Nr. 24 (I-2019) - Osnabrücker Wissen
Nr. 24 (I-2019) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de
Nr. 24 (I-2019) - Osnabrücker Wissen
Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />
STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />
Otto Vesper<br />
Wann gab es<br />
<strong>Osnabrücker</strong><br />
„Verfassungsväter“? (2)<br />
Wie entstanden eigentlich Grundrechte? Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das für<br />
Gleichheit vor dem Gesetz, das für freie Wahlen? Wer setzte sich für Verfassungsartikel ein,<br />
die Oppositions-, Meinungs-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit festschrieben? Die<br />
Jahre 1849, 1919 und 1949 stehen allesamt für demokratische Regelwerke, an denen auch frei<br />
gewählte <strong>Osnabrücker</strong> mitgewirkt haben. Um wen ging es dabei?<br />
Insgesamt dreimal ist es in der deutschen<br />
Geschichte nach harten Auseinandersetzungen<br />
gelungen, Grundrechte in Verfassungen<br />
festzuschreiben: Vor 170 Jahren<br />
im Jahre 1849, vor genau 100 Jahren anno<br />
1919 und vor 70 Jahren anno 1949. Jede<br />
der Verfassungen stieß auf den erbitterten<br />
Widerstand demokratiefeindlicher und<br />
rückwärtsgewandter Kräfte. Die ersten<br />
beiden Regelwerke scheiterten, weil sich<br />
nicht genügend Demokraten zur Verteidigung<br />
ihrer Rechte fanden. Selbst heute<br />
ist die Demokratie überall durch immer<br />
mehr Despoten, Demagogen und nationalistische<br />
Hetzer bedroht. Auch deshalb<br />
darf der Wert unserer Grundrechte gar<br />
nicht hoch genug eingeschätzt werden.<br />
Im ersten Teil dieser Abhandlung wurden<br />
der Leserschaft vor allem Johann Detering<br />
(1808-1876) und Carl Theodor<br />
Breusing (1789–1867) vorgestellt, die am<br />
gescheiterten Verfassungswerk von 1849<br />
mitwirkten. Im zweiten Teil stehen hiesige<br />
Parlamentarier im Mittelpunkt, die<br />
aktiv dabei halfen, die Verfassungsartikel<br />
von 1919 durchzusetzen.<br />
Was geschah<br />
vor 100 Jahren?<br />
Das Völkerschlachten des Ersten Weltkrieges<br />
war seit dem Waffenstillstand<br />
von Compiègne am 11. November 1918<br />
beendet. Millionen von Soldaten hatten<br />
das sinnlose Sterben für Kaiser, Vaterland<br />
und Rüstungsindustrie endgültig satt.<br />
Allein in Deutschland hatten mehr als<br />
zwei Millionen Männer an der Front ihr<br />
Leben verloren. Unter ihnen waren 2.200<br />
Söhne und Familienväter aus Osnabrück.<br />
Wie ein Flächenbrand hatten sich landesweit<br />
demokratisch gewählte Arbeiterund<br />
Soldatenräte gebildet. Deren Mehrheit<br />
hatte sich daraufhin, einvernehmlich<br />
mit der mehrheitssozialdemokratischen<br />
Parteispitze um Friedrich Ebert,<br />
gegen tiefgreifende Änderungen von<br />
Wirtschaft und Institutionen und stattdessen<br />
für die schnellstmögliche Einberufung<br />
einer verfassungsgebenden<br />
Nationalversammlung entschieden.<br />
Der Wahlgang für das in Weimar<br />
tagende Gremium fand am 19. Januar<br />
1919 statt.<br />
Was passierte<br />
in Osnabrück?<br />
Bereits einen Tag vor den revolutionären<br />
Ereignissen in Berlin, am 8. November<br />
1918, hatte sich in Osnabrück<br />
unter Führung des Mehrheitssozialdemokraten<br />
und Bürgervorstehers Otto<br />
Vesper (1875-1923) ein Arbeiter- und Soldatenrat<br />
(ASR) gebildet. Seine Mitglieder<br />
kümmerten sich vor allem um die akuten<br />
Versorgungsprobleme der Bevölkerung<br />
und halfen der unverändert belassenen<br />
Stadtverwaltung dabei, die akute Notlage<br />
zu lindern und von der Front heimkehrende<br />
Soldaten zu integrieren. Bereits eine<br />
Woche nach seiner Konstituierung wurde<br />
der ASR, der im örtlichen Schloss amtierte,<br />
mit Mitgliedern bürgerlicher Parteien<br />
sowie durch August Josef Hagemann<br />
(1875-1950) von der katholischen Zentrumspartei<br />
erweitert. Während in vielen<br />
anderen Orten des Reiches revolutionäres<br />
Geschehen die Schlagzeilen bestimmte,<br />
blieb es in Osnabrück eher ruhig. Ausnahmen<br />
bildeten einige wiederholt aufflammende<br />
Hungerproteste großer Teile<br />
der Bevölkerung.<br />
Was war neu am<br />
Wahlgang 1919?<br />
Am 19. Januar 1919, vor fast genau 100<br />
Jahren, war die Wahlen zur verfassungsgebenden<br />
Nationalversammlung angesetzt.<br />
Neben den Frauen profitierten<br />
Otto Vesper © Familienarchiv Ingeborg Hensing / übrige Bilder Bilderl © commons.wikimedia.org / Hintegrund © oly5, fotolia.de<br />
Gedenktafel zur Nationalversammlung von 1919 am Großen Haus<br />
des Deutschen Nationaltheaters in Weimar<br />
vom neuen Wahlrecht auch alle jungen<br />
Leute: Sie durften jetzt bereits mit 20 statt<br />
erst mit 25 Jahren wählen. Die später, im<br />
Sommer 1919 beschlossene erste republikanische<br />
Verfassung sollte dieses Recht<br />
für die nahe Zukunft festschreiben. Auch<br />
in Osnabrück kam es somit erstmals in<br />
der Stadtgeschichte zu einem lebendigen<br />
demokratischen Wahlkampf, der Frauen,<br />
Männer und junge Menschen gemeinsam<br />
ansprach. Ein politisches Parteienspektrum<br />
von kaisertreuen Deutschnationalen<br />
über die Zentrumspartei, Rechts- und<br />
Linksliberale bis hin zu Sozialisten bot der<br />
Wählerschaft eine breite Palette an Wahlalternativen.<br />
Wer zog in die Weimarer<br />
Nationalversammlung?<br />
Zwei <strong>Osnabrücker</strong> wirkten danach in der<br />
Schiller- und Goethestadt aktiv daran mit,<br />
eine republikanische Verfassung zu formulieren:<br />
der Sozialdemokrat Otto Vesper<br />
sowie der Zentrumsvertreter August<br />
Josef Hagemann. Beide waren bereits seit<br />
vielen Jahren engagierte Arbeitersekretäre,<br />
denen insbesondere die Rechte der werktätigen<br />
Bevölkerung am Herzen lagen.<br />
Gewählt wurden beide auf den Wahllisten<br />
ihrer Parteien für den Wahlkreis 15, der<br />
das Gebiet des Regierungsbezirks Osnabrück-Aurich<br />
umfasste. Otto Vesper war<br />
um die Jahrhundertwende als Geselle des<br />
Tapezierer-Handwerks aus Berlin nach<br />
Osnabrück gekommen. Seit 1902 hatte er<br />
mit Unterbrechungen vor Ort als Arbeitersekretär<br />
der Freien Gewerkschaften<br />
gewirkt. Seit 1912 schrieb er als leitender<br />
Redakteur in der SPD-nahen „<strong>Osnabrücker</strong><br />
Abendpost“. Von 1913 an fungierte<br />
er als Bürgervorsteher und seit Herbst<br />
1918 auch als Mitglied des Magistrats. Im<br />
Sommer 1919 sollte Vesper dem neuerrichteten<br />
Arbeitsamt der Stadt Osnabrück<br />
vorstehen, das er bis zu seinem frühen Tod<br />
im Jahre 1923 leitete. Der andere <strong>Osnabrücker</strong><br />
Verfassungsvater, August Josef<br />
Hagemann, war Sohn eines Heuermanns.<br />
In Hopsten hatte er das Schlosserhandwerk<br />
erlernt und als Wandergeselle in Düsseldorf,<br />
Bonn, Köln, Boppard und Mainz<br />
gearbeitet. Anno 1900 war er als Schlosser<br />
zur Eisenbahnwerkstätte Osnabrück gekommen.<br />
1909 wurde er Bürgervorsteher.<br />
1921-22 sollte er auch dem Reichstag angehören,<br />
von 1920 bis 1933 zusätzlich dem<br />
Preußischen Landtag. Nach 1945 gehörte<br />
Hagemann, der einen Beitritt zu der ihm<br />
allzu konservativen CDU ablehnte, zu den<br />
wichtigsten Mitgliedern der neu gegründeten<br />
Zentrumspartei.<br />
Philipp Scheidemann ruft vom<br />
Westbalkon des Berliner Reichstags die Republik aus<br />
Wann gab es die erste<br />
offizielle Verfassung?<br />
Dies war natürlich erst der Fall, nachdem<br />
Verfassungsväter und -mütter ihre Beratungen<br />
zu den einzelnen Artikeln im<br />
Weimarer Nationaltheater abgeschlossen<br />
hatten. In Weimar tagte das Plenum vom<br />
6. Februar 1919 bis zum September 1919,<br />
um sich anschließend bis zum 21. Mai<br />
1920 nach Berlin zu vertagen. Bereits am<br />
31. Juli 1919 hatte die Nationalversammlung<br />
die neue Reichsverfassung mit großer<br />
Mehrheit angenommen. Am 1. August trat<br />
sie feierlich in Kraft. Endlich fanden Ideen<br />
wie das Wahlrecht für beide Geschlechter,<br />
die Gleichheit aller vor dem Gesetz und<br />
die Abschaffung der Standesunterschiede,<br />
die Unverletzlichkeit der Wohnung und<br />
das Recht auf freie Meinung ihre Rechtsgültigkeit.<br />
Erst die Nazis sollten jene Rechte<br />
wieder brutal zerschlagen. Die am 30.<br />
Januar 1933 durch den Reichspräsidenten<br />
Hindenburg erfolgte Machtübergabe an<br />
die Nationalsozialisten liquidierte bis zum<br />
Kriegsende 1945 abrupt und brutal alle<br />
demokratischen Verfassungsrechte, die<br />
im Weimarer Regelwerk festgeschrieben<br />
waren. | Heiko Schulze<br />
20<br />
August Josef Hagemann<br />
21