal haben“. Sepp<br />

Lenz lacht heute, wenn er sich an dieses Gespräch erinnert:<br />

„Wir haben uns angeschaut und gefragt, was wir mit<br />

20.000 Mark sollen?“<br />

Das war keineswegs ein unmoralisches,<br />

eher ein sensationelles Angebot...


Keine Olympia-Hoffnung mehr<br />

FIL-Präsident Sepp Fendt seit<br />

bald 25 <strong>Jahre</strong>n im Amt<br />

Weitere Kandidatur ausgeschlossen –<br />

Bahn-Erinnerungen<br />

Sie ist spektakulär. Sie ist einzigartig. Sie ist höchst<br />

anspruchsvoll. Für viele Exoten des Sports sogar zu<br />

schwierig. Und doch ist die <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong>,<br />

die älteste weltweit, eine der sichersten, weil perfekt<br />

ausgebaut und Jahr für Jahr mit einem Eis zum Niederknien<br />

ausgestattet. Die Bahn-Mitarbeiter wissen genau, was sie<br />

zu tun haben, feilen an der Röhre, bis sie perfekt passt<br />

– egal ob für die „leichten“ Skeleton-Schlitten oder die<br />

schweren Viererbobs. Lediglich höhere Wettermächte wie<br />

am 19. Januar letzten <strong>Jahre</strong>s, beim Weltcupfinale, als zu starker<br />

Schneefall den Abbruch des ersten Durchgangs der Skeleton-Damen<br />

heraufbeschwor, sind die Menschen machtlos.<br />

Die nun <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> alte Bahn ist also eine der besten der<br />

Welt. Und doch wird sie womöglich nie den höchstmöglichen<br />

sportlichen Höhepunkt erleben: Olympische Spiele.<br />

„Diese Hoffnung habe ich ehrlich gesagt aufgegeben“, sagt<br />

sogar Sepp Fendt, sonst stets optimistischer Präsident des<br />

Rennrodel-Weltverbandes FIL mit Sitz in Berchtesgaden. In<br />

seinem neuen Büro im Nonntal hängen noch nicht einmal<br />

die Bilder an der Wand, am Boden steht ein eingerahmtes<br />

Trikot mit der Nummer 70, welches der Jubilar letztes<br />

Jahr im Oktober zu seinem runden Geburtstag bekam. Erst<br />

im September 2017 wurden die großzügigen, hellen und<br />

freundlich gestalteten Räumlichkeiten feierlich eingeweiht.<br />

Ein paar Meter weiter am anderen Ende des Ganges entsteht<br />

eine hochinteressante „Hall of Fame“ des Rodelsports.<br />

Sepp Fendts Original-Schlitten, mit dem er 1976 in<br />

Innsbruck olympisches Silber einfuhr, steht in einer Ecke,<br />

drumherum alles zur Geschichte des Sports aus dem Blickwinkel<br />

der fünf Ringe. „Wir sind noch nicht ganz fertig, aber<br />

es wird“. Die Dauerausstellung soll nach ihrer Fertigstellung<br />

der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht<br />

werden.<br />

Gegen eine Fußball-WM<br />

hat niemand etwas<br />

In der Neuzeit bestanden bereits mehrfach Chancen für<br />

Olympische Spiele im Berchtesgadener Land: Die Bewerbungen<br />

für 1992 und 2018 scheiterten, Albertville und<br />

Pyeongchang machten letztlich das Rennen. In Frankreich<br />

holte Schorsch Hackl vor 26 <strong>Jahre</strong>n seine erste von drei<br />

Goldmedaillen. Keine Frage: Er hätte sie auch gern auf der<br />

Heimbahn am <strong>Königssee</strong> eingefahren.<br />

Für die Spiele 2022 platzte Münchens Olympia-Projekt<br />

bereits im Vorfeld, ein Bürger-Votum hatte Erfolg, <strong>Königssee</strong><br />

wäre mit im Boot gewesen. Die Gegner werteten ihren<br />

Erfolg als „Zeichen gegen die Profitgier des IOC“. Zuletzt<br />

gab es eine latente Möglichkeit für 2026, doch Graz und<br />

Schladming zogen ihre Bewerbungsgedanken aufgrund<br />

des Fehlens eines klaren politischen Bekenntnisses beziehungsweise<br />

einer entsprechenden Unterstützung durch<br />

„Von Aerodynamik hatten wir damals noch keine Ahnung“,<br />

sagt Sepp Fendt. Erst 1976 ging‘s los, in diese Richtung zu denken.<br />

Für Olympia Innsbruck – unser Bild zeigt den FIL-Präsidenten mit<br />

seinem damaligen Schlitten – bekam er einen „dynamischen“<br />

Helm in Ei-Form. Heute kann er über diese Optik lachen.<br />

die Landesregierung vorzeitig zurück. Die Steirer hätten<br />

die BGL-<strong>Kunsteisbahn</strong> für die drei Kufensportarten vorgesehen.<br />

Eine mögliche Bewerbung Tirols um Innsbruck<br />

war zuvor am massiven Bürger-Votum gescheitert. „Ich<br />

bin wirklich ein Demokrat, aber warum muss überhaupt<br />

öffentlich darüber abgestimmt werden? Das gab es früher<br />

nicht und war auch nicht nötig. Bei einer Fußball-WM<br />

oder -EM ist das keineswegs üblich, das sind ebenfalls<br />

sehr große Sport-Events“, so Fendt. Heute würden sich die<br />

Gegner besser organisieren als die Befürworter, das sei das<br />

Hauptproblem.<br />

Sepp Fendts erste Erinnerungen an die <strong>Kunsteisbahn</strong> gehen<br />

ins Jahr 1964 zurück: „Schon bis dahin habe ich meine<br />

Kindheit im Winter rodelnd verbracht, auf der Naturbahn<br />

am Obersalzberg. Da gab es bereits erste Kinderrennen, das


sind schöne Erinnerungen“. Mit dem Schlitten<br />

ging es in die Schule, vom „Haus Alpenglühen“,<br />

dort wuchs der heute 71-Jährige auf.<br />

1959 1969<br />

Sepp Lenz wie ein Maurer<br />

1964 ging Sepp Fendt zum RC Berchtesgaden<br />

und begann mit dem Leistungssport. Mit<br />

dem Bus oder den Nachbarn und Spezln Hans<br />

Brandner und Hans Wimmer, die ebenfalls rodelten,<br />

kam Fendt, mit 18 <strong>Jahre</strong>n damals noch<br />

nicht volljährig, zum Training an die Bahn.<br />

„Die haben sich die Autos von ihren Vätern<br />

ausgeliehen“. „Anfangs war es recht mühsam,<br />

ich trug einige Blessuren davon und war nicht<br />

besonders erfolgreich“, erinnert sich der gebürtige<br />

Berchtesgadener. Bahnerbauer Sepp<br />

Lenz bewunderte er schon damals: „Wie der<br />

das alles aufgeschichtet hat, wie ein Maurer<br />

mit den Eisblöcken hantierte und das Ganze<br />

mit Schnee sozusagen ausmatschte, das hat<br />

mir schon sehr imponiert“. Fendt ist heute<br />

froh, das alles von Anfang an miterlebt zu haben:<br />

„Das war irgendwo schon pionierhaft. Wir<br />

hatten freilich damals fast nur unseren Sport<br />

im Kopf, aber ich schau darauf mit purer Freude<br />

zurück“.<br />

Die Qualifikation für Olympia 1968 in Grenoble<br />

verpasste er knapp, die anderen waren einfach<br />

besser, sagt er heute mit einem Lächeln. „Doch<br />

plötzlich kam der Umschwung, auf einmal lief<br />

es richtig gut“. Fendts erste besondere Erinnerung<br />

bezieht sich auf den Winter 1968/69,<br />

als er den Sprung in die Nationalmannschaft<br />

schaffte und bei der Heim-WM zur Eröffnung<br />

der <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> zwar nur auf<br />

Rang 13 landete, aber diese Erfahrung eines<br />

ersten Großereignisses für die ganze weitere<br />

Karriere nutzen konnte. Nur ein Jahr drauf hing<br />

um Sepp Fendts Hals die Goldmedaille, nachdem<br />

die WM 1970 ebenfalls daheim im Berchtesgadener<br />

Land stattgefunden hatte.<br />

Durch DBSV-Präsident Richard Hartmann begann<br />

langsam so etwas wie Konditionstraining.<br />

Der Schulrektor ermöglichte den Rodlern<br />

Gymnastik-Übungen in der <strong>Königssee</strong>r Halle.<br />

Am Rodel-Stil, sagt Fendt, habe sich gar nicht<br />

so viel geändert: „Freilich hat sich das Material<br />

und die Technik, vor allem die Schienen-Geometrie<br />

gewaltig entwickelt. Diesbezüglich war<br />

der Hackl Schorsch führend, er hat diesen<br />

Sport in vielen Punkten revolutioniert“. Die<br />

meisten Veränderungen erfuhren die Bahnen:<br />

„Heute sind sie schon sehr sicher“, sagt Fendt.<br />

Gleichwohl ist und bleibt es ein Rennsport, der<br />

immer ein Restrisiko behalten werde.<br />

Sepp Fendt war einer der letzten Riemenfahrer:<br />

„Ich konnte mich einfach nicht mehr<br />

umstellen. Ein Norddeutscher war für uns der<br />

Erste, der beide Hände seitlich in den Rodel<br />

steckte. Das war 1976. Die DDR-Piloten haben<br />

das aber vermutlich schon eher gemacht.“ Der<br />

neue Stil, der bis heute Bestand hat, zielt mehr<br />

Aus den Anfangsjahren der ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />

am <strong>Königssee</strong>. Sepp Fendt war beim Startschuss<br />

mit der WM 1969 als Aktiver dabei.<br />

auf die komplette Körperspannung ab, um zu lenken. Früher<br />

erfolgte dies mit dem Riemen in einer Hand und noch<br />

stärker mit den Füßen. Sepp Fendt nutzte als einer der<br />

„alten Garde“ seine „letzte Chance“ mit der Olympia-Silbermedaille<br />

1976 in Innsbruck, zwei <strong>Jahre</strong> zuvor gewann er am<br />

<strong>Königssee</strong> sein zweites WM-Gold.<br />

Nach der erfolgreichen Karriere, die lediglich einmal, durch<br />

die Silbermedaille in Igls, ein Preisgeld abwarf – „10.000<br />

Mark waren für mich damals eine Riesensumme“ – arbeitete<br />

Fendt ganz normal als Verwaltungsbeamter und Geschäftsleiter<br />

bei der Gemeinde Berchtesgaden weiter. Ein<br />

Profi-Rodler konnte damals mit seinem Sport keine großen<br />

Reichtümer anhäufen. Irgendwann gab’s für die besten<br />

Rodler – an Werbeverträge dachte damals noch niemand<br />

– 100 Mark Ernährungszuschuss von der 1967 gegründeten<br />

Deutschen Sporthilfe. „Das hat uns schon ein wenig geholfen“,<br />

so Fendt.


FIL-Büro im Wohnzimmer<br />

Der Weltverband FIL bestand damals aus einem Präsidenten<br />

aus Österreich und einem Generalsekretär, der in Marseille<br />

saß. Es gab nicht einmal ein Büro, alles spielte sich<br />

im Wohnzimmer von Bert Isatitsch in Rottenmann in der<br />

Steiermark ab. Mit einer Schreibmaschine, einem Faxgerät<br />

und einem Telefon. Sepp Fendt blieb dem Sport verbunden<br />

und arbeitete bereits acht <strong>Jahre</strong> als Vizepräsident neben<br />

Isatitsch, als dieser im Februar 1994 unerwartet verstarb.<br />

Der Berchtesgadener übernahm zunächst kommissarisch<br />

dessen Amtsgeschäfte, ehe er am 25. Juni beim 43. FIL-Kongress<br />

in Rom zum Präsidenten des Rennrodel-Weltverbandes<br />

gewählt wurde. Er hatte schon zuvor dafür gesorgt,<br />

dass die „primitiven“ Verhältnisse – letztlich ohne richtigen<br />

FIL-Sitz – so nicht weitergehen konnten. „Wir hätten den<br />

Anschluss an die anderen Sportverbände verloren. Ich war<br />

der Meinung, dass wir ein richtiges FIL-Büro brauchen.“<br />

Gleich gegenüber des Berchtesgadener Rathauses boten<br />

sich schließlich Räumlichkeiten an. Sepp Fendt richtete<br />

diese mit der Adresse „Rathausplatz 9“ bereits vor seiner<br />

Präsidentschaft – als Vizepräsident Sport – Ende 1992 ein.<br />

Die offizielle FIL-Büro-Eröffnung erfolgte schließlich am 22.<br />

Januar 1993.<br />

„Wir hatten zuvor keine TV- oder Sponsoren-Verträge, keine<br />

Werberechte, nichts war abgesichert. Um all diese Fragen<br />

zu klären und den Verband strukturell und logistisch in<br />

ordentliche Bahnen zu lenken, benötigten wir vernünftige<br />

Arbeitsverhältnisse. Ich habe mit einer Halbtageskraft angefangen,<br />

heute haben wir fünf Festangestellte und zahlreiche<br />

externe Mitarbeiter, die uns von draußen zuarbeiten.“<br />

Im Rahmen des 46. FIL-Kongresses im vergangenen Juni in<br />

Bratislava wurde Fendt ein weiteres Mal im Amt bestätigt.<br />

Dennoch denkt er bereits an seinen Abschied. „Eine neue<br />

Kandidatur schließe ich aus“. Schon heuer hatte Fendt mit<br />

seinem Amtsende kokettiert. „Sie haben mich aber nochmal<br />

überreden können“, lacht er im Gespräch mit dem Bobund<br />

Schlittenverband. Er wolle selbstbestimmt aufhören,<br />

sagt er, und „nicht erst, wenn alle fragen, wann ich denn<br />

endlich abtrete“.<br />

Postkarten-Ansichten der <strong>Königssee</strong>r Kunstbahn mit Natureis<br />

in den 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong>n aus dem Verlag T. Brandner.<br />

Mit Kapitän und Rodel-Team-Kamerad Sepp Lenz (links)<br />

auf einem <strong>Königssee</strong>-Motorschiff: Sepp Fendt (rechts)<br />

in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n. In der Mitte Christa Schmuck,<br />

Olympia-Silbermedaillen-Gewinnerin von Grenoble 1968.<br />

„Das FIL-Büro in Berchtesgaden? Die Skepsis war anfangs<br />

groß“, erinnert sich Fendt. Der deutsche Verband war schon<br />

damals stark, es wurde befürchtet, dass er nun die komplette<br />

Kontrolle erhalten würde. „Darum wurde Berchtesgaden<br />

zunächst nur mit dem Beiwort ,vorübergehend‘ FIL-<br />

Sitz“, erzählt Fendt. Doch rasch etablierte sich die neue<br />

Anlaufstelle, und Funktionäre, Sportler, Trainer sowie Betreuer<br />

rannten Fendt regelrecht die Bude ein, endlich gab<br />

es einen greifbaren Ansprechpartner – „und der wurde nun<br />

intensiv genutzt“, schmunzelt der FIL-Chef über die Anfänge.<br />

Dabei bewährte er sich so gut, dass der FIL-Sitz dauerhaft<br />

im Berchtesgadener Land blieb. „Heute hat niemand<br />

mehr Sorge, wir würden in Deutschland zu stark werden.<br />

Weil wir wirklich sehr bemüht sind, alle gleich zu behandeln<br />

und uns für die Belange eines jeden nationalen Verbandes<br />

einsetzen“, sagt Fendt. Das Kuriose: Mit dem Rodel-Weltverband<br />

FIL, dem Bob- und Skeleton-Weltverband IBSF in<br />

Großgmain und der IBU, der Internationalen Biathlon-Union<br />

in Salzburg, sind gleich drei große Sportverbände in einem<br />

Umkreis von nur 30 Kilometern beheimatet.<br />

Sepp Fendt lässt es – dem zunehmenden Alter geschuldet<br />

– schrittweise ganz bewusst immer ruhiger angehen, fährt<br />

nicht mehr zu jedem Weltcup-Rennen. Ein großes Herz hat<br />

er für die nach wie vor im Schatten der populären Sportarten<br />

stehenden Naturbahnrodler: „Schließlich bin ich aus<br />

dieser Art unseres Sports gekommen“, sagt der Träger des<br />

Bundesverdienstkreuzes, welches ihm 2008 verliehen wurde.<br />

Privat pflegt Fendt seine gute Freundschaft zu Hans<br />

Plenk aus der Schönau, einem sportlichen Weggefährten.<br />

Mit den früheren Konkurrenten Walter Plaikner aus Südtirol,<br />

dem Österreicher Josef Feistmandl oder den ostdeutschen<br />

Hans Rinn und Klaus-Michael Bonsack telefoniert<br />

Sepp Fendt hin und wieder. „Das sind im Lauf der Zeit alles<br />

Freunde geworden“.


Warum die Gerade<br />

Bahn-Chronik:<br />

Teil 2<br />

keine Gerade ist<br />

Die Geschichte dahinter – Erste Rennen im Januar 1960<br />

In der S-Kurven-Kombination zu Beginn der Kunstbahn mit Natureis.<br />

1959 1969<br />

Sepp Lenz kannte den Weg. Die Linienführung<br />

hatte er schon lange im Kopf. Sie<br />

war ihm vertraut. Heute steht die älteste<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt genau dort. Im Schatten<br />

des Grünsteins, unweit des Watzmanns, ganz<br />

nah am <strong>Königssee</strong>. Im Sommer hat der kleine<br />

Seppi dort oft mit seinem Bruder und seinen<br />

Freunden gespielt, im Winter sind sie hier gerodelt<br />

oder hatten andere Freuden im Schnee.<br />

Sepp Lenz und seine Sportkameraden machten<br />

Landrat Karl Theodor Jacob beim Empfang der<br />

Deutschen Meister in den Bahnhofsgaststätten<br />

von Berchtesgaden den Grundstücksvorschlag.<br />

„Ja“, meinte der Chef des damaligen Landkreises<br />

Berchtesgaden spontan. „Da könnt Ihr<br />

schon eine Bahn hinbauen. Wenn die Grundstücksbesitzer<br />

einverstanden sind“, schob er<br />

gleich eine Bedingung hinterher. Und eine Forderung<br />

sicherheitshalber: „Keine Bäume umschneiden“.<br />

Am Ende mussten doch ein paar<br />

weichen. Viel schwieriger war es, die Grundeigentümer<br />

von der Idee einer schon etwas<br />

professionelleren Rodelbahn zu überzeugen.<br />

Bevor es 1959 losgehen konnte, gab es ein<br />

„Specktreffen“ mit allen Beteiligten: „Es stellte<br />

sich heraus, dass es sage und schreibe 13<br />

waren“, erzählt Sepp Lenz. „Da sind wir erstmal richtig erschrocken.“<br />

Da saßen sie nun, die Graßls, Brandners, Hasenknopfs,<br />

Datzmanns, Kastners und wie sie alle hießen.<br />

Einige waren sofort für die Bahn, sahen sie als Chance für<br />

den Fremdenverkehr – ein Pensionsbesitzer hatte sogar zu<br />

dieser Zusammenkunft eingeladen. „Ein, zwei waren nicht<br />

so ganz einverstanden mit unseren Plänen“, erinnert sich<br />

Lenz.<br />

Der WSV <strong>Königssee</strong> als<br />

schlagendes Argument<br />

Bei der Frage, wer denn die Bahn bauen würde, kam rasch<br />

der WSV <strong>Königssee</strong> ins Spiel. „Mit Unterstützung der Kurdirektion“,<br />

so Lenz. Das schmeckte nicht allen: „Ah, Kurdirektion,<br />

gegen die hob i a bisserl wos“, meinte einer mit<br />

einem ablehnenden Kopfschütteln. Doch der im Dezember<br />

1951 gegründete Winter-Sport-Verein <strong>Königssee</strong>, für den<br />

Sepp Lenz rodelte, zog. Letztlich waren die zahlreichen Erfolge<br />

der heimischen Athleten ein „schlagendes Argument“.<br />

Gleich am Ende dieses ersten Treffens sagten alle „Ja“ zur<br />

Kunstbahn – im Vergleich zu heute eine unvergleichlich rasche<br />

Entscheidungsfindung und -freudigkeit. Mit ihrer Überzeugungsarbeit<br />

hatten zwei Männer maßgeblichen Anteil:<br />

August Stengle senior und Richard Hartmann, später Präsident<br />

des Deutschen Bob- und Schlitten-Sportverbandes<br />

(DBSV) und knapp ein Jahrzehnt drauf Mit-Erbauer der ers-


Probleme bereitete den Bahnbauern neben damals durchaus<br />

schon möglichen sehr warmen Winter-Halbjahren, in<br />

denen das Konstrukt in kurzer Zeit einfach wegschmolz,<br />

der begrenzte Platz. „In die Wiesen durften wir nicht rausbauen,<br />

die gehörten den Bauern“. Doch genau das war<br />

und ist bis heute ein „großes Glück“, weiß Sepp Lenz. „Wir<br />

mussten ganz am Waldrand bleiben. Der blieb den ganzen<br />

Winter über meist im Schatten. Somit können wir noch heute<br />

fast drei Monate ohne Sonnensegel fahren. Das ist natürlich<br />

gut für die Zuschauer“. Von Anfang an war es ohnehin<br />

das Ziel, die Bahn so anzulegen, dass Besucher die Piloten<br />

von vielen Stellen aus möglichst lange sehen können. Bis<br />

heute ist das ein großer <strong>Königssee</strong>-Pluspunkt: Wer im Turbodrom<br />

steht, sieht die Sportler so lange live wie auf sonst<br />

keiner anderen Bahn der Welt – bis zu 15 Sekunden, die<br />

ganze Gerade plus im Sepp Lenz-Kreisel selbst, wie er im<br />

Volksmund eher genannt wird. Die extreme Schattenlage<br />

verschaffte <strong>Königssee</strong> einen sehr guten Ruf.<br />

In den Anfangsjahren der Kunstbahn ging es im Tal des<br />

Start-Bereichs recht eng her.<br />

ten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt. Das Erstaunliche: „Wir haben<br />

das damals kostenfrei gemacht, niemand hat etwas dafür<br />

verlangt“, erzählt Sepp Lenz.<br />

Lorenz Lenz senior, Sepps Vater, hatte als mehrfacher Bayerischer<br />

Rennrodel-Meister reichlich Wissen angehäuft. Er<br />

entwickelte die bis heute nach wie vor vorhandene Streckenführung<br />

der Bahn, die sein Sohn, der als Technischer<br />

Leiter fungierte, schon lange im Kopf hatte. Dessen Bruder<br />

Lorenz junior übernahm die Vermessung und Planung,<br />

schließlich arbeitete er als Vermessungssteiger im Salzbergwerk.<br />

Somit lag die verantwortliche Arbeit vor Ort komplett<br />

in den Händen einer Familie. Sie besaßen durch die Ausbauten<br />

der Bahnen in Vorderbrand, am Obersalzberg oder<br />

in Loipl aus den frühen 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong>n sowie der Garmischer<br />

Bahn, die Jahr für Jahr mittels eines enormen Aufwands mit<br />

Eisblöcken aus dem Eibsee entstand, letztlich den größten<br />

Erfahrungsschatz.<br />

Im Juli 1959 konnte es losgehen. Die Trasse schob „der<br />

Schmölzl“ aus, berichtet Sepp Lenz. Die Reichenhaller Baufirma<br />

saß von Anfang an unterstützend mit im Boot. Aus<br />

dem ausgehobenen Erdreich samt der unzähligen zu Tage<br />

getretenen Steine sowie tausenden Ziegeln entstanden die<br />

Kurven. Mit einer breiten Planierraupe, die nicht überall<br />

durchkam, musste ein besonders großer Stein entfernt werden<br />

– prompt machte sich dieser plötzlich selbstständig,<br />

rollte rund <strong>50</strong> Meter über die Wiese zu Tal, richtete aber<br />

zum Glück keinen Schaden an. „Das war gleich mal ein erster<br />

Schock“, lacht Sepp Lenz heute darüber. Der Rodelstart<br />

war von Anfang an dort konzipiert, wo er sich fast heute<br />

noch befindet. „Früher war er noch ein kleines Stück weiter<br />

oben, mit einer extrem steilen Startrampe“, so Lenz. „Als<br />

später die ersten Rodler diese sahen, fürchteten sie sich<br />

schon ein wenig davor.“ Lenz sagt aber auch: „Wir Berchtesgadener<br />

haben das genau so geliebt.“<br />

Ein leichter Knick für die Bäume<br />

Sepp Lenz lüftet im Gespräch schließlich ein Geheimnis:<br />

Warum ist die lange Gerade keine richtige Gerade? „Wir<br />

haben die Bahn dort um ein paar Bäume herumgebaut“,<br />

lacht der 83-Jährige, die Forderung von Landrat Jacob immer<br />

noch im Ohr. Diese ist bis heute eine große technische<br />

Schwierigkeit, weil immer wieder viel darüber diskutiert<br />

wird, wie die Passage vor dem Kreisel, der erst 1976 dazukam,<br />

am Besten zu meistern ist. Früher hatte die Passage<br />

auch noch einen weitaus stärkeren Knick. Während die<br />

Die lange Gerade, die im Grunde keine ist und zunächst<br />

einen weitaus stärkeren „Knick“ hatte als heute.


Mit zehntausenden Eisblöcken aus dem Hintersee und dem Aschauerweiher wurde die Bahn aufgebaut.<br />

1959 1969<br />

Rodler auf ihren „Kanten“-Kufen ohne Bandenanschlag<br />

durchkommen können, die Skeletoni<br />

„vielleicht“ mit einmaligem Touchieren, sind<br />

es bei den Bobs mit ihren „runden“ Schienen<br />

oft bis zu dreimal, um „vermeintlich perfekt“ in<br />

die Jennerkurve und das kurze „Bergaufstück“<br />

ins Turbodrom zu rasen. „Dreimal ist aber zu<br />

viel“, so Sepp Lenz, einmal reiche seiner Meinung<br />

nach vollkommen.<br />

Angedacht war zunächst eine reine Rodelbahn.<br />

Ende der 19<strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong> gab es ohnehin noch<br />

gar keine Bobfahrer in Berchtesgaden. „Wir<br />

wollten enge Kurvenkombinationen einbauen.<br />

Die Piloten der schweren Schlitten forderten<br />

jedoch immer gerade Passagen nach den Kurven“,<br />

weiß Lenz. Die ersten Bob-Versuche in<br />

der <strong>Königssee</strong>-Bahn folgten erst 1963 nach<br />

einem entsprechenden Ausbau im Jahr davor.<br />

Die Piloten schwärmten sofort, wenngleich<br />

„für sie schon ein paar harte Ecken und Kanten<br />

drin waren“, schmunzelt der Experte. Ihnen<br />

war die Eisrinne anfangs zu schnell, darum<br />

starteten sie erstmal weiter unten.<br />

Nach Weihnachten 1959 war die erste Kunstbahn<br />

fertig, freilich „sehr provisorisch“, sagt<br />

Sepp Lenz, aber bereits bis runter fast an den<br />

<strong>Königssee</strong>. Er selbst durfte und musste natürlich<br />

als Erster in die noch sehr unruhige Bahn.<br />

Er meisterte sie mit Bravour. Andere konnten<br />

den gewaltigen Schwung hinten raus nicht<br />

stoppen und landeten – letztlich unverletzt<br />

– im <strong>Königssee</strong>. Deshalb wurde im Jahr drauf<br />

die Zielkurve kurz vor dem Ufer als kompletter<br />

Halbkreis vollendet, quasi wieder bergauf führend – ähnlich<br />

der heutigen Echowand. Insgesamt erfuhr der Auslauf bis<br />

heute sage und schreibe sechs Verlängerungen, um den<br />

stetig steigenden Geschwindigkeiten Herr zu werden. Heute<br />

befindet sich die Zielzeitnahme gegenüber des Labyrinths,<br />

also rund 1<strong>50</strong> Meter oberhalb des tiefsten Bahnpunktes.<br />

Der Auslauf endet erst sehr viel später auf Höhe der Jennerkurve.<br />

10.000 Eisblöcke pro Saison aus dem Hintersee<br />

Die Eröffnung der Kunstbahn feierten die Rodler am 16.<br />

und 17. Januar 1960 mit der Süddeutschen Meisterschaft.<br />

In den Folgejahren verbesserte sich die Infrastruktur<br />

Stück für Stück, beispielsweise mit einer Beleuchtung, Beschallung,<br />

Wasserinstallation inklusive Bahnhydranten und<br />

vielem mehr.<br />

Vereist wurde meistens mit Schneematsch, aber auch mit<br />

bis zu 10.000 Eisblöcken aus dem Hintersee und vom<br />

Aschauerweiher. Der Schnee kam von den benachbarten<br />

Wiesen, der jedoch meist nicht ausreichte. „Wir sind ins<br />

Eisstadion nach Berchtesgaden gefahren, aber dort wurde<br />

damals nicht so früh vereist.“ Sepp Lenz und sein Team<br />

wurde schließlich in Salzburg fündig, der Abrieb aus der<br />

dortigen Eishalle war bestens geeignet: „Ein hervorragender<br />

kompakter Schnee, die Eissplitter waren perfekt für<br />

unsere Bahn“. Selbst vom Roßfeld holten die Bahnbauer<br />

oft das nötige Weiß herunter, <strong>50</strong> bis 60 Kubikmeter wurden<br />

für die Eisrinne benötigt. Alles mit Schaufeln, Hobeln und<br />

den eigenen Händen in Form gebracht – heutzutage eine<br />

unvorstellbare Arbeit über Wochen hinweg. Aktuell benötigen<br />

Bahnchef Markus Aschauer und sein Team nicht einmal<br />

eine Woche für die Vereisung jeweils Anfang Oktober...


„Vor dieser Bahn habe ich<br />

höchsten Respekt“<br />

Selbst nie gerodelt:<br />

Bürgermeister Franz Rasp schätzt<br />

die Sportstätte in anderer Art und Weise<br />

Franz Rasp ist erstaunlicherweise nie gerodelt, wie so<br />

viele Berchtesgadener Kinder, Schüler und Jugendliche<br />

im Rahmen des Unterrichts. Seine früheste Erinnerung<br />

an die Bahn geht zurück in einen heißen Sommer seiner<br />

Kindheit. „Ich war völlig fasziniert von dieser Betonröhre“.<br />

Mit dem Papa ging es auf den Grünstein, vom <strong>Königssee</strong><br />

weg, zunächst nicht entlang der Bahn, sondern „in“ ihr.<br />

„Keine Ahnung, ob das erlaubt war“, schmunzelt der Bürgermeister<br />

der Marktgemeinde.<br />

Unumwunden gibt Franz Rasp zu, warum er sich selbst nie<br />

auf Eis, also in ihrer Bestimmung, in die Bahn gewagt hat<br />

– kurz und knackig mit einem Wort: „Angst“. Das Schlittenfahren<br />

auf blankem Eis sei nicht seins. „Sie haben mich<br />

mal in einen Sommerbob gesetzt, das hat mir schon gereicht.<br />

Ich habe vor dieser Bahn gehörigen Respekt – das<br />

muss man auch mal zugeben können“. Gleichwohl ist er<br />

glücklich, eine solche Sportstätte im eigenen Wirkungskreis<br />

zu wissen. Ihrer Bedeutung verleiht Franz Rasp mit drei<br />

schlagkräftigen Stichwörtern Ausdruck: „Sportstätte, Wirtschaftsfaktor,<br />

touristischer Leuchtturm“. Detailliert: „Wenn<br />

man sich die Bahn als Sportstätte anschaut, was hier alles<br />

an Olympiasiegern herausgekommen ist... – das ist nur<br />

möglich, weil es diese Einrichtung hier gibt“. Die Sportler<br />

fänden vor Ort herausragende Trainingsmöglichkeiten, dadurch<br />

seien diese Erfolge erst möglich, genauso wie eine<br />

konsequente Vereinsarbeit.“ Das Schulrodeln leiste sein<br />

Übriges, damit werde in einer gewissen Breite für den Sport<br />

begeistert. Die enge Verknüpfung von Leistungs- und Nachwuchssport<br />

bilde eine perfekte Symbiose.<br />

Der Wirtschaftsfaktor: Die Bahn bietet Arbeitsplätze und ist<br />

so gut ausgelastet wie keine zweite auf dieser Welt. „Die<br />

Teams, die auf ihr trainieren, müssen hier übernachten, essen<br />

und so weiter.“ Diese Wertschöpfung für die Region sei<br />

keineswegs zu vernachlässigen. „Und das genau in einer<br />

Zeit, die touristisch nicht einfach ist – vor und nach den<br />

Weihnachtsferien“, so Rasp. Punkt drei, der touristische<br />

Leuchtturm: „Die hohe Präsenz in den Medien, vor allem<br />

die guten Weltcup-Termine zu Beginn des <strong>Jahre</strong>s, wenn die<br />

Bilder vom <strong>Königssee</strong> um die Welt gehen – das hilft uns hier<br />

in der Region natürlich schon weiter“, so der Vorsitzende<br />

der TRBK, der Tourismusregion Berchtesgaden-<strong>Königssee</strong>.<br />

Olympische Spiele kritisch diskutieren<br />

Zum Thema Olympia sagt Franz Rasp: „Man kann natürlich<br />

geteilter Meinung sein, ob Olympische Spiele noch<br />

zeitgemäß sind – in der derzeitigen Verfassung des Internationalen<br />

Olympischen Komitees. Das kann man kritisch<br />

diskutieren. Wir sollten uns jedoch einig darüber sein, dass<br />

die Spiele in Regionen durchgeführt werden sollten, in<br />

denen die nötige Infrastruktur bereits vorhanden ist. Der<br />

Alpen-Nordrand wäre in dieser Frage ideal geeignet, um mit<br />

minimalen Eingriffen in Natur und Landschaft solche Spiele<br />

Franz Rasp – hier in seinem<br />

Bürgermeister-Büro –<br />

geht mit Freude und Begeisterung<br />

alles Berufliche an.<br />

Die <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong><br />

ist für ihn eine „frühe<br />

Sommer-Erinnerung“.<br />

durchzuführen. Eine Großstadt ist dafür heutzutage natürlich<br />

ebenfalls nötig“. Geradezu grotesk ist für Franz Rasp<br />

die Vorstellung, dass nagelneue Sportstätten nach den<br />

jeweiligen Spielen nicht mehr genutzt werden. Grundsätzlich<br />

habe Olympia für den Berchtesgadener Marktchef ein<br />

„gesellschaftliches Problem“. Der sportliche Wert sei sicher<br />

immer noch vorhanden, die Ausstrahlung der Veranstaltung<br />

insgesamt verblasse jedoch zunehmend. „Was bei der Vergabe<br />

und rundherum passiert, macht einen schon stutzig“.<br />

Bei uns wäre alles vorhanden gewesen, unter anderem mit<br />

Biathlon in Ruhpolding, Eisschnelllauf in Inzell, Rodel, Bob<br />

und Skeleton am <strong>Königssee</strong> – „also ideal“, sagt Rasp.<br />

Der Bürgermeister selbst ist ebenfalls sehr sportlich unterwegs:<br />

„Ich brauche das. Das ist mein körperlicher und geistiger<br />

Ausgleich“, sagt der 46-jährige gebürtige Berchtesgadener.<br />

Er verrät, dass er sämtliche Reden und Grußworte<br />

beim Sport vorbereite. „Da habe ich meine Ruhe, da kann<br />

ich abschalten, bekomme den Kopf frei und somit zusammen,<br />

was ich sagen möchte“. Somit könne er seine Argumente<br />

besser und vernünftig vermitteln.<br />

Durch Wettkämpfe konsequenter werden<br />

Auf die Frage, wieviele Stunden pro Woche Franz Rasp sportlich<br />

ist, kommt spontan: „Zu wenig“. Er macht Triathlon,<br />

nahm dieses Jahr „mit einer für mich ordentlichen Vorstellung“<br />

am Frankfurter Ironman teil und bewältigte die 3,8 Kilometer<br />

Schwimmen, 185 Kilometer Radfahren und den abschließenden<br />

Marathonlauf über 42,195 Kilometer in gut elf<br />

beachtenswerten Stunden. Allerdings muss er sich künftig<br />

mehr auf Bewegungen konzentrieren, die knieschonender<br />

sind. Darum tendiert er momentan eher Richtung Radfahren<br />

– „das mach ich sehr gern“ – und Schwimmen. „Altersentsprechend<br />

das bestreiten, was geht“, schmunzelt Rasp. Skifahren<br />

sei noch immer eine Leidenschaft, aber das müsse er<br />

dosieren, Skitourengehen und Langlaufen „sind gelenkschonender“.<br />

Wettkämpfe müssen dabei schon ab und an sein:<br />

Die Teilnahme am Ötztaler Radmarathon ist ein sportliches<br />

Ziel für Franz Rasp, der alles, was er beruflich macht, mit<br />

Begeisterung angeht – selbst, wenn es mal unpopulär ist:<br />

„Wichtig ist Klarheit und Eindeutigkeit.“ Als er im März 1993<br />

mit einem Bundeswehr-Kameraden von einem Schneebrett<br />

am Lattenberg voll verschüttet und gerettet wurde, hat er<br />

gelernt, mehr zu machen und weniger aufzuschieben.


Ein Zwei-Mann-Deal für die<br />

1959 1969<br />

Bahn-Chronik:<br />

Teil 3<br />

Ein Eis, welches für alle perfekt passt, gibt<br />

es nicht, sagt Sepp Lenz, <strong>Königssee</strong>-Zeitzeuge<br />

der ersten Stunde. Darum sei eine<br />

kombinierte Bahn – also für die drei Kufensportarten<br />

Rodeln, Bob und Skeleton – stets<br />

ein Kompromiss. Die entsprechenden Schrägen<br />

in der <strong>Königssee</strong>-Geraden werden heutzutage<br />

mit einem Hobel, der auf Stahlrohren<br />

aufsitzt, erzeugt.<br />

Ab 1959 halfen die jungen Sportler ab der 8.<br />

Klasse beim Aufbau des Eises mit: „Das war<br />

damals eine Selbstverständlichkeit“, erinnert<br />

sich Sepp Lenz. Am Bahnbau selbst waren unter<br />

anderem fünf Mitarbeiter der Kurdirektion<br />

beteiligt, dazu kamen rund 20 Sportler. Darunter<br />

das damalige deutsche Aushängeschild<br />

Hans Plenk, 1965 Weltmeister von Davos, oder<br />

Leonhard Nagenrauft vom RC Berchtesgaden,<br />

Europameister 1967 am <strong>Königssee</strong>.<br />

Im Januar 1960 war die erste Kunstbahn mit<br />

Natureis nahe Berchtesgaden fertiggestellt.<br />

Ein abenteuerlich anmutendes Konstrukt, zum<br />

Großteil mit der Hand aufgebaut. Der Untergrund<br />

für die Sportler aus Schneematsch und<br />

zehntausenden Eisblöcken geformt – zum<br />

<strong>Königssee</strong>-Kurven<br />

Das Wort „<strong>Kunsteisbahn</strong>“ musste erstmal<br />

verarbeitet werden<br />

Sepp Lenz modellierte, ehe eine Kurve ihre finale Umsetzung erfuhr,<br />

erst mittels Bretterwand und Schneematsch, fotografierte alles<br />

und zeichnete den gewünschten Radius ein.<br />

Großteil aus dem Hintersee und dem Aschauerweiher herausgeschnitten<br />

und die wenigen Kilometer zum Fuße des<br />

Grünsteins transportiert. Die Eröffnung erlebte gleich einen<br />

sportlichen Höhepunkt: Die Internationale Süddeutsche<br />

Rennrodel-Meisterschaft (siehe auch Teil 2 unserer Chronik).<br />

Die WSV <strong>Königssee</strong>-Rodler Sepp Lenz und Nepomuk<br />

Beer junior gewannen den Doppelsitzer-Bewerb. Die ersten<br />

Rennen – damals gab es noch keinen Weltcup – besaßen<br />

meist schon internationalen Charakter, beispielsweise<br />

der Alpenländer-Pokal oder das Graf Landsberg-Rennen.<br />

Das Debüt am <strong>Königssee</strong> wurde mit dem Landrat-Pokal<br />

gefeiert.<br />

Links die Linienführung der Kunstbahn am <strong>Königssee</strong><br />

1958/59, rechts jene der ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />

von 1968/69. Beide noch ohne Kreisel, der erst 1976<br />

dazukam. Gut zu erkennen: Der erste Auslauf (linke<br />

Skizze), der noch dafür sorgte, dass zahlreiche Schlitten<br />

im <strong>Königssee</strong> landeten. Das war ein Jahr drauf Vergangenheit,<br />

als die Echowand einen Halbkreis bildete,<br />

der wieder nach oben führte.<br />

Weggeschmolzen an nur einem Tag<br />

In den Folgejahren erfuhr die Bahn eine schrittweise Modernisierung,<br />

um einerseits die Sicherheit der Sportler zu<br />

erhöhen, andererseits verbesserte Verfahren der Eispräparation<br />

zu ermöglichen. Eine Beleuchtung wurde genauso installiert<br />

wie eine Beschallung, die Wasserinstallation inklusive<br />

Bahnhydranten folgte. Die verbesserte Logistik und ein<br />

neues Zielhaus erleichterte Kampfrichtern, Pressevertretern<br />

und Sanitätern die Arbeit. Ab und an mussten Trainingseinheiten<br />

oder Rennen jedoch kurzfristig abgesagt werden:<br />

„Die mühsam aufgebaute Eisspur schmolz uns schon mal


Den Besuchern zu Zeiten der <strong>Königssee</strong>r Kunstbahn war es noch möglich, den Rodlern auf den Kurven stehend zuzuschauen.<br />

innerhalb nur eines Tages zusammen“, erinnert sich Sepp<br />

Lenz. Dahin war die wochenlange Arbeit, sie rann schnurstracks<br />

in den <strong>Königssee</strong>, niemand konnte etwas dagegen<br />

tun.<br />

Aus Bonn, der damaligen Bundeshauptstadt, kam bald die<br />

entscheidende Anregung: <strong>Königssee</strong> müsse – mit seinem<br />

mittlerweile europaweit enorm guten Ruf – Bundesleistungszentrum<br />

(BLZ) werden, womit schließlich eine <strong>Kunsteisbahn</strong><br />

gerechtfertigt werden konnte. Der damalige Präsident<br />

des Deutschen Bob- und Schlittensportverbandes<br />

(DBSV), der gebürtige Münchner Richard Hartmann, wurde<br />

ins Hohe Haus nach Bonn eingeladen.<br />

Die Frage war: Garmisch oder <strong>Königssee</strong>?<br />

Uwe Deyle vom gleichnamigen Ingenieur-Büro aus Stuttgart<br />

meinte im politischen Zentrum der Bundesrepublik: „Wir<br />

müssen eine <strong>Kunsteisbahn</strong> bauen“. Das Wort „<strong>Kunsteisbahn</strong>“<br />

musste in der Runde erst einmal verarbeitet werden.<br />

So recht konnte sich kaum jemand etwas darunter vorstellen,<br />

bislang gab es sowas schließlich noch nicht. Weltweit<br />

wäre <strong>Königssee</strong> ein Novum. „Doch Garmisch-Partenkirchen<br />

redete ein gehöriges Wort mit“, erzählt Sepp Lenz. Dort<br />

nahm die Kunstbahn ebenfalls immer professionellere Formen<br />

an. „Aber wir hatten seitens der Sportler den besseren<br />

Ruf“, erinnert er sich. Ein heißer Kampf war entfacht:<br />

Wer sollte das Bundesleistungszentrum (BLZ) bekommen?<br />

Und damit verbunden später die erste <strong>Kunsteisbahn</strong> der<br />

Welt. Die Entscheidung fiel. Auf <strong>Königssee</strong>. 1965 erfolgte<br />

die Ernennung zum BLZ. Die heimische Kunstanlage mit<br />

Natureis und damit die Rennen erfuhren noch einmal eine<br />

Steigerung – an Qualität, Niveau, Ansehen, internationalem<br />

Flair: Längst kamen Norweger und Schweden, bald sogar<br />

Kanadier und US-Amerikaner.<br />

Das Wort „<strong>Kunsteisbahn</strong>“ waberte weiter über den <strong>Königssee</strong><br />

und verfestigte sich 1967/68. Garmisch war aus dem<br />

Rennen, am Fuße der Zugspitze gab es Probleme mit den<br />

Grundstücken. Dabei war der Ort bereits 1936 für ein solches<br />

Projekt ernsthaft nicht nur im Gespräch: „Dort hatten<br />

sie bereits die entsprechenden Rohre für die Ammoniakleitungen<br />

angeliefert. Doch die wurden rasch als Wasserleitungen<br />

für die Häuslbauer verwendet“, weiß Lenz. Damit<br />

war eine <strong>Kunsteisbahn</strong> in Garmisch ad acta gelegt, der<br />

Bund war für <strong>Königssee</strong>. „Die Firma Deyle hatte Ahnung<br />

von der Eisbereitung, die hatten ja schon zuvor das Eisstadion<br />

in Inzell geplant.“<br />

Am <strong>Königssee</strong> befanden sich die Kurven mittlerweile in massiver<br />

Betonstein-Bauweise. „Deyle sah das und meinte, das<br />

Sepp Lenz auf den Kühlrohren der S-Kurven-Kombination<br />

während des <strong>Kunsteisbahn</strong>-Baus 1968.


1959 1969<br />

Bahnbau in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n: Die Kunstbahn-Kurven wurden noch aufgemauert,<br />

mussten später im Zuge des Baus der <strong>Kunsteisbahn</strong> jedoch wieder abgerissen werden.<br />

müssen wir alles wegreißen – gerade, als wir<br />

mit all dem fertig waren“, so Lenz. Die Möglichkeit,<br />

die Rohre auf diese Steine zu bauen,<br />

gab es nicht. „Das war ein Schlag ins Gesicht“.<br />

Keine schlechte Nachricht ohne gute: Die ursprüngliche<br />

Linienführung konnte beibehalten<br />

werden, das war Sepp Lenz und seinem Team<br />

wichtig. Ebenfalls klar: Eine reine Rodelbahn<br />

konnte es nicht werden, ein Bundesleistungszentrum<br />

sollte später allen Kufen-Athleten eine<br />

sportliche Heimat bieten. „Es musste ein kombiniertes<br />

Projekt werden, damit auch die Bobs<br />

bei uns starten können“. Sepp Lenz und seine<br />

Sportkameraden zeigten sich darüber nicht<br />

restlos zufrieden: „Wir hätten schon gern eine<br />

reine Rodelbahn gehabt. Ab diesem Zeitpunkt<br />

sind wir aber dann meistens auf den breiteren<br />

Bobbahnen gefahren“.<br />

funktionierte nicht. Die Kurven mussten mit Brettern –<br />

Dachlatten – eingeschalt werden. „Die große Frage war, wie<br />

da der Beton reinkommen soll? Von oben in eine vier Meter<br />

hohe Wand bis runter an die Sohle und auf der anderen<br />

Seite wieder ein Stück rauf, mit all den Rohren, der Bewährung<br />

aus Eisen und so weiter. Sie haben es hinbekommen,<br />

mit einer Schalung von oben bis unten, sogar auf den Geraden“,<br />

wundert sich der Lenz Sepp noch heute. Mal mit<br />

einem weicheren – nicht optimal –, mal mit normal hartem<br />

Beton. Die damalige Annahme, informiert der Experte, hohe<br />

Kurven seien sicher, war jedoch falsch. „Weil ich dabei unheimlich<br />

weit von der Ideallinie abkomme. Wir waren alle<br />

keine Ingenieure, mussten erst lernen, wie es am besten<br />

funktioniert.“ Die Kurven hatte unter anderem ein Straßenbau-Ingenieur<br />

konzipiert, der davon aber nicht viel Wissen<br />

besaß. Die Bobs gerieten oft in den Übergang, der sie<br />

regelrecht an die untere Innenwand der Kurve zurückschmiss.<br />

Kompromiss für die Bobfahrer<br />

Mit der Zeit gelang die Umstellung. Im Grunde<br />

liege der Unterschied im Kurvenradius,<br />

der bei den Rodlern enger ist, die Abfolge an<br />

sich erfolge rascher. „Die Bobpiloten wünschten<br />

sich damals noch nach jeder Kurve eine<br />

mindestens sechs Meter lange Gerade.“ Damit<br />

konnten die Rodler nichts anfangen und<br />

verweigerten zunächst. Die Kompromissfindung<br />

ergab: „Wir haben die S-Kurven so gebaut,<br />

dass die Bobs gut durchkamen. Da hat<br />

der Praktiker dann mal wieder recht gehabt“,<br />

meint Sepp Lenz augenzwinkernd. Rasch fand<br />

das berühmte „S“ im Berchtesgadener Land<br />

helle Begeisterung bei den anderen Nationen,<br />

die es nachbauen wollten. Aber bis heute hat<br />

es niemand so hinbekommen wie <strong>Königssee</strong>,<br />

das nicht nur in diesem Punkt Alleinstellungsmerkmal<br />

besitzt. „Alle fahren hier gern“, weiß<br />

Lenz. Das Labyrinth mit seinen Wellenlinien ist<br />

ebenfalls etwas ganz Besonderes: „Diese kurzen<br />

Wechsel mit ihren Drehungen sind nicht<br />

leicht hinzubekommen“, sagt er. „Die müssen<br />

in der Höhe exakt stimmen“.<br />

Der <strong>Kunsteisbahn</strong>-Bau begann im Sommer<br />

1968 mit der schwierigsten Kurve, der Echowand.<br />

Spritzbeton war angedacht, doch das<br />

Die ersten Winter waren eine Mogelpackung<br />

Die Kurven-Ein- und Ausfahrten stimmten anfangs genausowenig:<br />

„Ja mei, das war was“, erinnert sich Sepp Lenz<br />

mit Schaudern an die Bauzeit Ende der 1960er-<strong>Jahre</strong>. Es<br />

waren Buckel drin, mit regelrechten Sprüngen. Das hat er<br />

sofort gesehen und Richard Hartmann mitgeteilt. „Ob die<br />

Querneigungen passten, konnte ich nicht abschätzen“. Mit<br />

20 Zentimetern Extra-Eis musste Sepp Lenz die Buckel ausgleichen<br />

und durfte nichts sagen, das war der „Das machst<br />

Du schon, Sepp“-Deal mit Hartmann – „sonst wären wir bis<br />

Weihnachten nicht fertig geworden“.<br />

Nichts hat gestimmt, keine einzige Kurve, das Labyrinth,<br />

nichts. Damals war‘s mehr schlecht als recht. Somit haben<br />

wir wieder angefangen mit dem Schneematsch“, erzählt<br />

Lenz heute amüsiert. Ehe er etwas am Beton nach der Saison<br />

verändern konnte, probierte er es immer erst mit einem<br />

Modell aus Schnee aus – das war seine „Sicherheit“. Im<br />

Lauf der <strong>Jahre</strong> hat er Kurve für Kurve in mühsamer Sommer-Handarbeit<br />

neben seiner normalen beruflichen Anstellung<br />

als Schiffskapitän auf dem <strong>Königssee</strong> reguliert: „Somit<br />

hatten wir immer gut zu tun, das hörte eigentlich nie auf“.<br />

Dabei stieß Sepp Lenz durchaus auf Widerstände, massive<br />

mitunter: „Skepsis war immer mit dabei, ob das schon was<br />

Gescheites ist, was ich da mache“.<br />

Kurz nach Weihnachten 1968 war die erste <strong>Kunsteisbahn</strong><br />

der Welt fertig...


In Silber-„Plastik“ von 1992<br />

Schlittensport-Geschichte wird am <strong>Königssee</strong><br />

durch historische „Rennen“ erlebbar gemacht<br />

Bei den historischen Bewerben muss stets auch das Outfit<br />

der damaligen Zeit angemessen erscheinen.<br />

Im Rahmen historischer „Rennen“ wird die Schlittensport-Geschichte<br />

– in erster Linie des Bob- und Rodelsports<br />

– am <strong>Königssee</strong> immer wieder mal für alle Fans<br />

erlebbar gemacht. Beim Weltcup-Finale 2018 beispielsweise,<br />

als nach 2016 und 2017 zum dritten Mal ein dutzend<br />

historischer Gefährte die tausenden Besucher begeisterten.<br />

Dabei stehen die alten „Boliden“ nicht nur irgendwo herum,<br />

um bestaunt zu werden, sondern kommen aktiv in der<br />

Bahn zum Einsatz. Dem nicht genug: In den Schlitten sitzen<br />

prominente Sportler an den Lenkseilen, die „hinten drin“<br />

gleichfalls bekannte Persönlichkeiten – ehemalige Athleten,<br />

Politiker, TV-Stars oder Funktionäre – sicher zu Tal bringen.<br />

Der sportliche Ehrgeiz steht dabei nicht unbedingt im<br />

Vordergrund. Es geht eher darum, zwei gleichmäßige Läufe<br />

vom Jugendstart ins Ziel zu bringen. Da die Bobs aus einer<br />

rund 70-jährigen Zeitspanne stammen, macht eine Schnelligkeitswertung<br />

keinen Sinn – einige Schlitten erreichen<br />

schließlich gerade so die Zeitnahme.<br />

Die ältesten „Kisten“ stammen aus dem <strong>Jahre</strong> 1948, die<br />

jüngsten sind mittlerweile auch schon 18 <strong>Jahre</strong> alt. Mit<br />

von der Historic-Partie waren bereits Ex-Formel 1-Rennfahrer<br />

Heinz-Harald Frentzen, Bob-Legende Wolfgang Hoppe,<br />

Weltverbands-Präsident Ivo Ferriani (IBSF), BSD-Generalsekretär<br />

Thomas Schwab, der Bob-Weltmeister von 2013 und<br />

2015 Maximilian Arndt, Dr. Markus Herzog, Sohn des 2017<br />

verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog,<br />

„Dahoam is Dahoam“-Schauspieler Michael A. Grimm,<br />

der kanadische Bob-Fahrer Lyndon Rush sowie Rennfahrerin<br />

und TV-Moderatorin Christina Tomczyk-Surer, Ehefrau<br />

von Ex-DTM-Pilot Martin Tomczyk aus Rosenheim.<br />

Der Hornschlittenverein Partenkirchen präsentierte sich bei der<br />

46. FIL-Rodel-Weltmeisterschaft 2016 an der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong>.<br />

der <strong>Kunsteisbahn</strong> befahren werden. Dabei erreichten die<br />

Schlitten immerhin bis zu 35 km/h. Zum traditionellen Hornschlittenrennen,<br />

das stets am 6. Januar in Garmisch-Partenkirchen<br />

stattfindet, kommen rund 5.000 Zuschauer.<br />

Vor der Rodel-WM im Berchtesgadener Land begaben sich<br />

acht Weltklasse-Rodler zum Gasthaus Vorderbrand, um an<br />

der Sliding-Challenge eines Sponsors teilzunehmen. Am<br />

Ende ertönte die amerikanische Hymne: Erin Hamlin aus<br />

den USA hatte sich den Sieg geholt, war der „vorgelegten“<br />

Zeit von Schorsch Hackl bis auf drei Zehntel am nächsten<br />

gekommen. Auf der wegen der Plusgrade auf rund 1<strong>50</strong> Meter<br />

verkürzten und weichen, aber gut zu rodelnden Strecke<br />

inklusive „Lauf“-Kreisel oberhalb des Gasthauses, stand für<br />

Athleten wie Besucher der Spaß im Vordergrund.<br />

Neben Erin Hamlin und Schorsch Hackl waren Lokalmatador<br />

Felix Loch, Natalie Geisenberger, das heimische Spitzendoppel<br />

Tobias Wendl/Tobias Arlt sowie Chris Mazdzer,<br />

Semen Pavlichenko und Tatjana Ivanova aus Russland mit<br />

von der Partie.<br />

Hornschlitten mit 35 km/h unterwegs<br />

Der Hornschlittenverein Partenkirchen präsentierte sich bei<br />

der 46. FIL-Rodel-Weltmeisterschaft 2016 an der <strong>Kunsteisbahn</strong><br />

<strong>Königssee</strong>. Sechs Herren und zwei Damen boten<br />

Mitfahrgelegenheiten auf ihren traditionellen Gefährten in<br />

„Werdenfelser Bauart“ an. Trotz geringer Schneelage konnte<br />

die etwa 3<strong>50</strong> Meter lange Naturstrecke auf der Wiese neben<br />

Olympiasieger Felix Loch als Anschieber für die beiden Super-Tobis<br />

Wendl (vorn) und Arlt bei der Sliding-Challenge 2016 in den silbernen<br />

„Plastik“-Anzügen der Olympischen Spiele 1992 in Albertville.


<strong>Königssee</strong>-Zeitraffer:<br />

1968<br />

1970<br />

1972<br />

1999<br />

Juli 1959: Bau der Kunstrodelbahn durch den WSV<br />

<strong>Königssee</strong>, rund 1000 freiwillige Arbeitsstunden mit<br />

Unterstützung durch den Fremdenverkehrsverband<br />

Berchtesgaden sowie unter der Leitung von Lorenz<br />

Lenz senior, Vater des späteren Bundestrainers Sepp<br />

Lenz aus <strong>Königssee</strong>. Kosten: 15.000 Mark, Länge 1100<br />

Meter, Breite 2,5 Meter, 18 Kurven, durchschnittliches<br />

Gefälle elf Prozent.<br />

Januar 1960: Eröffnung der Kunstbahn mit der Internationalen<br />

Süddeutschen Rennrodelmeisterschaft. Alle<br />

Titel bei den Erwachsenen gingen nach Österreich:<br />

Hellmut Thaler gewann vor Lokalmatador Hans Plenk<br />

vom RC Berchtesgaden. Bei den Damen entführte Renate<br />

Reiter ebenfalls Platz 1 ins rot-weiß-rote Lager,<br />

für die heimischen Rodlerinnen gewann Zenzi Plenk<br />

(RCB) Bronze. Die Thaler-Brüder waren die schnellsten<br />

Doppelsitzer, vom WSV <strong>Königssee</strong> landeten Sepp Lenz<br />

und Nepomuk Beer junior knapp dahinter. Die Nachwuchsrennen<br />

gewannen mit Josef Fleischmann, Karin<br />

Kurz und dem Doppel Fleischmann/Nadless ausnahmslos<br />

<strong>Königssee</strong>-Athleten.<br />

März 1961: Erstes Kurgäste-Rodeln – bis heute ohne<br />

Unterbrechung im Angebot.<br />

1961 - 1963: Ausbau der Bahn mit einem Kostenrahmen<br />

von fast 1<strong>50</strong>.000 Mark, bezahlt vom Fremdenverkehrsverband<br />

Berchtesgaden. Die Kurven wurden verbessert,<br />

Wasserversorgung, Beleuchtung, Telefon- und<br />

Lautsprecher installiert. 1962 erfolgte der Ausbau für<br />

Zweierbobs.<br />

26./27. Januar 1963: Erstes Zweierbob-Rennen mit<br />

der Bayerischen Meisterschaft und den Siegern Franz<br />

Wörmann/Horst Wagner vom SC Rießersee.<br />

1963/64: Bau eines Zielhauses mit insgesamt 185<br />

Kubikmetern umbautem Raum für Kampfrichter, Presse,<br />

Sanitäter. Kosten: <strong>50</strong>.790 DM, übernommen vom<br />

Fremdenverkehrsverband. Er stellte zudem die Arbeitskräfte<br />

und die Fahrzeuge für den Transport der Eisblöcke<br />

vom Aschauerweiher in Bischofswiesen zur Bahn.<br />

März 1965: Ernennung zum Bundesleistungszentrum<br />

Rennrodeln.<br />

1966: Bau der Starthäuser und Asphaltierung der<br />

Bahnsohle – dadurch war fortan ein Sommertraining<br />

mit Räderschlitten möglich.<br />

28./29. Januar 1967: Rodel-Europameisterschaft<br />

mit den Titelträgern Leonhard Nagenrauft und Christa<br />

Schmuck vom RC Berchtesgaden sowie dem Doppel<br />

Feistmantl/Bichl aus Österreich.<br />

27./28. Januar 1968: Rodel-Junioren-EM – die Sieger:<br />

Dana Beldova (CSSR), Siegfried Müller und das<br />

Doppel Müller/Roßmann (alle DDR).<br />

Sommer bis <strong>Jahre</strong>sende 1968: Ausbau zur ersten<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt. Pläne und Bauleitung: Ingenieur-Büro<br />

Deyle Stuttgart. Kosten: 4,6 Millionen DM,<br />

getragen durch den Bund (80 Prozent) und das Land<br />

Bayern. Die Daten: 1114 Meter Länge, 16 Kurven, durchschnittliches<br />

Gefälle elf Prozent.<br />

1./2. Februar 1969: Eröffnung der Bahn mit der 11.<br />

Rodel-Weltmeisterschaft, 20.000 Zuschauer strömten<br />

an den <strong>Königssee</strong>, das Fernsehen übertrug live. Traurig:<br />

Der Pole Stanisĺaw Paczka wurde am 1. Februar<br />

während des zweiten Laufs aus der dritten S-Kurve<br />

getragen und prallte gegen einen Baum. Der damals<br />

23-Jährige erlag wenig später seinen schweren Verletzungen.<br />

Frühjahr 1969: Auf der Berchtesgadener Breitwiese<br />

entsteht das erste Mannschaftshaus des Bundesleistungszentrums<br />

Rodeln – später auch für den Bobsport.<br />

Kosten: rund eine Million DM (70 Prozent Bund, 20<br />

Prozent Bayern, 10 Prozent Landkreis). Das Gebäude<br />

umfasste Schlafräume für 35 Personen, einen Gemeinschaftsraum,<br />

Unterrichtsraum, eine Küche und eine<br />

Werkstatt, einen Massage- und einen Kraftraum. Landrat<br />

Dr. Rudolf Müller übergab das Gebäude Ende April<br />

1969 feierlich seiner Bestimmung. Kurz zuvor, am 15.<br />

März, hatte das erste Zweierbob-Rennen auf <strong>Königssee</strong>-Kunsteis<br />

stattgefunden.<br />

24. Januar 1975: Einweihung der Spiel- und Sporthalle<br />

beim Mannschaftshaus des Bundesleistungszentrums<br />

in Berchtesgaden. Die 24 mal 45 Meter große<br />

Halle kostete rund vier Millionen DM.<br />

11. Dezember 1975: Einweihung der ersten künstlich<br />

vereisbaren Anschubrampe der Welt. Der Bund<br />

übernahm die kompletten Kosten von 3<strong>50</strong>.000 DM.<br />

1976: Umbau der Bahn für Viererbobs, Kosten rund<br />

acht Millionen DM, durch den Einbau des Kreisels mit<br />

42 Metern Durchmesser. Die Bahn wurde auf die von<br />

der FIBT vorgeschriebene Mindestlänge von 1200 Metern<br />

gebracht. See- und Kehlsteinkurve erhielten ein<br />

neues Querprofil und die Kurvenränder zusätzliche<br />

Holzüberkragungen zur Verbesserung der Sicherheit.<br />

Bau eines neuen Zielhauses.<br />

22. Januar 1977: Erstes Viererbob-Rennen mit einer<br />

Deutschen Meisterschaft.<br />

1978: Umbau für die Rodel-WM 1979 sowie die erste<br />

im Zweier- und Viererbob am <strong>Königssee</strong>. Kosten für


...von 1959 bis heute<br />

2018<br />

2015<br />

2018<br />

die Verbesserung der Bob-Startanlage sowie die bergseitigen<br />

Zuschauerstege: 2,1 Millionen DM.<br />

Februar 1985: Umbau und Erweiterung des Zielhauses<br />

mit Räumen für die Presse, Ehrengäste, Dopingund<br />

Gewichtskontrollen. Errichtung einer Fußgängerunterführung<br />

an der alten Zielkurve, Kälteisolierung<br />

und Automatisierung der Bahnkühlung zur Energieeinsparung,<br />

Sanierung der Bahnflächen – Kosten insgesamt<br />

rund 3,6 Millionen DM.<br />

1991 - 1993: Verlängerung des Auslaufes zur Sicherheit<br />

der Sportler im Zuge der Errichtung der Kurve 19.<br />

1997 - 1999: Sanierung der kältetechnischen Einrichtungen<br />

im Maschinenhaus mittels zweier Bauabschnitte,<br />

um einerseits eine Energieoptimierung zu erzielen,<br />

andererseits den sicherheitstechnischen Anforderungen<br />

gerecht zu werden.<br />

2003: Mit Blick auf die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft<br />

2004 Neubau und Erweiterung des gesamten<br />

Startbereichs für den Bobsport, die Rodel-Damen, die<br />

Doppelsitzer und Skeletoni. In diesem Zuge mussten<br />

die Vorbereitungs-, Start- und Anlaufzone sowie das<br />

Funktionsgebäude den international geltenden Bestimmungen<br />

der IBSF angepasst werden. Baukosten<br />

rund drei Millionen Euro.<br />

Februar 2005: Das heutige Turbodrom erhält den Namen<br />

Sepp Lenz-Kreisel.<br />

23. November 2009: Trauriger Höhepunkt der Neuzeit<br />

am <strong>Königssee</strong>. Die Verkettung menschlicher Fehlentscheidungen<br />

führte zu einem tragischen Unglück.<br />

Dabei erlitt die damals 20-jährige Anschieberin Irina<br />

Skworzowa aus Russland schwerste Verletzungen mit<br />

zahlreichen offenen Brüchen. Sie musste daraufhin<br />

über <strong>50</strong> Mal operiert werden und leidet bis heute an<br />

den Folgen. Ein langer Gerichtsprozess war die Folge.<br />

2010/11: Im Vorfeld der Bob- und Skeleton-WM 2011<br />

wurde der gesamte untere Bereich der Bahn neu konzipiert.<br />

Der enge Radius der Echowand, der für Fliehkräfte<br />

von mehr als dem sechsfachen des eigenen Körpergewichts<br />

sorgte, sowie zu geringe räumliche Kapazitäten<br />

im Zielhaus und im Auslauf waren im Hinblick auf die<br />

Bewerbung der Olympischen Winterspiele 2018 hierfür<br />

ausschlaggebend. Rund 22 Millionen Euro waren im<br />

Vorfeld veranschlagt. Am 25. März 2010 geriet jedoch<br />

rund die Hälfte des Kreisels bei Demontagearbeiten in<br />

Brand, die WM 2011 geriet in Gefahr. Der Umbau wurde<br />

forciert, bis November wurde mit Hochdruck gearbeitet.<br />

Neben einigen Funktionsbauwerken, beispielsweise<br />

im Zielbereich, wurden der gesamte Startbereich bis<br />

zur Kurve 5 sowie der komplette untere Bahnteil ab<br />

Kurve 15 über die Zielkurve hinaus bis zum Auslauf<br />

neu gebaut und damit den aktuellen Anforderungen<br />

des IBSF-Reglements angepasst. Alles wurde rechtzeitig<br />

fertig, die Weltmeisterschaft konnte am 14. Februar<br />

2011 planmäßig beginnen – <strong>Königssee</strong> war für Cortina<br />

d‘Ampezzo eingesprungen, dort hatte es Probleme mit<br />

der Bahn und der Organisation gegeben.<br />

2011/12: Umbau des Herrenstarts sowie der Kurven 1<br />

und 2 mit Neubau des Startgebäudes durch den neuen<br />

Bahn-Sponsor Deutsche Post.<br />

2016: Von 29. bis 31. Januar geriet die Deutsche<br />

Post-Eisarena <strong>Königssee</strong> – diesen Namen erhielt sie<br />

im Oktober 2014 – in den Fokus der internationalen<br />

Sportszene, als die 46. FIL-Rennrodel-Weltmeisterschaft<br />

ausgetragen wurde. Genau 17 <strong>Jahre</strong> nach der<br />

letzten WM bot die 1968 erbaute und 1969 eröffnete<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> die ideale Plattform für 120 Sportlerinnen<br />

und Sportler aus 24 Nationen.<br />

15. September 2017: Eröffnung des hochmodernen<br />

Regionalzentrums Chiemgau / Berchtesgadener<br />

Land des Olympiastützpunktes Bayern, gleichzeitig<br />

BSD-Zentrum.<br />

2017: Für die 62. IBSF Bob- und Skeleton-WM war ursprünglich<br />

das für die Olympischen Winterspiele 2014<br />

erbaute Sliding Center Sanki in Krasnaja Poljana in<br />

der Nähe von Sotschi, Russland, vorgesehen. Aufgrund<br />

der Erkenntnisse des am 9. Dezember 2016 veröffentlichten<br />

McLaren-Reports zum systematischen Doping<br />

in Russland entzog der Weltverband dem Land kurzfristig<br />

die Austragung beider Veranstaltungen. Lettland<br />

und Südkorea hatten im Vorfeld angekündigt, an<br />

einer Weltmeisterschaft in Sotschi nicht teilnehmen zu<br />

wollen. Am 19. Dezember 2016 gab die IBSF bekannt,<br />

dass die Titelkämpfe 2017 am <strong>Königssee</strong> stattfinden<br />

werden. Der deutsche Verband hatte nur knapp sechs<br />

Wochen Zeit, die WM vorzubereiten. Alles klappte bestens<br />

und die Rennen avancierten zum vorerst letzten<br />

Sport-Großereignis in der Region.<br />

Januar 2018: Exakt ein Jahr später, Ende Januar<br />

2018, fand an drei Tagen das Bob- und Skeleton-Weltcupfinale<br />

am <strong>Königssee</strong> statt.<br />

3. - 6. Januar 2019: Am 3. Januar feiert der BSD in<br />

Bad Reichenhall 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn und <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> mit einem Festabend vor<br />

der Alten Saline in Bad Reichenhall. Am 5. und 6. Januar<br />

geht traditionell der Rodel-Weltcup als erstes Sportereignis<br />

eines neuen <strong>Jahre</strong>s über die Bühne.


Mit dem Ausweis<br />

zu Besuch beim Opa<br />

Richard Hartmann:<br />

Visionär, Macher, Ideengeber,<br />

Finanzbeschaffer, Funktionär<br />

1959 1969<br />

Richard Hartmann ist eine Gedenktafel<br />

an der Bahn gewidmet. Der Präsident des<br />

Deutschen Bob- und Schlittensportverbandes<br />

war Initiator der ersten kombinierten<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt.<br />

Wenn Bundespräsident Gustav Heinemann<br />

oder der Bayerische Ministerpräsident<br />

Franz-Josef Strauß zu<br />

Besuch waren, mussten die Enkel Gerald und<br />

Richard an der Gartentür ihre Ausweise herzeigen,<br />

wenn sie ihren Opa Richard Hartmann<br />

besuchen wollten. „Das Haus war dann immer<br />

rundum gesichert wie ein Staatsgebäude“, erinnert<br />

sich der heute 42-jährige Enkel Richard,<br />

Richard Hartmann erklärt Bundespräsident Gustav Heinemann<br />

im Rahmen der Einweihung des neuen Mannschaftshauses<br />

1969 die Feinheiten des Rodelsports.<br />

Richard Hartmann, der Enkel des großen Funktionärs<br />

mit dem gleichen Namen, erinnert sich noch gut an<br />

seinen Opa. Er ist Trainer der Kreisklassen-Fußballer<br />

des TSV Berchtesgaden.<br />

wie sein Großvater und sein Vater mit diesem Vornamen<br />

ausgestattet, Lehrer an der Bacheifeldschule in Berchtesgaden,<br />

seit 2008. Heute wohnt er im Haus seines bekannten<br />

Opas in <strong>Königssee</strong>, auf dem Dachboden lagern alte Baupläne,<br />

Skizzen, Aufzeichnungen, stapelweise Brief-Korrespondenz<br />

aus den 1960er- und 1970er-<strong>Jahre</strong>n, hunderte Fotos<br />

und vieles mehr – Zeitdokumente aus einer spannenden<br />

Epoche, als die erste <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong> gebaut<br />

wurde. Sie steht seit <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n und bleibt, wie der Name<br />

Richard Hartmann, eng mit dem Visionär, Macher, Ideengeber,<br />

Finanzbeschaffer, Funktionär verbunden.<br />

Richard Hartmann senior verstarb am 15. September – auf<br />

den Tag genau zwei Monate nach seinem 70. Geburtstag<br />

– im Kreiskrankenhaus Berchtesgaden. Bei der Feier des<br />

runden Ehrentages hatten Gerald und Richard ihrem Opa<br />

noch ein Ständchen gebracht.<br />

Eine echte Erscheinung<br />

Der verdienstvolle Präsident des damaligen Deutschen Bobund<br />

Schlittensportverbandes (DBSV) hatte seit den Olym-


pischen Winterspielen 1984 in Sarajevo an einem schweren<br />

Leberleiden gelitten. Erst zwölf Stunden vor seinem Tod<br />

war er von einer Spezialklinik in Bad Kissingen nach Berchtesgaden<br />

verlegt worden.<br />

Hartmann hinterließ seine Frau und zwei Kinder. Enkel Richard<br />

war damals acht <strong>Jahre</strong> alt: „Ich erinnere mich an die<br />

große Anteilnahme während der Beisetzung – mit Fernsehen,<br />

Fotografen, sogar die BILD war da“. Der Großvater sei<br />

ein dominanter Mann gewesen, eine „echte Erscheinung“,<br />

sagt der aktuelle Fußball-Coach der Berchtesgadener Kreisklassen-Kicker.<br />

stand sich stets als Macher und bald als Funktionär. Nach<br />

seiner Pensionierung widmete sich Hartmann schließlich<br />

mit ganzer Kraft und Energie, unter anderem als Präsident<br />

des DBSV, Vizepräsident des Weltverbandes FIL und Präsidiumsmitglied<br />

des Nationalen Olympischen Komitees (NOK)<br />

dem Sport. Ab 1962 war er „Sportwart Rodeln“ im DBSV,<br />

ab 1968 und bis zu seinem Tode 1984 dessen Präsident.<br />

1977 überreichte ihm der Bayerische Kultusminister Hans<br />

Maier das Bundesverdienstkreuz am Bande.<br />

Mit großer Geduld und Leidenschaft<br />

Mit Akribie – für ihn gab es keine Arbeitszeit – großer Geduld<br />

und Leidenschaft verstand es Richard Hartmann, immer<br />

wieder die nötigen Finanzmittel in Bonn und München<br />

loszueisen. Bei Konflikten suchte er stets nachdenklich und<br />

leise den Ausgleich, stand stets hinter Trainern und Sportlern.<br />

Ohne ihn gäbe es heute wohl weder die <strong>Kunsteisbahn</strong><br />

noch das Bundesleistungszentrum.<br />

Der 70. Geburtstag wurde noch groß gefeiert, zahlreiche<br />

Repräsentanten des internationalen und nationalen Sports<br />

kamen, um zu gratulieren. Richard Hartmann war noch voller<br />

Pläne und Ideen. Seine geliebte <strong>Königssee</strong>r Bahn wäre<br />

perfekt, meinte er damals, nur das Zielhaus sei viel zu klein<br />

und müsse im Hinblick auf die Bob-WM 1986 unbedingt<br />

ausgebaut werden. Eine große Vision waren Olympische<br />

Spiele in seiner neuen Heimat, die Bewerbung für 1992<br />

unterstützte er mit all seiner Kraft. Die Entscheidung für<br />

Albertville und somit gegen Berchtesgaden erlebte Richard<br />

Hartmann nicht mehr mit. Er wurde am Bergfriedhof beigesetzt.<br />

Richard Hartmann bei der Weltmeisterschaft 1970 am <strong>Königssee</strong><br />

mit Sieger Sepp Fendt, dem heutigen FIL-Präsidenten.<br />

Richard Hartmann war von Beruf Lehrer, später Rektor und<br />

Schulrat. Am 15. Juli 1914 in Solln bei München geboren<br />

avancierte er in seiner langen Laufbahn zum engagierten<br />

Sportfunktionär – mehrfach ausgezeichnet und geehrt. Der<br />

deutsche Bob- und Rodelsport verlor mit ihm viel zu früh<br />

einen seiner Pioniere.<br />

1952 zählte der Familienvater zu den Gründern des WSV<br />

<strong>Königssee</strong> und gehörte zu jener Garde, die das Rodeln in<br />

Deutschland populär machte. Er gilt zusammen mit Sepp<br />

Lenz als „Vater der <strong>Kunsteisbahn</strong>“ am <strong>Königssee</strong>, heute ein<br />

Zentrum des internationalen Rennrodel-, Bob- und Skeletonsports.<br />

Auf Hartmanns Initiative entstand 1965 hier, im<br />

südlichen Berchtesgadener Land, obendrein das moderne<br />

Bundesleistungszentrum.<br />

1937 kam der Lehrer berufsbedingt nach Oberbayern, er<br />

war Schulleiter in <strong>Königssee</strong> und später bis 1978 Rektor in<br />

Bischofswiesen. Berchtesgaden avancierte zu seiner neuen<br />

Heimat mit einer zweiten Leidenschaft: Der Kufensport.<br />

Allerdings nicht als Aktiver. Denn Richard Hartmann saß<br />

nie auf einem Rodelschlitten, nie in einem Bob. Er ver-<br />

Der 70. Geburtstag: Richard Hartmann (links) mit seinen<br />

Enkelsöhnen Gerald (links/verstorben 2014) und Richard, die ihrem<br />

Opa ein Ständchen bringen. Das Mikrofon hält Günter Gscheidlinger,<br />

langjähriger Geschäftsführer des BSD, der im April dieses <strong>Jahre</strong>s mit<br />

79 <strong>Jahre</strong>n verstarb. Einen Monat nach diesem Bild erlag<br />

der große Funktionär Richard Hartmann seiner Erkrankung.


Jubel und Tränen zum Start<br />

Bahn-Chronik:<br />

Teil 4<br />

Millionen Zuschauer und ein Todesfall –<br />

Hans Plenk bestritt die Jungfernfahrt<br />

Der gebürtige Berchtesgadener Hans Plenk bestritt im<br />

Januar 1969 die mutige Jungfernfahrt in der neuen,<br />

ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt am <strong>Königssee</strong> – sofort<br />

von ganz oben, vom Herrenstart. Es ging gut.<br />

Januar 1971: Horst Floth und Bepi Bader vom SC Rießersee<br />

auf ihrer <strong>Königssee</strong>-Fahrt zum Europameistertitel.<br />

1959 1969<br />

Alles begann mit einer Weltmeisterschaft,<br />

der elften insgesamt. „Und wir mussten<br />

erst noch viel lernen“, sagt Sepp Lenz,<br />

Miterbauer der ersten <strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt<br />

am <strong>Königssee</strong>. Weihnachten 1968 war sie nach<br />

nur vier Monaten Bauzeit fertig. Rodel- und<br />

sogar Bob-bereit. Doch das große Sportfest<br />

Anfang 1969 erhielt seinen Schatten: Der Pole<br />

Stanisĺaw Paczka wurde am 1. Februar während<br />

des zweiten Laufs aus der dritten S-Kurve<br />

getragen und prallte gegen einen Baum. Der<br />

damals 23-Jährige erlag wenig später seinen<br />

schweren Verletzungen.<br />

Die FIL, der Weltverband, ermittelte, und kam<br />

zur Erkenntnis beziehungsweise dem „offiziellen<br />

Ergebnis“, dass der Unfall nicht auf die zugegebenermaßen<br />

noch sehr schwierigen Bahnverhältnisse,<br />

sondern einen Fahrfehler des<br />

sonst so erfahrenen Sportlers zurückzuführen<br />

war. Die Wettkämpfe wurden fortgesetzt, der<br />

„Berchtesgadener Anzeiger“ titelte: „Millionen<br />

erlebten erste Weltmeisterschaft am <strong>Königssee</strong>“.<br />

Das Fernsehen übertrug viele Stunden<br />

lang und zeigte unter anderem die rasanten<br />

Abfahrten der heimischen Rodlerin Christa<br />

Schmuck, die WM-Dritte wurde.<br />

Über 20.000 Zuschauer strömten an die neue<br />

Bahn – für damalige Verhältnisse ein Meisterwerk<br />

– um 130 Sportler aus 14 Nationen zu beobachten.<br />

Im Jahr darauf fand auch die 12. WM<br />

am <strong>Königssee</strong> statt, der Berchtesgadener Sepp Fendt, der<br />

heutige FIL-Präsident, holte sich seinen ersten großen Titel.<br />

Kaputte Netze verhinderten Rennen<br />

Nach dem Todessturz des Polen 1969 schaute ein Professor<br />

aus Salzburg vorbei und forderte, dass die Kurven<br />

oben „zugemacht“ werden müssen. Er brachte Zäune ins<br />

Gespräch, die bereits auf den Autobahnen zum Einsatz<br />

kamen. Der Gelehrte rief Respekt hervor. Alle fünf Meter<br />

wurden Stützen errichtet und daran eine Art Hasengitter<br />

gehängt. Es folgte der nächste tödliche Unfall: „Ein Rodler<br />

fuhr in der Zielkurve zu weit nach oben und prallte mit dem<br />

Hinterkopf an eine der Stützen“, erzählt Lenz. Er erinnert<br />

sich, dass ohnehin viele gegen diese Netze waren, weil<br />

sie ständig von den Bob-Kufen aufgerissen wurden. „Ganze<br />

Mannschaften konnten tagelang nicht fahren, weil die Netze<br />

geflickt werden mussten – ein Chaos“.<br />

Letzte Arbeiten vor der Eröffnung der <strong>Kunsteisbahn</strong> 1969 an der Seekurve.


Mit der Zeit kehrten Verantwortliche und Sportler zurück zu<br />

den heute üblichen Brettern. Sie besitzen zudem den Vorteil<br />

einer Art Überdachung: „Es regnet nicht mehr direkt in<br />

die Bahn, die Sonnensegel können fast senkrecht gespannt<br />

werden. Darauf bleibt auch kein Schnee mehr liegen, der<br />

früher noch immer direkt in die Bahn fiel“. Sepp Lenz erinnert<br />

sich, dass es früher halt auch keine Bahn-Spezialisten<br />

wie heute gab. „Von normalen Handwerkern, Maurern und<br />

so weiter konnte nicht erwartet werden, dass sie wussten,<br />

was an der Bahn gemacht werden musste“.<br />

Sepp Lenz war zehn <strong>Jahre</strong> zuvor – als Ideengeber und Miterbauer<br />

konsequenter- und logischerweise – als erster in<br />

die neue Kunstbahn gestartet. „Das war schon aufregend<br />

und ein Wagnis, dieses komplette Neuland zu betreten.“<br />

Freilich ging‘s nicht gleich von ganz oben los, Stück für<br />

Stück arbeitete sich der Experte vom WSV <strong>Königssee</strong> nach<br />

oben. Es ging gut. 1969 rodelte Lenz nach seinem bösen<br />

Sturz im Rahmen der Olympischen Spiele von 1964 in Innsbruck<br />

nicht mehr. Jetzt war es Hans Plenk, 1965 Weltmeister<br />

von Davos, der die Jungfernfahrt in der nagelneuen <strong>Kunsteisbahn</strong><br />

bestritt – sofort von ganz oben, vom Herrenstart.<br />

Es ging wieder gut. Das ließ die DDR nicht lange auf sich<br />

sitzen. Rasch folgten weitere Bahnen in Oberhof und Altenberg,<br />

dazwischen das westdeutsche Winterberg...<br />

Die ersten Zweierbobs wagten sich ebenfalls bereits Anfang<br />

1969 in die neue Betonröhre mit Kunsteis. Am 15. März fand<br />

das Debüt-Rennen statt, die Rießerseer Horst Floth und<br />

Pepi Bader gewannen einen international ausgefahrenen<br />

Pokal-Bewerb, 1971 wurden sie <strong>Königssee</strong>-Europameister.<br />

Fingerspitzengefühl gefragt<br />

Das Erstaunliche: Der Beton hält jetzt schon seit <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n.<br />

„Da muss man schon aufpassen, wenn man da mit der<br />

Kälte zu schnell reingeht, damit da nichts reißt“, sagt Lenz.<br />

Einen richtigen Riss gab es zum Glück noch nie, dank des<br />

Fingerspitzengefühls der jeweiligen Bahnchefs und ihrer<br />

Mitarbeiter. Würde das passieren, müsste die entsprechende<br />

Kurve vermutlich komplett neu gebaut werden. Die ganze<br />

Bahn ist auf einem Brückensystem aufgebaut, vor allem<br />

in der Länge ist „Bewegung“ drin, berichtet Lenz, darum<br />

seien Trennfugen enthalten. Die Bahn steht auf Fundamenten,<br />

auf denen sie „gleiten“ kann. Am heutigen Auslauf<br />

sind diese gut zu sehen.<br />

1976 wurde der Kreisel eingefügt, um einerseits die Bahnlänge<br />

zu erweitern – von der IBSF ist für Viererbob-Rennen<br />

ein Mindestmaß von 1200 Metern vorgegeben –, andererseits<br />

den stetig steigenden Anforderungen gerecht zu werden.<br />

Außerdem wurde die Bahn immer schneller, vor allem<br />

für die Rodler: „Grenzwertig, ich hab mich kaum noch vom<br />

Spektakulärer Skeleton-Sport<br />

im Berchtesgadener Land<br />

Herrenstart in die Bahn getraut“, sagt beispielsweise Sepp<br />

Fendt. Der Kreisel nahm mittendrin „etwas Fahrt raus“. Der<br />

große Vorteil: Nun konnten Viererbobs am <strong>Königssee</strong> starten.<br />

Die Bahn gewann 175 Meter dazu, das heute Turbodrom<br />

genannte Meisterwerk mit einem Durchmesser von<br />

42 Metern ist genauso lang wie die lange Gerade – „das<br />

möchte man kaum glauben“, so Lenz. Rund acht Millionen<br />

Mark verschlang der Umbau.<br />

Der erste Wettkampf mit Kreisel führte am 22. Januar 1977<br />

durch den Eiskanal, eine Deutsche Rodel-Meisterschaft,<br />

die komplett an die WSV <strong>Königssee</strong>-Athleten Peter Hell,<br />

Hans Morant, Jürgen Kyre und Dieter Gebhardt ging. Sechs<br />

Wochen drauf wagten sich die ersten Viererbob-Piloten<br />

bewerbsmäßig in S-Kurven-Kombi, Kreisel und Labyrinth.<br />

Westdeutsche Piloten aus Winterberg gewannen die Junioren-Europameisterschaft.<br />

<strong>Königssee</strong> zuschauerfreundlich<br />

Spektakuläre Kreisel gibt es heute beispielsweise auch in<br />

Oberhof, Altenberg, Innsbruck oder Calgary. <strong>Königssee</strong> ist<br />

jedoch nach wie vor einer der zuschauerfreundlichsten:<br />

„Man kann fast überall direkt an die Bahn“, sagt Sepp Lenz.<br />

Im Gegensatz zu vielen neueren Projekten, die bereits „höher<br />

gestellt“ wurden und nur noch schwer einsehbar sind.<br />

Erste Skeleton-Piloten ließen sich mittlerweile ebenfalls am<br />

<strong>Königssee</strong> blicken, bis zur ersten großen Meisterschaft dauerte<br />

es aber noch über ein Jahrzehnt. Erst 1990 fand die<br />

Debüt-WM im Berchtesgadener Land statt, Österreich dominierte<br />

mit Michael Grünberger und Andreas Schmid vor dem<br />

Schweizer Gregor Staebli. Die Damen mussten bis zur Jahrtausendwende<br />

warten, ehe 2000 ihre erste WM überhaupt<br />

in Igls stattfand. Vier <strong>Jahre</strong> drauf war <strong>Königssee</strong> dran, Diana<br />

Sartor holte Gold für Deutschland, Kerstin Jürgens<br />

Bronze, dazwischen platzierte sich die<br />

Kanadierin Lindsay Alcock.<br />

Hautnah am Geschehen: Die Kufensport-Fans konnten<br />

schon damals direkt an die Bahn, um die waghalsigen<br />

Fahrten der Athleten zu beobachten – hier kurz nach der Zielkurve.


Als der Schlitten in<br />

den <strong>Königssee</strong> flog<br />

1959 1969<br />

Christa Schmuck gewann vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />

Olympia-Silber in Grenoble –<br />

Ein Gespräch zum Bahn-Jubiläum<br />

Christa Schmuck in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n auf ihrem Schlitten, fotografiert von ihrer Freundin Anna Graßl in der Oberau.<br />

Bild oben: Christa Schmuck, mit ihrem ersten kleinen Silberpokal für den 3. Platz<br />

beim Internationalen Münchner Merkur-Pokal am <strong>Königssee</strong>, einem Nachtrennen im März 1963.<br />

Sie hat Bundespräsident Gustav Heinemann<br />

und Bundeskanzler Willy Brandt die<br />

Hand geschüttelt, lief mit dem Olympischen<br />

Feuer und Leonhard Nagenrauft durch<br />

Berchtesgaden, Journalist Guido Baumann erriet<br />

1968 bei „Was bin ich?“ mit Moderator Robert<br />

Lembke nach nur fünf „Nein“ ihren eigentlichen<br />

Beruf, sie war bei „Dalli Dalli“ mit Hans<br />

Rosenthal, 1970 bei Wim Thoelke im „Aktuellen<br />

Sportstudio“ am Mainzer Lerchenberg und<br />

kickte drei <strong>Jahre</strong> beim ESV Traunstein als Mittelläuferin<br />

unter anderem gegen die Bayern...<br />

– letztlich waren das alles jedoch nur Nebenschauplätze:<br />

Denn Christa Schmuck war Rodlerin<br />

in der Weltspitze und damit Profi-Sportlerin,<br />

wenngleich das in den 1960er-<strong>Jahre</strong>n mit<br />

dem Tun heutiger Spitzenathleten nichts gemein<br />

hat. 1967 gewann sie auf der <strong>Königssee</strong>r<br />

Kunstbahn mit Natureis den Europameistertitel,<br />

1970 – dann bereits auf Kunsteis – Silber<br />

bei der Heim-WM.<br />

Die gebürtige Berchtesgadenerin berichtete<br />

uns anlässlich der anstehenden Jubiläen aus<br />

einem bewegten Leben, welches sie insgesamt jedoch stets<br />

bescheiden führte. 60 <strong>Jahre</strong> Kunstbahn, <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong><br />

werden im Januar am <strong>Königssee</strong> gefeiert. Christa<br />

Schmuck begeht mit ihrem 75. Geburtstag am 26. des ersten<br />

<strong>Jahre</strong>smonats 2019 passend dazu einen ganz persönlichen<br />

Jubeltag – wer sie kennt, weiß jedoch, dass dieser<br />

in ruhigen Bahnen verlaufen wird. „Ich wollte nie im Mittelpunkt<br />

stehen“, sagt sie. Daran hat sich bis heute nichts<br />

geändert.<br />

Im Berchtesgadener Ortsteil Anzenbach in der Gemarkung<br />

Salzberg kam Christa Schmuck am 26. Januar 1944, also<br />

mitten im Zweiten Weltkrieg, zur Welt. Als Schülerin fuhr sie<br />

„a bisserl Ski“, lieber ging‘s jedoch am Salzberg zum „wilden“<br />

Rodeln. An richtige Rennen dachte sie damals aber<br />

noch lange nicht. Das konkretisierte sich erst, als sie in der<br />

katholischen Agnes-Gruppe – vergleichbar mit Kolping – auf<br />

die Tochter der Familie Metzenleitner stieß, deren Eltern<br />

eine Drogerie im Markt betrieben. Vater Albert war damals<br />

Vorstand des RC Berchtesgaden. Christa Schmuck besuchte<br />

die Kunstbahn mit Natureis am <strong>Königssee</strong>, war schwer beeindruckt<br />

und trat kurzerhand dem 1923 gegründeten RCB<br />

bei. Im Januar 1963 stand sie schließlich das erste Mal mit<br />

einem Rodel an der Eisbahn – und war „aus der Sicht von


oben“ gleich noch ein Stück weit beeindruckter. Den fahrbaren<br />

Untersatz erwarb sie von einem Arbeitskollegen, gebraucht<br />

für 20 Mark, österreichisches Gasser-Fabrikat. Ein<br />

Rodel komplett aus Holz mit Stahlschiene und Riemen,<br />

vom Vater einen Griff angeschweißt. „Den Rest hab ich mir<br />

dazugekauft: Helm, Brille, Handschuhe.“ Von der Mama bekam<br />

sie eine Windbluse mit Bund unten dran, dazu Seehundstiefel,<br />

bei denen das Fell innen schon abgewetzt war,<br />

und eine eng anliegende Steghose.<br />

Rodelnd runter zur Bushaltestelle<br />

„Vom Elternhaus in der Bischofswieser Steingasse bin ich<br />

runter zur Haltestelle an der Neuwirtsbrücke gerodelt und<br />

dort in den Bus gestiegen, der von Reichenhall kam und<br />

zum <strong>Königssee</strong>r Bahnhof fuhr“. Von dort ging‘s zu Fuß rüber<br />

an die Eisbahn, mit dem 20 Kilo schweren Schlitten<br />

auf dem Rücken: „Die Tragestangen haben ihre Spuren<br />

auf meinen Schultern hinterlassen“, erinnert sich Christa<br />

Schmuck. Durch ihre Neu-Mitgliedschaft beim RC Berchtesgaden<br />

durfte sie gleich mittrainieren, die erste Fahrt begann<br />

in der Jennerkurve. „Ich war sofort hin und weg“.<br />

Zügig wanderte ihr Startpunkt nach oben. „Das hat so viel<br />

Spaß gemacht, das war genau mein Ding“, lacht sie heute.<br />

Und als Sepp Lenz, damals ebenfalls noch Aktiver, nach ein<br />

paar Wochen ihren Schlitten im Schiffmeister-Keller erstmal<br />

so richtig herrichtete, war die Rodel-Karriere vorgezeichnet.<br />

„Ich hatte ja keine Ahnung von Schlittenbau und dergleichen“.<br />

Gleich bei einem ihrer ersten Rennen – dem Internationalen<br />

Münchner Merkur-Pokal –, einem Nachtlauf, fuhr Christa<br />

Schmuck im ausgehenden Winter 1962/63 auf den 3. Platz<br />

und nahm einen kleinen Silberpokal mit nach Hause, der<br />

seitdem immer wieder Schwarz anläuft. „Den behalte ich<br />

aber“, sagt sie, während sie viele andere Preise verschenkte.<br />

„Alles konnte ich nicht aufheben, das wurde irgendwann<br />

zu viel.“<br />

Ein Kaffee-Service für die Olympiamedaille<br />

In ihrer ganzen Karriere „verschliss“ Christa Schmuck nur<br />

drei Schlitten, zwei davon selbst bezahlt. Die erfolgreiche<br />

Sport-Karriere warf damals keinen Pfennig ab. „Für die<br />

Olympiamedaille 1968 bekam ich vom Landkreis ein zwölfteiliges<br />

Speise- und Kaffeeservice“. Für ihre Deutschen<br />

Meistertitel gab‘s einmal einen geflochteten Spiegel, ein<br />

andermal ein Brotzeitbrettl mit Besteck. Dennoch hadert<br />

Christa Schmuck nicht, wenn sie sieht, wie die heutigen<br />

Profi-Rodler leben. „Das ist der Lauf der Zeit, das ist schon<br />

in Ordnung. Ich hab immer positiv nach vorn geschaut“. Sie<br />

wollte gern Masseurin werden, hätte noch zwei <strong>Jahre</strong> rodeln<br />

müssen, um sich die Ausbildung dank der Sporthilfe leisten<br />

zu können. Doch sie musste mit der Leidenschaft auf dem<br />

Eis aufhören, weil sie keine Arbeit hatte – ein Teufelskreis.<br />

1<strong>50</strong> Mark verdiente Christa Schmuck damals im Monat,<br />

musste davon ihren Schlitten, das nötige Werkzeug wie<br />

Schmirgelpapier und -leinen, teures Wachs und Äther für<br />

die Kufen, einige Zeit die Buskarte zur Arbeit zahlen – zuerst<br />

auch jene an die Bahn. „Da blieb nichts übrig, um<br />

große Sprünge zu machen“. Sie war schon happy, dass<br />

der Verband die Reise- und Unterkunftskosten zu den Rennen<br />

bezahlte. Ihre Eltern Marianne und Josef unterstützten<br />

sie nach Kräften, hatten aber ebenfalls nicht viel. An ein<br />

Auto war für die Schmucks damals nicht zu denken. Im<br />

Sommer 1964 kaufte sich Christa dann einen hart erarbeiteten<br />

FIAT 600 – „da hat mein Schlitten gerade so auf<br />

den Vordersitz gepasst“, lacht sie. Nun fielen zumindest die<br />

zeitaufwändigen Busfahrten weg. Zu diesem Zeitpunkt war<br />

Schmuck schon schneller als die für Olympia qualifizierte<br />

Christa Matthias, der Sprung in die Nationalmannschaft war<br />

1964/65 unter Trainer Sepp Mayr obligatorisch.<br />

Und so arbeitete Christa Schmuck immer weiter und verdiente<br />

sich im Sommer, was sie im Winter, also während<br />

der Saison, benötigte. „Ich hab viel Überstunden angehäuft,<br />

die ich dann für die Ausübung des Sports dringend<br />

benötigte, genauso wie meinen ganzen <strong>Jahre</strong>surlaub. Für<br />

den Rest nahm ich unbezahlten Urlaub“. Von 1969 bis 1972<br />

war sie bei der ARWA, den Feinstrumpfwerken in Bischofswiesen<br />

als Einzelhandelskauffrau beschäftigt. Nach der Zeit<br />

an der Reichenhaller Mittelschule St. Zeno arbeitete sie jedoch<br />

zuerst in der Lohn- und Finanzbuchhaltung beim Sanitär-<br />

und Heizungsbetrieb von Hermann Reichlmeier.<br />

Die Herren „runtergefahren“<br />

Christa Schmuck setzte sich in einer harten Männerwelt<br />

durch und bewältigte die <strong>Königssee</strong>r Bahn, wenn es über<br />

In Aktion bei den Olympischen Winterspielen von 1972 im japanischen Sapporo. Zum Abschluss ihrer Karriere wurde Christa Schmuck Zehnte.


1959 1969<br />

Nacht stark geschneit hatte, schon mal vom<br />

Herrenstart. Prompt fuhr sie einige der starken<br />

Männer „runter“ – die hießen damals Stefan<br />

Hölzlwimmer, Hans Brandner, Balthasar<br />

Schwarm oder die schon verstorbenen Max<br />

Leo (2012), Leonhard Nagenrauft (2017), Toni<br />

Winkler (2016) und Hermann König, der im August<br />

dieses <strong>Jahre</strong>s im Alter von 79 <strong>Jahre</strong>n ging.<br />

Den Weltcup gab es damals noch nicht, internationale<br />

Rennen sehr wohl: „Dabei bestritten<br />

wir immer vier Läufe, drei am Tag, einen<br />

als Nachtlauf“, berichtet Christa Schmuck. Bei<br />

einem dieser Abenddurchgänge am 20. Januar<br />

1968 um den „Großen Preis von Deutschland“<br />

stürzte Christa Schmuck in der Zielkurve. Der<br />

Schlitten kam ihr im damals noch unbeleuchteten<br />

Auslauf abhanden und flog schnurstracks<br />

in den <strong>Königssee</strong>. „Mit einem herbeigeholten<br />

Motorboot der Staatlichen Schifffahrt haben<br />

wir dann in den See geleuchtet und den total<br />

aufgeweichten Schlitten rausgezogen. Wir hatten<br />

ja noch keine Kunststoffschalen sondern<br />

Schlitten aus Holz und Zeltstoff. Damit konnte<br />

ich die beiden restlichen Läufe am nächsten<br />

Tag nicht mehr bestreiten“. Mit dem Ersatzschlitten<br />

hatte sie keine Siegchance mehr,<br />

wurde aber trotzdem gute Vierte.<br />

Platz 5 belegte sie im Grunde bei den Olympischen<br />

Spielen 1968 in Grenoble – gut <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />

ist das nun her, noch ein Jubiläum. Doch<br />

weil gleich drei DDR-Pilotinnen vor ihr disqualifiziert<br />

wurden, durfte Christa Schmuck<br />

als letztlich Zweite mit aufs Siegerpodest im<br />

Olympia-Eisstadion der französischen Wintersport-Metropole.<br />

Grenoble hatte für Christa<br />

Schmuck aber nicht viel mit dem Flair unter<br />

den fünf Ringen zu tun. Die mit Freude erwartete<br />

Stimmung fehlte komplett: „Die Sportler<br />

waren alle irgendwo verstreut“. Erst 1972,<br />

zum Abschluss ihrer Karriere, durfte die Berchtesgadenerin<br />

noch echte Olympia-Atmosphäre<br />

erleben, in Sapporo, Japan. Nach ihrem<br />

Rennen mit Platz 10 ging‘s noch für drei<br />

Tage nach Hongkong: „Das habe ich sehr genossen“.<br />

Autogramme schreiben und<br />

Strümpfe verkaufen<br />

Die Erfolge Christa Schmucks sprechen für<br />

sich: Neben Olympia-Silber, WM-Bronze 1969<br />

und -Silber 1970, jeweils am <strong>Königssee</strong> erzielt,<br />

EM-Gold 1967 ebenfalls daheim, Bronze 1970<br />

in Hammarstrand, viermal deutsche Meisterin<br />

zwischen 1966 und 1970. Zwei <strong>Jahre</strong> zuvor wurde<br />

Christa Schmuck jedoch vor eine harte Entscheidung<br />

gestellt: Sport oder Beruf. „Ich wollte<br />

noch nicht aufhören“. Von der ARWA war<br />

sie im Winter fürs Rodeln freigestellt worden.<br />

Das wurde jedoch zunehmend schwieriger.<br />

Kaufhausriese Josef Neckermann, später der<br />

erste Präsident der 1967 in Berlin gegründeten<br />

Deutschen Sporthilfe, kaufte seine benötigten<br />

Strumpfwaren in Bischofswiesen. Und Christa<br />

Bundespräsident Gustav Heinemann gratuliert Christa Schmuck<br />

nach einem Internationalen Rennen zur Einweihung des Mannschaftshauses<br />

1969 am <strong>Königssee</strong>. Gewonnen hat Christa Demleitner<br />

vom WSV Schlehdorf, Dritte wurde Gisela Otto vom SSV Passau.<br />

Schmuck ließ sich auf einen Deal ein, um weiter rodeln zu<br />

können: An den Sommer-Wochenenden stand sie tagelang<br />

an den ARWA-Ständen in Mönchengladbach, Frankfurt oder<br />

Nürnberg, um Autogramme zu schreiben und Strumpfhosen<br />

zu verkaufen. Das ging vier <strong>Jahre</strong> so dahin. Dann machten<br />

alle Werke in Deutschland dicht. „Ich hätte nach Südafrika<br />

gehen können. Das wollte ich nicht, somit stand ich am 30.<br />

September 1972 auf der Straße.“<br />

Die sportliche Laufbahn war von einem auf den anderen<br />

Tag Geschichte. Christa Schmuck hatte den Namen „Berchtesgaden“<br />

in die Welt hinausgetragen – für ihre berufliche<br />

Situation konnte sie daraus keinen Nutzen ziehen. Zwei<br />

Monate jobbte sie bei Sperrholz Flatscher, eineinhalb <strong>Jahre</strong><br />

in der Finanzbuchhaltung eines Dirndlgeschäfts, im Juli<br />

1974 fand sie eine feste Anstellung bei der AOK in Bad<br />

Reichenhall. In der Kurstadt und in Piding wohnte sie bis<br />

zur Rente 2008, ehe es zurück nach Berchtesgaden ging.<br />

Christa Schmuck blieb dem Sport, besonders dem Rodeln<br />

treu. Nicht als Funktionärin oder Trainerin, eher als Beobachterin,<br />

als Zuschauerin an der Bahn. Sie blieb stets auf<br />

dem Boden, wird erkannt, wenn sie durch Berchtesgaden<br />

geht. Und freut sich: Autogrammwünsche kommen immer<br />

noch aus ganz Deutschland...


Die <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> am südlichen Ende des<br />

Berchtesgadener Landes bricht Rekorde, besticht durch<br />

Einzigartigkeit, bietet reichlich Spektakuläres und erlebte<br />

zahllose Höhepunkte – wir haben einen Überblick über<br />

die sportlichen Großereignisse und die Bahn-Daten der<br />

Sportstätte mit Kunsteis, die 1968 gebaut und am 17.<br />

Januar 1969 in Betrieb genommen wurde, zusammengestellt:<br />

Rodeln<br />

Weltmeisterschaften fanden am <strong>Königssee</strong> 1969, 1970,<br />

1974, 1979, 1999 und zuletzt 2016 statt. Europäische Titelkämpfe<br />

gingen 1967, 1972, 1973, 1977, 1988 und 1994 über<br />

das heimische Eis.<br />

Bob<br />

Weltmeisterschaften gab es 1979, 1986, 2004, 2011 und<br />

2017, Europameisterschaften 1971, 1992, 1997 und 2001.<br />

Skeleton<br />

Weltmeister wurden 1990, 2004, 2011 und 2017 gekürt,<br />

Europameister 1982 und 2007.<br />

Höhepunkte,<br />

Daten, Zahlen<br />

und Fakten<br />

<strong>Königssee</strong> war 1977 der weltweit erste Austragungsort von<br />

Weltcuprennen, damals im Rodeln, seitdem gab es 37 Austragungen<br />

im Berchtesgadener Land. Bob-Weltcup-Sieger<br />

werden seit der Saison 1983/84 gekürt, die erste Bob-WM<br />

der Frauen – hier gibt es nur die Zweier-Konkurrenz – fand<br />

im Jahr 2000 in Winterberg statt. Die Liste der Gesamtweltcupsieger<br />

im Skeleton begann 1986/87 bei den Männern<br />

und 1996/97 bei den Frauen.<br />

Die Königsser Bahn-Daten<br />

Länge insgesamt: 1587 Meter, Rennrodeln Männer 1332<br />

Meter mit 16 Kurven und 10,35 Prozent Gefälle, Frauen/Doppelsitzer<br />

1216 Meter, Bob und Skeleton Männer/<br />

Frauen 1244 Meter mit je zwölf Kurven und 9,2 bis 9,3<br />

Prozent Gefälle, Höhendifferenz 135 Meter.<br />

Kälteleistung 2.600.000 Kilowatt-Stunden, vier Kälteaggregate,<br />

70 Kilometer Bahnberohrung, rund 7.000 Quadratmeter<br />

vereiste Fläche gesamt.<br />

Die Bahnrekorde<br />

Rodeln: Natalie Geisenberger 2014 in <strong>50</strong>,202 Sekunden,<br />

Felix Loch 2015 in 48,954, Tobias Wendl/Tobias<br />

Arlt 2016 in 49,311, Geisenberger/Loch/Wendl/Arlt<br />

(Teamstaffel) 2015 in 2:41,969 Minuten – alle aus<br />

Deutschland.<br />

Bob: Francesco Friedrich/Thorsten Margis 2017 in<br />

48,94 Sekunden, Johannes Lochner/Matthias Kagerhuber/Joshua<br />

Bluhm/Christian Rasp (alle Deutschland)<br />

2017 in 48,26, Elana Meyers Taylor/Cherrelle Garrett<br />

(USA) 2015 in <strong>50</strong>,28.<br />

Skeleton: Jacqueline Lölling 2017 in 51,28 Sekunden,<br />

Alexander Gassner (beide Deutschland) 2017 in <strong>50</strong>,01.<br />

Die Startrekorde<br />

Rodeln: Natalie Geisenberger 2011 in 2,946 Sekunden,<br />

Johannes Ludwig 2012 in 3,268, Tobias Wendl/Tobias<br />

Arlt 2014 in 2,819.<br />

Bob: Oskars Melbardis/Daumants Dreiskens (Lettland)<br />

2011 in 4,77 Sekunden, Oskars Melbardis/Daumants<br />

Dreiskens/Arvis Vilkaste/Janis Strenga 2017 in 4,73,<br />

Elana Meyers Taylor/Kehri Jones (USA) und Stephanie<br />

Schneider/Annika Drazek (Deutschland) 2017 in 5,11.<br />

Skeleton: Alexander Tretjakow 2016 in 4,53 Sekunden,<br />

Jelena Nikitina (beide Russland) 2017 in 4,83.


1959 1969<br />

Bald zwei Millionen Abfahrten<br />

Bahn-Chronik:<br />

Teil 5<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> nicht nur für Profi-Sportler interessant –<br />

Stefan Raab & Co. zu Gast<br />

2012 und 2014 gastierte die WOK-WM, initiiert von TV-Moderator Stefan Raab, an der <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong>.<br />

Unser Bild zeigt (von links) Schorsch Hackl, Natalie Geisenberger, Stefan Raab, Felix Loch und Manuel Machata.<br />

Die <strong>Kunsteisbahn</strong> erreichte rasch Weltruhm<br />

und ist heute in der Eiszeit ab<br />

Ende Oktober und bis Anfang März komplett<br />

ausgelastet. Die Anzahl aller Abfahrten<br />

seit der mutigen Debütfahrt von Hans Plenk im<br />

Januar 1969 kann nur grob geschätzt werden,<br />

bewegt sich aber auf die zwei Millionen zu.<br />

Als eines der Rekordjahre bis zur deutschen<br />

Wende ging gleich die Saison 1989/90 in die<br />

Bahn-Geschichte ein, als 36.056 Abfahrten gezählt<br />

wurden. Bahnchef Markus Aschauer informiert,<br />

dass diese Marke im Winter 1994/95<br />

mit 37.851 Turns ordentlich getoppt wurde.<br />

Aktuell bewegt sich der Wert bei 32.000 bis<br />

33.000, der Tagesschnitt lag im November<br />

2018 bei 228 Abfahrten.<br />

Heute ist die Nachfrage größer als das Angebot,<br />

weshalb eine Prioritätenliste erstellt werden<br />

muss. Das Training der Kadermitglieder<br />

der Nationalmannschaften hat dabei Vorrang,<br />

abgesehen von den Weltcup-Rennen aller drei<br />

Kufensportarten – sie bilden Jahr für Jahr die<br />

Höhepunkte im <strong>Jahre</strong>sprogramm der <strong>Kunsteisbahn</strong>.<br />

Der Spitzensport nimmt überhaupt<br />

rund die Hälfte der Bahnnutzung ein, in <strong>Jahre</strong>n<br />

mit Olympischen Spielen ist es etwas weniger, da die<br />

Sportler dann verstärkt unterwegs sind. Einen enormen Bereich<br />

stellt nach wie vor das Schulrodeln dar, die Bildungsstätten<br />

des inneren Landkreises machen regen Gebrauch<br />

von diesem Angebot. Bis zu 6000 Abfahrten werden<br />

in dieser Sparte pro Saison registriert. Diese Zahl entspricht<br />

in etwa auch der Nutzung durch Gäste-Rodler und<br />

Taxi-Bob-Fahrer.<br />

<strong>Königssee</strong>-Bilder in die ganze Welt<br />

Für die Region ist die Bahn ein nicht zu unterschätzender<br />

Werbeträger, regelmäßig werden vor allem an den beiden<br />

Weltcup-Wochenenden – Rodel und Bob/Skeleton – traumhafte<br />

Bilder aus dem Berchtesgadener Land in die ganze<br />

Welt übertragen. Die beiden jüngsten Weltmeisterschaften<br />

2016 (Rodeln) und 2017 (Bob/Skeleton) sowie das Weltcupfinale<br />

2018 im IBSF-Bereich leisteten bei Traumwetter<br />

diesbezüglich ihr Übriges.<br />

Die Präsenz der <strong>Kunsteisbahn</strong> lässt den Bekanntheitsgrad<br />

des Berchtesgadener Landes weiter steigen und unterstützt<br />

somit den Fremdenverkehr nicht unerheblich. Im Rahmen<br />

des Kurgästerodelns, der Rennbob-Taxifahrten oder dem<br />

etwas „gemäßigteren“, weil schaumstoff-ummantelten Vucko-Bob,<br />

der „nur“ etwa 80 km/h schnell wird, steht die<br />

Kunstbahnröhre auch jedem „Freizeitsportler“ offen.


Einer, der die Fans des Bobsports auch am <strong>Königssee</strong> mit seiner exzellenten Fahrlinie begeisterte:<br />

Vierfach-Olympiasieger André Lange, hier 2008 kurz vor der Kreisel-Ausfahrt.<br />

Zweimal fand die WOK-WM von TV-Moderator Stefan Raab<br />

am <strong>Königssee</strong> statt – 2012 und 2014. Nicht nur in diesem<br />

Rahmen rauschten bereits unzählige Prominente wie Henry<br />

Maske, Axel Schulz oder Heinz-Harald Frentzen den Eiskanal<br />

runter, meist im Vucko-, aber auch in echten Bobs:<br />

Edmund Stoiber, die FC Bayern-Profis Paulo Sergio und<br />

Samuel Kuffour, Bremens Ex-Torjäger Ailton, Joey Kelly,<br />

Show-Praktikant Elton, Stabhochspringer Tim Lobinger, Michael<br />

„Eddie the Eagle“ Edwards, die Ski-Stars Michaela<br />

Dorfmeister und Fritz Strobl, Schauspieler Elyas M’Barek,<br />

Vierschanzentournee-Legende Sven Hannawald...<br />

Mit Motorrädern und Rollschuhen<br />

Die <strong>Kunsteisbahn</strong> wurde bereits im Rahmen besonderer Aktionen<br />

mit Skiern, Schlittschuhen, Motor- und Fahrrädern<br />

Der Skeleton-Sport bietet ganz besondere Momente...<br />

Am 15. September 2017 wurde das neue Regionalzentrum Chiemgau/<br />

Berchtesgadener Land eröffnet.<br />

sowie Rollschuhen bewältigt – doch ein zum „Bob“ umgebautes<br />

Sofa schlug alles. Interessierte können bei Führungen<br />

mehr als einen Blick hinter die Kulissen der ersten<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt werfen. Die Guides vermitteln den<br />

Besuchern Interessantes und Wissenswertes zur Geschichte<br />

und Technik der spektakulären Sportstätte im Berchtesgadener<br />

Land. Die rund 90-minütigen Touren werden auch<br />

in englisch und französisch sowie sogar auf russisch angeboten,<br />

dazu ist eine separate Terminvereinbarung nötig.<br />

Nähere Infos zu allen Angeboten gibt es auf der Online-Seite<br />

der <strong>Kunsteisbahn</strong> unter www.eisarena-königssee.<br />

de/events-angebote.<br />

Die <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> befindet sich im Besitz des<br />

Landkreises Berchtesgadener Land. Der Bob- und Schlittenverband<br />

für Deutschland (BSD) ist mit seinem Vorstandsvorsitzenden<br />

Thomas Schwab für die Geschäftsführung verantwortlich.<br />

Von seinem Standort in Berchtesgaden, einen<br />

Steinwurf von der Watzmann-Therme entfernt, agiert der<br />

BSD als Veranstalter hochkarätiger Sportveranstaltungen.<br />

Am 15. September 2017 wurde das neue Regionalzentrum<br />

Chiemgau/Berchtesgadener Land des Olympiastützpunktes<br />

Bayern, gleichzeitig BSD-Zentrale, offiziell eröffnet. Der<br />

u-förmige Bau beherbergt jedoch nicht nur Trainer und<br />

Sportler aus dem Rodel-, Bob- und Skeletonsport, sondern<br />

auch Snowboarder und Ski-Alpin-Aktive.


Stets mehr mit den Verlierern<br />

gelitten<br />

Sepp Lenz, die Auf‘s und Ab‘s eines Sportlerlebens<br />

und das Glück im Unglück<br />

Sepp Lenz als Bundestrainer mit seinem Elite-„Schüler“:<br />

Schorsch Hackl, der beste Rodler aller Zeiten,<br />

mit einem Sommer-Rollschlitten an der <strong>Königssee</strong>r Bahn.<br />

1959 1969<br />

Bei den Olympischen Winterspielen 1964<br />

in Innsbruck-Igls – Rodeln war zum ersten<br />

Mal dabei – schoss Sepp Lenz im Doppelsitzer<br />

mit dem Fleischmann Sepperl gleich im<br />

ersten Trainingslauf aus der hohen vorletzten<br />

Kurve. Sie flogen auf einen vereisten Treppenweg<br />

und landeten schließlich in einem zugefrorenen<br />

Eisbach. Glück im Unglück: „Wir segelten<br />

haarscharf an einer Seilbahnstütze vorbei“,<br />

erzählt Lenz. Einem Segen kam es gleich, dass<br />

sich den beiden Rodlern kein Baum in den<br />

Weg stellte – wie fünf <strong>Jahre</strong> später dem Polen<br />

Stanisĺaw Paczka, zur Eröffnung der ersten<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> der Welt am <strong>Königssee</strong>.<br />

Dennoch war die aktive Karriere des <strong>Königssee</strong>-Schiffskapitäns<br />

Sepp Lenz damit vorbei,<br />

wenngleich er das in den ersten Momenten nach<br />

dem Aufprall auf dem harten Boden der Realität<br />

freilich noch nicht ahnte. Der linke Oberarm<br />

lag in Trümmern, das bedeutete eineinhalb<br />

<strong>Jahre</strong> Sport-Abstinenz. Das war‘s, der Abschied<br />

nahte. „Es machte keinen Sinn, nach so langer<br />

Zeit die Fitness wieder aufzubauen. Ich hätte<br />

das womöglich ohnehin nicht mehr geschafft“,<br />

sagt Sepp Lenz heute, der zudem eine große<br />

Trauer in sich trug: Denn Sport-Kamerad Sepp<br />

Fleischmann verstarb aufgrund seiner schweren<br />

Gehirnverletzungen einige Zeit später. Ein am<br />

selben Tag verunglückter Exil-Pole namens Kazimierz Skrzypecki,<br />

der für Großbritannien startete, erlag am gleichen<br />

Abend seinen schweren Verletzungen. Damals riskierten<br />

die oft unbekümmerten Rodler bei ihrem Sport noch Kopf<br />

und Kragen – einige bezahlten diesen Mut mit ihrem Leben.<br />

Mentor und Vaterfigur<br />

Sepp Lenz, 1962 Europameister in Weißenbach bei Liezen<br />

in der Steiermark, erholte sich langsam von seinen schweren<br />

Blessuren und wurde rasch – 1966 – Trainer, am Ende<br />

der erfolgreichste aller Zeiten: 96 Medaillen fuhren die<br />

deutschen Rodler trotz großer Konkurrenz aus der damaligen<br />

DDR in den fast drei Jahrzehnten unter seiner Regie bei<br />

Olympischen Winterspielen, Welt- und Europameisterschaften<br />

ein, 31 davon in Gold. Und dennoch sagte Sepp Lenz<br />

einmal bescheiden: „Ich habe stets mehr mit den Verlierern<br />

gelitten als mich mit den Siegern gefreut.“ Das Rodeln ist<br />

bis heute seine große sportliche Liebe. Für den dreimaligen<br />

Olympiasieger Georg Hackl war der Sepp mehr als nur<br />

ein Trainer: Mentor, Vaterfigur, Motivator, ja unersetzlicher<br />

Freund.<br />

Bei einem Unfall auf der Winterberger Rodelbahn wurde<br />

Sepp Lenz am 16. Dezember 1993 der Unterschenkel<br />

des linken Beines unterhalb des Knies abgetrennt, als er<br />

beim Säubern der Bahn von der amerikanischen Rodlerin<br />

Bethany Calcaterra bei 110 km/h erfasst wurde. „Ich habe<br />

sie nicht gehört“, sagte der damals 58-Jährige. Und: „Das


Mit seinem Nachfolger Thomas Schwab (rechts), heute BSD-Vorstand, auf der neuen Zuschauertribüne im Ziel: Sepp Lenz, stets mit Hut<br />

unterwegs. Rechts vorn der ehemalige Berchtesgadener Polizeichef, Günther Adolph.<br />

Leben geht weiter, es hätte schlimmer kommen können.“<br />

Er schaute immer nach vorn, nie zurück. Nur zwei Monate<br />

später stand Lenz als Bundestrainer bei den Olympischen<br />

Spielen in Lillehammer an der Eisbahn und führte<br />

die deutschen Athleten zu drei Medaillen. Für ihn ein Erfolg<br />

der <strong>Königssee</strong>r Sportstätte: „Durch sie wurden die ganzen<br />

Medaillen unserer heimischen Athleten erst möglich.“ 1995<br />

gab Bahn-„Architekt“ und Eismeister Sepp Lenz den Trainerstab<br />

an seinen Co-Trainer Thomas Schwab ab, der wie<br />

er Erfolg um Erfolg verbuchte und inzwischen zum Sportdirektor<br />

beim Deutschen Bob- und Schlittenverband (BSD)<br />

aufstieg. Bis heute ist ein Rennen ohne den „Goldschmied<br />

vom <strong>Königssee</strong>“ Sepp Lenz, wie er oft genannt wird, nicht<br />

vorstellbar. „Zum Nachschau‘n“ weilt der 83-Jährige im<br />

Grunde täglich an der Bahn. Seine freie Zeit nutzt er noch<br />

heute gern zum Wandern mit seiner Ehefrau Annelies, die<br />

ebenfalls bereits 83 ist. Sein Elternhaus im <strong>Königssee</strong>r Ortsteil<br />

Schwöb, 1927 mit 700 Goldmark von seinem Vater Lorenz<br />

erbaut, bietet sich dafür als Ausgangspunkt bestens<br />

an. Da drei seiner sechs Enkel in Berchtesgaden ringen,<br />

schaut Sepp Lenz neuerdings stets auch bei den Kämpfen<br />

der TSV-Athleten im Markt vorbei.<br />

Georg Hackl<br />

Die <strong>Kunsteisbahn</strong> ist sein Wohnzimmer<br />

Der größte Rodler aller Zeiten ist ein Berchtesgadener: Georg Hackl – der Schorsch.<br />

Geboren am 9. September 1966, dreimal Olympia-Gold, zweimal -Silber, zehnmal WM-<br />

Gold. Unerreicht bislang.<br />

Durch den „differenzierten Sport“ bekam Hackl 1976, also mit gerade zehn <strong>Jahre</strong>n und<br />

kurz nach dem Einbau des Kreisels, das erste Mal Kontakt zur <strong>Kunsteisbahn</strong> am <strong>Königssee</strong>.<br />

„Mein Wohnzimmer“ sagt er heute liebevoll, gleichwohl mit allen Höhen und<br />

Tiefen, die sportlich möglich sind, behaftet: „Ausgerechnet bei meiner einzigen Heim-<br />

WM, 1999, hat‘s mich g‘schmissn“, kann er heute aber durchaus darüber schmunzeln.<br />

„Denn ich dachte, dass ich einen super-genialen Schlitten hatte“. Der Optimierung<br />

seines sportlichen Geräts widmete der Tüftler akribisch nahezu jede freie Minute.<br />

Mitte der 1970er-<strong>Jahre</strong>, als alles losging, fuhr Schorsch Hackl vom Kreisel das erste<br />

Mal los, dann gleich mal vom S1 – weil „mich die Trainer einfach da rauf geschickt<br />

haben“. Rasch wusste er: „Das ist super, das ist mein Sport“. Erste Rennen folgten<br />

im Rahmen des Schulrodelns mit Bezirks- und Landesentscheiden. Bis heute prägt<br />

das Leben des 52-jährigen gelernten Schlossers sein Sport, das Rodeln, aktuell als<br />

Stützpunkttrainer des BSD in Berchtesgaden.<br />

Schorsch Hackl entspannt im Interview als Trainer kurz vor der Heim-WM 2016 am <strong>Königssee</strong>.


Ein tragischer Unfall<br />

und ein Brand<br />

Menschliche Tragödien, enorme Sachschäden:<br />

Nicht nur Triumphe am <strong>Königssee</strong><br />

1959 1969<br />

<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Kunsteisbahn</strong> <strong>Königssee</strong> – die<br />

Sportstätte im Berchtesgadener Land erlebte<br />

zahllose Höhepunkte und damit verbunden<br />

sportliche Triumphe von Olympiasiegern,<br />

Welt- und Europameistern. Zwangsläufig<br />

zieht das gleichzeitig viele persönliche Niederlagen<br />

nach sich, die meist jedoch irgendwann<br />

verblassen oder beginnen, weniger zu schmerzen.<br />

Ein tragisches menschliches Schicksal der<br />

Neuzeit bleibt – neben zwei Todesstürzen in<br />

den Anfangszeiten der <strong>Kunsteisbahn</strong> – mit dem<br />

<strong>Königssee</strong> verbunden und wird zumindest für<br />

das Opfer kaum verblassen. Die seelischen wie<br />

körperlichen Wunden sind bis heute einfach zu<br />

groß. Am 23. November 2009 ereignete sich<br />

ein Unglück, das einen besonders tragischen<br />

Tiefpunkt in der nun <strong>50</strong>-jährigen Chronik hinterlässt.<br />

Dabei erlitt die damals 20-jährige Irina<br />

Skworzowa schwerste Verletzungen mit zahlreichen<br />

offenen Brüchen. Bis heute musste sie<br />

deshalb dutzende Male operiert werden, beim<br />

<strong>50</strong>. Mal habe sie aufgehört zu zählen, sagte<br />

die Russin einmal in einem Interview.<br />

Die Tragödie, so ermittelten die Polizei Berchtesgaden<br />

und die Staatsanwaltschaft Traunstein,<br />

war eine Verkettung vieler unglücklicher<br />

Umstände, in erster Linie menschlicher Fehlentscheidungen.<br />

Der Juniorinnen-Bob mit Irina<br />

Skworzowa als Anschieberin war im Training<br />

ohne Freigabe in den Eiskanal gefahren. Der<br />

Schlitten kippte im Schlussviertel der Bahn um<br />

und schlitterte verlangsamt weiter. Der danach<br />

von weiter oben gestartete Herrenbob krachte<br />

an der Echowand-Ausfahrt ungebremst in den<br />

Schlitten der beiden Damen. Er schob deren<br />

Gefährt noch rund <strong>50</strong> Meter vor sich her. Erst<br />

am Zielhaus kamen beide Bobs zum Stehen.<br />

Während die beiden Männer und die Pilotin<br />

des Frauenschlittens, Nadjeschda Filina, leichtere<br />

Verletzungen erlitten, wurde Anschieberin<br />

Irina Skworzowa mit schwersten Verletzungen<br />

von einem Hubschrauber ins Traunsteiner Klinikum<br />

gebracht.<br />

Keine Erinnerung an den Unfalltag<br />

Die Erinnerungen von Irina Skworzowa enden<br />

mit den Worten „Jetzt startet ihr“. Sie weiß<br />

nicht mehr, wie sie mit ihrer Pilotin Nadjeschda<br />

Filina in den Bob stieg, die ersten Meter bis<br />

in den Kreisel bewältigte, stürzte und es letztlich<br />

zur Tragödie kam. Die Erinnerung setzt<br />

Am 23. November 2009 fuhr ein russischer Herrenbob los, obwohl sich<br />

weiter unten ein Schlitten mit zwei Landsfrauen noch in der Bahn befand.<br />

erst wieder ein, als sie zwei Monate später im Münchner<br />

Klinikum Rechts der Isar aufwachte und neben sich ihre<br />

Mutter sah... – das berichtete Johannes Aumüller im Mai<br />

2010 in der „Süddeutschen Zeitung“.<br />

Zuvor hatte die Russin tagelang mit dem Tod gekämpft,<br />

wochenlang lag sie im künstlichen Koma, musste immer<br />

wieder in den Operationssaal geschoben werden. Erhebliche<br />

Bauch-, Rücken-, Hüft- und Beinbereiche waren verwundet,<br />

Teile der Haut verbrannt. In über 20 Eingriffen rekonstruierten<br />

die Ärzte Knochen, bekämpften Infektionen<br />

und schlossen offene Stellen. Eine Amputation des rechten<br />

Beines konnte verhindert werden. Heute geht Skworzowa<br />

mit Krücken und studiert Sportpsychologie in Moskau. Mit<br />

zwölf hatte sie mit Leichtathletik begonnen, 200 Meter-Läufe<br />

in erster Linie. Sie war schnell und wechselte mit 18 die<br />

Disziplin: Bob. In vier <strong>Jahre</strong>n wollte sie in der Weltspitze<br />

sein, passend zu den Olympischen Spielen in Sotschi 2014.<br />

Bei der Eröffnungsfeier war sie tatsächlich: Gezeichnet von<br />

einer schlimmen persönlichen Tragödie saß sie 25-Jährig<br />

neben Wladimir Putin auf der Tribüne.<br />

Der Ablauf wurde ermittelt<br />

Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft ergaben<br />

folgenden Ablauf: „Im Bobsport können unerfahrene<br />

Athleten im Training einen Zusatzlauf absolvieren. Der beginnt<br />

aber nicht am normalen Start, sondern rund 200 Meter<br />

weiter unten, am Jugendstart S1. Die russische Teamführersitzung<br />

entschied, dass an diesem Tag fünf Schlitten eine<br />

Extrafahrt bekommen sollten, darunter Filina/Skworzowa.<br />

Als Dritte waren sie dran, doch nach der Fahrt der beiden<br />

ersten Bobs erschienen die Russinnen nicht am Start. Sie<br />

waren versehentlich zum oberen Start gegangen, wurden


ausgerufen und liefen hektisch zum S1. Der vierte und der<br />

fünfte Schlitten waren mittlerweile gestartet. Als das Duo<br />

beim S1 auftauchte, hieß das Kommando trotz roter Ampel<br />

„Russland, Bahn frei“. Die Russinnen starteten. Zeitgleich<br />

vernahm am normalen Start ein russischer Männer-Bob, der<br />

dort nur stand, weil der geplante Bob kurzfristig passen<br />

musste, das Kommando – und weil das Signal auf Grün<br />

stand, fuhr er los. Die Katastrophe war unausweichlich.<br />

Denn anders als auf einer Formel 1-Strecke gibt es keine<br />

Möglichkeit, eine Gefahr zu signalisieren oder einer Gefahr<br />

auszuweichen.“ Wären die Russinnen nicht gestürzt, wäre<br />

es nicht zu diesem tragischen Unglück gekommen.<br />

Vier <strong>Jahre</strong> nach dem Unfall konnten sich Irina Skworzowa<br />

und der Bob- und Schlittenverband für Deutschland auf einen<br />

Vergleich einigen. Das gab das Oberlandesgericht München<br />

bekannt. Die junge Frau aus Russland bekam 6<strong>50</strong>.000<br />

Euro „Schadensersatz“. Der angeklagte Funktionär, der an<br />

diesem Tag als Starthelfer im Einsatz war, hatte zuvor privat<br />

20.000 Euro Schmerzensgeld an Skworzowa gezahlt.<br />

Aufgrund des Unfalls, der – gerichtlich bestätigt – durch<br />

menschliches Versagen verursacht wurde, zog der deutsche<br />

Verband Konsequenzen und veränderte die Sicherheitsvorkehrungen<br />

an der auch zuvor als sicher geltenden <strong>Königssee</strong>r<br />

Bahn. Zusätzlich zur Ampel wurde an jedem Startpunkt<br />

eine Schranke eingebaut, die als Barriere nun zusätzlich<br />

„überwunden“ werden muss.<br />

Großbrand im Eiskanal<br />

Vergleichsweise harmlos mutet angesichts des Schicksals<br />

der jungen Russin der Großbrand an der <strong>Königssee</strong>r Bahn<br />

im <strong>Jahre</strong> 2010 an. Die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft<br />

2011 geriet dadurch in Gefahr. Der gesamte untere Bereich<br />

der Bahn wurde gerade neu konzipiert. Der enge Radius der<br />

Echowand, der für Fliehkräfte von mehr als dem sechsfachen<br />

des eigenen Körpergewichts sorgte, sowie zu geringe<br />

räumliche Kapazitäten im Zielhaus und im Auslauf waren<br />

mit Blick auf die Bewerbung der Olympischen Winterspiele<br />

2018 ausschlaggebend. Am 25. März 2010 geriet gegen 16<br />

Uhr der erste Bereich des Kreisels bei Demontagearbeiten<br />

in Brand. Holzverschalung und Dämm-Material des halben<br />

Turbodroms hatten Feuer gefangen – ausgerechnet jener<br />

Teil, der nicht Bestandteil der laufenden Sanierung war. Die<br />

Feuerwehren des südlichen Landkreises hatten den Brand<br />

schnell im Griff. Mit Hilfe eines Baggers von der Baustelle<br />

konnte die Verschalung entfernt und die Glutnester darunter<br />

gelöscht werden. Eine Ausweitung wurde damit gebannt,<br />

verletzt wurde niemand, Brandstiftung oder Sabotage<br />

konnten ausgeschlossen werden.<br />

Durch den Brand entstanden im Zuge des Umbaus Mehrkosten<br />

in Höhe von rund 900.000 Euro. Das teilte Landrat<br />

Georg Grabner im März 2011 dem Kreistag mit. Ein Großteil<br />

wurde über Fördermaßnahmen finanziert. Der Landkreis<br />

musste 100.000 Euro selbst tragen. Zuvor konnte der<br />

Umbau rechtzeitig abgeschlossen werden, im Februar 2011<br />

ging die Bob- und Skeleton-WM planmäßig am <strong>Königssee</strong><br />

über die Bühne.<br />

Der Brand rief die Olympia-Gegner in der Region auf den<br />

Plan, die auf mögliche Gefahren und nachhaltige Schädigungen<br />

für die Natur durch die <strong>Kunsteisbahn</strong> hinwiesen.<br />

Auf der „Nolympia“-Seite wurde im Bezug auf die Olympia-Bewerbung<br />

Münchens für 2018 informiert, dass die<br />

Sportstätte am <strong>Königssee</strong> in einem Gebiet mit erhöhtem<br />

Georisk-Potenzial liege – durch den stetigen Ausbau könnten<br />

Felsabbrüche und Hangabgleitungen zu verstärkten Murenabgängen<br />

und Steinschlag führen. Der Erhalt des Schutzwaldes<br />

oberhalb der Bahn habe deshalb oberste Priorität.<br />

Am 25. März 2010 geriet zirka die Hälfte des Kreisels in Brand und verursachte erhebliche Umbau-Mehrkosten –<br />

denn das Turbodrom befand sich ursprünglich nicht im Sanierungsplan.


Hans Plenk - nicht nur<br />

auf dem Rodel schnell<br />

Der Allrounder feierte 2018 seinen<br />

80. Geburtstag – Die <strong>Kunsteisbahn</strong><br />

besucht er immer noch häufig<br />

1959 1969<br />

Hans Plenk war der erste, der sich die<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong> runter traute – das war<br />

im Januar 1969. Allein aufgrund dieser<br />

mutigen „Tat“ gebührt dem 80-jährigen ehemaligen<br />

Spitzenrodler höchster Respekt. Denn<br />

„erschwerend“ kam hinzu: Der gebürtige Berchtesgadener,<br />

aufgewachsen in Maria Gern, fuhr<br />

sofort von ganz oben weg, vom Herrenstart.<br />

Beweis für das Selbstbewusstsein des damals<br />

knapp 31-Jährigen, der sein Können nach zahlreichen<br />

Erfolgen bestens einschätzen konnte:<br />

Vier <strong>Jahre</strong> vor seinem Debüt-Ritt über das erste<br />

<strong>Königssee</strong>r Kunsteis hatte Hans Plenk vom RC<br />

Berchtesgaden seinen größten Erfolg gefeiert,<br />

bei der WM 1965 in Davos: Gold. Dazu kamen<br />

zwei Vize-Weltmeistertitel 1961 und ’63, zwei<br />

Bronzemedaillen sowie Olympia-Bronze gleich,<br />

als Rodeln 1964 in Innsbruck erstmals im Programm<br />

war. Insgesamt konnte Hans Plenk<br />

achtmal Edelmetall von Rodel-Großereignissen<br />

mit nach Hause nehmen, dazu fünf nationale<br />

Titel im Einzel und auf dem Doppelsitzer-Schlitten<br />

einfahren.<br />

Hans Plenk früher, 1964 mit 26 <strong>Jahre</strong>n kurz nach den<br />

Olympischen Spielen in Innsbruck...<br />

...und heute,<br />

als mittlerweile<br />

80-Jähriger beim<br />

Blättern in einem<br />

alten Fotoalbum –<br />

der Erinnerungen<br />

gibt es reichlich.<br />

Zuvor war Hans Plenk als Jugendlicher wie so viele ehemalige<br />

spätere Profis in Loipl, in Vorderbrand oder am<br />

Obersalzberg mit seinem Schlitten unterwegs: „Da gab es<br />

bereits Kinder-Rennen“. Der Sportler erlebte die <strong>Königssee</strong>r<br />

Bahn-Historie schließlich von der Stunde Null an live mit,<br />

also ab 1959, als 21-Jähriger, als es mit Natureis losging.<br />

„Alle halfen mit, Sportler, Gemeinde-Arbeiter, Freiwillige“,<br />

erinnert er sich – „Eisziegel für Eisziegel“. Wenn er zurückdenkt<br />

muss er lachen: „Wir waren dann von der vielen<br />

Arbeit oft so durchnässt und kaputt, dass die anderen,<br />

unsere Gäste, gewonnen haben.“<br />

Am 11. Dezember 1964 verlieh Bundespräsident Heinrich<br />

Lübke dem Rodler, der heute in der Schönau lebt und siebenfacher<br />

Großvater sowie zweifacher Uropa ist, das Silberne<br />

Lorbeerblatt für seinen Olympia-Medaillengewinn. Drei<br />

<strong>Jahre</strong> drauf schmolz die mühsam aufgebaute <strong>Königssee</strong>r<br />

Kunstbahn kurz vor der Europameisterschaft 1967 dahin.<br />

„Wir haben aber alle zusammengeholfen und sie wieder<br />

aufgebaut. Rechtzeitig zum Rennstart war alles fertig“.<br />

Christa Schmuck und Leo Nagenrauft holten die Einzelsiege<br />

für den heimischen RC Berchtesgaden. Eine Saison später<br />

trug Hans Plenk die westdeutsche Fahne ins Olympia-Eisstadion<br />

von Grenoble – „ein ergreifender Moment“ – und<br />

wurde im Einzelrennen Sechster. Bis heute besucht er die<br />

<strong>Kunsteisbahn</strong>-Rennen am <strong>Königssee</strong>. Lange <strong>Jahre</strong> nach seiner<br />

aktiven Zeit war Plenk Juniorentrainer und Funktionär,<br />

allein 22 <strong>Jahre</strong> als RC Berchtesgaden-Vorstand und zuletzt<br />

als Präsident des Bayerischen Bob- und Schlittenverbands.<br />

Heute ist er dessen Ehrenmitglied.<br />

Früher war Hans Plenk zudem ein exzellenter Skifahrer,<br />

im Grunde wie alle seine Schlittensport-Kollegen. Der Allrounder<br />

überzeugte allerdings auch auf dem Bergradl,<br />

beispielsweise beim Rennen auf den Obersalzberg in den<br />

1980er-<strong>Jahre</strong>n – dort, wo sich die Naturrodelbahn befindet<br />

und damit sein sportlicher Geburtsort. Auf dem gut drei<br />

Kilometer langen Weg hält er mit etwas über drei Minuten<br />

wohl einen Rekord für die Ewigkeit.


Die Berchtesgadener Trainingsgruppe „Sonnenschein“,<br />

eine der erfolgreichsten der Welt (von links):<br />

Georg Hackl, Tobias Wendl, Tobias Arlt, Patric Leitner,<br />

Felix Loch, Natalie Geisenberger und Norbert Loch.<br />

Impressionen aus<br />

dem letzten Jahrzehnt


UNSERE PREMIUMPARTNER<br />

BUCHBINDER<br />

UNSERE PARTNER<br />

UNSERE FÖRDERER<br />

AUF ERFOLGSKURS – DANK STARKER PARTNER<br />

Nur mithilfe eines engmaschigen Netzwerkes aus starken Partnern können wir unsere Arbeit überaus<br />

erfolgreich im Sinne der Athleten und unserer Kunden fortführen. Deshalb bedanken wir uns bei allen Förderern<br />

und Premiumpartnern, die uns über <strong>Jahre</strong> auf verlässlicher und vertrauensvoller Basis unterstützen<br />

und hoffen auch in Zukunft auf weiterhin so erfolgreiche Geschäftsbeziehungen.<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Bob- und Schlittenverband für Deutschland e. V. (BSD)<br />

– Vorstandsvorsitzender Thomas Schwab –<br />

An der Schießstätte 6 • 83471 Berchtesgaden<br />

Telefon: +49 (0) 8652/95880 • www.bsd-portal.de • www.eisarena-königssee.de<br />

Texte:<br />

Hans-Joachim Bittner, Bad Reichenhall<br />

Fotos:<br />

Archive Sepp Lenz • Christa Schmuck • Hans Plenk • Richard Hartmann<br />

Eisarena <strong>Königssee</strong> • BSD • Hans-Joachim Bittner<br />

Druck & Layout: www.druckhaus-bgd.de

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