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Heimat-Rundblick 128

Magazin mit kulturellen und historischen Bezügen zum Elbe-Weser-Raum

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Frühjahr 2019 Einzelpreis € 4,50<br />

1/2019 · 32. Jahrgang<br />

ISSN 2191-4257 Nr. <strong>128</strong><br />

RUNDBLICK<br />

AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />

GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />

I N H A L T<br />

unter anderem:<br />

Stammen drei Fresken aus einer Hand?<br />

Der Bremer Walfisch<br />

Überraschende Entdeckungen in Daverden<br />

Der Heidkamp<br />

Die Landsknechte am Bremer Rathaus<br />

Haus Windeck in Grohn<br />

Wätjens Park<br />

Die Lübberstedter Mühle<br />

I N H A L T


Redaktionssitzung<br />

Rückblick auf die Redaktionssitzung bei den<br />

<strong>Heimat</strong>freunden Neuenkirchen am 19. Januar<br />

2019.<br />

Der Verein hat mit viel Eigenleistung hinter<br />

der alten Schule Vorbruch ihr neues Domizil,<br />

die <strong>Heimat</strong>stube in der Schulstraße 18,<br />

erbaut. Seit 2004 zeichnet der Verein auch<br />

für die „Baracke Wilhelmine“ verantwortlich,<br />

die auch bereits einmal Ziel unserer<br />

Redaktionssitzung gewesen ist. Wir wurden<br />

freundlich von dem 1. Vorsitzenden, Herrn<br />

Hartmut Bohlmann, begrüßt, der uns auch<br />

einen Einblick in die überaus erfolgreiche<br />

Arbeit des Vereins gönnte. Die Mitgliederzahl<br />

beträgt zur Zeit 290 Personen, davon<br />

sind allein seit 2011 160 (!) dazugekommen.<br />

Im nächsten Jahr steht die Jubiläumsfeier<br />

zum 60. Gründungstag an – wir wünschen<br />

gutes Gelingen.<br />

Der Verein verfügt über 30 Präsentationen<br />

im Archiv, die bei passender Gelegenheit<br />

öffentlich vorgeführt werden können. Dazu<br />

kommen 2000 Bilder und Kartenmaterial.<br />

Mit den Präsentationen ist nicht nur ein<br />

Archiv der Geschichte erschaffen worden,<br />

sondern auch die Möglichkeit gegeben,<br />

jederzeit aus verschiedenen Themenbereichen<br />

der Geschichte und Entwicklung des<br />

Dorfes, Besuchern und Interessierten diese<br />

Werke zu zeigen. Dieses geschieht durch<br />

regelmäßige, vom Verein organisierte, Veranstaltungen<br />

aber auch auf Wunsch vor Ort<br />

bei anderen Vereinen oder Institutionen.<br />

Nach dieser beeindruckenden Übersicht<br />

über das rührigen Schaffens der Vereinsmitglieder<br />

durften wir uns dem durch die<br />

dienstbaren Geister servierten Köstlichkeiten<br />

widmen – dafür vielen Dank!<br />

Nach Stillen des ersten Hungers richtete der<br />

Herausgeber seine Worte an die versammelten<br />

Redakteurinnen und Redakteure, nachfolgend<br />

ein Auszug daraus:<br />

„Leider konnten heute einige Mitglieder<br />

nicht kommen, bei einigen sind es familiäre,<br />

bei anderen gesundheitliche Gründe.<br />

Umsomehr freue ich mich, dass Sie alle den<br />

Weg hierher gefunden haben und wünsche<br />

Ihnen für das nun schon leicht angebrochene<br />

neue Jahr alles Gute – bleiben Sie gesund<br />

und munter und bleiben Sie unserer<br />

gemeinsamen Sache treu.<br />

Mit dabei ist erfreulicherweise auch der Begründer<br />

unserer Zeitschrift, Manfred Simmerung,<br />

der im Dezember seinen 80. Geburtstag<br />

feiern konnte – ich wünsche ihm<br />

alles Gute und weiterhin die gewohnte<br />

Schaffenskraft.<br />

In diesem Heft musste ich auf unseren Artikelfundus<br />

zurückgreifen, deshalb finden<br />

Sie einige Artikel unseres Freundes Rudolf<br />

Matzner, der leider aufgrund seines gesundheitlichen<br />

Zustandes heute nicht dabei<br />

sein kann.<br />

In der vergangenen Woche war ich als Mitglied<br />

des Regionalausschusses Osterholz<br />

zum Neujahrsempfang der IHK Stade eingeladen<br />

– eine große Veranstaltung mit ca.<br />

800-900 Gästen. Die Hauptrede hielt unser<br />

Ministerpräsident, Stephan Weil – und er<br />

hat vom Rohstoff des Nordens fabuliert<br />

– dem Wind, der Turbinen antreiben und<br />

mit deren Strom man Wasserstoff erzeugen<br />

kann, dem Energieträger der Zukunft, der<br />

ja auch schon im Elbe-Weser-Dreieck von<br />

einem Zug genutzt wird – dem ersten weltweit<br />

übrigens.<br />

Das hat mir mal wieder zu denken gegeben;<br />

ich meine, wir sollten uns auch – ich<br />

sage bewußt auch – mit solchen aktuellen<br />

Themen beschäftigen. Wir dürfen, überspitzt<br />

gesagt, nicht nur vom Friedhof, sondern<br />

auch aus dem Kreißsaal berichten –<br />

und von allem, was dazwischen liegt.<br />

Wenn unsere Zeitschrift eine Zukunft haben<br />

soll – und ich gehe davon aus, das wir das<br />

alle wollen, müssen wir uns um Themenvielfalt<br />

bemühen, einmal von den Themen<br />

selbst her, einmal von den regionalen Kulissen<br />

her, die sich momentan immer wieder<br />

gleichen.<br />

Wir brauchen Kontakte – zum Beispiel auch<br />

zu <strong>Heimat</strong>vereinen in unserer Region, wir<br />

können sie ansprechen, besuchen und um<br />

Mitarbeit bitten.<br />

Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass sich jemand<br />

aus unserem Kreis darum bemüht –<br />

vielleicht machen Sie sich einmal Gedanken<br />

dazu.<br />

Zur Lage des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s – die Finanzierung<br />

bewegt sich am Rande des Machbaren,<br />

durch Ableben ausfallende Abos sind<br />

kaum durch neue zu ersetzen. Nachdem ich<br />

2010 von Manfred Simmering die Verantwortung<br />

für seine Verlagsobjekte übernahm<br />

– der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> hatte zwischen 24<br />

und 28 Seiten – wurde der Umfang erweitert<br />

und das Heft komplett vierfarbig gedruckt.<br />

Neben den Papier- und Druckkosten<br />

sind die Versand- und natürlich auch<br />

die Lohnkosten erheblich gestiegen – dies<br />

macht eine Preisanpassung unbedingt notwendig,<br />

über deren Höhe noch nachgedacht<br />

wird.<br />

Im Jahr 2018 wurden die Satzarbeiten von<br />

einer Mitarbeiterin betreut, die Ende des<br />

Jahres 2018 unsere Firma verlassen hat.<br />

Wie Sie wissen, erscheinen quartalsmäßig<br />

einige Broschüren bei uns, dazu kommen<br />

Gestaltungs- und Satzarbeiten für externe<br />

Broschüren. Da dies immer zum Ende eines<br />

Vierteljahres kulminieren, möchte ich die Erscheinungstermine<br />

etwas entzerren. Daher<br />

wird der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> zukünftig offiziel<br />

erst um den 15. – 20. des ersten Monats<br />

eines Quartals erscheinen – was ja bisher<br />

auch bereits ungewollt geschehen ist. Ich<br />

bitte für beides um Verständnis.“<br />

Nach diesen mehr oder weniger ernsten<br />

Worten ging es mit der Tagesordnung weiter<br />

– Rückschau auf die aktuelle Ausgabe,<br />

Aufnahme von Themen für die nächste<br />

Nummer <strong>128</strong>, Aussprache – und dann hieß<br />

es wieder Abschied nehmen. Jürgen Langenbruch<br />

bedankte sich für die gute Arbeit<br />

der Mitstreiter, bedankte sich für die überaus<br />

freundliche Aufnahme der <strong>Heimat</strong>freunde<br />

Neuenkirchen und wünschte eine gute<br />

Heimfahrt – bis zum nächsten Mal!<br />

Nächste Redaktionssitzung<br />

Die nächste Redaktionssitzung findet am Samstag, den 11. Mai 2019, 15.00 Uhr,<br />

im „Haus Irmintraut“ in Fischerhude statt.<br />

2 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Aus dem Inhalt<br />

Aktuelles<br />

Jürgen Langenbruch<br />

Redaktionssitzung Seite 2<br />

Vorwort Seite 3<br />

BRAS e.V.<br />

Köksch un Qualm Seite 19<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte<br />

Harald Steinmann<br />

Stammen drei Fresken<br />

aus einer Hand? … Seite 4-6<br />

Dr. Hans Christiansen<br />

Der Bremer Walfisch Seite 7<br />

Prof. Dr. Jürgen Teumer<br />

Überraschende Entdeckungen<br />

in Daverden Seite 8-9<br />

Wilhelm Berger<br />

Der Heidkamp Seite 10-12<br />

Dr. Hans Christiansen<br />

Haus Windeck in Grohn Seite 20-23<br />

Rudolf Matzner<br />

Wätjens Park Seite 24-26<br />

Harry Schumm<br />

Trigonometrische<br />

Messpunkte Seite 26<br />

Manfred Simmering<br />

Die Lübberstedter<br />

Mühle Seite 27<br />

Kultur<br />

Ausstellung im Kreisarchiv<br />

100 Jahre Ende des<br />

1. Weltkrieges Seite 13<br />

Dr. Harro Jenss<br />

Jürgen Teumer:<br />

Das Haus im Schluh Seite 15<br />

Dr. Hans Christiansen<br />

Die Landsknechte<br />

am Bremer Rathaus Seite 16-18<br />

Natur<br />

Maren Arndt<br />

Wollgraszeit im<br />

Teufelsmoor Seite 14<br />

Serie<br />

Peter Richter<br />

’n beten wat op Platt Seite 9<br />

Bauernregeln Seite 15<br />

Unvergessen Seite 18<br />

Redaktionsschluss für die nächste<br />

Ausgabe: 31. Mai 2019<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

der ungemütliche Winter ist nun endgültig<br />

vorbei, „Vom Eise befreit sind<br />

Strom und Bäche durch des Frühlings<br />

holden, belebenden Blick, im Tale grünet<br />

Hoffnungsglück;...“ heißt es bei<br />

Goethe – und so freuen wir uns auf den<br />

frischen grünen Schimmer, der auf den<br />

Bäumen den baldigen maigrünen Blätterwald<br />

ankündigt.<br />

Sie halten den „<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>“ etwas<br />

später als gewohnt in den Händen<br />

– und das möchte ich Ihnen gerne erklären.<br />

Unser Verlag bringt eine Reihe<br />

von Informationsbroschüren heraus,<br />

die eigentlich alle zum 1. eines Monats<br />

im Quartal erscheinen sollen. Leider<br />

sind unsere Kapazitäten dadurch ausgereizt,<br />

sodass wir beschlossen haben,<br />

die Erscheinungstermine etwas zu entzerren.<br />

Deshalb erscheint unser Magazin<br />

zukünftig erst nach der Mitte des<br />

ersten Monats eines Quartals – ich bitte<br />

Sie dafür um Verständnis. Dieses benötige<br />

ich auch, wenn ich Sie über eine<br />

notwendige Preiserhöhung informiere.<br />

Seit der Übernahme des <strong>Heimat</strong>rundblicks<br />

vom Verlag Simmering im Jahre<br />

2010 wurde der Umfang des Heftes<br />

erweitert und durchgehend farbig gedruckt.<br />

Druck- und Papierkosten sind<br />

gestiegen, die Post verlangt erheblich<br />

mehr für den Versand, alles dieses ist<br />

kalkulatorisch nicht mehr tragbar. Deshalb<br />

wird der Einzelpreis ab der nächsten<br />

Ausgabe auf 5,25 Euro erhöht.<br />

Ich hoffe auf Verständnis für die Mehrkosten<br />

pro Jahr von 3,– Euro – dafür bedanke<br />

ich mich.<br />

Im Heft finden Sie wieder eine Reihe<br />

von Artikeln, die von unseren rührigen<br />

Redakteurinnen und Redakteuren in<br />

ihrer Freizeit recherchiert und formuliert<br />

werden – für unsere gemeinsame<br />

Sache, der <strong>Heimat</strong>pflege. Unser Freund<br />

Helmut Strümpler verbringt viel Zeit<br />

damit, gewissenhaft die Artikel auf<br />

Fehler zu untersuchen – auch dafür sei<br />

herzlich gedankt, auch wenn er nach<br />

Erscheinen immer wieder feststellt, dass<br />

sich in nachträglich eingestellten Beiträgen<br />

noch Fehler eingeschlichen haben.<br />

Aber ich hoffe, dass die Leser gütig<br />

darüber hinwegsehen.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Spaß und eine<br />

kurzweilige Erweiterung Ihres Wissens<br />

über unsere <strong>Heimat</strong> in Bremen und<br />

Niedersachsen!<br />

Ihr Jürgen Langenbruch<br />

Impressum<br />

Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG<br />

(haftungsbeschränkt), Scheeren 12, 28865 Lilienthal,<br />

Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67,<br />

E-Mail info@heimat-rundblick.de,<br />

Geschäftsführer: Jürgen Langenbruch M.A.,<br />

HRB Amtsgericht Walsrode 202140.<br />

Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder<br />

wird keine Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />

Die veröffentlichten Beiträge werden von<br />

den Autoren selbst verantwortet und geben nicht<br />

unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Wir<br />

behalten uns das Recht vor, Beiträge und auch Anzeigen<br />

nicht zu veröffentlichen.<br />

Leserservice: Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67<br />

Korrektur: Helmut Strümpler<br />

Erscheinungsweise: vierteljährlich<br />

Bezugspreis: Einzelheft 5,25 € , Abonnement 21,– €<br />

jährlich frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag<br />

entgegen; bitte Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />

Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements<br />

möglich.<br />

Bankverbindungen:<br />

Für Abonnements:<br />

Sparkasse Rotenburg Osterholz<br />

IBAN: DE27 2915 2300 1410 0075 28<br />

BIC: BRLADE21ROB<br />

Für Spenden und Fördervereins-Beiträge:<br />

Volksbank Bremervörde Osterholz<br />

IBAN: DE66 2916 2394 0732 7374 00<br />

BIC: GENODEF1OHZ<br />

Druck: Langenbruch Druck und Medien, Lilienthal<br />

Erfüllungsort: Lilienthal,<br />

Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck<br />

Der HEIMAT-RUNDBLICK ist erhältlich:<br />

Worpswede: Buchhandlung Netzel, Aktiv-Markt,<br />

Barkenhoff, Museumsanlage OHZ<br />

Unser Redaktionsteam:<br />

Maren Arndt, Wilhelm Berger, Dr. Jens Uwe<br />

Böttcher, Johann Brünjes, Dr. Hans Christiansen,<br />

Susanne Eilers, Wilko Jäger, Gabriele Jannowitz-<br />

Heumann, Rupprecht Knoop, Harald Kühn,<br />

Jürgen Langenbruch M.A., Siegfried Makedanz,<br />

Rolf Masemann, Rudolph Matzner, Herbert A.<br />

Peschel, Horst Plambeck, Daniela Platz, Johannes<br />

Rehder-Plümpe, Peter Richter, Anke Schoenhoff-<br />

Prikulis, Harry Schumm, Manfred Simmering,<br />

Harald Steinmann, Dr. Helmut Stelljes,<br />

Helmut Strümpler<br />

Unser Redakteur Wilhelm Berger hat eine<br />

Jahresübersicht für 2018 erstellt. Diese<br />

können Sie bei Interesse als PDF-Datei<br />

zum Ausdrucken bei uns anfordern.<br />

Titelbild:<br />

Gedächtnismonument<br />

für Chr. H. Wätjen<br />

(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

3


Stammen drei Fresken aus einer Hand? …<br />

Parallelen bei Wandmalereien in L, Lilienthal und Wildeshausen<br />

Klosterkirche Lilienthal<br />

Klosterkirche Wildeshausen<br />

Dommuseum Bremen<br />

Im Jahr 1997 erschien im „Oldenburger<br />

Jahrbuch“ ein Artikel von Frau Dr. Ingrid<br />

Weibezahn, der ehemaligen Leiterin des<br />

Bremer Dommuseums. Während ihrer Zeit<br />

im Museum muss sie immer wieder auf die<br />

Wandmalerei blicken, die im Jahr 1985 in<br />

einem Anbau entdeckt, der danach zum<br />

Dommuseum wurde. Sie baut eine Brücke<br />

in den ehemaligen Klosterort Lilienthal<br />

vor den Toren Bremens. Die in der Klosterkirche<br />

St. Marien in den Jahren 1974<br />

bis 1976 freigelegten Fresken weisen eine<br />

verblüffende Ähnlichkeit mit den im Jahre<br />

1985 entdeckten Wandmalereien aus dem<br />

Bremer Dom auf! Sie bemerkt noch eine<br />

weitere Auffälligkeit: In der Sakristei der<br />

Kirche St. Alexander in Wildeshausen sind<br />

ebenfalls Fresken freigelegt worden, deren<br />

Ähnlichkeit zu den beiden anderen ihr auffällig<br />

erscheint. Vom biblischen Inhalt, der<br />

Datierung und der Wiedergabe: Die Fresken<br />

könnten einer Werkstatt, nein, eher<br />

einer Hand entstammen! Der Zeitraum der<br />

Schöpfung dieser Kunstwerke bewegt sich<br />

um das Jahr 1400, darauf legt sich Frau Dr.<br />

Weibezahn fest.<br />

In Bremen begann um 1400 eine Blütezeit<br />

der Kunst: So spendete auch Herbord<br />

Schene zu dieser Zeit den ansehnlichen Betrag<br />

von 100 Mark für eine Grabplatte als<br />

Denkmal zu Ehren seiner Schwester Gertrudis,<br />

die als Äbtissin im Kloster Lilienthal von<br />

1351 bis 1379 gemeinsam mit ihren drei<br />

Schwestern lebte. 21 Jahre nach ihrem Tod<br />

muss es also einen Anlass gegeben haben,<br />

einen zweckgebundenen Betrag zu spenden:<br />

Er wusste, dass ein namhafter Bildhauer<br />

und Baumeister auf dem Weg nach<br />

Bremen war – wohl durch die enge Verbindung<br />

zu Johann Hemeling. Gemeinsam mit<br />

ihm und Gerd Rinesberch verfasste er die<br />

älteste Bremer Chronik.<br />

Genau zu diesem Zeitpunkt, im Jahr<br />

1400, beschäftigt sich Johann Hemeling,<br />

Ratsherr und späterer Bürgermeister und<br />

Dombaumeister, mit der Beschaffung eines<br />

Schreins zu Ehren der beiden Arztheiligen<br />

Cosmas und Damian für deren Reliquien,<br />

Schrein, ehemals im Bremer Dom<br />

Historische Darstellung des Bremer Rathauses<br />

4 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Grabplatte Äbtissin<br />

1404 Jahre ...“ – Der Roland wurde danach<br />

im Jahr 1405 geschaffen! Die letzten Zweifel<br />

an der Person des Bildhauers schwinden!<br />

Auch dieses Meisterwerk entstammt<br />

den Händen des Meister Johannes, der im<br />

Jahr 1405 mit der Vermessung der Größe<br />

des Rathauses begann. Der Schild wurde<br />

wohl von Westval geschaffen, der ja auch<br />

anschließend im Rathaus seine Schilde gemeinsam<br />

mit Hanse (Meister Johannes.) in<br />

Stroh einpackte.<br />

Die Fingerspitzen der Handschuhe des<br />

Rolands zeugen davon, welches Feingefühl<br />

der Bildhauer in dieses Werk investiert hat.<br />

Ein Stadtführer betrachtet nach Aufforderung<br />

durch die Bullaugen in der Balkonbrüstung<br />

des Rathauses die Konsolfiguren<br />

unter den Kurfürsten, die er vorher nicht<br />

kannte. Auf die Frage: „Wer guckt Dich<br />

an?“, einem Aufschrei gleich: „Roland!“<br />

Konsolfigur Äbtissin<br />

antwortet. – Den Stadtführern allgemein<br />

scheinen die Konsolfiguren unter den sieben<br />

(8) Kurfürsten nicht bekannt zu sein.<br />

– Erst nach der Herausgabe seines Buches<br />

„Das Rathaus in Bremen“ im Jahr 1994<br />

durch Rolf Gramatzki, Studiendirektor am<br />

Hermann-Böse-Gymnasium, waren die<br />

Konsolfiguren anhand einer Spendenliste<br />

entschlüsselt. Mit der Recherche dazu hat<br />

er im Jahr 1969 begonnen, 25 Jahre dauerte<br />

die Suche: Unter dem Markgrafen von<br />

Brandenburg wurde die Äbtissin Margareta<br />

(1386 bis 1418) des Klosters Lilienthal für<br />

eine Spende von 28 Gulden als Konsolfigur<br />

verewigt (außen rechts), eine weitere Brücke<br />

zum Lilienthaler Kloster.<br />

Die Kunstexperten sind sich durchgehend<br />

einig: Es handelt sich um böhmische<br />

Arbeit, böhmische Kunst! Daher musste<br />

man als Konsolfigur unter dem König von<br />

Handschuh der Rolandfigur auf dem Bremer<br />

Marktplatz<br />

was darauf schließen lässt, dass dies ebenfalls<br />

im Hinblick auf das Erscheinen des erwarteten<br />

Könners auf mehreren Gebieten<br />

geschah. Bei eingehender Betrachtung<br />

kann man in dem Schrein durchaus einen<br />

Entwurf, das Modell des geplanten Rathauses<br />

vermuten. Die gedankliche Brücke nach<br />

Roskilde, dem Sarkophag der dänischen<br />

Königin Margarethe I., folgt sofort! Die<br />

Aufteilung, die kleinen Figuren (Skulpturen)<br />

erinnern doch sehr an die Ausstattung<br />

des Bremer Rathauses. Der Abschluss der<br />

kleinen Säulen des Baldachins stimmt mit<br />

denen in Bremen in der Form und den abschließenden<br />

Knospen überein.<br />

Wenn Meister Johannes, dieser begnadete<br />

Künstler, in der Lage war, neben seiner<br />

Arbeit als Steinmetz und Baumeister auch<br />

die Anfertigung eines Schreins zu übernehmen,<br />

um den Bremer Ratmännern ihr<br />

neues Rathaus vorzustellen, dann war sein<br />

Können breit gefächert. Ob nun persönlich<br />

geschaffen oder nach seiner Vorstellung gefertigt,<br />

er muss ein ganz Großer unter den<br />

damaligen Handwerkern gewesen sein!<br />

„Do na ghodes bord weren ghan<br />

M.CCCC unde //// (1404) jar, let de rad<br />

to Bremen buwen Rolande van stene; de<br />

kostede hundert unde seventich bremere<br />

mark, de Clawes Zeelsleghere unde<br />

Jacob Olde deme rade rekenden.“ – Diesen<br />

Worten haben Historiker einer Notiz<br />

auf dem Umschlag des Rechnungsbuches<br />

entnommen, dass es sich um zwei Bremer<br />

Bildhauer handelt, die dem Rat der Stadt<br />

Bremen als Steinmetzen 170 Bremer Mark<br />

in Rechnung stellten. Diese beiden Ratmänner<br />

tauchen im Rechnungsbuch zum Bau<br />

des Bremer Rathauses namentlich nicht<br />

wieder auf, haben keinen handwerklichen<br />

Beitrag beim Bau des Rathauses geleistet,<br />

scheiden somit als Erbauer des Bremer Rolands<br />

aus! … Sie genossen das Vertrauen<br />

des Johann Hemeling, waren ausersehen,<br />

im Auftrag des Rates der Stadt einen begnadeten<br />

Bildhauer und Baumeister nach<br />

Bremen zu holen. Die 170 Mark beinhalteten<br />

Reisekosten und Anzahlung des Lohns<br />

für Planung und Ausführung der vereinbarten<br />

Arbeiten. – „… weren ghan ...“ =<br />

„Da nach Christi Geburt waren vergangen<br />

Schöne Madonna (jetzt Focke Museum)<br />

Schöne Madonna<br />

(Krumau, Tschechien [früher Böhmen])<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

5


Originalkopf Rolands im Fockemuseum<br />

Böhmen den Bildhauer Meister Johannes<br />

erkennen, verbunden durch eine Efeuranke<br />

mit seiner Ehefrau. Die schon erwähnte<br />

Ähnlichkeit mit dem Antlitz des Rolands<br />

ist ein weiterer Hinweis auf diese Theorie.<br />

– Unter ihm brachte Lüder von Bentheim<br />

während der Jahre von 1609 bis 1612<br />

(Umbau des Rathauses) eine Sandsteinverzierung<br />

ein, versehen mit einem Schriftzug.<br />

Rolf Gramatzki: „Fest steht, dass er kein<br />

Bremer Bildhauer ist.“ – Victor Curt Habicht,<br />

deutscher Kunsthistoriker, vermutet,<br />

dass ein Mitglied der Familie Parler in<br />

Meister Johannes zu suchen ist. Vater Peter<br />

Parler hat mit seinen Söhnen Wenzel und<br />

Johann der Bau- und Bildhauerkunst ein<br />

völlig neues Gesicht gegeben: Eines der<br />

Markenzeichen ihres Wirkens waren allein<br />

schon die Konsolfiguren! Die Begriffe „Weicher<br />

Stil“ und „Schöne Madonna“ in der<br />

Kunstgeschichte gehen auf diese drei Mitglieder<br />

der Familie Parler zurück!<br />

In mehreren Quellen wird Johann Hemeling<br />

als Fälscher bezeichnet: „Als Fälscher<br />

lässt sich Johann Hemeling ermitteln, …“<br />

(Autorität Freidank: … Ines Heiser, 2012);<br />

Kopf Johannes an der Bremer Rathausfassade<br />

„… ging der Bremer Dombaumeister Johann<br />

Hemeling daran, die Freiheit der<br />

Stadt Bremen“, „Urkundenfälschungen<br />

und entsprechende Interpolationen in die<br />

Stadtchronik …“ (Fälschungen im Mittelalter,<br />

1988) – Diese und weitere Beispiele<br />

zeigen an, welche Wege Johann Hemeling<br />

ging, um Bremen in der Hanse in einem<br />

besonderen Licht erscheinen zu lassen.<br />

Um 1400 intensivierten die norddeutschen<br />

Hansestädte ihre Handelsbeziehungen<br />

und erweiterten die Macht ihres Rates<br />

im Umkreis ihrer Städte … (Lieselotte Klink,<br />

Johann Hemeling, † 1428).<br />

„Item 8 sware schillinge unde 3 gr, do he<br />

den anderen breef sende tho hus, de synen<br />

wyve ward by Clawese.“<br />

Zum Vergleich: „Item Hermann dem lopere<br />

(dem Läufer) 10 grote 2 sware , do he<br />

Rodewolde den breef brachte tho Hannovere.“<br />

[1 Bremer Mark = 160 sware = 32<br />

grote]<br />

Der andere (zweite) Brief musste einen<br />

langen Weg zurücklegen. Nicht, wie angenommen,<br />

an Brede, seine Hausfrau in<br />

Bremen, war das Schreiben gerichtet. Seine<br />

Ehefrau in der Ferne sollte aus der Hand<br />

von Clawes (Zeelsleghere) den Brief persönlich<br />

empfangen, denn der wusste, wo<br />

er Meister Johannes und seinen Sohn Paul<br />

gemeinsam mit Jacob Olde abgeholt hatte.<br />

Um einen anderen Clawes kann es sich<br />

kaum handeln. – Für Johann Parler wird<br />

als Todesjahr ein Zeitraum zwischen 1405<br />

oder 1406 angegeben.<br />

„Item Hanse (Meister Johannes), Westvale<br />

unde zinen Knechte 10 gr myn 2 sware,<br />

dat se de schilde thozamende setten myt<br />

stro unde for dat stro.“ – Diese Notiz im<br />

Rechnungsbuch, sagt sie auch zusätzlich<br />

etwas aus? Westval musste ebenfalls ein<br />

ausgezeichneter Bildhauer sein, vermutlich<br />

handelte es sich um den Bruder Johann<br />

Parler.<br />

„Item Hanse ...“ Dieser Name für Meister<br />

Johannes wird zum Schluss des Rechnungsbuches<br />

benutzt. Ist das etwa der Hinweis<br />

darauf, dass dieser außergewöhnliche Bildhauer<br />

noch Jahrzehnte als Johannes Junge in<br />

der Hansestadt Lübeck, Roskilde, Vadstena,<br />

Stralsund nachgewiesen werden kann? …<br />

Es ist mehr als ein Verdacht, wir folgen der<br />

Spur in einem der nächsten Hefte.<br />

Mit der letzten Zahlung an Meister Johannes,<br />

zum Schluss nur noch Hanse genannt,<br />

ist dieser spurlos verschwunden.<br />

Wie auch Westval und sein Sohn Paul.<br />

Doch wie aus dem Nichts taucht in der<br />

Hansestadt Lübeck der Bildhauer Johannes<br />

Junge auf, im selben Stil schuf er dort und<br />

später unter diesem Namen in Roskilde<br />

(Dänemark), Kloster Vadstena (Schweden)<br />

und in Stralsund (Junge-Altar) im identischen<br />

Kunststil des Meisters Johannes seine<br />

Werke. In Schweden findet man eine ganze<br />

Reihe von Bildhauerarbeiten, die dem Stil<br />

der Arbeiten des Meisters Johannes nicht<br />

nur ähneln. Sie entstammen einer Werkstatt,<br />

eher einer Hand!<br />

Text und Fotos:<br />

Harald Steinmann<br />

6 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Der Bremer Walfisch<br />

– gestrandet 1669 an der Lesummündung<br />

Das Walbild in der Oberen Rathaushalle<br />

(Quelle: Internet)<br />

„Nachdem im Lesum-Strom von den<br />

einwohnenden Landleuten im Lesumer<br />

Bruch ein Geräusch im Wasserstrom,<br />

und folgendes ein großer Fisch, so den<br />

Schwanz herausgestreckt, befunden, hat<br />

ein Bauernknecht mit Hagel darauf Feuer<br />

gegeben, darüber der Fisch sich heftig<br />

geregt und bei abfallendem Wasser auf<br />

einen Sand, hinter Hemelings Erben Vorwerk,<br />

im Lesumerbruch gerathen, davon<br />

er zwar versucht sich abzuwälzen, ist aber<br />

von einem Bauer aus einem Feuerrohr mit<br />

vier Kugeln durchschossen, darauf er der<br />

Landsleute Bericht nach aus den Luftlöchern,<br />

so hoch als die in der Nähe am Ufer<br />

St. Magnus stehenden Bäume, das Wasser<br />

in die Luft gesprützt, darauf er gestorben“.<br />

So beschreibt E. Halenbeck in seinem<br />

Buch „50 Ausflüge in die Umgebung von<br />

Bremen“ aus dem Jahr 1893 ein Ereignis,<br />

welches am 8. Mai 1669 mit der Strandung<br />

eines Wals in der Lesummündung<br />

stattgefunden hatte.<br />

Der Wal, es war ein weibliches Tier, ist<br />

höchstwahrscheinlich auf Nahrungssuche<br />

Lachsen stromaufwärts gefolgt und<br />

wurde dabei von Jägern erschossen. Es<br />

ist erstaunlich, dass dieses Ereignis viel<br />

diplomatischen Staub aufgewirbelt hat,<br />

und zu großen Verwicklungen zwischen<br />

Bremen und Schweden führen sollte. Erstaunlich<br />

ist bei der ganzen Angelegenheit<br />

schon, dass sofort nach Bekanntwerden<br />

dieser Strandung in der Lesum, ein Bremer<br />

Künstler damit beauftragt wurde, ein<br />

Gemälde von dem Vorgang anzufertigen.<br />

Quasi als Ersatz für ein Foto, welches wir<br />

heute machen würden.<br />

Der Maler Franz Wulfhagen schuf noch<br />

im selben Jahr ein Ölgemälde, welches fast<br />

die exakte Länge des Tieres darstellt. Das<br />

Bild bekam eine Länge von 9,55 m, eine<br />

Höhe von 3,55 m und zeigte damit nahezu<br />

die natürlichen Proportionen des Wales,<br />

eines „Nördlicher Zwergwals“. Einzig<br />

unrealistisch ist die große Wasserfontäne,<br />

die das Tier ausstößt. Wichtig bei der Darstellung<br />

des Wals war die Angabe seiner<br />

Lage. Diese Lage wird dargestellt durch<br />

das Blau des Lesum-Wassers und dem<br />

dahinter liegenden sandigem, nördlichen<br />

Geesthang des Flusses. Das Tier liegt auf<br />

einer Sandbank am südlichen Flussufer,<br />

im Lesumbroker Bereich. Diese Lagedarstellung<br />

sollte zukünftig noch sehr wichtig<br />

werden.<br />

Schweden beanspruchte<br />

toten Wal<br />

Denn auch die Schweden hatten ein<br />

Augenmerk auf den Wal geworfen und<br />

beanspruchten das tote Tier, um daraus<br />

vor allem Tran zu machen. Wie kommen<br />

die Schweden nach Bremen und<br />

umzu? Das hatte mit dem 30-Jährigen<br />

Krieg zu tun. Die damalige europäische<br />

Großmacht Schweden hatte während<br />

der kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

weite Teile Norddeutschlands besetzt,<br />

u. a. hatten sie auch die Oberhoheit in<br />

zwei Bremisch-Schwedischen Kriegen<br />

(1654 und 1666) über das Herzogtum<br />

Bremen-Verden gewonnen und damit gehörte<br />

ihnen u. a. das nördliche Lesumufer.<br />

Schwedische Truppen, geführt von dem<br />

schwedischen Gouverneur der Herzogtümer<br />

Bremen-Verden, dem Grafen Königsmarck,<br />

besetzen Burg an der Lesum, Vegesack<br />

und das Haus Blomendal. Vegesack<br />

und Neuenkirchen verbleiben zwar bei<br />

Bremen, müssen aber gemeinsam mit der<br />

Stadt Bremen die schwedische Landeshoheit<br />

anerkennen. Bremen lag mit den<br />

Schweden im Dauerzwist. Der tote Kadaver<br />

hatte einen enormen wirtschaftlichen<br />

Wert und insofern pochten die Schweden<br />

ebenfalls auf ihr Recht an der Verwertung<br />

des Tieres. Zum Knackpunkt wurde die<br />

Lage des Wals bei seiner Strandung, denn<br />

beide Seiten behaupteten, der Wal sei auf<br />

ihrer Seite des Flusses Lesum gestrandet.<br />

In Stade gab es 1669 sogar eine Verhandlung<br />

über diese Kontroverse, wozu<br />

extra der Bremer Rechtsgelehrte, Diplomat<br />

und Gesandte Johann Wachmann<br />

(der Jüngere) (1611-1685), ein Sohn des<br />

Bremer Bürgermeisters Hermann Wachmann<br />

(1579-1658), angereist war, um<br />

die Rechtmäßigkeit dieses Besitzes zu verteidigen.<br />

Adam Storck schreibt darüber in<br />

seinen „Ansichten der freien Hansestadt<br />

Bremen und ihrer Umgebung“ von 1822:<br />

„der Wallfisch hätte sich nach empfangenem<br />

ersten Schuß aus dem Gericht Leesum<br />

selbst nach bremischer Seite begeben<br />

und auf den Schlick geworfen, woselbst<br />

er a nostris gänzlich erschossen, occupirt<br />

und nach Bremen geliefert“.<br />

Die Lage des gestrandeten Wals wurde<br />

dementsprechend auf dem Ölgemälde mit<br />

der Südseite der Lesum angegeben, weil<br />

die gemalten Geesthänge der Lesum eindeutig<br />

die Nordseite des Flusses zeigen.<br />

Der Kadaver war ohnehin zwischenzeitlich<br />

von den Bremern zerlegt und zu wertvollem<br />

Tran gemacht worden. Das Skelett des<br />

Tieres wurde nach dem Reinigen wieder<br />

zusammengefügt und hing bis 1815 an<br />

der Decke der Oberen Rathaushalle. Danach<br />

wurde es abgenommen und durch<br />

Segelschiffe ersetzt.<br />

Im Zuge der Renovierung der Oberen<br />

Rathaushalle im Jahre 1965 kam das große<br />

Walbild ins Magazin des Überseemuseums.<br />

Über viele Jahre verblieb es dort und kam<br />

nach umfangreicher Restaurierung im Jahr<br />

2008 mit Befürwortung des Bürgermeisters<br />

Jens Böhrnsen wieder an seinen angestammten<br />

Platz an der Nordseite in der<br />

Oberen Rathaushalle.<br />

Man kann dem Walbild keinen großen<br />

künstlerischen Wert zuordnen. Es zeugt<br />

vor allem von historischem Wert und dem<br />

damit verbundenen Prestige, einem mächtigen<br />

Gegner zu damaligen und auch späteren<br />

Zeiten die Stirn geboten zu haben,<br />

auch wenn der Anlass, gemessen am Wert<br />

des Tieres, relativ klein gewesen ist. Bremer<br />

Lebensart und Bremer Historie werden<br />

durch das Walbild dokumentiert.<br />

Internet-Quellen:<br />

Wikipedia: Großes Walbild<br />

Wikipedia: Johann Wachmann der Jüngere<br />

Dr. Hans Christiansen<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

7


Überraschende Entdeckungen in Daverden<br />

Das ist das besonders Interessante an der<br />

<strong>Heimat</strong>forschung: Sie wartet immer wieder<br />

mit Überraschungen auf. Einige, die mir in<br />

letzter Zeit widerfuhren, haben mit Daverden<br />

zu tun. Daverden ist ein etwa 30 km<br />

südöstlich von Bremen gelegener Ort, der<br />

seit 1972 zum Flecken Langwedel im Landkreis<br />

Verden gehört. Meine bis vor etwa<br />

einem Jahr geltende einzige Assoziation zu<br />

diesem Ort und seiner Lage war, dass ich<br />

beim Vorüberfahren an der A27 zwischen<br />

Bremen und Walsrode den Namen der Autobahnausfahrt<br />

Langwedel gelesen hatte.<br />

Aber diese (Un-)Kenntnis sollte sich ändern.<br />

Der Auslöser dafür waren meine<br />

schon seit längerer Zeit durchgeführten<br />

Recherchen zu Leben und Werk des Malers<br />

Fritz Mackensen (1866-1953), vor allem<br />

zu seiner Familie und den verwandtschaftlichen<br />

Beziehungen. Bei meinen Arbeiten im<br />

Worpsweder Archiv (WA), nicht zuletzt beim<br />

recht mühsamen Entschlüsseln seines umfangreichen,<br />

überwiegend handschriftlich<br />

niedergelegten Briefverkehrs, war mir wiederholt<br />

der Ortsname Daverden begegnet.<br />

Interessante Briefe<br />

Begonnen hatte alles mit dem verklausulierten<br />

Hinweis in einem Brief, den Fritz<br />

Mackensen von seinem Schwager Dr. Alex<br />

Stahlschmidt (1882-?) im Jahre 1932 aus<br />

Berlin erhalten hatte. Darin berichtet ihm<br />

dieser davon, dass „Paul und Mipp“ (gemeint<br />

sind damit der jüngere Bruder, Dr.<br />

Paul Stahlschmidt, und dessen Ehefrau Maria)<br />

neuerdings zusammen mit der Mutter<br />

Ottilie in Daverden wohnen würden (vgl.<br />

WA; Brief vom 4. Juni 1932). Bei dieser Gelegenheit<br />

erinnerte ich mich an einen Brief<br />

von Otto Modersohn an Fritz Mackensen.<br />

Hartmut Reineke, Oldenburg, hatte mir<br />

freundlicherweise in Kopie eine Autographensammlung<br />

seines Vaters überlassen<br />

(vgl. Lit.Verz. unter Reineke). Darin ist ein<br />

Brief Modersohns vom 13. Mai 1928 enthalten,<br />

in dem dieser seinem Malerfreund<br />

in Worpswede mitteilt, dass er sich nach<br />

einem Grundstück bzw. Haus in Daverden<br />

umgesehen und bei dieser Gelegenheit<br />

dort auch „das entzückende Haus Deiner<br />

Schwiegermutter gesehen“ hätte. Für mich<br />

enthielt diese Mitteilung gleich zwei Neuigkeiten:<br />

Bislang ahnte ich nichts von diesen<br />

Bestrebungen Modersohns, sich anderswo<br />

niederzulassen. Ich hatte ihn vielmehr<br />

dauerhaft in Fischerhude verortet. Andererseits<br />

wusste ich nichts vom Wohnsitz der<br />

Schwiegermutter Mackensens, den ich<br />

eher in Bonn vermutete, und – wie schon<br />

angedeutet – mit der Örtlichkeit konnte ich<br />

auch nicht viel anfangen.<br />

Allerdings interessierten mich die familiären<br />

Beziehungsverhältnisse Mackensens<br />

insofern schon, weil ich im Rahmen meiner<br />

o. a. Recherchen im Archiv auch Informationen<br />

über Fritz Mackensens Ehefrau Hertha<br />

(1884-1949), geb. Stahlschmidt, und ihre<br />

Familie gesammelt hatte. Dabei war mir<br />

u. a. der erwähnte Paul Stahlschmidt (1887-<br />

1969), Jurist mit Examen an der Universität<br />

Heidelberg, begegnet. Ich wusste über ihn,<br />

dass er sich in Bonn als Privatbankier betätigt<br />

und dort das Bankhaus Stahlschmidt &<br />

Co. gegründet hatte. In den 1920er Jahren<br />

muss er wohl, wie viele andere in jener Zeit,<br />

in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten<br />

sein. Sie hatten ihn veranlasst, Bonn zu verlassen,<br />

das Bankhaus aufzugeben und sich<br />

beruflich neu zu orientieren. Sein bevorzugtes<br />

Ziel war, sich in Bremen umzuschauen.<br />

Hilfestellung erwartete er dabei sowohl<br />

von dem in Bremen ansässigen Schwager,<br />

Kommerzienrat Albert Mackensen, als auch<br />

von Fritz Mackensen in Worpswede. Beide<br />

hatten sich tatsächlich für ihn engagiert,<br />

u. a. bei Roselius nachgefragt, ob der<br />

Schwager im Unternehmen oder in einer<br />

Bank unterzubringen wäre.<br />

Die Stahlschmidt-Familie<br />

Das von der Stahlschmidt-Familie in Daverden bewohnte<br />

Haus<br />

Foto: Jürgen Teumer<br />

Zusätzliche Aufschlüsse in Bezug auf die<br />

Stahlschmidt-Familie in Daverden erhoffte<br />

ich mir durch Kontakte mit dem Verein für<br />

Kultur und Geschichte Daverden, auf den<br />

ich durch das Internet aufmerksam wurde.<br />

Meine Hoffnung trog nicht, lernte ich doch<br />

auf diese Weise u. a. Klaus Fricke kennen,<br />

einen engagierten und seinem <strong>Heimat</strong>ort<br />

Daverden sehr verbundenen <strong>Heimat</strong>forscher.<br />

Er hatte sich, wie sich herausstellte,<br />

schon vor einigen Jahren intensiver mit der<br />

Familie Stahlschmidt befasst und dabei u. a.<br />

herausgefunden, dass sie am Ortsrand eine<br />

recht repräsentative Villa besessen hätten.<br />

Das auf einem größeren Waldgrundstück<br />

gelegene Haus war in den 1920er Jahren<br />

von einem Bremer Kaufmann erbaut, und<br />

wie aus dem o. a. Brief Modersohns ersichtlich,<br />

wohl spätestens 1928 von Ottilie<br />

Stahlschmidt (1859-1946), der Schwiegermutter<br />

Mackensens, gekauft worden.<br />

Offenbar hatte diese in den ersten Jahren<br />

dort allein gelebt, bevor der Sohn mit der<br />

Schwiegertochter zugezogen waren.<br />

Ältere Mitbürger aus Daverden wussten<br />

sich, wie mir Klaus Fricke auch berichten<br />

konnte, noch daran zu erinnern, dass die<br />

Stahlschmidts im Ort kaum integriert gewesen<br />

seien, als sogenannte „feine Leute“<br />

galten, die sogar Bedienstete im Haus gehabt<br />

hätten. Zudem hätten sie eines der<br />

ersten Autos im Dorf besessen, und zwar<br />

ein größeres, mit dem Paul Stahlschmidt<br />

aus beruflichen Gründen von seiner Frau<br />

nach Bremen gefahren worden wäre. Dort<br />

war er schon seit 1929 mit einer Versicherungsagentur<br />

unter dem Namen Stahlschmidt<br />

& Probst angemeldet. Im Bremer<br />

Branchenverzeichnis firmierte sein Name<br />

meistens unter Versicherungen, auch als<br />

Versicherungs-Generalagent bzw. Grundstücks-<br />

und Hypothekenmakler.<br />

Aber weshalb war die Familie Stahlschmidt<br />

überhaupt in den Fokus von Klaus<br />

Fricke als <strong>Heimat</strong>forscher und Mitglied im<br />

Verein für Kultur und Geschichte Daverden<br />

geraten? Sicher nicht, um Gerüchten und<br />

Erinnerungen älterer Mitbürger über ehemalige<br />

Einwohner nachzugehen. Nein,<br />

ausgelöst worden war seine Recherche<br />

durch einen ganz anderen Sachverhalt,<br />

von dem ich bei meiner Anfrage überhaupt<br />

noch nichts geahnt hatte. Es war eine weitere,<br />

für mich eine besonders große Überraschung.<br />

Das Gemälde<br />

Klaus Fricke war nämlich um Mithilfe<br />

gebeten worden, die Geschichte eines<br />

besonderen Gemäldes, das seit Jahrzehnten<br />

in der Daverdener St. Sigismund-<br />

Kirche hängt, aufzuklären (vgl. Sommerfeld<br />

2011). Vorausgegangen war die Anfrage<br />

durch einen Buchautor, der über die Kirchen<br />

im Landkreis Verden schreiben wollte<br />

und den das Gemälde und seine Geschichte<br />

interessierten (vgl. Osmers 2015). Klaus<br />

Fricke konnte ihm helfen. Er fand heraus,<br />

dass das Gemälde, das in Daverden unter<br />

dem Titel „Der gute Hirte“ bekannt ist,<br />

von Fritz Mackensen geschaffen worden<br />

war. Wann das genau geschah, konnte er<br />

zwar nicht herausfinden, da das Gemälde<br />

in keinem Werkverzeichnis enthalten und<br />

auf ihm auch kein diesbezüglicher Hinweis<br />

vermerkt ist.<br />

Es spricht vieles dafür, dass das Werk um<br />

1900 oder wenige Jahre danach entstanden<br />

ist. Mackensen hatte zu dieser Zeit –<br />

wie ja auch Heinrich Vogeler beim „Wintermärchen“<br />

(1897); „Mariä Verkündigung“<br />

(1901) oder „Verkündigung“ (1902) – wiederholt<br />

biblische Szenen an den Weyerberg<br />

8 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Fritz Mackensen „Der gute Hirte“, Ölgemälde in der<br />

St. Sigismund-Kirche Daverden<br />

Foto: Klaus Fricke, Daverden<br />

und nach Worpswede verlegt. So hatte er<br />

sich bereits über Jahre, wie bei Hamm/Küster<br />

(1990) zu lesen ist, mit der biblischen<br />

Bergpredigt (Matth. 5-7) befasst, mehrere<br />

Studien erstellt und dabei Christus mit<br />

einer grauen Kutte bekleidet predigend an<br />

den Stamm einer mächtigen Eiche (die sogenannte<br />

„Mackensen-Eiche“ in Worpswede?)<br />

gestellt. Interessant ist, dass aus dem<br />

Jahre 1907 ein Ölgemälde auf Pappe mit<br />

den Ausmaßen 92 x 74 cm und dem Titel<br />

„Predigender Christus“ im Werkverzeichnis<br />

bei Hamm/Küster (S. 182) enthalten ist.<br />

Ob es sich beim „guten Hirten“ in Daverden<br />

gar um diese oder eine weitere ähnliche<br />

Studie handelt, deren Kompositionen<br />

allesamt schließlich im Jahre 1907 in die<br />

großformatige Endfassung (Maße: 285 x<br />

405 cm) des Gemäldes „Die Bergpredigt“<br />

einmündeten?<br />

Wenn auch die Entstehung des Gemäldes<br />

nicht ganz genau datiert werden kann,<br />

so konnte Klaus Fricke aber immerhin ermitteln,<br />

dass das Bild mindestens seit einer<br />

Kirchenrenovierung im Jahre 1955 seinen<br />

heutigen Platz bei der sogenannten Brauttür<br />

bekommen hatte. Vorher, so ist in einer<br />

Chronik zu lesen, die der frühere Daverdener<br />

Pastor Hermann Willenbrock 1959<br />

(s. Lit.Verz.) verfasst hatte, soll das Gemälde<br />

an der Orgelprieche gehangen haben.<br />

Die Kirche in Daverden<br />

Und der über mehrere Jahrzehnte in<br />

Daverden tätige Pastor Willenbrock wusste<br />

offenbar auch, weshalb das Ölgemälde<br />

überhaupt in die imposante rote Backsteinkirche,<br />

eine der ältesten Kirchen im<br />

Kirchenkreis Verden, gelangt war. In seiner<br />

Chronik heißt es nämlich, dass das Gemälde<br />

von der mit Mackensen verwandten<br />

Familie Stahlschmidt der Kirche bei ihrem<br />

Fortzug nach Bremen geschenkt worden<br />

St. Sigismund-Kirche Daverden, eine der ältesten<br />

Kirchen des Kirchenkreises Verden, mit Bauteilen<br />

aus dem 12. Jh. Foto: Theda Henken, Daverden<br />

wäre (vgl. Willenbrock 1959, Seite 25).<br />

Aus meinen Arbeiten weiß ich, dass die<br />

Familie Stahlschmidt seit dem 30. September<br />

1939 im Einwohnerverzeichnis in Bremen,<br />

und zwar als Mieter in der Hollerallee<br />

16 vermerkt ist (vgl. Einwohner-Meldekarte,<br />

Staatsarchiv Bremen). Es handelt sich<br />

bei diesem Wohnsitz um eine, gemessen<br />

an Daverden, vergleichsweise bescheidenere<br />

Adresse. Es spricht deshalb einiges<br />

dafür, dass der Fortzug aus Daverden möglicherweise<br />

nicht aus freien Stücken erfolgte,<br />

sondern neben dem aufziehenden Krieg<br />

mit erneuten wirtschaftlichen Problemen<br />

zu tun hatte.<br />

Verstärkt wird diese Vermutung auch<br />

durch Erinnerungen älterer Mitbürger in<br />

Daverden, die Klaus Fricke in Erfahrung<br />

bringen konnte. Danach hätten die Stahlschmidts<br />

das Haus angeblich „für einen<br />

Appel und ein Ei“ verkauft – nach meinen<br />

Recherchen übrigens für 20.000 Mark (vgl.<br />

WA; Brief vom 5. Oktober 1939), ein Betrag,<br />

der jener Erinnerung nicht zuwiderläuft.<br />

In dieses Bild passt auch, dass sich ein<br />

älterer Mitbürger heute noch an wertvollen<br />

geschliffenen Kristallgläsern erfreuen kann,<br />

die seine Eltern damals günstig den Stahlschmidts<br />

abgekauft hätten. Es gibt noch<br />

mancherlei Hinweise in diese Richtung,<br />

die auch durch meine Recherchen gedeckt<br />

werden. Auf diesem Hintergrund mag es<br />

vielleicht fragwürdig erscheinen, dass die<br />

Familie trotzdem der Kirchengemeinde ein<br />

derart großzügiges Geschenk zukommen<br />

ließ. Dennoch wird es wohl so gewesen<br />

sein, zumal die einschlägigen Informationen<br />

unmittelbar vom Zeitzeugen Pastor<br />

Willenbrock stammen.<br />

Ein Besuch lohnt sich<br />

Wenn auch das eine oder andere in diesem<br />

Beitrag ungeklärt geblieben ist, so ist<br />

es dennoch ratsam, bei einer der nächsten<br />

Autofahrten auf der A27 die Ausfahrt<br />

Langwedel für einen Besuch in Daverden<br />

zu nutzen. Der Abstecher lohnt sich in<br />

mehrfacher Hinsicht: Im Kirchenraum der<br />

St. Sigismund-Kirche sind neben dem Gemälde<br />

Mackensens eine reich geschmückte<br />

Kanzel, ein prächtiger Altar sowie eine<br />

schöne Orgel zu bestaunen, allesamt aus<br />

der Mitte des 17. Jahrhunderts. Zudem<br />

ziert ein vergoldeter Radleuchter das ausladende<br />

Sterngewölbe in der Vierung.<br />

Und auch außerhalb der Kirche mit ihrem<br />

mächtigen Turm sind die mehr als hundert<br />

historischen Grabsteine auf der Rasenfläche<br />

des alten Friedhofs sowie das vom rührigen<br />

Verein für Kultur und Geschichte Daverden<br />

jüngst mit großem Engagement renovierte<br />

Küsterhaus beachtenswert. Nicht zuletzt<br />

aber bleibt der Blick vom Rand des Geestrückens<br />

mit seinem Steilabfall über die weite<br />

Aller- und Wesermarsch allemal im Gedächtnis<br />

haften.<br />

Prof. Dr. Jürgen Teumer<br />

Hinweise zu den Quellen:<br />

– Hamm, Ulrike und Küster, Bernd: Fritz<br />

Mackensen 1866-1953. Lilienthal 1990.<br />

– Osmers, Jan: Die Kirchen im Landkreis Verden.<br />

Ein Reiseführer. Bremen 2015.<br />

– Reineke, Hartmut: Autographensammlung<br />

von Dr. Hugo Reineke (Kopien beim Verfasser;<br />

Originale in der Kunsthalle Bremen).<br />

– Sommerfeld, Inka: Rätsel um das Bild „Der<br />

gute Hirte“. In: Achimer Kurier vom 21.<br />

Oktober 2011.<br />

– Staatsarchiv Bremen: Einwohner-Melde-<br />

Karte Stahlschmidt.<br />

– Willenbrock, Hermann: Die Gemeinden im<br />

Kirchspiel Daverden. Langwedel 1959.<br />

– Worpsweder Archiv (WA) im Barkenhoff:<br />

Aktenbestand zu Fritz Mackensen.<br />

‘n beten wat<br />

op Platt<br />

Redensarten unserer<br />

engeren <strong>Heimat</strong><br />

Mannigeen söökt Arbeit un dankt<br />

Gott, wenn he keen finn’ deit.<br />

Wat’n Swientrog weern schall, dor<br />

ward sien Levdag keen Vigelin ut.<br />

Dat Geld kummt hinkend in’t Hus un<br />

löppt danzend wedder rut.<br />

Wokeen ’n annern jogen will, mutt<br />

sülbens mitlopen.<br />

Wenn ole Bööm ümplant weert, denn<br />

goht se ut.<br />

Hau den Boom nich um, de di Schatten<br />

gifft.<br />

De Dood hett keenen Kalenner.<br />

(aus H. Lemmermann, „Jan Torf“)<br />

Peter Richter<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

9


Der Heidkamp<br />

– ein Schiffer-Anbau nahe der Ziegelei (I)<br />

Nach der Realisierung von Neubaugebieten<br />

im Bereich Rübekamp und Kurzer<br />

Kamp durch den Amtmann Conrad Friedrich<br />

Meiners auf der Grundlage von Plänen,<br />

die Jürgen Christian Findorff gezeichnet<br />

hat, war der Flecken Osterholz 1760 um<br />

25 Siedlerstellen angewachsen. 1) Offenbar<br />

genügte dies dem ehrgeizigen Amtmann<br />

nicht, sodass er ein neues Projekt in Angriff<br />

genommen hat, ab 1764 als Oberamtmann.<br />

Angelegt werden sollte ein Hafen für<br />

eine bessere Schiffsanbindung. 2) Im Zusammenhang<br />

damit wurde eine Ansiedlung<br />

geplant, um damit Schiffern, die mit ihren<br />

Schiffen den Hafen ansteuern und ihn als<br />

winterlichen Liegeplatz nutzen sollten, die<br />

Möglichkeit zu geben, einen dauerhaften<br />

und nahe gelegenen Wohnplatz zu erwerben<br />

und zu bebauen.<br />

Ein geeigneter Platz war schnell gefunden;<br />

ein von der Regierung ins Spiel gebrachter<br />

Standort nahe der Einmündung<br />

der Beeck in die Hamme konnte aufgrund<br />

regelmäßiger Überschwemmungen schnell<br />

verworfen werden.<br />

Gelegen am Rand der Hamme-Niederung,<br />

bildete der Heidkamp ein hochwassersicheres<br />

Geest-Plateau, das bei Überflutungen<br />

der Niederung als Zuflucht für<br />

das Weidevieh aufgesucht wurde. Genutzt<br />

wurde es als Ackerland; als herrschaftliches<br />

Pertinens war dieses verpachtet. Die Größe<br />

der Fläche ist für das Jahr 1756 mit rund<br />

15 ¼ Morgen angegeben 3) ; besiedelt war<br />

sie bisher nicht. Jedoch in ihrer Größe beschnitten,<br />

weil bereits zu klösterlicher Zeit<br />

der Scharmbecker Bach zum Kloster hin<br />

umgeleitet und dazu ein Durchstich durch<br />

den Heidkamp vorgenommen worden<br />

war. Im unmittelbaren Anschluss daran<br />

befand sich ein Mühlenteich, der die anliegende<br />

Walkmühle verlässlich mit Wasser<br />

versorgte.<br />

Auf der anderen Seite, südlich des Heidkamps,<br />

erstreckte sich das umfangreiche<br />

Gelände der Ziegelei, die über eine Kanalverbindung<br />

Anschluss an die Hamme besaß.<br />

Ein begleitender Weg, der Scharmbecker<br />

Damm, trennte die Ziegelei vom<br />

Heidkamp; lediglich das Haus des Schleusenwärters<br />

– auch als Wohnung des Ziegelei-Verwalters<br />

4) bezeichnet – befand sich auf<br />

der Heidkamp-Seite.<br />

Erste Pläne Ende 1763<br />

Erste konkrete Planungen liegen vor aus<br />

dem Dezember 1763, basierend auf den<br />

Überlegungen, nahe der Ziegelei einen Hafen<br />

anzulegen. Demnach sollte der Heidkamp,<br />

ein herrschaftliches Stück Saathland,<br />

mit 30 neuen Siedlerstellen besetzt werden<br />

und jede Stelle 57 Quadratruten Land 5)<br />

(knapp ½ Morgen, etwa 1.200 m 2) umfassen,<br />

nur etwa halb so viel wie beim Anbau<br />

1760. Also außer der Hausstelle nur noch<br />

Gartenland zur Selbstversorgung. Insgesamt<br />

wären dies 14 ¼ Morgen; ein Morgen<br />

für Wege u. ä. scheint angemessen.<br />

Meiners hatte bereits sechs Interessenten<br />

(fünf Schiffer und einen Schiffszimmermann)<br />

und war optimistisch, das gesamte<br />

Areal innerhalb von zwei Jahren besiedeln<br />

zu können, wenn denn seitens der Regierung<br />

12 Freijahre, etwas Eichenholz zum<br />

Bau und auch Geld gewährt würden. Dafür<br />

könnten, so rechnete er der Cammer in<br />

Hannover vor, bei 30 Feuerstellen an Zinß<br />

jährlich 70 Reichsthaler eingenommen<br />

werden. Deutlich mehr als die bisher gezahlten<br />

16 Rthl. Denn zusätzlich sei noch<br />

mit Hafen- und Schleusengeldern (insgesamt<br />

etwa 160 Rthl.) zu rechnen.<br />

Der König bezieht Stellung<br />

Der Heidkamp im Jahr 1756. Ausschnitt aus der Karte des Fleckens Osterholz (NLA Stade, Karten Neu Nr.<br />

12929)<br />

Die Ideen sind Ende 1763 bis nach St.<br />

James in London gelangt, von wo aus<br />

Georg III. am 17. Januar 1764 an die Rente-<br />

Cammer zu Hannover Stellung bezogen<br />

hat. 6) Er zeigt sich über Entwicklungen in<br />

seinem Kurfürstentum informiert und ist<br />

bereit, diese wirtschaftlichen Prozesse zu<br />

fördern, die in der hiesigen Region durch<br />

die Moorkultivierung eingeleitet worden<br />

sind.<br />

Es geht um die Anregung, „die neu aufgenommene<br />

Cultur im Bremischen mit<br />

dem gemeinen Landes Gewerbe in Verbindung<br />

zu bringen“, zumal der Handel mit<br />

Torf nach Bremen hin Schätzungen zufolge<br />

rund 38.000 Rthl. umfasse. Einige Einnahmen<br />

hätte das Amt bereits hiervon, könnte<br />

mit eigenen Fahrzeugen jedoch noch mehr<br />

abschöpfen. Begünstigt dadurch, dass „seit<br />

den letzteren Jahren sich eine Schiffer Gesellschaft<br />

sogenannter Työlckenfahrer aus<br />

Ostfriesland zu Osterholtz eingefunden,<br />

welche an jenem Torf- und übrigen Gewerbe<br />

mit Antheil nehmen, und unter dem<br />

bezeigenden Gefallen an der Lage des Orts<br />

und der Hamme Gegend eine Neigung zu<br />

erkennen gegeben, sich darin anzubauen<br />

und mit ihren Familien häuslich niederzulaßen“.<br />

Solche Zuwanderer wolle er unter-<br />

10 RUNDBLICK Frühjahr 2019


vermessenen Plan erstellen, der zu den Akten<br />

eingereicht werde.<br />

Verhandlungen mit den<br />

Siedlungswilligen<br />

Von Findorff erstellte Pläne für Hafen (A), Kanal (B) und Heidkamp (E). (NLA Stade, Karten Neu Nr. 12930)<br />

stützen, wenn sie aus eigenen Kräften ein<br />

Wohnhaus bauen. Dann sollen ihnen „eine<br />

10- oder 12-jährige Erlassung der sonst gewöhnlichen<br />

Dominial-Abgiften“ gewährt<br />

werden; kommen sie gar mit einem eigenen<br />

Schiff im Wert von wenigstens 1.000<br />

Reichsthalern, so wolle der König „die vorgeschlagene<br />

Gratification von 100 Rthl. allemahl<br />

gerne ertheilen.“<br />

Schiffer und Handwerker<br />

melden Interesse an<br />

Doch Hannover hatte Zweifel und verlangte<br />

Belege dafür, dass wirklich die veranschlagte<br />

Zahl von Siedlern erreicht<br />

werden könnte. 7) Im Oktober 1764 hat<br />

Meiners daraufhin eine Namensliste überreicht,<br />

die zudem noch die Herkunft und<br />

die im Besitz befindlichen Schiffe auflistete.<br />

Insgesamt umfasst diese Auflistung 22 Namen.<br />

Bei vier Namen wird Bremen als Herkunft<br />

genannt, bei acht Bewerbern sind es<br />

verschiedene Orte in Holland. An vorhandenen<br />

Schiffen, die mitgebracht werden<br />

und einen Liegeplatz erhalten sollen, sind<br />

notiert: vier Eichen oder Böcke, 15 Tyalcke<br />

und zwei Kähne.<br />

Meiners erwähnt, dass neben Schiffern<br />

auch Handwerker unter den Bewerbern<br />

seien, nämlich zwei Schiffszimmerleute,<br />

ein Schmied, ein Hufmacher, ein Kupferschmied<br />

und ein Strumpfweber. Bei Fremden<br />

wie bei Osterholzern bestünde großes<br />

Interesse, wie „überhaubt zwantzig an<br />

der Zahl fast täglich auf Ausweisung der<br />

Bau-Plätze anfragen“, sodass Meiners vom<br />

Erfolg seines Projekts überzeugt sein konnte.<br />

Diesem Planungsstadium trägt die von<br />

Findorff erstellte Karte Rechnung, in der es<br />

zu E heißt: „ein Stück Saatfeld, der Heidcamp<br />

genannt, welches zu 30 Plätze für so<br />

viel Anbauere welche die Schifffahrt exerciren,<br />

abgetheilet ist, und bekömt einjeder<br />

darauf 57 qRuten“<br />

Ende 1764 erfolgte eine Modifizierung.<br />

Das Saatland von Hinrich Papen (vier Morgen<br />

51 qRuthen) sollte hinzugenommen<br />

und die Zahl der Plätze auf 24 reduziert<br />

werden. Das hieße, dass jeder mehr benötigtes<br />

Gartenland bekäme, aber auch höhere<br />

Abgaben zahlen müsste. Ferner wird<br />

ein Brückenbau für erforderlich gehalten,<br />

um die „Communication mit hiesigem Flecken“,<br />

also mit Osterholz, zu ermöglichen;<br />

dies war u. a. für den Kirchenbesuch erforderlich.<br />

Denn gleichzeitig liefen ja Planungen,<br />

die Kapazität der St.-Marienkirche der<br />

wachsenden Einwohnerzahl anzupassen. 8)<br />

Doch Hannover zeigte sich noch nicht zufrieden.<br />

Das wird jedenfalls aus einem Brief<br />

vom 16. Januar 1765 deutlich, der an den<br />

Oberamtmann Conrad Friedrich Meiners<br />

sowie den Amtschreiber Melchior Siegfried<br />

Hoffmeister gerichtet ist. Die veranschlagten<br />

Abgaben (3 Rthl. 6 gr.) seien zu niedrig,<br />

„in Ansehung der so vortheilhaften Lage<br />

dieses Anbaues“ mindestens 5 Rthl. angemessen.<br />

Auch wolle die Cammer nicht die<br />

gesamten Kosten für die Kirchen-Stände<br />

und Begräbnis-Plätze übernehmen; hieran<br />

sollen sich die Anbauern beteiligen. Und<br />

der Amts-Voigt Findorff möge doch einen<br />

Daraufhin wurden die potenziellen Anbauern<br />

zum 31. Januar 1765 auf das Amt<br />

Osterholz vorgeladen, um die Angelegenheit<br />

zu erörtern. Dabei brachten die sechs<br />

erschienenen Vertreter das Anliegen vor,<br />

größere Plätze zugewiesen zu bekommen,<br />

was als unnötig zurückgewiesen wurde.<br />

Letztlich kam aber ein Kompromiss zustande,<br />

der Hannover übermittelt wurde.<br />

Demnach sollten 10 oder 12 Freijahre gewährt<br />

werden, dazu „Contributions- und<br />

Einquartierungsfreyheit. Wer ein seetüchtiges<br />

Schiff mitbrächte, sollte zudem 100<br />

Rthl. als Geschenk bekommen, um jenes<br />

instand zu setzen. Dafür erklärten die Vertreter<br />

sich bereit, jährlich 4 Rthl. 36 gr. zu<br />

entrichten. Hannover müsste dem jedoch<br />

noch zustimmen.<br />

Die Antwort erfolgte am 7. März 1765.<br />

Zum einen wird Verständnis geäußert für<br />

den Wunsch nach größeren Anbaustellen –<br />

was mit höheren Einnahmen für die Staatskasse<br />

verbunden wäre. Zum anderen wird<br />

angeregt, die Siedlung in einer Reihe auszuführen,<br />

da sonst die Siedler der zweiten<br />

Reihe keine Aussicht auf den Hafen hätten.<br />

Dies wurde den Siedlungswilligen am 22.<br />

März 1765 auf dem Osterholzer Amt vorgestellt.<br />

Die Aussicht, bis 72 qRuten Land<br />

zu bekommen, wurde dankbar zur Kenntnis<br />

genommen; dagegen stieß der Vorschlag<br />

mit einer Siedlungsreihe auf Ablehnung,<br />

weil die Grundstücke dann sehr lang<br />

und schmal würden. An Abgaben seien für<br />

die größeren Flächen 5 ½ Rthl. möglich.<br />

Man wolle, dass die vorgesehenen Plätze<br />

für 34 Feuerstellen in zwei Linien zu je 17<br />

Plätzen von 72 qRuten Größe nach dem<br />

neu gezeichneten Plan von Findorff nun<br />

alsbald nach dem Lose verteilt würden. 9)<br />

Dies konnte dann bereits am Nachmittag<br />

in einem Ortstermin auf dem Heidkamp<br />

geschehen, während dem 13 Bauplätze der<br />

ersten Baulinie ausgelost wurden.<br />

Dies ließ sich alles gut an, sodass Meiners<br />

die versprochenen Zuschüsse beantragen<br />

konnte, da „die im Protocollo nahmhafft<br />

gemachten 13 Schiffere allesamt die intention<br />

haben noch im bevorstehenden Sommer<br />

ihre Gebäude massiv aufzuführen, und<br />

daher bereits umb Auszahlung derjenigen<br />

100 Rthl. angesuchet haben, wozu als eine<br />

Beyhülffe zum Bau, ihnen Hoffnung gemachet<br />

worden.“<br />

Drei Bewerber hatten im Frühjahr 1765<br />

bereits ihre Bau-Materialien größtenteils<br />

angeschafft; dies hat Meiners dazu veranlasst,<br />

ihnen „auf deren inständiges Ansuchen<br />

… 25 Rthl. in Abschlag des zu hoffen<br />

habenden Geschencks der Einhundert<br />

Reichsthaler, gegen Quitung“ auszuzahlen<br />

– wie es scheint, aus eigenen Mitteln.<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

11


Plan des in der Nähe des Fleckens Osterholtz bey der Herrschaftlichen Ziegeley angelegten Schiffer-Anbaues…<br />

(NLA Stade, Karten Neu Nr. 03266)<br />

Dramatische Ereignisse<br />

machen die Pläne zunichte<br />

Bis hierher (13. Mai 1765) wurden die<br />

Planungen konstruktiv vorangebracht; die<br />

aus Hannover vorgebrachten Einwendungen<br />

darf man als normal bezeichnen. Der<br />

bis dahin erfolgte Schriftverkehr ist nahezu<br />

lückenlos. Jetzt aber fehlt ein ganzes Jahr;<br />

erst vom 14. Mai 1766 liegt wieder ein<br />

Brief vor. 10) In diesem wird die Verpachtung<br />

nicht ausgewiesener Bau-Stellen an einen<br />

ansässigen Landwirt genehmigt. Ein Hinweis,<br />

dass es mit der Besiedlung nicht wie<br />

geplant vorangegangen ist. In der Tat sind<br />

in der Karte von du Plat von 1766 nur sechs<br />

bebaute Grundstücke verzeichnet. 11)<br />

Gleichzeitig weist er in der Karte mit<br />

einem Textkasten auf die Vorzüge der geplanten<br />

und begonnenen Siedlung hin,<br />

was als ein Versuch gesehen werden kann,<br />

die Bemühungen von Meiners und nun<br />

Bacmeister zu unterstützen.<br />

Allerdings erfährt man jetzt von Unstimmigkeiten<br />

und einer Auseinandersetzung<br />

zwischen einem Schiffer und dem Amt<br />

mit gegensätzlichen Aussagen zu einem<br />

Schiffsverkauf.<br />

A. der Schiffer-Anbau (ebd.)<br />

Letztlich wird in einem von Bacmeister<br />

unterzeichneten Bericht vom 30. Dezember<br />

1766 ausführlich Hannover gegenüber<br />

dargelegt, worin die Gründe zu suchen<br />

seien, warum der Anbau nicht wie erhofft<br />

vorangekommen ist. Dies wird unter den<br />

Punkten a) bis d) geschildert.<br />

Zu a): Es ist „eine begründete Wahrheit,<br />

dass die Bremische so genannte Moorfahrer<br />

Societaet sich alle erdenkliche Mühe<br />

giebet den Torff Handel für sich allein zu<br />

behalten“. Alle anderen sollen dementsprechend<br />

ausgeschlossen werden. Und dazu<br />

sei den Eichenfahrern jedes Mittel recht.<br />

So hätten sie in den letzten Jahren den Torf<br />

zu überhöhten Preisen angekauft und den<br />

Torfbauern Vorschuss gezahlt, nur um diese<br />

von sich abhängig zu machen und keinen<br />

Verkauf an andere zustande kommen zu<br />

lassen. Dem könnten die hiesigen Schiffer<br />

mit ihrem nur geringen Vermögen nichts<br />

entgegensetzen.<br />

Zu b): Mit der Behauptung, sie dürften<br />

nur die hiesigen Moorgewässer befahren,<br />

werden die Osterholzer Schiffer daran gehindert,<br />

Richtung Bremen zu fahren.<br />

Zu c): Drei namentlich genannte Schiffer,<br />

die sich ansiedeln wollten, seien von<br />

der Bremischen Schiffer-Gilde abgeworben<br />

und als deren Mitglieder aufgenommen<br />

worden.<br />

Zu d): Vier namentlich<br />

genannte<br />

Schiffer hätten einen<br />

Fracht-Auftrag bekommen<br />

und sollten<br />

Verpflegung für die<br />

Armee transportieren.<br />

Ihr Auftraggeber,<br />

der Commissar<br />

Teuto zu Nienburg 12) ,<br />

sei jedoch nicht in<br />

der Lage gewesen,<br />

für diesen Auftrag<br />

zu haften, sodass<br />

die Schiffer mit ihrer<br />

Ladung für längere<br />

Zeit oberhalb von Bremen in der Gegend<br />

von Achim liegen bleiben mussten. Bei Eisgang<br />

seien die Schiffe dann total zerstört<br />

worden, sodass man die Schiffer „in so bettelarmen<br />

Zustand versetzet fand, daß ihr<br />

Vorhaben, sich allhier niederzulaßen gäntzlich<br />

vereitelt worden“ war. In einem Bericht<br />

an die Cammer vom 23. November 1768<br />

erwähnt Meiners dieses Ereignis nochmals<br />

eindringlich. Die Schiffer „kahmen in ao.<br />

1762 kurtz vor erfolgten Frieden mit Fourage<br />

der alliirten armée destiniret für rechnung<br />

des Commissarii Teuto aus Süd-Holland<br />

auf der weeser in der gegend Achim<br />

an, mußten aber daselbst mit ihrer Ladung<br />

auf ordre des gedachten Teuto, über Jahr<br />

und Tag liegen bleiben, darüber sie dann<br />

ihre fahrzeuge verlohren, als welche mit<br />

voller Ladung im Sturm zu grunde gingen.“<br />

Die so hoffnungsvoll begonnene Planung<br />

für ein neues Dorf am Rande von<br />

Osterholz mit der Aussicht auf einen weiteren<br />

wirtschaftlichen Aufschwung hatte<br />

zunächst also einmal erhebliche Rückschläge<br />

zu verkraften. Unglücksfälle kann man<br />

sicher nicht vollständig vermeiden, aber<br />

die Bremer Eichenschiffer ließen nicht so<br />

ohne weiteres von ihrer Monopolstellung<br />

ab und besaßen die wirtschaftliche Stärke,<br />

sich gegen die unerwünschte Konkurrenz<br />

erfolgreich zu wehren.<br />

Wilhelm Berger<br />

Anmerkungen:<br />

1) Wilhelm Berger, Die Erweiterung des Fleckens<br />

Osterholz 1760; in: HRB Nr. 4/2017, S. 8, 9<br />

2) Die Hafen-Thematik wird zu einem späteren<br />

Zeitpunkt separat dargelegt. Eine grundlegende<br />

Darstellung ist bereits 1927 erschienen. Hermann<br />

Fitschen, Der Bau des Hafens und des Hafenkanals<br />

zu Osterholz in den Jahren 1765/66;<br />

in: <strong>Heimat</strong>bote Nr. 21/1927, S. 82 – 84.<br />

3) NLA Stade, Karten Neu Nr. 12929, Tabelle<br />

4) NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061, Tab. VII<br />

bzw. VI<br />

5) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz, Nr. 1334. Dieser<br />

umfangreichen Akte sind auch die folgenden<br />

Informationen und Zitate entnommen –<br />

sofern nicht anderweitig gekennzeichnet.<br />

6) NLA Stade, Rep. 96 Blumenthal Nr. 405. Die<br />

ebenfalls sehr umfangreiche Akte beinhaltet<br />

den Bau des Hafens und Hafen-Kanals.<br />

7) Die Briefe aus Hannover sind unterzeichnet<br />

vom Cammer-Praesidenten Gerlach Adolph<br />

Freiherr von Münchhausen (1688 – 1770),<br />

zuständig für die Finanzen des Kurfürstentums.<br />

Ab 1765 war er Premierminister.<br />

8) Vgl. Wilhelm Berger, Die Klosterkirche St. Marien<br />

in Osterholz…; in: HRB 2/2018, S. 21 – 24<br />

9) Der laut dem Bericht an Hannover eingesandte<br />

überarbeitete, detailliert vermessene Plan<br />

von Findorff ist evtl. verschollen, liegt jedenfalls<br />

nicht vor. In einem späteren Schreiben ist von<br />

32 Feuerstellen die Rede, dann wieder von 34.<br />

10) Amtschreiber in Osterholz war nun Christoph<br />

Philip Bacmeister.<br />

11) Georg Josua du Plat (1722 – 1795), Kartograph<br />

und ab 1763 Chef des kurhannoverschen<br />

Ingenieurkorps. Als solcher hatte er seit<br />

1764 die Leitung der Kurhannoverschen Landesaufnahme<br />

inne.<br />

12) Fitschen (a. a. O., S. 84) spricht vom Konkurs<br />

einer Nienburger Firma. Das geben die Briefe<br />

nicht her. Es geht um Kriegslieferungen kurz<br />

vor Friedensschluss. Damit kann nur das Ende<br />

des Siebenjährigen Krieges 1763 gemeint sein.<br />

12 RUNDBLICK Frühjahr 2019


100 Jahre Ende des 1. Weltkrieges<br />

Aus der Ausstellung im Kreisarchiv Osterholz<br />

Der 1. Weltkrieg dauerte vier Jahre. Er<br />

gilt als der erste „moderne“ Krieg, ein sogenannter<br />

industrieller Massenkrieg. Zum<br />

Einsatz kamen neu entwickelte Waffen, wie<br />

Maschinengewehre und Giftgas. Wurden<br />

Kriege bisher als Bewegungskriege geführt,<br />

wurde im 1. Weltkrieg zunehmend<br />

aus Stellungen heraus gekämpft. Diese<br />

Stellungen waren weder baulich noch hygienisch<br />

für die Soldaten erträglich. In den<br />

vier Jahren wurden etwa zehn Millionen<br />

Soldaten getötet und ca. 20 Millionen verwundet.<br />

Die Anzahl der zivilen Opfer wird<br />

auf 7 Millionen geschätzt.<br />

Das „Märchen vom lieben<br />

Gott“ oder „Der Brief an<br />

den Kaiser“<br />

20. Januar 1918 Auszug:<br />

„Die Götzen aber führten das Volk immer<br />

tiefer ins Elend und erweckten weiter<br />

Hass, Bitternis, Zerstörung und Tod und wie<br />

sie nichts mehr hatten außer blechernen<br />

Schmucksternen und Kreuzen, verschenkten<br />

sie das gestohlene Gut ihrer Völker. Da ging<br />

Gott zu denen die zusammengebrochen waren<br />

unter der Bürde ihrer Leiden, unter Hass<br />

und Lüge: es giebt über euren Götzen einen<br />

„Gott“, es gibt über euren Fahneneid meine<br />

ewigen Gesetze. Es gibt über dem Hass<br />

die „Liebe“. Da gaben die Krüppel ihre blutstinkenden<br />

grauen Kleider, ihre Orden und<br />

Ehrenzeichen zurück an den Gott des Mammons.<br />

Gingen unter das Volk und entheiligten<br />

die Mordwaffen und vernichteten sie.<br />

– Gott aber ging zum Kaiser: „Du bist der<br />

Sklave des Scheins; werde Herr des Lichtes<br />

indem Du der Wahrheit dienst und die Lüge<br />

erkennst! Vernichte die Grenzen, sei der<br />

Menschheit Führer. Erkenne die Eitelkeit des<br />

„Wirkens“ – Sei! – Friedenfürst! Setze an die<br />

Stelle des Wortes die Tat! Demut anstatt Siegereitelkeit<br />

– Wahrheit anstatt Lüge! Aufbau anstatt<br />

Zerstörung. In die Knie vor der Liebe Gottes,<br />

sei Erlöser, habe die Kraft des Dienens. Kaiser!<br />

Unteroffizier Heinrich Vogeler – Worpswede<br />

Kunstmaler“<br />

Die sieben Schalen<br />

des Zorns<br />

Heinrich Vogeler hatte nach dem Absenden<br />

seines Briefes an den Kaiser mit seiner<br />

Erschießung gerechnet, stattdessen wurde<br />

er in die Bremer Psychatrie eingewiesen<br />

und schuf dort die Radierung „Die sieben<br />

Schalen des Zorns“.<br />

„Ich begann zu zeichnen, und zwar<br />

mußte ich mir die Zerstörungen des Krieges<br />

von der Seele malen. Ich malte ein<br />

Heinrich Vogeler<br />

Die sieben Schalen des Zorns, Radierung, 1918<br />

Original im Barkhoff, Worpswede<br />

mystisches Bild mit zerstörten Kirchen,<br />

Leichenfeldern... und alles endete im Himmel,<br />

in den sieben Schalen des Zorns Gottes.“<br />

H. Vogeler, 1918.<br />

APOKALYPSE DES<br />

JOHANNES, 16. Kapitel<br />

Ausgießung der sieben Zornschalen<br />

2.) Und der erste ging hin und goß seine<br />

Schale auf die Erde; und es ward eine böse<br />

und arge Drüse an den Menschen, die das<br />

Malzeichen des Tiers hatten und die sein Bild<br />

anbeteten.<br />

3.) Und der andere Engel goß aus seine<br />

Schale in Meer; und es ward Blut wie eines<br />

Toten, und alle lebendigen Seelen starben in<br />

dem Meer.<br />

Der Niedersachsenstein<br />

Der Niedersachsenstein wurde von 1915<br />

bis 1921 geplant und 1922 gebaut. Als<br />

Bernhard Hoetger 1915 von Professor Fritz<br />

Mackensen gefragt wurde, ein Kriegerdenkmal<br />

für die Gefallenen des 1. Weltkrieges<br />

für das Kirchspiel Worpswede zu<br />

entwerfen, schrieb er an Ludwig Roselius:<br />

„Nur um zu verhüten, dass der Weyerberg<br />

mit dem sogenannten Kriegerdenkmal verunziert<br />

werden sollte, habe ich einen Entwurf<br />

gemacht.“<br />

Die ersten Planungen gingen von einem<br />

siegreichen Kriegsende für Deutschland<br />

aus. Das Denkmal sollte einen Vogel mit<br />

Niedersachsenstein im Heldenhain<br />

ausgestreckten Flügeln zeigen und in dessen<br />

Mitte einen Jüngling als Symbol für die<br />

Auferstehung. Dieser Jüngling ist heute<br />

über dem Eingang zur Bremer Böttjerstraße<br />

zu sehen.<br />

Erinnerungszeichen<br />

Für den Begriff „Erinnerungszeichen“<br />

gibt es keine feste Definition. Es wir unterschieden<br />

zwischen den „sichtbaren“ und<br />

„unsichtbaren“ Erinnerungszeichen.<br />

Zu den für jedermann „sichtbaren“ Erinnerungszeichen<br />

zählen die Denkmäler,<br />

Mahnmale, Monumente und Gedenktafeln.<br />

Sie stehen für das kollektive Erinnern<br />

der Gesellschaft. In fast jeder Gemeinde<br />

des Landkreises Osterholz findet sich ein<br />

Kriegerdenkmal, das an die Gefallenen<br />

des Ortes erinnert. 1926 wurde zum Gedenken<br />

an alle Opfer des 1. Weltkriegs der<br />

Volkstrauertag eingeführt.<br />

Zu den „unsichtbaren“ Erinnerungszeichen<br />

zählen Briefe, Fotos, Kriegtagebücher<br />

und Erinnerungsstücke für das individuelle<br />

Erinnern. Sie machen das Andenken an<br />

die gefallenen Familienmitglieder möglich<br />

und geben ihnen ihren Platz im Familiengedächtnis.<br />

Die Erinnerungszeichen sollen<br />

erlebte Geschichte für jede Generation<br />

erfahrbar machen. Der Brief von Heinrich<br />

Vogeler befindet sich im Haus im Schluh,<br />

Heinrich-Vogeler-Sammlung, Im Schluh<br />

35-37, 27726 Worpswede. Die Originalradierung<br />

von Heinrich Vogeler „Die sieben<br />

Schalen des Zorns“ befindet sich im Barkenhoff<br />

Heinrich-Vogeler-Museum, Ostendorfer<br />

Str. 10, 27726 Worpswede.<br />

Impressum: Das Kreisarchiv Osterholz befindet<br />

sich im Medienhaus im Campus, Am<br />

Barkhof 10 A, 27711 Osterholz-Scharmbeck.<br />

Das Kreisarchiv Osterholz wird von Gabriele<br />

Jannowitz-Heumann geleitet. Sie hatte<br />

mit viel Wissen und Fingerspitzengefühl die<br />

Ausstellung, „100 Jahre Ende des 1. Weltkrieges<br />

1914-1918“ Erinnerungszeichen in<br />

Worpswede, zusammengestellt.<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

13


Wollgraszeit im Teufelsmoor<br />

Farbtupfer in rauher Landschaft<br />

Scheiden-Wollgras<br />

Wollgrassamen<br />

Wollgras ist eine Hochmoorpflanze und<br />

bildet mit den Torfmoosen den ersten<br />

Pflanzenbesatz auf renaturierten Flächen<br />

nach dem Torfabbau. Es trägt so dazu bei,<br />

dass sich neue Torfflächen bilden können.<br />

Bei uns in den Mooren gibt es zwei Arten<br />

von Wollgras, das Scheiden-Wollgras und<br />

das Schmalblättrige Wollgras. Beide Gräser<br />

blühen recht unscheinbar im April. Es<br />

sind die reifen Samenfrüchte, die den bekannten<br />

wattebauschähnlichen Wollschopf<br />

bilden, der die Moore im Mai schmückt.<br />

Der Samen wird durch den Wind auf die<br />

Reise geschickt, ähnlich wie der Löwenzahn<br />

es mit seinen Pusteblumen macht. Das<br />

Schmalblättrige Wollgras besitzt mehrere<br />

Samenbüschel an einem Stiel, während das<br />

Scheiden-Wollgras nur eine Blüte und später<br />

dann nur einen flauschigen Fruchtstand<br />

ausbildet. Daran kann man diese beiden<br />

Moorgrasarten auch als Laie unterscheiden.<br />

Insgesamt gibt es fünf Wollgrassorten.<br />

Jedes Jahr im Frühling bieten die Moore<br />

dieses besondere Naturschauspiel. Bei<br />

uns in der Region im Hamberger Moor, im<br />

Huvenhoopsmoor und im Hagener Königsmoor<br />

zu erleben. Überall wogt dann ein<br />

weißer Teppich im Sommerwind, ein wunderschöner<br />

Anblick. Zeitgleich schlüpfen<br />

im Moor unzählige Libellen, z. B. Moosjungfern<br />

mit ihren entzückenden weißen<br />

Nasen, die so perfekt zur Wollgraszeit passen.<br />

Das Moor ist ein Naturparadies und<br />

hat so gar nichts Unheimliches an sich,<br />

auch wenn ab und zu Nebel über die Moore<br />

wabern. Moorkommissar Findorff hätte<br />

ruhig ein bisschen mehr Moor übrig lassen<br />

können. Das wäre auch gut fürs Klima,<br />

denn Moore speichern Kohlendioxyd.<br />

Durch stetigen Rückgang der Moore<br />

durch Torfabbau und Landwirtschaft gehen<br />

nicht nur die Wollgrasbestände immer<br />

weiter zurück. Jan Haft hat einen berührenden<br />

Film über Moore gedreht und ihn<br />

bezeichnenderweise „Magie der Moore“<br />

genannt. Sehr zu empfehlen für alle Freunde<br />

der Moore. Man kann erahnen, wie<br />

der Lebensraum Teufelsmoor früher ausgesehen<br />

haben könnte, mit einer großen<br />

Artenvielfalt, von der wir heute nur noch<br />

träumen können. Der Hochmoorgelbling<br />

z. B. ist hier schon lange nicht mehr gesehen<br />

worden, um nur eine verschwundene<br />

Art zu nennen.<br />

Text und Fotos: Maren Arndt<br />

Nordische Moosjungfern am Schmalblättrigen<br />

Wollgras<br />

Schmalblättriges Wollgrasfeld<br />

14 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Rezension:<br />

Jürgen Teumer: Das Haus im Schluh<br />

– zur Geschichte der Gebäude<br />

Die Entstehungsgeschichte von Martha<br />

Vogelers „Haus im Schluh“ in Worpswede<br />

war bisher von wenig belegten Erzählungen<br />

umgeben. Jürgen Teumer beschreibt in<br />

seiner 2018 erschienenen 40-seitigen Broschüre<br />

neu entdeckte Details zur Finanzierung<br />

des Grundstückes<br />

im Schluh und zur Herkunft<br />

der beiden Bauernhäuser,<br />

die das heutige<br />

Schluh-Ensemble ausmachen.<br />

Die Broschüre ist von<br />

Holger Lohse typographisch<br />

fein gestaltet und<br />

eindrücklich bebildert.<br />

Der Wert der Schrift ergibt<br />

sich aus der sorgfältigen<br />

Auswertung<br />

primärer Quellen, wobei<br />

der Verfasser u. a.<br />

Dokumente des Grundbuch-<br />

und Katasteramtes<br />

Osterholz-Scharmbeck,<br />

des Niedersächsischen<br />

Landesverwaltungsamtes<br />

Hannover, verschiedener<br />

Stadtarchive (Duisburg,<br />

Düsseldorf, Warburg,<br />

Nort heim) sowie des Archivs<br />

Haus im Schluh und<br />

private Korrespondenzen<br />

herangezogen hat.<br />

Als Martha Vogeler mit<br />

ihren drei Töchtern 1920<br />

den Barkenhoff Heinrich<br />

Vogelers verließ und in<br />

den Schluh am Rande<br />

von Worpswede zog,<br />

befand sie sich in einer<br />

ökonomisch schwierigen<br />

Situation. Teumer dokumentiert<br />

erstmals, dass primär der jüdische<br />

Kaufmann Paul Lehmann, Duisburg, als<br />

Eigentümer des großen Grundstückes im<br />

Schluh im Grundbuch (Februar 1920) eingetragen<br />

war. Er erwarb für Martha Vogeler<br />

nicht nur das Grundstück, sondern stellte<br />

wesentliche Geldmittel für den Aufbau des<br />

Wohnhauses zur Verfügung. Die Verbindung<br />

zur Familie Lehmann wurde durch<br />

den HNO-Arzt Dr. Emil Löhnberg und dessen<br />

Ehefrau Selma, Hamm/Westf., vermittelt,<br />

mit denen Martha und Heinrich Vogeler<br />

in freundschaftlichem Kontakt standen.<br />

Teumer belegt zudem erstmalig, dass Ludwig<br />

Bäumer im Dezember 1921 als Eigentümer<br />

des Schluh-Areals mit Martha Vogelers<br />

Wohnhaus im Grundbuch eingetragen war<br />

und dass diese selbst erst im August 1922<br />

tatsächliche Eigentümerin wurde.<br />

Die Spurensuche nach der Herkunft des<br />

Gebäudes, das Martha Vogeler 1919 auf<br />

Abbruch in dem Dorf Lüningsee erwarb, ergab<br />

einige bisher unbekannte Aspekte: es<br />

handelte sich um die Hofstelle/Moorbauernstelle<br />

Nr. 4 in der „Colonie Lüningsee“,<br />

das Bauernhaus in der Zwei-Ständer-Bauweise<br />

ist nach Teumers Recherchen um<br />

1840 erbaut worden und war bei seinem<br />

Wiederaufbau im Schluh etwa 80 Jahre alt.<br />

Der zweite Teil seiner Schrift enthält<br />

detaillierte Hinweise zur Geschichte des<br />

zweiten großen Gebäudes des Schluh-<br />

Ensembles, des Webhauses. Das Bauernhaus<br />

erwarb Martha Vogeler – ebenfalls auf<br />

Abriss – 1937 in Grasdorf. Im Februar 1938<br />

wurde es im Schluh wieder aufgebaut. Die<br />

Finanzierung der Baumaßnahmen erfolgte<br />

mit einem Darlehen des mit Martha befreundeten<br />

Ehepaares Helene und Wilhelm<br />

Sülter, Inhaber einer Graphischen Kunstanstalt<br />

in Hamburg.<br />

Fazit: Es handelt sich um eine sehr lesenswerte<br />

Broschüre, in der fundiert recherchierte<br />

vielfältige, äußerst interessante<br />

Hinweise zur Geschichte der beiden Hauptgebäude<br />

von Martha Vogelers Haus im<br />

Schluh zu finden sind.<br />

Dr. Harro Jenss, Worpswede<br />

April<br />

Heller Mond in der Aprilnacht<br />

schadet leicht der Blütenpracht.<br />

Bläst der April in sein Horn,<br />

steht’s gut um Heu und Korn.<br />

Bauernregeln<br />

April – Mai – Juni<br />

Mai<br />

Wenn’s Wetter gut am ersten Mai,<br />

gibt es viel und gutes Heu.<br />

Ein Bienenschwarm im Mai<br />

ist wert wie ein Fuder Heu.<br />

Juni<br />

Juni feucht und warm –<br />

macht den Bauern nicht arm.<br />

Gibt’s im Juni Donnerwetter,<br />

wird’s Getreide umso fetter.<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

15


Die Landsknechte am Bremer Rathaus<br />

Interessantes zu ihrer Entstehung<br />

Denkmäler, Standbilder nebst Inschriften,<br />

Mosaiken und Allegorien bildeten im<br />

19. Jahrhundert ein probates Mittel zur<br />

Darstellung der Vorbildlichkeit von Monarchen,<br />

Dichtern, Denkern oder Unternehmern.<br />

Mit der Zeit geriet diese „Kunst“<br />

erst in Vergessenheit, dann in Verruf. Mit<br />

diesen Zeilen soll über zwei denkmalartige<br />

Figuren berichtet werden, welche fast vier<br />

Jahrzehnte das Westportal des alten Bremer<br />

Rathauses geschmückt haben: zwei<br />

„Landsknechte“, die als Gegenstück zu den<br />

zwei „Herolden“ auf der Ostseite des Rathauses<br />

drei Jahre später aufgestellt wurden.<br />

Den wenigsten dieser Stadt ist überhaupt<br />

noch bekannt, dass auf der Westseite des<br />

alten Rathauses einmal zwei Figuren standen.<br />

Die Entstehungsgeschichte dieser<br />

beiden „Landsknechte“ wird getragen von<br />

nur vier Personen und ist anfangs komisch,<br />

endet später eher tragisch.<br />

Auslöser und Ideengeber war der Reeder<br />

Heinrich Wiegand (1855-1909). Heinrich<br />

Wiegand war Rechtsanwalt und in dieser<br />

Position auch für den Norddeutschen Lloyd<br />

(NDL) tätig. Mit den Jahren brachte er es<br />

Herolde am Bremer Rathaus<br />

über den Direktor bis zum Generaldirektor<br />

des Norddeutschen Lloyd. Unter seiner<br />

Führung wurde der NDL zur zweitgrößten<br />

Reederei der Welt, er war eine der treibenden<br />

Kräfte bei der Industrialisierung von<br />

Bremen und des Unterweserraumes, wobei<br />

er seine Fühler bis weit nach Westfalen<br />

und Basel ausstreckte. Er war ein brillanter<br />

Redner, hatte einen scharfen Verstand und<br />

ein phänomenales Gedächtnis – was er sich<br />

in den Kopf gesetzt hatte, konnte er auch<br />

ausführen, sei es mit Diplomatie oder mit<br />

seinem Dickschädel, er konnte sich auch<br />

Kaiser Wilhelm II widersetzen.<br />

Wiegand versuchte mit anderen Bremer<br />

Kaufleuten, Einfluss auf die Gestaltung des<br />

Bremer Stadtbildes zu nehmen. Schon Jahre<br />

vor der Aufstellung des Bismarck-Denkmals<br />

als Reiterdenkmal dicht neben dem<br />

Dom hatte er mit einem Denkmal dieser<br />

Art sympathisiert und schließlich eine Sachverständigen-Kommission<br />

von diesem geeigneten<br />

Platz überzeugt. Der Direktor der<br />

Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli (1866-<br />

1938), Ehemann von Magda Melchers<br />

(Sommer in Lesmona) hat einmal geschrieben,<br />

„um 1900 gäbe es keine künstlerische<br />

Unternehmung in Bremen, an der Wiegand<br />

keinen Anteil genommen hätte“.<br />

Die Idee zur Anfertigung und Aufstellung<br />

zweier Figuren auf der Westseite als Gegenstück<br />

zu den Reiterfiguren auf der Ostseite<br />

des Rathauses kam Heinrich Wiegand,<br />

nachdem die zwei Reiterfiguren (Größe:<br />

3,20 m) an dem Ostportal des Rathauses<br />

im Jahre 1901 aufgestellt worden waren.<br />

Diese zwei Reiterfiguren waren ein Geschenk<br />

des Bankiers Johann (John) Harjes<br />

(1830-1914). Harjes war ein Weltbürger,<br />

wie man heute sagen würde. Er war in<br />

Bremen geboren, wurde amerikanischer<br />

Staatsbürger und arbeitete sich dort zum<br />

Teilhaber eines großen Bankhauses empor,<br />

dem auch Morgan als Geschäftspartner<br />

beigetreten war. Sein Hauptwohnsitz war<br />

dann Paris geworden. 1900 sah er auf der<br />

Pariser Weltausstellung die zwei Reiterfiguren,<br />

angefertigt von dem Münchener<br />

Künstler Rudolf Maison, kaufte diese und<br />

schenkte sie dem Bremer Staat aus Anhänglichkeit.<br />

Paris wurde auch von ihm mit<br />

zwei Denkmälern beschenkt: das Benjamin<br />

Franklin-Denkmal und eine Reiterstatue<br />

von George Washington. Harjes war einer<br />

der bedeutendsten Bankiers seiner Zeit.<br />

Der Senat der Stadt hatte für diese Reiterfiguren<br />

den schönsten Platz, den die Stadt<br />

zu bieten hatte, nämlich das Ostportal des<br />

Rathauses gewählt.<br />

Bei Wiegand kam der Wunsch auf, auch<br />

am Westportal eine ähnliche Ausschmückung<br />

zu erhalten. Er überlegte, wie er mit<br />

der Anhänglichkeit von Harjes für seine<br />

<strong>Heimat</strong>stadt Bremen eine erneute Schenkung<br />

bewegen könnte. Da eine gelegentliche<br />

Äußerung von ihm Harjes gegenüber<br />

ohne Reaktion geblieben war, kam ihm<br />

der Gedanke, Kaiser Wilhelm II mit in seinen<br />

Plan einzuspannen. Der Kaiser machte<br />

oft auf der Durchreise nach Bremerhaven<br />

in Bremen im Ratskeller Station. Hier<br />

ergab es sich, dass Wiegand den Kaiser<br />

während einer Tafelrunde im Ratskeller in<br />

seinen Plan einweihen konnte. Wiegand<br />

beschreibt die Situation:“ Der Kaiser lachte<br />

fröhlich, indem er sagte: „Es ist kaum zu<br />

glauben, wozu Wiegand gekrönte Häupter<br />

gebraucht, jetzt soll ich ihm sogar helfen,<br />

für das Rathaus in Bremen einen Schmuck<br />

zu bekommen. Aber es ist gut, helfen werde<br />

ich Ihnen, laden Sie den Mann nur ein“.<br />

Sechs Wochen später kam die Gelegenheit<br />

auf dem Dampfer „Kronprinz Wilhelm“.<br />

Harjes wurde dem Kaiser vorgestellt.<br />

Anhand von Fotografien konnte der Kaiser<br />

Harjes für seine Vaterlandstreue loben, insbesondere<br />

für den schönen Schmuck durch<br />

die beiden Reiterfiguren, und fuhr dann fort:<br />

„Aber Sie müssen noch etwas mehr tun, Sie<br />

müssen auch einen Schmuck für die andere<br />

Seite des Rathauses stiften“. Harjes bedankte<br />

sich hocherfreut, dass Seine Majestät ihn<br />

16 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Vorläufige Fassung<br />

Endgültige Ausführung<br />

darauf aufmerksam gemacht hatte, und<br />

sagte: „Das werde ich gleich in die Hand<br />

nehmen“. Der Kaiser war nicht minder erfreut<br />

über den Ausgang der Unterredung.<br />

Von Wiegand bekam Harjes dann den Auftrag,<br />

die beiden Figuren als heiliger Michael<br />

und heiliger Georg darzustellen, so wie es<br />

mit dem Kaiser vereinbart worden war. Der<br />

Kaiser trat vergnügt zu Wiegand und sagte:<br />

„Nun sagen Sie mal schön danke. Herr<br />

Harjes ist überglücklich, dass ich ihn darauf<br />

aufmerksam gemacht habe“.<br />

Bis jetzt haben wir drei Personen kennengelernt,<br />

die mit der Entstehungsgeschichte<br />

der Landsknechte zu tun haben: den Generaldirektor<br />

des NDL, Heinrich Wiegand,<br />

Kaiser Wilhelm II und den Bankier John<br />

Harjes. Ab jetzt kommt als vierter Aktiver<br />

der Münchener Künstler Rudolf Maison<br />

(1854-1904) als Ausführender der beiden<br />

Figuren dazu. Maison war ein Meister der<br />

Bildhauerei. Er war ein führender Künstler<br />

im Wilhelminischen Kaiserreich. Maison<br />

war durch den König Ludwig II „geadelt“<br />

worden, als dieser ihn mit der Herstellung<br />

des voluminösen Fama-Brunnen vor dem<br />

Schloss Herrenchiemsee beauftragt hatte.<br />

Seitdem konnte sich Maison seine Auftraggeber<br />

aussuchen. In Berlin hat er für den<br />

damals 1894 fertiggestellten Reichstag drei<br />

Gewerke geschaffen, u.a. standen auf der<br />

Ostseite des Reichstags ebenfalls zwei Reiterfiguren<br />

(Größe: 6,80 m), deren Aussehen<br />

denen in Bremen auf der Ostseite des<br />

Rathauses ähnelten. In Bremen hat er den<br />

Teichmannbrunnen im Jahr 1899 auf dem<br />

ehemaligen Domsplatz erschaffen.<br />

Heinrich Wiegand schreibt in seinen<br />

„Lebenserinnerungen“: „Die Ausführung<br />

der Idee des Kaisers hat dem Künstler und<br />

mir allerdings viel Schmerzen bereitet.<br />

Die beiden Heiligen-Figuren, wie er sie ursprünglich<br />

projektiert hatte, waren wenig<br />

nach unserem Geschmack und lagen dem<br />

Künstler auch wenig glücklich. Erst in allmählicher<br />

Umwandlung sind die Figuren<br />

in der Art entstanden, wie sie jetzt dort<br />

stehen, die allerdings die beiden Heiligen<br />

wenig verraten lassen“.<br />

Bedenken des Kaisers<br />

Wer möchte zwei Drachentöter neben<br />

dem Eingang zum Ratskeller erleben?<br />

Dieser Vorschlag ist desillusionierend und<br />

realitätsfern. Doch eine Änderung wurde<br />

vom Kaiser ungnädig aufgenommen, seine<br />

Majestät bestand auf der Aufstellung der<br />

beiden Heiligen. Über mehrere Jahre versuchte<br />

der Künstler, den Kaiser umzustimmen<br />

und hatte ihm diverse unterschiedliche<br />

Entwürfe vorgelegt. Endlich, im Jahr<br />

1903, hatte er sich mit dem Hof in Berlin<br />

geeinigt, die Figuren ohne Drachen und<br />

Flügel herzustellen. Wiegand war während<br />

der ganzen Zeit über die wechselhafte Geschichte<br />

mit der Anfertigung der Figuren<br />

informiert und agierte im Hintergrund. Er<br />

hatte große Angst, dass Harjes sein Interesse<br />

bei dem Hin und Her verlieren könnte<br />

und trieb Maison zur Eile an. Bei Wiegand<br />

kamen Zweifel hinsichtlich des künstlerischen<br />

Könnens von Maison auf. Wiegand<br />

und Harjes waren während dieser Entscheidungszeit<br />

öfters in München, um Maison<br />

anzuspornen und Zweifel auszuräumen.<br />

Wiegand schreibt:“ Der Drache kann ganz<br />

verschwinden, wir werden ihm keine Träne<br />

nachweinen“. Im Frühjahr 1903 entstanden<br />

die beiden Figuren, die dann auch<br />

zur Aufstellung vor dem Rathaus-Portal gelangten:<br />

zwei stehende Ritter. Größe: etwas<br />

über 2 m.<br />

Rechts vom Rathauseingang stand der<br />

hl. Michael. Seine Erscheinung war jugendlich,<br />

stolz und edel aussehend in einem<br />

gotischen Plattenpanzer mit Eisenschuhen,<br />

Schwert und Schild. Er richtet seinen Blick<br />

wachsam in die Ferne. Auf der anderen<br />

linken Seite stand der hl. Georg, ebenfalls<br />

in voller Rüstung dargestellt mit langem<br />

Speer. Er trägt eine Kesselhaube, dazu Ringelkapuze,<br />

Lederwams, Panzerjacke und<br />

Mantel, welcher am Hals mit einer Spange<br />

zusammengehalten wird. Ein Kreuz verziert<br />

seinen Schild und mit beiden Händen umfasst<br />

er den Speer.<br />

Lange Monate herrschte Schweigen über<br />

das weitere Vorgehen. Unklar ist, wie letzten<br />

Endes das Einverständnis des Kaisers<br />

eingeholt wurde. Auf Wunsch seiner Majestät<br />

wurden die Engels-Flügel des hl. Michael<br />

entfernt, bei dem hl. Georg wurde die Bekleidung<br />

gering verändert. Im November<br />

1903 gab Harjes bekannt, dass alle mit den<br />

beiden Entwürfen einverstanden seien. Bei<br />

all dem Hin und Her um die Ausführung<br />

der Figuren erwies sich einmal mehr, dass<br />

ein als einfach erscheinender Auftrag des<br />

Initiators im Nachhinein in der Ausführung<br />

durch den Künstler unerwartet schwierig<br />

und zeitaufwendig sein konnte. Denn Maison<br />

als ausführender Künstler hatte den kaiserlichen<br />

Auftrag unbekümmert als unausführbar<br />

abgetan und einen Gegenvorschlag<br />

gemacht. Er wollte statt der Heiligen zwei<br />

Bremer Bürger in mittelalterlichem Gewand<br />

vor das Rathausportal aufstellen.<br />

Die jetztfertig gestellten Figuren sind ein<br />

typisches Produkt des Wilhelminischen Kaiserreiches.<br />

Die Gesellschaft war gespalten,<br />

sie war fortschrittlich und rückständig zugleich.<br />

Adel und Großbürgertum standen<br />

dem Liberalismus und der Sozialdemokratie<br />

unversöhnlich gegenüber. Die Künstler<br />

und besonders die Intellektuellen brachen<br />

ab 1890 mit der konservativen Kunst und<br />

Kultur des Kaiserreiches.<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

17


Die Herstellung der beiden Landsknechte<br />

war im November 1903 abgeschlossen. Sie<br />

war Maisons letzte Arbeit. Bei der geplanten<br />

Präsentation im Februar 1904 war der<br />

Künstler plötzlich im Alter von 50 Jahren<br />

verstorben und konnte so die begeisterte<br />

Zustimmung der Bremer nicht mehr erleben.<br />

Die Beliebtheit der Ritter stand den<br />

Reitern auf der anderen Rathausseite in<br />

nichts nach.<br />

Das Werk vollenden musste jetzt der<br />

langjährige Mitarbeiter und Gießer Hans<br />

Bauer. Am 12. September 1904 wurden die<br />

beiden Landsknechte vor dem westlichen<br />

Rathausportal aufgestellt. Bauer meinte,<br />

dass die bronzenen Ritter wohl Maisons<br />

bestes Werk gewesen seien. Er bedauerte es<br />

sehr, dass die beiden Figuren nach Bremen<br />

kämen: „Ich möchte sie am besten immer<br />

um mich haben“. Von der Bremer Bevölkerung<br />

wurden die beiden neuen Figuren<br />

positiv aufgenommen.<br />

Das Ende dieser zwei Ritter ist tragisch.<br />

Vor dem Rathausportal standen sie nur<br />

knapp 40 Jahre. Der 2. Weltkrieg forderte<br />

seinen Tribut. Auf der Suche nach knappen<br />

Metallressourcen machten die Nationalsozialisten<br />

auch vor vielen Denkmälern<br />

keinen Halt. Die beiden Figuren wurden<br />

daher leider im Jahr 1942 als sogenannte<br />

„Metallspende“ eingeschmolzen, genauso<br />

wie die Denkmäler Kaiser Wilhelms I auf<br />

dem Liebfrauenkirchhof, der Wilhadi-Brunnen<br />

zwischen Dom und Rathaus, sowie der<br />

Teichmann-Brunnen auf dem ehemaligen<br />

Domshof, um nur einige Denkmäler aus<br />

der Innenstadt zu nennen.<br />

Allerdings – es gibt zwei verkleinerte<br />

Nachgüsse der Ritter, die Heinrich Wiegand<br />

für private Zwecke hat anfertigen lassen.<br />

Die knapp 1 m großen Figuren standen in<br />

seinen Privaträumen, bevor sie nach seinem<br />

Tode über mehrere Stationen seit 1933 in<br />

den Besitz des Schütting gelangten. Dort<br />

stehen sie noch heute links und rechts des<br />

Treppenaufganges zum 1. Geschoss und<br />

können von jedermann besichtigt werden.<br />

Die beiden Reiterfiguren vor dem Ostportal<br />

des Rathauses verschwanden ebenfalls<br />

zu Kriegsbeginn. Allerdings blieben sie<br />

erhalten und wurden im Bunker vor dem<br />

Hauptbahnhof eingemauert. Heute stehen<br />

sie wieder vor dem Rathaus. Aber das ist<br />

eine andere Geschichte…<br />

Man hätte über jede dieser vier Personen<br />

eine eigene Biografie schreiben können.<br />

Das Thema zwingt jedoch, Grenzen zu<br />

setzen. Alle Aktivitäten dieser Vier zu beschreiben,<br />

hätte den Rahmen des Berichtes<br />

gesprengt. Wer sich jedoch weiter mit dem<br />

Leben dieser Personen beschäftigen möchte,<br />

dem seien zwei Bücher empfohlen:<br />

1. „Die Lebenserinnerungen des NDL-Direktors<br />

Heinrich Wiegand“ von Jörn Brinkhus,<br />

Schriften des Staatsarchivs Bremen,<br />

Bd. 54, 2017. Amüsanter, abwechslungsreicher<br />

Lesestoff.<br />

2. „Rudolf Maison“ von Karin Geiger u.<br />

Sabine Tausch, Begleitband zur Ausstellung<br />

im Historischen Museum der Stadt Regensburg<br />

vom 18. September 2016 bis zum<br />

2. April 2017. Universitätsverlag Regensburg,<br />

2016. Ein opulentes Werk mit allen<br />

Bremer Gewerken.<br />

Weitere vertiefende Bücher:<br />

3. „Denkmäler, Freiplastiken, Brunnen in<br />

Bremen 1800-1945“ von Beate Mielsch,<br />

Verlag J. H. Schmalfeldt + Co, Bremen. Bremer<br />

Bände zur Kulturpolitik, Bd. 3, 1960.<br />

4. Bremisches Jahrbuch, Bd. 55, 1977,<br />

herausgegeben vom Staatsarchiv Bremen,<br />

S. 305-326 von Heinrich Petzet „Ritter am<br />

Rathaus zu Bremen“.<br />

Wikipedia:<br />

Herolde am Bremer Rathaus, Heinrich Wiegand<br />

(Reeder),Rudolf Maison, Gustav Pauli,<br />

John Harjes (engl.).<br />

Fotos:<br />

Die Darstellung mit der „vorläufigen Fassung“<br />

entstammt dem Begleitband zur<br />

Ausstellung über Rudolf Maison, Katalog-<br />

S. 170.<br />

Die beiden anderen Fotos entstammen dem<br />

Bremischen Jahrbuch, Bd. 55 von 1977 S.<br />

307 und S. 308.<br />

Dr. Hans Christiansen<br />

Unvergessen…<br />

Stimmungsbilder aus Moor und Heide<br />

im Spiegel der Dichtkunst<br />

Sein Werk ist vielgestaltig. Naturalismus<br />

und Romantik prägen seine Gedichte und<br />

Balladen. Seine Lyrik beeinflusste unter anderem<br />

den jungen Rainer Maria Rilke. Auch<br />

heute noch beispielhaft für die Dichtkunst<br />

des 19. Jahrhunderts ist<br />

Detlev von Liliencron<br />

Detlev von Liliencron 1905 (Quelle: wikipedia.org)<br />

Der deutsche Lyriker, Prosa- und Bühnenautor<br />

wurde am 3. Juni 1844 in Kiel geboren.<br />

Nach einer kurzen Militärkarriere und<br />

einigen Jahren Tätigkeit in der Verwaltung<br />

wandte er sich als freier Schriftsteller seiner<br />

Leidenschaft zu, der Dichtkunst. Im Jahre<br />

1883 erschien ein erster Gedichtband, weitere<br />

folgten recht bald. Schon zu Detlev<br />

von Liliencrons Lebzeiten galt seine Lyrik<br />

als bedeutendste für den Naturalismus des<br />

späten 19. Jahrhunderts. Richard Dehmel<br />

(s. Heft Nr. 124, Seite 33) charakterisierte<br />

ihn später in einem Nachruf so: „Wer das<br />

Leben kennt und trotzdem liebt, der muss<br />

ihn lieben. Keiner vor ihm hat es so als buntes<br />

Spiel begriffen.“<br />

Als Paradebeispiele seiner Balladen gelten<br />

auch heute noch „Trutz, blanke Hans“ und<br />

„Pidder Lyng“. Sie sind willkommener Bestandteil<br />

von Vortragsabenden und im<br />

Deutschunterricht.<br />

Detlev von Liliencron starb am 22. Juli<br />

1909 in Alt-Rahlstedt, dem heutigen Stadtteil<br />

von Hamburg. Wir erinnern an einen<br />

Großen der deutschen Lyrik mit zwei Beispielen<br />

(Sommer und Herbst) seiner<br />

Heidebilder<br />

Die Mittagssonne brütet auf der Heide, im<br />

Süden droht ein schwarzer Ring. Verdurstet<br />

hängt das magere Getreide, behaglich<br />

treibt ein Schmetterling.<br />

Ermattet ruhn der Hirt und seine Schafe,<br />

die Ente träumt im Binsenkraut,<br />

die Ringelnatter sonnt in trägem Schlafe<br />

unregbar ihre Tigerhaut.<br />

Im Zickzack zuckt ein Blitz, und Wasserfluten<br />

entstürzen gierig dunklem Zelt.<br />

Es jauchzt der Sturm und peitscht mit seinen<br />

Ruten erlösend meine Heidewelt.<br />

-------------------<br />

In Herbstestagen bricht mit starkem Flügel<br />

der Reiher durch den Nebelduft.<br />

Wie still es ist! Kaum hör‘ ich um den Hügel<br />

noch einen Laut in weiter Luft.<br />

Auf eines Birkenstämmchens schwanker<br />

Krone ruht sich ein Wanderfalke aus.<br />

Doch schläft er nicht, vor seinem leichten<br />

Throne äugt er durchdringend scharf hinaus.<br />

Der alte Bauer mit verhaltnem Schritte<br />

schleicht neben seinem Wagen Torf.<br />

Und holpernd, stolpernd schleppt mit<br />

lahmem Tritte der alte Schimmel ihn ins Dorf.<br />

-------------------<br />

Tiefeinsamkeit, es schlingt um deine Pforte<br />

die Erika das rote Band.<br />

Von Menschen leer, was braucht es noch<br />

der Worte, sei mir gegrüßt, du stilles Land!<br />

Peter Richter<br />

18 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Köksch un Qualm – mehr als ein Museum<br />

Donnerstagsprogramm von April bis Juni 2019 bietet für jeden etwas in der Stader Landstr. 46<br />

DO 18.04.19, 14.00 – 17.00 Uhr<br />

FERIENSPEZIAL – Wäschewaschen wie<br />

früher. Große und kleine Helferinnen können<br />

an diesem Nachmittag unseren fleißigen<br />

Waschfrauen zur Hand gehen und<br />

selber ausprobieren, wie früher gewaschen<br />

wurde: Wäschestampfen, auf dem Waschbrett<br />

schrubben und die große Wringe kurbeln.<br />

Zur Belohnung gibt es selbst hergestellte<br />

Seife. (Anmeldungen erbeten)<br />

DO 25.04.19, 15.00 Uhr<br />

Antike Grußkarten leicht gemacht. Wir zeigen<br />

verschiedene Möglichkeiten auf, Grußund<br />

Glückwunschkarten im Stil der früheren<br />

Zeit zu gestalten. Erstellen Sie historische<br />

Unikate für Anlässe jeglicher Art, über welche<br />

sich ihre Liebsten freuen werden. Lassen<br />

Sie sich inspirieren. (Anmeldungen erforderlich<br />

& Kosten nach Materialaufwand)<br />

DO 02.05.19, 15.00 Uhr<br />

Das Taschentuch: Ein kleines Stück Stoff<br />

und eine so große Geschichte. Es erwartet<br />

Sie ein unterhaltsamer Nachmittag, an<br />

welchem sich alles um ein unterschätztes<br />

Stückchen Stoff dreht. Erfahren Sie etwas<br />

über Status, Handarbeit und historische<br />

Symbolik dieses aufwendig angefertigten<br />

Stoffgebildes, welches bereits eine tragende<br />

Rolle in Shakespeare‘s Tragödie „Othello“<br />

spielte. (Anmeldungen erbeten)<br />

DO 09.05.19, 15.30 Uhr<br />

Lesung – Adelheid, es ist so weit!! Meta<br />

Senkpiel (Christine Bongartz) plaudert aus<br />

dem Nähkästchen über ihre Kränzchenfreundinnen<br />

Madda und Kede, die haben<br />

sich nämlich mächtig zerstritten... (Anmeldungen<br />

erbeten)<br />

DO 16.05.19, 15.30 Uhr<br />

Bremen kocht! Leckeres aus Wildkräutern.<br />

Die Natur hat bereits ihren Tisch gedeckt:<br />

Viele schmackhafte Wildkräuter strecken ihre<br />

Köpfe der Sonne entgegen. Wir möchten Sie<br />

heute dazu einladen, mit uns im Handumdrehen<br />

eine kleine Leckerei aus dem Garten<br />

der Natur zu zaubern. Wir laden zum Probieren<br />

ein. (Anmeldungen erforderlich)<br />

fordern wir ihre Geschicklichkeit, ihre Kreativität<br />

und ihr Einfallsreichtum heraus. Spielen<br />

Sie mit uns! Egal ob Mikado, Mensch<br />

ärgere dich nicht oder Scharade, sicherlich<br />

ist für jede/n etwas dabei. (Anmeldungen<br />

erbeten)<br />

DO 13.06.19, 15.30 Uhr<br />

Lesung – Kein Sommer ohne Lesmona!<br />

Christine Bongartz liest als Gesine von Katenkampp<br />

aus den Mädchenbriefen „Sommer<br />

in Lesmona“ von Marga Berck. (Anmeldungen<br />

erbeten)<br />

DO 20.06.19, 15.30 Uhr<br />

Bremen kocht! Aus frischen Zutaten<br />

wohlschmeckende Limonaden herstellen<br />

Passend zu sommerlichen Temperaturen<br />

darf ein erfrischendes Getränk nicht fehlen.<br />

Leider enthalten viele Erfrischungsgetränke<br />

sehr viel Zucker. Die Pflanzenwelt bietet uns<br />

jedoch mit ihrem reichhaltigen Angebot<br />

vielfach gesündere Alternativen. Wir geben<br />

Anregungen, wie man diese mit wenig Aufwand<br />

selber zubereiten kann. Probieren Sie<br />

gern. (Anmeldungen erforderlich)<br />

DO 27.06.19, 15.00 Uhr<br />

Essig – Ein echter Allrounder<br />

Heute dreht sich alles um das Thema Essig.<br />

Wir zeigen Ihnen, wofür Sie Essig alles nutzen<br />

können. Egal ob im Haushalt, bei der<br />

Schädlingsbekämpfung oder für die Schönheit.<br />

Essig ist vielseitiger, als man sich vorstellen<br />

kann. (Anmeldungen erbeten)<br />

Eintritt 3,00 € für das Donnerstagsprogramm;<br />

inklusive szenischer Führung durch<br />

die Ausstellung (auf Wunsch) in Kombination<br />

mit dem jeweiligen Hauptprogramm/<br />

ggf. zzgl. Materialkosten.<br />

Kinder 1,50 €/Kaffee-Menü: 3,80 €. Weitere<br />

Ermäßigungen bitte an der Kasse erfragen.<br />

SONDERVERANSTALTUNGEN<br />

Offene Handarbeitsgruppe<br />

An jedem ersten Montag des Monats trifft<br />

sich von 15.00 – 17.00 Uhr die offene Handarbeitsgruppe<br />

unter der Leitung von Renate<br />

Drögemüller. (Feiertage ausgenommen)<br />

Die nächsten Termine sind am 01.04.2019,<br />

06.05.2019 und 03.06.2019.<br />

Anmeldung erbeten!<br />

Frühstück im Köksch un Qualm<br />

Wir bieten jeden ersten Mittwoch im Monat<br />

ein kleines Frühstück zum Preis von 6,80 €<br />

an, um Ihnen eine außerordentliche Gelegenheit<br />

zu bieten, unser Museum kennenzulernen<br />

und in besonderer Atmosphäre in<br />

den Tag zu starten. Es erwarten Sie Brot und<br />

Brötchen (1 Scheibe Schwarzbrot, 1 Brötchen),<br />

Aufschnitt, Ei, Käse und Marmelade.<br />

Kaffee und Tee stehen Ihnen satt zur Auswahl.<br />

Eine szenische Führung kann nach<br />

Vereinbarung im Anschluss an Ihr Frühstück<br />

für 3,00 € hinzu gebucht werden.<br />

Die nächsten Termine sind am 03.04.2019,<br />

08.05.2019 und 05.06.2019 von 10.00 –<br />

12.00 Uhr. Rechtzeitige Anmeldungen erforderlich!<br />

INDIVIDUELLE BUCHUNGSANFRAGEN<br />

Feiern, Tagen und mehr!<br />

Verbringen Sie im Köksch un Qualm ein<br />

paar schöne Stunden und buchen Sie das<br />

Museum inkl. szenischer Führung und weiterem<br />

Programm auf Anfrage. Wir freuen<br />

uns auf Ihren Besuch, mit Ihrer Schulklasse,<br />

Ihren Freundinnen und Freunden, Ihren<br />

Kindern, anlässlich Ihres Geburtstages, als<br />

Ziel eines Fahrradausfluges oder aber mit<br />

Ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen.<br />

DO 23.05.19, 15.30 Uhr<br />

Szenische Reise in das Jahr 1898. Wir laden<br />

Sie zu einer kleinen szenischen Reise in<br />

die Welt des Friedrich Wilhelm Richterings<br />

und seines Dienstpersonals ein. Tauchen Sie<br />

ein in eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs.<br />

Erfahren Sie mehr über dadurch<br />

entstandene Träume, Visionen und Gedanken<br />

des Gesindes im Hause Richtering und<br />

ihren Hoffnungen an das Leben. (Anmeldungen<br />

erbeten)<br />

DO 06.06.19, 15.00 Uhr<br />

Wir spielen die Spiele unserer Großeltern<br />

„Oma, was hast du eigentlich früher<br />

als Kind gespielt?“ An diesem Nachmittag<br />

Allgemeine Öffnungszeiten<br />

Sie können unser Museum am Donnerstag in der Zeit von 14.00 – 18.00 Uhr<br />

und jederzeit nach Vereinbarung besuchen.<br />

Anmeldungen<br />

Sie erreichen das Köksch un Qualm-Team<br />

Mo., Di., Mi. und Fr. von 9.00 – 14.00 Uhr sowie Do. von 12.00 – 17.00 Uhr<br />

persönlich unter der Tel.: 0421-636958-66.<br />

Oder per E-Mail unter: zigarrenfabrik@bras-bremen.de<br />

Barrierefreiheit ist bei uns gewährleistet!<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

19


Haus Windeck in Grohn<br />

Schriftzug an der Westseite<br />

„Fahre ich die Weser von Bremen nach<br />

Vegesack hinab, so grüßt mich, nahe dem<br />

Ziel, noch heute der Turm. Wandere ich<br />

den Deich an der Lesum entlang durch das<br />

Dorf Lesumbrok flussabwärts, so sehe ich<br />

von der Stelle aus, wo er durch das Weideland<br />

zur Weser abbiegt, noch heute die<br />

Wipfel ragen, die das teure Haus umschließen…“<br />

so beginnt der Autor Wilhelm Julius<br />

Robert Tideman (1890-1949) seine kleine<br />

Schrift „Windeck-Buch der Erinnerung“ im<br />

Jahre 1947 mit seinen Kindheitserinnerungen,<br />

welche dann allerdings erst 1968, 20<br />

Jahre nach seinem Tod, von der Tidemanschen<br />

Familienstiftung, Bremen, in Druck<br />

gegeben wurde. Der Professor, Arzt und<br />

Theologe Karl Stoevesandt und seine Frau<br />

schreiben 1947 an Wilhelm Tideman: „Der<br />

kulturgeschichtliche Wert dieser Familienerinnerung<br />

ist beträchtlich. Denn diese<br />

Zeit ist vorbei und wird so nicht wiederkommen.<br />

Dieses Zeitbild mit dem ihm gegebenen<br />

inneren Wert wird überzeitlich<br />

bleiben.“<br />

Schloss „Windeck“ um 1860<br />

Die exponierte Lage dieser Villa mit dem<br />

markanten hohen Tudor-Turm am hohen<br />

Geesthang der Lesum auf ca. 8.000 m 2<br />

großem Grundstück ist schon von weitem<br />

sichtbar. Schräg gegenüber der Grohner<br />

Kirche St. Michael führt von der Friedrich-Humbert-Straße<br />

eine schmale Straße<br />

mit dem Namen „Tidemanstraße“ in Richtung<br />

des Hauses „Windeck“, welches am<br />

Ende der Straße und direkt am Geesthang<br />

gelegen ist.<br />

Der Erbauer<br />

Johannes Tideman<br />

Johannes Tideman ist der Name des Erbauers<br />

dieses großen Komplexes mit dem<br />

weithin sichtbaren Turm. Johannes Tideman<br />

(1799-1887) war ein Bremer Eltermann,<br />

Kaufmann und Reeder (besaß u. a.<br />

drei Schoner mit den Namen GERTRUDE,<br />

HENRIETTE, HERMINE und drei Brigg mit<br />

den Namen DANIEL, GOTTFRIED MEN-<br />

KEN, META). Er war verheiratet mit Henriette<br />

Christiane Meinertzhagen (1803-<br />

1872) aus Bremen. 1847 wurde das Haus<br />

erbaut, über den Architekten ist nichts<br />

bekannt. Die Familie Tideman ist eine im<br />

15. Jahrhundert von Holland nach Bremen<br />

eingewanderte Pastoren-, Juristen-, Ratsherren-<br />

und Senatorenfamilie. Seit 1457<br />

wird das Geschlecht der Tidemans in den<br />

Büchern des Bremer Rats genannt. In der<br />

oberen Rathaushalle ist das Familienwappen<br />

in einem Bleifenster eingelassen. Mit<br />

dem Bau des Hauses „Windeck“ verbunden<br />

ist folgender biblischer Spruch: „Wir<br />

haben hier keine bleibende Statt – sondern<br />

die zukünftige suchen wir!“ Diese Zeilen<br />

waren an der Westseite oberhalb der Loggia<br />

angebracht, heute sind sie allerdings<br />

verschwunden. Leben und Verhalten der<br />

Tidemans war eindeutig geprägt von reformiertem<br />

Christentum, Biblizismus und<br />

bremischer Tradition. Für die geplante<br />

Grohner Kirche St. Michael spendete der<br />

Reeder Johannes Tideman 500 Thaler in<br />

Gold, seine drei Töchter gaben jeweils<br />

10.000 Mark, obwohl alle die Fertigstellung<br />

des Kirchenbaus St. Michael im Jahre<br />

1908 nicht mehr erlebten. 1882 stiftete Johannes<br />

Tideman das nach ihm benannte<br />

„Johannesstift“, welches als roter Klinkerbau<br />

hinter der Volksbank gegenüber dem<br />

Bremer Tauwerk stand und eine Diakonissenstation<br />

sowie eine „Kleinkinderbewahranstalt“<br />

enthielt. Tatsächlich sollte der<br />

Grohner Kindergarten dort in diesem Haus<br />

bis zu seinem Umzug ins Haus „Windeck“<br />

im Jahr 1955 bestehen bleiben.<br />

Einzigartige Lage<br />

und Aussicht<br />

Die Lage auf dem abfallenden Geestrücken<br />

zur Lesum und zur Schönebecker Aue<br />

war einzigartig. Man hatte freie Sicht nach<br />

Süden auf die Lesum und nach Westen auf<br />

die Lesum- und Ochtum-Mündung und<br />

Vegesack. Weiter unten hatte bereits der<br />

Werftbesitzer Johann Lange sein Wohnhaus<br />

gebaut, und sein Sohn Johann Lange<br />

jun. (1804-1876), der nach dem Tod<br />

seines Vaters im Jahr 1844 die florierende<br />

Werft übernahm, ließ den Garten hinter<br />

dem Wohnhaus seines Vaters in einen<br />

prächtigen Park verwandeln und in zeittypischer<br />

Manier mit einer künstlichen, neogotischen<br />

Turmruine ausstatten, welche<br />

noch heute vorhanden ist. Diese Ruine hat<br />

der Erbauer der Villa „Windeck“ gesehen<br />

und gekannt und emotional hat er sich für<br />

den Bau eines Turmes bei seinem Neubau<br />

entschieden. Von diesem Turm kann man<br />

die Kirchtürme Bremens sehen, nach Westen<br />

geht der Blick bis nach Vegesack, zur<br />

alten Ochtum-Mündung bei Lemwerder<br />

und weiter bis nach Blumenthal. Unterhalb<br />

des Windeck-Grundstücks lagen die alten<br />

Fischerhäuser der Erbfischer-Familien.<br />

Blick von der Turmspitze<br />

Über den Bauherren Johannes Tideman<br />

ist die Biografie dürftig. Weitaus bekannter<br />

wurde sein Enkel, Dr. jur., Dr. rer.pol. Regierungsrat<br />

Wilhelm Julius Robert Tideman<br />

(1890-1949), Sohn von Johannes Tideman<br />

(1840-1927) und Selina Lucie Leila Taylor<br />

(1850-1919). Wilhelm war verheiratet mit<br />

Wera Penzig (1892-1984), Tochter eines<br />

Engländers und einer Schweizerin. Wilhelm<br />

hatte sieben Geschwister, er war der<br />

Jüngste. Wilhelm Tideman verlebte seine<br />

Kindheit und Jugend in dem Haus „Windeck“.<br />

Er schreibt, dass der jährliche Umzug<br />

vom Bremer Stadthaus nach Windeck Anfang<br />

April bis Mai stattfand, indem man<br />

den nötigen Hausstand zum Dampfer an<br />

die Schlachte schaffte, um dann nach Vegesack<br />

zu fahren. Man hatte unterhalb des<br />

Hauses Windeck zwar einen kleinen Hafen<br />

angelegt, dieser war aber nur bei Flut<br />

zu benutzen. Wilhelm Tideman heiratete<br />

1913 mit Kapital, welches er von seinen<br />

drei Tanten geerbt hatte. Durch seinen Vater<br />

bekam er zusätzlich Unterstützung. Er<br />

schreibt: „Die verdrehten Nachkriegszustände<br />

haben meinen beruflichen Werdegang<br />

in eine seltsam verbogene Lebens-<br />

20 RUNDBLICK Frühjahr 2019


ahn gebracht“. Das Paar hatte u. a. einen<br />

Sohn Hans-Lüder, der Bluter war und zeit<br />

seines Lebens kränkelte und nur 25 Jahre<br />

alt wurde (1920-1945). Die Erbkrankheit<br />

war mütterlicherseits bedingt.<br />

Der Sohn Wilhelm<br />

Tidemann, ein bekannter<br />

Bremer Dichter<br />

Wilhelm Tideman wurde ein bekannter<br />

Bremer Dichter, Lyriker, Philosoph und<br />

Poet, der mit seiner schriftstellerischen<br />

Art, seinen tiefsinnigen Gedankengängen<br />

und seinem außergewöhnlichem Vokabular<br />

auf seine Zeit eingewirkt hat. Mit den<br />

folgenden Zeilen soll auf diesen herausragenden<br />

Bremer Schriftsteller eingegangen<br />

werden. Die Gründung der „Literarischen<br />

Privatkurse“ durch Wilhelm und Wera Tideman<br />

1919 ging 1924 über in die „Neue<br />

Vortragsgesellschaft“ (1924-1934), eine<br />

besondere Art der Volkshochschule: Schaffung<br />

einer Stätte geistigen Lebens, Gegengewicht<br />

zur geistigen Inanspruchnahme<br />

des Berufslebens zur geistigen-sittlichen<br />

Not. Sein kleines Buch „Erinnerungen“<br />

spiegelt bremische Kultur wider, die auf<br />

Haus „Windeck“ um die Jahrhundertwende<br />

bis zum 1. Weltkrieg gelebt wurde, es zeigt<br />

seinen bremischen Charakter: eine Verbindung<br />

des Kaufmanns mit dem Reeder:<br />

Hanseat genannt. Er zitiert einen großen<br />

Gelehrten, nachdem Bremen „die Stadt<br />

war, in der man Sonntags eine gute Predigt<br />

hören und einen guten Braten essen müsste“.<br />

Das sei bremische Art und Sitte. Dieser<br />

bremische Stil lehrt uns: „Nüchternheit<br />

des Urteils, Wille zur Tat, Echtheit der Gesinnung,<br />

Prunklosigkeit der Lebensführung<br />

und jene Freiheit, in der die in sich selbst sichere<br />

Persönlichkeit gedeiht; er zeigt, dass<br />

Innerlichkeit notwendiger und stärker ist<br />

als äußerer Reichtum“. Sein Hauptaugenmerk<br />

zielte auf das Erfragen der Existenz.<br />

Hölderlin und Kierkegaard bestimmten<br />

seinen Weg. In seinem nicht mehr abgeschlossenen<br />

Werk „Philosophie des Schicksals“<br />

begegnen sich östliche Weisheit und<br />

westliche Tragik. Die Vorträge von ihm<br />

und vielen anderen Mitgliedern sind noch<br />

heute zugänglich, befassen sich hauptsächlich<br />

mit philosophischen Fragen. Andreas<br />

Gildemeister hat 1927 in der „Weser<br />

Zeitung“ über ihn geschrieben: „Eine fest<br />

ausgeprägte, oft schroffe und schwierige<br />

Individualität, furchtlos im Ausdruck seiner<br />

Überzeugung, ehrlich und leidenschaftlich<br />

in Neigung und Abneigung, an Güte und<br />

Treue für seine Freunde unübertroffen.“<br />

Zum Schluss der Ausführungen über seine<br />

schriftstellerische Tätigkeiten zitiere ich<br />

einen Absatz aus den „Erinnerungen“: „Du<br />

Garten der Freude, der Jugendlust, du Haus<br />

der zarten Menschen, der edlen, hochgestimmten<br />

Festlichkeit! Du warst die <strong>Heimat</strong>,<br />

über der der Abendwind, von der sinkenden<br />

Sonne vergoldet, die Flagge der Freiheit<br />

wehte“. Wilhelm Tideman wurde auf<br />

dem Waller Friedhof beerdigt. Die Grabstelle<br />

von Wilhelm und Wera Tidemann<br />

hat die Lage Nr. Y96. Insgesamt kann man<br />

sagen, dass sein Leben nicht leicht war, er<br />

hat es sich aber auch nicht leicht gemacht.<br />

Schinkel hat einmal zur Aussicht auf die<br />

Landschaft gesagt: „Landschaftliche Aussichten<br />

gewähren ein besonderes Interesse,<br />

wenn man die Spuren des menschlichen<br />

Daseins dar innen wahrnimmt. Der Reiz<br />

der Landschaft wird erhöht, indem man die<br />

Spuren des Menschlichen recht entschieden<br />

darin hervortreten lässt…“ Begehrte<br />

Plätze in der Landschaft werden als „points<br />

de vue“ bezeichnet. Das Haus wird an den<br />

höchsten Punkt gelegt, darunter breiten<br />

sich Garten und Park aus, über sie hinweg<br />

sieht man in die ideale Landschaft, sprich<br />

Lesum- und Weser-Niederung.<br />

Castle Style<br />

Wappen Tideman<br />

Das im „castle style“ (Burgenstil) errichtete<br />

Haus weist eine Reihe Baukörpergruppierungen<br />

in der Wandarchitektur auf, die<br />

dem großen Baublock Leben verleihen, als<br />

da sind eine turmartige Erhöhung, Arkadengalerien<br />

längs der Dachgesimse in der<br />

Horizontalen und natürlich, sehr wichtig,<br />

Zinnen auf Dachrändern und Türmen. Sowohl<br />

in Bremen wie auch in Hamburg ist<br />

ein ausgeprägtes Interesse an Häusern im<br />

„castle style“ zu finden, welches hauptsächlich<br />

durch die traditionellen und jahrzehntelangen<br />

Handelsbeziehungen zu<br />

England vermittelt wurde. Der Wunsch<br />

nach Präsentation führte dazu, dass die<br />

Eingangsfront monumental-symmetrisch<br />

(englisch) gebaut wurde, während die Gartenseite<br />

verspielter und freier (italienisch)<br />

gestaltet wurde.<br />

Ehemaliger Eingangsbereich von „Windeck“<br />

Die Villa „Windeck“ ist das früheste Beispiel<br />

einer Reihe vom „castle style“ beeinflussten<br />

Gebäude. Aus diesem Grund ist die<br />

typische Formenvielfalt dieser englischen<br />

Bauform noch nicht so ausgeprägt, es ist<br />

viel eher noch eine „normännische“ Formensprache<br />

verbaut. Spätere Bauwerke wie<br />

das Schloss in Wätjens Park in Blumenthal<br />

(1858-1864 erbaut), das Landgut Albrecht<br />

in Leuchtenburg (1868 erbaut) oder Schloss<br />

Mühlenthal des Baron Knoop in St. Magnus<br />

(1868-1871 erbaut) zeigen einen reicher<br />

werdenden Stil in allen Detailformen.<br />

Die zweigeschossige Villa wurde im Stil<br />

der Romantik mit gelben Klinkersteinen<br />

erbaut und ähnelt mit seinem Zinnen<br />

bewehrten Turm entfernt einer Burg am<br />

Rhein. Die „alten Grohner“ sprachen früher<br />

immer von ihrem Schloss „Windeck“.<br />

Der gesamte Hauptbaukörper und die<br />

Türmchen an den Ecken waren früher mit<br />

Zinnen bekrönt. Zur Westseite hin führt<br />

eine breite Freitreppe zu einer vorgelagerten<br />

italienisch geprägten Loggia. Zwei<br />

romantische Säulen stützen die Vorderseite<br />

der Loggia, zwischen denen drei Rundbögen<br />

die Loggia überwölben. Auf einem<br />

alten Foto erkennt man, dass die Loggia<br />

mit Glastüren teilverschlossen war. Der<br />

Söller über der Loggia wurde begrenzt von<br />

einem Vegesacker Eisengussgitter. Heute<br />

sind rotgefärbte, verzierte Betongitter eingesetzt.<br />

Die Hausecken sind allesamt verstärkt<br />

und enden in kleinen Ecktürmchen.<br />

Aneinander gereihte, vorgemauerte Dreiecksspitzen<br />

verbinden die Hausecken unter<br />

dem von Konsolen gestützten Hauptgesims.<br />

Neben der beschriebenen westlichen<br />

Loggia gibt es eine Südveranda sowie eine<br />

heute nicht mehr vorhandene Nordveranda.<br />

Diese Nordveranda, die nur von außen<br />

zugänglich war, wurde in den 1930er Jahren<br />

zusammen mit einem Teil des nördlichen<br />

Hauptbaukörpers abgerissen. Dieser<br />

nördliche Teil wurde um ca. 4 m entfernt,<br />

die beiden Fenster links der Loggia fehlen<br />

heute, die vier Fenster an der nördlichen<br />

Wand im 1. Stock sind jetzt auf zwei Fenster<br />

reduziert worden. Der Dacherker ist<br />

ebenfalls entfernt worden. Man kann nur<br />

vermuten, warum man das Haus so stark<br />

verändert hat; wollte man den großen<br />

Festsaal auf diese Weise verkleinern? Seitdem<br />

fehlt dem Bau die Harmonie; die Veränderungen<br />

kann man noch heute gut<br />

an dem etwas veränderten gelben Backstein<br />

erkennen. An dieser nördlichen Seite<br />

steht heute der Kita-Anbau. Ein großer<br />

Störfaktor stellt seit drei Jahren die an der<br />

Rückwand rechts neben der Loggia angebrachte<br />

Feuerleiter mit hässlicher Holzverkleidung<br />

dar. Früher wurde unterschieden<br />

zwischen einem Ober- und Untergarten.<br />

Beide Gärten waren verbunden mit einer<br />

„Brücke“ genannten steinernen Treppe,<br />

welche im Winkel mit Brückenbögen<br />

die Straße „Am Wasser“ überquerte und<br />

durch verschieden größere und kleine Ab-<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

21


sätze verbunden war. Damals gab es noch<br />

ein Hofmeierhaus, links vor dem Landhaus<br />

„Windeck“, vorne an der Straße mit der<br />

Nr. 37 gelegen, heute ein Mehrfamilienhaus<br />

der 1970er Jahre, ebenso einen Pferdestall-<br />

und ein Remisengebäude sowie<br />

eine Reihe Gewächs- und „Traubenhäuser“.<br />

Im Untergarten zur Lesum hin standen<br />

drei Glashäuser. Zum oberen Grundstück<br />

gehörend standen damals westlich<br />

an der tiefsten Stelle noch zwei niedersächsische<br />

Bauernhäuser mit Strohdächern:<br />

„Altgrohneck“ und „Neugrohneck“<br />

genannt, welche aber frühzeitlich verkauft<br />

wurden. Wilhelm Tideman hat diese Häuser<br />

noch bewohnt. „Neugrohneck“ (erbaut<br />

1834, seit 1981 unter Denkmalschutz<br />

stehend) existiert noch heute und liegt direkt<br />

an der Straße „Am Wasser“ Nr. 10 hinter<br />

dem Havenhöft. „Altgrohneck“ wurde<br />

abgerissen. Bis zu diesen Häusern reichte<br />

früher das Grundstück. Wilhelm Tideman<br />

erwähnt in seinen „Erinnerungen“ auch<br />

zwei große Bäume, die heute noch immer<br />

rechts und links des Eingangs zu dem<br />

Hauptgebäude stehen: rechts eine große<br />

Eiche und links eine Linde, unter der früher<br />

oft gefeiert wurde. Diese Linde musste<br />

leider stark gekürzt werden, da sie nach<br />

einem Rückschnitt in den 1970er Jahren<br />

anfing zu faulen.<br />

Durch die heutige Verwendung des Hauses<br />

als „Kinder- und Familienzentrum“ hat<br />

das Innere trotz strengen Denkmalschutzes<br />

vielfältige Veränderungen erfahren.<br />

Aktuelle Nutzung<br />

Immerhin ist der ehemalige Zustand<br />

noch gut zu erahnen und auch zu sehen.<br />

Bei einer Inspektion mit der Leiterin dieses<br />

Zentrums, Frau Irene Goldschmidt, und<br />

anderen Mitarbeiterinnen, konnte ich alle<br />

Räumlichkeiten einsehen. Das besterhaltene<br />

Zimmer ist das ehemalige Herrenzimmer<br />

links neben dem Eingang. Das große,<br />

mit Blei unterteilte Fenster in dunkelbraunem<br />

Holzfunier zeigt noch heute die ehemalige<br />

Klasse, in gleicher Farbe ist der<br />

Durchgang zur Terrasse nach Süden ausgebaut,<br />

wobei Tür, Oberlicht und seitlicher<br />

Durchblick mit Bleiverglasung ausgefüllt<br />

sind. Früher waren die Wände dieses Raumes<br />

ringsum mit dunkelbraunem Holz verkleidet<br />

Die Heizkörper sind ebenfalls dunkelbraun<br />

verkleidet und bilden hölzerne,<br />

breite Ablagen. Gegenüber dem großen<br />

Fenster befindet sich der große, verzierte<br />

Kamin aus grauem Sandstein, dazu ein<br />

feuerfester Fliesenschutz davor. Die Decke<br />

über dem Kaminbereich ist mit rotbrauen<br />

bemalten Brettern mit weißen Blüten ausgelegt,<br />

unterbrochen von weißen Balken.<br />

rechten Seite noch eine halbrunde Ablage<br />

mit Nische eingebaut wurde. Der ehemalige<br />

Fliesenfußboden mit reich verzierten<br />

einzelnen, kleinen Fliesen ist erhalten und<br />

wird durch eine Auslegware geschützt.<br />

Die auffällig großen, verwendeten Außenfensterscheiben<br />

der Terrasse gab es bereits<br />

damals und waren für die damalige Zeit<br />

etwas Besonderes. Von dieser Terrasse hat<br />

man einen einmaligen Blick auf Lesum und<br />

Weser. Hinter der Südterrasse (Loggia) befindet<br />

sich der große Festsaal, der früher<br />

Schauplatz großer Veranstaltungen war,<br />

aber auch als Esszimmer genutzt wurde.<br />

Kamin mit Balkendecke im Herrenzimmer<br />

Über eine steile Treppe geht es in den<br />

1. Stock. Die Treppe ist neu, das Geländer<br />

stammt noch aus damaliger Zeit. Das<br />

Licht in dieses Treppenhaus fällt durch ein<br />

großes Fenster mit Rundbogen sowie Jugendstilornamenten<br />

in Bleiverglasungen.<br />

Dieser Rundbogen ist Anfang des Jahrhunderts<br />

hinzugefügt worden, was man<br />

deutlich den neuen gelben Backsteinen ansieht.<br />

Früher befanden sich in der 1. Etage<br />

die Schlaf- und Fremdenzimmer sowie ein<br />

Turmzimmer über der Loggia.<br />

Haus „Windeck“ heute, Westseite<br />

Ulf Fiedler berichtete im Nordteil des<br />

„Weser-Kuriers“ vom Verkauf des Gebäudes<br />

im Jahre 1910 an den Reeder Friedrich<br />

Bischoff durch die Erben des Reeders<br />

Tideman. Friedrich Bischoff hatte sein großes<br />

Anwesen in der Weserstraße an die<br />

Enkelin Elisabeth Lange des Schiffbauers<br />

Lange verkauft und wohnte fortan, nach<br />

Heirat der Tochter Marie von Johannes Tideman,<br />

in der Villa „Windeck“, bis er 1920<br />

in Bad Oeynhausen verstarb. Während<br />

der NS-Herrschaft erwarb Dr. Adolf Kunz<br />

das Anwesen. Er gehörte von 1934-1945<br />

dem Vorstand der Norddeutschen Steingut<br />

an. Wegen unmenschlicher Behandlung<br />

der Fremdarbeiter in dieser Firma wurde<br />

er 1945 von den Amerikanern enteignet,<br />

konnte aber noch das Hofmeierhaus kaufen<br />

und weiter bewohnen. Die Amerikaner<br />

machten das Haus „Windeck“ in der Nachkriegszeit<br />

zu ihrem Offizierskasino.<br />

Durchgang zur Terrasse<br />

Fenster im Herrenzimmer<br />

In der dem Wohnzimmer vorgelagerten<br />

Südterrasse fällt sofort die graubraune Fliese<br />

auf, die links und rechts der eben beschriebenen<br />

Durchgangstür gegenüber der<br />

Fensterfront verbaut wurde, wobei auf der<br />

Jugendstilfenster über dem Eingang<br />

Von hier aus, dem 1. Stockwerk, führt<br />

eine steile Treppe nach oben zum Turm.<br />

Auffällig bei allen Räumen ist, dass damals<br />

22 RUNDBLICK Frühjahr 2019


viele Wandschränke eingebaut worden<br />

sind. In fast jedem Raum findet man Wandschränke.<br />

Die Schränke sind alle gut erhalten<br />

und die Außenwände der Schränke<br />

weiß gestrichen. Die Heizkörper sind alle<br />

mit weißgestrichenem Holz teilweise verdeckt.<br />

Unter dem Dach befanden sich die<br />

Zimmer der Angestellten, ein Zimmer zeigt<br />

noch einen Alkoven. Dieser Bereich wird<br />

heute nicht mehr genutzt. Dicke Eichenstämme<br />

stützen und tragen die Dachkonstruktion,<br />

das Ganze macht einen stabilen<br />

Eindruck und bietet viel Platz zur Ablage für<br />

tausend Sachen.<br />

Von dem Dachgeschoss führt eine noch<br />

steilere, gewundene Holztreppe zur Turmplattform<br />

hinauf. Bis man oben angekommen<br />

ist, passiert man noch zwei Zwischenetagen.<br />

Durch die Fenster kommt viel Licht<br />

und die Aussicht wird von Stufe zu Stufe<br />

schöner. Die obere Plattform wird durch<br />

eine Kunststoffkuppel verschlossen. Und<br />

dann steht man plötzlich ganz oben auf<br />

der kleinen Plattform, die malerisch von<br />

Zinnen umrahmt ist. Die Aussicht ist atemberaubend<br />

und beindruckend. Zu Füßen<br />

liegen Bremen-Nord mit Lesum und Weser,<br />

in der Ferne kann man die Bremer Innenstadt<br />

erahnen. Dieser <strong>Rundblick</strong> ist wirklich<br />

eindrucksvoll und unvergesslich! Das<br />

Mauerwerk und die ganze Konstruktion<br />

machen einen guten und sicheren Eindruck.<br />

Mir wurde berichtet, dass einmal<br />

im Jahr die Kinder nacheinander alle auf<br />

den Turm geführt würden, damit auch sie<br />

in den Genuss dieses herrlichen Ausblicks<br />

kämen. Die Mitarbeiterinnen sowie die Kinder<br />

dieser Einrichtung sind sich durchaus<br />

der herausragenden Stellung ihrer Arbeitsstätte<br />

bewusst. Den Kindern wird versucht,<br />

das Gebäude als etwas Besonderes zu vermitteln,<br />

das sie sonst nirgendwo zu sehen<br />

bekommen würden.<br />

Auf der Turmspitze<br />

Von ganz oben geht es nach ganz unten.<br />

Wir gehen in den Keller. Das Haus ist zu<br />

ca. 80 % unterkellert. Dort unten finden<br />

wir starke Mauergewölbe und dicke eingemauerte<br />

Säulen. Der Fußboden des gesamten<br />

Kellers ist mit großen Sandsteinplatten<br />

ausgelegt. Hier hat man eine moderne Heizung<br />

installiert, es gibt eine große Waschküche,<br />

in der vor allem Handtücher der<br />

vielen Kinder gewaschen und getrocknet<br />

werden.<br />

Seit 1955 wird die Villa „Windeck“ nach<br />

Ersteigerung durch den Bremer Staat als<br />

Kindergarten genutzt. Der Villa ist ein flacher<br />

Anbau 1975 nordseitig angefügt, in<br />

dem auch die Küche untergebracht ist. Ein<br />

weiterer Bungalow steht separat nördlich<br />

des Hauses. Das Ganze wird von der Stadt<br />

Bremen betrieben und nennt sich „Kinder-<br />

und Familienzentrum Haus Windeck“.<br />

Leiterin ist seit Dezember 2017 Frau Irene<br />

Goldschmidt aus Delmenhorst. Die Einrichtung<br />

beherbergt 160 Kinder in zehn Gruppen<br />

mit einem Alter von 1 bis 6 Jahren.<br />

Die ehemaligen Räume sind heute kindgerecht<br />

umbenannt worden und nennen sich<br />

„Gruppenraum der Eulen“ (Esszimmer),<br />

„Schmetterlingsraum“ (Wohnzimmer),<br />

„Katzengruppe“ (Südveranda). Im 1. Stock<br />

heißen die ehemaligen Schlafzimmer heute<br />

„Ballbad“ und „Marienkäfergruppe“. Das<br />

ehemalige Jungmädchenzimmer nennt<br />

sich jetzt „Hängemattenraum“.<br />

Familientreffen<br />

Vor ca. zwei Jahren fand ein Familientreffen<br />

der Tidemans in Bremen statt. Die<br />

Teilnehmer entschieden sich während dieses<br />

Treffens spontan für einen Ausflug zum<br />

Stammsitz der Tidemans, zum Haus „Windeck“.<br />

Dort wurden sie von den Mitarbeiterinnen<br />

der Kitas empfangen.<br />

„Windeck“ sollte nicht das einzige Haus<br />

mit Turm am hohen Grohner Ufer bleiben.<br />

Einige 100 m weiter östlich an der Straße<br />

„Auf dem Berge“ Nr. 10 hat sich der ehemalige<br />

Inhaber der Bremer Tauwerk-Fabrik,<br />

Claus Hinrich Michelsen III ebenfalls ein<br />

großes Haus mit dem Namen „Villa Sorgenfrei“<br />

direkt am Hang im Jahr 1898 mit<br />

hohem, rundem Turm erbaut. Der Bau von<br />

damals ist heute allerdings modern reduziert,<br />

renoviert und umgebaut worden.<br />

Bei den Recherchen zum Haus „Windeck“,<br />

seinem Werdegang und zu den<br />

Jahren der Nachkriegszeit waren mir insbesondere<br />

folgende Mitarbeiterinnen der<br />

„Kita Windeck“ sehr behilflich: Frau Irene<br />

Goldschmidt, Frau Elisabeth Kuhl-Kruse<br />

und Frau Hannelore Wellmann-Witte. Für<br />

die vielen Erklärungen und das erläuternde<br />

Fotomaterial sage ich „vielen herzlichen<br />

Dank!“<br />

So hat der Erbauer dieses schönen Hauses<br />

„Windeck“ einen Besitz hinterlassen,<br />

der wie viele andere Landsitze oder Gärten<br />

in Bremen, Lebensart und Schönheitssinn<br />

seines Eigentümers widerspiegeln und damit<br />

in vielerlei Hinsicht prägend und berührend<br />

wird für nachfolgende Generationen.<br />

Quellennachweis:<br />

– Rudolf Stein: Klassizismus und Romantik<br />

in der Baukunst Bremens II, 1965, Verlag<br />

Hauschild Bremen<br />

– Bremische Biographie 1912-1962, 1969,<br />

Verlag Hauschild Bremen<br />

– Wolfgang Brönner: Die bürgerliche Villa in<br />

Deutschland 1830-1890, 1994, Wernersche<br />

Verlagsgesellschaft Worms<br />

– Agnes Schneider: Grohn – damals und heute,<br />

Verlagshaus Friedrich Pörtner, 1981<br />

– Wilhelm Tideman: Windeck-Buch der Erinnerung,<br />

Hauschild Bremen, 1968<br />

– Wilhelm Tideman; Aufsätze-Gedenkreden-<br />

Briefe-Dokumente. Hauschild Bremen, 1983<br />

– Robert Lamken: Geschichtliches aus Grohn<br />

und Bremen-Nord, Hauschild Bremen 1989<br />

– Sophie Hollanders: Vegesack – Alte Bilder einer<br />

Hafenstadt, Heinrich Döll Verlag, Bremen<br />

1984<br />

– Ulla Schulz, Hannelore Wellmann-Witte:<br />

Geschichte des Hauses Windeck in Bremen<br />

Grohn. 2005<br />

– Landesamt f. Denkmalpflege: Haus Windeck,<br />

Staffage, Wikipedia<br />

– Haus Windeck: Wikipedia<br />

– Eine Villa zeigt Vegesacker Geschichte: Weser-<br />

Kurier, Wikipedia<br />

– Johannes Tideman (1799-1887) – Genealogy<br />

Fotos: Eigene Dateien<br />

Dr. Hans Christiansen, 2019<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

23


Ein Juwel in Bremen-Nord:<br />

Wätjens Park<br />

Die Unternehmensentwicklung<br />

der Reederfamilie<br />

Wätjen<br />

Flagge von D. H. Wätjen und Co.<br />

(Quelle: Wikipedia.org)<br />

Will man die Anfänge des späteren Imperiums<br />

der Familie Wätjen erkunden, dann<br />

muss man bis in das Jahr 1749 und auf den<br />

niedersächsischen Ort auf dem Hollen bei<br />

Martfeld in der Grafschaft Hoya zurückgehen.<br />

Hier wurde der Stammvater der Familie,<br />

Johann Diedrich Heinrich Julius Wätjen<br />

geboren. Wie schon in früheren Zeiten üblich,<br />

heirateten die Besitzerfamilien nach<br />

dem Grundsatz, Hof zu Hof und Geld zu<br />

Geld. So war dann auch die Fami lie Wätjen<br />

durch ihren später erworbenen Reichtum<br />

mit den angesehendsten und wohlhabendsten<br />

Bre mer Reeder- und Kaufmannsfamilien<br />

verwandt schaftlich verbunden.<br />

Doch gehen wir noch einmal zurück<br />

auf den Spross der Wätjen Dynastie, Johann<br />

Diedrich Hein rich Julius Wätjen, der<br />

im Jahre 1793 die einzige Tochter des Peter<br />

Brüning, Rebecca Adelheid, hei ratete<br />

und somit auf einem großen Bauernhof in<br />

Walfangflotte von D. H. Wätjen und Co. um 1840 vom Maler Carl Justus Harmen Fedeler<br />

©Hermann Gutmann<br />

Ochtmanien bei Vilsen sesshaft wurde. Der<br />

Stamm vater der Familie Wätjen verstarb<br />

1829. Drei seiner Söhne wurden Kaufleute<br />

in Bremen. Der älteste Bruder handelte erfolgreich<br />

mit amerikanischen Tabaken und<br />

betrieb nebenbei noch eine Kerzenfab rik.<br />

Die Wätjen-Brüder waren außerordentlich<br />

fleißig, sie gründeten Filialen im Ausland,<br />

lernten Fremdsprachen und blieben untereinander<br />

eng ver bunden. Ihre berufliche<br />

Verbindung zu ausländi schen Handelshäusern<br />

schuf den Einstieg und die Grundlage<br />

zur Entwicklung eines Weltunterneh mens.<br />

Durch die zwischen England und Frankreich<br />

ausgebrochenen Feindseligkeiten Anfang<br />

des 19. Jahrhunderts und der damit<br />

verbundenen Kontinen talsperre kam auch<br />

die bremische Handelsschiffahrt fast zum<br />

Erliegen. Die damals englische Insel Helgoland<br />

diente als wichtiger Handelsplatz.<br />

Wenn auch nicht immer auf legale Weise,<br />

so erwirtschaf ten die Wätjen-Brüder ein beträchtliches<br />

Kapital. Von seinem Vermögen<br />

konnte Diedrich Heinrich Wätjen (1785-<br />

1858) am 22. Januar 1823 den in Konkurs<br />

geratenen elterlichen Hof in Ochtmanien<br />

für 5.000 Taler für die Familie ersteigern.<br />

Mit viel Wagemut schuf Diedrich Heinrich<br />

Wät jen im Jahre 1829 den Grundstein<br />

zu seinem welt umfassenden Handelschiffsunternehmen.<br />

Die eige ne Schiffsflotte<br />

wurde später durch seinen Sohn Christian<br />

Heinrich Wätjen ständig erweitert, sodass<br />

1883 nunmehr 43 Segelschiffe und vier<br />

Dampfschiffe unter der Wätjen-Flagge –<br />

ein weißes W auf blauem Grund – die Weltmeere<br />

befuhren. Der Handel flo rierte mit<br />

Nord- und Südamerika, wobei Kolonialwaren,<br />

Tabak, Zucker, Kaffee und Wein auf<br />

dem Seeweg transportiert wurden. Es war<br />

in der Zeit, in der die Auswanderungsbewegung<br />

einen enormen Aufschwung erreichte.<br />

Auch daran war dieses Un ternehmen<br />

erfolgreich beteiligt.<br />

In den 30er Jahren des vorletzten Jahrhunderts<br />

beteiligte sich die Reederei Wätjen<br />

am Walfang an der Grönländischen<br />

Küste.<br />

Im Jahre 1837 wurde Diedrich Heinrich<br />

Wätjen zum Senator der Freien Hansestadt<br />

Bremen ge wählt. Seine Frau Christina Elisabeth,<br />

geborene Osmers, verstarb kurz nach<br />

der Geburt ihres einzi gen Kindes, Christian<br />

Heinrich Wätjen. Nach einer Schul- und<br />

Berufsausbildung vertrat er die väterliche<br />

Firma in London und New York. Die<br />

Aufent halte im Ausland boten auch die Gelegenheit,<br />

fremdländische Gewächse und<br />

Gehölze für den Park in Bremen-Blumenthal,<br />

fachmännisch beur teilt, auszusuchen.<br />

Vater und Sohn ergänzten sich sowohl in<br />

geschäftlichen Fragen als auch mit der Planung<br />

der Parkgestaltung außerordentlich.<br />

Park und Schloss<br />

in Bremen-Blumenthal<br />

Wie sehr sich doch die Vorgänge ähneln.<br />

Ver gleicht man den Grunderwerb des Baron<br />

Ludwig Knoop in St. Magnus mit den<br />

Kaufinteressen der Familie Wätjen, stellt<br />

man fest, dass in beiden Fällen bäuerliche<br />

Landbesitzer ihre Ländereien für spätere<br />

Parkanlagen veräußert haben. 1830 hat<br />

Diedrich Heinrich Wätjen von dem Landwirt<br />

Johann von Harten vier nebeneinander<br />

liegende, mit alten Bäu men bestandene<br />

Grundstücke, erworben. Dieses Areal befand<br />

sich nach damaliger Bezeichnung<br />

zwischen der Weser und der „Langen Straße“.<br />

Die fachliche Gestaltung dieser Landschaftsparkanlage<br />

wurde dem Bremer Isaak<br />

Hermann Altmann über tragen.<br />

Im Vergleich zu Knoops Park in St. Magnus,<br />

bei dem das Parkgelände – so lange<br />

die Herrschafts familie dort wohnte – für<br />

die Öffentlichkeit nicht zugänglich war,<br />

gewährte man der Bevölkerung in Blumenthal<br />

zu bestimmten Zeiten den Zutritt in<br />

Wätjens Park.<br />

So schrieb die „Norddeutsche Volkszeitung“<br />

mit Datum vom 31. März 1908,<br />

dass nach vorheriger Anmeldung im Pfortenhaus<br />

der Park ab 15. Mai betreten werden<br />

darf. Das Mitführen von Kinder wagen,<br />

Fahrrädern und Hunden war zwar verboten<br />

und Kinder hatten nur in Begleitung Erwachsener<br />

Zutritt. Ein längeres Verweilen<br />

in der Nähe des herrschaftlichen Hauses<br />

sei unstatthaft und sollte vermieden wer-<br />

24 RUNDBLICK Frühjahr 2019


den. Von den gewährten Öffnungs zeiten<br />

wurden die Sonnabende und die Sonntage<br />

ausgenommen.<br />

Wie schon erwähnt, zählte das Unternehmen<br />

der Familie Wätjen zu den weltgrößten<br />

Schiffsreederei en der damaligen Zeit.<br />

So ist es auch nicht verwun derlich, dass<br />

man darauf bedacht war, in einem gro ßen<br />

Schloss und einem schönen Park zu wohnen<br />

und zu leben.<br />

Wätjens Schloss gehörte zu den renommiertesten<br />

Bauten seiner Art in der hiesigen<br />

Region. Kein Geringerer, als der damalige<br />

Stararchitekt Heinrich Müller, konnte für<br />

die Planung dieses aufwendig gestalteten<br />

Landsitzes gewonnen werden.<br />

Nach relativ langer Bauzeit wurde das in<br />

engli scher Gotik errichtete Schloss im Jahre<br />

1864 bezo gen.<br />

Zweifellos bestätigte dieses große Haus<br />

die Zu friedenheit und auch den Stolz des<br />

Bauherrn. Schriftlichen Überlieferungen<br />

zu Folge wurde die herrschaftliche Pracht<br />

unverhohlen zur Schau ge stellt, wodurch<br />

man in den Ruf kam, dass der zusammengetragene<br />

Reichtum schon eine<br />

gewisse Raffgier verriet.<br />

Agnes Duckwitz, geborene Wätjen,<br />

schreibt in ihren Lebenserinnerungen, dass<br />

sie als Kind den Treppenaufgang und das<br />

obere Turmzimmer wie in einem verwunschenen,<br />

märchenhaften Schloss emp fand.<br />

Von dort oben hatte sie einen weiten Blick<br />

ins Oldenburger Land.<br />

Heute steht Wätjens Schloss zwar unter<br />

Denkmal schutz, doch durch einen Brand<br />

in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts<br />

fehlen das spitze Schiefer dach und<br />

z. T. die seitlichen und vorderen Staffelgiebel.<br />

An das unschöne flache Dach hat<br />

man sich beim Anblick gewöhnen müssen.<br />

Eine Wiederher stellung in der Architektur<br />

von 1864 ist in der Pla nung. Der Förderverein<br />

Wätjens Park würde sich freuen,<br />

wenn Behörden, Stiftungen, Firmen und<br />

Privatpersonen sich zur Unterstützung des<br />

Schloß Wätjen auf einer alten Ansichtskarte<br />

Schloss Wätjen im gegenwärtigen Zustand<br />

(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />

(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />

Vorha bens bereit erklären würden. Nach<br />

erfolgreicher Vollendung der vorgesehenen<br />

baulichen Maßnah men wäre Bremen-Nord<br />

mit Wätjens Schloss und Park um ein beneidenswertes<br />

Landschaftsjuwel reicher.<br />

Im Vergleich zum Schloss Mühlental in<br />

Knoops Park, das 1933 abgerissen worden<br />

ist, wird Wätjens Schloss im gleichnamigen<br />

Park noch weiterhin für Wohnzwecke genutzt.<br />

Des Weiteren befanden sich im Park die<br />

Villa Magdalena mit dem dazu gehörenden<br />

Wasser- und Aussichtsturm sowie das<br />

schöne Schweizerhaus. Bedauerlicherweise<br />

sind beide Häuser der Spitzha cke zum Opfer<br />

gefallen. Lediglich einige ehemalige Bedienstetenunterkünfte<br />

befinden sich noch<br />

auf dem Areal.<br />

Noch heute lässt sich der Wohlstand und<br />

letztlich auch das Geltungsbedürfnis der<br />

Familie Wätjen an dem wiederhergestellten<br />

neoklassizistischen Rund tempel ablesen,<br />

der zur Erinnerung an den Firmen gründer<br />

Christian Heinrich Wätjen im Auftrag sei nes<br />

Sohnes errichtet worden ist.<br />

Die im Jahre 1879 erbaute Blumenthaler<br />

refor mierte Kirche wurde von der Familie<br />

Wätjen mit 200 Tausends Goldmark Baugeld<br />

mitfinanziert, jedoch mit der Auflage,<br />

den alten Turm der dort zuvor gestandenen<br />

Kirche zu erhalten. Man legte Wert darauf,<br />

durch eine Sichtschneise vom Schloss<br />

die Kirche im Blick zu haben.<br />

Bleibt noch zu erwähnen, dass die vor<br />

dem Ein gang zur „Bremer Wollkämmerei“<br />

in Blumenthal befindliche große metallene<br />

Brunnenschale mit Jünglingsfigur ursprünglich<br />

als schmückendes Ele ment im<br />

Park gestanden hat.<br />

Als 1916 durch Konkurs des Wätjen Imperiums<br />

der Park und die Gebäude in andere<br />

Besitzerhände wechselten, wurde das<br />

Areal zweigeteilt. Neben dem „Bremer<br />

Vulkan“ war nun auch die „Bremer Wollkämmerei“<br />

je zur Hälfte Eigentümer. Die<br />

nordbremische Stadtteilbeilage der Tageszeitung<br />

„Weser Kurier“ berichtete im Jahre<br />

2000, dass die Stadtgemeinde die Parkanlage<br />

für 2,95 Millionen DM einem Privatmann<br />

abgekauft hat, der sie 1999 bei der<br />

Zwangsversteigerung für einen deutlich<br />

geringeren Preis erworben hatte.<br />

Dem Vermächtnis von Christian Heinrich<br />

Wätjen folgend, wurden nun wieder beide<br />

Parkhälften ver eint.<br />

Erst die Übertragung an den Bremer Senat<br />

als Eigentümer und die Öffnung für<br />

die Bürger war der Start zur Revitalisierung<br />

dieser rd. 70 ha großen, lange Zeit ungepflegten<br />

Parkanlage. Jahrelang lag dieser<br />

Landschaftsgarten im urwaldähnlichen<br />

Dornröschenschlaf.<br />

Dass in Wätjens Park in den letzten Jahren<br />

viel getan worden ist, erkennt man an<br />

dem schönen Blumengarten an der westlichen<br />

Parkseite. Terras senförmig angelegte<br />

und gepflegte Blumenbeete markieren den<br />

Standort, an dem bis 1987 das er wähnte<br />

Schweizerhaus gestanden hat.<br />

So vielfältig und exotisch die Botanik<br />

und Topo grafie in Wätjens Park auch ist,<br />

so möge man mich von der Erwartung<br />

entbinden, die Bäume, Büsche, Sträucher,<br />

Pflanzen und Blumen einzeln zu beschreiben<br />

und aufzuzählen. Möge es dem<br />

interessierten Leser vorbehalten bleiben,<br />

selber die Schönheiten in diesem neu belebten<br />

Park zu erkun den, denn ein Besuch<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

25


Gedächtnismonument für Chr. H. Wätjen<br />

(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />

in diesem nordbremischen Landschaftsgarten<br />

lohnt sich zu jeder Jahreszeit.<br />

Es ist schon kurios, erst der Verfall und<br />

der Un tergang der mit unermesslichem<br />

Reichtum belade nen Familien des Baron<br />

Zu jeder Jahreszeit zeigt der Park seine Reize.<br />

(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />

Knoop in St. Magnus und Wätjen in Blumenthal<br />

gaben die Möglichkeit, dass die<br />

Bevölkerung die schönen Parkanlagen zur<br />

Freu de und Erholung nutzen kann.<br />

Ein besonderer Dank gebührt den leitenden<br />

Her ren des Bauamtes Bremen-Nord<br />

und dem im Jahre 2005 gegründeten Förderkreis<br />

Wätjens Park, die sich um diese<br />

Aufgabe verdient gemacht haben.<br />

Abschließend darf ich auf das im Buchhandel<br />

und beim Förderverein Wätjens<br />

Park erhältliche, reich bebilderte Buch<br />

„Wätjens Park, ein Land schaftspark an<br />

der Weser“ aufmerksam machen. Herausgegeben<br />

ist dieses interessante Buch vom<br />

Bauamt Bremen-Nord unter Federführung<br />

seines Leiters, Christof Steuer, sowie unter<br />

sachkundiger Mitarbeit von Rainer Frankenberg.<br />

Benutzte Quellen/Literatur:<br />

– Bauamt Bremen-Nord, Wätjens Park, ein<br />

Landschaftspark a. d. Weser, 2006<br />

– Zahlreiche Aufsätze in verschiedenen Publikationen<br />

Rudolf Matzner/Lesumer Bote<br />

Einige Fotos wurden freundlicherweise vom<br />

Vorsitzenden des Fördervereins, Wätjens Park,<br />

Herr Rainer Frankenberg, zur Verfügung gestellt.<br />

Trigonometrische Messpunkte<br />

Erhaltung ist eine Herzensangelegenheit<br />

Grasberg. Die Trigonometrie (Dreieckmessung)<br />

ist eine jahrhundertealte Methode,<br />

um die Länge einer geraden Strecke zu<br />

ermitteln.<br />

Dieses System wurde auch von Carl Friedrich<br />

Gauß (*1777, †1855) angewandt. Er<br />

war Mathematiker, Astronom, Geodät und<br />

Physiker. Von 1820 bis 1826 übernahm<br />

er die Leitung der Landesvermessung des<br />

Königreichs Hannover 1) (entspricht in etwa<br />

der Größe des heutigen Bundeslandes Niedersachsen).<br />

Auf dem 10-DM-Schein, der<br />

1990 neu eingeführt wurde, ist er mit seinem<br />

Abbild und der Dreieckmessung verewigt.<br />

Als im Jahr 1876 die Katasterämter gegründet<br />

wurden, erfolgte auch die weitere<br />

Einführung der Trigonometrischen Messpunkte<br />

(TP) bis herab zu 1-km-Abständen<br />

(4. Ordnung). Auf der topografischen Karte<br />

werden diese TP-Steine mit einem aufrechten<br />

Dreieck, das in ihrer Mitte einen Punkt<br />

zeigt, markiert. Sie bestehen aus allseitig<br />

geschliffenem Granit, sind 30 x 30 cm im<br />

Geviert und 80 bis 100 cm. lang. Auf deren<br />

Oberfläche ist ein Kreuz eingemeißelt. Seitlich<br />

davon befindet auf gleicher Weise das<br />

aufgerichtete Dreieck und demgegenüber<br />

die Buchstaben TP. Unterirdisch sind sie auf<br />

einer Granit- oder Stahlplatte ausgerichtet,<br />

in der mittig ein Kreuz gemeißelt ist.<br />

In der Gemeinde Grasberg befinden sich<br />

somit sechs dieser TP-Steine: Zwei an der<br />

Adolphsdorfer Straße und an der Seehauser<br />

Straße. Des Weiteren jeweils einer, am<br />

Mühlendamm in Eickedorf, an der Meinershauser<br />

Straße, Rautendorfer Straße und<br />

Rautendorfer Landstraße.<br />

Der Stein in Eickedorf wurde im Jahr<br />

1965 infolge Landbearbeitung aus ihrer Fixierung<br />

gerissen. Daraufhin errichtete das<br />

Katasteramt Osterholz über diesem TP einen<br />

ca. 40 m hohen Holzturm. So konnten<br />

die zum Teil mehrere Kilometer entfernten<br />

TP angepeilt werden, um mittels der Dreieckmessung<br />

den Stein wieder in die erforderliche<br />

Position zu bringen. Im Zeitalter<br />

der Computertechnik übersteigt es sicher<br />

den zukünftigen Generationen deren Vorstellungskraft,<br />

mit welchen aufwendigen<br />

Stein mit Trigonometrischem Messpunkt<br />

Methoden ihren Altvorderen eine Landvermessung<br />

vorgenommenen haben.<br />

Auch wenn das Katasteramt Osterholz<br />

seit mehreren Jahren die Vermessung von<br />

ihrem Schreibtisch aus über Satellit vornimmt,<br />

legt die Behörde Wert darauf, die<br />

alten Trigonometrischen Messpunkt-Steine<br />

an ihrem festgesetzten Platz zu belassen.<br />

So wird eine anschauliche Messtechnik erhalten,<br />

die über viele Jahrhunderte die Regel<br />

war.<br />

Text und Foto: Harry Schumm<br />

1)<br />

Wikipedia<br />

26 RUNDBLICK Frühjahr 2019


Die Lübberstedter Mühle<br />

Ein Kulturdenkmal lädt zum Kennenlernen ein<br />

Sie ist etwas ganz Besonderes. Von der<br />

Größe her. Aber die Landschaft in der sie<br />

steht, hat auch seinen eigentümlichen Reiz.<br />

Nur zufällig findet sie kein Reisender. Man<br />

muß sie finden wollen. Aber der Reihe nach.<br />

Man schreibt in dem kleinen Ort Lübberstedt,<br />

der heute zum Landkreis Osterholz<br />

gehört, das Jahr 1859. Eine Windmühle,<br />

die auf einer Anhöhe gebaut wurde, nimmt<br />

ihren Betrieb auf. Die Flügel drehen und<br />

drehen sich. Nach genau 50 Jahren trifft<br />

die Mühle im Jahre 1909 ein Blitzschlag.<br />

Sie brennt ab. Noch im gleichen Jahr kaufte<br />

die Müllerfamilie für 16.000 Goldmark<br />

in Rostock eine neue Mühle. Sie wurde am<br />

Lübberstedter Bahnhof angeliefert. Den<br />

Rest besorgten viele Pferdefuhrwerke. Der<br />

Aufbau war dann eine logistische Meisterleistung.<br />

Im November 1909 nahm die<br />

Mühle ihren Betrieb wieder auf. Die vielen<br />

umliegenden Landwirte und Bäcker in den<br />

Dörfern konnten aufatmen.<br />

Wilhelm Bullwinkel kann stolz auf seine<br />

Vorfahren sein. Vier Generationen haben<br />

sich um den Mühlbetrieb gesorgt, mit persönlichem<br />

Einsatz die verschiedenen Getreidesorten<br />

gemahlen und auch mit viel<br />

Geld die Mühle in Schuß gehalten.<br />

Julius Bullwinkel in „seiner“ Mühle.<br />

Neben der Mühle befand sich eine Gaststätte<br />

mit einer Brennerei. Nach dem Mahlgang<br />

stärkten sich die Bauern. Sie hatten<br />

sich viel zu erzählen. War doch in den Dörfern<br />

und Familien in den vergangenen Monaten<br />

so einiges geschehen.<br />

Da soll es schon mal vorgekommen sein,<br />

daß ein Bauer zu tief ins Glas geschaut hatte.<br />

Man legte ihn einfach auf die Mühlsäcke<br />

und die Pferde zockelten los. Den Weg nach<br />

Hause kannten sie ja.<br />

Die Mühle. In einem Teil von Lübberstedt.<br />

1956 hat Julius Bullwinkel – wie viele<br />

andere Müller in Deutschland auch – das<br />

Mühlengewerbe abgemeldet. Aber die<br />

Mühle weiter gepflegt, auch mit Hilfe von<br />

Spenden und Freunden in Gang gehalten.<br />

Im Jahr 2000 erfolgte die Übergabe an<br />

die stets rührige Gemeinde Lübberstedt<br />

für eine D-Mark (Wilhelm Bullwinkel meint<br />

sie sei bis heute noch nicht bei ihm eingetroffen).<br />

Und dann machten die Einwohner<br />

und Gemeinde sich für „ihre“ Mühle stark.<br />

Von ca. 750 Einwohnern sind wohl 170 Mitglieder<br />

im Verein Lübberstedt Mühle e.V.<br />

Und dann kommen noch Mitglieder aus<br />

anderen Regionen hinzu.<br />

Überhaupt: Die Einwohner in dem schuldenfreien<br />

Lübberstedt ziehen alle an einem<br />

Strang. Die Landwirte<br />

halten die Wege in<br />

Ordnung. Es wurde<br />

neben der Mühle<br />

eine „Scheune“ gebaut.<br />

Hier finden viele<br />

Veranstaltungen<br />

statt.<br />

Die Fa. Murken<br />

hat sich besonders<br />

hervorgetan. Ernst<br />

Poppe hat sich z. B.<br />

um Holzschindeln<br />

und die Zähne für<br />

das Mühlrad gekümmert.<br />

2016 wurden<br />

die Mühlenflügel<br />

für 26.000 Euro erneuert.<br />

Das war nur<br />

durch Selbsthilfe der Mitglieder möglich.<br />

Haben doch die Mühlenflügel der Mühle in<br />

Bremen 140.000 Euro gekostet.<br />

In der Mühle befindet sich als Besonderheit<br />

ein Standesamt. Im Jahr 2017 haben<br />

sich übrigens 16 Paare „getraut“.<br />

Neben Uwe Tellmann kümmert sich besonders<br />

Fred Ellmers um die Belange des<br />

Mühlenvereins. Seine Kontakt-Telefonnummer<br />

ist 0 47 93 - 95 33 57.<br />

Wilhelm Bullwinkel, der mit seiner Frau<br />

Elke verheiratet und stolzer Vater von drei<br />

Töchtern ist, kümmert sich heute in seinem<br />

50ha-Betrieb um Acker- und Grünflächen.<br />

Manfred Simmering<br />

RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />

27


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