Nr. 24 (I-2019) - Osnabrücker Wissen

Nr. 24 (I-2019) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de Nr. 24 (I-2019) - Osnabrücker Wissen

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01.04.2019 Aufrufe

STADT- & LANDGESCHICHTEN Wer wusch sich im Mittelalter die Hände in Unschuld? Bei Ausschachtungsarbeiten für das neue L&T Sporthaus in Osnabrück macht ein Baggerfahrer im Sommer 2016 eine erstaunliche Entdeckung. Der leicht verbogene, mehrfach reparierte Gegenstand, den er zutage fördert, steckt tief im Erdreich. Die Oberfläche ist mit einer dünnen Moor- und Flusspatina überzogen. Das Objekt lag also lange Zeit im Feuchtbereich der Hase verborgen, die heute noch direkt entlang des Grundstücks verläuft. Gefunden hatte er eine gravierte Bronzeschale, die auf den ersten Blick vielleicht etwas unscheinbar wirkt. Schaut man genauer hin, entdeckt man jedoch einige interessante Details. Im Mittelmedaillon ist der Hochmut (lat. superbia) als männliche Personifikation mit Dreizack und Schild dargestellt. Die rundum laufende lateinische Inschrift „HAC RADICE MALA NASCITUR OMNE MALUM“ lautet übersetzt „Aus dieser bösen Wurzel ist alles Übel erwachsen“. Um die Hauptfigur sind sieben Büsten gruppiert, deren punkartig abstehende Haare das Wirken teuflischer Mächte anzeigen. Die Köpfe symbolisieren die Laster Geiz (lat. avaricia), Götzendienst (lat. idolatria), Neid (lat. invidia), Zorn (lat. ira), Prunksucht (lat. luxuria), Begierde (lat. libido) und Zwietracht (lat. discordia). Zwischen den Ästen exotisch anmutender Pflanzen Zeichnung © Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück, Zeichnung D. Lau / Übrige Bilder © Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück, U. Haug geben lateinische Inschriften weitere 19 Sünden an. Die Darstellung dieser Motive erinnert stark an die aus der Buchmalerei bekannten Tugend- und Lasterbäume. Wozu diente die Schale? Derartige Schalen, auch Hanseschalen genannt, waren zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert wohl in weiten Teilen Europas verbreitet. Hergestellt wurden sie vornehmlich im Ostseeraum bis ins Baltikum und in England. Die Bezeichnung Hanseschale ist allerdings etwas irreführend, da die Deutsche Hanse, also die Vereinigung der Kaufleute, mit ihren vielfältigen Handelsbeziehungen im Nord- und Ostseeraum erst im 14. Jahrhundert ihren Höhepunkt fand. Die Schalen wurden vermutlich sowohl im weltlichen wie auch im kirchlichen Kontext verwendet. In den wohlhabenden Haushalten der Adels- und Bürgerschicht dienten sie der Handwaschung bei Tisch oder waren Bestandteil der Morgentoilette. Möglicherweise wurden sie auch für liturgische Handlungen während der Messfeier in Kirchen oder Klöstern genutzt. Die Bronzeschalen kommen mit und ohne Gravur vor. Typisches Bildprogramm sind florale Ornamente, geometrische Muster, Szenen der Mythologie, Tierabbildungen und christliche Motive. Personifikationen, wie sie auf sogenannten Tugendund Lasterschalen wiedergegeben sind, waren besonders im 12. Jahrhundert in Mode. Auf zahlreichen Exemplaren werden, nach dem Schema Gut gegen Böse, Laster und Tugenden einander gegenübergestellt. Ist diese Schale echt? Das fragten sich auch die Osnabrücker Archäologen, als sie das Fundstück zum ersten Mal in den Händen hielten und genauer unter die Lupe nahmen. Die „modernen“ Frisuren der Büsten und der gute Erhaltungszustand sowie die vielen Details ließen zunächst Zweifel aufkommen. Es stellte sich jedoch schnell heraus: Für die punkartig anmutenden Frisuren lassen sich passende Vergleichsstücke aus Köln und den Niederlanden finden. Die hohe Qualität des Stückes ist zwar ungewöhnlich, aber nicht einzigartig. Was macht die Schale so besonders? In der Regel ist die Zentralfigur bei Lasterschalen weiblich und nicht – wie hier –männlich. Auffällig ist auch die akkurate Strichzeichnung, die feine Ausarbeitung der verschiedenen Motive verweist auf ein hohes handwerkliches Können. Ganz fehlerfrei hat der Künstler die lateinischen Worte nicht auf die Schale kopiert, im Vergleich mit anderen Exemplaren hat er jedoch sehr sorgfältig gearbeitet, alle Begriffe sind identifizierbar. Die erzieherische Absicht hinter den moralisierenden Abbildungen funktioniert in jedem Fall. Seine Hände buchstäblich in Unschuld waschen kann man in der Lasterschale nicht. Die eigenen Charakterschwächen so deutlich vor Augen geführt zu bekommen, sollte den Benutzer zu einem guten und gottgefälligen Leben anregen. Ob nun die Schale bewusst abgelegt wurde oder zufällig verloren ging, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Dennoch ist sie ein schönes Exponat, das demnächst am Ort seiner Entdeckung im neuen L&T Sporthaus zu sehen sein wird. | Judith Franzen und Sara Snowadsky 18

STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />

Wer wusch sich im Mittelalter<br />

die Hände in Unschuld?<br />

Bei Ausschachtungsarbeiten für das neue L&T Sporthaus in Osnabrück macht ein Baggerfahrer<br />

im Sommer 2016 eine erstaunliche Entdeckung. Der leicht verbogene, mehrfach reparierte<br />

Gegenstand, den er zutage fördert, steckt tief im Erdreich. Die Oberfläche ist mit einer dünnen<br />

Moor- und Flusspatina überzogen.<br />

Das Objekt lag also lange Zeit im Feuchtbereich<br />

der Hase verborgen, die heute<br />

noch direkt entlang des Grundstücks<br />

verläuft. Gefunden hatte er eine gravierte<br />

Bronzeschale, die auf den ersten<br />

Blick vielleicht etwas unscheinbar wirkt.<br />

Schaut man genauer hin, entdeckt man<br />

jedoch einige interessante Details.<br />

Im Mittelmedaillon ist der Hochmut<br />

(lat. superbia) als männliche Personifikation<br />

mit Dreizack und Schild dargestellt.<br />

Die rundum laufende lateinische<br />

Inschrift „HAC RADICE MALA<br />

NASCITUR OMNE MALUM“ lautet<br />

übersetzt „Aus dieser bösen Wurzel ist<br />

alles Übel erwachsen“.<br />

Um die Hauptfigur sind sieben Büsten<br />

gruppiert, deren punkartig abstehende<br />

Haare das Wirken teuflischer Mächte<br />

anzeigen. Die Köpfe symbolisieren<br />

die Laster Geiz (lat. avaricia),<br />

Götzendienst (lat. idolatria), Neid<br />

(lat. invidia), Zorn (lat. ira),<br />

Prunksucht (lat. luxuria), Begierde<br />

(lat. libido) und Zwietracht (lat.<br />

discordia). Zwischen den Ästen<br />

exotisch anmutender Pflanzen<br />

Zeichnung © Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück, Zeichnung D. Lau / Übrige Bilder © Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück, U. Haug<br />

geben lateinische Inschriften weitere 19<br />

Sünden an. Die Darstellung dieser Motive<br />

erinnert stark an die aus der Buchmalerei<br />

bekannten Tugend- und Lasterbäume.<br />

Wozu diente die Schale?<br />

Derartige Schalen, auch Hanseschalen<br />

genannt, waren zwischen dem 11. und<br />

13. Jahrhundert wohl in weiten Teilen<br />

Europas verbreitet. Hergestellt wurden<br />

sie vornehmlich im Ostseeraum bis ins<br />

Baltikum und in England. Die Bezeichnung<br />

Hanseschale ist allerdings etwas<br />

irreführend, da die Deutsche Hanse,<br />

also die Vereinigung der Kaufleute, mit<br />

ihren vielfältigen Handelsbeziehungen<br />

im Nord- und Ostseeraum erst im 14.<br />

Jahrhundert ihren Höhepunkt fand.<br />

Die Schalen wurden vermutlich sowohl<br />

im weltlichen wie auch im kirchlichen<br />

Kontext verwendet. In den wohlhabenden<br />

Haushalten der Adels- und<br />

Bürgerschicht dienten sie der<br />

Handwaschung bei Tisch<br />

oder waren Bestandteil<br />

der Morgentoilette.<br />

Möglicherweise wurden<br />

sie auch für<br />

liturgische Handlungen<br />

während der<br />

Messfeier in Kirchen<br />

oder Klöstern genutzt.<br />

Die Bronzeschalen kommen<br />

mit und ohne Gravur<br />

vor. Typisches Bildprogramm sind<br />

florale Ornamente, geometrische Muster,<br />

Szenen der Mythologie, Tierabbildungen<br />

und christliche Motive. Personifikationen,<br />

wie sie auf sogenannten Tugendund<br />

Lasterschalen wiedergegeben sind,<br />

waren besonders im 12. Jahrhundert in<br />

Mode. Auf zahlreichen Exemplaren werden,<br />

nach dem Schema Gut gegen Böse,<br />

Laster und Tugenden einander gegenübergestellt.<br />

Ist diese Schale echt?<br />

Das fragten sich auch die <strong>Osnabrücker</strong><br />

Archäologen, als sie das Fundstück zum<br />

ersten Mal in den Händen hielten und<br />

genauer unter die Lupe nahmen. Die<br />

„modernen“ Frisuren der Büsten und<br />

der gute Erhaltungszustand sowie die<br />

vielen Details ließen zunächst Zweifel<br />

aufkommen.<br />

Es stellte sich jedoch schnell heraus: Für die<br />

punkartig anmutenden Frisuren lassen<br />

sich passende Vergleichsstücke aus Köln<br />

und den Niederlanden finden. Die hohe<br />

Qualität des Stückes ist zwar ungewöhnlich,<br />

aber nicht einzigartig.<br />

Was macht die Schale so besonders?<br />

In der Regel ist die Zentralfigur bei<br />

Lasterschalen weiblich und nicht – wie<br />

hier –männlich. Auffällig ist auch die<br />

akkurate Strichzeichnung, die feine<br />

Ausarbeitung der verschiedenen Motive<br />

verweist auf ein hohes handwerkliches<br />

Können. Ganz fehlerfrei<br />

hat der Künstler die<br />

lateinischen Worte<br />

nicht auf die Schale<br />

kopiert, im Vergleich<br />

mit anderen Exemplaren<br />

hat er jedoch<br />

sehr sorgfältig gearbeitet,<br />

alle Begriffe<br />

sind identifizierbar.<br />

Die erzieherische Absicht<br />

hinter den moralisierenden<br />

Abbildungen funktioniert<br />

in jedem Fall. Seine Hände buchstäblich<br />

in Unschuld waschen kann man in der<br />

Lasterschale nicht. Die eigenen Charakterschwächen<br />

so deutlich vor Augen geführt<br />

zu bekommen, sollte den Benutzer<br />

zu einem guten und gottgefälligen Leben<br />

anregen.<br />

Ob nun die Schale bewusst abgelegt<br />

wurde oder zufällig verloren ging, lässt<br />

sich heute nicht mehr rekonstruieren.<br />

Dennoch ist sie ein schönes Exponat, das<br />

demnächst am Ort seiner Entdeckung<br />

im neuen L&T Sporthaus zu sehen sein<br />

wird. | Judith Franzen und Sara Snowadsky<br />

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