Al Ard Magazin Ausgabe 8
Das Arabisch/Deutsche Kulturmagazin
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18<br />
العالم ألول أدوالتشفي تحكم Überschrift<br />
Die erste Welt 19<br />
DIE ERSTE<br />
WELT<br />
GESCHICHTE MOAZ CHIBANI<br />
FOTOS EBERHARD GROSSGASTEIGER, HER-<br />
MES-RIVERA, ALEXANDER KRIVITSKIY,<br />
ASHTON MULLINS, IAN ESPINOSA<br />
Ich bin wie ein Geist, wie eine Statue geworden.<br />
Der Winter hier in Deutschland ist sehr lang, sehr kalt und sehr hart. Nichts macht seine Kälte und Härte<br />
leichter - bis auf die Familienwärme und -liebe. Aber demjenigen, der alles verloren hat und einsam<br />
geworden ist – wie ich –, wird zu einem Menschen, der keinen Geist hat und auf den Tod wartet, damit er<br />
seiner verstorbenen Familie nachfolgen kann.<br />
Ich hätte niemals gedacht, dass ich so sein werde, wie<br />
ich es jetzt bin: Ein Flüchtling in einem fremden Land.<br />
Ich weiß nicht, wie ich hierher gelangt bin. Das war meine<br />
letzte Station nach einer langen Reise, auf der ich<br />
die ideale Welt, von der ich meiner Tochter erzählt hatte,<br />
als wir im Krieg eingeschlossen waren, gesucht habe.<br />
Es waren schwere Tage; unser Haus wurde beschossen<br />
und wir wurden gezwungen, uns in einem Zufluchtsort<br />
unter der Erde – ohne etwas zu essen oder zu trinken<br />
– zu verstecken. Selbst die Luft war mit Staub und Blutgeruch<br />
vermischt. Ich sah meine Tochter Hunger leiden<br />
und konnte ihr nicht helfen. Das Gefühl der Machtlosigkeit<br />
ist einfach tödlich. Meine Tochter schmiegte sich an<br />
mich und ich erzählte ihr von dieser idealen Welt, zu der<br />
ich sie nach dem Ende des verdammten Krieges mitnehmen<br />
wollte.<br />
Sie fragte mich: ‚‚Gibt es da Essen?‘‘. Ich antwortete: ‚‚Ja<br />
meine Tochter, da ist viel Essen. ‘‘ Dann fragte sie mich:<br />
‚‚Gibt es da Spiele?‘‘. Ich sagte: ‚‚Ja meine Tochter, da<br />
findest du viele Spiele, Essen, Schokolade, Süßigkeiten<br />
und alles, was du willst. ‘‘ Dann lächelte sie und sagte:<br />
‚‚Ich will eines Tages dorthin gehen, denn hier werden<br />
die Kinder getötet, verbrannt und gequält und ich habe<br />
Angst davor, dass ich getötet oder verbrannt werde. ‘‘<br />
Dann drückte ich sie an mich, während mein Herz<br />
brannte, und sagte: ‚‚Hab keine Angst meine Tochter!<br />
Wir werden das überleben und aus diesem Ort herauskommen.<br />
Dann werden wir gemeinsam zu diesem idealen<br />
Ort gehen: Du, ich und deine Mama. ‘‘ Sie starrte<br />
mich an und fragte: ‚‚Und die anderen? ‘‘ Hier schaute<br />
ich mich in diesem engen Raum, wo wir gerade gewissermaßen<br />
Schutz fanden um und sah die auf dem Boden<br />
verstreuten Kinder und Frauen. Jeder tröstete den<br />
anderen, aber in ihren Augen sah man die Angst, die Panik<br />
und das Leiden durch Hunger. Ich sagte ihr danach:<br />
‚‚Die anderen kommen auch noch mit, meine Tochter. ‘‘<br />
Ihren Hunger und Kummer vergessend, lächelte sie und<br />
umarmte mich. Ihre Mutter wusste jedoch, dass wir<br />
wahrscheinlich diesen Ort nicht lebendig verlassen<br />
würden. Sie schwieg nur… und betete.<br />
Der verhängnisvolle Tag kam: Unser Versteck wurde<br />
mit Raketen angegriffen. Es war stockfinster und ich<br />
konnte mich wegen der Trümmer nicht mehr bewegen…<br />
ich war im Begriff zu ersticken... ich fühlte mich<br />
ganz erschöpft… ich wollte für immer und ewig schlafen…<br />
Aber!!! Meine Tochter… Laila… Laila… Lailaaaaaa.<br />
Niemand außer mir überlebte. Ich wünschte, man<br />
hätte mich niemals gerettet! Ich wünschte, man hätte<br />
mich auch mit meiner Familie sterben lassen! Ich<br />
suchte tagelang in den Trümmern nach den Leichen<br />
meiner Tochter und meiner Frau. Der Anblick, als ich<br />
sie fand, war einfach so furchtbar und so hart, dass<br />
ich ihn nicht beschreiben kann. Ich trug sie, weinend<br />
und schreiend: ‚‚Wieso?!!! Woran hatte dieses kleine<br />
Mädchen Schuld gehabt, dass sie den Tod verdiente??? ‘‘<br />
Seit diesem Tag betrachte ich den Himmel und warte<br />
darauf, dass Gott auf meine Frage antwortet… dass<br />
er einen Meteor schickt, der die ganze Erde zerstört.<br />
Denn die Menschen sind zu Monstern geworden, die<br />
einander umbringen… und das Leben hat sich zu einer<br />
unerträglichen Hölle gewandelt.<br />
Ich habe kein Obdach mehr. Es gibt nichts mehr, was<br />
mich motiviert weiterzuleben. Ich beschloss ins Unbekannte<br />
zu reisen. Ich überquerte Gebirge, Täler und<br />
Meere. Ich ging durch die Türkei, Griechenland, Italien,<br />
die Schweiz und gelangte letztendlich nach Deutschland.<br />
Nirgendwo fand ich die ideale Welt, die ich mir<br />
vorgestellt hatte. Ich sah nichts mehr, außer einer kalten<br />
Welt voller Hass und Lügen… einer Welt, die dich<br />
wegen deiner Hautfarbe oder deines Unverständnisses<br />
ihrer Sprache hasst. Selbst wenn man so aussieht,<br />
wie die Menschen dieser Welt und deren Sprache<br />
beherrscht, wird man immer noch gehasst, nicht<br />
weil man fremd ist, sondern weil der Hass die ganze<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 03/18<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> 03/18