Al Ard Magazin Ausgabe 8
Das Arabisch/Deutsche Kulturmagazin
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Fenster 7 Fenster 7<br />
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الشباك السابع<br />
الشباك السابع<br />
FENSTER<br />
GESCHICHTE LUCAS MACHWITZ<br />
ILLUSTRATIONEN CHRISTIN LOHMANN<br />
Mein Goldfischglas steht nicht ohne Grund auf der Fensterbank.<br />
So kann ich glauben, dass ich meine Nachbarin<br />
durch mein Küchenfenster unbemerkt beobachten<br />
kann. Hey, ich bin kein Spanner, ich fütter nur meinen<br />
kleinen Fisch. Guck ruhig hin, ich bin Tierlieb. Ich bin<br />
fähig eine emotionale Bindung aufzubauen. Ich bin verantwortungsbewusst.<br />
Ich kann den Ernährer spielen. So<br />
wird es für sie aussehen, so muss es für sie aussehen.<br />
In Wirklichkeit ist das schon mein 42. Goldfisch und ich<br />
bekomme mich nicht mal selbst ernährt. Sagen wir es<br />
so, ich hänge irgendwo zwischen Studium und Job fest.<br />
Obwohl ich mich dabei weder bemüht habe das eine abzuschließen,<br />
noch das andere anzufangen. Aber ich hab<br />
einfach so wahnsinnig viel zu tun. Jeden Tag muss ich<br />
mich bücken, wie soll ich da die Karriereleiter hochklettern?<br />
Ich krümel 42 sein Goldfischfutter ins Glas und<br />
starre in ihr Fenster auf der anderen Straßenseite.<br />
Sie scheint wie viele dem Selbstoptimierungswahn<br />
verfallen zu sein und dehnt sich an ihrer Fensterbank.<br />
Wieso ist es ein verdammtes Schönheitsideal den Körper<br />
eines Kriegers zu besitzen, wenn es doch sonst im<br />
Leben nur darum geht, es sich so bequem wie möglich<br />
zu machen? Die fetten Leute sollten die Begehrten sein.<br />
Hey, ihr habt es geschafft, so faul und unbeweglich ist<br />
sonst keiner, ihr müsst verdammt clever sein, mit so<br />
wenig Bewegung durchs Leben zu kommen. Lass uns<br />
noch fettere Kinder zeugen, um zu gucken, wo das alles<br />
hinführt!<br />
Ich selbst habe leider nicht das Geld und die Zeit fett<br />
zu werden. Die Hampelmänner und Kniebeugen von<br />
ihr lassen mich abschweifen. Sie lässt ihre Vorhänge<br />
bei ihrem täglichen Workout immer offen. Sie macht<br />
diese Übungen am Fenster wirklich für mich. Anders<br />
kann ich mir das nicht erklären. In ihren kurzen Pausen<br />
zwischen den Trainingssätzen blickt sie manchmal zu<br />
mir hoch. Ich vertiefe mich dann in die Fürsorge zu 42.<br />
Stecke meine Hand ins Goldfischglas und streichle ihn.<br />
Dieses Mal guckt sie länger als sonst zu mir. Das ist<br />
mehr als nur ein flüchtiger Blick. Sie scheint fasziniert<br />
von mir. Ich muss ihr etwas bieten. Sie muss sehen,<br />
was für ein liebenswürdiger Mensch ich bin. Ich greife<br />
mir 42, hole ihn aus seinem Glas, küsse ihn flüchtig und<br />
reibe ihn an meiner Wange. Nach ein paar Atemzügen<br />
des liebevollen Innehaltens schiele ich vorsichtig zu ihrem<br />
Fenster rüber. Sie ist weg. Ich lasse 42 zurück ins<br />
Glas plumpsen und zieh mich in mich selbst zurück.<br />
Ich weiß nicht so recht, wie man Kontakt zu Menschen<br />
herstellt. Irgendwie hat es nie geklappt. Das liegt<br />
wahrscheinlich daran, dass ich immer so wahnsinnig,<br />
wahnsinnig viel um die Ohren habe. So was wie<br />
Freunde brauchen viel Zeit. Sehr sehr sehr viel Zeit.<br />
Eigentlich schon zu viel Zeit. Das fängt ja schon damit<br />
an, dass man erst mal welche finden muss, dann<br />
muss man er / sie / es / sie ansprechen und dann<br />
muss man sich ja auch noch gegenseitig mögen. Das<br />
ist ein instabiles Geflecht aus Menschenhandwerk<br />
und Menschenkunst. Aber wenn mein Handy schon<br />
kein Netzwerk findet, finde ich doch erst recht keins.<br />
Ich schaue tief ins Glas, 42 verzerrt durch seine ungleichmäßigen<br />
Flossenzüge mein Spiegelbild. Carpe<br />
Diem. Dieser Fisch dreht sich im Kreis. Nichtstun ist<br />
das neue Carpe Diem. Ich such mir meinen Weg durch<br />
die Küche und lege mich aufs Sofa im Flur. Es war<br />
eine gute Idee, das Sofa hierhin zu stellen. Im Wohnzimmer<br />
riecht es komisch, da war ich seit einem halben<br />
Jahr nicht mehr drin. Fürs Fernsehen Gucken<br />
fehlt mir eh die Zeit. Ich rolle mich auf den Bauch<br />
und drücke meine Gesichtshälfte ins Kissen. Die Krümel<br />
auf meinem Kissen und die Krümel aus meinem<br />
Kopf vermischen sich. Studentenfutter, denke ich, und<br />
döse weg.<br />
Wie gewöhnlich wache ich drei Stunden später auf.<br />
Greife nach den letzten Fitzeln aus einer herumliegenden<br />
Flasche und suche mir meinen Weg zum<br />
Küchenfenster. 42 schwimmt mit dem Bauch nach<br />
oben. Scheiße, wie ist denn das jetzt wieder passiert.<br />
Hoffentlich hat sie es noch nicht bemerkt. Eine Panikwelle<br />
schwappt in mir hoch, steigt mir bis zum Hals,<br />
nimmt mir die Luft zum Atmen, kleine Tropfen fluten<br />
meine Stirn, ich reiße die Augen auf und stutze. Ich<br />
schaue zu ihr ins Fenster und dort hängt ein Zettel<br />
mit einem großen „Hey“ drauf geschrieben.<br />
Die Panik ist weg, die Stirn trocken, die Atmung, oh,<br />
ich habe kurz vergessen zu atmen. Stattdessen verharre<br />
ich mit dem toten 42 und lese immer wieder<br />
diese wunderschöne Buchstabenfolge. Ruckartig zie-<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 03/18<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 03/18