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RA 04/2019 - Entscheidung des Monats

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<strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />

ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />

RaubbeierzwungenerPreisgabeeines<br />

Verstecks


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Inhaltsverzeichnis


<strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

Strafrecht<br />

215<br />

Problem: Raub bei erzwungener Preisgabe eines<br />

Verstecks<br />

Einordnung: Strafrecht BT II/Raub und räuberische Erpressung<br />

BGH, Beschluss vom 27.11.2018<br />

2 StR 254/18<br />

EINLEITUNG<br />

In der vorliegenden <strong>Entscheidung</strong> befasst sich der BGH mit der Frage, ob<br />

eine erzwungene Preisgabe eines Beuteverstecks, aus dem der Täter dann<br />

die begehrte Beute selbst holen muss, als Raub, § 249 I StGB, oder als räuberische<br />

Erpressung, §§ 253 I, 255 StGB strafbar ist. Außerdem geht es um den<br />

beim Raub erforderlichen raum-zeitlichen Zusammenhang von qualifiziertem<br />

Nötigungsmittel und Wegnahme.<br />

SACHVERHALT<br />

Der Angeklagte K hatte von dem Verdacht erfahren, dass der Nebenkläger N<br />

eine Cannabis-Plantage betreibe. Zusammen mit dem Mitangeklagten S fasste<br />

er den Plan, die Pflanzen und die wertvolle technische Ausrüstung an sich zu<br />

bringen, um damit den Betrieb einer eigenen Plantage zu ermöglichen.<br />

Am Tattag trafen sich K und S, der seinen Bruder F als Verstärkung mitgebracht<br />

hatte, auf einem Parkplatz nahe dem Wohnhaus <strong>des</strong> N. Alle waren sich<br />

darüber im Klaren, dass es darum ging, von N die Nennung <strong>des</strong> Standorts der<br />

Plantage durch Drohung oder Gewalt zu erzwingen. Die einzelnen Zwangsmittel<br />

wurden nicht besprochen, sondern den vor Ort agierenden Tätern<br />

überlassen. Außerdem sollte N bis zum „Leerräumen“ der Plantage über<br />

mehrere Stunden festgehalten werden. K nannte den Brüdern den Namen<br />

und die Adresse <strong>des</strong> N. S und F begaben sich zum Wohnhaus <strong>des</strong> N und klingelten.<br />

Als N die Wohnungstür öffnete, drängten sie ihn in die Wohnung,<br />

fesselten ihn mit Klebeband und fragten ihn nach dem Ort der Plantage.<br />

Als N angab, nichts von einer Plantage zu wissen, schlugen sie mehrfach auf<br />

ihr Opfer ein. S informierte daraufhin K telefonisch, dass N nichts wisse. Als<br />

K entgegnete, dass dies nicht sein könne, äußerte S, dass er dann anders<br />

agieren müsse, nahm eine im Raum befindliche Schere, hielt sie N vor und<br />

drohte ihm damit, seine Finger einzeln abzuschneiden. N, der unter dem<br />

Eindruck der körperlichen Misshandlungen To<strong>des</strong>angst hatte, wusste sich<br />

schließlich nicht anders zu helfen, als S und F eine fiktive Örtlichkeit zu<br />

nennen. Während F den N weiter in der Wohnung festhielt, ging S zu dem<br />

in der Nähe wartenden K. Gemeinsam machten sie sich mit dem Auto auf<br />

den Weg zu dem von N genannten Ort und hielten telefonischen Kontakt zu<br />

F. Noch während der Suche gelang es N, sich aus der Wohnung zu befreien<br />

und die Polizei zu verständigen. Die von F telefonisch über die Flucht informierten<br />

K und S gaben schließlich die Suche nach der Plantage auf.<br />

LEITSATZ (DER REDAKTION)<br />

Bei der erzwungenen Preisgabe <strong>des</strong><br />

Versteckes einer noch wegzunehmenden<br />

Beute handelt es sich um<br />

einen (versuchten) Raub.<br />

Dieser Sachverhalt eignet sich aus<br />

Prüfersicht hervorragend als Vorlage<br />

für eine Examensklausur und es<br />

ist mit an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlichkeit zu erwarten,<br />

dass er als solche herangezogen<br />

wird. Nicht nur müssen hier die<br />

klassischen Examensprobleme der<br />

Abgrenzung von § 249 I StGB und<br />

§§ 253 I, 255 StGB in der schwierigen<br />

Variante der Versteckpreisgabe diskutiert<br />

werden. Auch geht es um<br />

das Problem <strong>des</strong> erforderlichen<br />

raum-zeitlichen Zusammen hangs<br />

beim Raub sowie um die Anforderungen<br />

an das gefährliche Werkzeug<br />

i.S.v. § 250 I Nr. 1a) StGB, bei<strong>des</strong><br />

mittlerweile Standardprobleme im<br />

Examen. Auch § 239a I StGB ist zu<br />

prüfen. Wenn man auch noch die<br />

Strafbarkeit <strong>des</strong> K prüfen lässt, dann<br />

kommen auch noch Probleme aus<br />

dem Bereich Täterschaft und Teilnahme<br />

zum Tragen, nämlich die<br />

Frage nach einer Täterschaft trotz<br />

fehlender Anwesenheit am Tatort.<br />

Alles in allem enthält dieser Fall eine<br />

extrem hohe Dichte an klassischen<br />

und – zumin<strong>des</strong>t bei den Prüfern –<br />

beliebten Examensproblemen.<br />

Haben F und S sich wegen der Begehung von Verbrechen strafbar gemacht?<br />

Bearbeitervermerk: Die Strafbarkeit wegen der Verwendung der Schere ist nicht zu<br />

prüfen.<br />

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216 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

PRÜFUNGSSCHEMA: <strong>RA</strong>UB, § 249 I StGB<br />

A. Tatbestand<br />

I. Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />

II. Fremde bewegliche Sache<br />

III. Wegnahme<br />

IV. Vorsatz bzgl. I. – III.<br />

V. Finalzusammenhang<br />

VI. Absicht rechtswidriger Zueignung<br />

B. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

LÖSUNG<br />

A. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB<br />

F und S könnte sich dadurch, dass sie N dazu zwangen, ihnen den Standort der<br />

Cannabis-Plantage zu verraten, wegen mittäterschaftlichen schweren Raubes<br />

gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB strafbar gemacht haben.<br />

I. Tatbestand<br />

F und S müssten zunächst den Tatbestand <strong>des</strong> Grunddelikts, §§ 249 I, 25 II<br />

StGB, verwirklicht haben.<br />

Gewalt gegen eine Person ist<br />

der unmittelbar oder mittelbar auf<br />

den Körper <strong>des</strong> Opfers bezogene,<br />

körperlich wirkende Zwang zur<br />

Überwindung geleisteten oder<br />

erwarteten Widerstands.<br />

Sache ist jeder körperliche<br />

Gegenstand.<br />

Beweglich ist eine Sache, die tatsächlich<br />

fortgeschafft werden kann.<br />

Fremd ist eine Sache, die zumin<strong>des</strong>t<br />

auch im Eigentum einer anderen<br />

Person steht.<br />

1. Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />

Durch die Schläge haben F und S Gewalt gegen eine Person angewendet.<br />

Außerdem haben sie dem N angekündigt, ihm die Finger abzuschneiden,<br />

sodass auch eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben<br />

vorliegt. F und S haben somit qualifizierte Nötigungsmittel angewendet.<br />

2. Fremde bewegliche Sache<br />

Die Cannabis-Pflanzen und die technische Ausrüstung, die F und S erbeuten<br />

wollten, standen im Eigentum <strong>des</strong> N und waren somit für F und S fremde<br />

bewegliche Sachen.<br />

3. Wegnahme<br />

F und S müssten diese Sachen weggenommen, also fremden Gewahrsam<br />

daran gebrochen und neuen, nicht unbedingt eigenen, Gewahrsam begründet<br />

haben.<br />

F und S haben jedoch die Plantage und die begehrten Sachen nicht gefunden<br />

und <strong>des</strong>halb nichts weggenommen.<br />

II. Ergebnis<br />

F und S sind nicht strafbar gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB.<br />

B. Strafbarkeit gem. §§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB<br />

Durch das Erzwingen der Preisgabe <strong>des</strong> Standorts der Plantage könnten F und<br />

S sich aber wegen mittäterschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung gem.<br />

§§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB strafbar gemacht haben.<br />

I. Tatbestand<br />

S und F müssten zunächst den Tatbestand <strong>des</strong> Grunddelikts, §§ 253 I, 255,<br />

25 II StGB, erfüllt haben.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

Strafrecht<br />

217<br />

1. Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />

F und S haben qualifizierte Nötigungsmittel angewendet (s.o.).<br />

2. Opferreaktion<br />

Die Preisgabe <strong>des</strong> angeblichen Standorts der Plantage durch N müsste eine<br />

tatbestandliche Opferreaktion darstellen. Welche Anforderungen an die<br />

Opferreaktion bei den Erpressungsdelikten zu stellen sind, ist streitig.<br />

Nach der sog. Spezialitätstheorie genügt als Opferreaktion bei den Erpressungsdelikten<br />

– dem Wortlaut <strong>des</strong> § 253 I StGB entsprechend – je<strong>des</strong> Tun,<br />

Dulden oder Unterlassen. Die Nennung <strong>des</strong> angeblichen Standortes der<br />

Plantage stellt eine Handlung dar, sodass nach dieser Meinung eine tatbestandliche<br />

Opferreaktion <strong>des</strong> N vorliegt.<br />

Die sog. Exklusivitäts- oder Verfügungstheorie verlangt hingegen als Opferreaktion<br />

bei den Erpressungsdelikten – aufgrund der strukturellen Verwandtschaft<br />

dieser Delikte zu § 263 I StGB – ebenso wie beim Betrug eine Vermögensverfügung<br />

<strong>des</strong> Opfers. Da N einen Standort genannt hat, an dem sich gar<br />

keine Plantage befand, hat er durch seine Handlung sein eigenes Vermögen<br />

nicht – auch nicht mittelbar – gemindert. Er hat hierdurch nicht einmal eine<br />

Gewahrsamsgefährdung bewirkt. Somit liegt keine Vermögensverfügung und<br />

damit nach dieser Meinung auch keine tatbestandliche Opferreaktion vor.<br />

Zwar ist der Verfügungstheorie zuzugestehen, dass es sich bei den Erpressungsdelikten<br />

ebenso wie beim Betrug um Selbstschädigungsdelikte handelt,<br />

sodass eine Übertragung der Anforderungen <strong>des</strong> § 263 StGB an die Opferreaktion<br />

auf die §§ 253, 255 StGB nahe liegt. Jedoch übersieht diese Meinung,<br />

dass der Begriff der Vermögensverfügung stets eine Freiwilligkeit impliziert,<br />

die bei einem unbewussten Selbstschädigungsdelikt wie § 263 StGB unproblematisch<br />

ist, bei bewussten Selbstschädigungsdelikten wie §§ 253; 255 StGB<br />

aber nicht gegeben sein kann. Schon <strong>des</strong>halb überzeugt die Prüfung einer<br />

Vermögensverfügung bei den Erpressungsdelikten nicht. Außerdem kann die<br />

Verfügungstheorie bei Anwendung von vis absoluta zu Strafbarkeitslücken<br />

führen, wenn (z.B. wegen der fehlenden Zueignungsabsicht) keine Strafbarkeit<br />

wegen Raubes vorliegt. Denn bei Ausschaltung <strong>des</strong> Willens <strong>des</strong> Opfers kann<br />

dieses nicht mehr verfügen, sodass nach der Verfügungstheorie auch die<br />

Erpressungsdelikte ausscheiden müssen. Der Spezialitätstheorie ist zu folgen.<br />

Eine tatbestandliche Opferreaktion liegt vor.<br />

3. Vermögensnachteil<br />

Die Nennung der fiktiven Adresse hat nicht zu einer Vermögensminderung<br />

bei N geführt (s.o.), sodass auch kein Vermögensnachteil gegeben ist.<br />

Vgl. hierzu die Darstellung bei<br />

Schumacher/Schweinberger, JU<strong>RA</strong><br />

INTENSIV, Strafrecht BT I, Rn 374<br />

BGH, Urteil vom 20.<strong>04</strong>.1995,<br />

4 StR 27/95, NJW 1995, 2799; Krey/<br />

Hell mann/Heinrich, Strafrecht BT II,<br />

Rn 433<br />

BeckOK, StGB, § 253 Rn 7; Schönke/<br />

Schröder, StGB, § 253 Rn 8; Rengier,<br />

Strafrecht BT I, § 11 Rn 25 ff.<br />

Ein Vermögensnachteil liegt vor,<br />

wenn der Gesamtwert <strong>des</strong> Vermögens<br />

<strong>des</strong> Opfers durch die Tat<br />

verringert wurde.<br />

II. Ergebnis<br />

F und S sind nicht strafbar gem. §§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1a), b), 25 II StGB.<br />

C. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1a), b), 25 II, 22, 23 I StGB<br />

Durch das Erzwingen der Preisgabe <strong>des</strong> Verstecks könnten F und S sich<br />

jedoch wegen versuchten schweren Raubes in Mittäterschaft gem. §§ 249 I,<br />

250 I Nr. 1a), b), 25 II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben.<br />

I. Vorprüfung<br />

Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat ist nicht gegeben (s.o.).<br />

Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus dem Verbrechenscharakter <strong>des</strong><br />

Delikts, §§ 250 I, 12 I StGB, i.V.m. § 23 I StGB.<br />

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218 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

Tatentschluss ist der Wille zur<br />

Verwirklichung der objektiven<br />

Tatbestandsmerkmale beim gleichzeitigen<br />

Vorliegen der besonderen<br />

subjektiven Tatbestandsmerkmale.<br />

I. Tatentschluss<br />

1. Bzgl. <strong>des</strong> Grunddelikts, §§ 249 I, 25 II StGB<br />

a) Bzgl. qualifizierter Nötigungsmittel<br />

F und S wollten qualifizierte Nötigungsmittel anwenden, nämlich sowohl<br />

Gewalt gegen eine Person als auch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für<br />

Leib und Leben.<br />

b) Bzgl. fremder beweglicher Sache<br />

F und S wussten, dass die Cannabis-Pflanzen und die technischen Geräten im<br />

Eigentum <strong>des</strong> N standen, also für sie fremde bewegliche Sachen darstellten.<br />

BGH, Beschluss vom 02.12.2010,<br />

4 StR 476/10, NStZ-RR 2011, 80<br />

BGH, Beschluss vom 13.10.2005,<br />

5 StR 366/05, NStZ 2006, 38;<br />

Schönke/Schröder, StGB, § 249 Rn 2<br />

c) Bzgl. Wegnahme<br />

F und S müssten auch Tatentschluss bzgl. der Wegnahme dieser Sachen<br />

gehabt haben. Sie hatten sich vorgestellt, dass sich die Sachen in der Plantage<br />

<strong>des</strong> N, also in seiner Gewahrsamssphäre befinden würden. Somit hatten sie<br />

Tatentschluss bzgl. fremden Gewahrsams. Durch die geplante Mitnahme<br />

der Sachen wollten sie auch neuen Gewahrsam begründen.<br />

Sie müssten auch Tatentschluss bzgl. eines Gewahrsamsbruchs gehabt<br />

haben. Nach der Spezialitätstheorie richtet sich das Vorliegen eines Gewahrsamsbruchs<br />

i.R.v. § 249 I StGB nach dem äußeren Erscheinungsbild. F und S<br />

wollten die Sachen ohne weitere Mitwirkung <strong>des</strong> N aus der Plantage entfernen,<br />

sodass sie sich ein Geschehen vorstellten, dass vom äußeren Erscheinungsbild<br />

eine Wegnahme darstellen würde.<br />

„[6] Bei der erzwungenen Preisgabe <strong>des</strong> Versteckes einer noch wegzunehmenden<br />

Beute handelt es sich um einen (versuchten) Raub. Die<br />

mittäterschaftlich handelnden Angeklagten haben den Nebenkläger allein<br />

<strong>des</strong>halb gefesselt, geschlagen und bedroht, um die spätere Wegnahme der<br />

am Ort der Plantage erwarteten Gegenstände zu ermöglichen.“<br />

F und S hatten also Tatentschluss bzgl. einer Wegnahme.<br />

d) Bzgl. § 25 II StGB<br />

F und S hatten sich vorgestellt, die Tat aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses<br />

im Wege arbeitsteiligen Zusammenwirkens auszuführen, hatten<br />

also Tatentschluss bzgl. einer mittäterschaftlichen Begehung i.S.v. § 25 II<br />

StGB.<br />

BGH, Urteil vom 22.06.2016, 5 StR<br />

98/16, <strong>RA</strong> 2016, 553; Urteil vom<br />

20.01.2016, 1 StR 398/15, <strong>RA</strong> 2016,<br />

381<br />

e) Finalzusammenhang<br />

F und S haben die qualifizierten Nötigungsmittel angewendet, um die geplante<br />

Wegnahme zu ermöglichen, sodass der für einen Raub erforderliche Finalzusammenhang<br />

gegeben ist.<br />

Allerdings setzt § 249 I StGB auch einen raum-zeitlichen Zusammenhang<br />

zwischen qualifiziertem Nötigungsmittel und Wegnahme voraus, den F und S<br />

sich vorgestellt haben müssten.<br />

„[6] […] Der zwischen Gewaltanwendung und Wegnahme erforderliche<br />

örtliche und zeitliche Zusammenhang war nach den Feststellungen<br />

gegeben, da einer der Täter den Nebenkläger bewachte, während die<br />

anderen die Plantage suchten und dabei telefonischen Kontakt mit dem<br />

Bewacher hielten.“<br />

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<strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

Strafrecht<br />

219<br />

f) Zueignungsabsicht<br />

F und S hatten die Absicht, die Wertsachen ihrem eigenen Vermögen einzuverleiben<br />

(Aneignungsabsicht) und den Berechtigten dauerhaft aus der Eigentümerposition<br />

zu verdrängen (Enteignungswille), haben also mit Zueignungsabsicht<br />

gehandelt.<br />

g) Bzgl. Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung<br />

F und S wussten, dass sie keinen Anspruch auf die beabsichtigte Zueignung<br />

hatten und hatten <strong>des</strong>halb Tatentschluss bzgl. der Rechtswidrigkeit der<br />

beabsichtigten Zueignung.<br />

2. Bzgl. der Qualifikation, § 250 I StGB<br />

a) Bzgl. § 250 I Nr. 1a) StGB<br />

F und S könnten Tatentschluss bzgl. <strong>des</strong> Beisichführens eines anderen<br />

gefährlichen Werkzeugs, § 250 I Nr. 1a) 2. Fall StGB, gehabt haben. Dann<br />

müsste das Klebeband ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 250 I Nr. 1a)<br />

2. Fall StGB darstellen.<br />

Da § 250 I Nr. 1a) StGB – anders als § 224 I Nr. 2 StGB – eine Verwendung <strong>des</strong><br />

Werkzeugs nicht voraussetzt – kann die Gefährlichkeit <strong>des</strong> Werkzeugs sich<br />

beim schweren Raub auch nicht aus der konkreten Verwendung <strong>des</strong> Werkzeugs<br />

ergeben. Deswegen lässt sich die Definition <strong>des</strong> § 224 I Nr. 2 StGB, die<br />

aber gerade hierauf abstellt, nicht übertragen. Streitig ist, wie die Gefährlichkeit<br />

<strong>des</strong> Werkzeugs bei § 250 I Nr. 1a) StGB dann zu bestimmen ist.<br />

Eine Meinung stellt auf die abstrakt mögliche Verwendung <strong>des</strong> Werkzeugs<br />

ab, ob dieses also generell als Verletzungswerkzeug i.S.v. § 224 I Nr. 2 StGB<br />

eingesetzt werden könnte. Nach dieser Meinung wäre das Klebeband ein<br />

anderes gefährliches Werkzeug, da man mit diesem – insb. durch Abkleben<br />

der Atemwege – erhebliche Verletzungen zufügen könnte.<br />

Andere Meinungen halten die typische oder die vom Täter vorgestellte Verwendung<br />

für maßgeblich oder aber verlangen einen „single-use-Gegenstand“,<br />

der also in der konkreten Tatsituation keine andere Verwendung<br />

haben kann als die als Verletzungswerkzeug i.S.v. § 224 I Nr. 2 StGB. Die<br />

Verwendung eines Klebeban<strong>des</strong> zur Verletzung <strong>des</strong> Opfers ist beim Raub<br />

aber weder typisch noch hatten F und S sich eine solche vorgestellt und<br />

offensichtlich konnten sie das Klebeband auch anders einsetzen denn als<br />

Verletzungswerkzeug. Nach diesen Meinungen wäre das Klebeband also<br />

kein anderes gefährliches Werkzeug. Der BGH geht davon aus, dass hier eine<br />

objektiv-individuelle Einzelfallbetrachtung erforderlich sei. Auch eine<br />

solche würde aber das Klebeband nicht als gefährliches Werkzeug erscheinen<br />

lassen.<br />

Wenn man für die Gefährlichkeit nur auf die abstrakt mögliche Verwendung<br />

abstellen würde, dann würde der Qualifikationstatbestand <strong>des</strong> § 250 I<br />

Nr. 1a) StGB ausufern und das Grunddelikt faktisch leerlaufen, weswegen<br />

dieser Lösungsansatz abzulehnen ist. Nach den anderen Meinungen haben<br />

F und S also keinen Tatentschluss zum Beisichführen eines anderen gefährlichen<br />

Werkzeugs.<br />

Für abstrakt mögliche Verwendung:<br />

Schroth, NJW 1998, 2864; Hörnle,<br />

JU<strong>RA</strong> 1998, 169<br />

Für typische Verwendung: Krey/<br />

Hellmann/Heinrich, BT II, Rn 185<br />

Für vorgestellte Verwendung:<br />

Wessels/Hillenkamp, BT II, Rn 275;<br />

Graul, JU<strong>RA</strong> 2000, 2<strong>04</strong><br />

Für „single-use Gegenstand“: Schlothauer/Sättele,<br />

StV 1998, 505<br />

BGH, Beschluss vom 21.07.2012,<br />

5 StR 286/12, <strong>RA</strong> 2012, 586<br />

b) Bzgl. § 250 I Nr. 1b) StGB<br />

„[6] […] Im Hinblick auf den von allen Tätern gebilligten Einsatz <strong>des</strong> mitgebrachten<br />

Klebebands zur Fesselung und Knebelung ist der Qualifikationstatbestand<br />

<strong>des</strong> § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB erfüllt.“<br />

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220 Strafrecht <strong>RA</strong> <strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

F und S hatten also Tatentschluss zur Verwirklichung der Qualifikation<br />

gem. § 250 I Nr. 1b) StGB.<br />

Ein unmittelbares Ansetzen ist<br />

dann gegeben, wenn der Täter die<br />

Schwelle zum „jetzt geht es los“<br />

überschritten und eine Handlung<br />

vorgenommen hat, die nach seiner<br />

Vorstellung ohne wesentliche<br />

Zwischenschritte in die Tatbestandsverwirklichung<br />

einmünden sollte,<br />

sodass aus seiner Sicht das<br />

geschützte Rechtsgut bereits<br />

konkret gefährdet ist.<br />

II. Unmittelbares Ansetzen, § 22<br />

F und S hatten das qualifizierte Nötigungsmittel bereits angewendet und<br />

spätestens in dem Zeitpunkt, in dem K und S an dem von N genannten Ort<br />

ankamen, haben sie auch zur Wegnahme unmittelbar angesetzt.<br />

III. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

F und S handelten rechtswidrig und schuldhaft.<br />

IV. Kein Rücktritt gem. § 24 II StGB<br />

Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt von F und S gem. § 24 II<br />

StGB sind nicht gegeben.<br />

V. Ergebnis<br />

F und S sind strafbar gem. §§ 249 I, 250 I Nr. 1b), 25 II, 22, 23 I StGB.<br />

D. Strafbarkeit gem. §§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1b), 25 II, 22, 23 I StGB<br />

Nach der Spezialitätstheorie ist bei einem (versuchten schweren) Raub immer<br />

eine (versuchte schwere) räuberische Erpressung mitverwirklicht, die jedoch<br />

hinter dem spezielleren Raub zurücktritt.<br />

E. Strafbarkeit gem. §§ 239a I 1. Fall, 25 II StGB<br />

Durch das Fesseln <strong>des</strong> N könnten F und S sich wegen mittäterschaftlichen<br />

erpresserischen Menschenraubs gem. §§ 239a I 1. Fall, 25 II StGB strafbar<br />

gemacht haben.<br />

I. Tatbestand<br />

Durch das Fesseln haben F und S sich <strong>des</strong> N bemächtigt. Mangels Ortsveränderung<br />

<strong>des</strong> Opfers ist ein Entführen aber nicht gegeben.<br />

F und S handelten als Mittäter i.S.v. § 25 II StGB.<br />

Sie handelten auch vorsätzlich.<br />

Sie müssten auch die Absicht gehabt haben, die Sorge <strong>des</strong> Opfers um<br />

sein Wohl oder sie Sorge eines Dritten um das Wohl <strong>des</strong> Opfers zu einer<br />

Erpressung auszunutzen. F und S hatten die Absicht, die Sorge <strong>des</strong> N um<br />

sein Wohl zu einem (schweren) Raub auszunutzen. Da der Raub nach der<br />

Spezialitätstheorie stets eine (räuberische) Erpressung enthält, ist auch eine<br />

Erpressungsabsicht i.S.v. § 239a I 1. Fall StGB gegeben. F und S hatten außerdem<br />

vor, eine stabilisierte Zwangslage zur Begehung <strong>des</strong> geplanten Vermögensdelikts<br />

auszunutzen. Somit haben Sie den Tatbestand <strong>des</strong> § 239a I 1. Fall StGB<br />

als Mittäter verwirklicht.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

F und S handelten rechtswidrig und schuldhaft.<br />

III. Ergebnis<br />

F und S sind strafbar gem. §§ 239a I 1. Fall, 25 II StGB<br />

F. Strafbarkeit gem. §§ 239b I 1. Fall, 25 II StGB<br />

Die Strafbarkeit wegen mittäterschaftlicher Geiselnahme, §§ 239b I<br />

1. Fall, 25 II StGB, tritt hinter dem mittäterschaftlichen erpresserischen<br />

Menschenraub, §§ 239a I 1. Fall, 25 II StGB, zurück.<br />

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Im Frage- und Antwortsystem werden kompakt<br />

die Kernproblematiken <strong>des</strong> zu Erlernenden abgefragt<br />

und Ihr Problembewusstsein für die Klausur<br />

geschult. Dabei geht es durchgehend neben der<br />

Vermittlung abstrakten Wissens, stets auch um die<br />

Herstellung eines Klausurbezugs. Die Karteikarten<br />

verstehen sich als Begleitung zum Kursprogramm.<br />

Das Nachkaufset<br />

ca. 270 Karteikarten<br />

Auch Sie sollen natürlich von unseren umfangreichen<br />

Aktualisierungen, Ergänzungen und fortan<br />

vollständig ausgefüllten Karteikarten profitieren.<br />

Alle in diesem Set enthaltenen Karteikarten<br />

ersetzen die nicht ausgefüllten Karteikarten aus<br />

dem Karteikartenkasten mit Stand August 2018.<br />

Jura Intensiv<br />

Zum<br />

Vorteilspreis:<br />

20,- €<br />

Zivilrecht<br />

BGB AT • Schuldrecht AT • Schuldrecht BT • Bereicherungsrecht<br />

Mobiliarsachenrecht • Immobiliarsachenrecht • Deliktsrecht<br />

Familienrecht • Erbrecht • ZPO I • ZPO II<br />

Strafrecht<br />

Strafrecht AT I • Strafrecht AT II • Strafrecht BT I<br />

Strafrecht BT II • Strafrecht BT III • Strafprozessrecht<br />

Öffentliches Recht - länderspezifischer Teil<br />

Verwaltungsrecht AT • Verwaltungsprozessrecht<br />

Kommunalrecht • Polizei- und Ordnungsrecht • Baurecht<br />

Staatsorganisationsrecht • Grundrechte • Staatshaftungsrecht<br />

• Europarecht<br />

Nebengebiete<br />

Arbeitsrecht • Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

verlag.jura-intensiv.de<br />

Inhaltsverzeichnis


Jetzt zur<br />

VOLLVERSION<br />

WISEN...,<br />

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<strong>04</strong>/<strong>2019</strong><br />

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