Heimat-Rundblick 128
Magazin mit kulturellen und historischen Bezügen zum Elbe-Weser-Raum
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Frühjahr 2019 Einzelpreis € 4,50<br />
1/2019 · 32. Jahrgang<br />
ISSN 2191-4257 Nr. <strong>128</strong><br />
RUNDBLICK<br />
AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />
GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />
I N H A L T<br />
unter anderem:<br />
Stammen drei Fresken aus einer Hand?<br />
Der Bremer Walfisch<br />
Überraschende Entdeckungen in Daverden<br />
Der Heidkamp<br />
Die Landsknechte am Bremer Rathaus<br />
Haus Windeck in Grohn<br />
Wätjens Park<br />
Die Lübberstedter Mühle<br />
I N H A L T
Redaktionssitzung<br />
Rückblick auf die Redaktionssitzung bei den<br />
<strong>Heimat</strong>freunden Neuenkirchen am 19. Januar<br />
2019.<br />
Der Verein hat mit viel Eigenleistung hinter<br />
der alten Schule Vorbruch ihr neues Domizil,<br />
die <strong>Heimat</strong>stube in der Schulstraße 18,<br />
erbaut. Seit 2004 zeichnet der Verein auch<br />
für die „Baracke Wilhelmine“ verantwortlich,<br />
die auch bereits einmal Ziel unserer<br />
Redaktionssitzung gewesen ist. Wir wurden<br />
freundlich von dem 1. Vorsitzenden, Herrn<br />
Hartmut Bohlmann, begrüßt, der uns auch<br />
einen Einblick in die überaus erfolgreiche<br />
Arbeit des Vereins gönnte. Die Mitgliederzahl<br />
beträgt zur Zeit 290 Personen, davon<br />
sind allein seit 2011 160 (!) dazugekommen.<br />
Im nächsten Jahr steht die Jubiläumsfeier<br />
zum 60. Gründungstag an – wir wünschen<br />
gutes Gelingen.<br />
Der Verein verfügt über 30 Präsentationen<br />
im Archiv, die bei passender Gelegenheit<br />
öffentlich vorgeführt werden können. Dazu<br />
kommen 2000 Bilder und Kartenmaterial.<br />
Mit den Präsentationen ist nicht nur ein<br />
Archiv der Geschichte erschaffen worden,<br />
sondern auch die Möglichkeit gegeben,<br />
jederzeit aus verschiedenen Themenbereichen<br />
der Geschichte und Entwicklung des<br />
Dorfes, Besuchern und Interessierten diese<br />
Werke zu zeigen. Dieses geschieht durch<br />
regelmäßige, vom Verein organisierte, Veranstaltungen<br />
aber auch auf Wunsch vor Ort<br />
bei anderen Vereinen oder Institutionen.<br />
Nach dieser beeindruckenden Übersicht<br />
über das rührigen Schaffens der Vereinsmitglieder<br />
durften wir uns dem durch die<br />
dienstbaren Geister servierten Köstlichkeiten<br />
widmen – dafür vielen Dank!<br />
Nach Stillen des ersten Hungers richtete der<br />
Herausgeber seine Worte an die versammelten<br />
Redakteurinnen und Redakteure, nachfolgend<br />
ein Auszug daraus:<br />
„Leider konnten heute einige Mitglieder<br />
nicht kommen, bei einigen sind es familiäre,<br />
bei anderen gesundheitliche Gründe.<br />
Umsomehr freue ich mich, dass Sie alle den<br />
Weg hierher gefunden haben und wünsche<br />
Ihnen für das nun schon leicht angebrochene<br />
neue Jahr alles Gute – bleiben Sie gesund<br />
und munter und bleiben Sie unserer<br />
gemeinsamen Sache treu.<br />
Mit dabei ist erfreulicherweise auch der Begründer<br />
unserer Zeitschrift, Manfred Simmerung,<br />
der im Dezember seinen 80. Geburtstag<br />
feiern konnte – ich wünsche ihm<br />
alles Gute und weiterhin die gewohnte<br />
Schaffenskraft.<br />
In diesem Heft musste ich auf unseren Artikelfundus<br />
zurückgreifen, deshalb finden<br />
Sie einige Artikel unseres Freundes Rudolf<br />
Matzner, der leider aufgrund seines gesundheitlichen<br />
Zustandes heute nicht dabei<br />
sein kann.<br />
In der vergangenen Woche war ich als Mitglied<br />
des Regionalausschusses Osterholz<br />
zum Neujahrsempfang der IHK Stade eingeladen<br />
– eine große Veranstaltung mit ca.<br />
800-900 Gästen. Die Hauptrede hielt unser<br />
Ministerpräsident, Stephan Weil – und er<br />
hat vom Rohstoff des Nordens fabuliert<br />
– dem Wind, der Turbinen antreiben und<br />
mit deren Strom man Wasserstoff erzeugen<br />
kann, dem Energieträger der Zukunft, der<br />
ja auch schon im Elbe-Weser-Dreieck von<br />
einem Zug genutzt wird – dem ersten weltweit<br />
übrigens.<br />
Das hat mir mal wieder zu denken gegeben;<br />
ich meine, wir sollten uns auch – ich<br />
sage bewußt auch – mit solchen aktuellen<br />
Themen beschäftigen. Wir dürfen, überspitzt<br />
gesagt, nicht nur vom Friedhof, sondern<br />
auch aus dem Kreißsaal berichten –<br />
und von allem, was dazwischen liegt.<br />
Wenn unsere Zeitschrift eine Zukunft haben<br />
soll – und ich gehe davon aus, das wir das<br />
alle wollen, müssen wir uns um Themenvielfalt<br />
bemühen, einmal von den Themen<br />
selbst her, einmal von den regionalen Kulissen<br />
her, die sich momentan immer wieder<br />
gleichen.<br />
Wir brauchen Kontakte – zum Beispiel auch<br />
zu <strong>Heimat</strong>vereinen in unserer Region, wir<br />
können sie ansprechen, besuchen und um<br />
Mitarbeit bitten.<br />
Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass sich jemand<br />
aus unserem Kreis darum bemüht –<br />
vielleicht machen Sie sich einmal Gedanken<br />
dazu.<br />
Zur Lage des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s – die Finanzierung<br />
bewegt sich am Rande des Machbaren,<br />
durch Ableben ausfallende Abos sind<br />
kaum durch neue zu ersetzen. Nachdem ich<br />
2010 von Manfred Simmering die Verantwortung<br />
für seine Verlagsobjekte übernahm<br />
– der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> hatte zwischen 24<br />
und 28 Seiten – wurde der Umfang erweitert<br />
und das Heft komplett vierfarbig gedruckt.<br />
Neben den Papier- und Druckkosten<br />
sind die Versand- und natürlich auch<br />
die Lohnkosten erheblich gestiegen – dies<br />
macht eine Preisanpassung unbedingt notwendig,<br />
über deren Höhe noch nachgedacht<br />
wird.<br />
Im Jahr 2018 wurden die Satzarbeiten von<br />
einer Mitarbeiterin betreut, die Ende des<br />
Jahres 2018 unsere Firma verlassen hat.<br />
Wie Sie wissen, erscheinen quartalsmäßig<br />
einige Broschüren bei uns, dazu kommen<br />
Gestaltungs- und Satzarbeiten für externe<br />
Broschüren. Da dies immer zum Ende eines<br />
Vierteljahres kulminieren, möchte ich die Erscheinungstermine<br />
etwas entzerren. Daher<br />
wird der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> zukünftig offiziel<br />
erst um den 15. – 20. des ersten Monats<br />
eines Quartals erscheinen – was ja bisher<br />
auch bereits ungewollt geschehen ist. Ich<br />
bitte für beides um Verständnis.“<br />
Nach diesen mehr oder weniger ernsten<br />
Worten ging es mit der Tagesordnung weiter<br />
– Rückschau auf die aktuelle Ausgabe,<br />
Aufnahme von Themen für die nächste<br />
Nummer <strong>128</strong>, Aussprache – und dann hieß<br />
es wieder Abschied nehmen. Jürgen Langenbruch<br />
bedankte sich für die gute Arbeit<br />
der Mitstreiter, bedankte sich für die überaus<br />
freundliche Aufnahme der <strong>Heimat</strong>freunde<br />
Neuenkirchen und wünschte eine gute<br />
Heimfahrt – bis zum nächsten Mal!<br />
Nächste Redaktionssitzung<br />
Die nächste Redaktionssitzung findet am Samstag, den 11. Mai 2019, 15.00 Uhr,<br />
im „Haus Irmintraut“ in Fischerhude statt.<br />
2 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Aus dem Inhalt<br />
Aktuelles<br />
Jürgen Langenbruch<br />
Redaktionssitzung Seite 2<br />
Vorwort Seite 3<br />
BRAS e.V.<br />
Köksch un Qualm Seite 19<br />
<strong>Heimat</strong>geschichte<br />
Harald Steinmann<br />
Stammen drei Fresken<br />
aus einer Hand? … Seite 4-6<br />
Dr. Hans Christiansen<br />
Der Bremer Walfisch Seite 7<br />
Prof. Dr. Jürgen Teumer<br />
Überraschende Entdeckungen<br />
in Daverden Seite 8-9<br />
Wilhelm Berger<br />
Der Heidkamp Seite 10-12<br />
Dr. Hans Christiansen<br />
Haus Windeck in Grohn Seite 20-23<br />
Rudolf Matzner<br />
Wätjens Park Seite 24-26<br />
Harry Schumm<br />
Trigonometrische<br />
Messpunkte Seite 26<br />
Manfred Simmering<br />
Die Lübberstedter<br />
Mühle Seite 27<br />
Kultur<br />
Ausstellung im Kreisarchiv<br />
100 Jahre Ende des<br />
1. Weltkrieges Seite 13<br />
Dr. Harro Jenss<br />
Jürgen Teumer:<br />
Das Haus im Schluh Seite 15<br />
Dr. Hans Christiansen<br />
Die Landsknechte<br />
am Bremer Rathaus Seite 16-18<br />
Natur<br />
Maren Arndt<br />
Wollgraszeit im<br />
Teufelsmoor Seite 14<br />
Serie<br />
Peter Richter<br />
’n beten wat op Platt Seite 9<br />
Bauernregeln Seite 15<br />
Unvergessen Seite 18<br />
Redaktionsschluss für die nächste<br />
Ausgabe: 31. Mai 2019<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
der ungemütliche Winter ist nun endgültig<br />
vorbei, „Vom Eise befreit sind<br />
Strom und Bäche durch des Frühlings<br />
holden, belebenden Blick, im Tale grünet<br />
Hoffnungsglück;...“ heißt es bei<br />
Goethe – und so freuen wir uns auf den<br />
frischen grünen Schimmer, der auf den<br />
Bäumen den baldigen maigrünen Blätterwald<br />
ankündigt.<br />
Sie halten den „<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>“ etwas<br />
später als gewohnt in den Händen<br />
– und das möchte ich Ihnen gerne erklären.<br />
Unser Verlag bringt eine Reihe<br />
von Informationsbroschüren heraus,<br />
die eigentlich alle zum 1. eines Monats<br />
im Quartal erscheinen sollen. Leider<br />
sind unsere Kapazitäten dadurch ausgereizt,<br />
sodass wir beschlossen haben,<br />
die Erscheinungstermine etwas zu entzerren.<br />
Deshalb erscheint unser Magazin<br />
zukünftig erst nach der Mitte des<br />
ersten Monats eines Quartals – ich bitte<br />
Sie dafür um Verständnis. Dieses benötige<br />
ich auch, wenn ich Sie über eine<br />
notwendige Preiserhöhung informiere.<br />
Seit der Übernahme des <strong>Heimat</strong>rundblicks<br />
vom Verlag Simmering im Jahre<br />
2010 wurde der Umfang des Heftes<br />
erweitert und durchgehend farbig gedruckt.<br />
Druck- und Papierkosten sind<br />
gestiegen, die Post verlangt erheblich<br />
mehr für den Versand, alles dieses ist<br />
kalkulatorisch nicht mehr tragbar. Deshalb<br />
wird der Einzelpreis ab der nächsten<br />
Ausgabe auf 5,25 Euro erhöht.<br />
Ich hoffe auf Verständnis für die Mehrkosten<br />
pro Jahr von 3,– Euro – dafür bedanke<br />
ich mich.<br />
Im Heft finden Sie wieder eine Reihe<br />
von Artikeln, die von unseren rührigen<br />
Redakteurinnen und Redakteuren in<br />
ihrer Freizeit recherchiert und formuliert<br />
werden – für unsere gemeinsame<br />
Sache, der <strong>Heimat</strong>pflege. Unser Freund<br />
Helmut Strümpler verbringt viel Zeit<br />
damit, gewissenhaft die Artikel auf<br />
Fehler zu untersuchen – auch dafür sei<br />
herzlich gedankt, auch wenn er nach<br />
Erscheinen immer wieder feststellt, dass<br />
sich in nachträglich eingestellten Beiträgen<br />
noch Fehler eingeschlichen haben.<br />
Aber ich hoffe, dass die Leser gütig<br />
darüber hinwegsehen.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Spaß und eine<br />
kurzweilige Erweiterung Ihres Wissens<br />
über unsere <strong>Heimat</strong> in Bremen und<br />
Niedersachsen!<br />
Ihr Jürgen Langenbruch<br />
Impressum<br />
Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG<br />
(haftungsbeschränkt), Scheeren 12, 28865 Lilienthal,<br />
Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67,<br />
E-Mail info@heimat-rundblick.de,<br />
Geschäftsführer: Jürgen Langenbruch M.A.,<br />
HRB Amtsgericht Walsrode 202140.<br />
Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder<br />
wird keine Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten.<br />
Die veröffentlichten Beiträge werden von<br />
den Autoren selbst verantwortet und geben nicht<br />
unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Wir<br />
behalten uns das Recht vor, Beiträge und auch Anzeigen<br />
nicht zu veröffentlichen.<br />
Leserservice: Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67<br />
Korrektur: Helmut Strümpler<br />
Erscheinungsweise: vierteljährlich<br />
Bezugspreis: Einzelheft 5,25 € , Abonnement 21,– €<br />
jährlich frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag<br />
entgegen; bitte Abbuchungsermächtigung beifügen.<br />
Kündigung drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements<br />
möglich.<br />
Bankverbindungen:<br />
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Druck: Langenbruch Druck und Medien, Lilienthal<br />
Erfüllungsort: Lilienthal,<br />
Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck<br />
Der HEIMAT-RUNDBLICK ist erhältlich:<br />
Worpswede: Buchhandlung Netzel, Aktiv-Markt,<br />
Barkenhoff, Museumsanlage OHZ<br />
Unser Redaktionsteam:<br />
Maren Arndt, Wilhelm Berger, Dr. Jens Uwe<br />
Böttcher, Johann Brünjes, Dr. Hans Christiansen,<br />
Susanne Eilers, Wilko Jäger, Gabriele Jannowitz-<br />
Heumann, Rupprecht Knoop, Harald Kühn,<br />
Jürgen Langenbruch M.A., Siegfried Makedanz,<br />
Rolf Masemann, Rudolph Matzner, Herbert A.<br />
Peschel, Horst Plambeck, Daniela Platz, Johannes<br />
Rehder-Plümpe, Peter Richter, Anke Schoenhoff-<br />
Prikulis, Harry Schumm, Manfred Simmering,<br />
Harald Steinmann, Dr. Helmut Stelljes,<br />
Helmut Strümpler<br />
Unser Redakteur Wilhelm Berger hat eine<br />
Jahresübersicht für 2018 erstellt. Diese<br />
können Sie bei Interesse als PDF-Datei<br />
zum Ausdrucken bei uns anfordern.<br />
Titelbild:<br />
Gedächtnismonument<br />
für Chr. H. Wätjen<br />
(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
3
Stammen drei Fresken aus einer Hand? …<br />
Parallelen bei Wandmalereien in L, Lilienthal und Wildeshausen<br />
Klosterkirche Lilienthal<br />
Klosterkirche Wildeshausen<br />
Dommuseum Bremen<br />
Im Jahr 1997 erschien im „Oldenburger<br />
Jahrbuch“ ein Artikel von Frau Dr. Ingrid<br />
Weibezahn, der ehemaligen Leiterin des<br />
Bremer Dommuseums. Während ihrer Zeit<br />
im Museum muss sie immer wieder auf die<br />
Wandmalerei blicken, die im Jahr 1985 in<br />
einem Anbau entdeckt, der danach zum<br />
Dommuseum wurde. Sie baut eine Brücke<br />
in den ehemaligen Klosterort Lilienthal<br />
vor den Toren Bremens. Die in der Klosterkirche<br />
St. Marien in den Jahren 1974<br />
bis 1976 freigelegten Fresken weisen eine<br />
verblüffende Ähnlichkeit mit den im Jahre<br />
1985 entdeckten Wandmalereien aus dem<br />
Bremer Dom auf! Sie bemerkt noch eine<br />
weitere Auffälligkeit: In der Sakristei der<br />
Kirche St. Alexander in Wildeshausen sind<br />
ebenfalls Fresken freigelegt worden, deren<br />
Ähnlichkeit zu den beiden anderen ihr auffällig<br />
erscheint. Vom biblischen Inhalt, der<br />
Datierung und der Wiedergabe: Die Fresken<br />
könnten einer Werkstatt, nein, eher<br />
einer Hand entstammen! Der Zeitraum der<br />
Schöpfung dieser Kunstwerke bewegt sich<br />
um das Jahr 1400, darauf legt sich Frau Dr.<br />
Weibezahn fest.<br />
In Bremen begann um 1400 eine Blütezeit<br />
der Kunst: So spendete auch Herbord<br />
Schene zu dieser Zeit den ansehnlichen Betrag<br />
von 100 Mark für eine Grabplatte als<br />
Denkmal zu Ehren seiner Schwester Gertrudis,<br />
die als Äbtissin im Kloster Lilienthal von<br />
1351 bis 1379 gemeinsam mit ihren drei<br />
Schwestern lebte. 21 Jahre nach ihrem Tod<br />
muss es also einen Anlass gegeben haben,<br />
einen zweckgebundenen Betrag zu spenden:<br />
Er wusste, dass ein namhafter Bildhauer<br />
und Baumeister auf dem Weg nach<br />
Bremen war – wohl durch die enge Verbindung<br />
zu Johann Hemeling. Gemeinsam mit<br />
ihm und Gerd Rinesberch verfasste er die<br />
älteste Bremer Chronik.<br />
Genau zu diesem Zeitpunkt, im Jahr<br />
1400, beschäftigt sich Johann Hemeling,<br />
Ratsherr und späterer Bürgermeister und<br />
Dombaumeister, mit der Beschaffung eines<br />
Schreins zu Ehren der beiden Arztheiligen<br />
Cosmas und Damian für deren Reliquien,<br />
Schrein, ehemals im Bremer Dom<br />
Historische Darstellung des Bremer Rathauses<br />
4 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Grabplatte Äbtissin<br />
1404 Jahre ...“ – Der Roland wurde danach<br />
im Jahr 1405 geschaffen! Die letzten Zweifel<br />
an der Person des Bildhauers schwinden!<br />
Auch dieses Meisterwerk entstammt<br />
den Händen des Meister Johannes, der im<br />
Jahr 1405 mit der Vermessung der Größe<br />
des Rathauses begann. Der Schild wurde<br />
wohl von Westval geschaffen, der ja auch<br />
anschließend im Rathaus seine Schilde gemeinsam<br />
mit Hanse (Meister Johannes.) in<br />
Stroh einpackte.<br />
Die Fingerspitzen der Handschuhe des<br />
Rolands zeugen davon, welches Feingefühl<br />
der Bildhauer in dieses Werk investiert hat.<br />
Ein Stadtführer betrachtet nach Aufforderung<br />
durch die Bullaugen in der Balkonbrüstung<br />
des Rathauses die Konsolfiguren<br />
unter den Kurfürsten, die er vorher nicht<br />
kannte. Auf die Frage: „Wer guckt Dich<br />
an?“, einem Aufschrei gleich: „Roland!“<br />
Konsolfigur Äbtissin<br />
antwortet. – Den Stadtführern allgemein<br />
scheinen die Konsolfiguren unter den sieben<br />
(8) Kurfürsten nicht bekannt zu sein.<br />
– Erst nach der Herausgabe seines Buches<br />
„Das Rathaus in Bremen“ im Jahr 1994<br />
durch Rolf Gramatzki, Studiendirektor am<br />
Hermann-Böse-Gymnasium, waren die<br />
Konsolfiguren anhand einer Spendenliste<br />
entschlüsselt. Mit der Recherche dazu hat<br />
er im Jahr 1969 begonnen, 25 Jahre dauerte<br />
die Suche: Unter dem Markgrafen von<br />
Brandenburg wurde die Äbtissin Margareta<br />
(1386 bis 1418) des Klosters Lilienthal für<br />
eine Spende von 28 Gulden als Konsolfigur<br />
verewigt (außen rechts), eine weitere Brücke<br />
zum Lilienthaler Kloster.<br />
Die Kunstexperten sind sich durchgehend<br />
einig: Es handelt sich um böhmische<br />
Arbeit, böhmische Kunst! Daher musste<br />
man als Konsolfigur unter dem König von<br />
Handschuh der Rolandfigur auf dem Bremer<br />
Marktplatz<br />
was darauf schließen lässt, dass dies ebenfalls<br />
im Hinblick auf das Erscheinen des erwarteten<br />
Könners auf mehreren Gebieten<br />
geschah. Bei eingehender Betrachtung<br />
kann man in dem Schrein durchaus einen<br />
Entwurf, das Modell des geplanten Rathauses<br />
vermuten. Die gedankliche Brücke nach<br />
Roskilde, dem Sarkophag der dänischen<br />
Königin Margarethe I., folgt sofort! Die<br />
Aufteilung, die kleinen Figuren (Skulpturen)<br />
erinnern doch sehr an die Ausstattung<br />
des Bremer Rathauses. Der Abschluss der<br />
kleinen Säulen des Baldachins stimmt mit<br />
denen in Bremen in der Form und den abschließenden<br />
Knospen überein.<br />
Wenn Meister Johannes, dieser begnadete<br />
Künstler, in der Lage war, neben seiner<br />
Arbeit als Steinmetz und Baumeister auch<br />
die Anfertigung eines Schreins zu übernehmen,<br />
um den Bremer Ratmännern ihr<br />
neues Rathaus vorzustellen, dann war sein<br />
Können breit gefächert. Ob nun persönlich<br />
geschaffen oder nach seiner Vorstellung gefertigt,<br />
er muss ein ganz Großer unter den<br />
damaligen Handwerkern gewesen sein!<br />
„Do na ghodes bord weren ghan<br />
M.CCCC unde //// (1404) jar, let de rad<br />
to Bremen buwen Rolande van stene; de<br />
kostede hundert unde seventich bremere<br />
mark, de Clawes Zeelsleghere unde<br />
Jacob Olde deme rade rekenden.“ – Diesen<br />
Worten haben Historiker einer Notiz<br />
auf dem Umschlag des Rechnungsbuches<br />
entnommen, dass es sich um zwei Bremer<br />
Bildhauer handelt, die dem Rat der Stadt<br />
Bremen als Steinmetzen 170 Bremer Mark<br />
in Rechnung stellten. Diese beiden Ratmänner<br />
tauchen im Rechnungsbuch zum Bau<br />
des Bremer Rathauses namentlich nicht<br />
wieder auf, haben keinen handwerklichen<br />
Beitrag beim Bau des Rathauses geleistet,<br />
scheiden somit als Erbauer des Bremer Rolands<br />
aus! … Sie genossen das Vertrauen<br />
des Johann Hemeling, waren ausersehen,<br />
im Auftrag des Rates der Stadt einen begnadeten<br />
Bildhauer und Baumeister nach<br />
Bremen zu holen. Die 170 Mark beinhalteten<br />
Reisekosten und Anzahlung des Lohns<br />
für Planung und Ausführung der vereinbarten<br />
Arbeiten. – „… weren ghan ...“ =<br />
„Da nach Christi Geburt waren vergangen<br />
Schöne Madonna (jetzt Focke Museum)<br />
Schöne Madonna<br />
(Krumau, Tschechien [früher Böhmen])<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
5
Originalkopf Rolands im Fockemuseum<br />
Böhmen den Bildhauer Meister Johannes<br />
erkennen, verbunden durch eine Efeuranke<br />
mit seiner Ehefrau. Die schon erwähnte<br />
Ähnlichkeit mit dem Antlitz des Rolands<br />
ist ein weiterer Hinweis auf diese Theorie.<br />
– Unter ihm brachte Lüder von Bentheim<br />
während der Jahre von 1609 bis 1612<br />
(Umbau des Rathauses) eine Sandsteinverzierung<br />
ein, versehen mit einem Schriftzug.<br />
Rolf Gramatzki: „Fest steht, dass er kein<br />
Bremer Bildhauer ist.“ – Victor Curt Habicht,<br />
deutscher Kunsthistoriker, vermutet,<br />
dass ein Mitglied der Familie Parler in<br />
Meister Johannes zu suchen ist. Vater Peter<br />
Parler hat mit seinen Söhnen Wenzel und<br />
Johann der Bau- und Bildhauerkunst ein<br />
völlig neues Gesicht gegeben: Eines der<br />
Markenzeichen ihres Wirkens waren allein<br />
schon die Konsolfiguren! Die Begriffe „Weicher<br />
Stil“ und „Schöne Madonna“ in der<br />
Kunstgeschichte gehen auf diese drei Mitglieder<br />
der Familie Parler zurück!<br />
In mehreren Quellen wird Johann Hemeling<br />
als Fälscher bezeichnet: „Als Fälscher<br />
lässt sich Johann Hemeling ermitteln, …“<br />
(Autorität Freidank: … Ines Heiser, 2012);<br />
Kopf Johannes an der Bremer Rathausfassade<br />
„… ging der Bremer Dombaumeister Johann<br />
Hemeling daran, die Freiheit der<br />
Stadt Bremen“, „Urkundenfälschungen<br />
und entsprechende Interpolationen in die<br />
Stadtchronik …“ (Fälschungen im Mittelalter,<br />
1988) – Diese und weitere Beispiele<br />
zeigen an, welche Wege Johann Hemeling<br />
ging, um Bremen in der Hanse in einem<br />
besonderen Licht erscheinen zu lassen.<br />
Um 1400 intensivierten die norddeutschen<br />
Hansestädte ihre Handelsbeziehungen<br />
und erweiterten die Macht ihres Rates<br />
im Umkreis ihrer Städte … (Lieselotte Klink,<br />
Johann Hemeling, † 1428).<br />
„Item 8 sware schillinge unde 3 gr, do he<br />
den anderen breef sende tho hus, de synen<br />
wyve ward by Clawese.“<br />
Zum Vergleich: „Item Hermann dem lopere<br />
(dem Läufer) 10 grote 2 sware , do he<br />
Rodewolde den breef brachte tho Hannovere.“<br />
[1 Bremer Mark = 160 sware = 32<br />
grote]<br />
Der andere (zweite) Brief musste einen<br />
langen Weg zurücklegen. Nicht, wie angenommen,<br />
an Brede, seine Hausfrau in<br />
Bremen, war das Schreiben gerichtet. Seine<br />
Ehefrau in der Ferne sollte aus der Hand<br />
von Clawes (Zeelsleghere) den Brief persönlich<br />
empfangen, denn der wusste, wo<br />
er Meister Johannes und seinen Sohn Paul<br />
gemeinsam mit Jacob Olde abgeholt hatte.<br />
Um einen anderen Clawes kann es sich<br />
kaum handeln. – Für Johann Parler wird<br />
als Todesjahr ein Zeitraum zwischen 1405<br />
oder 1406 angegeben.<br />
„Item Hanse (Meister Johannes), Westvale<br />
unde zinen Knechte 10 gr myn 2 sware,<br />
dat se de schilde thozamende setten myt<br />
stro unde for dat stro.“ – Diese Notiz im<br />
Rechnungsbuch, sagt sie auch zusätzlich<br />
etwas aus? Westval musste ebenfalls ein<br />
ausgezeichneter Bildhauer sein, vermutlich<br />
handelte es sich um den Bruder Johann<br />
Parler.<br />
„Item Hanse ...“ Dieser Name für Meister<br />
Johannes wird zum Schluss des Rechnungsbuches<br />
benutzt. Ist das etwa der Hinweis<br />
darauf, dass dieser außergewöhnliche Bildhauer<br />
noch Jahrzehnte als Johannes Junge in<br />
der Hansestadt Lübeck, Roskilde, Vadstena,<br />
Stralsund nachgewiesen werden kann? …<br />
Es ist mehr als ein Verdacht, wir folgen der<br />
Spur in einem der nächsten Hefte.<br />
Mit der letzten Zahlung an Meister Johannes,<br />
zum Schluss nur noch Hanse genannt,<br />
ist dieser spurlos verschwunden.<br />
Wie auch Westval und sein Sohn Paul.<br />
Doch wie aus dem Nichts taucht in der<br />
Hansestadt Lübeck der Bildhauer Johannes<br />
Junge auf, im selben Stil schuf er dort und<br />
später unter diesem Namen in Roskilde<br />
(Dänemark), Kloster Vadstena (Schweden)<br />
und in Stralsund (Junge-Altar) im identischen<br />
Kunststil des Meisters Johannes seine<br />
Werke. In Schweden findet man eine ganze<br />
Reihe von Bildhauerarbeiten, die dem Stil<br />
der Arbeiten des Meisters Johannes nicht<br />
nur ähneln. Sie entstammen einer Werkstatt,<br />
eher einer Hand!<br />
Text und Fotos:<br />
Harald Steinmann<br />
6 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Der Bremer Walfisch<br />
– gestrandet 1669 an der Lesummündung<br />
Das Walbild in der Oberen Rathaushalle<br />
(Quelle: Internet)<br />
„Nachdem im Lesum-Strom von den<br />
einwohnenden Landleuten im Lesumer<br />
Bruch ein Geräusch im Wasserstrom,<br />
und folgendes ein großer Fisch, so den<br />
Schwanz herausgestreckt, befunden, hat<br />
ein Bauernknecht mit Hagel darauf Feuer<br />
gegeben, darüber der Fisch sich heftig<br />
geregt und bei abfallendem Wasser auf<br />
einen Sand, hinter Hemelings Erben Vorwerk,<br />
im Lesumerbruch gerathen, davon<br />
er zwar versucht sich abzuwälzen, ist aber<br />
von einem Bauer aus einem Feuerrohr mit<br />
vier Kugeln durchschossen, darauf er der<br />
Landsleute Bericht nach aus den Luftlöchern,<br />
so hoch als die in der Nähe am Ufer<br />
St. Magnus stehenden Bäume, das Wasser<br />
in die Luft gesprützt, darauf er gestorben“.<br />
So beschreibt E. Halenbeck in seinem<br />
Buch „50 Ausflüge in die Umgebung von<br />
Bremen“ aus dem Jahr 1893 ein Ereignis,<br />
welches am 8. Mai 1669 mit der Strandung<br />
eines Wals in der Lesummündung<br />
stattgefunden hatte.<br />
Der Wal, es war ein weibliches Tier, ist<br />
höchstwahrscheinlich auf Nahrungssuche<br />
Lachsen stromaufwärts gefolgt und<br />
wurde dabei von Jägern erschossen. Es<br />
ist erstaunlich, dass dieses Ereignis viel<br />
diplomatischen Staub aufgewirbelt hat,<br />
und zu großen Verwicklungen zwischen<br />
Bremen und Schweden führen sollte. Erstaunlich<br />
ist bei der ganzen Angelegenheit<br />
schon, dass sofort nach Bekanntwerden<br />
dieser Strandung in der Lesum, ein Bremer<br />
Künstler damit beauftragt wurde, ein<br />
Gemälde von dem Vorgang anzufertigen.<br />
Quasi als Ersatz für ein Foto, welches wir<br />
heute machen würden.<br />
Der Maler Franz Wulfhagen schuf noch<br />
im selben Jahr ein Ölgemälde, welches fast<br />
die exakte Länge des Tieres darstellt. Das<br />
Bild bekam eine Länge von 9,55 m, eine<br />
Höhe von 3,55 m und zeigte damit nahezu<br />
die natürlichen Proportionen des Wales,<br />
eines „Nördlicher Zwergwals“. Einzig<br />
unrealistisch ist die große Wasserfontäne,<br />
die das Tier ausstößt. Wichtig bei der Darstellung<br />
des Wals war die Angabe seiner<br />
Lage. Diese Lage wird dargestellt durch<br />
das Blau des Lesum-Wassers und dem<br />
dahinter liegenden sandigem, nördlichen<br />
Geesthang des Flusses. Das Tier liegt auf<br />
einer Sandbank am südlichen Flussufer,<br />
im Lesumbroker Bereich. Diese Lagedarstellung<br />
sollte zukünftig noch sehr wichtig<br />
werden.<br />
Schweden beanspruchte<br />
toten Wal<br />
Denn auch die Schweden hatten ein<br />
Augenmerk auf den Wal geworfen und<br />
beanspruchten das tote Tier, um daraus<br />
vor allem Tran zu machen. Wie kommen<br />
die Schweden nach Bremen und<br />
umzu? Das hatte mit dem 30-Jährigen<br />
Krieg zu tun. Die damalige europäische<br />
Großmacht Schweden hatte während<br />
der kriegerischen Auseinandersetzungen<br />
weite Teile Norddeutschlands besetzt,<br />
u. a. hatten sie auch die Oberhoheit in<br />
zwei Bremisch-Schwedischen Kriegen<br />
(1654 und 1666) über das Herzogtum<br />
Bremen-Verden gewonnen und damit gehörte<br />
ihnen u. a. das nördliche Lesumufer.<br />
Schwedische Truppen, geführt von dem<br />
schwedischen Gouverneur der Herzogtümer<br />
Bremen-Verden, dem Grafen Königsmarck,<br />
besetzen Burg an der Lesum, Vegesack<br />
und das Haus Blomendal. Vegesack<br />
und Neuenkirchen verbleiben zwar bei<br />
Bremen, müssen aber gemeinsam mit der<br />
Stadt Bremen die schwedische Landeshoheit<br />
anerkennen. Bremen lag mit den<br />
Schweden im Dauerzwist. Der tote Kadaver<br />
hatte einen enormen wirtschaftlichen<br />
Wert und insofern pochten die Schweden<br />
ebenfalls auf ihr Recht an der Verwertung<br />
des Tieres. Zum Knackpunkt wurde die<br />
Lage des Wals bei seiner Strandung, denn<br />
beide Seiten behaupteten, der Wal sei auf<br />
ihrer Seite des Flusses Lesum gestrandet.<br />
In Stade gab es 1669 sogar eine Verhandlung<br />
über diese Kontroverse, wozu<br />
extra der Bremer Rechtsgelehrte, Diplomat<br />
und Gesandte Johann Wachmann<br />
(der Jüngere) (1611-1685), ein Sohn des<br />
Bremer Bürgermeisters Hermann Wachmann<br />
(1579-1658), angereist war, um<br />
die Rechtmäßigkeit dieses Besitzes zu verteidigen.<br />
Adam Storck schreibt darüber in<br />
seinen „Ansichten der freien Hansestadt<br />
Bremen und ihrer Umgebung“ von 1822:<br />
„der Wallfisch hätte sich nach empfangenem<br />
ersten Schuß aus dem Gericht Leesum<br />
selbst nach bremischer Seite begeben<br />
und auf den Schlick geworfen, woselbst<br />
er a nostris gänzlich erschossen, occupirt<br />
und nach Bremen geliefert“.<br />
Die Lage des gestrandeten Wals wurde<br />
dementsprechend auf dem Ölgemälde mit<br />
der Südseite der Lesum angegeben, weil<br />
die gemalten Geesthänge der Lesum eindeutig<br />
die Nordseite des Flusses zeigen.<br />
Der Kadaver war ohnehin zwischenzeitlich<br />
von den Bremern zerlegt und zu wertvollem<br />
Tran gemacht worden. Das Skelett des<br />
Tieres wurde nach dem Reinigen wieder<br />
zusammengefügt und hing bis 1815 an<br />
der Decke der Oberen Rathaushalle. Danach<br />
wurde es abgenommen und durch<br />
Segelschiffe ersetzt.<br />
Im Zuge der Renovierung der Oberen<br />
Rathaushalle im Jahre 1965 kam das große<br />
Walbild ins Magazin des Überseemuseums.<br />
Über viele Jahre verblieb es dort und kam<br />
nach umfangreicher Restaurierung im Jahr<br />
2008 mit Befürwortung des Bürgermeisters<br />
Jens Böhrnsen wieder an seinen angestammten<br />
Platz an der Nordseite in der<br />
Oberen Rathaushalle.<br />
Man kann dem Walbild keinen großen<br />
künstlerischen Wert zuordnen. Es zeugt<br />
vor allem von historischem Wert und dem<br />
damit verbundenen Prestige, einem mächtigen<br />
Gegner zu damaligen und auch späteren<br />
Zeiten die Stirn geboten zu haben,<br />
auch wenn der Anlass, gemessen am Wert<br />
des Tieres, relativ klein gewesen ist. Bremer<br />
Lebensart und Bremer Historie werden<br />
durch das Walbild dokumentiert.<br />
Internet-Quellen:<br />
Wikipedia: Großes Walbild<br />
Wikipedia: Johann Wachmann der Jüngere<br />
Dr. Hans Christiansen<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
7
Überraschende Entdeckungen in Daverden<br />
Das ist das besonders Interessante an der<br />
<strong>Heimat</strong>forschung: Sie wartet immer wieder<br />
mit Überraschungen auf. Einige, die mir in<br />
letzter Zeit widerfuhren, haben mit Daverden<br />
zu tun. Daverden ist ein etwa 30 km<br />
südöstlich von Bremen gelegener Ort, der<br />
seit 1972 zum Flecken Langwedel im Landkreis<br />
Verden gehört. Meine bis vor etwa<br />
einem Jahr geltende einzige Assoziation zu<br />
diesem Ort und seiner Lage war, dass ich<br />
beim Vorüberfahren an der A27 zwischen<br />
Bremen und Walsrode den Namen der Autobahnausfahrt<br />
Langwedel gelesen hatte.<br />
Aber diese (Un-)Kenntnis sollte sich ändern.<br />
Der Auslöser dafür waren meine<br />
schon seit längerer Zeit durchgeführten<br />
Recherchen zu Leben und Werk des Malers<br />
Fritz Mackensen (1866-1953), vor allem<br />
zu seiner Familie und den verwandtschaftlichen<br />
Beziehungen. Bei meinen Arbeiten im<br />
Worpsweder Archiv (WA), nicht zuletzt beim<br />
recht mühsamen Entschlüsseln seines umfangreichen,<br />
überwiegend handschriftlich<br />
niedergelegten Briefverkehrs, war mir wiederholt<br />
der Ortsname Daverden begegnet.<br />
Interessante Briefe<br />
Begonnen hatte alles mit dem verklausulierten<br />
Hinweis in einem Brief, den Fritz<br />
Mackensen von seinem Schwager Dr. Alex<br />
Stahlschmidt (1882-?) im Jahre 1932 aus<br />
Berlin erhalten hatte. Darin berichtet ihm<br />
dieser davon, dass „Paul und Mipp“ (gemeint<br />
sind damit der jüngere Bruder, Dr.<br />
Paul Stahlschmidt, und dessen Ehefrau Maria)<br />
neuerdings zusammen mit der Mutter<br />
Ottilie in Daverden wohnen würden (vgl.<br />
WA; Brief vom 4. Juni 1932). Bei dieser Gelegenheit<br />
erinnerte ich mich an einen Brief<br />
von Otto Modersohn an Fritz Mackensen.<br />
Hartmut Reineke, Oldenburg, hatte mir<br />
freundlicherweise in Kopie eine Autographensammlung<br />
seines Vaters überlassen<br />
(vgl. Lit.Verz. unter Reineke). Darin ist ein<br />
Brief Modersohns vom 13. Mai 1928 enthalten,<br />
in dem dieser seinem Malerfreund<br />
in Worpswede mitteilt, dass er sich nach<br />
einem Grundstück bzw. Haus in Daverden<br />
umgesehen und bei dieser Gelegenheit<br />
dort auch „das entzückende Haus Deiner<br />
Schwiegermutter gesehen“ hätte. Für mich<br />
enthielt diese Mitteilung gleich zwei Neuigkeiten:<br />
Bislang ahnte ich nichts von diesen<br />
Bestrebungen Modersohns, sich anderswo<br />
niederzulassen. Ich hatte ihn vielmehr<br />
dauerhaft in Fischerhude verortet. Andererseits<br />
wusste ich nichts vom Wohnsitz der<br />
Schwiegermutter Mackensens, den ich<br />
eher in Bonn vermutete, und – wie schon<br />
angedeutet – mit der Örtlichkeit konnte ich<br />
auch nicht viel anfangen.<br />
Allerdings interessierten mich die familiären<br />
Beziehungsverhältnisse Mackensens<br />
insofern schon, weil ich im Rahmen meiner<br />
o. a. Recherchen im Archiv auch Informationen<br />
über Fritz Mackensens Ehefrau Hertha<br />
(1884-1949), geb. Stahlschmidt, und ihre<br />
Familie gesammelt hatte. Dabei war mir<br />
u. a. der erwähnte Paul Stahlschmidt (1887-<br />
1969), Jurist mit Examen an der Universität<br />
Heidelberg, begegnet. Ich wusste über ihn,<br />
dass er sich in Bonn als Privatbankier betätigt<br />
und dort das Bankhaus Stahlschmidt &<br />
Co. gegründet hatte. In den 1920er Jahren<br />
muss er wohl, wie viele andere in jener Zeit,<br />
in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten<br />
sein. Sie hatten ihn veranlasst, Bonn zu verlassen,<br />
das Bankhaus aufzugeben und sich<br />
beruflich neu zu orientieren. Sein bevorzugtes<br />
Ziel war, sich in Bremen umzuschauen.<br />
Hilfestellung erwartete er dabei sowohl<br />
von dem in Bremen ansässigen Schwager,<br />
Kommerzienrat Albert Mackensen, als auch<br />
von Fritz Mackensen in Worpswede. Beide<br />
hatten sich tatsächlich für ihn engagiert,<br />
u. a. bei Roselius nachgefragt, ob der<br />
Schwager im Unternehmen oder in einer<br />
Bank unterzubringen wäre.<br />
Die Stahlschmidt-Familie<br />
Das von der Stahlschmidt-Familie in Daverden bewohnte<br />
Haus<br />
Foto: Jürgen Teumer<br />
Zusätzliche Aufschlüsse in Bezug auf die<br />
Stahlschmidt-Familie in Daverden erhoffte<br />
ich mir durch Kontakte mit dem Verein für<br />
Kultur und Geschichte Daverden, auf den<br />
ich durch das Internet aufmerksam wurde.<br />
Meine Hoffnung trog nicht, lernte ich doch<br />
auf diese Weise u. a. Klaus Fricke kennen,<br />
einen engagierten und seinem <strong>Heimat</strong>ort<br />
Daverden sehr verbundenen <strong>Heimat</strong>forscher.<br />
Er hatte sich, wie sich herausstellte,<br />
schon vor einigen Jahren intensiver mit der<br />
Familie Stahlschmidt befasst und dabei u. a.<br />
herausgefunden, dass sie am Ortsrand eine<br />
recht repräsentative Villa besessen hätten.<br />
Das auf einem größeren Waldgrundstück<br />
gelegene Haus war in den 1920er Jahren<br />
von einem Bremer Kaufmann erbaut, und<br />
wie aus dem o. a. Brief Modersohns ersichtlich,<br />
wohl spätestens 1928 von Ottilie<br />
Stahlschmidt (1859-1946), der Schwiegermutter<br />
Mackensens, gekauft worden.<br />
Offenbar hatte diese in den ersten Jahren<br />
dort allein gelebt, bevor der Sohn mit der<br />
Schwiegertochter zugezogen waren.<br />
Ältere Mitbürger aus Daverden wussten<br />
sich, wie mir Klaus Fricke auch berichten<br />
konnte, noch daran zu erinnern, dass die<br />
Stahlschmidts im Ort kaum integriert gewesen<br />
seien, als sogenannte „feine Leute“<br />
galten, die sogar Bedienstete im Haus gehabt<br />
hätten. Zudem hätten sie eines der<br />
ersten Autos im Dorf besessen, und zwar<br />
ein größeres, mit dem Paul Stahlschmidt<br />
aus beruflichen Gründen von seiner Frau<br />
nach Bremen gefahren worden wäre. Dort<br />
war er schon seit 1929 mit einer Versicherungsagentur<br />
unter dem Namen Stahlschmidt<br />
& Probst angemeldet. Im Bremer<br />
Branchenverzeichnis firmierte sein Name<br />
meistens unter Versicherungen, auch als<br />
Versicherungs-Generalagent bzw. Grundstücks-<br />
und Hypothekenmakler.<br />
Aber weshalb war die Familie Stahlschmidt<br />
überhaupt in den Fokus von Klaus<br />
Fricke als <strong>Heimat</strong>forscher und Mitglied im<br />
Verein für Kultur und Geschichte Daverden<br />
geraten? Sicher nicht, um Gerüchten und<br />
Erinnerungen älterer Mitbürger über ehemalige<br />
Einwohner nachzugehen. Nein,<br />
ausgelöst worden war seine Recherche<br />
durch einen ganz anderen Sachverhalt,<br />
von dem ich bei meiner Anfrage überhaupt<br />
noch nichts geahnt hatte. Es war eine weitere,<br />
für mich eine besonders große Überraschung.<br />
Das Gemälde<br />
Klaus Fricke war nämlich um Mithilfe<br />
gebeten worden, die Geschichte eines<br />
besonderen Gemäldes, das seit Jahrzehnten<br />
in der Daverdener St. Sigismund-<br />
Kirche hängt, aufzuklären (vgl. Sommerfeld<br />
2011). Vorausgegangen war die Anfrage<br />
durch einen Buchautor, der über die Kirchen<br />
im Landkreis Verden schreiben wollte<br />
und den das Gemälde und seine Geschichte<br />
interessierten (vgl. Osmers 2015). Klaus<br />
Fricke konnte ihm helfen. Er fand heraus,<br />
dass das Gemälde, das in Daverden unter<br />
dem Titel „Der gute Hirte“ bekannt ist,<br />
von Fritz Mackensen geschaffen worden<br />
war. Wann das genau geschah, konnte er<br />
zwar nicht herausfinden, da das Gemälde<br />
in keinem Werkverzeichnis enthalten und<br />
auf ihm auch kein diesbezüglicher Hinweis<br />
vermerkt ist.<br />
Es spricht vieles dafür, dass das Werk um<br />
1900 oder wenige Jahre danach entstanden<br />
ist. Mackensen hatte zu dieser Zeit –<br />
wie ja auch Heinrich Vogeler beim „Wintermärchen“<br />
(1897); „Mariä Verkündigung“<br />
(1901) oder „Verkündigung“ (1902) – wiederholt<br />
biblische Szenen an den Weyerberg<br />
8 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Fritz Mackensen „Der gute Hirte“, Ölgemälde in der<br />
St. Sigismund-Kirche Daverden<br />
Foto: Klaus Fricke, Daverden<br />
und nach Worpswede verlegt. So hatte er<br />
sich bereits über Jahre, wie bei Hamm/Küster<br />
(1990) zu lesen ist, mit der biblischen<br />
Bergpredigt (Matth. 5-7) befasst, mehrere<br />
Studien erstellt und dabei Christus mit<br />
einer grauen Kutte bekleidet predigend an<br />
den Stamm einer mächtigen Eiche (die sogenannte<br />
„Mackensen-Eiche“ in Worpswede?)<br />
gestellt. Interessant ist, dass aus dem<br />
Jahre 1907 ein Ölgemälde auf Pappe mit<br />
den Ausmaßen 92 x 74 cm und dem Titel<br />
„Predigender Christus“ im Werkverzeichnis<br />
bei Hamm/Küster (S. 182) enthalten ist.<br />
Ob es sich beim „guten Hirten“ in Daverden<br />
gar um diese oder eine weitere ähnliche<br />
Studie handelt, deren Kompositionen<br />
allesamt schließlich im Jahre 1907 in die<br />
großformatige Endfassung (Maße: 285 x<br />
405 cm) des Gemäldes „Die Bergpredigt“<br />
einmündeten?<br />
Wenn auch die Entstehung des Gemäldes<br />
nicht ganz genau datiert werden kann,<br />
so konnte Klaus Fricke aber immerhin ermitteln,<br />
dass das Bild mindestens seit einer<br />
Kirchenrenovierung im Jahre 1955 seinen<br />
heutigen Platz bei der sogenannten Brauttür<br />
bekommen hatte. Vorher, so ist in einer<br />
Chronik zu lesen, die der frühere Daverdener<br />
Pastor Hermann Willenbrock 1959<br />
(s. Lit.Verz.) verfasst hatte, soll das Gemälde<br />
an der Orgelprieche gehangen haben.<br />
Die Kirche in Daverden<br />
Und der über mehrere Jahrzehnte in<br />
Daverden tätige Pastor Willenbrock wusste<br />
offenbar auch, weshalb das Ölgemälde<br />
überhaupt in die imposante rote Backsteinkirche,<br />
eine der ältesten Kirchen im<br />
Kirchenkreis Verden, gelangt war. In seiner<br />
Chronik heißt es nämlich, dass das Gemälde<br />
von der mit Mackensen verwandten<br />
Familie Stahlschmidt der Kirche bei ihrem<br />
Fortzug nach Bremen geschenkt worden<br />
St. Sigismund-Kirche Daverden, eine der ältesten<br />
Kirchen des Kirchenkreises Verden, mit Bauteilen<br />
aus dem 12. Jh. Foto: Theda Henken, Daverden<br />
wäre (vgl. Willenbrock 1959, Seite 25).<br />
Aus meinen Arbeiten weiß ich, dass die<br />
Familie Stahlschmidt seit dem 30. September<br />
1939 im Einwohnerverzeichnis in Bremen,<br />
und zwar als Mieter in der Hollerallee<br />
16 vermerkt ist (vgl. Einwohner-Meldekarte,<br />
Staatsarchiv Bremen). Es handelt sich<br />
bei diesem Wohnsitz um eine, gemessen<br />
an Daverden, vergleichsweise bescheidenere<br />
Adresse. Es spricht deshalb einiges<br />
dafür, dass der Fortzug aus Daverden möglicherweise<br />
nicht aus freien Stücken erfolgte,<br />
sondern neben dem aufziehenden Krieg<br />
mit erneuten wirtschaftlichen Problemen<br />
zu tun hatte.<br />
Verstärkt wird diese Vermutung auch<br />
durch Erinnerungen älterer Mitbürger in<br />
Daverden, die Klaus Fricke in Erfahrung<br />
bringen konnte. Danach hätten die Stahlschmidts<br />
das Haus angeblich „für einen<br />
Appel und ein Ei“ verkauft – nach meinen<br />
Recherchen übrigens für 20.000 Mark (vgl.<br />
WA; Brief vom 5. Oktober 1939), ein Betrag,<br />
der jener Erinnerung nicht zuwiderläuft.<br />
In dieses Bild passt auch, dass sich ein<br />
älterer Mitbürger heute noch an wertvollen<br />
geschliffenen Kristallgläsern erfreuen kann,<br />
die seine Eltern damals günstig den Stahlschmidts<br />
abgekauft hätten. Es gibt noch<br />
mancherlei Hinweise in diese Richtung,<br />
die auch durch meine Recherchen gedeckt<br />
werden. Auf diesem Hintergrund mag es<br />
vielleicht fragwürdig erscheinen, dass die<br />
Familie trotzdem der Kirchengemeinde ein<br />
derart großzügiges Geschenk zukommen<br />
ließ. Dennoch wird es wohl so gewesen<br />
sein, zumal die einschlägigen Informationen<br />
unmittelbar vom Zeitzeugen Pastor<br />
Willenbrock stammen.<br />
Ein Besuch lohnt sich<br />
Wenn auch das eine oder andere in diesem<br />
Beitrag ungeklärt geblieben ist, so ist<br />
es dennoch ratsam, bei einer der nächsten<br />
Autofahrten auf der A27 die Ausfahrt<br />
Langwedel für einen Besuch in Daverden<br />
zu nutzen. Der Abstecher lohnt sich in<br />
mehrfacher Hinsicht: Im Kirchenraum der<br />
St. Sigismund-Kirche sind neben dem Gemälde<br />
Mackensens eine reich geschmückte<br />
Kanzel, ein prächtiger Altar sowie eine<br />
schöne Orgel zu bestaunen, allesamt aus<br />
der Mitte des 17. Jahrhunderts. Zudem<br />
ziert ein vergoldeter Radleuchter das ausladende<br />
Sterngewölbe in der Vierung.<br />
Und auch außerhalb der Kirche mit ihrem<br />
mächtigen Turm sind die mehr als hundert<br />
historischen Grabsteine auf der Rasenfläche<br />
des alten Friedhofs sowie das vom rührigen<br />
Verein für Kultur und Geschichte Daverden<br />
jüngst mit großem Engagement renovierte<br />
Küsterhaus beachtenswert. Nicht zuletzt<br />
aber bleibt der Blick vom Rand des Geestrückens<br />
mit seinem Steilabfall über die weite<br />
Aller- und Wesermarsch allemal im Gedächtnis<br />
haften.<br />
Prof. Dr. Jürgen Teumer<br />
Hinweise zu den Quellen:<br />
– Hamm, Ulrike und Küster, Bernd: Fritz<br />
Mackensen 1866-1953. Lilienthal 1990.<br />
– Osmers, Jan: Die Kirchen im Landkreis Verden.<br />
Ein Reiseführer. Bremen 2015.<br />
– Reineke, Hartmut: Autographensammlung<br />
von Dr. Hugo Reineke (Kopien beim Verfasser;<br />
Originale in der Kunsthalle Bremen).<br />
– Sommerfeld, Inka: Rätsel um das Bild „Der<br />
gute Hirte“. In: Achimer Kurier vom 21.<br />
Oktober 2011.<br />
– Staatsarchiv Bremen: Einwohner-Melde-<br />
Karte Stahlschmidt.<br />
– Willenbrock, Hermann: Die Gemeinden im<br />
Kirchspiel Daverden. Langwedel 1959.<br />
– Worpsweder Archiv (WA) im Barkenhoff:<br />
Aktenbestand zu Fritz Mackensen.<br />
‘n beten wat<br />
op Platt<br />
Redensarten unserer<br />
engeren <strong>Heimat</strong><br />
Mannigeen söökt Arbeit un dankt<br />
Gott, wenn he keen finn’ deit.<br />
Wat’n Swientrog weern schall, dor<br />
ward sien Levdag keen Vigelin ut.<br />
Dat Geld kummt hinkend in’t Hus un<br />
löppt danzend wedder rut.<br />
Wokeen ’n annern jogen will, mutt<br />
sülbens mitlopen.<br />
Wenn ole Bööm ümplant weert, denn<br />
goht se ut.<br />
Hau den Boom nich um, de di Schatten<br />
gifft.<br />
De Dood hett keenen Kalenner.<br />
(aus H. Lemmermann, „Jan Torf“)<br />
Peter Richter<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
9
Der Heidkamp<br />
– ein Schiffer-Anbau nahe der Ziegelei (I)<br />
Nach der Realisierung von Neubaugebieten<br />
im Bereich Rübekamp und Kurzer<br />
Kamp durch den Amtmann Conrad Friedrich<br />
Meiners auf der Grundlage von Plänen,<br />
die Jürgen Christian Findorff gezeichnet<br />
hat, war der Flecken Osterholz 1760 um<br />
25 Siedlerstellen angewachsen. 1) Offenbar<br />
genügte dies dem ehrgeizigen Amtmann<br />
nicht, sodass er ein neues Projekt in Angriff<br />
genommen hat, ab 1764 als Oberamtmann.<br />
Angelegt werden sollte ein Hafen für<br />
eine bessere Schiffsanbindung. 2) Im Zusammenhang<br />
damit wurde eine Ansiedlung<br />
geplant, um damit Schiffern, die mit ihren<br />
Schiffen den Hafen ansteuern und ihn als<br />
winterlichen Liegeplatz nutzen sollten, die<br />
Möglichkeit zu geben, einen dauerhaften<br />
und nahe gelegenen Wohnplatz zu erwerben<br />
und zu bebauen.<br />
Ein geeigneter Platz war schnell gefunden;<br />
ein von der Regierung ins Spiel gebrachter<br />
Standort nahe der Einmündung<br />
der Beeck in die Hamme konnte aufgrund<br />
regelmäßiger Überschwemmungen schnell<br />
verworfen werden.<br />
Gelegen am Rand der Hamme-Niederung,<br />
bildete der Heidkamp ein hochwassersicheres<br />
Geest-Plateau, das bei Überflutungen<br />
der Niederung als Zuflucht für<br />
das Weidevieh aufgesucht wurde. Genutzt<br />
wurde es als Ackerland; als herrschaftliches<br />
Pertinens war dieses verpachtet. Die Größe<br />
der Fläche ist für das Jahr 1756 mit rund<br />
15 ¼ Morgen angegeben 3) ; besiedelt war<br />
sie bisher nicht. Jedoch in ihrer Größe beschnitten,<br />
weil bereits zu klösterlicher Zeit<br />
der Scharmbecker Bach zum Kloster hin<br />
umgeleitet und dazu ein Durchstich durch<br />
den Heidkamp vorgenommen worden<br />
war. Im unmittelbaren Anschluss daran<br />
befand sich ein Mühlenteich, der die anliegende<br />
Walkmühle verlässlich mit Wasser<br />
versorgte.<br />
Auf der anderen Seite, südlich des Heidkamps,<br />
erstreckte sich das umfangreiche<br />
Gelände der Ziegelei, die über eine Kanalverbindung<br />
Anschluss an die Hamme besaß.<br />
Ein begleitender Weg, der Scharmbecker<br />
Damm, trennte die Ziegelei vom<br />
Heidkamp; lediglich das Haus des Schleusenwärters<br />
– auch als Wohnung des Ziegelei-Verwalters<br />
4) bezeichnet – befand sich auf<br />
der Heidkamp-Seite.<br />
Erste Pläne Ende 1763<br />
Erste konkrete Planungen liegen vor aus<br />
dem Dezember 1763, basierend auf den<br />
Überlegungen, nahe der Ziegelei einen Hafen<br />
anzulegen. Demnach sollte der Heidkamp,<br />
ein herrschaftliches Stück Saathland,<br />
mit 30 neuen Siedlerstellen besetzt werden<br />
und jede Stelle 57 Quadratruten Land 5)<br />
(knapp ½ Morgen, etwa 1.200 m 2) umfassen,<br />
nur etwa halb so viel wie beim Anbau<br />
1760. Also außer der Hausstelle nur noch<br />
Gartenland zur Selbstversorgung. Insgesamt<br />
wären dies 14 ¼ Morgen; ein Morgen<br />
für Wege u. ä. scheint angemessen.<br />
Meiners hatte bereits sechs Interessenten<br />
(fünf Schiffer und einen Schiffszimmermann)<br />
und war optimistisch, das gesamte<br />
Areal innerhalb von zwei Jahren besiedeln<br />
zu können, wenn denn seitens der Regierung<br />
12 Freijahre, etwas Eichenholz zum<br />
Bau und auch Geld gewährt würden. Dafür<br />
könnten, so rechnete er der Cammer in<br />
Hannover vor, bei 30 Feuerstellen an Zinß<br />
jährlich 70 Reichsthaler eingenommen<br />
werden. Deutlich mehr als die bisher gezahlten<br />
16 Rthl. Denn zusätzlich sei noch<br />
mit Hafen- und Schleusengeldern (insgesamt<br />
etwa 160 Rthl.) zu rechnen.<br />
Der König bezieht Stellung<br />
Der Heidkamp im Jahr 1756. Ausschnitt aus der Karte des Fleckens Osterholz (NLA Stade, Karten Neu Nr.<br />
12929)<br />
Die Ideen sind Ende 1763 bis nach St.<br />
James in London gelangt, von wo aus<br />
Georg III. am 17. Januar 1764 an die Rente-<br />
Cammer zu Hannover Stellung bezogen<br />
hat. 6) Er zeigt sich über Entwicklungen in<br />
seinem Kurfürstentum informiert und ist<br />
bereit, diese wirtschaftlichen Prozesse zu<br />
fördern, die in der hiesigen Region durch<br />
die Moorkultivierung eingeleitet worden<br />
sind.<br />
Es geht um die Anregung, „die neu aufgenommene<br />
Cultur im Bremischen mit<br />
dem gemeinen Landes Gewerbe in Verbindung<br />
zu bringen“, zumal der Handel mit<br />
Torf nach Bremen hin Schätzungen zufolge<br />
rund 38.000 Rthl. umfasse. Einige Einnahmen<br />
hätte das Amt bereits hiervon, könnte<br />
mit eigenen Fahrzeugen jedoch noch mehr<br />
abschöpfen. Begünstigt dadurch, dass „seit<br />
den letzteren Jahren sich eine Schiffer Gesellschaft<br />
sogenannter Työlckenfahrer aus<br />
Ostfriesland zu Osterholtz eingefunden,<br />
welche an jenem Torf- und übrigen Gewerbe<br />
mit Antheil nehmen, und unter dem<br />
bezeigenden Gefallen an der Lage des Orts<br />
und der Hamme Gegend eine Neigung zu<br />
erkennen gegeben, sich darin anzubauen<br />
und mit ihren Familien häuslich niederzulaßen“.<br />
Solche Zuwanderer wolle er unter-<br />
10 RUNDBLICK Frühjahr 2019
vermessenen Plan erstellen, der zu den Akten<br />
eingereicht werde.<br />
Verhandlungen mit den<br />
Siedlungswilligen<br />
Von Findorff erstellte Pläne für Hafen (A), Kanal (B) und Heidkamp (E). (NLA Stade, Karten Neu Nr. 12930)<br />
stützen, wenn sie aus eigenen Kräften ein<br />
Wohnhaus bauen. Dann sollen ihnen „eine<br />
10- oder 12-jährige Erlassung der sonst gewöhnlichen<br />
Dominial-Abgiften“ gewährt<br />
werden; kommen sie gar mit einem eigenen<br />
Schiff im Wert von wenigstens 1.000<br />
Reichsthalern, so wolle der König „die vorgeschlagene<br />
Gratification von 100 Rthl. allemahl<br />
gerne ertheilen.“<br />
Schiffer und Handwerker<br />
melden Interesse an<br />
Doch Hannover hatte Zweifel und verlangte<br />
Belege dafür, dass wirklich die veranschlagte<br />
Zahl von Siedlern erreicht<br />
werden könnte. 7) Im Oktober 1764 hat<br />
Meiners daraufhin eine Namensliste überreicht,<br />
die zudem noch die Herkunft und<br />
die im Besitz befindlichen Schiffe auflistete.<br />
Insgesamt umfasst diese Auflistung 22 Namen.<br />
Bei vier Namen wird Bremen als Herkunft<br />
genannt, bei acht Bewerbern sind es<br />
verschiedene Orte in Holland. An vorhandenen<br />
Schiffen, die mitgebracht werden<br />
und einen Liegeplatz erhalten sollen, sind<br />
notiert: vier Eichen oder Böcke, 15 Tyalcke<br />
und zwei Kähne.<br />
Meiners erwähnt, dass neben Schiffern<br />
auch Handwerker unter den Bewerbern<br />
seien, nämlich zwei Schiffszimmerleute,<br />
ein Schmied, ein Hufmacher, ein Kupferschmied<br />
und ein Strumpfweber. Bei Fremden<br />
wie bei Osterholzern bestünde großes<br />
Interesse, wie „überhaubt zwantzig an<br />
der Zahl fast täglich auf Ausweisung der<br />
Bau-Plätze anfragen“, sodass Meiners vom<br />
Erfolg seines Projekts überzeugt sein konnte.<br />
Diesem Planungsstadium trägt die von<br />
Findorff erstellte Karte Rechnung, in der es<br />
zu E heißt: „ein Stück Saatfeld, der Heidcamp<br />
genannt, welches zu 30 Plätze für so<br />
viel Anbauere welche die Schifffahrt exerciren,<br />
abgetheilet ist, und bekömt einjeder<br />
darauf 57 qRuten“<br />
Ende 1764 erfolgte eine Modifizierung.<br />
Das Saatland von Hinrich Papen (vier Morgen<br />
51 qRuthen) sollte hinzugenommen<br />
und die Zahl der Plätze auf 24 reduziert<br />
werden. Das hieße, dass jeder mehr benötigtes<br />
Gartenland bekäme, aber auch höhere<br />
Abgaben zahlen müsste. Ferner wird<br />
ein Brückenbau für erforderlich gehalten,<br />
um die „Communication mit hiesigem Flecken“,<br />
also mit Osterholz, zu ermöglichen;<br />
dies war u. a. für den Kirchenbesuch erforderlich.<br />
Denn gleichzeitig liefen ja Planungen,<br />
die Kapazität der St.-Marienkirche der<br />
wachsenden Einwohnerzahl anzupassen. 8)<br />
Doch Hannover zeigte sich noch nicht zufrieden.<br />
Das wird jedenfalls aus einem Brief<br />
vom 16. Januar 1765 deutlich, der an den<br />
Oberamtmann Conrad Friedrich Meiners<br />
sowie den Amtschreiber Melchior Siegfried<br />
Hoffmeister gerichtet ist. Die veranschlagten<br />
Abgaben (3 Rthl. 6 gr.) seien zu niedrig,<br />
„in Ansehung der so vortheilhaften Lage<br />
dieses Anbaues“ mindestens 5 Rthl. angemessen.<br />
Auch wolle die Cammer nicht die<br />
gesamten Kosten für die Kirchen-Stände<br />
und Begräbnis-Plätze übernehmen; hieran<br />
sollen sich die Anbauern beteiligen. Und<br />
der Amts-Voigt Findorff möge doch einen<br />
Daraufhin wurden die potenziellen Anbauern<br />
zum 31. Januar 1765 auf das Amt<br />
Osterholz vorgeladen, um die Angelegenheit<br />
zu erörtern. Dabei brachten die sechs<br />
erschienenen Vertreter das Anliegen vor,<br />
größere Plätze zugewiesen zu bekommen,<br />
was als unnötig zurückgewiesen wurde.<br />
Letztlich kam aber ein Kompromiss zustande,<br />
der Hannover übermittelt wurde.<br />
Demnach sollten 10 oder 12 Freijahre gewährt<br />
werden, dazu „Contributions- und<br />
Einquartierungsfreyheit. Wer ein seetüchtiges<br />
Schiff mitbrächte, sollte zudem 100<br />
Rthl. als Geschenk bekommen, um jenes<br />
instand zu setzen. Dafür erklärten die Vertreter<br />
sich bereit, jährlich 4 Rthl. 36 gr. zu<br />
entrichten. Hannover müsste dem jedoch<br />
noch zustimmen.<br />
Die Antwort erfolgte am 7. März 1765.<br />
Zum einen wird Verständnis geäußert für<br />
den Wunsch nach größeren Anbaustellen –<br />
was mit höheren Einnahmen für die Staatskasse<br />
verbunden wäre. Zum anderen wird<br />
angeregt, die Siedlung in einer Reihe auszuführen,<br />
da sonst die Siedler der zweiten<br />
Reihe keine Aussicht auf den Hafen hätten.<br />
Dies wurde den Siedlungswilligen am 22.<br />
März 1765 auf dem Osterholzer Amt vorgestellt.<br />
Die Aussicht, bis 72 qRuten Land<br />
zu bekommen, wurde dankbar zur Kenntnis<br />
genommen; dagegen stieß der Vorschlag<br />
mit einer Siedlungsreihe auf Ablehnung,<br />
weil die Grundstücke dann sehr lang<br />
und schmal würden. An Abgaben seien für<br />
die größeren Flächen 5 ½ Rthl. möglich.<br />
Man wolle, dass die vorgesehenen Plätze<br />
für 34 Feuerstellen in zwei Linien zu je 17<br />
Plätzen von 72 qRuten Größe nach dem<br />
neu gezeichneten Plan von Findorff nun<br />
alsbald nach dem Lose verteilt würden. 9)<br />
Dies konnte dann bereits am Nachmittag<br />
in einem Ortstermin auf dem Heidkamp<br />
geschehen, während dem 13 Bauplätze der<br />
ersten Baulinie ausgelost wurden.<br />
Dies ließ sich alles gut an, sodass Meiners<br />
die versprochenen Zuschüsse beantragen<br />
konnte, da „die im Protocollo nahmhafft<br />
gemachten 13 Schiffere allesamt die intention<br />
haben noch im bevorstehenden Sommer<br />
ihre Gebäude massiv aufzuführen, und<br />
daher bereits umb Auszahlung derjenigen<br />
100 Rthl. angesuchet haben, wozu als eine<br />
Beyhülffe zum Bau, ihnen Hoffnung gemachet<br />
worden.“<br />
Drei Bewerber hatten im Frühjahr 1765<br />
bereits ihre Bau-Materialien größtenteils<br />
angeschafft; dies hat Meiners dazu veranlasst,<br />
ihnen „auf deren inständiges Ansuchen<br />
… 25 Rthl. in Abschlag des zu hoffen<br />
habenden Geschencks der Einhundert<br />
Reichsthaler, gegen Quitung“ auszuzahlen<br />
– wie es scheint, aus eigenen Mitteln.<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
11
Plan des in der Nähe des Fleckens Osterholtz bey der Herrschaftlichen Ziegeley angelegten Schiffer-Anbaues…<br />
(NLA Stade, Karten Neu Nr. 03266)<br />
Dramatische Ereignisse<br />
machen die Pläne zunichte<br />
Bis hierher (13. Mai 1765) wurden die<br />
Planungen konstruktiv vorangebracht; die<br />
aus Hannover vorgebrachten Einwendungen<br />
darf man als normal bezeichnen. Der<br />
bis dahin erfolgte Schriftverkehr ist nahezu<br />
lückenlos. Jetzt aber fehlt ein ganzes Jahr;<br />
erst vom 14. Mai 1766 liegt wieder ein<br />
Brief vor. 10) In diesem wird die Verpachtung<br />
nicht ausgewiesener Bau-Stellen an einen<br />
ansässigen Landwirt genehmigt. Ein Hinweis,<br />
dass es mit der Besiedlung nicht wie<br />
geplant vorangegangen ist. In der Tat sind<br />
in der Karte von du Plat von 1766 nur sechs<br />
bebaute Grundstücke verzeichnet. 11)<br />
Gleichzeitig weist er in der Karte mit<br />
einem Textkasten auf die Vorzüge der geplanten<br />
und begonnenen Siedlung hin,<br />
was als ein Versuch gesehen werden kann,<br />
die Bemühungen von Meiners und nun<br />
Bacmeister zu unterstützen.<br />
Allerdings erfährt man jetzt von Unstimmigkeiten<br />
und einer Auseinandersetzung<br />
zwischen einem Schiffer und dem Amt<br />
mit gegensätzlichen Aussagen zu einem<br />
Schiffsverkauf.<br />
A. der Schiffer-Anbau (ebd.)<br />
Letztlich wird in einem von Bacmeister<br />
unterzeichneten Bericht vom 30. Dezember<br />
1766 ausführlich Hannover gegenüber<br />
dargelegt, worin die Gründe zu suchen<br />
seien, warum der Anbau nicht wie erhofft<br />
vorangekommen ist. Dies wird unter den<br />
Punkten a) bis d) geschildert.<br />
Zu a): Es ist „eine begründete Wahrheit,<br />
dass die Bremische so genannte Moorfahrer<br />
Societaet sich alle erdenkliche Mühe<br />
giebet den Torff Handel für sich allein zu<br />
behalten“. Alle anderen sollen dementsprechend<br />
ausgeschlossen werden. Und dazu<br />
sei den Eichenfahrern jedes Mittel recht.<br />
So hätten sie in den letzten Jahren den Torf<br />
zu überhöhten Preisen angekauft und den<br />
Torfbauern Vorschuss gezahlt, nur um diese<br />
von sich abhängig zu machen und keinen<br />
Verkauf an andere zustande kommen zu<br />
lassen. Dem könnten die hiesigen Schiffer<br />
mit ihrem nur geringen Vermögen nichts<br />
entgegensetzen.<br />
Zu b): Mit der Behauptung, sie dürften<br />
nur die hiesigen Moorgewässer befahren,<br />
werden die Osterholzer Schiffer daran gehindert,<br />
Richtung Bremen zu fahren.<br />
Zu c): Drei namentlich genannte Schiffer,<br />
die sich ansiedeln wollten, seien von<br />
der Bremischen Schiffer-Gilde abgeworben<br />
und als deren Mitglieder aufgenommen<br />
worden.<br />
Zu d): Vier namentlich<br />
genannte<br />
Schiffer hätten einen<br />
Fracht-Auftrag bekommen<br />
und sollten<br />
Verpflegung für die<br />
Armee transportieren.<br />
Ihr Auftraggeber,<br />
der Commissar<br />
Teuto zu Nienburg 12) ,<br />
sei jedoch nicht in<br />
der Lage gewesen,<br />
für diesen Auftrag<br />
zu haften, sodass<br />
die Schiffer mit ihrer<br />
Ladung für längere<br />
Zeit oberhalb von Bremen in der Gegend<br />
von Achim liegen bleiben mussten. Bei Eisgang<br />
seien die Schiffe dann total zerstört<br />
worden, sodass man die Schiffer „in so bettelarmen<br />
Zustand versetzet fand, daß ihr<br />
Vorhaben, sich allhier niederzulaßen gäntzlich<br />
vereitelt worden“ war. In einem Bericht<br />
an die Cammer vom 23. November 1768<br />
erwähnt Meiners dieses Ereignis nochmals<br />
eindringlich. Die Schiffer „kahmen in ao.<br />
1762 kurtz vor erfolgten Frieden mit Fourage<br />
der alliirten armée destiniret für rechnung<br />
des Commissarii Teuto aus Süd-Holland<br />
auf der weeser in der gegend Achim<br />
an, mußten aber daselbst mit ihrer Ladung<br />
auf ordre des gedachten Teuto, über Jahr<br />
und Tag liegen bleiben, darüber sie dann<br />
ihre fahrzeuge verlohren, als welche mit<br />
voller Ladung im Sturm zu grunde gingen.“<br />
Die so hoffnungsvoll begonnene Planung<br />
für ein neues Dorf am Rande von<br />
Osterholz mit der Aussicht auf einen weiteren<br />
wirtschaftlichen Aufschwung hatte<br />
zunächst also einmal erhebliche Rückschläge<br />
zu verkraften. Unglücksfälle kann man<br />
sicher nicht vollständig vermeiden, aber<br />
die Bremer Eichenschiffer ließen nicht so<br />
ohne weiteres von ihrer Monopolstellung<br />
ab und besaßen die wirtschaftliche Stärke,<br />
sich gegen die unerwünschte Konkurrenz<br />
erfolgreich zu wehren.<br />
Wilhelm Berger<br />
Anmerkungen:<br />
1) Wilhelm Berger, Die Erweiterung des Fleckens<br />
Osterholz 1760; in: HRB Nr. 4/2017, S. 8, 9<br />
2) Die Hafen-Thematik wird zu einem späteren<br />
Zeitpunkt separat dargelegt. Eine grundlegende<br />
Darstellung ist bereits 1927 erschienen. Hermann<br />
Fitschen, Der Bau des Hafens und des Hafenkanals<br />
zu Osterholz in den Jahren 1765/66;<br />
in: <strong>Heimat</strong>bote Nr. 21/1927, S. 82 – 84.<br />
3) NLA Stade, Karten Neu Nr. 12929, Tabelle<br />
4) NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061, Tab. VII<br />
bzw. VI<br />
5) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz, Nr. 1334. Dieser<br />
umfangreichen Akte sind auch die folgenden<br />
Informationen und Zitate entnommen –<br />
sofern nicht anderweitig gekennzeichnet.<br />
6) NLA Stade, Rep. 96 Blumenthal Nr. 405. Die<br />
ebenfalls sehr umfangreiche Akte beinhaltet<br />
den Bau des Hafens und Hafen-Kanals.<br />
7) Die Briefe aus Hannover sind unterzeichnet<br />
vom Cammer-Praesidenten Gerlach Adolph<br />
Freiherr von Münchhausen (1688 – 1770),<br />
zuständig für die Finanzen des Kurfürstentums.<br />
Ab 1765 war er Premierminister.<br />
8) Vgl. Wilhelm Berger, Die Klosterkirche St. Marien<br />
in Osterholz…; in: HRB 2/2018, S. 21 – 24<br />
9) Der laut dem Bericht an Hannover eingesandte<br />
überarbeitete, detailliert vermessene Plan<br />
von Findorff ist evtl. verschollen, liegt jedenfalls<br />
nicht vor. In einem späteren Schreiben ist von<br />
32 Feuerstellen die Rede, dann wieder von 34.<br />
10) Amtschreiber in Osterholz war nun Christoph<br />
Philip Bacmeister.<br />
11) Georg Josua du Plat (1722 – 1795), Kartograph<br />
und ab 1763 Chef des kurhannoverschen<br />
Ingenieurkorps. Als solcher hatte er seit<br />
1764 die Leitung der Kurhannoverschen Landesaufnahme<br />
inne.<br />
12) Fitschen (a. a. O., S. 84) spricht vom Konkurs<br />
einer Nienburger Firma. Das geben die Briefe<br />
nicht her. Es geht um Kriegslieferungen kurz<br />
vor Friedensschluss. Damit kann nur das Ende<br />
des Siebenjährigen Krieges 1763 gemeint sein.<br />
12 RUNDBLICK Frühjahr 2019
100 Jahre Ende des 1. Weltkrieges<br />
Aus der Ausstellung im Kreisarchiv Osterholz<br />
Der 1. Weltkrieg dauerte vier Jahre. Er<br />
gilt als der erste „moderne“ Krieg, ein sogenannter<br />
industrieller Massenkrieg. Zum<br />
Einsatz kamen neu entwickelte Waffen, wie<br />
Maschinengewehre und Giftgas. Wurden<br />
Kriege bisher als Bewegungskriege geführt,<br />
wurde im 1. Weltkrieg zunehmend<br />
aus Stellungen heraus gekämpft. Diese<br />
Stellungen waren weder baulich noch hygienisch<br />
für die Soldaten erträglich. In den<br />
vier Jahren wurden etwa zehn Millionen<br />
Soldaten getötet und ca. 20 Millionen verwundet.<br />
Die Anzahl der zivilen Opfer wird<br />
auf 7 Millionen geschätzt.<br />
Das „Märchen vom lieben<br />
Gott“ oder „Der Brief an<br />
den Kaiser“<br />
20. Januar 1918 Auszug:<br />
„Die Götzen aber führten das Volk immer<br />
tiefer ins Elend und erweckten weiter<br />
Hass, Bitternis, Zerstörung und Tod und wie<br />
sie nichts mehr hatten außer blechernen<br />
Schmucksternen und Kreuzen, verschenkten<br />
sie das gestohlene Gut ihrer Völker. Da ging<br />
Gott zu denen die zusammengebrochen waren<br />
unter der Bürde ihrer Leiden, unter Hass<br />
und Lüge: es giebt über euren Götzen einen<br />
„Gott“, es gibt über euren Fahneneid meine<br />
ewigen Gesetze. Es gibt über dem Hass<br />
die „Liebe“. Da gaben die Krüppel ihre blutstinkenden<br />
grauen Kleider, ihre Orden und<br />
Ehrenzeichen zurück an den Gott des Mammons.<br />
Gingen unter das Volk und entheiligten<br />
die Mordwaffen und vernichteten sie.<br />
– Gott aber ging zum Kaiser: „Du bist der<br />
Sklave des Scheins; werde Herr des Lichtes<br />
indem Du der Wahrheit dienst und die Lüge<br />
erkennst! Vernichte die Grenzen, sei der<br />
Menschheit Führer. Erkenne die Eitelkeit des<br />
„Wirkens“ – Sei! – Friedenfürst! Setze an die<br />
Stelle des Wortes die Tat! Demut anstatt Siegereitelkeit<br />
– Wahrheit anstatt Lüge! Aufbau anstatt<br />
Zerstörung. In die Knie vor der Liebe Gottes,<br />
sei Erlöser, habe die Kraft des Dienens. Kaiser!<br />
Unteroffizier Heinrich Vogeler – Worpswede<br />
Kunstmaler“<br />
Die sieben Schalen<br />
des Zorns<br />
Heinrich Vogeler hatte nach dem Absenden<br />
seines Briefes an den Kaiser mit seiner<br />
Erschießung gerechnet, stattdessen wurde<br />
er in die Bremer Psychatrie eingewiesen<br />
und schuf dort die Radierung „Die sieben<br />
Schalen des Zorns“.<br />
„Ich begann zu zeichnen, und zwar<br />
mußte ich mir die Zerstörungen des Krieges<br />
von der Seele malen. Ich malte ein<br />
Heinrich Vogeler<br />
Die sieben Schalen des Zorns, Radierung, 1918<br />
Original im Barkhoff, Worpswede<br />
mystisches Bild mit zerstörten Kirchen,<br />
Leichenfeldern... und alles endete im Himmel,<br />
in den sieben Schalen des Zorns Gottes.“<br />
H. Vogeler, 1918.<br />
APOKALYPSE DES<br />
JOHANNES, 16. Kapitel<br />
Ausgießung der sieben Zornschalen<br />
2.) Und der erste ging hin und goß seine<br />
Schale auf die Erde; und es ward eine böse<br />
und arge Drüse an den Menschen, die das<br />
Malzeichen des Tiers hatten und die sein Bild<br />
anbeteten.<br />
3.) Und der andere Engel goß aus seine<br />
Schale in Meer; und es ward Blut wie eines<br />
Toten, und alle lebendigen Seelen starben in<br />
dem Meer.<br />
Der Niedersachsenstein<br />
Der Niedersachsenstein wurde von 1915<br />
bis 1921 geplant und 1922 gebaut. Als<br />
Bernhard Hoetger 1915 von Professor Fritz<br />
Mackensen gefragt wurde, ein Kriegerdenkmal<br />
für die Gefallenen des 1. Weltkrieges<br />
für das Kirchspiel Worpswede zu<br />
entwerfen, schrieb er an Ludwig Roselius:<br />
„Nur um zu verhüten, dass der Weyerberg<br />
mit dem sogenannten Kriegerdenkmal verunziert<br />
werden sollte, habe ich einen Entwurf<br />
gemacht.“<br />
Die ersten Planungen gingen von einem<br />
siegreichen Kriegsende für Deutschland<br />
aus. Das Denkmal sollte einen Vogel mit<br />
Niedersachsenstein im Heldenhain<br />
ausgestreckten Flügeln zeigen und in dessen<br />
Mitte einen Jüngling als Symbol für die<br />
Auferstehung. Dieser Jüngling ist heute<br />
über dem Eingang zur Bremer Böttjerstraße<br />
zu sehen.<br />
Erinnerungszeichen<br />
Für den Begriff „Erinnerungszeichen“<br />
gibt es keine feste Definition. Es wir unterschieden<br />
zwischen den „sichtbaren“ und<br />
„unsichtbaren“ Erinnerungszeichen.<br />
Zu den für jedermann „sichtbaren“ Erinnerungszeichen<br />
zählen die Denkmäler,<br />
Mahnmale, Monumente und Gedenktafeln.<br />
Sie stehen für das kollektive Erinnern<br />
der Gesellschaft. In fast jeder Gemeinde<br />
des Landkreises Osterholz findet sich ein<br />
Kriegerdenkmal, das an die Gefallenen<br />
des Ortes erinnert. 1926 wurde zum Gedenken<br />
an alle Opfer des 1. Weltkriegs der<br />
Volkstrauertag eingeführt.<br />
Zu den „unsichtbaren“ Erinnerungszeichen<br />
zählen Briefe, Fotos, Kriegtagebücher<br />
und Erinnerungsstücke für das individuelle<br />
Erinnern. Sie machen das Andenken an<br />
die gefallenen Familienmitglieder möglich<br />
und geben ihnen ihren Platz im Familiengedächtnis.<br />
Die Erinnerungszeichen sollen<br />
erlebte Geschichte für jede Generation<br />
erfahrbar machen. Der Brief von Heinrich<br />
Vogeler befindet sich im Haus im Schluh,<br />
Heinrich-Vogeler-Sammlung, Im Schluh<br />
35-37, 27726 Worpswede. Die Originalradierung<br />
von Heinrich Vogeler „Die sieben<br />
Schalen des Zorns“ befindet sich im Barkenhoff<br />
Heinrich-Vogeler-Museum, Ostendorfer<br />
Str. 10, 27726 Worpswede.<br />
Impressum: Das Kreisarchiv Osterholz befindet<br />
sich im Medienhaus im Campus, Am<br />
Barkhof 10 A, 27711 Osterholz-Scharmbeck.<br />
Das Kreisarchiv Osterholz wird von Gabriele<br />
Jannowitz-Heumann geleitet. Sie hatte<br />
mit viel Wissen und Fingerspitzengefühl die<br />
Ausstellung, „100 Jahre Ende des 1. Weltkrieges<br />
1914-1918“ Erinnerungszeichen in<br />
Worpswede, zusammengestellt.<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
13
Wollgraszeit im Teufelsmoor<br />
Farbtupfer in rauher Landschaft<br />
Scheiden-Wollgras<br />
Wollgrassamen<br />
Wollgras ist eine Hochmoorpflanze und<br />
bildet mit den Torfmoosen den ersten<br />
Pflanzenbesatz auf renaturierten Flächen<br />
nach dem Torfabbau. Es trägt so dazu bei,<br />
dass sich neue Torfflächen bilden können.<br />
Bei uns in den Mooren gibt es zwei Arten<br />
von Wollgras, das Scheiden-Wollgras und<br />
das Schmalblättrige Wollgras. Beide Gräser<br />
blühen recht unscheinbar im April. Es<br />
sind die reifen Samenfrüchte, die den bekannten<br />
wattebauschähnlichen Wollschopf<br />
bilden, der die Moore im Mai schmückt.<br />
Der Samen wird durch den Wind auf die<br />
Reise geschickt, ähnlich wie der Löwenzahn<br />
es mit seinen Pusteblumen macht. Das<br />
Schmalblättrige Wollgras besitzt mehrere<br />
Samenbüschel an einem Stiel, während das<br />
Scheiden-Wollgras nur eine Blüte und später<br />
dann nur einen flauschigen Fruchtstand<br />
ausbildet. Daran kann man diese beiden<br />
Moorgrasarten auch als Laie unterscheiden.<br />
Insgesamt gibt es fünf Wollgrassorten.<br />
Jedes Jahr im Frühling bieten die Moore<br />
dieses besondere Naturschauspiel. Bei<br />
uns in der Region im Hamberger Moor, im<br />
Huvenhoopsmoor und im Hagener Königsmoor<br />
zu erleben. Überall wogt dann ein<br />
weißer Teppich im Sommerwind, ein wunderschöner<br />
Anblick. Zeitgleich schlüpfen<br />
im Moor unzählige Libellen, z. B. Moosjungfern<br />
mit ihren entzückenden weißen<br />
Nasen, die so perfekt zur Wollgraszeit passen.<br />
Das Moor ist ein Naturparadies und<br />
hat so gar nichts Unheimliches an sich,<br />
auch wenn ab und zu Nebel über die Moore<br />
wabern. Moorkommissar Findorff hätte<br />
ruhig ein bisschen mehr Moor übrig lassen<br />
können. Das wäre auch gut fürs Klima,<br />
denn Moore speichern Kohlendioxyd.<br />
Durch stetigen Rückgang der Moore<br />
durch Torfabbau und Landwirtschaft gehen<br />
nicht nur die Wollgrasbestände immer<br />
weiter zurück. Jan Haft hat einen berührenden<br />
Film über Moore gedreht und ihn<br />
bezeichnenderweise „Magie der Moore“<br />
genannt. Sehr zu empfehlen für alle Freunde<br />
der Moore. Man kann erahnen, wie<br />
der Lebensraum Teufelsmoor früher ausgesehen<br />
haben könnte, mit einer großen<br />
Artenvielfalt, von der wir heute nur noch<br />
träumen können. Der Hochmoorgelbling<br />
z. B. ist hier schon lange nicht mehr gesehen<br />
worden, um nur eine verschwundene<br />
Art zu nennen.<br />
Text und Fotos: Maren Arndt<br />
Nordische Moosjungfern am Schmalblättrigen<br />
Wollgras<br />
Schmalblättriges Wollgrasfeld<br />
14 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Rezension:<br />
Jürgen Teumer: Das Haus im Schluh<br />
– zur Geschichte der Gebäude<br />
Die Entstehungsgeschichte von Martha<br />
Vogelers „Haus im Schluh“ in Worpswede<br />
war bisher von wenig belegten Erzählungen<br />
umgeben. Jürgen Teumer beschreibt in<br />
seiner 2018 erschienenen 40-seitigen Broschüre<br />
neu entdeckte Details zur Finanzierung<br />
des Grundstückes<br />
im Schluh und zur Herkunft<br />
der beiden Bauernhäuser,<br />
die das heutige<br />
Schluh-Ensemble ausmachen.<br />
Die Broschüre ist von<br />
Holger Lohse typographisch<br />
fein gestaltet und<br />
eindrücklich bebildert.<br />
Der Wert der Schrift ergibt<br />
sich aus der sorgfältigen<br />
Auswertung<br />
primärer Quellen, wobei<br />
der Verfasser u. a.<br />
Dokumente des Grundbuch-<br />
und Katasteramtes<br />
Osterholz-Scharmbeck,<br />
des Niedersächsischen<br />
Landesverwaltungsamtes<br />
Hannover, verschiedener<br />
Stadtarchive (Duisburg,<br />
Düsseldorf, Warburg,<br />
Nort heim) sowie des Archivs<br />
Haus im Schluh und<br />
private Korrespondenzen<br />
herangezogen hat.<br />
Als Martha Vogeler mit<br />
ihren drei Töchtern 1920<br />
den Barkenhoff Heinrich<br />
Vogelers verließ und in<br />
den Schluh am Rande<br />
von Worpswede zog,<br />
befand sie sich in einer<br />
ökonomisch schwierigen<br />
Situation. Teumer dokumentiert<br />
erstmals, dass primär der jüdische<br />
Kaufmann Paul Lehmann, Duisburg, als<br />
Eigentümer des großen Grundstückes im<br />
Schluh im Grundbuch (Februar 1920) eingetragen<br />
war. Er erwarb für Martha Vogeler<br />
nicht nur das Grundstück, sondern stellte<br />
wesentliche Geldmittel für den Aufbau des<br />
Wohnhauses zur Verfügung. Die Verbindung<br />
zur Familie Lehmann wurde durch<br />
den HNO-Arzt Dr. Emil Löhnberg und dessen<br />
Ehefrau Selma, Hamm/Westf., vermittelt,<br />
mit denen Martha und Heinrich Vogeler<br />
in freundschaftlichem Kontakt standen.<br />
Teumer belegt zudem erstmalig, dass Ludwig<br />
Bäumer im Dezember 1921 als Eigentümer<br />
des Schluh-Areals mit Martha Vogelers<br />
Wohnhaus im Grundbuch eingetragen war<br />
und dass diese selbst erst im August 1922<br />
tatsächliche Eigentümerin wurde.<br />
Die Spurensuche nach der Herkunft des<br />
Gebäudes, das Martha Vogeler 1919 auf<br />
Abbruch in dem Dorf Lüningsee erwarb, ergab<br />
einige bisher unbekannte Aspekte: es<br />
handelte sich um die Hofstelle/Moorbauernstelle<br />
Nr. 4 in der „Colonie Lüningsee“,<br />
das Bauernhaus in der Zwei-Ständer-Bauweise<br />
ist nach Teumers Recherchen um<br />
1840 erbaut worden und war bei seinem<br />
Wiederaufbau im Schluh etwa 80 Jahre alt.<br />
Der zweite Teil seiner Schrift enthält<br />
detaillierte Hinweise zur Geschichte des<br />
zweiten großen Gebäudes des Schluh-<br />
Ensembles, des Webhauses. Das Bauernhaus<br />
erwarb Martha Vogeler – ebenfalls auf<br />
Abriss – 1937 in Grasdorf. Im Februar 1938<br />
wurde es im Schluh wieder aufgebaut. Die<br />
Finanzierung der Baumaßnahmen erfolgte<br />
mit einem Darlehen des mit Martha befreundeten<br />
Ehepaares Helene und Wilhelm<br />
Sülter, Inhaber einer Graphischen Kunstanstalt<br />
in Hamburg.<br />
Fazit: Es handelt sich um eine sehr lesenswerte<br />
Broschüre, in der fundiert recherchierte<br />
vielfältige, äußerst interessante<br />
Hinweise zur Geschichte der beiden Hauptgebäude<br />
von Martha Vogelers Haus im<br />
Schluh zu finden sind.<br />
Dr. Harro Jenss, Worpswede<br />
April<br />
Heller Mond in der Aprilnacht<br />
schadet leicht der Blütenpracht.<br />
Bläst der April in sein Horn,<br />
steht’s gut um Heu und Korn.<br />
Bauernregeln<br />
April – Mai – Juni<br />
Mai<br />
Wenn’s Wetter gut am ersten Mai,<br />
gibt es viel und gutes Heu.<br />
Ein Bienenschwarm im Mai<br />
ist wert wie ein Fuder Heu.<br />
Juni<br />
Juni feucht und warm –<br />
macht den Bauern nicht arm.<br />
Gibt’s im Juni Donnerwetter,<br />
wird’s Getreide umso fetter.<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
15
Die Landsknechte am Bremer Rathaus<br />
Interessantes zu ihrer Entstehung<br />
Denkmäler, Standbilder nebst Inschriften,<br />
Mosaiken und Allegorien bildeten im<br />
19. Jahrhundert ein probates Mittel zur<br />
Darstellung der Vorbildlichkeit von Monarchen,<br />
Dichtern, Denkern oder Unternehmern.<br />
Mit der Zeit geriet diese „Kunst“<br />
erst in Vergessenheit, dann in Verruf. Mit<br />
diesen Zeilen soll über zwei denkmalartige<br />
Figuren berichtet werden, welche fast vier<br />
Jahrzehnte das Westportal des alten Bremer<br />
Rathauses geschmückt haben: zwei<br />
„Landsknechte“, die als Gegenstück zu den<br />
zwei „Herolden“ auf der Ostseite des Rathauses<br />
drei Jahre später aufgestellt wurden.<br />
Den wenigsten dieser Stadt ist überhaupt<br />
noch bekannt, dass auf der Westseite des<br />
alten Rathauses einmal zwei Figuren standen.<br />
Die Entstehungsgeschichte dieser<br />
beiden „Landsknechte“ wird getragen von<br />
nur vier Personen und ist anfangs komisch,<br />
endet später eher tragisch.<br />
Auslöser und Ideengeber war der Reeder<br />
Heinrich Wiegand (1855-1909). Heinrich<br />
Wiegand war Rechtsanwalt und in dieser<br />
Position auch für den Norddeutschen Lloyd<br />
(NDL) tätig. Mit den Jahren brachte er es<br />
Herolde am Bremer Rathaus<br />
über den Direktor bis zum Generaldirektor<br />
des Norddeutschen Lloyd. Unter seiner<br />
Führung wurde der NDL zur zweitgrößten<br />
Reederei der Welt, er war eine der treibenden<br />
Kräfte bei der Industrialisierung von<br />
Bremen und des Unterweserraumes, wobei<br />
er seine Fühler bis weit nach Westfalen<br />
und Basel ausstreckte. Er war ein brillanter<br />
Redner, hatte einen scharfen Verstand und<br />
ein phänomenales Gedächtnis – was er sich<br />
in den Kopf gesetzt hatte, konnte er auch<br />
ausführen, sei es mit Diplomatie oder mit<br />
seinem Dickschädel, er konnte sich auch<br />
Kaiser Wilhelm II widersetzen.<br />
Wiegand versuchte mit anderen Bremer<br />
Kaufleuten, Einfluss auf die Gestaltung des<br />
Bremer Stadtbildes zu nehmen. Schon Jahre<br />
vor der Aufstellung des Bismarck-Denkmals<br />
als Reiterdenkmal dicht neben dem<br />
Dom hatte er mit einem Denkmal dieser<br />
Art sympathisiert und schließlich eine Sachverständigen-Kommission<br />
von diesem geeigneten<br />
Platz überzeugt. Der Direktor der<br />
Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli (1866-<br />
1938), Ehemann von Magda Melchers<br />
(Sommer in Lesmona) hat einmal geschrieben,<br />
„um 1900 gäbe es keine künstlerische<br />
Unternehmung in Bremen, an der Wiegand<br />
keinen Anteil genommen hätte“.<br />
Die Idee zur Anfertigung und Aufstellung<br />
zweier Figuren auf der Westseite als Gegenstück<br />
zu den Reiterfiguren auf der Ostseite<br />
des Rathauses kam Heinrich Wiegand,<br />
nachdem die zwei Reiterfiguren (Größe:<br />
3,20 m) an dem Ostportal des Rathauses<br />
im Jahre 1901 aufgestellt worden waren.<br />
Diese zwei Reiterfiguren waren ein Geschenk<br />
des Bankiers Johann (John) Harjes<br />
(1830-1914). Harjes war ein Weltbürger,<br />
wie man heute sagen würde. Er war in<br />
Bremen geboren, wurde amerikanischer<br />
Staatsbürger und arbeitete sich dort zum<br />
Teilhaber eines großen Bankhauses empor,<br />
dem auch Morgan als Geschäftspartner<br />
beigetreten war. Sein Hauptwohnsitz war<br />
dann Paris geworden. 1900 sah er auf der<br />
Pariser Weltausstellung die zwei Reiterfiguren,<br />
angefertigt von dem Münchener<br />
Künstler Rudolf Maison, kaufte diese und<br />
schenkte sie dem Bremer Staat aus Anhänglichkeit.<br />
Paris wurde auch von ihm mit<br />
zwei Denkmälern beschenkt: das Benjamin<br />
Franklin-Denkmal und eine Reiterstatue<br />
von George Washington. Harjes war einer<br />
der bedeutendsten Bankiers seiner Zeit.<br />
Der Senat der Stadt hatte für diese Reiterfiguren<br />
den schönsten Platz, den die Stadt<br />
zu bieten hatte, nämlich das Ostportal des<br />
Rathauses gewählt.<br />
Bei Wiegand kam der Wunsch auf, auch<br />
am Westportal eine ähnliche Ausschmückung<br />
zu erhalten. Er überlegte, wie er mit<br />
der Anhänglichkeit von Harjes für seine<br />
<strong>Heimat</strong>stadt Bremen eine erneute Schenkung<br />
bewegen könnte. Da eine gelegentliche<br />
Äußerung von ihm Harjes gegenüber<br />
ohne Reaktion geblieben war, kam ihm<br />
der Gedanke, Kaiser Wilhelm II mit in seinen<br />
Plan einzuspannen. Der Kaiser machte<br />
oft auf der Durchreise nach Bremerhaven<br />
in Bremen im Ratskeller Station. Hier<br />
ergab es sich, dass Wiegand den Kaiser<br />
während einer Tafelrunde im Ratskeller in<br />
seinen Plan einweihen konnte. Wiegand<br />
beschreibt die Situation:“ Der Kaiser lachte<br />
fröhlich, indem er sagte: „Es ist kaum zu<br />
glauben, wozu Wiegand gekrönte Häupter<br />
gebraucht, jetzt soll ich ihm sogar helfen,<br />
für das Rathaus in Bremen einen Schmuck<br />
zu bekommen. Aber es ist gut, helfen werde<br />
ich Ihnen, laden Sie den Mann nur ein“.<br />
Sechs Wochen später kam die Gelegenheit<br />
auf dem Dampfer „Kronprinz Wilhelm“.<br />
Harjes wurde dem Kaiser vorgestellt.<br />
Anhand von Fotografien konnte der Kaiser<br />
Harjes für seine Vaterlandstreue loben, insbesondere<br />
für den schönen Schmuck durch<br />
die beiden Reiterfiguren, und fuhr dann fort:<br />
„Aber Sie müssen noch etwas mehr tun, Sie<br />
müssen auch einen Schmuck für die andere<br />
Seite des Rathauses stiften“. Harjes bedankte<br />
sich hocherfreut, dass Seine Majestät ihn<br />
16 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Vorläufige Fassung<br />
Endgültige Ausführung<br />
darauf aufmerksam gemacht hatte, und<br />
sagte: „Das werde ich gleich in die Hand<br />
nehmen“. Der Kaiser war nicht minder erfreut<br />
über den Ausgang der Unterredung.<br />
Von Wiegand bekam Harjes dann den Auftrag,<br />
die beiden Figuren als heiliger Michael<br />
und heiliger Georg darzustellen, so wie es<br />
mit dem Kaiser vereinbart worden war. Der<br />
Kaiser trat vergnügt zu Wiegand und sagte:<br />
„Nun sagen Sie mal schön danke. Herr<br />
Harjes ist überglücklich, dass ich ihn darauf<br />
aufmerksam gemacht habe“.<br />
Bis jetzt haben wir drei Personen kennengelernt,<br />
die mit der Entstehungsgeschichte<br />
der Landsknechte zu tun haben: den Generaldirektor<br />
des NDL, Heinrich Wiegand,<br />
Kaiser Wilhelm II und den Bankier John<br />
Harjes. Ab jetzt kommt als vierter Aktiver<br />
der Münchener Künstler Rudolf Maison<br />
(1854-1904) als Ausführender der beiden<br />
Figuren dazu. Maison war ein Meister der<br />
Bildhauerei. Er war ein führender Künstler<br />
im Wilhelminischen Kaiserreich. Maison<br />
war durch den König Ludwig II „geadelt“<br />
worden, als dieser ihn mit der Herstellung<br />
des voluminösen Fama-Brunnen vor dem<br />
Schloss Herrenchiemsee beauftragt hatte.<br />
Seitdem konnte sich Maison seine Auftraggeber<br />
aussuchen. In Berlin hat er für den<br />
damals 1894 fertiggestellten Reichstag drei<br />
Gewerke geschaffen, u.a. standen auf der<br />
Ostseite des Reichstags ebenfalls zwei Reiterfiguren<br />
(Größe: 6,80 m), deren Aussehen<br />
denen in Bremen auf der Ostseite des<br />
Rathauses ähnelten. In Bremen hat er den<br />
Teichmannbrunnen im Jahr 1899 auf dem<br />
ehemaligen Domsplatz erschaffen.<br />
Heinrich Wiegand schreibt in seinen<br />
„Lebenserinnerungen“: „Die Ausführung<br />
der Idee des Kaisers hat dem Künstler und<br />
mir allerdings viel Schmerzen bereitet.<br />
Die beiden Heiligen-Figuren, wie er sie ursprünglich<br />
projektiert hatte, waren wenig<br />
nach unserem Geschmack und lagen dem<br />
Künstler auch wenig glücklich. Erst in allmählicher<br />
Umwandlung sind die Figuren<br />
in der Art entstanden, wie sie jetzt dort<br />
stehen, die allerdings die beiden Heiligen<br />
wenig verraten lassen“.<br />
Bedenken des Kaisers<br />
Wer möchte zwei Drachentöter neben<br />
dem Eingang zum Ratskeller erleben?<br />
Dieser Vorschlag ist desillusionierend und<br />
realitätsfern. Doch eine Änderung wurde<br />
vom Kaiser ungnädig aufgenommen, seine<br />
Majestät bestand auf der Aufstellung der<br />
beiden Heiligen. Über mehrere Jahre versuchte<br />
der Künstler, den Kaiser umzustimmen<br />
und hatte ihm diverse unterschiedliche<br />
Entwürfe vorgelegt. Endlich, im Jahr<br />
1903, hatte er sich mit dem Hof in Berlin<br />
geeinigt, die Figuren ohne Drachen und<br />
Flügel herzustellen. Wiegand war während<br />
der ganzen Zeit über die wechselhafte Geschichte<br />
mit der Anfertigung der Figuren<br />
informiert und agierte im Hintergrund. Er<br />
hatte große Angst, dass Harjes sein Interesse<br />
bei dem Hin und Her verlieren könnte<br />
und trieb Maison zur Eile an. Bei Wiegand<br />
kamen Zweifel hinsichtlich des künstlerischen<br />
Könnens von Maison auf. Wiegand<br />
und Harjes waren während dieser Entscheidungszeit<br />
öfters in München, um Maison<br />
anzuspornen und Zweifel auszuräumen.<br />
Wiegand schreibt:“ Der Drache kann ganz<br />
verschwinden, wir werden ihm keine Träne<br />
nachweinen“. Im Frühjahr 1903 entstanden<br />
die beiden Figuren, die dann auch<br />
zur Aufstellung vor dem Rathaus-Portal gelangten:<br />
zwei stehende Ritter. Größe: etwas<br />
über 2 m.<br />
Rechts vom Rathauseingang stand der<br />
hl. Michael. Seine Erscheinung war jugendlich,<br />
stolz und edel aussehend in einem<br />
gotischen Plattenpanzer mit Eisenschuhen,<br />
Schwert und Schild. Er richtet seinen Blick<br />
wachsam in die Ferne. Auf der anderen<br />
linken Seite stand der hl. Georg, ebenfalls<br />
in voller Rüstung dargestellt mit langem<br />
Speer. Er trägt eine Kesselhaube, dazu Ringelkapuze,<br />
Lederwams, Panzerjacke und<br />
Mantel, welcher am Hals mit einer Spange<br />
zusammengehalten wird. Ein Kreuz verziert<br />
seinen Schild und mit beiden Händen umfasst<br />
er den Speer.<br />
Lange Monate herrschte Schweigen über<br />
das weitere Vorgehen. Unklar ist, wie letzten<br />
Endes das Einverständnis des Kaisers<br />
eingeholt wurde. Auf Wunsch seiner Majestät<br />
wurden die Engels-Flügel des hl. Michael<br />
entfernt, bei dem hl. Georg wurde die Bekleidung<br />
gering verändert. Im November<br />
1903 gab Harjes bekannt, dass alle mit den<br />
beiden Entwürfen einverstanden seien. Bei<br />
all dem Hin und Her um die Ausführung<br />
der Figuren erwies sich einmal mehr, dass<br />
ein als einfach erscheinender Auftrag des<br />
Initiators im Nachhinein in der Ausführung<br />
durch den Künstler unerwartet schwierig<br />
und zeitaufwendig sein konnte. Denn Maison<br />
als ausführender Künstler hatte den kaiserlichen<br />
Auftrag unbekümmert als unausführbar<br />
abgetan und einen Gegenvorschlag<br />
gemacht. Er wollte statt der Heiligen zwei<br />
Bremer Bürger in mittelalterlichem Gewand<br />
vor das Rathausportal aufstellen.<br />
Die jetztfertig gestellten Figuren sind ein<br />
typisches Produkt des Wilhelminischen Kaiserreiches.<br />
Die Gesellschaft war gespalten,<br />
sie war fortschrittlich und rückständig zugleich.<br />
Adel und Großbürgertum standen<br />
dem Liberalismus und der Sozialdemokratie<br />
unversöhnlich gegenüber. Die Künstler<br />
und besonders die Intellektuellen brachen<br />
ab 1890 mit der konservativen Kunst und<br />
Kultur des Kaiserreiches.<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
17
Die Herstellung der beiden Landsknechte<br />
war im November 1903 abgeschlossen. Sie<br />
war Maisons letzte Arbeit. Bei der geplanten<br />
Präsentation im Februar 1904 war der<br />
Künstler plötzlich im Alter von 50 Jahren<br />
verstorben und konnte so die begeisterte<br />
Zustimmung der Bremer nicht mehr erleben.<br />
Die Beliebtheit der Ritter stand den<br />
Reitern auf der anderen Rathausseite in<br />
nichts nach.<br />
Das Werk vollenden musste jetzt der<br />
langjährige Mitarbeiter und Gießer Hans<br />
Bauer. Am 12. September 1904 wurden die<br />
beiden Landsknechte vor dem westlichen<br />
Rathausportal aufgestellt. Bauer meinte,<br />
dass die bronzenen Ritter wohl Maisons<br />
bestes Werk gewesen seien. Er bedauerte es<br />
sehr, dass die beiden Figuren nach Bremen<br />
kämen: „Ich möchte sie am besten immer<br />
um mich haben“. Von der Bremer Bevölkerung<br />
wurden die beiden neuen Figuren<br />
positiv aufgenommen.<br />
Das Ende dieser zwei Ritter ist tragisch.<br />
Vor dem Rathausportal standen sie nur<br />
knapp 40 Jahre. Der 2. Weltkrieg forderte<br />
seinen Tribut. Auf der Suche nach knappen<br />
Metallressourcen machten die Nationalsozialisten<br />
auch vor vielen Denkmälern<br />
keinen Halt. Die beiden Figuren wurden<br />
daher leider im Jahr 1942 als sogenannte<br />
„Metallspende“ eingeschmolzen, genauso<br />
wie die Denkmäler Kaiser Wilhelms I auf<br />
dem Liebfrauenkirchhof, der Wilhadi-Brunnen<br />
zwischen Dom und Rathaus, sowie der<br />
Teichmann-Brunnen auf dem ehemaligen<br />
Domshof, um nur einige Denkmäler aus<br />
der Innenstadt zu nennen.<br />
Allerdings – es gibt zwei verkleinerte<br />
Nachgüsse der Ritter, die Heinrich Wiegand<br />
für private Zwecke hat anfertigen lassen.<br />
Die knapp 1 m großen Figuren standen in<br />
seinen Privaträumen, bevor sie nach seinem<br />
Tode über mehrere Stationen seit 1933 in<br />
den Besitz des Schütting gelangten. Dort<br />
stehen sie noch heute links und rechts des<br />
Treppenaufganges zum 1. Geschoss und<br />
können von jedermann besichtigt werden.<br />
Die beiden Reiterfiguren vor dem Ostportal<br />
des Rathauses verschwanden ebenfalls<br />
zu Kriegsbeginn. Allerdings blieben sie<br />
erhalten und wurden im Bunker vor dem<br />
Hauptbahnhof eingemauert. Heute stehen<br />
sie wieder vor dem Rathaus. Aber das ist<br />
eine andere Geschichte…<br />
Man hätte über jede dieser vier Personen<br />
eine eigene Biografie schreiben können.<br />
Das Thema zwingt jedoch, Grenzen zu<br />
setzen. Alle Aktivitäten dieser Vier zu beschreiben,<br />
hätte den Rahmen des Berichtes<br />
gesprengt. Wer sich jedoch weiter mit dem<br />
Leben dieser Personen beschäftigen möchte,<br />
dem seien zwei Bücher empfohlen:<br />
1. „Die Lebenserinnerungen des NDL-Direktors<br />
Heinrich Wiegand“ von Jörn Brinkhus,<br />
Schriften des Staatsarchivs Bremen,<br />
Bd. 54, 2017. Amüsanter, abwechslungsreicher<br />
Lesestoff.<br />
2. „Rudolf Maison“ von Karin Geiger u.<br />
Sabine Tausch, Begleitband zur Ausstellung<br />
im Historischen Museum der Stadt Regensburg<br />
vom 18. September 2016 bis zum<br />
2. April 2017. Universitätsverlag Regensburg,<br />
2016. Ein opulentes Werk mit allen<br />
Bremer Gewerken.<br />
Weitere vertiefende Bücher:<br />
3. „Denkmäler, Freiplastiken, Brunnen in<br />
Bremen 1800-1945“ von Beate Mielsch,<br />
Verlag J. H. Schmalfeldt + Co, Bremen. Bremer<br />
Bände zur Kulturpolitik, Bd. 3, 1960.<br />
4. Bremisches Jahrbuch, Bd. 55, 1977,<br />
herausgegeben vom Staatsarchiv Bremen,<br />
S. 305-326 von Heinrich Petzet „Ritter am<br />
Rathaus zu Bremen“.<br />
Wikipedia:<br />
Herolde am Bremer Rathaus, Heinrich Wiegand<br />
(Reeder),Rudolf Maison, Gustav Pauli,<br />
John Harjes (engl.).<br />
Fotos:<br />
Die Darstellung mit der „vorläufigen Fassung“<br />
entstammt dem Begleitband zur<br />
Ausstellung über Rudolf Maison, Katalog-<br />
S. 170.<br />
Die beiden anderen Fotos entstammen dem<br />
Bremischen Jahrbuch, Bd. 55 von 1977 S.<br />
307 und S. 308.<br />
Dr. Hans Christiansen<br />
Unvergessen…<br />
Stimmungsbilder aus Moor und Heide<br />
im Spiegel der Dichtkunst<br />
Sein Werk ist vielgestaltig. Naturalismus<br />
und Romantik prägen seine Gedichte und<br />
Balladen. Seine Lyrik beeinflusste unter anderem<br />
den jungen Rainer Maria Rilke. Auch<br />
heute noch beispielhaft für die Dichtkunst<br />
des 19. Jahrhunderts ist<br />
Detlev von Liliencron<br />
Detlev von Liliencron 1905 (Quelle: wikipedia.org)<br />
Der deutsche Lyriker, Prosa- und Bühnenautor<br />
wurde am 3. Juni 1844 in Kiel geboren.<br />
Nach einer kurzen Militärkarriere und<br />
einigen Jahren Tätigkeit in der Verwaltung<br />
wandte er sich als freier Schriftsteller seiner<br />
Leidenschaft zu, der Dichtkunst. Im Jahre<br />
1883 erschien ein erster Gedichtband, weitere<br />
folgten recht bald. Schon zu Detlev<br />
von Liliencrons Lebzeiten galt seine Lyrik<br />
als bedeutendste für den Naturalismus des<br />
späten 19. Jahrhunderts. Richard Dehmel<br />
(s. Heft Nr. 124, Seite 33) charakterisierte<br />
ihn später in einem Nachruf so: „Wer das<br />
Leben kennt und trotzdem liebt, der muss<br />
ihn lieben. Keiner vor ihm hat es so als buntes<br />
Spiel begriffen.“<br />
Als Paradebeispiele seiner Balladen gelten<br />
auch heute noch „Trutz, blanke Hans“ und<br />
„Pidder Lyng“. Sie sind willkommener Bestandteil<br />
von Vortragsabenden und im<br />
Deutschunterricht.<br />
Detlev von Liliencron starb am 22. Juli<br />
1909 in Alt-Rahlstedt, dem heutigen Stadtteil<br />
von Hamburg. Wir erinnern an einen<br />
Großen der deutschen Lyrik mit zwei Beispielen<br />
(Sommer und Herbst) seiner<br />
Heidebilder<br />
Die Mittagssonne brütet auf der Heide, im<br />
Süden droht ein schwarzer Ring. Verdurstet<br />
hängt das magere Getreide, behaglich<br />
treibt ein Schmetterling.<br />
Ermattet ruhn der Hirt und seine Schafe,<br />
die Ente träumt im Binsenkraut,<br />
die Ringelnatter sonnt in trägem Schlafe<br />
unregbar ihre Tigerhaut.<br />
Im Zickzack zuckt ein Blitz, und Wasserfluten<br />
entstürzen gierig dunklem Zelt.<br />
Es jauchzt der Sturm und peitscht mit seinen<br />
Ruten erlösend meine Heidewelt.<br />
-------------------<br />
In Herbstestagen bricht mit starkem Flügel<br />
der Reiher durch den Nebelduft.<br />
Wie still es ist! Kaum hör‘ ich um den Hügel<br />
noch einen Laut in weiter Luft.<br />
Auf eines Birkenstämmchens schwanker<br />
Krone ruht sich ein Wanderfalke aus.<br />
Doch schläft er nicht, vor seinem leichten<br />
Throne äugt er durchdringend scharf hinaus.<br />
Der alte Bauer mit verhaltnem Schritte<br />
schleicht neben seinem Wagen Torf.<br />
Und holpernd, stolpernd schleppt mit<br />
lahmem Tritte der alte Schimmel ihn ins Dorf.<br />
-------------------<br />
Tiefeinsamkeit, es schlingt um deine Pforte<br />
die Erika das rote Band.<br />
Von Menschen leer, was braucht es noch<br />
der Worte, sei mir gegrüßt, du stilles Land!<br />
Peter Richter<br />
18 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Köksch un Qualm – mehr als ein Museum<br />
Donnerstagsprogramm von April bis Juni 2019 bietet für jeden etwas in der Stader Landstr. 46<br />
DO 18.04.19, 14.00 – 17.00 Uhr<br />
FERIENSPEZIAL – Wäschewaschen wie<br />
früher. Große und kleine Helferinnen können<br />
an diesem Nachmittag unseren fleißigen<br />
Waschfrauen zur Hand gehen und<br />
selber ausprobieren, wie früher gewaschen<br />
wurde: Wäschestampfen, auf dem Waschbrett<br />
schrubben und die große Wringe kurbeln.<br />
Zur Belohnung gibt es selbst hergestellte<br />
Seife. (Anmeldungen erbeten)<br />
DO 25.04.19, 15.00 Uhr<br />
Antike Grußkarten leicht gemacht. Wir zeigen<br />
verschiedene Möglichkeiten auf, Grußund<br />
Glückwunschkarten im Stil der früheren<br />
Zeit zu gestalten. Erstellen Sie historische<br />
Unikate für Anlässe jeglicher Art, über welche<br />
sich ihre Liebsten freuen werden. Lassen<br />
Sie sich inspirieren. (Anmeldungen erforderlich<br />
& Kosten nach Materialaufwand)<br />
DO 02.05.19, 15.00 Uhr<br />
Das Taschentuch: Ein kleines Stück Stoff<br />
und eine so große Geschichte. Es erwartet<br />
Sie ein unterhaltsamer Nachmittag, an<br />
welchem sich alles um ein unterschätztes<br />
Stückchen Stoff dreht. Erfahren Sie etwas<br />
über Status, Handarbeit und historische<br />
Symbolik dieses aufwendig angefertigten<br />
Stoffgebildes, welches bereits eine tragende<br />
Rolle in Shakespeare‘s Tragödie „Othello“<br />
spielte. (Anmeldungen erbeten)<br />
DO 09.05.19, 15.30 Uhr<br />
Lesung – Adelheid, es ist so weit!! Meta<br />
Senkpiel (Christine Bongartz) plaudert aus<br />
dem Nähkästchen über ihre Kränzchenfreundinnen<br />
Madda und Kede, die haben<br />
sich nämlich mächtig zerstritten... (Anmeldungen<br />
erbeten)<br />
DO 16.05.19, 15.30 Uhr<br />
Bremen kocht! Leckeres aus Wildkräutern.<br />
Die Natur hat bereits ihren Tisch gedeckt:<br />
Viele schmackhafte Wildkräuter strecken ihre<br />
Köpfe der Sonne entgegen. Wir möchten Sie<br />
heute dazu einladen, mit uns im Handumdrehen<br />
eine kleine Leckerei aus dem Garten<br />
der Natur zu zaubern. Wir laden zum Probieren<br />
ein. (Anmeldungen erforderlich)<br />
fordern wir ihre Geschicklichkeit, ihre Kreativität<br />
und ihr Einfallsreichtum heraus. Spielen<br />
Sie mit uns! Egal ob Mikado, Mensch<br />
ärgere dich nicht oder Scharade, sicherlich<br />
ist für jede/n etwas dabei. (Anmeldungen<br />
erbeten)<br />
DO 13.06.19, 15.30 Uhr<br />
Lesung – Kein Sommer ohne Lesmona!<br />
Christine Bongartz liest als Gesine von Katenkampp<br />
aus den Mädchenbriefen „Sommer<br />
in Lesmona“ von Marga Berck. (Anmeldungen<br />
erbeten)<br />
DO 20.06.19, 15.30 Uhr<br />
Bremen kocht! Aus frischen Zutaten<br />
wohlschmeckende Limonaden herstellen<br />
Passend zu sommerlichen Temperaturen<br />
darf ein erfrischendes Getränk nicht fehlen.<br />
Leider enthalten viele Erfrischungsgetränke<br />
sehr viel Zucker. Die Pflanzenwelt bietet uns<br />
jedoch mit ihrem reichhaltigen Angebot<br />
vielfach gesündere Alternativen. Wir geben<br />
Anregungen, wie man diese mit wenig Aufwand<br />
selber zubereiten kann. Probieren Sie<br />
gern. (Anmeldungen erforderlich)<br />
DO 27.06.19, 15.00 Uhr<br />
Essig – Ein echter Allrounder<br />
Heute dreht sich alles um das Thema Essig.<br />
Wir zeigen Ihnen, wofür Sie Essig alles nutzen<br />
können. Egal ob im Haushalt, bei der<br />
Schädlingsbekämpfung oder für die Schönheit.<br />
Essig ist vielseitiger, als man sich vorstellen<br />
kann. (Anmeldungen erbeten)<br />
Eintritt 3,00 € für das Donnerstagsprogramm;<br />
inklusive szenischer Führung durch<br />
die Ausstellung (auf Wunsch) in Kombination<br />
mit dem jeweiligen Hauptprogramm/<br />
ggf. zzgl. Materialkosten.<br />
Kinder 1,50 €/Kaffee-Menü: 3,80 €. Weitere<br />
Ermäßigungen bitte an der Kasse erfragen.<br />
SONDERVERANSTALTUNGEN<br />
Offene Handarbeitsgruppe<br />
An jedem ersten Montag des Monats trifft<br />
sich von 15.00 – 17.00 Uhr die offene Handarbeitsgruppe<br />
unter der Leitung von Renate<br />
Drögemüller. (Feiertage ausgenommen)<br />
Die nächsten Termine sind am 01.04.2019,<br />
06.05.2019 und 03.06.2019.<br />
Anmeldung erbeten!<br />
Frühstück im Köksch un Qualm<br />
Wir bieten jeden ersten Mittwoch im Monat<br />
ein kleines Frühstück zum Preis von 6,80 €<br />
an, um Ihnen eine außerordentliche Gelegenheit<br />
zu bieten, unser Museum kennenzulernen<br />
und in besonderer Atmosphäre in<br />
den Tag zu starten. Es erwarten Sie Brot und<br />
Brötchen (1 Scheibe Schwarzbrot, 1 Brötchen),<br />
Aufschnitt, Ei, Käse und Marmelade.<br />
Kaffee und Tee stehen Ihnen satt zur Auswahl.<br />
Eine szenische Führung kann nach<br />
Vereinbarung im Anschluss an Ihr Frühstück<br />
für 3,00 € hinzu gebucht werden.<br />
Die nächsten Termine sind am 03.04.2019,<br />
08.05.2019 und 05.06.2019 von 10.00 –<br />
12.00 Uhr. Rechtzeitige Anmeldungen erforderlich!<br />
INDIVIDUELLE BUCHUNGSANFRAGEN<br />
Feiern, Tagen und mehr!<br />
Verbringen Sie im Köksch un Qualm ein<br />
paar schöne Stunden und buchen Sie das<br />
Museum inkl. szenischer Führung und weiterem<br />
Programm auf Anfrage. Wir freuen<br />
uns auf Ihren Besuch, mit Ihrer Schulklasse,<br />
Ihren Freundinnen und Freunden, Ihren<br />
Kindern, anlässlich Ihres Geburtstages, als<br />
Ziel eines Fahrradausfluges oder aber mit<br />
Ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen.<br />
DO 23.05.19, 15.30 Uhr<br />
Szenische Reise in das Jahr 1898. Wir laden<br />
Sie zu einer kleinen szenischen Reise in<br />
die Welt des Friedrich Wilhelm Richterings<br />
und seines Dienstpersonals ein. Tauchen Sie<br />
ein in eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs.<br />
Erfahren Sie mehr über dadurch<br />
entstandene Träume, Visionen und Gedanken<br />
des Gesindes im Hause Richtering und<br />
ihren Hoffnungen an das Leben. (Anmeldungen<br />
erbeten)<br />
DO 06.06.19, 15.00 Uhr<br />
Wir spielen die Spiele unserer Großeltern<br />
„Oma, was hast du eigentlich früher<br />
als Kind gespielt?“ An diesem Nachmittag<br />
Allgemeine Öffnungszeiten<br />
Sie können unser Museum am Donnerstag in der Zeit von 14.00 – 18.00 Uhr<br />
und jederzeit nach Vereinbarung besuchen.<br />
Anmeldungen<br />
Sie erreichen das Köksch un Qualm-Team<br />
Mo., Di., Mi. und Fr. von 9.00 – 14.00 Uhr sowie Do. von 12.00 – 17.00 Uhr<br />
persönlich unter der Tel.: 0421-636958-66.<br />
Oder per E-Mail unter: zigarrenfabrik@bras-bremen.de<br />
Barrierefreiheit ist bei uns gewährleistet!<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
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Haus Windeck in Grohn<br />
Schriftzug an der Westseite<br />
„Fahre ich die Weser von Bremen nach<br />
Vegesack hinab, so grüßt mich, nahe dem<br />
Ziel, noch heute der Turm. Wandere ich<br />
den Deich an der Lesum entlang durch das<br />
Dorf Lesumbrok flussabwärts, so sehe ich<br />
von der Stelle aus, wo er durch das Weideland<br />
zur Weser abbiegt, noch heute die<br />
Wipfel ragen, die das teure Haus umschließen…“<br />
so beginnt der Autor Wilhelm Julius<br />
Robert Tideman (1890-1949) seine kleine<br />
Schrift „Windeck-Buch der Erinnerung“ im<br />
Jahre 1947 mit seinen Kindheitserinnerungen,<br />
welche dann allerdings erst 1968, 20<br />
Jahre nach seinem Tod, von der Tidemanschen<br />
Familienstiftung, Bremen, in Druck<br />
gegeben wurde. Der Professor, Arzt und<br />
Theologe Karl Stoevesandt und seine Frau<br />
schreiben 1947 an Wilhelm Tideman: „Der<br />
kulturgeschichtliche Wert dieser Familienerinnerung<br />
ist beträchtlich. Denn diese<br />
Zeit ist vorbei und wird so nicht wiederkommen.<br />
Dieses Zeitbild mit dem ihm gegebenen<br />
inneren Wert wird überzeitlich<br />
bleiben.“<br />
Schloss „Windeck“ um 1860<br />
Die exponierte Lage dieser Villa mit dem<br />
markanten hohen Tudor-Turm am hohen<br />
Geesthang der Lesum auf ca. 8.000 m 2<br />
großem Grundstück ist schon von weitem<br />
sichtbar. Schräg gegenüber der Grohner<br />
Kirche St. Michael führt von der Friedrich-Humbert-Straße<br />
eine schmale Straße<br />
mit dem Namen „Tidemanstraße“ in Richtung<br />
des Hauses „Windeck“, welches am<br />
Ende der Straße und direkt am Geesthang<br />
gelegen ist.<br />
Der Erbauer<br />
Johannes Tideman<br />
Johannes Tideman ist der Name des Erbauers<br />
dieses großen Komplexes mit dem<br />
weithin sichtbaren Turm. Johannes Tideman<br />
(1799-1887) war ein Bremer Eltermann,<br />
Kaufmann und Reeder (besaß u. a.<br />
drei Schoner mit den Namen GERTRUDE,<br />
HENRIETTE, HERMINE und drei Brigg mit<br />
den Namen DANIEL, GOTTFRIED MEN-<br />
KEN, META). Er war verheiratet mit Henriette<br />
Christiane Meinertzhagen (1803-<br />
1872) aus Bremen. 1847 wurde das Haus<br />
erbaut, über den Architekten ist nichts<br />
bekannt. Die Familie Tideman ist eine im<br />
15. Jahrhundert von Holland nach Bremen<br />
eingewanderte Pastoren-, Juristen-, Ratsherren-<br />
und Senatorenfamilie. Seit 1457<br />
wird das Geschlecht der Tidemans in den<br />
Büchern des Bremer Rats genannt. In der<br />
oberen Rathaushalle ist das Familienwappen<br />
in einem Bleifenster eingelassen. Mit<br />
dem Bau des Hauses „Windeck“ verbunden<br />
ist folgender biblischer Spruch: „Wir<br />
haben hier keine bleibende Statt – sondern<br />
die zukünftige suchen wir!“ Diese Zeilen<br />
waren an der Westseite oberhalb der Loggia<br />
angebracht, heute sind sie allerdings<br />
verschwunden. Leben und Verhalten der<br />
Tidemans war eindeutig geprägt von reformiertem<br />
Christentum, Biblizismus und<br />
bremischer Tradition. Für die geplante<br />
Grohner Kirche St. Michael spendete der<br />
Reeder Johannes Tideman 500 Thaler in<br />
Gold, seine drei Töchter gaben jeweils<br />
10.000 Mark, obwohl alle die Fertigstellung<br />
des Kirchenbaus St. Michael im Jahre<br />
1908 nicht mehr erlebten. 1882 stiftete Johannes<br />
Tideman das nach ihm benannte<br />
„Johannesstift“, welches als roter Klinkerbau<br />
hinter der Volksbank gegenüber dem<br />
Bremer Tauwerk stand und eine Diakonissenstation<br />
sowie eine „Kleinkinderbewahranstalt“<br />
enthielt. Tatsächlich sollte der<br />
Grohner Kindergarten dort in diesem Haus<br />
bis zu seinem Umzug ins Haus „Windeck“<br />
im Jahr 1955 bestehen bleiben.<br />
Einzigartige Lage<br />
und Aussicht<br />
Die Lage auf dem abfallenden Geestrücken<br />
zur Lesum und zur Schönebecker Aue<br />
war einzigartig. Man hatte freie Sicht nach<br />
Süden auf die Lesum und nach Westen auf<br />
die Lesum- und Ochtum-Mündung und<br />
Vegesack. Weiter unten hatte bereits der<br />
Werftbesitzer Johann Lange sein Wohnhaus<br />
gebaut, und sein Sohn Johann Lange<br />
jun. (1804-1876), der nach dem Tod<br />
seines Vaters im Jahr 1844 die florierende<br />
Werft übernahm, ließ den Garten hinter<br />
dem Wohnhaus seines Vaters in einen<br />
prächtigen Park verwandeln und in zeittypischer<br />
Manier mit einer künstlichen, neogotischen<br />
Turmruine ausstatten, welche<br />
noch heute vorhanden ist. Diese Ruine hat<br />
der Erbauer der Villa „Windeck“ gesehen<br />
und gekannt und emotional hat er sich für<br />
den Bau eines Turmes bei seinem Neubau<br />
entschieden. Von diesem Turm kann man<br />
die Kirchtürme Bremens sehen, nach Westen<br />
geht der Blick bis nach Vegesack, zur<br />
alten Ochtum-Mündung bei Lemwerder<br />
und weiter bis nach Blumenthal. Unterhalb<br />
des Windeck-Grundstücks lagen die alten<br />
Fischerhäuser der Erbfischer-Familien.<br />
Blick von der Turmspitze<br />
Über den Bauherren Johannes Tideman<br />
ist die Biografie dürftig. Weitaus bekannter<br />
wurde sein Enkel, Dr. jur., Dr. rer.pol. Regierungsrat<br />
Wilhelm Julius Robert Tideman<br />
(1890-1949), Sohn von Johannes Tideman<br />
(1840-1927) und Selina Lucie Leila Taylor<br />
(1850-1919). Wilhelm war verheiratet mit<br />
Wera Penzig (1892-1984), Tochter eines<br />
Engländers und einer Schweizerin. Wilhelm<br />
hatte sieben Geschwister, er war der<br />
Jüngste. Wilhelm Tideman verlebte seine<br />
Kindheit und Jugend in dem Haus „Windeck“.<br />
Er schreibt, dass der jährliche Umzug<br />
vom Bremer Stadthaus nach Windeck Anfang<br />
April bis Mai stattfand, indem man<br />
den nötigen Hausstand zum Dampfer an<br />
die Schlachte schaffte, um dann nach Vegesack<br />
zu fahren. Man hatte unterhalb des<br />
Hauses Windeck zwar einen kleinen Hafen<br />
angelegt, dieser war aber nur bei Flut<br />
zu benutzen. Wilhelm Tideman heiratete<br />
1913 mit Kapital, welches er von seinen<br />
drei Tanten geerbt hatte. Durch seinen Vater<br />
bekam er zusätzlich Unterstützung. Er<br />
schreibt: „Die verdrehten Nachkriegszustände<br />
haben meinen beruflichen Werdegang<br />
in eine seltsam verbogene Lebens-<br />
20 RUNDBLICK Frühjahr 2019
ahn gebracht“. Das Paar hatte u. a. einen<br />
Sohn Hans-Lüder, der Bluter war und zeit<br />
seines Lebens kränkelte und nur 25 Jahre<br />
alt wurde (1920-1945). Die Erbkrankheit<br />
war mütterlicherseits bedingt.<br />
Der Sohn Wilhelm<br />
Tidemann, ein bekannter<br />
Bremer Dichter<br />
Wilhelm Tideman wurde ein bekannter<br />
Bremer Dichter, Lyriker, Philosoph und<br />
Poet, der mit seiner schriftstellerischen<br />
Art, seinen tiefsinnigen Gedankengängen<br />
und seinem außergewöhnlichem Vokabular<br />
auf seine Zeit eingewirkt hat. Mit den<br />
folgenden Zeilen soll auf diesen herausragenden<br />
Bremer Schriftsteller eingegangen<br />
werden. Die Gründung der „Literarischen<br />
Privatkurse“ durch Wilhelm und Wera Tideman<br />
1919 ging 1924 über in die „Neue<br />
Vortragsgesellschaft“ (1924-1934), eine<br />
besondere Art der Volkshochschule: Schaffung<br />
einer Stätte geistigen Lebens, Gegengewicht<br />
zur geistigen Inanspruchnahme<br />
des Berufslebens zur geistigen-sittlichen<br />
Not. Sein kleines Buch „Erinnerungen“<br />
spiegelt bremische Kultur wider, die auf<br />
Haus „Windeck“ um die Jahrhundertwende<br />
bis zum 1. Weltkrieg gelebt wurde, es zeigt<br />
seinen bremischen Charakter: eine Verbindung<br />
des Kaufmanns mit dem Reeder:<br />
Hanseat genannt. Er zitiert einen großen<br />
Gelehrten, nachdem Bremen „die Stadt<br />
war, in der man Sonntags eine gute Predigt<br />
hören und einen guten Braten essen müsste“.<br />
Das sei bremische Art und Sitte. Dieser<br />
bremische Stil lehrt uns: „Nüchternheit<br />
des Urteils, Wille zur Tat, Echtheit der Gesinnung,<br />
Prunklosigkeit der Lebensführung<br />
und jene Freiheit, in der die in sich selbst sichere<br />
Persönlichkeit gedeiht; er zeigt, dass<br />
Innerlichkeit notwendiger und stärker ist<br />
als äußerer Reichtum“. Sein Hauptaugenmerk<br />
zielte auf das Erfragen der Existenz.<br />
Hölderlin und Kierkegaard bestimmten<br />
seinen Weg. In seinem nicht mehr abgeschlossenen<br />
Werk „Philosophie des Schicksals“<br />
begegnen sich östliche Weisheit und<br />
westliche Tragik. Die Vorträge von ihm<br />
und vielen anderen Mitgliedern sind noch<br />
heute zugänglich, befassen sich hauptsächlich<br />
mit philosophischen Fragen. Andreas<br />
Gildemeister hat 1927 in der „Weser<br />
Zeitung“ über ihn geschrieben: „Eine fest<br />
ausgeprägte, oft schroffe und schwierige<br />
Individualität, furchtlos im Ausdruck seiner<br />
Überzeugung, ehrlich und leidenschaftlich<br />
in Neigung und Abneigung, an Güte und<br />
Treue für seine Freunde unübertroffen.“<br />
Zum Schluss der Ausführungen über seine<br />
schriftstellerische Tätigkeiten zitiere ich<br />
einen Absatz aus den „Erinnerungen“: „Du<br />
Garten der Freude, der Jugendlust, du Haus<br />
der zarten Menschen, der edlen, hochgestimmten<br />
Festlichkeit! Du warst die <strong>Heimat</strong>,<br />
über der der Abendwind, von der sinkenden<br />
Sonne vergoldet, die Flagge der Freiheit<br />
wehte“. Wilhelm Tideman wurde auf<br />
dem Waller Friedhof beerdigt. Die Grabstelle<br />
von Wilhelm und Wera Tidemann<br />
hat die Lage Nr. Y96. Insgesamt kann man<br />
sagen, dass sein Leben nicht leicht war, er<br />
hat es sich aber auch nicht leicht gemacht.<br />
Schinkel hat einmal zur Aussicht auf die<br />
Landschaft gesagt: „Landschaftliche Aussichten<br />
gewähren ein besonderes Interesse,<br />
wenn man die Spuren des menschlichen<br />
Daseins dar innen wahrnimmt. Der Reiz<br />
der Landschaft wird erhöht, indem man die<br />
Spuren des Menschlichen recht entschieden<br />
darin hervortreten lässt…“ Begehrte<br />
Plätze in der Landschaft werden als „points<br />
de vue“ bezeichnet. Das Haus wird an den<br />
höchsten Punkt gelegt, darunter breiten<br />
sich Garten und Park aus, über sie hinweg<br />
sieht man in die ideale Landschaft, sprich<br />
Lesum- und Weser-Niederung.<br />
Castle Style<br />
Wappen Tideman<br />
Das im „castle style“ (Burgenstil) errichtete<br />
Haus weist eine Reihe Baukörpergruppierungen<br />
in der Wandarchitektur auf, die<br />
dem großen Baublock Leben verleihen, als<br />
da sind eine turmartige Erhöhung, Arkadengalerien<br />
längs der Dachgesimse in der<br />
Horizontalen und natürlich, sehr wichtig,<br />
Zinnen auf Dachrändern und Türmen. Sowohl<br />
in Bremen wie auch in Hamburg ist<br />
ein ausgeprägtes Interesse an Häusern im<br />
„castle style“ zu finden, welches hauptsächlich<br />
durch die traditionellen und jahrzehntelangen<br />
Handelsbeziehungen zu<br />
England vermittelt wurde. Der Wunsch<br />
nach Präsentation führte dazu, dass die<br />
Eingangsfront monumental-symmetrisch<br />
(englisch) gebaut wurde, während die Gartenseite<br />
verspielter und freier (italienisch)<br />
gestaltet wurde.<br />
Ehemaliger Eingangsbereich von „Windeck“<br />
Die Villa „Windeck“ ist das früheste Beispiel<br />
einer Reihe vom „castle style“ beeinflussten<br />
Gebäude. Aus diesem Grund ist die<br />
typische Formenvielfalt dieser englischen<br />
Bauform noch nicht so ausgeprägt, es ist<br />
viel eher noch eine „normännische“ Formensprache<br />
verbaut. Spätere Bauwerke wie<br />
das Schloss in Wätjens Park in Blumenthal<br />
(1858-1864 erbaut), das Landgut Albrecht<br />
in Leuchtenburg (1868 erbaut) oder Schloss<br />
Mühlenthal des Baron Knoop in St. Magnus<br />
(1868-1871 erbaut) zeigen einen reicher<br />
werdenden Stil in allen Detailformen.<br />
Die zweigeschossige Villa wurde im Stil<br />
der Romantik mit gelben Klinkersteinen<br />
erbaut und ähnelt mit seinem Zinnen<br />
bewehrten Turm entfernt einer Burg am<br />
Rhein. Die „alten Grohner“ sprachen früher<br />
immer von ihrem Schloss „Windeck“.<br />
Der gesamte Hauptbaukörper und die<br />
Türmchen an den Ecken waren früher mit<br />
Zinnen bekrönt. Zur Westseite hin führt<br />
eine breite Freitreppe zu einer vorgelagerten<br />
italienisch geprägten Loggia. Zwei<br />
romantische Säulen stützen die Vorderseite<br />
der Loggia, zwischen denen drei Rundbögen<br />
die Loggia überwölben. Auf einem<br />
alten Foto erkennt man, dass die Loggia<br />
mit Glastüren teilverschlossen war. Der<br />
Söller über der Loggia wurde begrenzt von<br />
einem Vegesacker Eisengussgitter. Heute<br />
sind rotgefärbte, verzierte Betongitter eingesetzt.<br />
Die Hausecken sind allesamt verstärkt<br />
und enden in kleinen Ecktürmchen.<br />
Aneinander gereihte, vorgemauerte Dreiecksspitzen<br />
verbinden die Hausecken unter<br />
dem von Konsolen gestützten Hauptgesims.<br />
Neben der beschriebenen westlichen<br />
Loggia gibt es eine Südveranda sowie eine<br />
heute nicht mehr vorhandene Nordveranda.<br />
Diese Nordveranda, die nur von außen<br />
zugänglich war, wurde in den 1930er Jahren<br />
zusammen mit einem Teil des nördlichen<br />
Hauptbaukörpers abgerissen. Dieser<br />
nördliche Teil wurde um ca. 4 m entfernt,<br />
die beiden Fenster links der Loggia fehlen<br />
heute, die vier Fenster an der nördlichen<br />
Wand im 1. Stock sind jetzt auf zwei Fenster<br />
reduziert worden. Der Dacherker ist<br />
ebenfalls entfernt worden. Man kann nur<br />
vermuten, warum man das Haus so stark<br />
verändert hat; wollte man den großen<br />
Festsaal auf diese Weise verkleinern? Seitdem<br />
fehlt dem Bau die Harmonie; die Veränderungen<br />
kann man noch heute gut<br />
an dem etwas veränderten gelben Backstein<br />
erkennen. An dieser nördlichen Seite<br />
steht heute der Kita-Anbau. Ein großer<br />
Störfaktor stellt seit drei Jahren die an der<br />
Rückwand rechts neben der Loggia angebrachte<br />
Feuerleiter mit hässlicher Holzverkleidung<br />
dar. Früher wurde unterschieden<br />
zwischen einem Ober- und Untergarten.<br />
Beide Gärten waren verbunden mit einer<br />
„Brücke“ genannten steinernen Treppe,<br />
welche im Winkel mit Brückenbögen<br />
die Straße „Am Wasser“ überquerte und<br />
durch verschieden größere und kleine Ab-<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
21
sätze verbunden war. Damals gab es noch<br />
ein Hofmeierhaus, links vor dem Landhaus<br />
„Windeck“, vorne an der Straße mit der<br />
Nr. 37 gelegen, heute ein Mehrfamilienhaus<br />
der 1970er Jahre, ebenso einen Pferdestall-<br />
und ein Remisengebäude sowie<br />
eine Reihe Gewächs- und „Traubenhäuser“.<br />
Im Untergarten zur Lesum hin standen<br />
drei Glashäuser. Zum oberen Grundstück<br />
gehörend standen damals westlich<br />
an der tiefsten Stelle noch zwei niedersächsische<br />
Bauernhäuser mit Strohdächern:<br />
„Altgrohneck“ und „Neugrohneck“<br />
genannt, welche aber frühzeitlich verkauft<br />
wurden. Wilhelm Tideman hat diese Häuser<br />
noch bewohnt. „Neugrohneck“ (erbaut<br />
1834, seit 1981 unter Denkmalschutz<br />
stehend) existiert noch heute und liegt direkt<br />
an der Straße „Am Wasser“ Nr. 10 hinter<br />
dem Havenhöft. „Altgrohneck“ wurde<br />
abgerissen. Bis zu diesen Häusern reichte<br />
früher das Grundstück. Wilhelm Tideman<br />
erwähnt in seinen „Erinnerungen“ auch<br />
zwei große Bäume, die heute noch immer<br />
rechts und links des Eingangs zu dem<br />
Hauptgebäude stehen: rechts eine große<br />
Eiche und links eine Linde, unter der früher<br />
oft gefeiert wurde. Diese Linde musste<br />
leider stark gekürzt werden, da sie nach<br />
einem Rückschnitt in den 1970er Jahren<br />
anfing zu faulen.<br />
Durch die heutige Verwendung des Hauses<br />
als „Kinder- und Familienzentrum“ hat<br />
das Innere trotz strengen Denkmalschutzes<br />
vielfältige Veränderungen erfahren.<br />
Aktuelle Nutzung<br />
Immerhin ist der ehemalige Zustand<br />
noch gut zu erahnen und auch zu sehen.<br />
Bei einer Inspektion mit der Leiterin dieses<br />
Zentrums, Frau Irene Goldschmidt, und<br />
anderen Mitarbeiterinnen, konnte ich alle<br />
Räumlichkeiten einsehen. Das besterhaltene<br />
Zimmer ist das ehemalige Herrenzimmer<br />
links neben dem Eingang. Das große,<br />
mit Blei unterteilte Fenster in dunkelbraunem<br />
Holzfunier zeigt noch heute die ehemalige<br />
Klasse, in gleicher Farbe ist der<br />
Durchgang zur Terrasse nach Süden ausgebaut,<br />
wobei Tür, Oberlicht und seitlicher<br />
Durchblick mit Bleiverglasung ausgefüllt<br />
sind. Früher waren die Wände dieses Raumes<br />
ringsum mit dunkelbraunem Holz verkleidet<br />
Die Heizkörper sind ebenfalls dunkelbraun<br />
verkleidet und bilden hölzerne,<br />
breite Ablagen. Gegenüber dem großen<br />
Fenster befindet sich der große, verzierte<br />
Kamin aus grauem Sandstein, dazu ein<br />
feuerfester Fliesenschutz davor. Die Decke<br />
über dem Kaminbereich ist mit rotbrauen<br />
bemalten Brettern mit weißen Blüten ausgelegt,<br />
unterbrochen von weißen Balken.<br />
rechten Seite noch eine halbrunde Ablage<br />
mit Nische eingebaut wurde. Der ehemalige<br />
Fliesenfußboden mit reich verzierten<br />
einzelnen, kleinen Fliesen ist erhalten und<br />
wird durch eine Auslegware geschützt.<br />
Die auffällig großen, verwendeten Außenfensterscheiben<br />
der Terrasse gab es bereits<br />
damals und waren für die damalige Zeit<br />
etwas Besonderes. Von dieser Terrasse hat<br />
man einen einmaligen Blick auf Lesum und<br />
Weser. Hinter der Südterrasse (Loggia) befindet<br />
sich der große Festsaal, der früher<br />
Schauplatz großer Veranstaltungen war,<br />
aber auch als Esszimmer genutzt wurde.<br />
Kamin mit Balkendecke im Herrenzimmer<br />
Über eine steile Treppe geht es in den<br />
1. Stock. Die Treppe ist neu, das Geländer<br />
stammt noch aus damaliger Zeit. Das<br />
Licht in dieses Treppenhaus fällt durch ein<br />
großes Fenster mit Rundbogen sowie Jugendstilornamenten<br />
in Bleiverglasungen.<br />
Dieser Rundbogen ist Anfang des Jahrhunderts<br />
hinzugefügt worden, was man<br />
deutlich den neuen gelben Backsteinen ansieht.<br />
Früher befanden sich in der 1. Etage<br />
die Schlaf- und Fremdenzimmer sowie ein<br />
Turmzimmer über der Loggia.<br />
Haus „Windeck“ heute, Westseite<br />
Ulf Fiedler berichtete im Nordteil des<br />
„Weser-Kuriers“ vom Verkauf des Gebäudes<br />
im Jahre 1910 an den Reeder Friedrich<br />
Bischoff durch die Erben des Reeders<br />
Tideman. Friedrich Bischoff hatte sein großes<br />
Anwesen in der Weserstraße an die<br />
Enkelin Elisabeth Lange des Schiffbauers<br />
Lange verkauft und wohnte fortan, nach<br />
Heirat der Tochter Marie von Johannes Tideman,<br />
in der Villa „Windeck“, bis er 1920<br />
in Bad Oeynhausen verstarb. Während<br />
der NS-Herrschaft erwarb Dr. Adolf Kunz<br />
das Anwesen. Er gehörte von 1934-1945<br />
dem Vorstand der Norddeutschen Steingut<br />
an. Wegen unmenschlicher Behandlung<br />
der Fremdarbeiter in dieser Firma wurde<br />
er 1945 von den Amerikanern enteignet,<br />
konnte aber noch das Hofmeierhaus kaufen<br />
und weiter bewohnen. Die Amerikaner<br />
machten das Haus „Windeck“ in der Nachkriegszeit<br />
zu ihrem Offizierskasino.<br />
Durchgang zur Terrasse<br />
Fenster im Herrenzimmer<br />
In der dem Wohnzimmer vorgelagerten<br />
Südterrasse fällt sofort die graubraune Fliese<br />
auf, die links und rechts der eben beschriebenen<br />
Durchgangstür gegenüber der<br />
Fensterfront verbaut wurde, wobei auf der<br />
Jugendstilfenster über dem Eingang<br />
Von hier aus, dem 1. Stockwerk, führt<br />
eine steile Treppe nach oben zum Turm.<br />
Auffällig bei allen Räumen ist, dass damals<br />
22 RUNDBLICK Frühjahr 2019
viele Wandschränke eingebaut worden<br />
sind. In fast jedem Raum findet man Wandschränke.<br />
Die Schränke sind alle gut erhalten<br />
und die Außenwände der Schränke<br />
weiß gestrichen. Die Heizkörper sind alle<br />
mit weißgestrichenem Holz teilweise verdeckt.<br />
Unter dem Dach befanden sich die<br />
Zimmer der Angestellten, ein Zimmer zeigt<br />
noch einen Alkoven. Dieser Bereich wird<br />
heute nicht mehr genutzt. Dicke Eichenstämme<br />
stützen und tragen die Dachkonstruktion,<br />
das Ganze macht einen stabilen<br />
Eindruck und bietet viel Platz zur Ablage für<br />
tausend Sachen.<br />
Von dem Dachgeschoss führt eine noch<br />
steilere, gewundene Holztreppe zur Turmplattform<br />
hinauf. Bis man oben angekommen<br />
ist, passiert man noch zwei Zwischenetagen.<br />
Durch die Fenster kommt viel Licht<br />
und die Aussicht wird von Stufe zu Stufe<br />
schöner. Die obere Plattform wird durch<br />
eine Kunststoffkuppel verschlossen. Und<br />
dann steht man plötzlich ganz oben auf<br />
der kleinen Plattform, die malerisch von<br />
Zinnen umrahmt ist. Die Aussicht ist atemberaubend<br />
und beindruckend. Zu Füßen<br />
liegen Bremen-Nord mit Lesum und Weser,<br />
in der Ferne kann man die Bremer Innenstadt<br />
erahnen. Dieser <strong>Rundblick</strong> ist wirklich<br />
eindrucksvoll und unvergesslich! Das<br />
Mauerwerk und die ganze Konstruktion<br />
machen einen guten und sicheren Eindruck.<br />
Mir wurde berichtet, dass einmal<br />
im Jahr die Kinder nacheinander alle auf<br />
den Turm geführt würden, damit auch sie<br />
in den Genuss dieses herrlichen Ausblicks<br />
kämen. Die Mitarbeiterinnen sowie die Kinder<br />
dieser Einrichtung sind sich durchaus<br />
der herausragenden Stellung ihrer Arbeitsstätte<br />
bewusst. Den Kindern wird versucht,<br />
das Gebäude als etwas Besonderes zu vermitteln,<br />
das sie sonst nirgendwo zu sehen<br />
bekommen würden.<br />
Auf der Turmspitze<br />
Von ganz oben geht es nach ganz unten.<br />
Wir gehen in den Keller. Das Haus ist zu<br />
ca. 80 % unterkellert. Dort unten finden<br />
wir starke Mauergewölbe und dicke eingemauerte<br />
Säulen. Der Fußboden des gesamten<br />
Kellers ist mit großen Sandsteinplatten<br />
ausgelegt. Hier hat man eine moderne Heizung<br />
installiert, es gibt eine große Waschküche,<br />
in der vor allem Handtücher der<br />
vielen Kinder gewaschen und getrocknet<br />
werden.<br />
Seit 1955 wird die Villa „Windeck“ nach<br />
Ersteigerung durch den Bremer Staat als<br />
Kindergarten genutzt. Der Villa ist ein flacher<br />
Anbau 1975 nordseitig angefügt, in<br />
dem auch die Küche untergebracht ist. Ein<br />
weiterer Bungalow steht separat nördlich<br />
des Hauses. Das Ganze wird von der Stadt<br />
Bremen betrieben und nennt sich „Kinder-<br />
und Familienzentrum Haus Windeck“.<br />
Leiterin ist seit Dezember 2017 Frau Irene<br />
Goldschmidt aus Delmenhorst. Die Einrichtung<br />
beherbergt 160 Kinder in zehn Gruppen<br />
mit einem Alter von 1 bis 6 Jahren.<br />
Die ehemaligen Räume sind heute kindgerecht<br />
umbenannt worden und nennen sich<br />
„Gruppenraum der Eulen“ (Esszimmer),<br />
„Schmetterlingsraum“ (Wohnzimmer),<br />
„Katzengruppe“ (Südveranda). Im 1. Stock<br />
heißen die ehemaligen Schlafzimmer heute<br />
„Ballbad“ und „Marienkäfergruppe“. Das<br />
ehemalige Jungmädchenzimmer nennt<br />
sich jetzt „Hängemattenraum“.<br />
Familientreffen<br />
Vor ca. zwei Jahren fand ein Familientreffen<br />
der Tidemans in Bremen statt. Die<br />
Teilnehmer entschieden sich während dieses<br />
Treffens spontan für einen Ausflug zum<br />
Stammsitz der Tidemans, zum Haus „Windeck“.<br />
Dort wurden sie von den Mitarbeiterinnen<br />
der Kitas empfangen.<br />
„Windeck“ sollte nicht das einzige Haus<br />
mit Turm am hohen Grohner Ufer bleiben.<br />
Einige 100 m weiter östlich an der Straße<br />
„Auf dem Berge“ Nr. 10 hat sich der ehemalige<br />
Inhaber der Bremer Tauwerk-Fabrik,<br />
Claus Hinrich Michelsen III ebenfalls ein<br />
großes Haus mit dem Namen „Villa Sorgenfrei“<br />
direkt am Hang im Jahr 1898 mit<br />
hohem, rundem Turm erbaut. Der Bau von<br />
damals ist heute allerdings modern reduziert,<br />
renoviert und umgebaut worden.<br />
Bei den Recherchen zum Haus „Windeck“,<br />
seinem Werdegang und zu den<br />
Jahren der Nachkriegszeit waren mir insbesondere<br />
folgende Mitarbeiterinnen der<br />
„Kita Windeck“ sehr behilflich: Frau Irene<br />
Goldschmidt, Frau Elisabeth Kuhl-Kruse<br />
und Frau Hannelore Wellmann-Witte. Für<br />
die vielen Erklärungen und das erläuternde<br />
Fotomaterial sage ich „vielen herzlichen<br />
Dank!“<br />
So hat der Erbauer dieses schönen Hauses<br />
„Windeck“ einen Besitz hinterlassen,<br />
der wie viele andere Landsitze oder Gärten<br />
in Bremen, Lebensart und Schönheitssinn<br />
seines Eigentümers widerspiegeln und damit<br />
in vielerlei Hinsicht prägend und berührend<br />
wird für nachfolgende Generationen.<br />
Quellennachweis:<br />
– Rudolf Stein: Klassizismus und Romantik<br />
in der Baukunst Bremens II, 1965, Verlag<br />
Hauschild Bremen<br />
– Bremische Biographie 1912-1962, 1969,<br />
Verlag Hauschild Bremen<br />
– Wolfgang Brönner: Die bürgerliche Villa in<br />
Deutschland 1830-1890, 1994, Wernersche<br />
Verlagsgesellschaft Worms<br />
– Agnes Schneider: Grohn – damals und heute,<br />
Verlagshaus Friedrich Pörtner, 1981<br />
– Wilhelm Tideman: Windeck-Buch der Erinnerung,<br />
Hauschild Bremen, 1968<br />
– Wilhelm Tideman; Aufsätze-Gedenkreden-<br />
Briefe-Dokumente. Hauschild Bremen, 1983<br />
– Robert Lamken: Geschichtliches aus Grohn<br />
und Bremen-Nord, Hauschild Bremen 1989<br />
– Sophie Hollanders: Vegesack – Alte Bilder einer<br />
Hafenstadt, Heinrich Döll Verlag, Bremen<br />
1984<br />
– Ulla Schulz, Hannelore Wellmann-Witte:<br />
Geschichte des Hauses Windeck in Bremen<br />
Grohn. 2005<br />
– Landesamt f. Denkmalpflege: Haus Windeck,<br />
Staffage, Wikipedia<br />
– Haus Windeck: Wikipedia<br />
– Eine Villa zeigt Vegesacker Geschichte: Weser-<br />
Kurier, Wikipedia<br />
– Johannes Tideman (1799-1887) – Genealogy<br />
Fotos: Eigene Dateien<br />
Dr. Hans Christiansen, 2019<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
23
Ein Juwel in Bremen-Nord:<br />
Wätjens Park<br />
Die Unternehmensentwicklung<br />
der Reederfamilie<br />
Wätjen<br />
Flagge von D. H. Wätjen und Co.<br />
(Quelle: Wikipedia.org)<br />
Will man die Anfänge des späteren Imperiums<br />
der Familie Wätjen erkunden, dann<br />
muss man bis in das Jahr 1749 und auf den<br />
niedersächsischen Ort auf dem Hollen bei<br />
Martfeld in der Grafschaft Hoya zurückgehen.<br />
Hier wurde der Stammvater der Familie,<br />
Johann Diedrich Heinrich Julius Wätjen<br />
geboren. Wie schon in früheren Zeiten üblich,<br />
heirateten die Besitzerfamilien nach<br />
dem Grundsatz, Hof zu Hof und Geld zu<br />
Geld. So war dann auch die Fami lie Wätjen<br />
durch ihren später erworbenen Reichtum<br />
mit den angesehendsten und wohlhabendsten<br />
Bre mer Reeder- und Kaufmannsfamilien<br />
verwandt schaftlich verbunden.<br />
Doch gehen wir noch einmal zurück<br />
auf den Spross der Wätjen Dynastie, Johann<br />
Diedrich Hein rich Julius Wätjen, der<br />
im Jahre 1793 die einzige Tochter des Peter<br />
Brüning, Rebecca Adelheid, hei ratete<br />
und somit auf einem großen Bauernhof in<br />
Walfangflotte von D. H. Wätjen und Co. um 1840 vom Maler Carl Justus Harmen Fedeler<br />
©Hermann Gutmann<br />
Ochtmanien bei Vilsen sesshaft wurde. Der<br />
Stamm vater der Familie Wätjen verstarb<br />
1829. Drei seiner Söhne wurden Kaufleute<br />
in Bremen. Der älteste Bruder handelte erfolgreich<br />
mit amerikanischen Tabaken und<br />
betrieb nebenbei noch eine Kerzenfab rik.<br />
Die Wätjen-Brüder waren außerordentlich<br />
fleißig, sie gründeten Filialen im Ausland,<br />
lernten Fremdsprachen und blieben untereinander<br />
eng ver bunden. Ihre berufliche<br />
Verbindung zu ausländi schen Handelshäusern<br />
schuf den Einstieg und die Grundlage<br />
zur Entwicklung eines Weltunterneh mens.<br />
Durch die zwischen England und Frankreich<br />
ausgebrochenen Feindseligkeiten Anfang<br />
des 19. Jahrhunderts und der damit<br />
verbundenen Kontinen talsperre kam auch<br />
die bremische Handelsschiffahrt fast zum<br />
Erliegen. Die damals englische Insel Helgoland<br />
diente als wichtiger Handelsplatz.<br />
Wenn auch nicht immer auf legale Weise,<br />
so erwirtschaf ten die Wätjen-Brüder ein beträchtliches<br />
Kapital. Von seinem Vermögen<br />
konnte Diedrich Heinrich Wätjen (1785-<br />
1858) am 22. Januar 1823 den in Konkurs<br />
geratenen elterlichen Hof in Ochtmanien<br />
für 5.000 Taler für die Familie ersteigern.<br />
Mit viel Wagemut schuf Diedrich Heinrich<br />
Wät jen im Jahre 1829 den Grundstein<br />
zu seinem welt umfassenden Handelschiffsunternehmen.<br />
Die eige ne Schiffsflotte<br />
wurde später durch seinen Sohn Christian<br />
Heinrich Wätjen ständig erweitert, sodass<br />
1883 nunmehr 43 Segelschiffe und vier<br />
Dampfschiffe unter der Wätjen-Flagge –<br />
ein weißes W auf blauem Grund – die Weltmeere<br />
befuhren. Der Handel flo rierte mit<br />
Nord- und Südamerika, wobei Kolonialwaren,<br />
Tabak, Zucker, Kaffee und Wein auf<br />
dem Seeweg transportiert wurden. Es war<br />
in der Zeit, in der die Auswanderungsbewegung<br />
einen enormen Aufschwung erreichte.<br />
Auch daran war dieses Un ternehmen<br />
erfolgreich beteiligt.<br />
In den 30er Jahren des vorletzten Jahrhunderts<br />
beteiligte sich die Reederei Wätjen<br />
am Walfang an der Grönländischen<br />
Küste.<br />
Im Jahre 1837 wurde Diedrich Heinrich<br />
Wätjen zum Senator der Freien Hansestadt<br />
Bremen ge wählt. Seine Frau Christina Elisabeth,<br />
geborene Osmers, verstarb kurz nach<br />
der Geburt ihres einzi gen Kindes, Christian<br />
Heinrich Wätjen. Nach einer Schul- und<br />
Berufsausbildung vertrat er die väterliche<br />
Firma in London und New York. Die<br />
Aufent halte im Ausland boten auch die Gelegenheit,<br />
fremdländische Gewächse und<br />
Gehölze für den Park in Bremen-Blumenthal,<br />
fachmännisch beur teilt, auszusuchen.<br />
Vater und Sohn ergänzten sich sowohl in<br />
geschäftlichen Fragen als auch mit der Planung<br />
der Parkgestaltung außerordentlich.<br />
Park und Schloss<br />
in Bremen-Blumenthal<br />
Wie sehr sich doch die Vorgänge ähneln.<br />
Ver gleicht man den Grunderwerb des Baron<br />
Ludwig Knoop in St. Magnus mit den<br />
Kaufinteressen der Familie Wätjen, stellt<br />
man fest, dass in beiden Fällen bäuerliche<br />
Landbesitzer ihre Ländereien für spätere<br />
Parkanlagen veräußert haben. 1830 hat<br />
Diedrich Heinrich Wätjen von dem Landwirt<br />
Johann von Harten vier nebeneinander<br />
liegende, mit alten Bäu men bestandene<br />
Grundstücke, erworben. Dieses Areal befand<br />
sich nach damaliger Bezeichnung<br />
zwischen der Weser und der „Langen Straße“.<br />
Die fachliche Gestaltung dieser Landschaftsparkanlage<br />
wurde dem Bremer Isaak<br />
Hermann Altmann über tragen.<br />
Im Vergleich zu Knoops Park in St. Magnus,<br />
bei dem das Parkgelände – so lange<br />
die Herrschafts familie dort wohnte – für<br />
die Öffentlichkeit nicht zugänglich war,<br />
gewährte man der Bevölkerung in Blumenthal<br />
zu bestimmten Zeiten den Zutritt in<br />
Wätjens Park.<br />
So schrieb die „Norddeutsche Volkszeitung“<br />
mit Datum vom 31. März 1908,<br />
dass nach vorheriger Anmeldung im Pfortenhaus<br />
der Park ab 15. Mai betreten werden<br />
darf. Das Mitführen von Kinder wagen,<br />
Fahrrädern und Hunden war zwar verboten<br />
und Kinder hatten nur in Begleitung Erwachsener<br />
Zutritt. Ein längeres Verweilen<br />
in der Nähe des herrschaftlichen Hauses<br />
sei unstatthaft und sollte vermieden wer-<br />
24 RUNDBLICK Frühjahr 2019
den. Von den gewährten Öffnungs zeiten<br />
wurden die Sonnabende und die Sonntage<br />
ausgenommen.<br />
Wie schon erwähnt, zählte das Unternehmen<br />
der Familie Wätjen zu den weltgrößten<br />
Schiffsreederei en der damaligen Zeit.<br />
So ist es auch nicht verwun derlich, dass<br />
man darauf bedacht war, in einem gro ßen<br />
Schloss und einem schönen Park zu wohnen<br />
und zu leben.<br />
Wätjens Schloss gehörte zu den renommiertesten<br />
Bauten seiner Art in der hiesigen<br />
Region. Kein Geringerer, als der damalige<br />
Stararchitekt Heinrich Müller, konnte für<br />
die Planung dieses aufwendig gestalteten<br />
Landsitzes gewonnen werden.<br />
Nach relativ langer Bauzeit wurde das in<br />
engli scher Gotik errichtete Schloss im Jahre<br />
1864 bezo gen.<br />
Zweifellos bestätigte dieses große Haus<br />
die Zu friedenheit und auch den Stolz des<br />
Bauherrn. Schriftlichen Überlieferungen<br />
zu Folge wurde die herrschaftliche Pracht<br />
unverhohlen zur Schau ge stellt, wodurch<br />
man in den Ruf kam, dass der zusammengetragene<br />
Reichtum schon eine<br />
gewisse Raffgier verriet.<br />
Agnes Duckwitz, geborene Wätjen,<br />
schreibt in ihren Lebenserinnerungen, dass<br />
sie als Kind den Treppenaufgang und das<br />
obere Turmzimmer wie in einem verwunschenen,<br />
märchenhaften Schloss emp fand.<br />
Von dort oben hatte sie einen weiten Blick<br />
ins Oldenburger Land.<br />
Heute steht Wätjens Schloss zwar unter<br />
Denkmal schutz, doch durch einen Brand<br />
in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts<br />
fehlen das spitze Schiefer dach und<br />
z. T. die seitlichen und vorderen Staffelgiebel.<br />
An das unschöne flache Dach hat<br />
man sich beim Anblick gewöhnen müssen.<br />
Eine Wiederher stellung in der Architektur<br />
von 1864 ist in der Pla nung. Der Förderverein<br />
Wätjens Park würde sich freuen,<br />
wenn Behörden, Stiftungen, Firmen und<br />
Privatpersonen sich zur Unterstützung des<br />
Schloß Wätjen auf einer alten Ansichtskarte<br />
Schloss Wätjen im gegenwärtigen Zustand<br />
(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />
(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />
Vorha bens bereit erklären würden. Nach<br />
erfolgreicher Vollendung der vorgesehenen<br />
baulichen Maßnah men wäre Bremen-Nord<br />
mit Wätjens Schloss und Park um ein beneidenswertes<br />
Landschaftsjuwel reicher.<br />
Im Vergleich zum Schloss Mühlental in<br />
Knoops Park, das 1933 abgerissen worden<br />
ist, wird Wätjens Schloss im gleichnamigen<br />
Park noch weiterhin für Wohnzwecke genutzt.<br />
Des Weiteren befanden sich im Park die<br />
Villa Magdalena mit dem dazu gehörenden<br />
Wasser- und Aussichtsturm sowie das<br />
schöne Schweizerhaus. Bedauerlicherweise<br />
sind beide Häuser der Spitzha cke zum Opfer<br />
gefallen. Lediglich einige ehemalige Bedienstetenunterkünfte<br />
befinden sich noch<br />
auf dem Areal.<br />
Noch heute lässt sich der Wohlstand und<br />
letztlich auch das Geltungsbedürfnis der<br />
Familie Wätjen an dem wiederhergestellten<br />
neoklassizistischen Rund tempel ablesen,<br />
der zur Erinnerung an den Firmen gründer<br />
Christian Heinrich Wätjen im Auftrag sei nes<br />
Sohnes errichtet worden ist.<br />
Die im Jahre 1879 erbaute Blumenthaler<br />
refor mierte Kirche wurde von der Familie<br />
Wätjen mit 200 Tausends Goldmark Baugeld<br />
mitfinanziert, jedoch mit der Auflage,<br />
den alten Turm der dort zuvor gestandenen<br />
Kirche zu erhalten. Man legte Wert darauf,<br />
durch eine Sichtschneise vom Schloss<br />
die Kirche im Blick zu haben.<br />
Bleibt noch zu erwähnen, dass die vor<br />
dem Ein gang zur „Bremer Wollkämmerei“<br />
in Blumenthal befindliche große metallene<br />
Brunnenschale mit Jünglingsfigur ursprünglich<br />
als schmückendes Ele ment im<br />
Park gestanden hat.<br />
Als 1916 durch Konkurs des Wätjen Imperiums<br />
der Park und die Gebäude in andere<br />
Besitzerhände wechselten, wurde das<br />
Areal zweigeteilt. Neben dem „Bremer<br />
Vulkan“ war nun auch die „Bremer Wollkämmerei“<br />
je zur Hälfte Eigentümer. Die<br />
nordbremische Stadtteilbeilage der Tageszeitung<br />
„Weser Kurier“ berichtete im Jahre<br />
2000, dass die Stadtgemeinde die Parkanlage<br />
für 2,95 Millionen DM einem Privatmann<br />
abgekauft hat, der sie 1999 bei der<br />
Zwangsversteigerung für einen deutlich<br />
geringeren Preis erworben hatte.<br />
Dem Vermächtnis von Christian Heinrich<br />
Wätjen folgend, wurden nun wieder beide<br />
Parkhälften ver eint.<br />
Erst die Übertragung an den Bremer Senat<br />
als Eigentümer und die Öffnung für<br />
die Bürger war der Start zur Revitalisierung<br />
dieser rd. 70 ha großen, lange Zeit ungepflegten<br />
Parkanlage. Jahrelang lag dieser<br />
Landschaftsgarten im urwaldähnlichen<br />
Dornröschenschlaf.<br />
Dass in Wätjens Park in den letzten Jahren<br />
viel getan worden ist, erkennt man an<br />
dem schönen Blumengarten an der westlichen<br />
Parkseite. Terras senförmig angelegte<br />
und gepflegte Blumenbeete markieren den<br />
Standort, an dem bis 1987 das er wähnte<br />
Schweizerhaus gestanden hat.<br />
So vielfältig und exotisch die Botanik<br />
und Topo grafie in Wätjens Park auch ist,<br />
so möge man mich von der Erwartung<br />
entbinden, die Bäume, Büsche, Sträucher,<br />
Pflanzen und Blumen einzeln zu beschreiben<br />
und aufzuzählen. Möge es dem<br />
interessierten Leser vorbehalten bleiben,<br />
selber die Schönheiten in diesem neu belebten<br />
Park zu erkun den, denn ein Besuch<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
25
Gedächtnismonument für Chr. H. Wätjen<br />
(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />
in diesem nordbremischen Landschaftsgarten<br />
lohnt sich zu jeder Jahreszeit.<br />
Es ist schon kurios, erst der Verfall und<br />
der Un tergang der mit unermesslichem<br />
Reichtum belade nen Familien des Baron<br />
Zu jeder Jahreszeit zeigt der Park seine Reize.<br />
(Quelle: Rainer Frankenberg)<br />
Knoop in St. Magnus und Wätjen in Blumenthal<br />
gaben die Möglichkeit, dass die<br />
Bevölkerung die schönen Parkanlagen zur<br />
Freu de und Erholung nutzen kann.<br />
Ein besonderer Dank gebührt den leitenden<br />
Her ren des Bauamtes Bremen-Nord<br />
und dem im Jahre 2005 gegründeten Förderkreis<br />
Wätjens Park, die sich um diese<br />
Aufgabe verdient gemacht haben.<br />
Abschließend darf ich auf das im Buchhandel<br />
und beim Förderverein Wätjens<br />
Park erhältliche, reich bebilderte Buch<br />
„Wätjens Park, ein Land schaftspark an<br />
der Weser“ aufmerksam machen. Herausgegeben<br />
ist dieses interessante Buch vom<br />
Bauamt Bremen-Nord unter Federführung<br />
seines Leiters, Christof Steuer, sowie unter<br />
sachkundiger Mitarbeit von Rainer Frankenberg.<br />
Benutzte Quellen/Literatur:<br />
– Bauamt Bremen-Nord, Wätjens Park, ein<br />
Landschaftspark a. d. Weser, 2006<br />
– Zahlreiche Aufsätze in verschiedenen Publikationen<br />
Rudolf Matzner/Lesumer Bote<br />
Einige Fotos wurden freundlicherweise vom<br />
Vorsitzenden des Fördervereins, Wätjens Park,<br />
Herr Rainer Frankenberg, zur Verfügung gestellt.<br />
Trigonometrische Messpunkte<br />
Erhaltung ist eine Herzensangelegenheit<br />
Grasberg. Die Trigonometrie (Dreieckmessung)<br />
ist eine jahrhundertealte Methode,<br />
um die Länge einer geraden Strecke zu<br />
ermitteln.<br />
Dieses System wurde auch von Carl Friedrich<br />
Gauß (*1777, †1855) angewandt. Er<br />
war Mathematiker, Astronom, Geodät und<br />
Physiker. Von 1820 bis 1826 übernahm<br />
er die Leitung der Landesvermessung des<br />
Königreichs Hannover 1) (entspricht in etwa<br />
der Größe des heutigen Bundeslandes Niedersachsen).<br />
Auf dem 10-DM-Schein, der<br />
1990 neu eingeführt wurde, ist er mit seinem<br />
Abbild und der Dreieckmessung verewigt.<br />
Als im Jahr 1876 die Katasterämter gegründet<br />
wurden, erfolgte auch die weitere<br />
Einführung der Trigonometrischen Messpunkte<br />
(TP) bis herab zu 1-km-Abständen<br />
(4. Ordnung). Auf der topografischen Karte<br />
werden diese TP-Steine mit einem aufrechten<br />
Dreieck, das in ihrer Mitte einen Punkt<br />
zeigt, markiert. Sie bestehen aus allseitig<br />
geschliffenem Granit, sind 30 x 30 cm im<br />
Geviert und 80 bis 100 cm. lang. Auf deren<br />
Oberfläche ist ein Kreuz eingemeißelt. Seitlich<br />
davon befindet auf gleicher Weise das<br />
aufgerichtete Dreieck und demgegenüber<br />
die Buchstaben TP. Unterirdisch sind sie auf<br />
einer Granit- oder Stahlplatte ausgerichtet,<br />
in der mittig ein Kreuz gemeißelt ist.<br />
In der Gemeinde Grasberg befinden sich<br />
somit sechs dieser TP-Steine: Zwei an der<br />
Adolphsdorfer Straße und an der Seehauser<br />
Straße. Des Weiteren jeweils einer, am<br />
Mühlendamm in Eickedorf, an der Meinershauser<br />
Straße, Rautendorfer Straße und<br />
Rautendorfer Landstraße.<br />
Der Stein in Eickedorf wurde im Jahr<br />
1965 infolge Landbearbeitung aus ihrer Fixierung<br />
gerissen. Daraufhin errichtete das<br />
Katasteramt Osterholz über diesem TP einen<br />
ca. 40 m hohen Holzturm. So konnten<br />
die zum Teil mehrere Kilometer entfernten<br />
TP angepeilt werden, um mittels der Dreieckmessung<br />
den Stein wieder in die erforderliche<br />
Position zu bringen. Im Zeitalter<br />
der Computertechnik übersteigt es sicher<br />
den zukünftigen Generationen deren Vorstellungskraft,<br />
mit welchen aufwendigen<br />
Stein mit Trigonometrischem Messpunkt<br />
Methoden ihren Altvorderen eine Landvermessung<br />
vorgenommenen haben.<br />
Auch wenn das Katasteramt Osterholz<br />
seit mehreren Jahren die Vermessung von<br />
ihrem Schreibtisch aus über Satellit vornimmt,<br />
legt die Behörde Wert darauf, die<br />
alten Trigonometrischen Messpunkt-Steine<br />
an ihrem festgesetzten Platz zu belassen.<br />
So wird eine anschauliche Messtechnik erhalten,<br />
die über viele Jahrhunderte die Regel<br />
war.<br />
Text und Foto: Harry Schumm<br />
1)<br />
Wikipedia<br />
26 RUNDBLICK Frühjahr 2019
Die Lübberstedter Mühle<br />
Ein Kulturdenkmal lädt zum Kennenlernen ein<br />
Sie ist etwas ganz Besonderes. Von der<br />
Größe her. Aber die Landschaft in der sie<br />
steht, hat auch seinen eigentümlichen Reiz.<br />
Nur zufällig findet sie kein Reisender. Man<br />
muß sie finden wollen. Aber der Reihe nach.<br />
Man schreibt in dem kleinen Ort Lübberstedt,<br />
der heute zum Landkreis Osterholz<br />
gehört, das Jahr 1859. Eine Windmühle,<br />
die auf einer Anhöhe gebaut wurde, nimmt<br />
ihren Betrieb auf. Die Flügel drehen und<br />
drehen sich. Nach genau 50 Jahren trifft<br />
die Mühle im Jahre 1909 ein Blitzschlag.<br />
Sie brennt ab. Noch im gleichen Jahr kaufte<br />
die Müllerfamilie für 16.000 Goldmark<br />
in Rostock eine neue Mühle. Sie wurde am<br />
Lübberstedter Bahnhof angeliefert. Den<br />
Rest besorgten viele Pferdefuhrwerke. Der<br />
Aufbau war dann eine logistische Meisterleistung.<br />
Im November 1909 nahm die<br />
Mühle ihren Betrieb wieder auf. Die vielen<br />
umliegenden Landwirte und Bäcker in den<br />
Dörfern konnten aufatmen.<br />
Wilhelm Bullwinkel kann stolz auf seine<br />
Vorfahren sein. Vier Generationen haben<br />
sich um den Mühlbetrieb gesorgt, mit persönlichem<br />
Einsatz die verschiedenen Getreidesorten<br />
gemahlen und auch mit viel<br />
Geld die Mühle in Schuß gehalten.<br />
Julius Bullwinkel in „seiner“ Mühle.<br />
Neben der Mühle befand sich eine Gaststätte<br />
mit einer Brennerei. Nach dem Mahlgang<br />
stärkten sich die Bauern. Sie hatten<br />
sich viel zu erzählen. War doch in den Dörfern<br />
und Familien in den vergangenen Monaten<br />
so einiges geschehen.<br />
Da soll es schon mal vorgekommen sein,<br />
daß ein Bauer zu tief ins Glas geschaut hatte.<br />
Man legte ihn einfach auf die Mühlsäcke<br />
und die Pferde zockelten los. Den Weg nach<br />
Hause kannten sie ja.<br />
Die Mühle. In einem Teil von Lübberstedt.<br />
1956 hat Julius Bullwinkel – wie viele<br />
andere Müller in Deutschland auch – das<br />
Mühlengewerbe abgemeldet. Aber die<br />
Mühle weiter gepflegt, auch mit Hilfe von<br />
Spenden und Freunden in Gang gehalten.<br />
Im Jahr 2000 erfolgte die Übergabe an<br />
die stets rührige Gemeinde Lübberstedt<br />
für eine D-Mark (Wilhelm Bullwinkel meint<br />
sie sei bis heute noch nicht bei ihm eingetroffen).<br />
Und dann machten die Einwohner<br />
und Gemeinde sich für „ihre“ Mühle stark.<br />
Von ca. 750 Einwohnern sind wohl 170 Mitglieder<br />
im Verein Lübberstedt Mühle e.V.<br />
Und dann kommen noch Mitglieder aus<br />
anderen Regionen hinzu.<br />
Überhaupt: Die Einwohner in dem schuldenfreien<br />
Lübberstedt ziehen alle an einem<br />
Strang. Die Landwirte<br />
halten die Wege in<br />
Ordnung. Es wurde<br />
neben der Mühle<br />
eine „Scheune“ gebaut.<br />
Hier finden viele<br />
Veranstaltungen<br />
statt.<br />
Die Fa. Murken<br />
hat sich besonders<br />
hervorgetan. Ernst<br />
Poppe hat sich z. B.<br />
um Holzschindeln<br />
und die Zähne für<br />
das Mühlrad gekümmert.<br />
2016 wurden<br />
die Mühlenflügel<br />
für 26.000 Euro erneuert.<br />
Das war nur<br />
durch Selbsthilfe der Mitglieder möglich.<br />
Haben doch die Mühlenflügel der Mühle in<br />
Bremen 140.000 Euro gekostet.<br />
In der Mühle befindet sich als Besonderheit<br />
ein Standesamt. Im Jahr 2017 haben<br />
sich übrigens 16 Paare „getraut“.<br />
Neben Uwe Tellmann kümmert sich besonders<br />
Fred Ellmers um die Belange des<br />
Mühlenvereins. Seine Kontakt-Telefonnummer<br />
ist 0 47 93 - 95 33 57.<br />
Wilhelm Bullwinkel, der mit seiner Frau<br />
Elke verheiratet und stolzer Vater von drei<br />
Töchtern ist, kümmert sich heute in seinem<br />
50ha-Betrieb um Acker- und Grünflächen.<br />
Manfred Simmering<br />
RUNDBLICK Frühjahr 2019<br />
27
Zahlen<br />
ist einfach.<br />
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